Читать книгу Titus und Timotheus und der Esel Bileam - Paul Keller - Страница 7

Im Städtchen.

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Am Morgen nach der ersten Nacht verfrühstückte der Hund die letzten Vorräte an Lebensmitteln. Titus und Timotheus begnügten sich jeder mit zwei Frühäpfeln und etwas Beerenobst.

Dann beschlossen sie, nach Altenroda aufzubrechen und die nötigsten Einkäufe zu besorgen.

„Was aber tun wir mit dem Hunde?“

„Wir nehmen ihn mit. Wir müssen uns polizeilich melden,“ sagte Timotheus, „es ist lästig, aber wir müssen es tun. Das Gebilde, das sich Staat nennt, ist nun einmal darauf aus, den Menschen Beschwerlichkeiten und Geldkosten zu bereiten. Wir werden den Hund als ‚zugelaufen‘ bald mit anmelden.“

Timotheus war Kommunist, freilich nicht von der Art der Leute, die sich heute Kommunisten nennen. Timotheus war Kommunist nach Art der ersten Christen. Er sagte: „Auch unser benedeiter Herr Jesus war Kommunist. Auch die Apostel, auch die ersten Christen waren Kommunisten. Aber sie haben nicht tobende Umzüge gemacht, nicht herumgeschossen, gelärmt, gelästert, geplündert, gemordet. Die sich jetzt Kommunisten nennen, sind keine; es sind die lebensgierigsten Egoisten, die es gibt — die selbst nicht dulden, aber andere peinigen wollen, niemals geben, aber immer nehmen, niemals glauben, sondern immer höhnen, stürmisch streben nach jeder Lust der Welt. Mögen sie, wenn sie ans Kreuz gebunden werden, ein gnädiges Urteil hören.“

Wenn Timotheus so sprach, sagte Titus: „Amen.“ Nun berieten sie über den Hund. Titus sagte:

„Ich wünschte, wir könnten ihn behalten. Hoffentlich fordert ihn sein Herr nicht zurück. Sieh, wie treuherzig, demütig und dankbar er uns anschaut! Alles für ein wenig Suppe und ein bisschen Freundlichkeit!“

„Wenn der Hund zurückgefordert wird, werde ich versuchen, ihn zu kaufen. Wie soll er heissen?“

Titus dachte einen Augenblick nach, dann sagte er:

„‚Amicus‘ soll er heissen, das heisst zu deutsch ‚Freund‘. Die Freunde aus der Hundewelt sind meist viel treuer als die Menschenfreunde.“

„Gut! — So wollen wir gehen! Komm, Amicus!“

„Jetzt,“ sagte Titus lächelnd, „müsste es ‚amice‘ heissen.“ Timotheus sah verwundert auf.

„Lass nur, lieber Bruder, ruf ihn nur ‚Amicus‘ was geht ihn und uns die Weisheit der Sextaner an?“ —

Sie stiegen den Berg hinab. Ganz nahe ihrem Besitztum begann prachtvoller Hochwald. Gemischter Wald, Laubund Nadelbäume durcheinander und eine üppige Flora, deren Blüten hier in der reinen Gebirgsluft von wundersamem Glanze waren. Die beiden atmeten tief und glücklich. „Gott hat es gut mit uns gemeint, als er uns hierher führte. Es ist wie ein Gelobtes Land.“

„Ja,“ sagte Titus und betrachtete mit tiefer Freude den herrlichen Wald. Leise rauschte der Morgenwind, Duftwogen umströmten die beiden, die Vögel jubilierten. — Timotheus aber seufzte.

„Lieber Bruder, ich muss, ehe wir nach der Stadt kommen, mich über wichtige Dinge mit dir aussprechen. Du stehst auf der Leiter der Tugend sehr hoch, ich sehr tief.“

„Schweig,“ sagte Titus unwillig.

„Es ist so,“ sagte Timotheus, „du bist frei von viel Unnützem, Törichtem, Gebrestigem, dem ich noch kraft- und willenlos unterworfen bin. Und weisst du, woher das kommt? Weil du nie mit einem Weibe zu tun gehabt hast, ich aber wohl. Das Weib zieht den Mann hinab, es macht ihn schwach und schlecht!“

„Wo willst du eigentlich hinaus?“ fragte Titus.

„Ich möchte dich fragen, ob du mich wohl sehr verachten würdest, wenn ich weiterhin Fleisch und Wurst ässe?“

„Nein, der Herr hat das Osterlamm gegessen. ‚Was zum Munde eingeht, ist keine Sünde‘, lehrt Luther.“

„Nun, auf das, was Luther gesagt hat, kann ich ja allerdings nichts geben, aber auch Calvin hat Fleisch gegessen, ich glaube am liebsten Hammelfleisch.“

„So iss!“

„Ja, aber jetzt kommt eine schwierigere Frage. Wir sind hierhergekommen, um zur Vollkommenheit zu streben; meinst du, dass diesem Streben etwas im Wege stünde, wenn ich meine Gewohnheit beibehielte, täglich ein Quantum Rotwein zu geniessen, mittags ein Glas und abends zwei Gläser? Siehe, Paulus schreibt an Timotheus: Trinke nicht nur Wasser, sondern auch etwas Wein deines Magens und deiner öfteren Unpässlichkeiten wegen.“‘

„So trinke! Auch der Herr hat Wein getrunken. Trinke! Aber gehe nicht alle zwei Tage nach der Stadt, dir eine Flasche zu holen. Das würden die Leute bemerken, und sie würden lästern. Bestell’ dir heute eine ganze Kiste Wein!“ „Eine ganze Kiste,“ sagte Timotheus erfreut, „das ist ein guter Vorschlag! Nein, mit der Einzelflasche, das könnte Anstoss erregen, während eine ganze Kiste kein Ärgernis aufkommen lässt. — Ja, aber noch eine Frage, lieber Bruder, wie ist das mit dem Tabak?“

„Nun,“ sagte Titus, „beim Tabak kannst du dich ja nicht auf Paulus und Calvin berufen. Die waren sicherlich Nichtraucher; denn damals war dieses Rauschgift noch unbekannt. Ich werde dir eine kleine Geschichte erzählen. Friedrich Wilhelm, der grosse Kurfürst von Brandenburg, hatte einen Leibmohren, der der neuen Sitte des Tabakrauchens fröhnte. Dieser Mohr lud eines Tages einen Bauern ein, zu rauchen. Aber der Bauer wehrte heftig ab und sagte: ‚Nee, gnädiger Herr Düwel ick frette keen Füer!“‘

„Also Teufelswerk — also Rauschgift! Ich darf nicht mehr rauchen?“

„Du darfst! Was nicht Sünde ist, das darf man! Die meisten Dichter, Gelehrten, Staatsmänner rauchen wie die Schlote. Sie haben eine sehr zwiespältige Ausrede dafür. Auf der einen Seite sagen sie, das Rauchen rege sie an, auf der anderen, das Rauchen beruhige ihre Nerven.“

„Mir beruhigt es die Nerven!“

„So rauche!“

„Nun, Titus, noch eine letzte Frage: Wie steht es mit dem Schnupfen?“

Titus sagte:

„Es war ein König — Fridericus Rex — ein Genie — der hat in seinem Leben zwar nicht ganz soviel Schnupftabak in seine Nase gesteckt, wie Sand in seinem Königreiche war, aber immerhin erstaunliche Mengen. Schnupfe, Timotheus, wenn es dir gut tut!“

„Es tut mir gut, Schnupfen ist das beste Mittel, sein Augenlicht lange zu erhalten. Die meisten Schnupfer lesen mit sechzig Jahren noch ohne Brille, beim Augenarzt trifft man sie selten oder nie. Ach, wie bist du klug und tolerant, lieber Bruder! Du hast mein Gewissen beruhigt und mich glücklich gemacht.“

So stiegen sie den schönen Sommerwald hinab, fröhlich und friedlich. Amicus, der Hund, hielt sich dicht an der Seite des Timotheus, für den er eine grosse Dankbarkeit hatte, weil er von ihm gefüttert und gestreichelt worden war.

Am Waldrands stand ein Mütterchen. Als sie die beiden gewahrte, kam sie rasch auf sie zu und sagte mit zittriger Stimme: „Ach, die heiligen Männer, die seit gestern hier sind! Ich habe mir wohl gedacht, dass sie herabkommen würden, da warte ich hier seit zwei Stunden.“

Sie wandte sich an Timotheus, den Älteren: „Ach, ich leide so Not; ich habe offene Beine. Helft mir, heiliger Vater!“ Timotheus schnob:

„Bleib mir nur mit dem heiligen Vater vom Leibe! Ich bin kein Wundertäter, sondern ein in Sünden und Schwächen verstrickter Mensch. Offene Beine hast du?“

„Ja, ich leide sehr Not.“

Timotheus zog eine dicke Brieftasche aus seinem Kittel, gab der Frau einen Zehnmarkschein und sagte:

„So, Mütterchen, gehe zum Arzt, Gott helfe dir!“ —

Sie gingen weiter.

„Das wäre noch schöner, wenn ich etwa hier als heiliger Vater ausgeschrien würde,“ knurrte der Calvinianer erbost.

Er wurde bald eines anderen belehrt.

Unten auf der Chaussee gingen zwei halbwüchsige Burschen hinter ihnen her. Sie unterhielten sich in dem bekannten, so ausserordentlich deutlichen Flüstertone.

„Der den Mord begangen hat, ist der Dicke. Aber er ist aus Brasilien, da dürfen sie ihm hier nichts tun, da steht er unter dem Völkerrecht.“

„Ja, und der Lange, der hat auch seine zehn Jahre Zuchthaus hinter sich. Feine Neulinge!“

Sie bogen in eine Seitengasse ein. —

„Hast du es gehört?“ fragte Timotheus. „Erst sollte ich ein heiliger Vater sein und jetzt bin ich ein Mörder aus Brasilien.“ Titus lächelte.

„Die Leute haben uns gestern abend beobachtet, und schon auf dem Heimwege waren viele Märchen über uns fertig. Das Volk dichtet schnell und kräftig.“ —

Aus einem Hause, an dem „Vorkosthandlung“ geschrieben stand, kam eine Frau eilig heraus und fragte, was es wohl kosten würde, sich von den Brüdern wahrsagen zu lassen. „Das kann dich deinen Kleiderrock kosten,“ sagte Timotheus, „sieh dir nur diesen Hund an; er ist sehr grimmig.“ Amicus aber spielte die ihm zugedachte Rolle schlecht; er sah die Frau freundlich an und wedelte mit dem Schwanze, denn aus dem Laden kamen für seine Hundenase ergötzliche Düfte. Die Frau aber wich vor dem Hunde erschrocken zurück und kreischte: „Eduard! Eduard!“ Ein starker Mann erschien in der Tür, und die Frau erklärte ihm japsend, der dicke Kerl da hätte sie belästigt, sie geduzt und gedroht, den bösen Hund auf sie zu hetzen.

„Komm weiter!“ mahnte Titus. Sie gingen rasch davon. Der Vorkosthändler lärmte hinter ihnen her, schrie etwas vom Knochenentzweischlagen und von Benachrichtigung der Polizei. —

„Das waren hässliche Begegnungen,“ sagte Timotheus. „Die meisten Menschen sind hässlich, was willst du anderes von ihnen verlangen als Hässliches?“

Sie kamen in die Stadt durch das Tor des mächtigen Schuldturmes, der so fest war, dass er selbst den Dreissigjährigen Krieg sowie die Ausbesserungsarbeiten städtischer Baumeister überdauert hatte. Und nun waren sie in der Stadt mit den winkligen Gassen, den Fachwerkhäusern, den grünen, buntbemalten Fensterläden, den Erkern und blumenbewachsenen Balkonen, Laubengängen und offenstehenden Geschäften. Bald war ein Trupp von Kindern hinter ihnen her. Zum Glück waren die berüchtigten Gymnasiasten dieser Stadt jetzt in der Schule, überhaupt alle grösseren Kinder, aber die kleinen, noch nicht schulpflichtigen, sammelten sich zu Scharen.

„Es sind zwei Nikolause!“ krähte ein Junge. „Zwei Nikolause!“ jubelte die ganze kleine Bande, klatschte in die Händchen und tanzte vor Vergnügen.

„Dicker Nikolaus, schenk’ mir was!“

„Langer Nikolaus, schenk mir was!“

Da schrie ein Mädchen, das fast sechs Jahre alt war:

„Es sind ja gar keine Nikoläuse, sie haben ja keine Bärte!“

„Nussknacker sind es!“

„Nussknacker, Nussknacker!“

„Oder es sind Kasperle!“

„Kasper! Kasper! Kasper!“

Das war das Richtige. Als aber ein besonders dreister Junge den Timotheus am Kittel zog, erhob Amicus ein wütendes Gebell, schnappte nach dem Jungen, der schreiend davonlief, und auch die andere Schar zerstob. —

Der erste Gang der Paulusjünger führte nach der Apotheke. Stattlich ragte das Haus auf dem Marktplatz über die Nachbargebäude empor, nur übertrumpft vom „Goldenen Löwen“, dessen Wappentier seinen gespaltenen Schweif hoch in die Luft reckte, und vom Rathause, das seinen Renaissanceturm mit dem überschnörkelten Rokokohause possierlich vereinigte.

Der dicke Apotheker stand stattlich in der Tür. Er tat, als schaue er nach dem Wetter, in Wirklichkeit hatte ihn die Neugierde vor die Tür getrieben.

„Bist du der Apotheker?“ fragte Timotheus den Stattlichen.

„Wieso du?“ fragte der Apotheker.

„Unsere Lebensauffassung gebietet uns, zu allen Menschen ‚du‘ zu sagen,“ versetzte Titus ganz milde. „Auch zu den allervornehmsten Menschen würden wir ‚du‘ sagen. So gestatte uns gütigst, auch zu dir ‚du‘ zu sagen, verehrter Herr Apotheker. Wir bitten dich, uns auch zu duzen.“

„Das nennt man eine schnelle Brüderschaft,“ lachte der Apotheker in einem abgrundtiefen Bass. „Meinetwegen,“ setzte er gemütlich hinzu, „mir verschlägt das nichts. Wollt ihr etwas von mir, ihr schnurrigen Gäste?“

„Herr Apotheker,“ sagte Timotheus, „wir bitten dich, wirf ein prüfendes, mitleidiges Auge auf diesen Hund. Er ist uns in der letzten Nacht zugelaufen, und er ist verwundet.“ Der Apotheker stieg die Treppe herab, besah den Hund und sagte:

„Das Tier ist furchtbar geschlagen worden, das sind lauter blutige Striemen. Ich werde Ihnen, entschuldigt, ‚Euch‘ Salbe geben. Es wird bald alles gut werden.“

Timotheus begleitete den Apotheker ins Haus und bekam die Salbe, und der Apotheker fragte, ob er sonst noch etwas geben solle. Timotheus wurde rot und sagte, ja, er brauche wohl noch etwas, aber es sei peinlich, es zu sagen.

„Beim Arzt und beim Apotheker braucht sich niemand zu genieren,“ sagte die Bassstimme.

Da brachte Timotheus heraus, der Hund sei verwahrlost und nicht insektenfrei.

„Flohseife!“ verordnete der Apotheker. „Mit heissem Wasser tüchtig abseifen, vorher aber die Striemen verharschen lassen.“

Dann begehrte Timotheus noch ein Stück Menschenseife; sie dürfe aber keineswegs parfümiert sein.

„Unparfümierte Seife führe ich nicht,“ sagte der Apotheker, „zweite Querstrasse rechts, drittes Haus, da gibt es Oranienburger Kernseife.“

Timotheus bedankte sich und ging. Sie machten nun ihre weiteren Einkäufe, immer von mehr oder weniger neugierigem Volke begleitet, kauften ein Handwägelchen und zwei Rucksäcke, versorgten sich mit Lebensmitteln, hauptsächlich mit Mehl. Timotheus kaufte seinen Tabak, Fleisch, Dauerwurst und einen geräucherten Schinken, blieb aber vor der Tür einer Weinhandlung unschlüssig stehen.

„Ich schäme mich, hineinzugehen.“

„So gib mir die Brieftasche!“ sagte Titus. „Ich werde den Wein für dich kaufen. Du trinkst immer roten Wein?“

„Ja, der ist für ältere Leute am besten. Burgunder! Die Flasche zu 5 bis 6 Mark, es muss guter, naturreiner Wein sein.“

„Gut,“ sagte Titus und verschwand in der Weinhandlung. Timotheus stand aufgeregt auf der Strasse und sah sich scheu um, ob die Leute auch nicht beobachteten, dass die Paulusjünger mit einem fragwürdigen Hause, wie es eine Weinhandlung nun einmal ist, in Verbindung ständen.

Titus trat in den Laden, der vor den Trinkstuben war. Der Weinhändler stürzte aus der Trinkstube in den Laden, scheuchte das Bedienungspersonal zur Seite, betrachtete Titus mit grösster Neugierde und fragte nach seinem Begehr.

„50 Flaschen Rotwein! Burgunder! Die Flasche 5 bis 6 Mark. Naturrein!“

„Wollen sich — wollen sich der Herr was aussuchen?“ fragte der verblüffte Weinhändler und überreichte Titus eine Preisliste. Die Liste zeigte als Titelblatt einen halbberauschten Bacchus, der von einer wenig bekleideten Trinkmaid mit Weinlaub bekränzt wurde. Titus legte die Liste schnell aus der Hand, mit der Bildseite nach unten. „Ich habe mit solchen Dingen nichts zu tun,“ sagte er errötend. „Empfehlen Sie mir einen guten, bekömmlichen Burgunder!“

„Da wäre Nummer 59,“ sagte der Händler geschmeidig. „Ausgezeichneter Burgunder! Prima Qualität! Rund, amtig. 1921er! Wachstum Lusche und Grünberg. Äusserst preiswert, Flasche 6 Mark. Günstige Zahlungsbedingungen!“

„Ich zahle sofort!“ sagte Titus.

Der Weinhändler erschrak geradezu. Ein Kunde, der beim Weinhändler sofort bezahlt, muss entweder ein Krösus sein, oder er ist nicht normal oder — er ist verdächtig. Dem Weinhändler war Titus verdächtig.

Der Kunde zog eine dicke Brieftasche. Der Händler überzeugte sich durch einen diskreten Blick von dem erstaunlich reichen Inhalt dieser Tasche. Titus legte drei Hundertmarkscheine auf den Tisch, die der Händler gierig an sich nahm.

„Einen Augenblick, mein Herr! Ich wechsele nur. Die Rechnung macht zwar 300 Mark, aber bei Barzahlung gibt meine Firma 2 Prozent Skonto. Einen Augenblick. Bitte, nehmen Sie einstweilen Platz!“

Der Weinhändler eilte nach der Trinkstube, wo der Apotheker als einziger Gast zu so früher Stunde schon seinen Schoppen trank, und erzählte das Abenteuer im Laden. „Mir haben sie eine Schachtel Borsalbe und ein Stück Flohseife abgekauft,“ sagte der Apotheker.

„Drei Hundertmarkscheine. Der Mann hat wenigstens für fünftausend Mark Scheine in seiner Tasche. Bitte, sieh die Scheine an. Sind sie echt?“

Der Apotheker nahm die Scheine, besah sie durchs Fensterlicht und sagte:

„Wer unterscheidet heute echt von unecht? Die Fälschungen werden immer frappierender. Ich will mal für dich schnell zur Bank hinübergehen, Direktor Peiper fragen.“ „Ich bitte dich, tue das; ich halte den verdächtigen Mann inzwischen auf. Ob man auch die Polizei benachrichtigt?“ „Nein, warte noch!“

Der Weinhändler schwatzte indes auf Titus ein, versprach bereits am Nachmittag die 50 Flaschen prompt nach oben zu liefern.

„Diskret!“ verlangte Titus.

„Ganz diskret!“ versicherte der Händler.

Indessen kam der Apotheker schnaufend zurück.

„Echt!“ sagte er und warf die Scheine auf den Tisch. — Nun ward auch dieses Geschäft abgeschlossen. Die Jünger zogen nach dem Rathause. Titus ging hinein, die Anmeldungen zu besorgen, Timotheus wartete vor dem Portal. Als Titus zurückkam, hörte er, wie Timotheus von der Rathaustreppe herab eine Ansprache an das zahlreich versammelte Volk hielt. „Paulus predigt von der Treppe der Akropolis!“ fiel Titus ein.

„Ihr spottet, dass wir unseren Hund den Wagen nicht ziehen lassen? Das wäre eine Grausamkeit! Der Hund ist kein Zugtier; seine Füsse und seine Brust sind dazu nicht geeignet. Es ist eine Sünde, einen Hund ziehen zu lassen!“ Gelächter.

„Eine noch viel grössere Sünde ist es, einen Hund an die Kette zu legen,“ rief Timotheus.

Gelächter. Zurufe: „Verrückt, verrückt!“

Timotheus, der einen starken Hang zum Predigertum hatte, ereiferte sich mehr und mehr.

„Ich habe durch einige Torwege eurer Stadt Hunde an der Kette liegen sehen. Das ist eine schwere Versündigung! Solche arme Tiere sind nicht zur Marter auf der Welt. Ihre Herren sind gefühllos, sie sehen nicht, wie die angefesselten Tiere mit den Augen um Freiheit betteln, hören nicht, wie sie jammern in ihrer Qual, wie sie oft in Sonnenglut ohne Wasser sind. Es kommt der Tag, und er ist nicht weit, wo alle diese Schinder selbst gefesselt sein werden an die finstersten Wände der Hölle, in entsetzlichstem Durst, und viel lauter heulen werden, als Hunde je geheult haben!“

„Er hält eine Predigt — eine Hundepredigt!“

Gelächter.

Nun trat Titus in Erscheinung. Er stellte sich neben Timotheus und rief:

„Die letzte Predigt wird Gott halten, und sein ‚Amen‘ wird für viele furchtbar sein, schrecklich für alle Tierquäler. Heute in hundert Jahren wird jeder von euch, auch der Allerjüngste, der Allervermessenste, wissen, dass mein Bruder Timotheus recht gehabt hat!“

Da wurde es etwas stiller. Nur einige lachten roh oder spöttisch.

„Kettenhunde müssen sein!“

„Nein, man kann sich einen treuen Wächter anders erziehen als durch Barbarei. Und nun gebt den Weg frei; wir müssen weiter!“

Kein Mensch rührte sich vom Platze. Zu sechs, ja zu zehn Gliedern stand der Halbkreis um die Rathaustreppe.

„Ich bitte euch, ihr Leute, lasst uns in Frieden ziehen!“ „Dableiben! Dableiben! Der Dicke soll noch eine Predigt halten, aber nicht über die Hunde.“

„Über die Mondkälber soll er predigen!“

Grosses Halloh.

„Über die Mondkälber und Heupferde soll er predigen!“ — Da stand plötzlich ein blondes Mädchen neben den Brüdern.

„Ah — Helga Hiller! Die will auch predigen. Lasst sie!“

„Die Tochter der ‚Antragsspritze‘. Sie wird einen Antrag stellen!“ schrie der Zigarrenmacher Jeschke.

„Nein!“ rief Helga mit klarer, kräftiger Stimme, als es stiller wurde, „einen Antrag werde ich nicht stellen. Die Wahrheit will ich euch sagen: Es ist niederträchtig, dass ihr zwei Männern, die erst gestern hier ankamen und die niemand etwas zu Leide getan haben, den Weg verlegt. Einen Antrag werde ich nicht stellen, aber etwas anderes werde ich tun; ich gehe jetzt ins Rathaus und rufe telephonisch die Polizeiwache.“

Fünf Glieder der Kettenbildung lösten sich augenblicklich auf. Jeschke aber rief:

„Hierbleiben! Durch ein Mädel, noch dazu durch die Tochter der ‚Antragspritze‘ lassen wir uns nicht vertreiben.“

Helga liess sich nicht beirren.

„Wisst ihr, Leute, was das ist, was ihr hier treibt? Das ist grosser Unfug, Zusammenrottung, Freiheitsberaubung! All das ist strafbar!“

Da lösten sich zwei weitere Ringe der Kette. Auf einmal drängte sich ein dicker, brutal aussehender Mann hervor und schrie:

„Halloh, was sehe ich? Die Kerle haben ja meinen Hund, meinen Nero!“

Er rief das Tier an; es kuschte sich winselnd, in höchster Angst vor seine Füsse. Der Mann zerrte das Tier auf die Treppe, gab ihm einen rohen Stoss.

„Wer weiss, dass das mein Hund ist?“

Drei oder vier Zeugen meldeten sich. „Es ist sein Hund!“

„Vor fünf Tagen ist er mir gestohlen worden. Vom Strick, an den er gebunden war, ist er losgeschnitten worden. Nun, Fräulein, rufen Sie die Polizei, die kann die Hundediebe gleich festnehmen.“

Titus hob die Hand:

„Der Hund ist uns halbverschmachtet in letzter Nacht zugelaufen.“

„Kann jeder behaupten! Gestohlen ist er!“

Tumult!

„Ich habe den Hund soeben im Rathause als zugelaufen gemeldet.“

Da wurde es stiller.

„Der Hund ist furchtbar zerschlagen, wie sich jedermann überzeugen kann. Da ist er geflohen.“

„Nun soll ich wohl gar ein Tierschinder sein? Bei mir haben es die Hunde gut!“ schrie der Brutale. Er beugte sich zu dem Hunde herunter, der stiess ein Angstgeheul aus, jagte die Rathaustreppe hinab zwischen den Leuten hindurch und war auf und davon.

Der Brutale tobte und fluchte. Da flüsterte ihm Timotheus einige Worte zu.

„Verkaufen? Ich verkaufe keine Hunde!“

„Aber für gutes Geld?“

„Wieviel gebt ihr, auch wenn sich der Hund nicht wiederfindet?“ lauerte der Rohling.

„Fünfzig Mark, auch wenn sich der Hund nicht wiederfindet.“

Der Brutale erschrak freudig, aber er liess es sich kaum merken.

„Wenn ihr hundert Mark zahlt, und zwar sofort, gehört Euch der Hund.“

Timotheus reichte ihm die gewünschte Note.

„Also, es ist hier vor Zeugen abgemacht! Ihr dürft das Geld nicht wieder verlangen, auch wenn der Hund verloren geht.“

„So ist es!“

Endlich waren sie frei. Es wurden böse Urteile über die Paulusjünger gefällt. Man hielt sie für Narren. Nur ein Narr konnte hundert Mark für einen Hund geben, der kein echtes Tier und noch dazu fortgelaufen war. — Einige Geschäftsleute nahmen sich im stillen vor, die weltunerfahrenen Männer bei Gelegenheit zu schröpfen. Einigen ist das nachträglich gut gelungen.

Nicht gelang zwei schlimmen Individuen ein Einbruch, den sie planten, als durch die Schwatzhaftigkeit des Weinhändlers der reiche Inhalt der Brieftasche des Timotheus bekannt wurde. Der Einbruch konnte nicht ausgeführt werden, denn die beiden Schurken kamen inzwischen anderer Straftaten wegen für lange Zeit ins Zuchthaus.

Helga Hiller sagte sich mit einer gewissen Bitterkeit, über die sie sich selber wunderte:

„Warum geben sie sich dem Gelächter preis? Um den Dicken wär’s ja nicht so sehr schade. Aber der Junge! Er ist gross, stark, bildschön, sicher auch klug. Warum spielt er den Narren?“ —

Die Paulusjünger gingen still nach Hause. Sie zogen ihr Wägelchen und sprachen wenig. „Aller Anfang ist schwer,“ sagte Titus. — „Wie Gott will!“ antwortete Timotheus. Vor der Tür lag Amicus; er wäre fast gestorben vor Freude, als er die beiden sah.

Titus und Timotheus und der Esel Bileam

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