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cc) Ermessen und andere Spielräume

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Alle Verwaltungsrechtordnungen in Europa kennen das Institut des Ermessens, also die Befugnis der Verwaltung, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben eigene Präferenzentscheidungen zu treffen.[366] Solche Spielräume gibt es sowohl im Bereich der gesetzesakzessorischen als auch der gesetzesfreien Verwaltung, wobei teilweise nur mit Blick auf die gesetzesakzessorische Verwaltung von Ermessen gesprochen wird.[367] Die Einräumung von Ermessen und anderen Spielräumen bedeutet in der Sache eine Rücknahme der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte und die Zuerkennung einer gerichtsfesten Prärogative zugunsten der Exekutive.

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In zahlreichen Verwaltungsrechtsordnungen markiert das Ermessen der Verwaltung geradezu den funktionalen Kern exekutivischer Gestaltungsaufgaben. In Frankreich hat das zur Folge, dass sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen auf offensichtliche Fehler bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage beschränkt (contrôle restraint).[368] In anderen Verwaltungsrechtsordnungen gilt grundsätzlich Vergleichbares; allerdings musste die gerichtliche Kontrolldichte vor allem unter dem Einfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips intensiviert werden.[369]

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Gerichtlich nicht kontrollierbaren Gestaltungsspielräumen der Verwaltung begegnet man in Deutschland, Italien[370] oder Österreich mit prinzipieller Skepsis. Ermessensentscheidungen werden hier auch auf die richtige Ermittlung der Tatsachenbasis und ihre Verhältnismäßigkeit hin überprüft.[371] Zudem hat man zur Gewährleistung einer möglichst intensiven gerichtlichen Kontrolle die Differenzierung zwischen unbestimmten Rechtsbegriffen und Ermessen entwickelt. Nach dieser – in Deutschland auf Otto Bachof zurückgehenden,[372] aber auch in Österreich, Polen, der Schweiz und wohl auch in Italien anzutreffenden – Unterscheidung unterliegen auf der Tatbestandsseite einer Norm anzusiedelnde unbestimmte Rechtsbegriffe wie „Gefahr“, „Zuverlässigkeit“, „schädliche Umwelteinwirkung“, „Denkmaleigenschaft“ etc. grundsätzlich einer vollständigen gerichtlicher Kontrolle. Beurteilungsspielräume, die zu einer Beschränkung der Kontrolldichte führen,[373] werden nur in engen Grenzen anerkannt.[374]

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Zudem haben Rechtsprechung und Literatur in allen Verwaltungsrechtsordnungen spezifische Grenzen des Ermessens herausgearbeitet und typische Ermessensfehler identifiziert, deren Vorliegen die – unterschiedlich dichte – gerichtliche Kontrolle überprüfen kann. Dazu gehören der Ermessensausfall, die Ermessensunter- und -überschreitung sowie der Ermessensmissbrauch (détournement de pouvoir, sviamento di potere[375]).[376]

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Mittel- und langfristig dürfte im Hinblick auf die gerichtliche Kontrolldichte des Verwaltungshandelns eine Konvergenz der Rechtsschutzsysteme zu erwarten sein. Während etwa das deutsche Verwaltungsrecht mit Figuren wie der normativen Ermächtigungslehre[377] den Bereich gerichtsfester Spielräume der Verwaltung vorsichtig ausgeweitet hat, zwingen in anderen Verwaltungsrechtsordnungen verfassungsrechtliche Anordnungen sowie Art. 6 und 13 EMRK und Art. 47 GRCh zu deren Reduzierung und zur Unterwerfung von Ermessensentscheidungen unter eine Verhältnismäßigkeitskontrolle.[378]

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