Читать книгу Isle of Ely - Dunkle Herzen - Paula Bergström - Страница 5
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ОглавлениеApril 1900
Caitlin verließ ihr Zimmer nicht mehr. Alle Gäste, die an der Verlobungsfeier teilgenommen hatten, waren bereits vor zwei Tagen abgereist, doch noch immer wagte Caitlin sich nicht hinaus. Sie wusste, dass Timothy auf sie wartete, doch sie hatte Angst, Daniel zu begegnen. Der einzige Mann, den sie in ihre Nähe ließ, war Burns. Er brachte ihr morgens und abends das Essen, den Lunch ließ Caitlin ausfallen. Auch das ständige Hämmern gegen die Tür und Daniels Aufforderungen, ihm zu öffnen, ignorierte sie so lange, bis er letztendlich aufgab und sie in Ruhe ließ.
Die meiste Zeit blickte sie aus dem Fenster, auf die Apfelbäume, die ihre Blüten mit einer Würde trugen, als wären sie über Nacht geadelt worden. Es schien angenehm warm, denn die Sonne strahlte, als gäbe es dafür einen Preis zu gewinnen. Die Rosenstöcke, die den Garten zierten, trugen große Knospen und Caitlin hätte gern ihren Duft eingeatmet. Selbst die Trauerweide sah nicht mehr ganz so betrübt aus. Die Gärtner hantierten den ganzen Tag im Garten. Sonst beaufsichtigte Caitlin immer ihre Arbeit, nun übernahm Burns diese Aufgabe. Ab und an sah sie Dawn im Garten spazieren gehen, oft in Begleitung von William Speakwell, und die beiden schienen sehr vertraut miteinander. Caitlin wünschte sich so sehr, dass es Dawn bald besserging und sie diese schrecklichen Ereignisse im Haus des Earl of Chigwell vergessen konnte. Zwar wusste niemand, was genau ihr dort widerfahren war, selbst Caitlin hatte Dawn sich nicht anvertraut, falls sie sich überhaupt an irgendetwas erinnern konnte. Aber wenn man die schreckhaften Reaktionen, ihr unsicheres Verhalten in den letzten Wochen bedachte, musste es traumatisch gewesen sein.
Doch erging es ihr selbst im Augenblick besser? Das konnte Caitlin nicht sagen. Sie wusste nicht, wie es ihr ging. Zu erfahren, dass ihr Verlobter sie betrogen hatte, hatte eine tiefe Wunde in ihr Herz gerissen. Sie hatte das Gefühl, als wäre es ihr bei lebendigem Leib herausgerissen worden. Die Wunde würde sich so schnell nicht schließen, vielleicht nie wieder.
Eigentlich sollte sie sich um Timothy kümmern, doch sie konnte sich nicht aufraffen, sich überhaupt anzukleiden. Jeden Morgen betrat May ihre Kammer und fragte, was sie anziehen wollte, doch Caitlin schickte sie immer weg. Immerhin hatte sie heute ein Bad genommen. Vielleicht war es eine gute Idee, frische Luft zu schnappen. Die Sonne schien am wolkenlosen Himmel und es sah nach einem angenehm warmen Tag aus.
»May!«, rief sie plötzlich mit neu gewonnenem Mut. »May, helfen Sie mir bitte, mich anzukleiden. Ich werde das hellgrüne Kleid tragen. Es passt zu diesem schönen Frühlingstag.«
»Sehr wohl, Mylady. Die Luft draußen ist sehr angenehm. Es wird Ihnen gefallen.«
Froh, endlich etwas zu tun zu haben, kämmte May die Haare ihrer Herrin voller Elan und steckte sie zu einer Frisur zusammen. »Sie sehen wunderschön aus. Mit hochgestecktem Haar kommt ihr zarter Hals zum Vorschein. Vielleicht sollten sie das smaragdfarbene Collier umlegen …«
»Nein!«, unterbrach Caitlin ihre Kammerzofe barscher, als sie gewollte hatte.
»Natürlich, Mylady.«
»Entschuldigen Sie, May. So war das nicht gemeint. Aber es gibt keinen Anlass, mich herauszuputzen, als ginge ich zu einem Ball,« erklärte Caitlin resigniert. Ihre Stimmungsschwankungen waren für sie selbst schon nicht mehr erträglich. Das musste sich ändern.
»Nun, vielleicht nicht zu einem Ball, aber eventuell sollten Sie der Männerwelt zeigen, was sie verpasst. Haben Sie schon mal in Erwägung gezogen, dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick scheint?«
»Wie meinen Sie das, May?«
»Nun, ich will nicht tratschen, aber unter dem Personal wird viel geredet. Lizzy hat uns erzählt, sie wäre verheiratet, schon seit drei Jahren. Es wäre eine heimliche Hochzeit gewesen, weil ihre Eltern dagegen waren. Warum sollte sie also ihren Mann betrügen? Wir beide teilen uns ein Zimmer, es wäre mir doch aufgefallen, wenn sie nachts … also, ich meine, seine Gnaden ist ja auch noch nicht so lange hier und hatte immer nur Augen für Sie, Mylady. Ich weiß nicht. Irgendetwas an dieser Geschichte kommt mir komisch vor.«
Caitlin sann über Mays Worte nach. Sie hatte den Worten von Lady Ireland sofort Glauben geschenkt, ohne sie in Zweifel zustellen. War das richtig gewesen? Hätte sie vielleicht Lizzy dazu genauer befragen sollen? Oder zumindest anhören müssen, was Daniel dazu zu sagen hatte? Vielleicht war ihr Verhalten ein wenig zu überspannt und unbeherrscht gewesen. Sie wusste doch, dass Lady Ireland ihr nicht wohlgesonnen war. »Ist Lizzy noch hier?«, fragte sie.
»Nein, natürlich nicht, Mylady. Seine Gnaden hat sie sofort entlassen.«
»Was? Und wer kümmert sich um Timothy?«
»Lady Dawn kümmert sich ganz reizend um den Kleinen. Sie hat ein gutes Händchen für Kinder.«
Caitlin biss sich auf die Unterlippe und nickte. »Danke, May. Auch dafür, dass Sie mich ins Vertrauen gezogen haben. Ich denke, es ist an der Zeit, dass ich mich um meinen Sohn kümmere.«
Entschlossen verließ sie ihr Zimmer und wappnete sich innerlich, Daniel zu begegnen, wenn er sich im Haus aufhielt. Möglicherweise war er aber ausgeritten. Oder er besuchte seine Geliebte. Es gab viele Optionen. Wer wusste schon, was er genau tat? Sie ging hinüber ins Kinderzimmer, das im Südtrakt des Hauses lag. Doch der Raum war leer. Sie machte sich auf die Suche nach Timothy und fand ihn im Garten, wo er mit der Dowager auf einem Stuhl unter einer großen Trauerweide saß und Limonade trank. Hier im Schatten war es angenehm und nicht zu warm, obwohl die Sonne für diesen Apriltag bereits kraftvoll schien.
»Mummy! Geht es dir wieder besser? Lady Eleanor hat mir erzählt, dass du krank bist.« Er sprang auf und lief in Caitlins Arme.
Sie atmete die frische Luft ein, und es war ihr, als wäre sie Jahre in einem Gefängnis eingesperrt gewesen. Hier draußen die überraschend warme Luft zu spüren, die Vögel vergnügt zwitschern zu hören, das Summen der Bienen, bereitete ihr viel Freude. Timothy in die Arme zu schließen rundete ihr Wohlbehagen ab. »Ja, mein Junge. Mir geht es wieder besser. Nur eine kleine Erkältung.«
»Caitlin.« Die Dowager lächelte ihr zu und zeigte auf den Stuhl, auf dem gerade noch Timothy gesessen hatte. »Setzen Sie sich zu mir, meine Liebe. Timothy, lauf ins Haus und bitte Miss Rogers, einen Kuchen mit dir zu backen.«
»Oh, fein!«, rief er und rannte los.
»Lady Eleanor, Sie müssen …«
»Ich finde, wir sollten zur vertrauten Anrede übergehen, immerhin bist du mit meinem Sohn verlobt und wirst ihn bald heiraten.« Die Dowager sah sie milde an.
»Das ist sehr freundlich, aber ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird.« Augenblicklich kühlte sich ihre freudige Stimmung ab. Caitlin mochte Daniels Mutter, doch sie war auf seiner Seite, anders konnte es nicht sein. Es war verständlich, doch sie wollte ihm nicht so schnell verzeihen, dass er sie hintergangen hatte.
»Caitlin, ich kann deine Verwirrung verstehen, aber denkst du nicht, dass Daniel womöglich unschuldig ist? Traust du es ihm wirklich zu, dich zu betrügen?«
Caitlin blickte Lady Eleanor verlegen an. »Ich weiß nicht, was ich glauben soll.«
»Meine Liebe, ich will dir etwas erzählen: Mein verstorbener Mann, der ehemalige Duke of Newbury, war hinter jedem Rock her, den er greifen konnte. Ich habe die Augen davor verschlossen, weil ich Angst hatte. Was hätte aus mir werden sollen, allein mit drei kleinen Kindern? Ich habe bisher noch nie jemandem davon erzählt. Als er starb, war ich traurig, denn ich habe ihn geliebt. Auf der anderen Seite war ich erleichtert, dass meine Qualen ein Ende hatten, die Demütigungen, die ich all die Jahre habe ertragen müssen. Ich hatte beschlossen, meinen Kindern das Bild zu lassen, das sie von ihrem Vater hatten, deswegen habe ich weiter geschwiegen. Aber noch viel wichtiger war mir, sie zu Ehrlichkeit zu erziehen. Möge es auch in Mode sein, sich als Mann die Frauen zu nehmen, wie es einem gefällt – ich habe meinen Sohn dazu erzogen, Frauen zu schätzen und ihm den Wert von Respekt und Treue erklärt. Ich bin mir seiner Ehrlichkeit ganz sicher, Caitlin. Wenn Daniel beteuert, dass er diese Frau nicht angefasst hat, dann glaube ich ihm.«
Caitlin biss sich auf die Unterlippe und ließ die Worte einige Momente auf sich wirken, bevor sie sprach.
»Ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich bin so verwirrt. Die Geschehnisse der letzten Wochen zerren an meinen Nerven. Das Feuer, das beinah das Anwesen zerstört hätte, der Anschlag auf mich und der Mord an Brigham, das Auftauchen von Bigbean. Das alles muss doch irgendwie zusammenhängen.«
»Und die Anschuldigung, dass ich ein Verhältnis mit dem Kindermädchen haben soll – was nicht der Wahrheit entspricht.« Daniel nahm auf der Bank neben seiner Mutter Platz.
»Daniel, ich habe dich gar nicht kommen sehen.« Lady Eleanor hielt ihm die Wange hin, damit er ihr einen Kuss geben konnte.
Caitlin versteifte sich und senkte den Blick zu Boden. Jedoch entging ihr nicht, wie schlecht Daniel aussah.
»Kinder, ihr solltet euch aussprechen. Ich werde mich bis zum Abendessen ein wenig hinlegen.« Die Dowager erhob sich und ging gebeugt auf einem Stock davon.
»Wenn du mich entschuldigst?« Caitlin erhob sich und wollte auch gehen, doch Daniel war schneller. Sanft, aber bestimmt hielt er sie am Arm fest. Sie blickte zu ihm auf und sah seinen trüben Blick. Die letzten Tage waren auch an ihm nicht spurlos vorbeigegangen. Er sah regelrecht mitgenommen aus. Sein Halstuch war nachlässig gebunden, die Kleidung schien er nicht gewechselt zu haben, es sah aus, als hätte er darin geschlafen. Sein Haar war zerzaust, und rasiert hatte er sich auch nicht. Dennoch bereiteten ihr sein Anblick und seine Berührungen ein gewisses Prickeln auf der Haut, dem sie sich nicht entziehen konnte. Was auch immer geschehen war, sie empfand viel für diesen Mann, das sagte zumindest ihr Herz, das ihr bis zum Hals schlug.
»Ich habe dir Zeit gelassen, damit du dich beruhigst. Du kannst mir glauben, dass ich am liebsten sofort zu dir gekommen wäre, doch Will hat mich davon abgehalten. Aber jetzt möchte ich, dass du mir zuhörst.«
»Ich kann dir nicht vertrauen«, erklärte Caitlin.
»Doch, du vertraust mir. Du trägst immer noch den Ring, den ich dir an den Finger gesteckt habe, also gehe ich davon aus, dass du meine Frau werden willst.«
»Ich weiß nicht, was ich will. Ich weiß nicht, wem ich noch glauben kann.«
»Mir kannst du glauben, Caitlin. Ich liebe dich. Du bist ein wunderbarer Mensch und ich will dich nicht verlieren. Niemals würde ich bei einer anderen Frau suchen, was ich bei dir finde. Caitlin, du musst doch fühlen, was ich für dich empfinde.«
»Manchmal ist das Leben nicht so einfach, Daniel. Du musst mir Zeit geben.«
»Ich gebe dir alle Zeit der Welt, weil ich weiß, dass wir füreinander bestimmt sind. Ich werde dich nicht aufgeben, Caitlin. Ich liebe dich, das darfst du niemals vergessen.«
Damit machte Daniel kehrt und ging zurück zum Haus.