Читать книгу Es ist Sarah - Pauline Delabroy-Allard - Страница 6
ОглавлениеIm Dämmerlicht um drei Uhr morgens schlage ich die Augen auf. Ich sterbe vor Hitze, aber ich wage nicht aufzustehen, um das Fenster noch etwas weiter zu öffnen. Ich liege in ihrem Bett, in dem Zimmer, das ich so gut kenne, nah an ihrem Körper, der endlich eingeschlafen ist nach einem langen Kampf gegen die Ängste, die alles zerfressen, den Kopf, den Bauch, das Herz. Wir haben lange geredet, um sie zu vertreiben, um sie an die Grenzen der Nacht zurückzudrängen, wir haben uns geliebt, ich habe ihren Körper gestreichelt, um sie zu beruhigen. Ich habe meine Finger über ihre Schultern, dann über ihre Arme gleiten lassen, mich an ihren Rücken geschmiegt und lange ihren weichen Hintern liebkost. Ich habe ihrem schnellen Atem gelauscht und darauf gewartet, dass er leichter wurde, dass das Schluchzen nachließ, dass endlich Frieden einkehrte.
Es ist so warm im Zimmer. Ich würde mich gern ein wenig bewegen, frische Luft auf meinem Gesicht spüren. Aber ihr Körper berührt den meinen, ihre Hand liegt auf meinem Arm, und jede Bewegung könnte das Gebäude, das ich so mühsam errichtet habe, ins Wanken bringen. Ihr Schlaf gleicht einer Sandburg. Eine Bewegung, und alles stürzt ein. Eine Bewegung, und sie reißt die Augen auf. Eine Bewegung, und ich muss von vorne beginnen. Ich höre zu, wie der Atem schlafschwer aus ihr herausströmt, und mich packt die Lust zu lachen, für einen Moment kehrt endlich die Fröhlichkeit zurück. Ich möchte die Nacht anhalten und über Stunden, über Tage ihrem Atem lauschen, denn er bedeutet ich lebe, er bedeutet ich existiere, er bedeutet ich bin hier. Und auch ich bin hier, neben ihr.
Mein glühender Körper regt sich nicht. Wenn ich sterben muss vor Hitze, um die Sandburg am Einstürzen zu hindern, dann will ich gern vor Hitze sterben. Draußen, in der grauen Nacht, die ich durch das Fenster sehe, singen die Vögel. Man könnte meinen, es seien Tausende, die um die Wette zwitschern, in allen Richtungen durch die Luft schießen, wie die versiertesten Kunstflieger. Diese erdrückend heiße Nacht ist ihr 14. Juli, sie zeigen ihre Flugnummer, erfinden fröhlich immer waghalsigere Manöver. In den weit entfernten Bäumen begrüßen Vorstadttauben mit durchdringenden Lauten den heraufziehenden Morgen. Ich schaue zu, wie ihre Schatten in den schmutzigen Himmel steigen. Ich komme um vor Hitze. Ich warte.
Ich betrachte ihren reglosen Körper, der ausgestreckt auf dem Rücken liegt, vollkommen nackt. Die zarten Knöchel, die hervorstehende Hüfte, den weichen Bauch und die grazilen Arme, die geschwungenen Lippen mit dem feinen Lächeln. Die Male der Krankheit auf dem geliebten Körper, die kleinen schwarzen Punkte auf dem zerstochenen Bauch, die Narbe an der Achselhöhle, das Loch unter dem Schlüsselbein. Ich schaue ihr ruhiges, ganz ruhiges Gesicht an, ihr sogar im Schlaf stolz gerecktes Kinn, ihre samtigen Wangen, die schroffe, überraschende Linie ihrer Nase, ihre endlich geschlossenen malvenfarbenen Lider. Ihren vollkommen kahlen Kopf. Im Dämmerlicht um drei Uhr morgens schaue ich ihr beim Schlafen zu.
In jener feuchten Nacht gelingt es mir nicht, meinen Blick von ihrem nackten Körper zu lösen, von ihrem wächsernen Schädel. Von ihrer Totensilhouette.