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Kapitel 2
ОглавлениеDas neue Leben
Architektonische Apokalypse
Langsam dreht sich der alte Erdball um die alte Sonne,
die nicht mehr glüht und strahlt wie einst.
Dunkelviolett scheint die alte Sonne, so daß es nie
mehr Tag wird – auf Erden niemals mehr.
Stille Nacht ist überall.
Es ist sehr sehr still.
Der Himmel ist schwarz wie schwarzer Sammet.
Die Sterne aber funkeln so hell wie sonst – wohl noch
heller, da sie größer sind.
Goldene Sterne sind's!
Der Erdball ist ganz weiß – ganz mit weißem Schnee
umhüllt – mit leuchtendem Schnee!
Sternklare Winternacht auf den Höhen und im Tal!
Die tote Erde dreht sich immer langsamer.
Doch im sammetschwarzen Himmel wird's lebendig.
Die großen Erzengel kommen.
Mit riesig großen weißen Flügeln flattern sie eiligst
herbei. Es rauscht durch den Himmel.
Es wird so laut, so voll Trubel die Luft, als wenn viele
Millionen großer Völkerscharen zu neuem Leben
erwachen.
Aber es kommen nur die Erzengel. Es sind ihrer
zwölf. Sie sind so schrecklich groß. Sechs umflattern die
eine Hälfte der Erdkugel und sechs die andre, so daß man
von beiden kaum mehr was sieht.
Die Engel beugen langsam, Flügel schlagend, die
Köpfe herunter. Ihre Füße schweben hoch über den
beiden Polen der Erde. Die zwölf Köpfe bilden bald mit
ihren flatternden blonden Locken um des Erdballs Mitte
einen prächtigen Haarring.
Zunächst nimmt jeder Erzengel den großen Dom,
den er im Arme trug, in beide Hände und setzt ihn auf
ein hohes Schneegebirge. Danach ziehen alle Zwölf ihre
dicken Pelzhandschuhe aus und greifen geschwinde mit
ihren zarten Fingern in ihren weltmeergroßen Rucksack.
Aus ihrem Rucksack holen die Engel viele hundert
neue, blitzblank glänzende Paläste hervor. Und mit den
Palästen schmücken sie den großen Schneeball, der sich
Erde nennt, daß er bunt wird und mächtig funkelt; die
Augen der Erzengel leuchten dabei, als wenn sie für
artige Kinder Spielzeug auskramten.
Nachdem die Rucksäcke geleert sind, flattern die
Engel wieder empor und schweben munter plaudernd in
mäßiger Entfernung auf und ab in schönen großen
Kreisbogen.
Die Erde sieht bunt aus, als wäre sie mit den Flügeln
der kostbarsten Schmetterlinge, erfrorenen
Paradiesvögeln und gleißenden Diamanten bestreut.
Und die Paläste werden hell. Millionen Lampen
werden überall drinnen angesteckt; durch die bunten
Glasfenster der hohen Dome und all die vielen Schlösser
strömt gedämpftes Licht tausendfarbig in die violette
Schneenacht hinaus.
Die violette Sonne wird noch dunkler. Die fernen
goldenen Sterne verlieren auch viel von ihrem Glanz. Der
sammetschwarze Himmel rahmt die sanft aufglühende
Erde ringsum prächtig ein.
Und die großen Glocken der Dome läuten alle.
Ein Sehnsuchtsschauer durchrieselt die weiten
Schneegefilde; durch die nagende Schwermut des kalten
Erdballs ringt sich ein neues Leben durch – das ewige
Leben!
Die Toten stehen auf.
Überall hebt sich die Schneedecke. Und all die
Menschen, die einst auf der Erde lebten und starben,
steigen aus ihren Gräbern heraus, schütteln sich den
Schnee ab und sehen sich erstaunt an. Als sie merken,
daß sie auferstanden sind, fallen sie sich gegenseitig um
den Hals und sind sehr gerührt.
Ja! Ja! Wer hätte nicht gern ein neues Leben
begonnen!
Die Erde dreht sich schneller.
Doch dieser große ernste Augenblick ähnelt einem
großen drolligen Maskenfest, denn alle Menschen haben
Kleider an, die denen gleichen, welche sie zu ihren
Lebzeiten am häufigsten trugen. Die Bettler gehen neben
den Königen, die Priester neben den Kriegern, die
Handwerker neben den Gelehrten – in all den vielen
Trachten all der vielen Zeiten. Vom Fellschurz bis zum
gebügelten Oberhemd ist alles da.
Die Auferstandenen steigen die goldenen Stufen zu
den Schlössern und Domen empor. Es wimmelt man so!
Alle Sprachen der Erde wirbeln durcheinander, daß es
mächtig durch den ganzen Himmel brummt und die
Glocken nicht mehr zu hören sind.
Oben aber vor den Türen der Schlösser und Dome
stehen viele tausend Engel, die nicht größer als die
Menschen sind, in zarten hellgrünen, hellblauen und
hellroten Gewändern und warten.
Feierliche Begrüßung! Händedrücken und
Wangengestreichel! Kopfnicken und Armgewackel! Viel
Gelächter! Und viel lächelnde Behaglichkeit!
Die großen Burgen, die aus reinen Riesendiamanten
bestehen, sprühen ihren Farbenbrand so festlich in die
Dämmerung. Und die andern Edelsteine der weiten
Säulenhallen glänzen mit den reinen Riesendiamanten um
die Wette. Und die kostbaren Steingewächse, die aus den
Domen aufstreben, sind auch so wunderbar. Die
Smaragdkuppeln einzelner Schlösser werden von innen
erleuchtet und werfen in den schwarzen Sanimethimmel
weite grüne Lichtkegel, die sich langsam bewegen. Die
Saphirtürme ragen höher empor als die anderen Türme.
Und das stille Licht, das überall durch die
tausendfarbigen Glasfenster hinausströmt, das schimmert
so heilig-bunt und verheißungsvoll. Ungeheure
Palastgebirge sind mit riesigen Opalbogen umgittert.
Wenn das Auge von Pol zu Pol schweift, so wird es
verzückt bei all der Glanzglut. Der Bauzauber ist so
gewaltig, daß man sich verwundert fragt, wie es kommt,
daß die auferstandenen Menschen nicht einfach toll
werden. Aber – so entsetzlich es auch ist, so wahr ist es:
die meisten Menschen denken bloß an das gute
Abendbrot, das ihnen nach ihrer Meinung in den Domen
und Palästen von eifrigen Dienern vorgesetzt werden
wird.
Wie verblüfft sind da die Auferstandenen, als sie im
Innern all der vielen Glanzburgen gar kein Abendbrot
finden! Männlein und Weiblein sehen sich verwundert
um, entdecken aber nichts. Draußen haben sie schon
schmerzlich den gänzlichen Mangel an Bäumen, Früchten
und Gemüsen bemerkt – und jetzt ist auch drinnen Alles
nur unfruchtbarer Stein! Marmor und Rubine, Gold und
Silber, bunte Lampen und bunte Wände, entzückend
gegliederte Kuppeln, ein bißchen Sammet und Seide,
mächtige Granatsäulen, glitzernde Glasgrotten und
ähnliche Sachen gibt's ja in unüberschaubarer Menge –
doch von Hammelbraten, Schneckensalat und Feuerwein
keine Spur!
»Engel, wo bleibt das Abendbrot?«
Also ruft demnach baldigst ziemlich einstimmig das
ganze große Menschengeschlecht.
Die Engel öffnen schweigend im Innern der Paläste
und Dome kleine Seitenpforten, die bis dahin den
Blicken der Menschen entzogen waren. Alle denken
natürlich – jetzt gibt's zu essen, zu trinken und zu
rauchen. Hei! Wie sie sich freuen!
Indessen – diesmal ist die Enttäuschung noch viel
größer.
Das »alte« Leben grinst die Menschen an.
Es steht eben »Alles« wieder auf.
Doch ganz so schlimm wie damals, als die Sonne
noch hell schien, ist das alte Elend nicht anzuschauen. Es
ist anders umrahmt! Im Palastgeschmack! Die Säle und
Zimmer, in denen die alte Beschäftigung wieder
aufgenommen werden soll, sind mit so viel feinem Prunk
umgeben, daß die »guten« Menschen doch mit großer
Freude ins alte Fahrwasser hineinspringen, wenn's auch
so unappetitlich ist wie schmutzige Wäsche.
Ja! Ja! Das alte Leben!
Der eine muß wieder seine kranke Frau pflegen, die
ohn' Unterlaß stöhnt und klagt; er beginnt den Tanz der
Qual mit kalter Ruhe wieder von vorn, wie schon so oft –
wirklich ein guter Mensch! Ein andrer guter Mensch
fängt wieder an, große Gesellschaften zu besuchen, und
klagt dabei wieder über seine nie zu stillende Sehnsucht
nach der ewigen Einsamkeit – genau wie einst. Ein
Dritter ist wieder mit seinem Ruhme nicht zufrieden; er
will immer anders berühmt werden, was ihm natürlich
nicht gelingt, da er selber nicht weiß, wie er's haben
möchte. Ein Vierter bekämpft mit altem Mute seine
riesige Sinnlichkeit und wird zum ächten
Asketenhäuptling, läßt wieder seine eiserne Willenskraft
bewundern, obgleich er sich in jeder stillen Stunde
auslachen muß, da ja alle seine Kraft nur eine
naturgemäße Folge von Ausschweifung und Ekel ist. Ein
Fünfter hofft immer einen Sack mit Gold zu finden –
und was findet er? Einen Sack mit giftigen Witzen!! Ein
Sechster muß stets vergeblich »Geld« besorgen – d.h. es
gelingt ihm nie!! Und ein Siebenter muß zu Allem »Ja«
und »Amen« sagen, was ihm von je so schwer fiel. Und
die Millionen Andern arbeiten und regieren, befehlen und
gehorchen – auch genau so wie einst. Die Maschinen
rasseln wieder, und die Denkerköpfe rauchen wieder, die
Kartoffelfelder tragen wieder ihre mehligen Früchte, die
Säufer saufen ganz im alten Stile weiter, und die
Verbrecher brechen wieder bei den Leuten, die was
haben, ein.
Alles ist wie einst! – Es spielt sich bloß schön
umrahmt in herrlichen Palästen und Domen ab, die so
groß sind, daß man gar nicht durchsehen kann. Sonst ist
kein Unterschied.
Die guten Menschen sind natürlich mit Allem
zufrieden – aber die bösen Menschen sind natürlich mit
nichts zufrieden – ihnen genügt nicht die Alles belebende
Sonne der Baukunst – sie wollen Abendbrot mit Austern
und starkem Getränk – ununterbrochenes Vergnügen mit
Tingeltangel und Schlittenfahrt.
Die guten Engel wollen die bösen Menschen
besänftigen und trösten, sagen freundlich: »Kinder, Ihr
wißt gar nicht, was Euch frommt! Leid und Freud sind in
jedem Menschenleben ganz gleichmäßig verteilt. Diese ist
ohne jenes gar nicht denkbar. Seid vernünftig! Alle
Wünsche sind nicht erfüllbar. Ist es nicht genug, daß wir
Euch eine angenehme Umgebung geschaffen haben? Ihr
wollt bloß immer vergnügt sein – und das geht doch
nicht.«
»Warum nicht?« schreien die Bösen.
»Weil's Euch langweilen würde!« antworten die Engel,
und sie gähnen, während sie an ein ›ewiges‹ Glück
denken.
Die Bösen aber lachen – so häßlich, daß die guten
Engel ernstlich böse werden.
»Man sollte Euch eigentlich,« fahren sie in schärferem
Tone fort, »piesacken – mit feurigen Zangen. Die
Dummheit muß mit Feuer und Schwert ausgerottet
werden. Ihr werdet's niemals verstehen, daß anständig
›wohnen‹ besser ist als anständig ›leben‹. Wie die Pflanzen
der Erde hauptsächlich nur von Licht und Luft lebten, so
sollt Ihr jetzt auch hauptsächlich von dem leben, was
Euch umgibt – von dem Licht und von der Luft der
göttlichen Baukunst, die die ›wahre‹ Kunst ist. Ist es Euch
tatsächlich nicht genug, in diesen himmlischen
Strahlburgen leben zu können? Wißt Ihr immer noch
nicht, was es heißt: in einer Traumwelt daheim zu sein?
Das ist doch die prickelnde Auster der Armut! Was sind
dagegen alle Kaninchen des Reichtums? Eine große
Quarkerei – nicht mehr! Euer Leben soll nur ein Akkord
in der Sphärenmusik des Alls sein – Euer Schmerzenslaut
ist also nicht zu entbehren – sonst wird ja die
Sphärenmusik so weichlich wie Milchreis! Ihr
unglaublichen Nilpferde!«
Die Bösen schütteln sich vor Lachen und halten sich
den Bauch. Die Engel bleiben aber ganz ernst, sie sagen
noch traurig: »Ihr kommt ja sämtlich nicht zu kurz! Die
Qualen des Bettlers werden gleich mit Freuden belohnt,
von denen die armen Könige nichts wissen. Und zu
alledem kommt noch diese prunkvolle Traumwelt Eurer
Wunderpaläste.«
»Die macht uns grade erst recht begehrlich! Wir
wollen keinen Selbstbetrug!«
Also schreien wild durcheinander die dummen
Bösewichter, die immer vergnügt und selig sein wollen.
»Na, wenn Euch der Selbstbetrug nicht paßt,«
donnern die Engel los, »so könnt Ihr ja wieder in Eure
Gräber zurück. Eure kannibalische Dummheit soll uns
das neue Leben, das wir Euch in dieser Glanzwelt
darboten, nicht verleiden!«
Und es treten die hellgrünen Engel mit dunkelgrünen
Tannenzweigen hervor, und mit den dunkelgrünen
Tannenzweigen berühren sie alle Unzufriedenen.
Und die Berührten fallen um und sind tot.
Rasch werden sie hinausgetragen und wieder im
Schnee verscharrt.
Jede Spur der Bösen ist bald verweht.
Die guten Menschen aber, die schon dankbar sind,
wenn sie bloß in einer glanzseligen Traumwelt leben
können, nehmen die Qualen des alten Lebens ruhig über
Alles und wollen nicht mehr.
Wie die hellgrünen Engel zurückkommen, streicheln
sie den guten Menschen freundlich die klugen Köpfe.
Durch die bunten Glasscheiben strahlt das neue
Glück in die Schneenacht hinaus, die gar seltsam wird.
Die Smaragdkugeln leuchten mit ihren grünen
Lichtkegeln durchs schwarze Weltall.
Die Saphirtürme recken sich noch höher – wie
übermütige Gespenster.
Die riesigen Opalgitter schimmern wie Millionen
aufgescheuchter Schmetterlinge.
Die vielen kleineren Schlösser sehen auf dem weißen
Schneeball, der sich Erde nennt, wie Glühwürmchen aus.
Und es ist Alles so rührend-feierlich in der ewigen
Dämmerstunde, daß Jeder ruhig werden kann.
Die Erzengel beugen sich zum zweiten Male zur Erde
herab.
Die blonden Riesenlocken bilden wie vorhin einen
prächtigen Haarring.
Die unbeschreiblich großen Engel stecken die festlich
erleuchteten Paläste wieder in ihren Rucksack, ziehen ihre
Handschuhe an, nehmen ihre Dome in den Arm – und
flattern davon.
Bald dreht sich der ganze Erdball so langsam wie
vorhin – wie ein großer Schneeball, den Kinder rollen,
wenn sie einen Schneemann bauen.
Die violette Sonne glüht in der Ferne wie eine alte
Ampel, der das Öl ausgeht.
Die goldenen Sterne funken im tiefschwarzen
Sammethimmel – wie glückliche Strahlburgen.
Und die Nacht ist so still – so grabesstill!
Während nun die drei Herren ihre Freude an meiner Apokalypse
hatten und die Anspielung mit dem Abendbrot sehr wohl
verstanden, empfand ich Höllenqualen.
Ich stand in einem viereckigen Loch, das über zwei Meter in die
Tiefe ging. Und in diesem Loch empfand ich plötzlich von
unsichtbaren Händen heftige Schläge, die über meinen ganzen
Körper zuckten. Ich war ganz nackt und schrie erbärmlich, denn
die Massage, die mir unsichtbare Hände angedeihen ließen, schien
mir alle meine Nerven zu zerreißen – ich empfand Schmerzen – als
würden mir überall Zähne ausgezogen. Aber in den Händen eines
Zahnziehers hätte ich paradiesische Wonnen gespürt – dieses
elektrische Bad arbeitete vollständig – es war die höhere Hölle – ich
danke schön – die Vergleiche fehlen mir.
Indessen – genug davon!
Als ich wieder aus dem Loche rauskam, war mir so
unbeschreiblich wohl, daß die Leiden schnell vergessen wurden.
Unsichtbare Hände zogen mir wieder die Kleider an, und die
drei Nilpferdchen beglückwünschten mich und führten mich in den
herrlichen Speisesaal, allwo sich noch vier andere Nilpferdchen
einfanden.
Es lebten also in diesem Felsenschloß sieben Nilpferdchen.
Die mir bereits vorgestellten waren:
King Ramses
Pyramideninspektor Riboddi
Oberpriester Lapapi
Und die vier Andern, die mir erst im Speisesaal vorgestellt
wurden, waren:
King Amenophis
King Necho
King Thutmosis
General Abdmalik
Wir setzten uns um einen ovalen Tisch auf bequeme lederne
Polstersessel mit hohen Lehnen; ich hatte auch solchen Sessel.
Aber auf der Tafel, die aus einer glatten, weißen Steinplatte
bestand und (wie schon gesagt) oval war, konnte ich keine Speisen
erblicken – auch kein Tischzeug – einfach gar nichts.
Ich wunderte mich und sagte, daß ich das täte.
Und darüber amüsierten sich die sieben Herren.
Mir wurde fast unbehaglich zu Mute.
»Bitte,« sagte King Thutmosis, »geben Sie mir ein paar
Manuskripte heraus.«
King Ramses rief heftig dazwischen:
»Nenne den Onkel doch Du, mach' doch nicht so viel
Umstände.«
Und nun nannten sie mich alle Du und wollten mich näher
kennen lernen.
Mir blieb demnach einfach nur übrig, dem Verlangen der
Herren zu willfahren.
Und ich legte auf den blanken weißen Tisch nachfolgende drei
Geschichten, die von meinen Nachbarn zur Rechten und Linken
mit Begierde ergriffen wurden.
Wir maken Allens dot!
Clownerie
Hopp!Hopp!Hopp!
Da is er – zieht Cylinder – verbeugt sich und sagt
ernst wie Staatsanwalt:
» Dramatûschek!«
Der Andre lächelt, klopft sich auf dickes Bauch, nickt
mit kahles Kopp und sagt schmunzelnd:
»Seer erfreut, mein Lieber! Ick bin der Kapitálski.«
Händegeschüttel – Schmunzelei – zwei Stühle –
Cylinder vergraben – Männer rauchen jleich Ziehgarn –
bald serr viel Dampf in Luft.
»Ick bin,« spricht Dramatûschek, »wie Sie woll wissen
– ein Schenie!«
»Weeß ick längst!« erwidert Kapitálski.
»Ick will,« fährt Dramatûschek fort, »bauen jroßes
Theater mit neistes Brimborium and allerscheenstes
Humbug (speak: Hömmböck!). Wir maken Allens dot.
Jiebst du Kapital? Speak, Kapitálski!«
Jast legt rechtes Bein auf linkes Bein, raucht wie
Schornstein und kickt jradaus wie Tatmensch.
Kapitálski steckt rechtes Hand in sei Rocktasch –
zieht aber jleich wieder Hand raus.
Dramatûschek kriegt Courage, redet feste:
»Mensch–jutes! Denk an! Ick hab jroßes Jedank mit
jroßes Mond – das schwebt auf Podium und quiekt: Au!«
»Jroßes Narr – kei Schenie!« murmelt Kapitálski – Jast
seiniges jleich serr hitzig.
Dramatûschek, das jroße Schenie, erhebt sich von
Stuhl und hält wildes Red:
»Du hast kei Ahnung, Kapitálski! Weißt Du, was ick
will maken? Ick will maken jroßes Theater – serr jroßes
und auch serr kleines. Da sollen Sterns vons Himmel
auftreten als Aktörs, sollen sein tiefsinnik wie altes
Sokrates – noch meer tiefsinnik. Jroßes Riesendams
sollen ooch kommen in schlackerndes Feuer und buntes
Pfaulicht. Tanzen sollen Panthers und Kameels, Oxen
und Schenies. Janzes Welt soll werden gekrempelt um.
Allens maken wir dot! Siehste, Kapitálski?«
»Nix seh ick!« schreit der Herr mits Portmonnee.
»O du stupides Eichkatz!« kreischt nu Dramatûschek,
»hast Du kei Fantasie? Mal Dir aus ein jroßes Kunst mit
Blitz und Donner – mit jroßes Krieg – mit
herzzerdrücktes Jejammer und bombastisches Seligkeit.
Wir maken Allens dot!«
»Kei Kunst!« replizieret Kapitálski, »dotmaken kann
jedes Mörder. Aechtes Kunst muß maken jutes Appetit –
aber nich dickes Kopp.«
Dramatûschek flennt wie trauriges Mutter und sagt
dazu:
»Materialiste biste – kei Schenie! Aber jieb Kapital –
dann biste Ober-Schenie – Erz-Schenie – Gold-Schenie –
General-Schenie! Jieb Kapital! Sei Freund.«
Jutes Mensch janz jerührt – umarmt Kapitálski – derr
steckt wieder Hand in Hosentasch – zieht raus blankes
Ding – ächtes deutsches Pfennig – jiebts an jutes
jerührtes Mensch.
Uih!
Bumm!
Dramatûschek springt hoch in die Höh, schreit wie
Schwein bei Schlächters – makt immerzu Saltomortals
und packt altes dummes Kapitálski an Gurgel – dreht –
dreht – dreht ab das Kopp.
Wie Kopp in Dramatûscheks langes schmales Hand,
steht Kapitálski ohne Blut und ohne Kopp janz ruhig auf
– und – redet Bauch – sagt dunkel:
»Kapitálski kann leben ohne Kopp – braucht kei
Kopp.«
Kopplos jeht das harte Mensch in sei Stall.
Dramatûschek heult wie Wolf, schmeißt
Kapitálski-Kopp mang Publikus, daß alle Mächen
quietschen – und fällt steif wie trocknes Brett auf sei
Nas'.
Publikums janz dumm.
Schenie Dramatûschek weint blutijes Trän – Sand
wird naß und rot – immer merr naß – wird rotes Strom –
und armes Kerl schwimmt fort – auch in sei Stall ...
Armes Dramatûschek!
Armes Kerl!
Rotes Strom wird rotes Meer!
Armes Publikus!
St. Georg
Laster-Scherzo
Der Rothaarige führte mich schweigend zur Stadt hinaus
– an der Windmühle vorbei – hintern Kirchhof – übers
freie Feld.
Der Vollmond beleuchtete uns und die Gegend.
Der Rothaarige klatschte in die Hände und versank
vor mir in die Erde.
Ein kalter Wind pfiff mir um die Ohren. Ich stopfte
mir eine Pfeife, steckte den Tabak an, klappte den
silbernen Deckel zu und rauchte.
Da mir die Gegend gefiel, setzte ich mich auf meinen
Feldstuhl und blickte rauchend gradaus – so wie mir's der
Rothaarige geraten hatte.
Und siehe – dort, wo mein edler Freund, der beste
Taschenspieler unsrer Zeit, in die Erde gesunken war, da
stieg jetzt langsam eine breite schwarze Tonne hervor.
Die Tonne war gute zwei Meter hoch und wohl
anderthalb Meter breit.
In der Tonne klirrte es und klapperte, und dann brach
oben der Deckel entzwei, und ein eiserner Ritter kletterte
wie ein Schornsteinfeger aus der Tonne raus, band sich
von der rechten Wade die Stahlschiene ab, flickte mit ihr
das Deckelloch und stellte sich aufrecht breitbeinig hin.
Der Vollmond stand rechts oben, und das Ganze gab ein
vortreffliches Bild; die Stahlrüstung glänzte mächtig und
das zweischneidige Riesenschwert noch mächtiger.
Ich steckte mir eine zweite Pfeife an, denn bei
Mondschein rauche ich immer sehr schnell.
Der Ritter packt sein Schwert mit beiden Händen
fester und fängt zu kämpfen an. Es ist aber weder ein
Drache noch sonst was zu sehen. Ich denke mir: es wird
wohl ein unsichtbarer Feind sein.
Und ich habe recht.
Der Ritter flucht und brüllt:
»Das ist wieder das verfluchte Weib. Das Biest sitzt
mir auf den Schultern und drückt – drückt immerzu. Die
Augen werden mir wieder rot. Ich sehe wieder ein
zerrissenes Laken und dicke wulstige Schweinsbeine.«
Der Ritter kämpft gegen Gebilde, die nur er sieht.
Und er wehrt sich, stochert wütend mit seinem
Schwert in die obere Luft – und dann gibt's einen
mächtigen Krach – der Ritter bricht durch und fällt in die
Tonne, aus der er kam.
Ich rauche ganz gemütlich weiter und sehe mir nun
die Tonne näher an, aber sie ist wie alle Tonnen.
Der Herr Ritter klettert wieder oben raus, macht das
Loch im Deckel mit einem andern Stück seiner Rüstung
nochmals ganz – und der Kampf geht von neuem los.
Es macht mir großen Spaß – zu sehen wie sich der
arme Kerl abquält.
Er schimpft wieder wie vorhin:
»Verfluchtes Weib! Saupack! Immer dasselbe unflätig
lachende Mopsgesicht! Drückt nicht so! Wo habt Ihr
bloß die Kraft her? Ich breche ja wieder durch!«
Bumm! Das geschieht auch.
Dieses nächtliche Kampfspiel im Mondenschein
wiederholt sich noch zehn Mal.
Der Ritter kämpft ohne Unterlaß mit den Gebilden,
die nur er sieht – es sind augenscheinlich nette Gebilde.
Schließlich sieht es so aus, als wenn der Kerl ganz und
gar verrückt wird; er stöhnt, jammert und kreischt.
»Mensch!« brüllt er schließlich, »kannst Du diesen
ewigen nutzlosen Kampf so ruhig mitansehen? Mach
doch der Sache ein Ende – sie ist ja so simpel! Meine
ganze Rüstung habe ich schon zum Deckelausflicken
aufgebraucht! So im Wams kann ich doch nicht
weiterkämpfen. Es ist unglaublich – aber ich kann mir
allein nicht mehr helfen. Das verfluchte Weib drückt mir
wieder die Schweinsbeine in die Augen. Das Laken reißt
noch weiter. Hilfe! Hilfe!«
Bumm! Schrumm! Da bricht er abermals durch.
Ich höre zu rauchen auf.
Wie er nun zum dreizehnten Male raufklettert und
nun zum dreizehnten Male gegen das Weib mit den
Schweinsbeinen ankämpfen will, mach' ich aus meinen
Händen zwei Fäuste und renne gegen die Tonne an, daß
die gleich umfällt.
Der Ritter fliegt im Parabelbogen aufs Feld.
Das Schwert fliegt weiter als der Ritter.
Ich gehe hin und höre, wie er ausruft:
»Jetzt hab' ich gesiegt!«
Ich will den armen Kerl aufheben – aber – der Körper
ist ganz schlaff – die Augen sind verglast – der Atem ist
weg.
Ich schmeiße den toten Körper wieder hin und gehe
in tiefen Gedanken durch die Mondlandschaft nach
Hause – am Kirchhof vorüber – neben der Windmühle –
in die Stadt.
Ich habe meinen rothaarigen Freund seit der Zeit
nicht mehr gesehen. Es war der unheimlichste Mensch,
der mir je vorgekommen ist.
Er konnte oft so drollig sterben, daß man sich beinahe
totlachen mußte.
Er hatte sehr viel über das Leben nachgedacht.