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Wird unser Leben vom Schicksal bestimmt?

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Mein Leben – ja, das hat natürlich ein Schicksal. Was heißt Schicksal eigentlich? Da steckt das Wort „Geschick“ drin. Das ist mir geschickt worden – das ist ein Passiv. Und das ist wohl die Erfahrung von jedem Menschen, dass wir uns nicht aussuchen können, wie wir leben. Ich habe mir nicht ausgesucht, Deutscher zu werden, ich habe mir nicht ausgesucht, 1,91 Meter groß zu werden, ich habe mir nicht ausgesucht, eine weiße Hautfarbe zu haben, ich habe mir das alles nicht ausgesucht. Ja, das ist Schicksal. Und insofern sind wir tatsächlich unserem Schicksal ausgeliefert.

„Ausgeliefert“ ist auch schon wieder so ein Wort! Ich weiß, das tut irgendwie weh, aber ich bin schon dafür, dass wir die Wahrheit und die Wirklichkeit des Lebens anschauen: Ich bin meinem Leben ausgeliefert. Ich habe mir zum Beispiel nicht ausgesucht, welche Lehrer und welche Lehrerinnen ich habe, welches Buch mir empfohlen wurde. Ich habe mir auch nicht ausgesucht, welcher Kinofilm mich so angesprochen hat, dass er mir einen richtigen Impuls gegeben hat.

Es gibt drei, vier Situationen in meinem Leben, die echt Weichenstellungen waren. Wenn ich dran denke, dass ich als Siebzehnjähriger in der Landvolkshochschule in Freckenhorst sitze und ein Priester einer ganzen Gruppe von Jugendlichen – ich war auch dabei – erklärt, was die Taufe bedeutet, und in mir das wie eine Bombe einschlägt (in den anderen neunzehn ist es wohl nicht eingeschlagen) und ich dann spüre: „Wow! Taufe! Das ist ja toll! Das ist ja der Weg zur Freiheit!“, dann ist das ein Schicksal gewesen, das war eine Schicksalsstunde. Und ich glaube, dass du in deinem Leben solche Schicksalsstunden auch kennst.

Bei der Frage nach dem Schicksal und ob wir davon auch bestimmt sind, schwingt natürlich auch immer eine negative Konnotation mit. Wir hören dieses Wort mit einer negativen Färbung: „Das ist aber ein schweres Schicksal“ oder „Der hat aber ein schweres Schicksal“. Ich habe noch nie gehört, dass jemand gesagt hat: „Der hat aber ein gutes Schicksal! Der hatte aber ein glückliches Schicksal!“ Sondern Schicksal hören wir immer negativ, und darum ist es mir wichtig, jetzt im ersten Schritt dir bewusst zu machen, dass unser ganzes Leben ein Schicksal ist. Es ist uns alles geschickt, und wir haben uns nichts selber genommen. Was wir uns selber genommen haben, konnten wir uns nehmen, weil uns vorher etwas geschickt worden ist. Also: Niemand hat sich selber die Brust gegeben. Und niemand hat sich selber gestreichelt und im Arm getragen und niemand hat sich das Wissen dieser Welt angesammelt, das es gibt, sondern wir pflücken es als Früchte einer Menschheitsgeschichte. Es ist einfach unser Schicksal, Eingebundene zu sein. Wir sind alle Erben. Wir sind alle irgendwie eingebunden.

Jetzt kommen wir zum Nächsten: Es wird uns geschickt – ja, von wem wird es uns geschickt? Das steckt ja eigentlich hinter dieser Frage. Von wem wird uns das Schicksal geschickt? Da heißt meine erste Antwort ganz prosaisch: vom Leben selbst. Ich bin nicht dreimal von der Wickelkommode gefallen, andere sind es und beklagen sich ein Leben lang darüber, dass sie zu kurz gekommen sind und deswegen brauchen sie nicht … Mein Papa zum Beispiel hat nie dran gedacht, dass ich mal Klavier spielen lerne. Mein Schicksal ist also, dass ich kein Klavier spielen kann, und jedes Mal, wenn ich vor einem Piano stehe oder einer Orgel, dann denke ich mir: „Was für ein Mist, dass ich das nicht lernen konnte! Schrecklich! Diese schönen Toccaten und Fugen von Bach! Mein Schicksal ist ein grausames, dass ich das nie spielen kann … furchtbar!“

Es gibt viele Menschen, die ein Detail so aufblasen, dass es alles andere zudeckt. Diese Schicksalsklägerinnen und -kläger, die über ihr Schicksal klagen, sind Menschen, die sich von der Werbeindustrie, von der Fit-und-Schön- und Lustig-Industrie die ganze Zeit erzählen lassen, Leben sei, den ganzen Tag fit zu sein, lustig zu sein, einen Body-Maß-Index von Y zu haben, ein Einkommen von X zu haben und auf 87,9 Quadratmetern im Grünen am See ohne Nachbarn zu leben, aber gut eingebunden zu sein in eine tolle Nachbarschaft. Ich weiß nicht, welche widersprüchlichen Sachen aufgeblasen werden, dass Leute so eine Art Schicksal empfinden, sie seien zu kurz gekommen. Nein, das Leben, wie es an uns herantritt, ist erst mal ein Geschick, das niemand sich ausgesucht hat.

Und dann kommt die Frage: „Ja, und der liebe Gott? Wo bleibt jetzt eigentlich der liebe Gott bei dem ganzen Schicksal?“ Da habe ich etwas ganz Grundsätzliches, was es mir möglich macht, ein Leben ohne Orgelspielenkönnen zu führen: Ich sage mir sage, in der Welt ist eine echte Kreativität. Solch ein Buch wie dieses zum Beispiel kommt ja nicht vom Himmel. Da werden schlaue Fragen überlegt, ich schreibe etwas auf, es wird verarbeitet und lektoriert … Das kennst du doch auch: Niemand kann alleine, was er kann. Es ist also eine ungeheure Kreativität in der Welt, und dann ist meine Grundüberzeugung, dass sich in dieser Kreativität Gottes Wille und Gottes Kraft zum Ausdruck bringen. Ich sage das ganz bewusst, und das soll sich jetzt gar nicht nur so triumphalistisch anhören. Ich bin ja auch Hospizhelfer, Sterbebegleiter, Seelsorger – auch in Situationen, in denen sich der Konflikt zuspitzt, der Tod anklopft, die Krankheit tatsächlich über das Leben eines Menschen herfällt, auch da bin ich in einer Haltung, die sagt: Hier fügt sich etwas zusammen, das soll so sein. Auch wenn man das im Augenblick nicht erkennt.

Es ist ja auch merkwürdig, dass Menschen, wenn sie auf ihr Leben zurückschauen, eine Haltung entwickeln können, versöhnt zu sein mit dem, was gewesen ist. Ich erinnere mich an den Besuch bei zwei 89-Jährigen. Die Frau sagte: „Ich habe den Turm der Stephanskirche in Mainz zusammenfallen sehen als Neunjährige. Ich habe das gesehen, und das verfolgt mich.“ Und dann nahm sie das mit durch ihr Leben, fand einen Mann, mit dem sie gemeinsam durchs Leben ging, und ich habe gespürt, dass sie, obwohl das Grauen dieser Erinnerung immer noch da war, sie es angenommen hatte als ein Grauen, das in ihrem Leben einfach prägend sein darf. Sie sagte: „Bei uns wird keine Kartoffelschale weggeworfen. Wenn wir einkaufen, dann koche ich hier mit meinem Mann alles zu Ende. Unser Bioeimer ist leer, weil ich aus diesen Nachkriegsjahren komme.“ Was für ein Schicksal, würde man da sagen, und doch sind diese Menschen, an die ich jetzt gerade denken muss, versöhnt mit dem, was in ihrem Leben gewesen ist, und haben daraus etwas gemacht.

Insofern würde ich auf die Frage nach diesem Schicksal und ob Gott es mir schickt, fast mit etwas Vorsicht sagen: Ja, wenn ich davon ausgehe, dass alles, was geschieht, sich so zusammenfügt, dass daraus wieder etwas Neues und Kreatives werden kann. Vielleicht schaust du mal selber in dein Leben hinein und denkst an die Zeiten, von denen du sagst: „Das war echt ein schweres Schicksal!“ Die Mutter zu früh verstorben, ein Geschwisterteil durch einen Unfall getötet, Leukämie gekriegt … Ich kann eine ganze Litanei runterbeten, und ich weiß nicht, was du für ein Schicksal hinter dir hast, aber schau einmal genau hin, was sich dann zusammenfügte und Neues werden konnte. Vielleicht ist es dann sogar auch möglich, zu sagen: Es wurde mir nicht nur blind geschickt, sondern es wurde mir geschickt, weil daraus etwas Wunderbares werden kann.

Ich habe gerade dieses Elternpaar vor Augen, das ein eingeschränktes, ein geistig behindertes Kind hat. Ja, was für ein Schicksalsschlag, sagen dann einige. Für diese Eltern war das immer ganz schrecklich, dass alle Leute sie anguckten und sagten: „Was für ein schreckliches Schicksal!“ Sie spürten, was für eine Entwertung ihrem Kind gegenüber dahintersteckt. Und dabei konnten sie mir sagen: „Durch unser Kind erst sind wir das geworden, was wir sind, und wir würden es nie mehr missen wollen!“ Ich verneige mich vor Menschen, die eine solche Haltung an den Tag legen, und versuche, auf meine Weise so auch meinem Schicksal, dem, was alles noch kommen wird, zu begegnen als eine Herausforderung, die mich zum guten, zum liebevolleren, zum vollkommeneren Menschen machen will.

Es ist uns alles geschickt, und wir haben uns nichts selber genommen.

Was wir uns selber genommen haben, konnten wir uns nehmen, weil uns vorher etwas geschickt worden ist.

Geh's noch Gott?

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