Читать книгу Western Action Großband Februar 2019 - 1000 Seiten Spannung - Pete Hackett - Страница 6

​Schieß zurück, Lane Western von Pete Hackett

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Über den Autor

Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.

Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."

Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.

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Ein CassiopeiaPress E-Book

© by Author

© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

www.AlfredBekker.de

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Charles Turpin wischte sich den Schweiß von der Stirn. Soeben hatten er und sein Sohn Lane die letzten Mavericks aus der Herde ausgesondert und zum Feuer getrieben. Cole, sein Ältester, warf eines der Kälber mit hundertfach geübtem Griff um und hielt es fest. Dave, der mittlere seiner drei Söhne, riss das Brandeisen aus dem Feuer. Der Stempel glühte. Zi­schend fraß sich die Hitze in das Fell des Jungtieres. Es roch nach ver­branntem Horn. Rauch stieg auf. Das Rind brüllte, Cole sprang zurück. Mit einem Ruck war das nunmehr gebrändete Tier auf den Beinen, erschreckt rannte es davon, dorthin, wo die Herde stand.

Die Sonne hing über den Bergen im Westen. Noch acht Kälber. Charles stieg vom Pferd und führte es zum Wasserloch, dessen glatte Fläche wie Gold im Sonnenlicht schimmerte. Er ließ das Tier trinken, dann warf er sich einige Hände Wasser ins gerötete Ge­sicht und wusch sich Staub und Schweiß ab.

Lane half seinen Brüdern beim Brandmarken der letzten Mavericks. Charles beobachtete seine Söhne. Für den Sechsundfünfzigjährigen waren sie die prächtigsten Jungs der Welt. Groß, sehnig, stark und geradlinig. Dave und Cole glichen mehr ihm selbst, waren aus seinem Holz ge­schnitzt. Lane hingegen, der Jüngste, war mehr nach der Mutter geraten.

Ein schmerzlicher Ausdruck über­lief das faltige Gesicht des Ranchers, als er an Mae dachte. Sie war vor fünf­undzwanzig Jahren gestorben. Bei Lanes Geburt … Er hatte sich nie wieder eine Frau genommen. Es wäre ihm wie Verrat an seiner über alles ge­liebten Mae vorgekommen.

Noch achtmal zischte der Brand­stempel, noch achtmal brüllten Jung­tiere, dann stapften die drei Burschen zum Wasserloch. Sie hatten die Hemdärmel hochgekrempelt, waren schmutzig und abgekämpft, aber sie waren noch längst nicht am Ende. Ihr blitzendes Grinsen und das Leuchten in ihren Augen verrieten es.

»Schluss für heute!«, rief Charles mit tiefem Bass, der zu seiner vier­schrötigen Gestalt passte.

»Wir könnten heute noch damit be­ginnen, die Rinder zu zählen und die Kühe für den Trail nach Denver aus­zusondern«, schlug Dave vor.

Cole seufzte und warf Lane einen viel sagenden Blick zu, den Charles auffing. Grinsend sagte der Rancher: »Mir scheint, Dave, damit stößt du bei deinen Brüdern auf wenig Begei­sterung. Aber auch ich habe die Nase voll. Seit einer Woche sitzen wir täg­lich bis zu fünfzehn Stunden in den Sätteln. Ich spüre jeden einzelnen meiner alten Knochen.«

»Yeah, das mit den alten Knochen ist so eine Sache, Bruder«, sagte Dave grinsend. »Schließlich gehst du auf die dreißig zu. Verständlich, dass du Ruhe brauchst!«

In gespieltem Ernst nahm Cole die Stellung eines Faustkämpfers ein. Seine Muskeln strafften sich, »Komm her, Rotznase, dann prügle ich dich trotz meiner vermeintlich morschen Knochen bis nach Feuerland.«

»Und mit wem willst du die fünf­hundert Kuhschwänze nach Denver treiben? Wer soll auf dich aufpassen, alter Bruder, wenn nicht ich?«, gab sich Dave entrüstet und trocknete sich mit seinem Halstuch das Gesicht ab.

Cole wollte etwas erwidern, plötz­lich aber neigte er den Kopf zur Seite und lauschte. Auch Lane hatte den Kopf gehoben und witterte wie ein Wolf in südöstliche Richtung. Denn in die Geräusche der stehenden Herde hinein erklang trappelnder Huf­schlag. Dave richtete sich auf. Von der Herde kam Tex Dudley, der ein­zige Cowboy der Bar-T Ranch. Er zügelte beim Wasserloch sein Pferd und sprang aus dem Sattel. »Hört ihr auch, was ich höre, Leute?«, krächzte er mit staubheiserer Stimme.

»Yeah«, erwiderte Charles Turpin rau und kratzend. »Und ich kann mir schon denken, wer da ankommt.« Er rannte zu seinem Pferd und zog entschlossen die Winchester aus dem Scabbard. Mit einem kurzen, harten Knacken hebelte er eine Patrone in den Lauf.

Auch Tex Dudley griff nach seinem Gewehr. Lane rückte den Revolver­gurt zurecht. Dave stapfte langsam zu seinem Braunen und holte sich eben­falls die Winchester. Und Cole lüftete seinen Colt im Halfter. Verschwom­men wehte der Hufschlag heran, wurde aber schnell deutlicher. In den sonnengebräunten und von Wind und Regen gegerbten Gesichtern arbeitete es.

Und dann trieben die Reiter ihre Pferde über den Hügelkamm, an des­sen Fuß die Bar-T Herde stand. Es wa­ren sieben. Ohne anzuhalten ritten sie schräg den Abhang herunter. Unruhi­ges Gewoge ging durch die Herde. Horn klapperte, buschige Schwanz­enden peitschten erregt. Das Muhen der Kühe verstärkte sich.

»Die Sattelstrolche von der Great Sand Ranch!«, knirschte Charles zwi­schen den Zähnen. »Ich wusste es.« Fester umklammerten seine Fäuste das Gewehr.

»Yeah, und allen anderen voran Bill Forsyth, der verschlagene Able­ger Big Jims«, sagte Lane und spuckte aus.

Schließlich waren die Reiter heran. Sie zogen sich zu einer Linie ausein­ander, stützten sich lässig auf die Sat­telknöpfe und lehnten sich vor. Das eine oder andere Pferd tänzelte, wurde aber hart an die Kandare ge­nommen. Herausfordernde Augen fi­xierten die Bar-T Männer — und so herausfordernd wie ihre Blicke war die ganze Haltung der Leute von der Great Sand Ranch. Mit einem Schen­keldruck trieb Bill Forsyth seinen Schecken nach vorn. Sein Blick sprang von einem zum anderen und blieb schließlich an Charles Turpin hängen, der ihn gelassen erwiderte. »Das Land, auf dem ihr euch befindet, gehört meinem Vater!«, stieß Bill For­syth hervor. »Wie kommt ihr dazu, hier euer Round up durchzuführen?«

Charles reckte die mächtigen Schultern und röhrte wütend: »Das ist freie Weide, Forsyth - Regierungsland. Hier dürfen die Rinder ei­nes jeden grasen. Wenn dein Vater Anspruch auf dieses Land erheben will, dann muss er es kaufen. Und erst dann, wenn er mir eine Kaufurkunde vorweisen kann, ziehe ich meine Herde ab. Andernfalls stehen meine Rinder hier bis zum Jüngsten Tag.«

Bill Forsyth lachte scheppernd. Seine Stimme klirrte: »Du täuschst dich, Turpin. Deine Kuhschwänze werden schon in einer halben Stunde nicht mehr die Great Sand Weide zer­treten und kahl fressen. Wir jagen sie nämlich auf dein Land zurück. Du hast es dir selbst zuzuschreiben. Gewarnt haben wir dich oft genug.«

Charles atmete tief durch. Mit ei­nem schnellen Blick streifte er seine Söhne. Sie standen angespannt, wie sprungbereit da, heißen Zorn in den Augen, bereit zu kämpfen. Grimmig, bemüht, die hochkochende Wut zu unterdrücken, rief Charles: »Denk nur nicht, dass wir tatenlos zusehen, wenn ihr euch über unsere Rinder hermacht. Du musst damit rechnen, Bill Forsyth, dass du mit der Nase in den Dreck fliegst.«

Das Gesicht Bill Forsyths verzerrte sich, wurde zu einer boshaften, gehäs­sigen Fratze. »Ihr Turpins seid uns schon lange ein Dorn im Auge!«, fauchte er und beugte sich weit im Sattel nach vorn. »Mein Vater bedau­ert es seit fünfzehn Jahren, dass er euch nicht in der ersten Minute, als ihr hier ankamt, zum Teufel jagte. Nun, was Big Jim versäumte, werde ich nachholen.« Seine Stimme triefte vor selbstsicherer Überheblichkeit.

Lane Turpin trat einen Schritt vor. »Du fühlst dich auch nur stark und un­bezwingbar, wenn du die abgebrühte­sten Sattelwölfe deines Vaters hinter dir weißt, Bill. Als wir uns das letzte Mal in Alamosa begegnet sind und du alleine warst, konntest du mir nicht mal gerade in die Augen sehen. Steig ab und kämpf mit mir. Beweise den Männern deines Vaters, dass du tat­sächlich der hart gesottene Bursche bist, für den du dich gerne ausgibst.«

Die wilde Leidenschaft in seiner Stimme erschreckte Charles Turpin. Er kannte den Jähzorn Lanes, trat schnell neben ihn und legte ihm beru­higend die Hand auf die Schulter. Aber Lanes Blick ließ Bill Forsyth nicht mehr los und übte einen dumpfen Druck auf den Ranchersohn aus.

»Ich mache mir an einem wie dir die Hände nicht schmutzig!«, giftete Forsyth. »Du bist für mich nämlich Dreck, Lane Turpin. Und dich jage ich persönlich mit der Peitsche aus dem Alamosa County.«

Der Gesichtsausdruck Lane Tur­pins verriet, dass er kurz vor der Ex­plosion stand. Der Griff seines Vaters wurde härter. Lanes Kiefer mahlten.

»Du bist ein Feigling, Bill Forsyth. Ein windiger, aufgeblasener Bastard, der nicht einmal Cody Renslaw das Wasser reichen kann!«

Cody Renslaw war der verkom­menste Säufer in Alamosa. Für einen Brandy holte er Fünfcentstücke aus den Spucknäpfen in den Saloons. Ein Wrack, das sein Leben im Delirium fristete.

Lanes provozierende Worte hingen unheilvoll zwischen ihnen. Und jeder spürte, wie sich jäh eisige Kälte aus­breitete.

*

Bill Forsyth war zusammengezuckt wie unter einem Peitschenhieb. Er wusste, dass er sein Gesicht verlor, wenn er diese Herausforderung nicht annahm.

John Landers, der Vormann der Great Sand Ranch, rief rau vor un­terdrückter Erregung: »Darauf gibt es nur eine einzige Antwort, Lane. Du weißt das.«

»Natürlich«, versetzte Lane gelas­sen und unbeeindruckt.

Bill Forsyth fühlte die ersten Anzei­chen tiefer Unsicherheit und Angst. Aber wenn er jetzt kniff, würden ihn die Cowboys verachten. Und da schnitten auch schon John Landers' Worte tief in sein Bewusstsein: »Du wirst ihm die entsprechende Antwort nicht schuldig bleiben können, Bill. Oder willst du die Beleidigung auf dir sitzen lassen?«

Bill Forsyth erschauderte. Mit be­legter Stimme, in der all seine inneren Nöte mitschwangen, gab er zu verste­hen: »Wie du willst, Lane. Ich nehme deine Herausforderung an. Hoffent­lich bist du dir darüber im Klaren, dass ich mit dem Colt besser bin als du. Ich habe es nämlich nicht nötig, lasso­schwingend hinter sturen Rindern herzujagen. Ich hatte Zeit, zu üben.«

»Hör auf!«, mahnte Charles Turpin beschwörend und gerade so laut, dass Lane es verstehen konnte. »Wenn hier Blut fließt, dann wird es einen Krieg geben.«

Lane trat von seinem Vater weg. Dessen Hand rutschte von seiner Schulter und fiel nach unten. »Du re­dest zuviel, Bill!«, peitschte Lanes Stimme. »Also steig ab, damit wir es austragen können. Ich denke, diese Sache zwischen uns beiden ist längst fällig.«

Aller Augen ruhten auf Bill For­syth. Er spürte die Blicke nahezu kör­perlich und kam sich vor wie ein in die Enge gedrängtes Tier. Fast zögernd hob er sein linkes Bein über den Sat­telknauf. Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und machte zwei kurze, linki­sche Schritte. Seine Hand hing neben dem Revolverkolben, öffnete und schloss sich und war feucht vom Schweiß. »Es ist wegen Lisa, nicht wahr?«, zwang er sich, mit einigerma­ßen gefestigter Stimme zu sagen.

»Ich weiß, dass du ihr nachstellst, und zwar gegen den ausdrücklichen Wunsch deines Vaters. Als die Toch­ter eines Coyotenjägers steht sie un­ter seiner Würde. Du bist Lisa ein Gräuel. Sie hat es mir selbst gesagt. Und weil sie dir die kalte Schulter zeigt, brauche ich dich ihretwegen auch nicht auf deine richtige Größe zurechtstutzen.«

Bill Forsyths Blick wurde unstet. In seinem schmalen Gesicht zuckte es. Er schielte zu John Landers hin. Er­bärmliche Furcht sprach aus jedem seiner Züge.

»Ich kann dir in diesem Fall nicht helfen, Bill«, knurrte Landers. Seine Worte fielen wie Hammerschläge und erreichten den Ranchersohn wie eine Botschaft von Untergang und Tod, hallten in ihm nach wie Höllenglocken. »Das ist eine Sache, die du al­leine austragen musst. Tut mir leid!«

Blitzschnell hob Dave seine Win­chester an. Die Mündung strich über die Reihe der Reiter. »Und ich rate auch keinem anderen, sich einzumi­schen!«, rief Dave.

Lane schoss seinem Bruder einen überraschten Blick zu. Überhaupt richtete sich die ganze Aufmerksam­keit für die Spanne einiger Herz­schläge lang auf Dave. Nur Bill Forsyth, der sich das Gehirn nach einem Ausweg aus dieser für ihn gefährli­chen Situation zermartert hatte, hatte Lane im Blick behalten. Und nun, da alles abgelenkt schien, sah er seine Chance. Seine Hand fuhr zum Colt. Das Eisen schwang hoch. Charles Turpin erfasste die tödliche Bedrohung zuerst. Sein Warnschrei blieb ihm im Hals stecken, er sprang vor und ver­setzte Lane einen heftigen Stoß. Im selben Moment brüllte der Schuss auf. Lane wurde zur Seite geschleudert, strauchelte und fiel auf die Knie. Und es war mehr der Reflex, als ein bewusster Wille, der ihn den Colt ziehen ließ. Das Donnern in den Ohren schoss er, Bill Forsyth knickte in der Mitte ein, er sperrte den Mund auf, und ein abgrundtiefes Röcheln brach daraus hervor. Seine Augen weiteten sich in ungläubigem Staunen.

Von Charles Turpin kam ein erstickendes Husten. Er wankte und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ein dunkler, feuchter Fleck auf seiner rechten Brustseite vergrößerte sich schnell. Rasender Schmerz zeichnete tiefe Risse und Linien in das Gesicht des Ranchers.

Betroffenheit und Lähmung griffen um sich. Der Pulverrauch, der Lane einhüllte, verflüchtigte sich. Erst der dumpfe Aufprall, als Bill Forsyth auf das Gesicht fiel, riss die Männer aus ih­rer Erstarrung. Cole Turpin sprang hinzu, um seinen Vater zu stützen. Die Finger des Ranchers hatten sich im Hemd verkrallt. Blut sickerte zwi­schen ihnen hindurch. »Dad!« Fas­sungslos schrie Cole dieses Wort. »Mein Gott …« Seine Stimme er­starb, als er das Blut und die gähnende Leere im Blick seines Vaters sah.

Ein dritter Schuss krachte. Eine armlange Mündungsflamme zuckte aus Dave Turpins Gewehr. Einer der Great Sand Reiter warf beide Arme hoch, sein Colt flog im hohen Bogen davon, dann stürzte der Bursche rücklings vom Pferd.

Lane erhob sich. In die zerflat­ternde Detonation hinein brüllte er: »Schluss jetzt!« Erschlug den Colt auf John Landers an und sah aus den Au­genwinkeln, wie Cole seinen Vater sachte zu Boden gleiten ließ.

»Dad stirbt!«, schrie Cole verzwei­felt. Lane ließ den Colt sinken, eilte zu seinem Vater hin. Die Brüder tauschten einen fassungslosen Blick. »Die Kugel sitzt neben dem Herzen. Vielleicht hat sie die Lunge erwischt. Die einzige Rettung für ihn gibt es in Alamosa.«

Dave und Tex Dudley hielten die Great Sand Mannschaft in Schach. Ungeachtet der auf ihn gerichteten Waffen sprang John Landers vom Pferd. Er ging zu Bill Forsyth hin, der seinen Colt unter sich begraben hatte, beugte sich über ihn und drehte ihn auf den Rücken. Erschüttert starrte er in das bleiche, starre Antlitz mit den weitaufgerissenen, gebrochenen Au­gen, dann stieg es dumpf und hohl aus seiner Kehle: »Er ist tot. Oh, verdammt, Lane Turpin, du hast den Sohn Big Jim Forsyths erschossen. Dafür wird Big Jim dir die Haut in Streifen abziehen.«

Lane richtete sich auf. Der Aufruhr seiner Empfindungen legte sich. Bit­terkeit stieg in ihm hoch. »Sieh dir meinen Vater an, Landers«, quoll es gallig aus seinem Mund. »Er wollte den Kampf nicht. Und nun hat er eine Forsyth-Kugel in der Brust und ist dem Tod näher als dem Leben. Bill war ein Bastard, der mich kaltblütig niedergeknallt hätte, als ihm die Gele­genheit günstig und risikolos erschien. Er hat den Tod verdient.«

»Big Jim wird dich zur Rechen­schaft ziehen, Lane!« Landers stand auf und wischte sich mit dem Hand­rücken über die Augen, als wollte er einen bösen Traum verscheuchen. Aber das alles hier war alptraumhafte Wirklichkeit und ließ sich nicht ein­fach aus der Welt wischen. »Wir wer­den dich hetzen, bis dir die Zunge zum Hals heraushängt, Lane Turpin. Big Jim wird nicht ruhen, bis eure Sippschaft ausgerottet und die Bar-T ein Haufen Schutt und Asche ist. Und ich werde ihm dabei helfen. Denn Bill war mein Freund.« Mörderischer Hass brannte in seinen Augen.

»Packt ihn auf sein Pferd und haut ab!« schnappte Lane. »Und lasst euch nicht einfallen, noch einmal einen Fuß auf das Gebiet der Bar-T Weide zu setzen.«

Landers ging steifbeinig zu dem Cowboy, den Dave vom Pferd ge­schossen hatte. Der Mann lag am Boden und wimmerte. Die Kugel hatte ihm die Schulter zerschmettert. »Du wirst es überleben, Steve. Komm, ich helfe dir aufs Pferd.«

Charles Turpin regte sich. Seine Li­der flatterten, seine Lippen bewegten sich und formten Worte, die nicht zu hören waren. Auf seinem verfalle­nen grauen Gesicht perlte Schweiß.

»Ruhig, Dad, ganz ruhig«, flüsterte Cole heiser vor namenloser Angst um seinen Vater.

»Lane!«, entrang es sich matt und kaum vernehmbar dem Rancher. Ein keuchender, abgerissener Atemzug, und dann noch einmal: »Lane, Junge …«

»Er will dich, Lane!«, murmelte Cole.

Lane kniete neben seinem Vater ab. Er schob ihm die flache Hand un­ter den Hinterkopf und stützte ihn, schaute in das zerfurchte Antlitz, das vom Tod gezeichnet war, und der Ma­gen krampfte sich ihm zusammen.

»Lane.« Der Sterbende röchelte. »Der zweite Schuss — hast du Forsyth …« Seine Stimme brach. Aus seinem Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden. Lane riss sein Halstuch her­unter und tupfte damit seinem Vater den Schweiß aus dem Gesicht.

»Forsyth ist tot«, entrang es sich ihm.

Die Lider seines Vaters sanken halb über die fiebrigen Augen herab. Seine Brust hob sich unter einem rasselnden Atemzug. »Du - darfst - nicht - hierbleiben, mein Junge …« Charles Turpins Stimme verebbte wie ein Windhauch. Unzusammenhängendes Gestammel folgte. Seine Hände zuck­ten unkontrolliert. Aber dann fand er noch einmal die Kraft, zu sprechen. Es war das letzte Aufflackern der Flamme seines Widerstandsgeistes. »Big Jim wird den Tod seines Sohnes fürchterlich rächen. Reite fort, Lane, reite fort - sonst - tötet - er dich!« Sein Kopf wurde schwer, sein Blick erlosch. Charles Turpin war tot.

Lane stand auf. Er war wie benom­men. Die Great Sand Reiter hatten Bill Forsyth auf sein Pferd gelegt. Der Bursche, dem Dave die Schulter zer­schossen hatte, hockte krumm und mit schmerzverzerrtem Gesicht im Sattel. John Landers saß gerade auf. Er setzte sich zurecht und rief grollend: »Wir kommen dich holen, Lane Tur­pin. Und solltest du es vorziehen, zu fliehen, dann werden wir dich jagen. Du wirst keine ruhige Minute mehr haben. Du bist so gut wie tot.«

Lane sah ihn mit einem Blick an, der durch den Vormann hindurchzu­dringen schien. Er hielt noch immer den Colt in der Faust. In seinem Ge­sicht zuckte kein Muskel. Es war, als hätte er die Drohung Landers über­haupt nicht begriffen. Er stand nur da und mutete an wie ein Mann, dessen Welt zusammengestürzt, in dem et­was zerbrochen war.

»Reiten wir!« Landers spornte sein Pferd an und gab ihm den Kopf frei. Schweigsam folgte ihm die Mann­schaft. Sie ritten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Bald ver­schwanden sie über dem Hügel aus dem Blickfeld der Turpins. Dave und Tex Dudley senkten die Waffen. Wie im Trance ging Dave zu seinem Vater hin. Heiß stieg es in ihm hoch. Er schluchzte trocken.

*

Es war Nacht. Unter der Sichel des Mondes pfiff ein frischer Wind dahin. Er rüttelte an den Türen der Bar-T Ranch und trieb prasselnd den feinen Sand gegen die Fenster. Die drei Brüder hatten Charles Turpin in der Wohnstube aufgebahrt. Zwei Kerzen flackerten und verbreiteten trübes Licht,

Bleischwer hing das bedrückte, dumpfe Schweigen im Zimmer. Lane und Dave saßen am Tisch. Die Ge­wehre lehnten griffbereit neben ih­nen. Cole hatte sich einen Stuhl zum Fenster geholt und starrte hinaus in die Dunkelheit. Wolkenschatten zo­gen über den Hof. Die Spannung, die bleierne Ruhe, das Warten auf Big Jim - das alles zerrte an den Nerven und zermürbte sie.

An Schlaf dachte keiner der Brü­der. Obwohl eine Woche knochen­brechender Sattelarbeit hinter ihnen lag, würde keiner von ihnen Ruhe fin­den.

Jeder hing seinen unerfreulichen Gedanken nach. Jeder spürte das Ver­hängnis, das sich über ihren Köpfen zusammenbraute. Aber keiner dachte an Flucht.

Tex Dudley war auf dem Weg nach Alamosa. Er sollte den Sheriff über den Vorfall auf der Weide unterrich­ten. Dessen Aufgabe war es, für Friede und Ordnung im County zu sorgen. Und bis er eintraf, wollten Lane und seine Brüder sich gegen Big Jim Forsyth behaupten.

Zäh verrann die Zeit. Irgendwann trug der Wind das Pochen von Pferdehufen heran. Coles Stimme sprengte die lastende Stille: »Sie kommen!«

Lane blies die Kerzen aus. Stiefelle­der knarrte, Sporen klirrten. Eine Diele ächzte. Die Finsternis war mit den Augen nicht zu durchdringen. Nur vor dem Fenster zeichnete sich Coles Schulter- und Kopfpartie ver­schwommen ab.

»Wo willst du hin, Lane?«, fragte Dave.

»Ich verschanze mich im Wagen­schuppen. Sobald sie in den Hof rei­ten, haben wir sie in der Zange.«

»Glaubst du, sie reiten uns wie blu­tige Anfänger vor die Mündungen?«, rief Dave hastig.

»Warten wir es ab. Jedenfalls gehe ich in den Schuppen hinüber.«

»Nichts zu machen, Lane!«, mischte sich Cole mit scharfer Stimme ein. »Was du vorhast, ist nämlich Selbst­mord. Ich durchschaue deine Absicht, Bruderherz.« Er erhob sich mit einem Ruck und verdunkelte mit seinem Körper das Fenster. »Du willst vom Wagenschuppen aus die Aufmerksamkeit Forsyths auf dich ziehen, weil du der Meinung bist, dass er es einzig und allein auf deinen Skalp abgese­hen hat Du möchtest uns raushalten. Aber daraus wird nichts. Er will uns alte. Darum wirst du auch nicht den Märtyrer spielen.«

»Das ist Unsinn! Ich …«

»Geschenkt«, presste Dave hervor. »Wir stellen uns diesem Weidepira­ten geschlossen entgegen. Und wenn es so sein soll, dann gehen wir eben gemeinsam drauf.«

»Wie ihr wollt.« Lane gab sich ge­schlagen, ging zum anderen Fen­ster und schob es hoch. Ein kühler Luftzug streifte sein Gesicht.

Dave murmelte: »Ich postiere mich an der Haustür. Von dort aus habe ich auch das Korridorfenster in der Rück­wand im Auge.« Er stapfte hinaus.

Dumpf brandete der Hufschlag heran. Er war der Vorbote von Unter­gang und Tod. Big Jim Forsyth wollte Rache. Sein Herz war tot, seine Seele abgestumpft, nachdem sie seinen Sohn erschossen nach Hause gebracht hatten. Zuerst glaubte er, verrückt zu werden. Sein einziger Sohn, sein Erbe, war tot. Nur nach und nach gelang es ihm, es zu begreifen - und zu verarbei­ten. Aber dann war der Hass gekom­men — in rasenden, giftigen Wogen.

Und nun ritt der Rancher an der Spitze seiner Mannschaft durch die dunkle Nacht. Was ihn beseelte, war tödlicher als die Waffen seiner Leute.

Die Lärmwelle, die unter dem Nachthimmel heranrollte, ver­stummte. Angespannt lauschten die Brüder. Der Wind trug den Geruch von Gras und Salbei heran. Ein Pferd wieherte. Die Reiter mussten sich in dem Buschgürtel befinden, der sich vom Saguache Creek aus nach We­sten erstreckte.

Big Jim verharrte stumm auf sei­nem Rotfuchs. Aus engen Augen­schlitzen starrte er auf die Ranchge­bäude, deren Konturen durch die Fin­sternis nur verschwommen und als große, dunkle Flecke auszumachen waren. Dass sein Sohn Charles Turpin erschossen hatte, rührte ihn nicht. Rache!, brüllte es durch seinen schmer­zenden Verstand, wieder und immer wieder: Rache! Er wollte Lane Tur­pin. Vor allem ihn. Aber er wollte auch dessen Brüder.

John Landers trieb sein Pferd ne­ben das des Ranchers. »Wir sollten keine Zeit vergeuden, Boss«, knurrte er kehlig. »Die Leute wissen Be­scheid. Wir nehmen die Ranch von al­len Seiten in die Zange. Und wenn die Hundesöhne nicht geflohen sind, dann schießen wir sie in Fetzen.«

Big Jim nickte versonnen. »Fangt an. Doch wenn es möglich ist, dann bringt mir zumindest Lane Turpin lebend. Ich will den Mörder meines Sohnes am Ende eines Lassos zappeln sehen.«

Landers zerrte sein Pferd zurück, wendete es und rief unterdrückt: »All right, Leute, verteilt euch. Und seht zu, dass sie uns lebend in die Hände fallen. Bevor ihr aber ein Risiko ein­geht - schießt, was das Zeug hält.«

Der Pulk zog sich auseinander. Die Reiter drängten ihre Pferde in die Bü­sche. Die Tiere scheuten und pruste­ten unwillig, aber die Männer lenkten wie mit eiserner Hand.

Eine Stimme, hart wie Metall, er­klang: »Lane Turpin - hörst du mich?«

Lanes Kinnmuskeln spannten sich.

»Lass die Kerle lieber im Ungewis­sen«, riet Cole. »Er will nur hören, ob wir tatsächlich verrückt genug waren, hier auf sie zu warten. Sie werden sich darauf einstellen und sich eine todsi­chere Taktik zurechtlegen. So aber verunsichern wir sie.«

Sekunden verstrichen. Wieder ließ sich das stahlharte Organ vernehmen - John Landers' Organ: »Auch recht, Lane. Aber solltest du mich hören, dann lass dir folgendes gesagt sein: Ich habe über ein Dutzend tödlich ent­schlossener Burschen mitgebracht. Wir haben die Ranch umstellt. Ihr sitzt wie Ratten in der Falle. Wenn ihr klug seid, dann ergebt ihr euch. An­dernfalls stürmen wir. Und ich ver­spreche dir, dass es für euch verdammt hart werden wird.«

Lane schwieg verbissen.

»Ich gebe euch Narren noch zehn Sekunden, um die Waffen zu strecken und mit er­hobenen Händen herauszukommen. Wenn die zehn Sekunden um sind, werden wir euren Bau an allen vier Ecken anzünden. Wir werden euch rösten. Also sucht es euch aus. Das Ul­timatum läuft!«

»Lass sie nur kommen!« zischte bei der Haustür Dave. Er hatte sie eine Handbreit geöffnet und spähte hin­aus.

»Ich werde ihm einen Handel vor­schlagen!«, presste Lane hervor.

»O nein, Bruder«, sagte Cole. »Du gehst nicht hinaus und wirfst dich die­sen Wölfen zum Fraß vor.«

»Die zehn Sekunden sind um!«, brüllte Big Jim. »Stürmt den Bau, Leute, und brennt ihn nieder!«

Die Nacht wurde lebendig. Die Männer Big Jims kamen zu Fuß. Ihre Pferde hatten sie im Schutz der Dun­kelheit zurückgelassen. Die Finsternis wurde von grellen Mündungsblitzen zerrissen. Ein Bleigewitter prasselte gegen das Haus. Es krachte, knirschte und splitterte. Die Gewehre der Brü­der begannen zu donnern und schleu­derten ihr rhythmisches Krachen den Great Sand Leuten entgegen. Sie schossen auf die Mündungsfeuer. Das Peitschen der Schüsse verschmolz zu einem explosionsartigen Dröhnen. Männer schrieen, schossen wie beses­sen und hetzten, jeden Schutz ausnut­zend, aus der Dunkelheit. Ihre hu­schenden Schemen schälten sich aus den tintigen Schatten, heißes Blei ra­ste ihnen entgegen. Der Geruch von verbranntem Pulver breitete sich aus. Pulverrauch vermischte sich mit den Nachtnebeln. Staub wallte.

Die Winchester lag nicht mehr ver­krampft, sondern leicht und locker in Lanes Fäusten. Eine Kugel riss den Fensterstock auf und wirbelte ihm Holzsplitter ins Gesicht. Eine andere zog ihm eine blutige Schramme über die Wange. Die Wohnstube war erfüllt vom berstenden Donnern ihrer Gewehre.

Die Haustür wurde von Kugeln förmlich zerfetzt. Dave kniete im Schutz der Hauswand neben der Tür­öffnung und jagte Schuss um Schuss hinaus. Eine Gestalt taumelte aus dem Schlagschatten des Pferdestalles und brach zusammen. Ein Mann ver­suchte, sich kriechend in Sicherheit zu bringen. Ein mörderischer Strom von gnadenloser Härte, des brutalen Ver­nichtungswillens, des unerbittlichen Willens, Big Jims gieriger Besessen­heit tödlichen Nachdruck zu verlei­hen, schlug über den Brüdern zusam­men wie eine alles verschlingende Brandungswelle.

*

Eine Fackel loderte und warf zuckende, geisterhafte Reflexe auf die Wand eines Schuppens. Es roch nach verbranntem Petroleum. Der Mann, der die Fackel hielt, zögerte. Die un­erbittliche Stimme John Landers sprang ihn an: »Worauf wartest du? Wirf sie end­lich!«

Der Cowboy glitt an der Wand nach vorn, dann wirbelte die Fackel durch die Finsternis. Sie polterte auf den Vorbau und rollte bis zur Wand. Feuer flackerte hoch, Funken sprüh­ten. Ringsum peitschten mit unver­minderter Heftigkeit die Schüsse. Eine zweite Fackel segelte durch die Dunkelheit, eine dritte …

Mit einem Satz war Dave auf dem Vorbau. Wild um sich schießend er­reichte er einen der hochlodernden Brandsätze, trat ihn aus und rannte geduckt zum nächsten. Mit einem zornigen Tritt fegte er die Fackel vom Vorbau. Seine Absätze hämmerten ein hallendes Echo auf den Bohlen, als er weiterhetzte. Ein Geschoss schleu­derte ihn herum. Er fiel gegen die Hauswand und hob sich im Lichtschein deutlich davon ab. Eine Salve aus mehr als einem halben Dutzend Waf­fen nagelte ihn förmlich dagegen. Langsam rutschte er zu Boden, kippte auf den züngelnden Brandherd und erstickte ihn mit seinem Körper.

Lane schrie auf wie von Sinnen. Sein Herz drohte zu zerspringen. Er stöhnte auf. »Dave!« Seine eigene Stimme riss ihn aus der Erstarrung. Wie feurige Kometen zogen weitere Brandsätze vor seinem Blick ihre lautlose Bahn. Nur der Aufprall war zu vernehmen. Und der Wechsel von Licht und Schatten irritierte das Auge.

Cole hatte Dave fallen sehen und schoss wie rasend auf die durch die Dunkelheit stoßenden Mündungslichter. Dann war die letzte Kugel aus dem Colt. Mit fliegenden Fingern lud er nach. Ein Brandsatz flog durch das Fenster und rollte über den Boden. Drau­ßen leckten die Flammen am Holz der Fassade hoch. Der Rauch wurde im­mer dichter und beißender.

»Wir müssen hier raus!«, brüllte Lane.

Cole schien ihn nicht zu hören. Lane sprang ihn an, zerrte ihn hinter sich her zur Tür. Brennende Gardi­nenfetzen fielen in der Wohnstube zu Boden. Ein Sessel brannte. Rauch wölkte bereits in dichten Schwaden und verätzte die Atemwege, ließ die Augen brennen und tränen.

»Durchs hintere Fenster!« Lane verschluckte sich, hustete und krümmte sich. Cole riss sich los. Er taumelte zur offenen Haustür, vor der ein Flammenvorhang zu stehen schien. In dem ausgetrockneten Holz des Vorbaus fand das Feuer ausrei­chend Nahrung. Es knackte und pras­selte. Und Cole wankte direkt darauf zu, als hätte er den Verstand verloren. »Cole!«, rief Lane voll Verzweif­lung. Rauch füllte seine Lungen, Schwindelgefühl erfasste ihn, Übel­keit stieg in ihm hoch. Er japste wie ein Erstickender und sah Cole hinter dem Flammenvorhang verschwin­den. Eine schneidende Stimme peitschte: »Nicht schießen, ich will ihn le­bend!«

Lane vernahm es wie durch einen Wattebausch und torkelte durch den Flur, spürte die Benommenheit gegen sein Bewusstsein anstürmen, und riss im Aufflackern eines jähen Überle­benswillens das Fenster hoch. Ein Schwall kalter Luft traf sein Gesicht, gierig sog er den Sauerstoff ein und spürte, wie sich die Benommenheit auflöste. Vorne wummerte Coles Colt. Ein­mal, zweimal - dann schwieg er. Die schnarrende Stimme Big Jims war zu hören, doch was sie rief, konnte Lane durch das Brausen des Feuers nicht verstehen.

Hin und her gerissen zwischen Ge­fühl und Verstand stand er wie ver­steinert. Sie hatten Cole. Dave war tot. Ein Zittern durchlief ihn. Und er war nahe daran, nach vorne zu stür­zen und bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Aber der Verstand häm­merte ihm ein, dass er sein Leben ret­ten musste. Er musste leben und Char­les Turpins Vermächtnis verteidigen.

Er schüttelte seine Trägheit ab und sprang aus dem Fenster. Eng an die Hauswand geschmiegt lud er seinen Colt nach. Sein Verstand arbeitete wieder klar und präzise.

Auf dem Ranchhof waren die Waf­fen verstummt. Wie gebannt starrten die Männer von der Great Sand Ranch auf den hoch gewachsenen Mann, der nach zwei blindlings abge­feuerten Schüssen seinen Bruder aus den leckenden Flammen zerrte und der nun, die leblose Last auf den Ar­men, die Treppen hinunter in den Hof wankte. Der Feuerschein zeichnete seine Gestalt scharf nach. Sein Gesicht sah erschreckend starr aus, nur die Augen schienen noch darin zu le­ben.

Am Rande der Helligkeit stand Big Jim. Cowboys traten aus den Schat­ten. Die Metallteile ihrer gesenkten Waffen blinkten. John Landers er­schien neben dem gnadenlosen Ran­cher. Ohne jede Gemütsregung blickte er Cole Turpin entgegen, der sich marionettenhaft und eckig be­wegte. Seine Haare waren versengt, auf seinem Hemd glommen Funken. Sein schweißnasses Gesicht war rußverschmiert. In seinen Augen war ein irrsinniges Flackern. Zwei Schritte vor Big Jim blieb er stehen. Dann sagte er langsam, fast schleppend, mit angegriffener Stimme: »Der zweite Turpin, Big Jim, der innerhalb weniger Stunden an einer Forsyth-Kugel zugrunde ging. Ich bin in deiner Hand. Wahrscheinlich wirst du auch mich töten. Aber Lane ist dir entkommen. Und er wird zurückkeh­ren. Und dann gnade dir Gott, Big Jim Forsyth, denn dann wirst du bezah­len!«

Cole verlor die Kraft. Er brach in die Knie, Big Jim versank vor seinem Blick in diesigem Nebel.

Hinter dem lichterloh brennenden Ranchhaus dröhnten Schüsse. »Lane Turpin!«, knirschte John Landers und fegte los. Einige der Cowboys schlos­sen sich ihm an.

*

Lane kauerte an der Rückwand des Ranchhauses, über dessen Dach be­reits bläuliche Flammen tanzten.

Linker Hand reichten Stangencorrals bis hinter das Haus. In einer Ent­fernung von etwa hundert Yards wälzten sich die Fluten des Saguache Creek nach Südosten. Lane schob sich an die Hauswand entlang. Er hatte kein Pferd! Er hatte nur das, was er auf dem Leib trug - und er hatte seinen Colt und die Patronen in seinem Gürtel.

Bei den Corrals nahm er eine flüch­tige Bewegung wahr. Er federte herum. Grell blitzte es auf. Lane spürte einen harten Schlag gegen den Oberschenkel, das Bein wurde ihm förmlich unter dem Körper weggeris­sen, trotzdem war sein Reflex noch da. Er schoss genau in den verglühen­den Feuerball hinein und nahm im gleichen Augenblick einen zweiten Schemen wahr, der über das Corralgatter sprang und auf den Bauch hechtete. Lane spürte den sengenden Strahl eines Geschosses, biss die Zähne zusammen und drückte ab, rollte zur Seite und kam so vom Haus weg, in das nun die Kugeln des Great Sand Reiters harkten.

Lane zielte ruhig und überlegt. Dann feuerte er. Sein Geschoss trieb den anderen hoch, Lanes zweite Ku­gel schüttelte ihn, und im selben Au­genblick, als er fiel, kam Lane hoch. Stechender Schmerz pulsierte von seinem Bein bis unter seine Schädel­decke. Er ignorierte ihn und humpelte davon, so schnell ihn seine Beine zu tragen vermochten.

Kugeln pfiffen hinter ihm her. Er stolperte, stürzte und schlug mit dem Ge­sicht auf den von der Sonne hartgebackenen Boden. Eine kalte, klir­rende Stimme wehte heran. »Schnappt ihn euch! Aber denkt daran, dass Big Jim ihn hängen will!«

Es riss ihn wieder in die Höhe. Sein schmerzender Verstand begriff, dass dies seine Chance war. Feuerschein flutete über ihn hinweg, er raffte sich auf und stolperte weiter. Seine Gestalt warf einen langen Schatten. Eine kratzende Stimme holte ihn ein: »Ste­hen bleiben, Turpin! Bleib stehen, zum Teufel!«

Weiter, Lane, weiter! Sie dürfen dich nicht kriegen! Es drängte sich auf nahezu hypnotische Weise in sein Bewusstsein. Vom Grauen getrieben floh er, trampelnde Schritte näherten sich ihm von hinten. Er taumelte aus dem Lichtkreis. Das Ufergebüsch schien ihm unendlich fern und unerreichbar. Und seine Verfolger holten auf. Sie hatten seine große Not er­kannt und verschwendeten keine Mu­nition mehr, kamen wie ein Rudel Schweißhunde, die das Jagdfieber gepackt hatte.

Wieder strauchelte Lane, wieder schlug er hin. Der Schmerz in seinem Körper explodierte. Aber noch ein­mal überwand sein Widerstandswille Erschöpfung und Fatalismus, und er hob das Eisen. Eine Kugel röhrte aus dem Lauf, die heranrasenden Schat­ten spritzten schreiend und fluchend auseinander, als hätte eine Granate zwischen ihnen eingeschlagen. Sie versanken in der Dunkelheit. Hier und dort blitzte es auf. Lane aber kroch schon auf dem Bauch davon. Das sirrende Blei wurde ihm kaum ge­fährlich.

»Wir müssen ihm den Weg zum Fluss abschneiden!«, gellte John Lan­ders' Organ.

Sie hatten seine Absicht durchschaut: Glasklar hatte Landers erfasst, dass Lanes einzige Rettung der Creek war.

Lane bot noch einmal alle Kraft auf, kämpfte sich hoch und schleppte sich weiter. Er wusste selbst nicht, wie es ihm gelang, das Uferge­strüpp zu erreichen. Er stürzte kopf­über hinein und spürte nicht, dass Äste sein Gesicht peitschten und ihm die Haut aufrissen. In der Nähe brüllte ein Mann Dinge, die Lane nicht ver­stand. Er robbte wie besessen durch das Strauchwerk, riss sich die Hände wund und wunderte sich selbst, dass er noch immer den Colt umkrampft hielt. Und plötzlich war er am Fluss. In der Wasserfläche spiegelte sich das Sternengeflimmer. Rechts von ihm ertönte Brechen und Rascheln, er schoss seine letzten Kugeln in diese Richtung, schleuderte den wertlosen Colt fort und warf sich in die Fluten. Kalt schlugen sie über ihm zusam­men. Die Kälte war es auch, die in sei­nem Hirn einen Vorhang zum Zerrei­ßen brachte. Sie vertrieb die Betäu­bung und linderte fast schlagartig den Schmerz in seinem durchschossenen Oberschenkel.

Ein Strudel erfasste ihn, wirbelte ihn herum und drückte seinen Körper nach unten. Die Luft wurde ihm knapp. Verbissen kämpfte er, spürte den Untergrund unter seinen Füßen und stieß sich ab. Er nahm nicht wahr, dass mit seinem Eintauchen in das Wasser die Great Sand Reiter die letz­ten Hemmungen über Bord warfen. Landers, der befürchtete, dass Lane ihnen entkam, brüllte mit sich über­schlagender Stimme: »Schießt, Leute, haltet drauf! Bes­ser wir haben ihn tot als überhaupt nicht!«

Das Wasser spritzte unter den Ein­schlägen. Ein fauchendes Brausen lag in der Luft. Funken und Asche wirbel­ten. Gelegentlich war das knir­schende Bersten von niederbrechen­dem Gebälk zu hören.

Lane konnte sich aus dem Strudel befreien. Sein Kopf zerteilte die Was­seroberfläche, lechzend sog er frische Luft in seine Lungen. Er pumpte sie voll Sauerstoff und ließ sich wieder wegsacken. Am Fluss aufgewachsen konnte er schwimmen wie ein Fisch. Und die Erkenntnis, dass er ihnen fürs Erste entkommen war, verlieh ihm Antrieb. Weit holten seine Arme aus, die kraftvollen Schwimmstöße und die Strömung brachten ihn schnell flussabwärts.

Irgendwo, weitab, trieb ihn die Strömung ans flache Ufer. Erschöpft blieb er liegen. Die Finsternis hüllte ihn ein wie ein Mantel. Und seine Ein­samkeit wurde ihm bewusst. Verlo­renheit senkte sich in sein Gemüt, und dazu gesellte sich die Verzweiflung, die dem Wissen entsprang, dass inner­halb weniger Stunden sein bisheriges Leben zerstört worden war. Er folgte dem Fluss nach Südosten. Zerschun­den, blutend und triefend vor Nässe setzte er mechanisch einen Fuß vor den anderen, die Schusswunde mit beiden Händen umklammernd, den Schmerz verbeißend. Weit zurück stürzte krachend das Haupthaus ein. Funkengarben stoben zum Himmel.

»Der erste Schritt, das Great Sand Valley von diesem Smallranchergeschmeiß zu säubern, ist getan. Ich hätte niemals einen von diesen Hun­gerleidern Fuß fassen lassen dürfen.« Big Jim Forsyth sprach in kurzen, ab­gehackten Sätzen. Licht- und Schat­tenreflexe ließen sein Gesicht dunkel und zerrissen anmuten, an die Rinde eines alten Baumes erinnern. »Aber zunächst will ich Lane Turpin. Er muss für den Tod meines Sohnes büßen.«

Er hatte die Worte in die Länge gezogen und die Umstehenden begannen trotz der Gluthitze zu frösteln. Sein schwelen­der Blick voll Hass und unheilvoller Begierde heftete sich auf die Brüder, von denen einer besinnungslos, der andere aber tot war.

*

Bald überfiel Lane bleierne Er­schöpfung. Sein eingefallenes, von Blutverlusten und Schmerz gezeich­netes Gesicht verzerrte sich. Aber un­ermüdlich kämpfte er sich vorwärts. Die Schübe der Benommenheit ka­men schneller, die Abstände zwi­schen ihnen wurden immer kürzer.

Wie ein Betrunkener wankte er da­hin. Sie werden nicht ruhen, bis sie dich haben!, durchpeitschte eine un­barmherzige Stimme sein Gehirn. Sie jagen dich, bis sie dich Big Jim tot vor die Füße legen können. Du bist allein, unbewaffnet, am Ende …

Er ächzte. Immer wieder knickte das zerschossene Bein unter ihm weg. Die Blutung kam nicht zum Stillstand. Blut verklebte seine Hände. Die Angst, dass er es nicht schaffen könnte, durchrann ihn wie Fieber. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er fror erbärmlich. Seine Zähne schlu­gen wie im Schüttelfrost aufeinander.

Der Fluss gurgelte und rauschte. Lane lag im Ufersand. Wasser um­spülte seine Beine. Er brauchte Hilfe. An der Mündung des Saguache Creek in den San Luis River lebte Lisa mit ih­rem Vater. Clay Reed stand zwar als Wolfs- und Coyotenjäger in Big Jims Diensten, im Übrigen aber hatte er mit der Great Sand Ranch nichts zu tun. Reed würde sich heraushalten.

Drei Meilen bis zur Mündung. In sei­nem Zustand konnte er diese Entfer­nung nicht mehr bewältigen. Er würde irgendwo umfallen, und wenn er nicht verblutete, würden ihn Big Jims Sattelwölfe finden.

Drei Meilen! Lane starrte auf den Fluss. Und dann fasste er einen Entschluss: Schwimmen! Nun, wenn er infolge seines Blutverlustes die Besin­nung verlor, dann ertrank er eben. Ein jämmerlicher Tod, aber immer noch gnädiger, als am Ende eines Las­sos elend zugrunde zu gehen.

In jähem Entschluss erhob er sich. Er watete ins Wasser und verlor den Bo­den unter den Füßen. Die Strömung packte ihn. Er legte sich auf den Rücken, sah weit über sich den Nachthimmel und ließ sich dahintragen. Neue Hoff­nungen beflügelten seine Gedanken.

Die dunklen, drohend anmutenden Buschgruppen am Ufer schienen vorbeizuhuschen. Hin und wieder war­fen ihn unvermutete Stromschnellen herum, zerrten tückische Wirbel an ihm, aber mit wenigen kräftigen Ru­derbewegungen der Arme befreite er sich. Der Fluss wurde breiter und ruhi­ger. Lane schwamm zum Ufer, kroch auf allen vieren die Uferböschung hinauf und ruhte kurze Zeit zwischen den dichten Büschen aus. Dann schlug er sich hindurch. Clay Reeds Hütte schälte sich aus der Dunkelheit. Es gab einen Pferdestall, einen Heuschuppen, einen kleinen Stangencorral und einen Brunnen.

Reed baute Mais und Weizen an, verfügte über etwas mehr als hundert Rinder, jagte Raubzeug und bekam für jeden Abschuss von Big Jim einen Dollar. Früher arbeitete er als Scout bei der Armee. Er war ein wortkar­ger, mürrischer Mann, der nie über seine Vergangenheit sprach, der sich selbst der Nächste war, und der sich von allem fern hielt. Und dasselbe er­wartete er von seiner Tochter.

Ruhig lagen die Gebäude vor Laue im silbrigen Mondlicht. Clay Reed und seine Tochter schliefen. Lane gab sich einen Ruck. In seinen Stiefeln schmatzte bei jedem Schritt das Was­ser. Schwer hing die Kleidung an ihm. Der Schmerz, den er im Wasser kaum wahrgenommen hatte, kam mit Macht zurück.

Er brachte drei Schritte hinter sich, als Clay Reeds Hund anschlug. Sein dunkles, warnendes Bellen zer­sprengte die Stille und ließ Lane zu­sammenzucken. Klar und scharf schallte es durch die Nacht, wurde heiser und kläffend. Eine schwere Kette rasselte und klirrte.

»Ruhig, Rex, ganz ruhig!«, rief Lane und hinkte weiter.

Der Hund stutzte, sein Bellen brach schlagartig ab.

»Brav, Rex!« Ein seltsames Gefühl durchströmte Lane. Er fühlte sich plötzlich nicht mehr alleine und ein­sam.

Das Fiepen des Hundes erreichte sein Gehör. Die Kette schleifte über den Boden. Aber da flog krachend der Fensterladen auf. Ein kurzes, metalli­sches Knacken, als ein Gewehrhahn gespannt wurde, dann eine raue, un­freundliche Stimme: »Wer immer da draußen herumschleicht zu dieser un­christlichen Stunde - er soll ver­schwinden! Ich habe niemand einge­laden, und zu holen gibt es bei mir nichts außer heißem Blei.«

Lane war stehen geblieben. Er war sich sicher, dass Reed ihn im Mond­licht ausmachen konnte. »Nicht schie­ßen, Clay. Ich bin es, Lane Turpin. Ich bin verletzt und brauche deine Hilfe!«

»Lane Turpin?«, kam es fragend und misstrauisch zurück. »Wieso gehst du nicht nach Hause, wenn du Probleme hast? Warum kommst du mitten in der Nacht zu mir?«

Lane humpelte ein Stück weiter. In der Dunkelheit winselte Rex und scharrte mit den Pfoten.

»Lass mich in dein Haus, Clay, dann werde ich dir alles erklären.«

»Hattest du Ärger mit …«

Clay Reed wurde unterbrochen, als sich die Haustür knarrend öffnete. Lichtschein fiel ins Freie, die Gestalt einer Frau erschien im Türrechteck, und eine weibliche Stimme rief: »Lane, du lieber Himmel, was ist ge­schehen? Komm herein.« Sie lief ihm entgegen. Die Laterne schaukelte, das Licht warf ihren Schatten riesengroß und verzerrt auf den Boden.

»Zum Teufel damit!«, grunzte Clay Reed und zog das Gewehr zurück.

Lisa erschrak, als sie Lane aus der Nähe sah. Ihre dunklen Augen weite­ten sich. Bestürzt musterte sie ihn, tausend Fragen stürmten auf sie ein.

»Es war Big Jim«, murmelte Lane und machte einen unbeholfenen Schritt auf sie zu. In seinem verzerr­ten Gesicht zuckten die Muskeln. Tief lagen seine Augen in den Höhlen. Innerhalb weniger Stunden schien er um Jahre gealtert zu sein. Tiefe Linien zogen sich von seinen Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er sprach weiter — leise, losgelöst, ha­stig, als müsste er sich beeilen, alles loszuwerden: »Mein Vater und Dave sind tot. Ob Cole noch lebt, weiß ich nicht. Die Ranch ist …« Seine Knie wurden weich wie Butter. Die Betäu­bung kam wie eine graue, alles ver­schlingende Flut. Er schwankte. Lisa stützte ihn. Im Licht funkelten seine Augen wie Glas.

Lisa hatte begriffen. Schwer spürte sie Lanes Körper. »Drinnen, Lane«, flüsterte sie herb, mit vibrierender Stimme. »Du kannst uns alles im Haus erzählen. Komm.« Sie drehte den Kopf. Ihre Stimme hob sich, als sie hervorstieß: »Dad, schnell, Lane kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Du musst mir helfen!«

Clay Reed stapfte aus dem Haus. Er schaute ebenso betroffen wie seine Tochter, als er Lane aus der Nähe sah, dann aber kehrte der finstere Aus­druck in sein lederhäutiges Antlitz zu­rück. Er legte sich Lanes linken Arm um die Schultern, hielt ihn am Hand­gelenk fest und grollte: »Du siehst elend aus, Turpin, und ich habe das Gefühl, dass ich dich eigentlich zum Teufel jagen müsste. Wahrscheinlich reite ich mich bis zum Hals in den Verdruss hinein, wenn ich es nicht tue. Nun, wir werden es ja sehen.«

Sie schleppten Lane ins Haus. Schließlich hockte er auf einem Stuhl am rohen, grobgezimmerten Tisch. Zu seinen Füßen bildete sich eine Wasserlache. Sein Kinn war auf die Brust gesunken. Er hielt die Augen geschlossen.

Clay zog den Blendladen zu und schloss das Fenster. Die Lampe stand auf dem Tisch. Ihr Licht riss den karg und ärmlich eingerichteten Raum aus der Finsternis.

Lisa schnitt Lanes Hosenbein auf. Die Wunde war vom Wasser aufge­quollen, die Wundränder sahen weiß­lich und teigig aus. Ein feiner Blutfa­den, der sich mit dem Wasser auf Lanes Haut vermischte, rann heraus. Das Mädchen hatte sich noch immer nicht ganz von seinem Schrecken er­holt. Immer wieder streifte sein be­sorgter Blick Lanes Gesicht.

Clay beugte sich über die Wunde. »Die Kugel ist hinten wieder ausge­treten«, murmelte er und seine Stirn war nachdenklich gefurcht. »Ein glat­ter Durchschuss. Hol das Zeug zum Desinfizieren, Lisa, und Verbands­zeug. Er ist jung, stark und zäh. In ei­ner Woche kann er wieder rennen wie ein Hase.«

Er ging um den Tisch herum und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Weit streckte er die Beine von sich.

Und während Lisa in ein angren­zendes Zimmer lief, schnappte Clay: »Dann spuck mal aus, Lane, was es gegeben hat. Ich ahne zwar, dass der Krieg zwischen euch und der Great Sand Ranch zum Ausbruch gekom­men ist, aber ich will Einzelheiten hören.« Seinem Ton fehlten Frische und Wärme, er war sachlich und fordernd.

Lane hob das Gesicht und öffnete die Augen. Seine blutleeren Lippen bewegten sich: »Es gibt nicht viel zu berichten«, murmelte er. »Bill Forsyth hat meinen Vater erschossen und ich habe Bill Forsyth getötet. Heute Nacht kam Big Jim mit seinem Rudel auf die Bar-T. Dave starb, Cole fiel Big Jim in die Hände, die Ranch ging in Flammen auf. Ich entkam den Wöl­fen. Das ist die Geschichte, Clay.«

Lisa kam zurück. Sie kniete sich ne­ben Lane auf den Fußboden und be­gann, seine Wunde zu versorgen. Sie arbeitete stumm und sorgfältig.

»Es ist eine verdammt üble Ge­schichte, Turpin«, stieg es dumpf aus Clay Reeds Kehle. »Weshalb kommst du ausgerechnet zu mir damit?« Fast feindselig schaute er Lane dabei an.

»Vater!«, rief Lisa vorwurfsvoll und zurechtweisend und schoss Clay Reed einen vernichtenden Blick zu. »Wo­hin hätte er sich sonst wenden sol­len?« Sie hatte die Wunde mit Per­oxyd desinfiziert und verband ihn nun. Lane spürte pochenden Schmerz.

Reed zuckte nichts sagend mit den Achseln. »Er hätte wissen müssen, dass ich mich niemals einmischen werde. Ich arbeite öfter mal für Big Jim.« Seine Brauen schoben sich zusammen wie dunkle Raupen. Eine steile Falte stand plötzlich über seiner Nasenwurzel. »Und ich bin sehr dankbar dafür, dass Big Jim mich in Ruhe lässt. Darum hätte er nie her­kommen dürfen.«

»Ich bin nicht hier, um mich bei dir zu verkriechen, Clay.« Lanes Tonfall gewann an Festigkeit. »Aber ich wäre dir für einige Dinge sehr dank­bar …«

»Ich glaube nicht, dass ich auch nur einen Finger für dich krumm mache, Turpin!«, unterbrach ihn Reed eisig und unbarmherzig. Er nahm die Beine zurück, beugte sich weit über den Tisch. In seinem Blick erschien eine zornige Flamme, »Ich lasse mich von dir in nichts hineinziehen, was mich Kopf und Kragen kosten kann!«, fauchte er bissig. »Euer Krieg interes­siert mich nicht. Soll Big Jim auch mir und Lisa das Haus über dem Kopf an­zünden?«

Abrupt richtete Lisa sich auf. Ihre roten, sinnig geschnittenen Lippen verzogen sich angeekelt. »Soll das etwa heißen, Vater, dass du Lane in diesem Zustand wieder in die Nacht hinausjagen willst? Hast du denn kein Gewissen? Sind dir Ruhe und Sicher­heit mehr wert als ein Menschenle­ben?« Die Leidenschaft in ihrer Stimme erschütterte Lane.

»Natürlich, das ist mir schon klar!«, giftete Reed und funkelte seine Toch­ter an. »Du ergreifst seine Partei, weil dir der Kerl etwas bedeutet. Denkst du denn, ich habe es nicht bemerkt, dass er immer wieder nur deinetwe­gen zu uns gekommen ist? Die Blicke, die ihr gewechselt habt, waren deut­lich genug.« Sein Kopf schnellte herum zu Lane. »Denke nur nicht, Turpin, dass ich persönlich etwas ge­gen dich habe. Ganz und gar nicht.« Seine Stimme hatte wieder den sachli­chen Tonfall angenommen. »Aber wie ich Big Jim kenne, kreuzt er in spätestens einer Stunde bei mir auf, weil er nicht dumm ist und sich an fünf Fingern abzählen kann, wohin du dich gewandt hast. Und er wird mich an den Ohren aufhängen, wenn er da­hinter kommt, dass ich dir geholfen habe. Du hast nichts mehr zu verlie­ren. Aber ich! Und ich werde alles verlieren, wenn …«

Lisas entrüstetes Zischen schnitt ihm das Wort ab. Es glich dem wüten­den Zischen einer Schlange. Der Anflug von Wildheit in ihren ebenmäßi­gen Zügen ließ erkennen, dass sie kurz vor der Explosion stand. »Ich schäme mich für dich, Vater!«, sprudelte es aus ihr heraus. »Ja, es stimmt: Lane bedeutet mir etwas — er bedeutet mir eine ganze Menge. Und ich werde ihm helfen. Versuch nur nicht, mich davon abzuhalten. Ich fürchte Big Jim nicht. Wenn Lane seinen missratenen Sohn erschossen hat, dann wird er da­für einen Grund gehabt haben. Lane ist am Ende. Er ist chancenlos. Ihn sei­nem Schicksal zu überlassen wäre un­gefähr dasselbe, als würdest du ihm eine Kugel in den Kopf schießen.«

Lanes Gestalt wuchs schwerfällig in die Höhe. Schwer stützte er sich mit beiden Armen auf den Tisch. Enttäu­schung spiegelte sich in seinen ver­krampften Zügen wider. In seinem Blick woben die Schatten des Schmer­zes und der Erschöpfung. Aber da wa­ren auch Härte und Unbeugsamkeit zu sehen. »Wahrscheinlich hat dein Vater recht, Lisa«, murmelte er und seine Stimme raschelte wie altes Per­gament. »Ich darf euch nicht mit hin­einziehen. Big Jim ist unberechenbar. Und er ist voll Hass. Er wird vor nichts und niemand haltmachen. Also ver­schwinde ich.«

Reed sank wieder in seinen Stuhl zurück. Sekundenlang spürte er so et­was wie Ekel vor sich selbst. Aber die Furcht vor Big Jim in ihm überwog. »Ein kluger Entschluss«, bemerkte er grunzend und wich dem flammenden Blick seiner Tochter aus.

»Ich lasse es nicht zu!«, rief sie wie besessen.

Aber Lane winkte ab. »Ein Mann muss sich einen letzten Rest von Stolz bewahren, Lisa. Diesen Stolz aber verliert er, wenn er sich selbst zum Bettler degradiert. Ich werde niemals um etwas betteln. Weder bei Big Jim, noch bei deinem Vater. Du hast mir sehr geholfen, weil du meine Wunde versorgt hast.« Er wandte sich Reed zu. »Ich gehe, Clay. Aber ich kehre zurück. Big Jim ist mir eine Menge schuldig. Wenn er kommt, bestell es ihm.«

Reed knallte die flache Hand auf den Tisch. »Zum Teufel, Lane, ver­steh mich doch!«, rief er fast weiner­lich, was Lane seltsam berührte. »Ich habe genug gekämpft in meinem Le­ben. Jetzt bin ich alt und will meinen Frieden. Big Jim duldet mich hier nur, weil ich ihm das vierbeinige Raub­zeug von der Weide fege. Aber er wird mich davonjagen, wenn ich mich gegen ihn wende.«

Lane humpelte zur Tür. Lisa stellte sich ihm in den Weg. Entschlossene Härte zeigte sich in ihrer Miene. »Du kommst keine drei Meilen weit, Lane. Es dauert mindestens eine Woche, bis du wieder einigermaßen hergestellt bist. Ich weiß ein Versteck, wo Big Jim dich nicht findet. Dorthin bringe ich dich. Und du gehst nicht eher fort, bis du vollkommen gesund bist.«

»Du bist total übergeschnappt, Lisa!«, kreischte Reed. Seine weinerli­che Art war verschwunden. Nur die Angst vor der Zukunft beherrschte ihn. »Big Jim vernichtet uns, wenn wir ihn herausfordern!«

Lisa lächelte. Ein Zug eisiger Ver­achtung lag um ihren Mund, als sie knapp und böse sagte: »Du kannst ihm ja entgegen kriechen und dich für deine Tochter entschuldigen. Ich je­denfalls stehe auf Lanes Seite. Und mit dir bin ich fertig.«

»Aber es ist doch nur deinetwegen, Lisa!« Reed brachte es nur mühsam hervor. Vergeblich versuchte er, das Zittern in seiner Stimme zu unter­drücken. Erregt kratzte er sich am Kinn. Gefühl und Verstand lagen in ihm in zäher Zwietracht. Er musterte Lane mit einem raschen, abschätzen den Blick, dann sah er wieder auf Lisa - beschwörend, fast flehend.

Aber deren Augen verrieten nur den Widerwillen, den sie empfand. Reed blickte in ihr willensstarkes Ge­sicht, in die trotzigen Augen, und hatte plötzlich den Eindruck, dass sie die verborgensten Züge seines Wesens durchschaute. Er befand sich in einer fürchterlichen Gemütsverfassung. Schließlich überwand er seine Ängste und Befürch­tungen und flüsterte fast, als er fragte: »Was brauchst du, um aus dem Valley zu verschwinden, Turpin? Sag es mir und ich will sehen, ob ich dir es geben kann. Ehe ich Lisa verliere, will ich Big Jims Zorn in Kauf nehmen.«

»Selbst wenn er ein Pferd hätte, käme er nicht weit.« Die Anspannung war aus Lisas Miene gewichen. Fast mitleidig fixierte sie ihren Vater. Sie ahnte, welche Überwindung es ihn kostete, Lane dieses Angebot zu un­terbreiten, das ihm nichts einbringen konnte als Ärger. Ihre Stimme klang weich und gelöst, als sie fortfuhr: »Ich werde ihn in die Höhle in der Alderschlucht bringen, Vater. Dort findet ihn Big Jim niemals. Er kann da blei­ben, bis seine Wunden verheilt sind. Und dann sehen wir weiter.«

Clay Reed überlegte kurz, dann nickte er widerwillig, und es war klar, dass er wenig begeistert war von al­lem. »Einverstanden. Aber verliert jetzt keine Zeit mehr. Big Jim wird nicht lange auf sich warten lassen.«

*

Clay Reeds unheilvolle Vermu­tung ging schon bald in Erfüllung. Kaum, dass Lisa und Lane die Farm eine halbe Stunde verlassen hatten, kündete rumorender Hufschlag das Kommen von Big Jim und seiner Mannschaft an. Clay Reed erbebte in­nerlich und rang die schweißnassen Hände. Draußen bellte Rex wie be­sessen und zerrte ungestüm an seiner Kette.

Sie donnerten in den Hof und rissen ihre Pferde zurück. Der wogende Staub hüllte sie ein, verschleierte ihre Gestalten, und dennoch glaubte Clay Reed den Strom des Vernichtungs­willens, der von dem Pulk ausging, zu fühlen. Er zwang sich zur Ruhe, aber die tiefe, innere Rastlosigkeit ließ sich nicht unterdrücken.

»Reed, heh, Clay Reed!«, rollte Big Jims kräftige Stimme über den Hof. »Ich habe nur ein paar Fragen an dich! Also komm heraus aus deinem Bau.«

Mit der Laterne in der Hand verließ Reed das Haus. Angst sprang ihn an wie ein wildes Tier. Der Staub legte sich, der Lichtschein traf Big Jims ver­steinertes Gesicht. Clay Reed durchlebte ei­nen furchtbaren Augenblick und zuckte unter dem bohrenden, ste­chenden Blick Big Jims zusammen wie unter einem Peitschenhieb.

»Ich bin hinter dem Mörder meines Sohnes her, Clay!«, grollte Forsyth. »Hinter Lane Turpin!«

Reed zog den Kopf zwischen die Schultern und fühlte einen eisigen Schauer seinen Rücken hinunterlau­fen. »Großer Gott!«, würgte er her­vor. »Ihr Sohn ist …«

»Yeah, er ist tot!« Big Jim legte die Hände übereinander auf den Sattel­knopf, beugte sich vor und musterte Reed zwingend. »Lane Turpin hat ihn erschossen. Aber dieser Killer ist mir entkommen. Er hat den Fluss als Fluchtweg benutzt. Und was liegt nä­her, als dass er bei dir Hilfe gesucht hat.«

»Nein — nein!« Es kam hastig — zu hastig aus Reeds Mund. »Turpin ist nicht …« Er verschluckte sich, hustete, und wurde von dem Anfall durch und durch ­geschüttelt. Dann sprach er keuchend weiter: »Turpin war nicht hier, Mister Forsyth. Ich habe von alledem keine Ahnung. Ich habe geschlafen, bis ich Sie und Ihre Männer heranreiten hörte.« Es gelang ihm nicht, das Zit­tern seiner Hände zu unterdrücken. Der Schein der Lampe kam auf dem Boden nicht zur Ruhe.

Big Jim schürzte die Lippen. »Es gab für Turpin nur diese Möglichkeit. Er ist verwundet, hat kein Pferd, keine Ausrüstung - gar nichts.« Sein Ton wurde schneidend. »Also raus mit der Sprache, Clay - war er bei dir?«

Reed nagte an der Unterlippe. Sein Kehlkopf hüpfte nervös auf und ab. Er suchte nach Worten, bemühte sich vergeblich, seine aus der Angst gebo­rene Erregung zu verbergen und duckte sich förmlich unter Big Jims durchdringendem Blick.

»Er war also hier!«, spuckte der Rancher, wandte den Kopf und rief in John Landers Richtung: »Seht nach!« Sein Gesicht ruckte wieder herum. Mit böser Schärfe sagte er: »Es war dumm von dir, Clay, mich zu belügen.«

Reeds Schultern sackten nach un­ten. Er hielt den Atem an, versank in einer Welle des verzehrenden Schreckens und schlug die Augen nie­der.

»Das wirst du bereuen, Clay!«, geißelte ihn wieder die unerbittliche, gnadenlose Stimme. »Ich werde dich mit der Peitsche aus dem Valley ja­gen!«

John Landers hatte zwei Reitern einen Wink gegeben. Sie sprangen von den Pferden und liefen ins Haus. Drinnen flammte Licht auf, als sie Streichhölzer anrissen. Dann versank der Raum wieder in der Finsternis und sie stürmten nach draußen. »Er war da!« rief einer. »Auf dem Boden ist eine riesige Pfütze.« Sie liefen zu ih­ren Pferden.

»Was hast du dazu zu sagen, Clay?«, fragte Big Jim sanft, tödlich sanft. Ein kaltes Lauern trat in seine Pupillen.

»Bei Gott, Mister Forsyth, was sollte ich tun?«, jammerte Reed und trat von einem Bein auf das andere, druckste herum und wand sich förm­lich unter dem zwingenden, durch­bohrenden Blick des Ranchers. »Er kam zu mir. Ich hatte von nichts den blassesten Schimmer. Er war verwun­det und ich stellte keine großen Fra­gen. Wir …« Er stockte und verbes­serte sich: »Ich habe ihn verbunden und dann bat er mich, ihm ein Pferd zu leihen. Ich hatte keinen Grund, ihm diese Bitte abzuschlagen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er vor Ih­nen auf der Flucht war.«

»O doch, du hast es gewusst. Ein Mann wie du stellt Fragen, Clay. Tur­pin hat es dir gesagt. Und dennoch hast du ihm geholfen. Ist das der Dank dafür, dass ich dich hier all die Jahre leben ließ?«

»Ich …« Das Grauen schüttelte Reed und lähmte seine Stimmbänder. Die Hoffnung, ungeschoren davonzu­kommen, platzte wie eine Seifen­blase.

»Turpin hat dir sicher auch gesagt, wohin er sich wenden wird.« Big Jim schielte zum Haus hinüber, als erwar­tete er etwas Bestimmtes. Seine Au­gen verkrallten sich wieder an Reed. »Spuck es schon aus, Clay. Oder müs­sen wir es aus dir herausprügeln?«

»Er — er hat fast überhaupt nicht gesprochen, wirklich. Er hatte es höl­lisch eilig, und kaum, dass ich seine Wunde verbunden hatte, sattelte er das Pferd und ritt fort wie der Teu­fel.«

»Wo ist deine Tochter? Warum lässt sie sich nicht sehen?«

Reed räusperte sich, als müsste er sich die Kehle freimachen, ehe er ant­wortete. In Wirklichkeit versuchte er, Zeit für eine glaubhafte Erklärung zu gewinnen. Rau rief er: »Lisa ist in der Stadt, bei ihrer Freundin Betty Miller.«

»Lass mal im Pferdestall nachsehen, Landers!«, presste Forsyth hervor.

»Ben!«, ertönte John Landers' auf­fordernde Stimme.

Der Gerufene lief los. Schweigen senkte sich über die Farm. Nur das Stampfen der Pferde, ihr Schnauben und das Knarren von Sattelzeug durch­brach es. Abwartende, drohende Spannung füllte die Atmosphäre, und Reed konnte sie kaum noch ertragen. Sein Blick streifte Big Jims düsteres Gesicht.

Der Cowboy kam zurück. »Im Stall steht ein einziger Gaul, Boss«, berich­tete er. »Ein Schecke.»

»All right, Clay«, stieg es grollend aus Big Jims Kehle, und in seiner Stimme schwang eine tödliche Dro­hung mit. »Du hast mich genug belogen. Eigentlich bewundernswert die­ser Mut, mit dem du versuchst, Lane Turpin die Flucht zu ermöglichen. Jetzt aber wird es verdammt bitter für dich. Yeah. Ich weiß, dass du vier Pferde besitzt. Und ich bin überzeugt, dass deine Tochter den jungen Turpin begleitet und dass sie ein Packpferd mit Vorräten mit sich führen.« Er presste sekundenlang die Lippen zu­sammen. Dann setzte er gedehnt hinzu: »Jeder im Valley weiß, was es mit deiner Tochter und Lane Turpin auf sich hat. Meinen Jungen ließ sie abblitzen. Mir war das nur recht. Denn Bill hätte etwas Besonderes verdient gehabt als eine Lisa Reed. Aber jetzt ist mein Sohn tot - und deine Tochter hilft seinem Mörder. Gebt es diesem Narren!« Er lachte leise, wie besessen auf.

Clay Reeds Fassung zerbrach. Er warf sich herum, um ins Haus zu flie­hen. Aber er trat auf den Saum seines langen Nachthemdes und stolperte. Die Lampe entglitt ihm, zerschellte auf dem Boden und verlosch. Reed lag auf den Knien. Das Entsetzen schnürte ihm die Luft ab. Mahlende Schritte näherten sich ihm schnell. Und dann rissen ihn unbarmherzige Fäuste in die Höhe.

*

Sie ritten stumm durch die Nacht. Zunächst ging es über fruchtbares Grasland, das von Buschgürteln zer­schnitten war und über dem der Duft des blühenden Salbeis hing. Später wurde das Gelände immer wieder von wild übereinander getürmten Felsgruppen unterbrochen, und je hö­her sie kamen, desto steiniger wurde der Boden, umso karger die Vegeta­tion. Sie befanden sich in den Ausläu­fern der Felswildnis im Osten, die sich schwarz und drohend in der Ferne ge­gen den Sternenhimmel abhob. Buckelige Felsen zwangen sie zu Umwegen. Geröllhalden schwan­gen sich zu beiden Seiten nach oben.

Unbeirrt folgten sie dem ansteigenden Weg über kahle Felsterrassen. Ir­gendwann ritten sie durch einen Canyon. Bäume wuchsen auf seiner Sohle. Es waren Erlen, die der Schlucht ihren Namen gegeben hatten. Der Wind rauschte in ihren Kronen. Das Gur­geln eines Baches, der sich zwischen dem Geröll ein Bett, ausgewaschen hatte, begleitete sie. Kühle Luft strömte ihnen entgegen. Die Geräu­sche muteten in der Schlucht eigenar­tig dumpf, klingend und melodiös an.

Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Lisa sich zurecht. Sie ritt bis zu einem Einschnitt in der Wand und lenkte ihr Pferd hinein. Ein steiler Pfad führte bergan. Sie zügelte das Tier. Lane verhielt ebenfalls. Sie sagte: »Am Ende dieses Pfades findest du die Höhle, Lane. Es gibt nur diesen Zugang. Ich entdeckte sie vor einigen Jahren, als ich mit meinem Vater hier auf der Jagd war. Du bist da oben so sicher wie in Abrahams Schoß. Du hast Proviant für eine Woche und brauchst die Höhle nicht zu verlas­sen.«

»Kommst du nicht mit hinauf?«, fragte er dumpf.

»Nein. Ich muss zurück. Big Jim fackelt nicht lange. Ich habe Angst um meinen Vater. Nachdem ich mit dir geritten bin, hat er sicher versucht, Big Jim auf eine falsche Fährte zu locken. Was aber ist, wenn Jim Forsyth sich mit den Erklärungen Dads nicht zufrieden gibt? Du hast am eigenen Leib erfahren, wie teuflisch er sein kann.«

»Allerdings«, sagte er knurrend. »Aber es ist überhaupt nicht sicher, dass Forsyth bei euch nach mir sucht.«

Sie lachte gallig auf. »Wo sonst, wenn nicht bei uns. Der Fluss führt ge­nau an unserem Haus vorbei. Und im Fluss bist du ihnen entwischt. Du darfst Big Jim nicht unterschätzen.«

»Warum bleibst du nicht bei mir?« Lane versuchte, durch die Finsternis in ihrem Gesicht zu lesen. Es gelang ihm nicht. Aber er glaubte die Unrast zu spüren, die sie ausstrahlte. Sie sprang wie ein Funke auf ihn über.

»Soll ich meinen Vater im Stich las­sen?«, entfuhr es ihr schroff.

Betreten biss Lane die Zähne zu­sammen. Seine Schultern strafften sich. »Oh, verdammt, in was habe ich euch bloß hineingezogen?« Seine Stimme war nur noch ein kratzendes Geflüster, die Stimme eines Mannes, der den Tod bereits die Knochenfaust nach sich ausstrecken sah.

Lisa schwieg. Und dieses Schwei­gen traf Lane mehr als alle Worte es vermocht hätten. Ihn beschlich ein kaltes Gefühl — ein Gefühl, das ihm körperliches Unbehagen bereitete. »All right, Lisa. Wenn ich mich stark genug fühle, verschwinde ich für einige Zeit. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll für alles, was du für mich getan hast. Jedenfalls wirst du von mir hören. Und irgendwann kehre ich zurück, um Jim Forsyth zur Rechen­schaft zu ziehen.«

Er fühlte durch die Dunkelheit ih­ren Blick voll Schwermut und Sorge auf sich gerichtet. Plötzlich zog sie ihr Pferd herum und trieb es neben das seine. Steigbügel an Steigbügel ver­harrten sie. Er fühlte ihre erregende Nähe. Schlicht und einfach sagte sie: »Ich habe es für dich getan, weil ich dich liebe, Lane. Das weißt du auch. Aber jetzt habe ich Angst um meinen Vater, und ihn liebe ich ebenfalls. Das ist so, und du wirst es verstehen.«

»Wie willst du ihm beistehen, wenn sich deine Befürchtungen bewahrheiten sollten?«, schnappte er. In sein Denken begannen sich erneut die bit­tersten Vorwürfe einzunisten, weil er Clay Reed und Lisa einer Gefahr aus­gesetzt hatte, die überhaupt nicht ein­zuschätzen war.

»Nicht einmal Big Jim kann es wa­gen, Hand an eine Frau zu legen«, er­widerte sie herb.

»Darauf vertraust du?«, entrang es sich ihm ungläubig und zweifelnd.

Sie beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn. »Mach dir keine Sorgen«, raunte sie dann mit Wärme im Tonfall. »Auch ein Mann wie Jim Forsyth kann sich über die ungeschriebenen Gesetze unseres Landes nicht hin­wegsetzen. Wenn er erfährt, dass wir dir geholfen haben, wird er uns hassen, und mein Vater verliert seinen Job als Raubtierjäger. Nun, vielleicht versucht er sogar, uns zu vertreiben. Ich hänge nicht an der Farm. Und so alt ist mein Vater auch wieder nicht, dass er nicht noch einmal von vorne anfangen könnte.« Sie gab sich Mühe, zuversichtlich zu klingen, aber ihrer Stimme fehlte die echte Hoffnung. Nach diesen Worten schwieg sie, weil sie er­kannte, dass sie sich selbst etwas ein­redete, dass sie sich völlig falschen Il­lusionen hingab.

Deutlich fühlte Lane die Resigna­tion, die in ihrem Tonfall gelegen hatte. Es durchlief ihn heiß und kalt. Wenn ihm die Konsequenzen seiner Flucht auf Reeds Farm in ihrer ganzen Tragweite noch immer nicht so recht ins Bewusstsein gerückt waren, so traf ihn die Wucht der Erkenntnis nun mit aller Schärfe. Um sein Leben zu ret­ten hatte er womöglich Clay Reeds Leben zerstört — und damit auch das Leben Lisas. Es wurde ihm mit er­schreckender Klarheit bewusst, senkte sich wie schleichendes Gift in sein fieberndes Hirn und ließ ihn nicht mehr los.

»Mein Gott, Lisa, ich …«

»Schweig!« Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. »Mein Vater kennt die Höhle nicht. Ich habe ihm zwar davon erzählt, aber mehr, als dass sie sich in der Alderschlucht be­findet, weiß er nicht. Du hast also nichts zu befürchten. Wenn du die Höhle verlässt, folge der Schlucht nach Osten. Du wirst nach Crestone gelangen, einem kleinen Nest in den Bergen. Von dort aus kannst du mich benachrichtigen.«

»Würdest du mir noch einen Gefal­len tun, Lisa?«

»Wenn es in meiner Macht steht - sicher.«

»Sag Tex Dudley, wo er mich fin­den kann.«

»Auf ihn wird Big Jim ein beson­ders scharfes Auge werfen«, streute Lisa ihre Zweifel aus.

»Tex ist kein Anfänger.«

»In Ordnung. So long, Lane, und - good luck. Pass auf dich auf!« Sie trieb ihr Pferd an. Lane wollte nach ihr greifen, sie impulsiv festhalten, aber sie war schon außer Reichweite.

»Ich komme zurück, Lisa!«, rief er. Es klang wie ein Schwur. »Ich komme wieder …« Seine Stimme verhallte in der Nacht. Tackender Hufschlag entfernte sich. Mit gemischten Gefüh­len lauschte er ihm nach. Er spürte das Unheil, das Verhängnis, dem Lisa ent­gegen ritt, tief in seiner Seele. Nur sel­ten zuvor hatte Lane sich in einer ähn­lich fürchterlichen Stimmung befun­den wie in diesen Sekunden. Es war das nagende Empfinden, dass die Schlingen eines tückischen, grausa­men Schicksals nicht nur ihm, sondern auch Lisa und ihrem Vater den Todesstoß versetzen wollten. Ein grenzenloses Gefühl der Angst um sie, aber auch des Alleinseins, der ab­soluten Einsamkeit und Hoffnungslo­sigkeit kam in ihm auf, das so stark wurde, dass er in einen regelrechten Taumel verfiel.

*

Der Taumel ging vorüber, die Er­nüchterung kam. Der Hufschlag war nur noch fern und verschwommen zu vernehmen. Lane starrte den Pfad hinauf, der von fast senkrechten Fels­wänden gesäumt wurde. Es war fin­ster hier wie im Schlund der Hölle, und nur ganz weit oben war ein Streifen des samtenen Nachthimmels zu sehen.

Nur ein Zugang!, sinnierte er düster. Falls Clay Reed nicht stark genug war, sich Big Jims Fragen nach mir zu widerset­zen, dann sitzt du dort oben fest, wenn sie kommen. Wenn Reed auch die genaue Position der Höhle nicht kennt - es reicht, wenn er ihnen sagt, dass sie sich in der Alderschlucht be­findet.

Schwer trug er an seiner Unent­schlossenheit. Das Hufgeklapper war verklungen. Irgendwo in den Felsen schrie ein Käuzchen. Schrill und un­heimlich. Seine Zukunft lag ebenso dunkel und undurchsichtig vor Lane wie der Felsenpfad. Sein Pferd schnaubte. Das Packtier stimmte pru­stend ein.

Er spann seine Überlegungen fort: Eine Woche kannst du dich dort oben halten. Vor allen Dingen kannst du mit einem Gewehr und der Munition, die du hast, die Höhle gegen eine ganze Armee verteidigen. Aber was ist dann? Dein Proviant wird zu Ende gehen, du wirst kein Wasser mehr haben, und dann musst du aufgeben oder sie kommen dich holen oder du knallst dir selber eine Kugel ins Hirn. Hell and damnation, es ist zum Ver­zweifeln!

»Hüh!« Er zog sein Pferd herum und verließ die Felsspalte. Es war mehr das Unterbewusstsein, das ihn dirigierte, nicht aber der bewusste Wille. Alles in ihm sträubte sich dage­gen, die Höhle aufzusuchen, die für ihn zur tödlichen Falle werden konnte. Er ritt tiefer in die Schlucht hinein. An einem kleinen See, der von dem Bach gespeist wurde, hielt er an. Eine Gruppe von Zedern reichte bis zur nördlichen Felswand. Ihr Zweig­werk filterte das Mondlicht, das nur schwach auf den Grund der Schlucht drang, und ließ die ruhige, glatte Oberflä­che des Teiches glitzern wie flüssiges Silber.

Lane schlug sein Lager zwischen den Bäumen auf. Bald lag er auf sei­ner Decke. Die Kälte der Nacht griff nach ihm, schien aus dem Boden und durch seine Kleidung zu kriechen. Sein letzter Gedanke galt Lisa. Die Sorge um sie elektrisierte ihn noch einmal und ließ ihn hochschrecken, zog ihm förmlich die bleischwere Mü­digkeit aus dem Gehirn und ließ ihn schneller atmen. Aber dann versank die Welt um ihn herum. Er verfiel in tiefen Schlaf.

*

Der Morgen graute, als Lisa die Farm erreichte. Farblos und verwit­tert schälten sich die Hütten aus dem Dunst. Nichts deutete darauf hin, dass etwas anders sein könnte als vor wenigen Stunden, ehe sie mit Lane fort­geritten war. Und dennoch glaubte sie den Pulsschlag der Gefahr zu fühlen, der sie streifte wie ein böser Atem und der sie unwillkürlich das Pferd zügeln ließ.

Aber da war nur das gleichmäßige Rauschen des Flusses, das Winseln von Rex, der ihre Witterung aufge­nommen hatte, der ewige Wind, der vom Wasser heraufwehte. Nach ei­nem Schenkeldruck ging das Pferd weiter. Es trug Lisa in den Hof. Ihr entging nicht, dass der Staub von Hu­fen zerwühlt war. Rex, der Schäfer­hund, fing an zu bellen. Sein dumpfes Gebell warnte Lisa. Ihr Herz schlug höher.

Sie saß ab, ließ ihren Blick schwei­fen. Nichts! Warum kommt Vater nicht vor die Tür? Er muss doch hören, dass ich zurück bin. Der Magen krampfte sich ihr zusammen. Sie zog das Pferd über den Hof. Aus dem Stall drang Hufgestampfe. Lisa registrierte es und begriff, dass es nicht nur ein Pferd sein konnte, das im Stall rumorte. Jä­her Schreck griff nach ihr mit eiskal­ten Händen. Die Kälte war plötzlich nicht nur mehr äußerlich. Sie drang tief in ihr Innerstes ein und blockierte sekundenlang ihr Denken. Unwill­kürlich griff sie nach dem Gewehr, mit einem Ruck bekam sie es aus dem Scabbard. Aber da wurde die Stalltür aufgeworfen. Zwei Männer glitten ins Freie. Sie nahmen eine drohende Hal­tung ein. Und vom Wohnhaus her sprang Lisa eine klirrende, rasiermesserscharfe Stimme an: »Du hast lange auf dich warten lassen, Lisa. Wir wa­ren nahe daran, die Geduld zu verlie­ren.«

Sie wirbelte herum, der Gewehrkolben flog an ihre Hüfte, ihre Gestalt krümmte sich vor Anspannung.

In der Haustür lehnte Big Jim. Er hielt die Arme vor der Brust ver­schränkt. Im diffusen Licht wirkte er groß, kantig und Ehrfurcht gebietend. Hinter dem Fenster war eine Bewe­gung wahrzunehmen. Es wurde hoch­geschoben, John Landers lehnte sich heraus. Mit beiden Armen stützte er sich auf die Fensterbank. In seinem knochigen Gesicht stand ein schiefes Grinsen. Aus dem Heuschuppen tra­ten drei Kerle. Breitbeinig standen sie im Hof, die Daumen in die Patronen­gurte gehakt, aufreizend und lässig. Rex ließ nur noch ein vereinzeltes Bellen hören, rannte erregt vor seiner Hütte hin und her und hechelte. Hin und wieder stieg ein zorniges, be­drohliches Grollen aus seiner Kehle.

Lisa war eingekreist. Sie zwang sich zur Ruhe. Die Männer betrachteten sie wie Wölfe, die ihr Opfer endlich gestellt hatten. Hart umkrampften ihre Hände das Gewehr. Sie sah die fei­xenden Mienen, das hämische Ge­grinse, und die Sorge um ihren Vater überwältigte sie. Aber da peitschte Big Jims metallisches Organ: »Das Gewehr runter! Wenn du auch nur ei­nen einzigen Schuss abgibst, behan­deln wir dich wie einen Mann und du frisst unser Blei!« Er fixierte sie mit ei­nem feindseligen Blick, der zuweilen die Härte von Stahl annahm. Um sei­nen Mund lag ein hässlicher Zug.

Lisa fasste sich ein Herz und rief, ohne dem Befehl nachzukommen: »Wenn ihr meinem Vater auch nur ein Haar gekrümmt habt, dann wer­den Sie dafür bezahlen, Forsyth. Ihre Männer werden mich vielleicht er­schießen. Aber Sie sterben vor mir.«

Big Jims Brauen zuckten in die Höhe. Wut zerriss seine Züge. Er löste seine Arme aus der Verschränkung und trat aus der Tür. »Nimm nur den Mund nicht so voll!«, zischte er gehäs­sig. »Du hast den Mörder meines Soh­nes in Sicherheit gebracht. Und das stellt dich mit ihm auf eine Stufe. Du hast von mir keinerlei Rücksicht zu erwarten. Darüber will ich dich von vornherein nicht im Unklaren las­sen.«

Lisa war bei seinen Worten toten­blass geworden. Sie zitterte am gan­zen Körper. Big Jim registrierte es mit zynischer Genugtuung. Aber mit ei­nem Schlag kehrte die Farbe in ihr Gesicht zurück. Angewidert rief sie: »Ja, ich habe Lane Turpin geholfen, Forsyth, nachdem Sie mit Ihrem revolverschwingenden Haufen die Bar-T Ranch dem Erdboden gleichge­macht und seine Brüder getötet ha­ben.« Ihre Sicherheit war zurückge­kehrt. Sie wurde in diesen Augenblicken völlig von ihren Gefühlen be­herrscht und fixierte den Rancher mit einem Blick, in dem sich Verachtung und Leidenschaft vermischten.

Big Jim musterte sie, als zweifelte er an ihrem Verstand. Das Gewehr in ihren Händen, die kreisrunde Mün­dung, die wie ein hohles Auge auf seine Brust gerichtet war - das beein­druckte ihn kaum. Aber dass sie ihm sein Unrecht schonungslos und ohne jeden Respekt ins Gesicht schleuderte, dass sie ihm Abscheu und Ver­achtung zeigte, das traf ihn und brachte sein Blut zum Sieden. Aber noch beherrschte er sich. Seine zornverdunkelte Stimme grollte Unheil­ verkündend:

»All right, Lisa Reed. Dein Vater hat zwar eine ganze Menge ausge­spuckt, aber das Entscheidende war nicht aus ihm herauszukriegen. Ich weiß, dass ihr Turpins Wunde behan­delt und dass ihr ihn eingekleidet, mit Waffen, Munition, Pferden und Pro­viant versorgt habt, und ich weiß, dass du ihn in ein sicheres Versteck ge­bracht hast. Was ich nicht weiß, ist die Lage dieses Ortes, an dem der Hunde­sohn sich nun seine Wunden leckt und darüber nachdenkt, wie er sich an mir rächen kann. Du wirst es mir sagen. Auf der Stelle!«

»Eher erschieße ich Sie!«, keuchte sie. »Ich will jetzt zu meinem Vater. Ich will sehen, was ihr mit ihm ge­macht habt.«

»Wo ist das Versteck, Lisa?«, fragte der Rancher gedehnt.

»Gehen Sie zur Seite!«, fauchte das Mädchen und ruckte auffordernd mit der Winchester.

Plötzlich aber wurde sie von hinten gepackt. Ein kräftiger Arm schlang sich unbarmherzig um ihren Hals, mit einem Ruck wurde ihr die Winchester aus den Händen gerissen. Ihr betroffener Aufschrei erstickte im Ansatz, sie wand sich in dem gnadenlosen Griff und spürte die Panik, die in ihr hochspülte. Heißer Atem streifte ih­ren Nacken, sie trat nach hinten, ent­lockte dem Burschen, der sich lautlos, mit der Geschmeidigkeit eines Pu­mas, an sie herangeschlichen hatte, aber nur ein ironisch-bissiges Lachen.

Mit wenigen langen Schritten war Big Jim heran. Bretterhart landete sein Handrücken auf ihrer Wange. Sie versteifte. »Lass sie los!«, röhrte Big Jims Bass. Der Bursche versetzte ihr einen leichten Stoß und trat zurück. Lässig legte er sich Lisas Gewehr auf die Schulter. Aus dem Haus kam John Landers. Big Jims Hand traf noch ein­mal klatschend Lisas Gesicht. Er kannte keine Gnade, kein Erbarmen. Ihn regierten nur blindwütiger Hass und verzehrende Rachsucht. Ihm war jedes Mittel recht, seinen Wünschen und Absichten Geltung zu verschaf­fen. Seine Augen waren eng gewor­den, zwischen den Lidschlitzen fun­kelte es tückisch. Er begann sich in ei­nen Rausch hineinzusteigern, der dem Bewusstsein seiner Macht und Überlegenheit entsprang.

Lisas Kopf flog auf die Seite, der Schlag brannte auf ihrer Wange wie Feuer. Aber er riss sie aus ihrer Lähmung. Sie duckte sich, spreizte die Finger, und es sah aus, als wollte sie im nächsten Augenblick Big Jim an die Kehle fahren.

Der Kopf des Ranchers flog herum. »Bringt Reed in den Hof!«, schnarrte er.

Landers hob zum Zeichen dafür, dass er verstanden hatte, die Hand und stapfte zurück ins Haus. Lisas ge­bannter Blick folgte ihm. Jeder Mus­kel ihres Gesichts wirkte straff und angespannt. Jede Linie darin verriet die Qualen, die sie durchlitt. Mühsam kämpfte sie um ihre Fassung. Der lauernde, tückische Ausdruck in Big Jims Miene ließ schlimme Ahnungen in ihr aufwallen.

Und als sie ihren Vater sah, traf es sie wie ein Schwall eisigen Wassers. Erschrocken hob sie eine Hand vor den Mund. Sein zerschlagenes und blut­verschmiertes Gesicht kündete vom Wahnsinn brutalster Gewalt. Er konnte sich kaum mehr auf den Bei­nen halten. Die verzweifelte Hilflo­sigkeit in seinem verschleierten Blick war erschütternd. Gnadenlos schleu­derte John Landers ihn in den Staub. Sein Kopf rollte auf die Seite, seine Finger verkrallten sich im Boden. Ein Zucken lief durch seinen Körper, sei­nem Mund entrang sich ein ersterben­des Röcheln.

»Dad!« Lisa stürzte zu ihm hin, warf sich auf die Knie, nahm seinen Kopf in beide Hände und starrte wie hypnoti­siert in das von brutalen Fäusten ge­zeichnete Gesicht. Es war nur noch eine zur formlosen Masse verschwollene Grimasse mit Platz- und Schürf­wunden und blauschwarzen Blutergüssen.

Er sah sie mit den verängstigten Augen eines Tieres an, das die Schlachtbank witterte. Seine aufgesprungenen Lippen öffneten sich. Seine Stimme kam erschreckend schwach, als er sprach: »Ich habe ih­nen das Versteck nicht verraten, Lisa. Aber sie werden weitermachen. O mein Gott, sie sind schlimmer als wilde Bestien.«

Lisa spürte eine harte Hand auf ih­rer Schulter. Sie wollte sie abschüt­teln. Der Griff wurde eisenhart. In der Tiefe ihrer Augen war nichts als das nackte Entsetzen. Mit dem zitternden Atemzug lähmender Verzweiflung, der aus ihrer Brust strömte, löste sich ein Aufschrei von ihren trockenen Lippen.

Unerbittlich zerrte Big Jim sie in die Höhe. Der Kopf ihres Vaters ent­glitt ihren Händen und sank kraftlos in den Staub. Die Männer der Great Sand Ranch bildeten nun einen Kreis um sie, ihren Vater und Big Jim. Sie waren ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein Krampf überlief ihr bleiches Antlitz. Ihr Blick schien von irgendwoher in die Wirklichkeit zu­rückzukehren. Sie rang nach Luft, versuchte zu begreifen, was sie so­eben gesehen hatte und fühlte, dass sie wohl nicht die Kraft haben würde, gegen diesen Strom von vernichtender Brutalität anzuschwimmen. Sie stöhnte auf, schluchzte und schlug die Hände vor das Gesicht. Ein Weinkrampf schüttelte sie.

»Wo hat Turpin sich verkrochen?«, peitschte Big Jims zerspringende Stimme.

Ihre Arme hingen schlaff herab. Sie sah ihn an, und die Besessenheit in seinem Blick erschreckte sie. Aber sie erkannte auch, dass sie die Flinte nicht ins Korn werden durfte, wenn nicht alles umsonst gewesen sein sollte. Sie fasste sich. Unter Aufbietung aller Willenskraft befreite sie sich von Angst und Schrecken. Ihr Wider­standsgeist loderte noch einmal auf.

»Suchen Sie ihn, Forsyth!«, rief sie mit klarer, präziser Stimme, furchtlos und trotzig. »Von mir erfahren Sie je­denfalls nicht, wo Lane sich versteckt hält. Jagen Sie Ihre Gunslingerbande in die Sättel und lassen Sie das Land nach ihm durchkämmen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei.«

»Ist das dein letztes Wort, Lisa Reed?«, schnappte Big Jim böse.

»Nein. Etwas will ich Ihnen noch sagen: Ich danke Gott, dass es mir ge­lungen ist, Lane Turpin vor Ihnen in Sicherheit zu bringen. Ich habe da­durch einen weiteren Mord verhin­dert. Ihr Sohn hat nicht viel getaugt, Forsyth. Er war verkommen, er war durch und durch schlecht. Und wenn Lane es nicht getan hätte, wäre er irgend­wann von einem anderen Mann ge­rechterweise getötet worden. In Alamosa war keine Frau vor ihm sicher. Und schon so mancher Ehemann hat geschworen, Bill Forsyth umzubrin­gen, weil er seine Frau in einer Art und Weise belästigte, die zum Him­mel schrie. Er …«

»Schweig!«, brüllte der Rancher in einem Anfall jäher Wut. Die Umste­henden zuckten zusammen. Sein Ge­sicht nahm fast tierische Züge an. Ein hässliches Funkeln stieg aus der Tiefe seiner Augen.

»Die Wahrheit ist schwer zu ertra­gen - ich weiß«, fuhr Lisa ungerührt fort. Ihre Miene veränderte sich nicht, blieb gleichmäßig kühl, und ihrem Tonfall war nicht mehr die geringste Erre­gung anzuhören. »Aber es ist nun mal die Wahrheit«, setzte sie hinzu, »und Sie werden sie akzeptieren müssen. Ihr Sohn war nichts wert. Im Übrigen hat Lane ihn in Notwehr erschossen. Nur schade, dass Charles Turpin noch seiner Niedertracht zum Opfer fiel.«

Big Jims Gesicht hatte sich von ei­ner Fratze des glühenden Hasses in eine Grimasse der namenlosen Un­gläubigkeit verwandelt. Sein röcheln­des Keuchen war Ausdruck seiner Sprachlosigkeit. Aber dann kam der Zorn zurück, jäh und wild wie eine Sturmwoge. Dick schwoll seine Hals­schlagader an. Er nahm seinen lodern­den Blick von Lisa und richtete ihn auf ihren Vater, der vor ihm im Staub lag. Es war ein Blick voll Wahnsinn, Mordlust und Teufelei.

»Meine Peitsche, John! Ich will ihm das Fleisch von den Knochen schlagen - und sie wird mir sagen, wo ich Lane Turpin finde!«

Sogar die hart gesottenen, abge­brühten Burschen ringsum schien plötzlich ein Frösteln zu erfassen. So manche Stirn umwölkte sich, so man­che Hand ballte sich in hilfloser Ohn­macht zur Faust. Ein jeder kannte Big Jims Unduldsamkeit - und keiner wollte Opfer seiner wechselvollen Stimmung werden. Also verschwand einer der Cowboys im Pferdestall. und als er wieder herauskam, trug er die zusammengerollte Bullpeitsche.

Ein Schrei staute sich in Lisa, das Entsetzen tobte in ihr wie eine Sturmböe. Ihr Selbstbewusstsein war zer­brochen. Furcht, kalt und stürmisch wie ein Blizzard, ergriff sie. »Nein!«, stieß sie hervor. »Großer Gott …«

Big Jim entriss dem Cowboy die Peitsche. Seine Rechte umklammerte den Stiel, dass die Knöchel weiß her­vortraten. Der Riemen fiel in den Staub, bewegte sich in Schlangenli­nien. Der Arm zuckte hoch. Pfeifend wurde die Luft zerschnitten. Der Bann fiel von Lisa und sie sprang Big Jim an, klammerte sich an seinen Arm und schrie wie von Sinnen. Clay Reed bäumte sich am Boden auf. Aber der Riemen traf ihn nicht. Er riss eine Staubwolke in die Luft. Mit einem verlöschenden Gurgeln fiel Reed wie­der zurück.

John Landers sprang hinzu. Er packte Lisa am Hemd und zerrte sie zurück. Der Stoff krachte und riss. So­fort stürzte das Mädchen sich wieder auf Big Jim. Der hatte Front zu ihr eingenommen und wehrte sie mit ei­nem ungestümen Herumschleudern des Armes ab. Lisa flog in den Staub. Aber mit dem Mut der Verzweiflung kam sie sofort wieder hoch. Wirr hin­gen ihr die Haare in die Stirn. Ihr Mund stand halb offen, auf ihren Wangen zeichneten sich noch die Ab­drücke von Big Jims Fingern ab, in ih­ren Augen war ein irres Flackern.

Big Jim hatte sich wieder Clay Reed zugewandt. Und wieder pfiff die Peit­sche durch die Luft. »Aufhören!« Li­sas Stimme überschlug sich. »Lane befindet sich in der Alderschlucht! Bei allen Heiligen — hören Sie auf!« Sie sank auf die Knie, krümmte den Rücken, drückte ihr heißes, brennen­des Gesicht in die Handflächen und wurde von hemmungslosem Weinen geschüttelt.

Big Jims Arm mit der Peitsche sank herab. Der unerbittliche Mann warf John Landers einen triumphierenden Blick zu. »Ich wusste es doch, dass sie klein beigeben wird!«, kam es mitleid­los und ohne jede Gemütsregung über seine Lippen. »Auf die Pferde, Leute - zur Alderschlucht!«

*

Als Lane erwachte war es hell. Er hatte tief und traumlos geschlafen und fühlte sich wie neugeboren. Aber das Ziehen und Stechen in seinem Oberschenkel und das Brennen auf seiner Wange von dem Streifschuss erinnerten ihn schlagartig wieder an die schrecklichen Geschehnisse des vergangenen Tages. Er schälte sich aus seiner Decke, erhob sich und reckte Arme und Schultern, um seine ver­krampften Muskeln und Sehnen zu lockern.

Die beiden Pferde standen zwi­schen den Erlen und zupften an dem taufeuchten Gras, das hier wuchs. Der Packsattel mit dem Proviant lag am Boden. Seinen Sattel hatte Lane als Kopfkissen benutzt.

Er ging steifbeinig zum See und war bemüht, sein Gewicht auf das unver­letzte Bein zu verlagern. Bei jedem Schritt klatschte das Halfter mit dem langläufigen 45er gegen seinen Ober­schenkel. Sein Handgelenk streifte den Knauf. Er wusch sich das Gesicht, strich sich mit den gespreizten Fin­gern durch die dunklen Haare und schaute sich um. Am Tage sah dieser Platz weitaus freundlicher aus als in der Nacht, in der ihm die Schlucht vorgekommen war wie ein riesiges Grab des Schweigens.

Sein Blick wanderte die Felswände hinauf. Sie klafften oben weit ausein­ander und der Himmel spannte sich azurblau über ihnen. Lane stakste zum Packsattel und suchte sich ein Frühstück zusammen. Er fand Kaffee­pulver, eine Kanne und eine Tasse aus Blech, die zwar schlimm verbeult war, die aber ihren Zweck erfüllen würde.

Bald flackerte ein kleines Feuer. Über zwei Astgabeln, die er in den Boden gerammt hatte, hing der Topf mit Wasser an einem Stock. Lane schaute an sich hinunter. Ein bitteres Lächeln zerpflügte sein hohlwangi­ges, stoppelbärtiges Gesicht. Die Hose, die ihm Clay Reed geborgt hatte, kniff und zwickte erbärmlich und umspannte seine Beine wie eine zweite Haut. Sie reichte nur bis knapp über die Knöchel.

Vorsichtig ging er in die Hocke. Versonnen starrte er in die Flammen. Der lang schwelende Zwist zwischen der Bar-T und der Great Sand Ranch war mit alptraumhafter Grausamkeit eskaliert. Lane hielt den Atem an. Vor seinen Augen wirbelte eine wirre Folge von grellen Bildern. Bilder, die sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatten. Bitterkeit und tiefer Schmerz überschatteten sein Gesicht. Er spürte das Unheil tief in seiner Seele. Gut, er hatte Bill Forsyth getötete. Aber es war in Notwehr geschehen. Außer­dem hatte Bill den Tod verdient. Lane dachte ohne besondere Regung dar­über nach, und die kalte Gelassenheit, mit der er Bill Forsyths Tod akzep­tierte, erschreckte ihn selbst.

Er schlürfte den heißen Kaffee. Dazu kaute er trockenes Brot und kalten Speck. Um ihn herum war Vogelgezwitscher. Das Feuer brannte lang­sam herunter. Er hatte bald gefrüh­stückt und führte die Pferde zur Tränke. Tageswärme kroch in die Schlucht. Lane fühlte sich kräftig ge­nug, um diesen Platz zu verlassen. Die Ungewissheit, was Coles Schick­sal betraf, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Eines war sicher: die Great Sand Mannschaft hatte nicht auf Cole geschossen. Big Jim wollte ihn lebend. Also bestand die Möglichkeit, dass Cole noch am Leben war.

Er dachte an Lisa. Ihrer Ansicht nach sollte er eine Woche in diesem Canyon bleiben. Eine Woche! Die Ungewissheit würde ihn umbringen. Unvermittelt erfasste ihn Unrast, eine Unruhe, die ihn mehr und mehr zu be­herrschen begann, die sein ganzes Denken und Sinnen überlagerte.

Er entschloss sich von einem Au­genblick zum anderen. Bald standen die Pferde unter den Sätteln. Und ge­rade, als Lane sich auf den Pferderücken schwingen wollte, vernahm er entferntes Hufgetrappel. Er nahm den Fuß wieder aus dem Steigbügel und lauschte nach Westen. Er hatte sich nicht geirrt. Es war Hufschlag, der durch die Schlucht klapperte, und es war das Echo, das sein Gehör er­reichte, lange bevor er die Reiter se­hen konnte.

Ein Schimmer des Begreifens huschte über sein Gesicht. Da kamen Big Jim und seine Sattelwölfe. Und da Lisa ihnen niemals freiwillig verraten hätte, wo er sich versteckt hielt, be­gann er die furchtbare Wahrheit zu ahnen.

Er konzentrierte seine Aufmerk­samkeit wieder auf den Hufschlag. Es musste ein ganzes Rudel sein, das Big Jim für die Jagd auf ihn mobilisiert hatte. Das Hämmern der Hufe schwoll schnell an und weitete sich aus zu einem unheilvollen Grollen, als würde ein Gewitter heraufziehen, und bald schlug es wie eine brausende Brandungswelle zu ihm her.

Hau ab, Lane!, dachte er. Noch hast du genügend Zeit!

Er handelte mit kaltblütiger Über­legung. Eiserne Entschlossenheit zeigte sich in seiner Miene. Ehe er floh, wollte er Big Jim noch einen Denkzettel verpassen. Scharfe Linien kerbten sich in seine Mundwinkel. Er holte die Winchester aus dem Scabbard, riegelte eine Patrone in den Lauf, führte die Pferde tiefer in das Gehölz hinein und leinte sie an. Dann verließ er den Platz mit dem kleinen See. Seine Blicke tasteten durch die Schlucht und suchten eine geeignete Deckung. Er durfte sich nicht allzu weit von den Pferden entfernen. Denn nur schnelle Flucht würde ihn am Ende vor der Übermacht der Great Sand-Mannschaft retten können. Er wusste es und handelte trotzdem wider alle Vernunft.

Er postierte sich hinter einem yard­hohen Felsbrocken und spähte ange­strengt und abwartend über den obe­ren Rand hinweg in den Canyon hin­ein. Und er sagte sich mit einem grim­migen Lächeln um die Lippen, dass sich Big Jim seiner Sache sehr sicher sein musste, nachdem er jedwede Vor­sicht außer acht ließ. Erwartete Big Jim etwa, einen halbtoten Mann auf­zustöbern, den jeder Kampfgeist ver­lassen hatte?

Lanes Lächeln verstärkte sich. Er würde den unbeugsamen Despoten eines Besseren belehren. Er dachte es im selben Moment, als der Hufschlag abrupt abbrach. Sein Lächeln ver­wischte. Sein Gesicht spiegelte äußer­ste Anspannung wider, seine Gedan­ken vollführten Sprünge. Die unheilschwangere, angespannte Stille be­gann an seinen Nerven zu zerren. Ahnte Big Jim die Gefahr, die bei dem kleinen See mitten in der Schlucht lauerte? Hatte er sich etwa darauf eingestellt, dass ihn anstelle eines halbto­ten Mannes heißes Blei erwartete? Lane schimpfte sich einen Dumm­kopf, weil er nicht geflohen war. Diese Chance hatte er leichtfertig ver­tan. Seine Sinne arbeiteten mit dop­pelter Schärfe. Die Schlucht bot tau­send Möglichkeiten, sich anzupir­schen und ihn einzukreisen.

Schleichende Kälte kroch von La­nes Zehenspitzen hoch, zog durch seine Beine und schien sich in seinen Eingeweiden einzunisten. Die Stille war wie eine stumme Warnung vor Tod und Untergang. Und Lane konnte die Augen nicht länger vor der Tatsache verschließen, dass er sich selbst Big Jim ans Messer geliefert hatte. Er zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Die Aussichtslosigkeit seiner Lage wurde ihm bewusst. Aber in ihm war keine Furcht. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Und er würde seine Haut so teuer wie nur möglich verkaufen.

*

Lane schien ganz ruhig und er­weckte den Eindruck, als ob ihn die knisternde Spannung, die ihn umgab, nicht berührte. Nur seine Augen fun­kelten hellwach. Sein Blick tastete sich die zerklüfteten Felswände mit Nischen, Simsen und Vorsprüngen hoch. Lane hoffte, dass keiner der Kerle auf die Idee kam, irgendwo in der Wand Position zu beziehen und ihn von oben unter Beschuss zu neh­men.

Minuten reihten sich in zäher Lang­samkeit aneinander. Und plötzlich vernahm Lane ein klirrendes Ge­räusch, als Metall gegen Gestein stieß. Es hing sekundenlang in der Luft und versank wieder in der Stille. Nun erst bemerkte Lane, dass das Vogelgezwitscher verstummt war. Er nahm eine flüchtige Bewegung am Fuß der südli­chen Felswand wahr, starrte auf das Gebüsch, durch dessen Äste eine Er­schütterung ging, die niemals von dem lauen Wind herrühren konnte, der durch die Schlucht zog. Der Lauf der Winchester wanderte etwas herum, Lane legte sie auf den Stein­brocken und visierte den Busch an.

Aber er schoss nicht. Er wartete nur ab, war angespannte Aufmerksam­keit. Und für ein paar Momente lang sah er aus den Augenwinkeln an der Nordwand ebenfalls eine geduckte Gestalt entlang huschen. Er reagierte nicht schnell genug. Ehe er das Ge­wehr in die neue Richtung anschlagen konnte, war sie in einer Felsnische verschwunden. Er richtete sein Au­genmerk wieder auf das Gestrüpp. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, dann musste der Bursche doch irgend­wann wieder zum Vorschein kom­men.

In der Tat. Ein Mann schob sich vor­sichtig hinter dem Strauchwerk her­vor. Lane identifizierte ihn als James Dembrow. Er kannte jeden der Reiter Big Jims vom Namen. Dembrow hielt sich eng an der Felswand und ließ seine nervösen Blicke in die Runde schnel­len. Schritt für Schritt tastete er sich voran, und er hatte sicherlich nicht den Hauch einer Ahnung, dass er über Kimme und Korn einer Winchester beobachtet wurde. Er reckte den Hals, hob den Arm und gab seinem Gefährten auf der gegenüberliegenden Canyonseite ein Zeichen. Lane nahm den Kopf herum und sah den anderen Burschen aus der Felsnische gleiten. Er bewegte sich mit lautloser Ge­schmeidigkeit, und Lane vermutete, dass Big Jim die zwei Kerle vorausge­schickt hatte, um die Lage zu erkun­den.

Der Bursche an der Nordwand be­wegte sich dicht am Fels entlang. Im Gegensatz zu Dembrow hatte er sei­nen Colt in der Faust. Er nutzte den Schatten und die Felsvorsprünge ge­schickt aus. Dembrow näherte sich Lanes Stellung auf ähnliche Weise. Sie verschwanden aus seinem Blick­feld, tauchten wieder auf, verschwan­den aufs Neue …

Lanes Vermutung wurde zur Gewissheit. Big Jim ging kein Risiko ein. Es war anzunehmen, dass er diese Schlucht kannte und dass er Lane am See wähnte. Und diese beiden Figu­ren sollten auskundschaften, wie groß die Gefahr war, die von ihm ausging.

Well, Freunde, ich werde euch ei­nen gehörigen Strich durch die Rech­nung machen!, versprach Lane den Bur­schen in Gedanken. Denn wenn er die beiden Burschen geräuschlos un­schädlich machen konnte, dann eröff­nete sich ihm noch einmal eine Chance zur Flucht.

Sein Körper beschrieb eine halbe Drehung. Er nahm die Winchester herunter und schätzte die Entfernun­gen. Dembrow, der an der Südwand entlangschlich, würde den kleinen See zuerst erreichen. Er sah ihn gerade wieder hinter einem Felsbrocken her­vorgleiten. In grimmigem Entschluss zog Lane sich zurück. Der Felsen, der ihm Schutz geboten hatte, verbarg ihn auch weiterhin vor ihren Blicken. Bei einer Buschgruppe legte er sich flach auf den Bauch und robbte, die Ellenbogen wie Ruder benutzend, hinein. Er kam auf der anderen Seite wieder heraus und bewegte sich nach links. Einmal verharrte er, lugte durch das Zweiggeflecht, konnte aber nichts erkennen. Er kroch weiter. Noch ver­bargen ihn die Büsche vor unliebsa­men Blicken. Aber dann erreichte er das Ende des Buschstreifens. Fünf­zehn Schritte bis zum Teich, fünfund­zwanzig bis zu dem Erlenwäldchen, in dem er seine Pferde versteckt hatte. Seine Wunde meldete sich wie­der mit pulsierendem Ziehen. Sein Blick suchte Dembrow. Der war noch etwa fünfzig Yards von dem kleinen See entfernt. Er schien etwas in seiner Wachsamkeit nachgelassen zu haben, denn er bewegte sich ziemlich schnell und ließ viele Deckungen aus.

Vor den Blicken des anderen Great Sand Reiters würde ihn der Buschgür­tel schützen. Er musste sich ungefähr auf der Höhe Dembrows befinden und war somit von Lane mehr als dop­pelt so weit entfernt.

Sie verständigten sich wieder durch Handzeichen. Jetzt hatte auch Dem­brow den Revolver gezogen. Gleich musste er wieder hinter dichtem Ge­büsch verschwinden. Es reichte bis an die Felswand heran. Dembrow würde seine ganze Aufmerksamkeit aufwen­den müssen, um sich nicht durch zurückschnellende Äste oder knackende Zweige zu verraten. Wenn sie auch nicht wissen konnten, ob er sich überhaupt noch hier befand – sie mussten damit rechnen. Und darum waren sie höllisch auf der Hut.

Es war soweit. Dembrow schlüpfte in das Gestrüpp und verschwand aus Lanes Sichtkreis. Wie von Furien ge­hetzt robbte er los, kroch wie eine Schlange durch Geröll und über In­seln harten Grases und erreichte die ersten Erlen, unter deren Laubdach Licht und Schatten wechselten und den Eindruck erweckten, als befände sich der Boden in ständiger Bewe­gung.

Atemlos hielt Lane an. Seine Lun­gen pumpten. Sein Herz schlug einen aufgeregten Takt. Es hätte auch ins Auge gehen können. Er arbeitete sich tiefer in das Gehölz hinein, umrun­dete seine Pferde, die verborgen im Buschwerk zwischen den alten Stäm­men friedlich grasten, und erreichte die Felswand, an der Dembrow ent­langkommen musste. Er presste sich in einen engen Felsspalt und atmete nur noch ganz flach.

Der Bursche kam. Zuerst war es nur das Schaben von rauem Hosen­stoff, das ihn ankündete. Dann zer­brach mit leisem Knacken ein dünner Ast unter seinem Tritt, und schließlich ver­nahm Lane seinen gepressten Atem. Er bewegte sich direkt auf Lane zu und hatte das Gesicht zur anderen Schluchtseite gerichtet, als suchte er Sichtkontakt mit seinem Gefährten. Der aber pirschte wahrscheinlich ge­rade durch den Buschstreifen, der auch Lane als Schutz gedient hatte.

Lane lachte boshaft und spöttisch in sich hinein. Dembrow schob sich in sein Blickfeld. Er trat auf ihn zu und ließ ihn kerzengerade in die Mündung der Winchester blicken. Der Mann wurde steif wie ein Brett, der Schock ließ ihn den Mund aufklappen, und seine Augen weiteten sich vor Betroffenheit und Überraschung. Einen schrecklichen Augenblick lang starrte er in die Mündung, und ehe er zur Be­sinnung kommen konnte, schlug Lane mit dem Lauf zu. Ohne einen Ton von sich zu geben sackte Dembrow zu­sammen. Lane entwaffnete ihn und schob sich den Colt in den Hosenbund. Dann zog er dem Cowboy den Leibriemen aus der Hose und fesselte ihm die Hände, zuletzt schob er ihm sein eigenes Halstuch als Knebel in den Mund.

Er setzte sich den Hut des Bewusstlosen auf. Geduckt, den Schmerz in seinem Bein unterdrückend, huschte er von Baum zu Baum, bis er den Rand des Gehölzes erreicht hatte, in dem sich der zweite Kundschafter Big Jims nähern musste.

Der Weidereiter verharrte am Ende des Buschgürtels und äugte her­über. Lane richtete sich hinter einem Baum, der seine Gestalt fast ganz ge­gen den Blick des anderen ab­schirmte, auf und schwenkte den ver­knautschten, durchgeschwitzten Hut, den er soeben erbeutet hatte. Mit gedämpftem Tonfall rief er: »Alles klar! Er ist längst verduftet. Die Luft ist rein!«

Der Bursche schien sich einen Au­genblick lang nicht entschließen zu können, aber schließlich richtete er sich auf und spurtete über die freie Fläche, als traute er dem Frieden doch nicht so recht. Und er begriff die Ge­fahr in dem Moment, als er zum Sprung in das Wäldchen ansetzte und Lane hinter dem Baum hervortrat. Aber er war nicht mehr in der Lage, diesen letzten, kraftvollen Satz abzu­bremsen, der ihn in den Schutz der Bäume bringen sollte. Ein bestürzter Aufschrei entrang sich ihm, er landete und wollte sofort herumfedern, aber da rammte ihm Lane schon die Mündung in den Bauch und zischte: »Fallen las­sen und keinen Laut mehr!« Seine Stimme kam hart und düster und eine tödliche Drohung schwang in ihr mit.

Der Bursche japste nach Luft. Nur langsam löste sich der Schreck aus sei­nen Gesichtszügen. Er bekam den Aufruhr seiner Empfindungen in den Griff, schielte auf die Winchester, um deren Abzug Lanes Zeigefinger lag und an der jeder Widerstand zerbrechen musste, und schnappte mit herausgepresstem Atem: »Hölle, Turpin, du hast mich hereingelegt.«

»So ist es, Tucker. Aber jetzt wirf deine Kanone fort. Es wird mir nichts ausmachen, dich zum Teufel zu schicken. Schließlich hast du es selbst her­ausgefordert.«

Die Hand des Cowboys öffnete sich. Das Schießeisen fiel zu Boden.

»Gut so, Tucker. Du wirst mir jetzt drei Fragen beantworten. Und ich rate dir, mich nicht anzulügen. Wie viel Mann seid ihr?«

»Was hast du mit Dembrow ge­macht?«, versetzte Tucker, ohne auf Lanes Frage einzugehen.

Lane runzelte ungeduldig die Stirn und verstärkte den Druck mit der Winchester. »Den habe ich schlafen gelegt. Also, wie viele?«

»Acht. Big Jim eingeschlossen. Die anderen habt ihr auf eurer Ranch ge­tötet oder kampfunfähig geschos­sen.« Tucker hatte seine Angst über­wunden und starrte Lane herausfor­dernd an.

»Und Forsyth hat seine Wut an Cole ausgelassen, wie?«, kam wie aus der Pistole geschossen Lanes zweite Frage. Er starrte Tucker zwingend an, mit einem Ausdruck, der diesem jäh vor Augen führte, dass Lane zum Letz­ten entschlossen war. Und aus der Winchester konnte jeden Augenblick das tödliche Blei rasen. Es durchfuhr Tucker wie ein Blitzstrahl. Er schluckte und würgte hervor:

»Big Jim hat deinen Bruder mit der Peitsche halb totgeschlagen. Er wollte ihn für alle Zeit zerbrechen. Und das ist ihm sicher auch gelun­gen.« Stoßweise, tonlos und abge­hackt war es aus Tuckers Mund ge­quollen. Sein Blick wurde flehend. Denn Lanes jäh veränderter Gesichts­ausdruck ließ in ihm Todesangst hochschießen.

Ungebändigter Hass brach aus Lanes Augen, er verzerrte sein Gesicht und zerfraß sein Denken. Und in die­sen Sekunden wäre er sicher fähig ge­wesen, einen Mord zu begehen. Aber er hatte sich in der Gewalt. Die Flamme in seinem Blick erlosch, seine Züge glätteten sich wieder. Stockhei­ser presste er hervor: »Und was ist mit Lisa und ihrem Vater? Hat er sie etwa auch mit seiner Peitsche drangsaliert, bis sie ihm verrieten, dass ich mich in der Alderschlucht verkrochen habe?«

Tucker schüttelte den Kopf. »So weit kam es nicht. Als er anfangen wollte, die Peitsche zu schwingen, verriet Lisa es ihm freiwillig. Er ver­sprach, Clay Reed das Fleisch von den Knochen zu schlagen.«

Wieder wollten Lane die Gefühle übermannen, wieder beherrschte er sich im letzten Augenblick. »Und wo befindet sich Cole jetzt?«, knirschte er.

»Wir haben ihn liegenlassen.«

Jetzt wusste Lane Bescheid. Er war erleichtert und erschüttert zugleich. Wie weit durfte ein Mann wie Jim Forsyth eigentlich noch gehen, ehe ihm jemand Einhalt gebot? Er spürte plötzlich die wilde Gier, den heißen Wunsch, Big Jims unerbittlichem Treiben auf der Stelle ein Ende zu set­zen. Er brauchte sich nur auf die Lauer zu legen und zu warten. Ein wohlgezielter Schuss aus dem Hinterhalt — aus.

Er riss sich gewaltsam von diesem Gedanken los. Er war kein feiger Mörder. Er würde Big Jim auf seine Art zur Rechenschaft ziehen.

»Gut, Tucker, du hast mir sehr ge­holfen«, murmelte er, und seine Miene war jetzt vollkommen ausdruckslos. »Du wirst sicher verste­hen, dass ich Zeit gewinnen muss, um euch abzuhängen. Tut mir leid.« Er wirbelte die Winchester herum, und ehe Tucker auf irgendeine Art reagieren konnte, krachte ihm der Lauf gegen die Schläfe. Der Schlag schickte ihn gnadenlos zu Boden.

Lane hob Tuckers Colt auf und humpelte zu seinen Pferden. Dort verstaute er die beiden Schießeisen in der Satteltasche, dann saß er auf. We­nig später fegte er im gestreckten Ga­lopp durch die Schlucht. Und nichts hielt den Strudel auf, in den er hinein­gerissen worden war.

*

»Auf die Gäule!«, kreischte Big Jim und warf sich in den Sattel. Deutlich schallte der prasselnde Hufschlag heran. Big Jim platzte fast vor Unge­duld und Rachedurst. »Beeilt euch, verdammt!« Er bändigte sein unruhi­ges Pferd mit hartem Schenkeldruck. Schließlich aber ließ er die Zügel schießen. Unbarmherzig drosch er dem Tier die Sporen in die Seiten. Das Pferd raste los.

John Landers folgte ihm, und schließlich donnerte auch der Rest der Mannschaft hinterher. Vier mürri­sche, erschöpfte Männer, die hungrig waren und deren Kampfgeist erlahmt war. Aber sie gehorchten, weil sie Big Jim und John Landers fürchteten.

Sie stoben in halsbrecherischer Karriere zwischen den himmelstür­menden Felswänden entlang, und nach wenigen Minuten lagen der kleine See und das Erlenwäldchen vor ihnen. Big Jim riss sein Pferd auf die Hanken zurück. Das Tier stieg, drehte sich wie ein Kreisel und wieherte trompe­tend. John Landers parierte ebenfalls sein Pferd und sprang aus dem Sattel. Er lief zu Tucker hin, der am Rand des Gehölzes lag und nicht zu übersehen gewesen war, bückte sich über ihn und sah die Beule an seinem Kopf. Langsam hob er das Gesicht und schaute zu Big Jim hoch, der düster den bewusstlosen Cowboy musterte.

»Der Hundesohn ist zäher als ich annahm«, stieß er dumpf hervor. »Aber wir kriegen ihn. Er gehört nicht zu der Sorte, die den Schwanz ein­zieht und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.«

»Wir könnten ihn noch einholen«, gab Landers zu verstehen und drehte sein Ohr in den Wind, lauschte dem sich entfernenden Hufgetrappel.

Big Jim wendete sein Pferd. Sein Blick flog über die vier Cowboys hin­weg und er knurrte: »Irgendwo in die­sem Gestrüpp muss Dembrow liegen. Sucht ihn.« Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und schritt sattelsteif und müde zum See, schöpfte mit beiden Händen das frische Wasser und wusch sich das staubverkrustete Gesicht.

Tucker rührte sich. Landers rüttelte ihn an den Schultern. Der Cowboy schlug die Augen auf. Verständnislos starrte er Landers an, aber dann kam die Erinnerung. Er hob den dröhnen­den Kopf und verzog das Gesicht. »Oh, verdammt!«, gurgelte er. »Turpin hat uns hereingelegt wie blutige Anfänger.« Er quälte sich in eine sit­zende Stellung, Landers war ihm be­hilflich. Tuckers Hand tastete über die Beule an seiner Schläfe. »Zuerst hat er Dembrow ausgeschaltet, und dann ließ er mich in die Mündung seiner Winchester blicken. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich umge­legt.«

Raue Stimmen schallten heran, als die Cowboys Dembrow fanden. We­nig später schleppten sie ihn aus den Büschen. Sie hatten ihn von den Fes­seln befreit und ihm den Knebel aus dem Mund gezogen. Dembrow war ziemlich benommen, aus einer Platz­wunde rann Blut über sein Gesicht. Big Jim fixierte ihn gleichgültig und gestand sich widerwillig ein, dass er Lane Turpin unterschätzt hatte. Es war sein Fehler, einfach in den Canyon zu reiten und sich darauf zu ver­lassen, dass Turpin viel zu sehr am Ende war, um ihnen viel entgegenset­zen zu können.

Landers' Stimme drang in seine Ge­dankengänge und riss ihn aus seiner Versonnenheit. »Er hat Tucker nach seinem Bruder gefragt«, rief der Vor­mann. »Es ist anzunehmen, dass er auf dem Weg zur Bar-T ist, weil er ihn dort zu finden hofft. Wir können vor ihm dort sein.«

Big Jims Gestalt straffte sich. Er nickte. »Wir werden vor ihm dort sein!«, gab er mit Entschiedenheit zu verstehen, und das Böse, das Verhängnisvolle, schien ihn wieder zu umgeben. Er wollte zu seinem Pferd gehen, aber in seinen ersten Schritt hinein schmetterte ein Schuss. Er zerfetzte die Stille im Canyon wie ein Kanonenschlag. Die Kugel ließ vor Big Jims Stiefelspitze das Erdreich spritzen, und oben, über dem Rand des Canyons, stieg eine kleine Wolke von Pulverrauch empor. Das Echo röhrte die Schlucht entlang und ließ den fernen Hufschlag von Lane Turpins Pferden untergehen.

Big Jim war erschreckt zurückge­sprungen. Verstört schaute er nach oben. John Landers schrie gellend: »In Deckung, Boss!«, und zerrte Tucker in die Höhe, der vollkommen verwirrt zu sein schien. Die Cowboys packten Dembrow und schleiften ihn kurzer­hand in den Schutz der Büsche zwi­schen den ersten Baumstämmen. Colts flirrten aus den Halftern, klickend bewegten sich die Trommeln eine Kammer weiter, als die Hähne gespannt wurden.

Ein zweiter Knall, wieder wölkte ein Rauchball über dem Canyonrand in die Höhe, wieder schlug das Ge­schoss direkt vor Big Jims Stiefeln in den Boden. Und endlich kam Leben in seine vierschrötige Gestalt. Mit ei­ner Behändigkeit, die man diesem wuchtigen Mann niemals zugetraut hätte, hetzte er in das Gehölz.

Die Detonation verrollte. Es fiel kein weiterer Schuss. »Von Turpin können diese Schüsse nicht gekom­men sein«, ertönte John Landers' raues Organ. »Der flieht nach Osten, als säße ihm der Leibhaftige im Genick!«

»Richtig!«, antwortete der Rancher und spähte aus engen Lidschlitzen nach oben. Er überlegte scharf, plötz­lich lachte er trocken auf, als wäre ihm die Erleuchtung gekommen. »Ich fresse meinen Hut, wenn uns nicht Clay Reed gefolgt ist, um sich für die Prügel zu rächen, die wir ihm verab­reicht haben.« Er bog einen Zweig zur Seite, um besser sehen zu können. Seine Mundwinkel sanken nach un­ten. »Wenn es Reed ist, dann werde ich ihm endgültig das Fell über die Ohren ziehen!«, schloss er.

»Ich tippe mehr auf die Kleine, Boss«, vermutete Landers und spuckte zur Seite aus. »Reed war sicher nicht in der Lage, auf ein Pferd zu steigen und uns zu folgen. Außer­dem ist er nicht mutig genug, um uns den Krieg zu erklären. Aber Lisa — ich habe in ihren Augen gelesen, als wir von der Reed-Farm ritten.« Viel ­sagend verstummte Landers.

»Dann holen wir uns die Göre!«, schnarrte Big Jim. »Wahrscheinlich ist ihr Mut nach den beiden Fehlschüs­sen verraucht. Wir schnappen sie uns. Vorwärts, Leute!«

Er brach aus den Büschen, rannte zu seinem Pferd und warf sich in den Sattel. Seinen Männern blieb nichts anderes übrig, als es ihm gleich­zutun. Auch Dembrow und Tucker schwangen sich auf ihre Pferde. Ohne jede Ordnung preschten sie davon. Der hassvolle Blick Lisas folgte ihnen über den Rand der Schlucht hinweg. Als sie aus ihrem Blickfeld ver­schwunden waren, nahm sie mit beiden Händen die Winchester hoch und starrte böse darauf. Die Zieleinrich­tung stimmte nicht mehr. Der Cow­boy, der ihr das Gewehr abgenom­men hatte, schleuderte es, ehe sie fortritten, gegen die Stallwand. Des­halb hatte sie Big Jim verfehlt. Und sie wusste, dass er nun eine Hetzjagd auf sie veranstalten würde, die sich in nichts von seinem Kesseltreiben auf Lane Turpin unterschied.

Das Gewehr war unbrauchbar ge­worden, vielleicht noch gut genug für einen Zufallstreffer. Also war Lisa so gut wie waffenlos. Enttäuscht lief sie zu ihrem Pferd. Mit der Ernüchterung kam das Erschrecken über ihre eigene Courage. Sie hatte sich vom mörderi­schen Hass hinreißen lassen, nachdem Big Jim, ehe er mit seinen Leuten die Farm verließ, sie aufgefordert hatte, innerhalb von vierundzwanzig Stun­den aus dem Great Sand Valley zu verschwinden, da er andernfalls bluti­gen Ernst machen würde. Und die Angst um Lane gesellte sich ihrem Hass hinzu. Aber hätte sie zulassen dürfen, dass Big Jim ihren Vater noch schlimmer zerbrach? Nein! Es trieb sie in den Sattel. Und dann hatte sie den höllischen Ranchboss vor der Mündung. Sie wollte ihn nicht töten. Ihre Absicht war es gewesen, ihm das Knie zu zerschmettern, um ihn für den Rest seines Lebens die Hölle durchmachen zu lassen, die er all den Männern bereitet hatte, die er im Laufe der Zeit auf diese oder jene Weise zerbrochen hatte.

Es war fehlgeschlagen. In das Fege­feuer ihrer quälenden Gedanken ver­sunken kletterte Lisa in den Sattel. Die Winchester versenkte sie im Sat­telschuh. Ihre einzige Genugtuung war die Tatsache, dass Lane Big Jim und seinen Sattelwölfen entkommen war.

Der trommelnde Hufschlag der Great Sand-Pferde stieg an den Canyonwänden in die Höhe. Lisa trieb ihren Braunen an. Irgendwo im Gewirr des Felslabyrinths war Lane untergetaucht. Sie musste versuchen, ihn einzuholen.

Das Gelände war auf eine Entfer­nung von einer Meile tafelflach. Lin­ker Hand öffnete sich wie ein riesiger, klaffender Riss der Canyon. Am Ende der Ebene senkte sich das Terrain ab­wärts. Rechter Hand, im Süden also, ragten die erhabenen Proportionen bizarrer Felsgebilde zum seiden­blauen Himmel. Und im Osten, im blauen Dunst schwimmend, erhoben sich hinter einer weitläufigen Senke bewaldete Hügel, deren Kulisse kah­ler Fels bildete.

Der natürliche Pfad, dem Lisa folgte, bohrte sich schließlich zwi­schen haushohe Felsen und senkte sich immer steiler nach unten. Das Pferd musste sich gegen das Gefälle stemmen. Hin und wieder schlitterte es ein Stück hangabwärts. Die Hufe hinterließen auf dem Gestein helle Kratzspuren. Lisa hielt die Zügel kurz und bewies, dass sie eine hervorra­gende Reiterin war.

Der Weg gabelte sich. Nach rechts stieg er an und verschwand im Gewirr der Felsen, nach links führte er weiter in die Tiefe. Noch konnte sie nicht in den Abgrund hinunterblicken. Ihr schauderte davor, denn sie befand sich in schwindelerregender Höhe, und wenn die Felsen zu ihrer Linken aufhörten, fiel die Wand fünfzig Yards steil zur Sohle des Canyons ab. Der Blick zurück war ihr verbaut. Aber sie wusste, dass Big Jim und seine Männer nicht vor einer halben Stunde den Aufstieg schaffen konnten. Er­neut überkam sie ein Gefühl tiefer Genugtuung. Big Jim handelte blind­wütig und ließ sich nur von seiner Be­sessenheit und seinem Vernichtungs­willen leiten. Indem er sie hetzte, verschaffte sie Lane einen ausreichenden Vorsprung. Und sie kannte diese Gegend wie ihre Hosentasche.

Aber dann traten die Felsen linker Hand zurück, der Abgrund fiel senk­recht ab. Das Pferd scheute und Lisa saß ab. Vorsichtig führte sie das Tier in die Tiefe, immer darauf bedacht, festen Stand zu haben und keinen Blick hinunter zu werfen. Steine lö­sten sich, rollten über den Fels­rand und zerschellten unten auf Felsgestein, und das scharfe Geräusch des Aufpralls stieg nach oben.

Aber Lisa schaffte es. Mit zittern­den Beinen kam sie unten an. Als sie zurückschaute, sah sie weit hinten, ganz klein und kaum auszumachen, die Reiter, die oben am Rand des Canyons entlangzogen. Kalte Ironie ließ sie das Gewehr aus dem Futteral ziehen. Sie jagte einen Schuss zum Himmel, schwang die Waffe über ih­rem Kopf, sprang in den Sattel und jagte davon.

*

Der Widerhall der Schüsse hatte Lane eingeholt. Abrupt zügelte er sein Pferd. Das Packtier kam automa­tisch zum Stehen. Lane horchte hinter sich. Keine weiteren Schüsse fielen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Also zuckte er mit den Ach­seln und ritt weiter. Aber er trieb die Pferde nun nicht mehr so hart an. Vielleicht war er auf ihre Kraft und Ausdauer noch angewiesen. Und hinter ihm blieb alles ruhig. Unwillkür­lich fragte er sich, ob Big Jim etwa aufgegeben hatte. Er verwarf diese Hoffnung, kaum dass er sie zu Ende gedacht hatte. Die Jagd würde weiter­gehen.

Der Canyon schien nicht enden zu wollen. Die Hitze begann zwischen den Wänden zu brüten. Eine Stunde war seit den beiden Schüssen vergan­gen, als erneut fernes Aufpeitschen heranwehte. In Lanes Miene arbeitete es angestrengt. Irgendetwas begann im Hintergrund seines Bewusstseins zu lauern, etwas, das ihn plötzlich zu­tiefst beunruhigte. Es entzog sich sei­nem Verstand, aber er fühlte, dass es drohend war. Gedanken kamen und gingen, düstere Gedanken, die den ei­nen oder anderen Kurzschluss in sei­nem Bewusstsein auslösten und wie­der im Dunkeln versanken.

Sie werden sich geteilt haben und verständigen sich von Zeit zu Zeit mit Schüssen!, zuckte es durch seinen Ver­stand. Unsinn! Solange sie sich im Canyon bewegen, können sie sich gar nicht aus den Augen verlieren. Aber was, beim Satan, bedeuten dann die Schüsse? Sie ballern doch nicht zum Spaß ihr Blei ins Blaue hinein.

Impulsiv wendete er sein Pferd. Er wollte es herausfinden. Langsam ritt er den Weg zurück. Das Packpferd trottete hinterher. Ein unerklärlicher Zwang trieb Lane.

Lane ritt angespannt, wachsam und vorsichtig. Eng an der Felswand such­te er sich einen Weg. Vielleicht war er ein Narr, weil er umgekehrt war. Aber in ihm saß eine seltsame Unru­he, die ihm sein Handeln vorschrieb. Immer wieder hielt er an und lauschte. Nichts. Er blickte zum Himmel. Dem Stand der Sonne nach zu schließen musste es später Vormittag sein. Wei­ter!

Als er wieder einmal nach vorne horchte, vernahm er Hufschläge. Er lenkte sein Pferd in einen engen Seitencanyon und wartete. Ein Gaul wurde im höllischen Tempo durch die Schlucht gejagt. Das Getrappel prallte immer lauter heran und artete aus zum hämmernden Stakkato. Schließ­lich sah er den Reiter. Sengend fuhr es ihm bis unter die Haarwurzeln. Es war Lisa! Weit auf den Pferdehals ge­beugt donnerte sie dahin.

Fasziniert starrte Lane auf das Bild, das sich ihm bot. Doch dann trieb er seine Pferde aus der Deckung. Lisa sah ihn, riss ihr Tier zurück, griff nach der Winchester — und erkannte ihn. Befreit atmete sie auf. Der Reitwind hatte ihr Gesicht gerötet und ihr das Wasser in die Augen getrieben. Ein tiefes Gefühl der Erleichterung wallte in ihr hoch. Die Anspannung ihrer an­gestauten Gefühle ließ nach.

»Lane!«, rief sie und bog ihren Rücken durch. »Gott sei Dank!«

Es war ihm noch nicht gelungen, seine Betroffenheit über ihr unver­mutetes Auftauchen völlig abzustrei­fen. »Du lieber Himmel - Lisa!« Ver­wunderung prägte seine Miene. Er fuhr sich über die Augen und blinzel­te. Dann zügelte er bei ihr das Pferd. Beklemmung kroch in ihm hoch. »Ist etwas passiert?« Seine Stimme klang belegt. »Von Tucker weiß ich, dass Big Jim deinen Vater mit der Peitsche schlagen wollte, bis du mein Versteck preisgibst. Aber Big Jim brauchte die Peitsche nicht zu schwingen. Hat Tucker mich etwa angelogen?« Er starrte sie an, als hätte er die Antwort von ihrem Gesicht ablesen können.

Sie sagte betrübt: »Tucker hat dir nur die halbe Wahrheit erzählt, Lane. Als ich von der Alderschlucht zurück­kehrte, erwarteten sie mich. Sie über­wältigten mich. Dann schleppte Lan­ders Dad in den Hof. Er war nur noch ein zusammengeschlagenes Bündel Elend, das sich nicht mehr von alleine auf den Beinen halten konnte. Wahr­scheinlich haben sie das letzte, was ein Mann an Stolz in sich haben muss, aus meinem Vater herausgeprügelt.« Sie brach bitter ab, nickte, hob in hilf­loser Geste die Hände, die die Zügel umkrampften, und ließ sie wieder sin­ken. »Den Rest hat Tucker richtig wiedergegeben.« Ihr Gesicht verschloss sich. »Ich habe dich verraten, Lane, weil ich meinem Vater helfen musste. Aber dann bin ich ihnen hinterher geritten, um dir beizustehen. Ich habe auf Big Jim geschossen. Lei­der stimmt das Visier meiner Winche­ster nicht mehr.«

»Vielleicht war es gut so«, murmel­te Lane, der aus ihren Worten schloss, dass sie Big Jim töten wollte. »Du hät­test damit leben müssen. Und du wärst wahrscheinlich nie darüber hinweggekommen.« Er biss die Zähne zu­sammen. Scharf traten seine Backen­knochen hervor. Seine Augen ver­dunkelten sich. »Big Jim hat auch bei meinem Bruder die Peitsche ge­schwungen. Wenn Tucker nicht über­trieben hat, dann hat er auch Cole für alle Zeit zerbrochen. Sie haben ihn hilflos auf der Bar-T liegenlassen.«

»In der Zwischenzeit wird Tex Dudley zurückgekehrt sein und sich um Cole kümmern«, vermutete sie.

»Darauf kann ich mich nicht verlas­sen, und darum will ich selbst nachse­hen. Tex ist zwar ein prächtiger Bur­sche und ein hervorragender Cow­boy, aber es ist nicht sein Kampf. Viel­leicht ist ihm der Boden unter den Fü­ßen zu heiß geworden und er ist, nachdem er den Sheriff in Alamosa benachrichtigt hat, gar nicht mehr auf die Bar-T zurückgekehrt. Ich könnte ihm nicht einmal gram sein, wenn er fortgeritten wäre.«

»Tucker wird Big Jim berichten, dass du dich nach Cole erkundigt hast. Big Jim wird eins und eins zu­sammenzählen und dir auf der Bar-T einen Hinterhalt legen. Mein Gott, Lane, du musst jetzt an dich denken. Wenn du tot bist, kannst du Cole auch nicht mehr helfen.« Ihre letzten Wor­te waren beschwörend und eindring­lich gekommen.

»Nein, Lisa. Ich muss zu Cole. Big Jim macht keine halben Sachen. Ich denke, Cole ist jetzt verdammt auf Hilfe angewiesen. Komm, wir rei­ten.«

Und dann war nur noch das Hufge­klapper um sie. Lisa beobachtete Lane immer wieder verstohlen von der Seite. Sein Gesicht verriet deutlich, was in ihm vorging. Er durchlebte ei­ne Hölle der Ungewissheit und der Rastlosigkeit. Seine Lippen waren wie versiegelt. Seine ganze Haltung drückte Ungeduld aus.

Sie verließen den Canyon und trailten nach Norden. Die Sonne über­schritt den Zenit und schleuderte eine wahre Gluthitze auf das Land. Das Atmen wurde zur Qual, die Pferde rö­chelten und röhrten. An einem klei­nen Fluß tränkten sie die Tiere. Sie aßen etwas von dem Proviant. Lustlos kaute Lane. Lisa hatte ebenso wenig Appetit. Sie ließen die Pferde eine halbe Stunde auf dem grünen Ufer­streifen weiden, dann ging es weiter. Ein richtiges Gespräch war die ganze Zeit über nicht mehr zustande ge­kommen.

Irgendwann konnte Lisa nicht mehr an sich halten. »Warum wendest du dich nicht an den Sheriff? Er muss dich und Cole vor Forsyth schützen.«

Sie ritten jetzt nach Westen. Die Felsen waren zurückgetreten. Das Land war hügelig und bewaldet, der Boden grasbedeckt. Die Sonne hing wie eine riesige Flammenkugel über dem Horizont. Von Osten her schlich die Abenddämmerung ins Great Sand Valley.

Lane lachte verächtlich auf. »Renslow wird sich hüten, gegen Big Jim vorzugehen oder sich ihm in den Weg zu stellen. Ich habe Bill Forsyth er­schossen. Meine einzigen Zeugen, dass es Notwehr war, sind Tex Dudley und Cole. Der eine ist wahrscheinlich über alle Berge, der andere ein hilflo­ses Wrack und vielleicht wahnsinnig vor Angst. Dagegen stehen die Aussa­gen der Great Sand-Reiter. Wem, denkst du wohl, schenkt man mehr Glauben? Ich müsste damit rechnen, dass man mir hochoffiziell den Strick um den Hals legt.«

»Landers und die Männer, die da­bei waren, werden aber nicht abstrei­ten können, dass Bill Forsyth deinen Vater auf dem Gewissen hat. Außer­dem wurde Dave von Big Jims Män­nern getötet. Sie haben eure Ranch niedergebrannt. Big Jim …«

»Hör auf, Lisa!« Er stieß es schrof­fer hervor, als er beabsichtigt hatte. »Ich liefere mich nicht aus. Lieber ge­he ich vor die Hunde.«

Ihr Mund verkniff sich. »Dann gehe ich mit dir zugrunde!«, rief sie leiden­schaftlich.

»Nein.« Er sah sie fest an. »Du wirst auf eurer Farm zurückbleiben. Ich reite alleine zur Bar-T. Und wenn Big Jim noch nicht da ist, wenn ich an­komme, dann warte ich auf ihn. Ich habe es satt, mich wie ein Hase jagen zu lassen.«

Erschreckt parierte sie ihr Pferd. »Willst du wirklich sterben?«, entrang es sich ihr. »Warum bist du dann überhaupt erst vor Forsyth und sei­nen Revolverschwingern geflohen? Sterben hättest du auch in der vergan­genen Nacht können! Du hättest da­mit eine Menge schlimmer Dinge ver­hindert! «

Kaum, dass es über ihre Lippen war, bereute sie, was sie in ohnmächtigem Zorn von sich gegeben hatte. Sein Ge­sicht, das wieder nach vorn gerichtet war, ruckte zu ihr herum. Es war hart und kantig geworden. »Dinge, für die Big Jim zur Verantwortung gezogen werden muss!«, schnappte er. Und et­was gemäßigter fügte er hinzu: »Du brauchst mich nicht an meine Verant­wortung dir, deinem Vater und Cole gegenüber zu erinnern. Aber wir soll­ten uns nicht streiten, Lisa. Finde dich ganz einfach damit ab, dass ich einen Weg beschritten habe, den ich nicht verlassen kann und nicht verlassen will. Ich stehe zwar in deiner und dei­nes Vaters Schuld, aber es gibt Dinge, über die sich ein Mann nicht hinweg­setzen kann, wenn er nicht die Ach­tung vor sich selbst verlieren will.«

»Entschuldige, Lane. Meine Ner­ven sind wohl etwas überreizt. Ich hätte es nicht sagen sollen.« Sie ritt wieder an.

»O doch«, versetzte er und brachte ein mattes Lächeln zustande. »Es war angebracht. Ohne deine Worte wäre ich vielleicht blindlings ins Verderben gerannt. Ich will leben, yeah, aber oh­ne Angst vor der Rache Big Jims.«

»Du reitest also nicht zur Bar-T?«, fragte sie hoffnungsvoll.

»Doch. Aber wenn Big Jims Sattel­haie dort schon auf mich warten, wer­de ich ihnen nicht den Gefallen erwei­sen, vor ihre Kanonen zu reiten.«

»Was hast du vor?«

Auf diese Frage schwieg Lane. Es hatte keinen Sinn, Lisas Protest aufs Neue herauszufordern.

Lisa war verwirrt und ratlos. Sein harter Gesichtsausdruck erschreckte sie und sie zog es vor, von nun an kei­ne Fragen mehr zu stellen.

Sie erreichten den San Louis Creek und folgten ihm. Und als die Sonne hinter den Bergen versank, lag die Reed-Farm vor ihnen. Es berührte Li­sa schmerzlich, dass die Stunde des Abschieds gekommen war. Nichts würde Lane zurückhalten können.

*

Big Jim hatte die Jagd nach Lisa ab­gebrochen, weil er einsehen musste, dass sie sie nicht mehr einholen konn­ten. Düster starrte er dem winzigen schwarzen Punkt tief unten auf dem Grund des Canyons hinterher, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. »Ich werde ihr die Flügel stutzen!«, grollte sein Bass. »Doch sie läuft mir nicht da­von. Wir reiten zur Bar-T.« Er zerrte sein Pferd herum und schaute in die vor Übermüdung erschlafften Gesich­ter seiner Männer, sah ihre rotgerän­derten Augen und spürte selbst, wie sehr ihm der Schlaf fehlte.

Diese Mannschaft war nur noch die Hälfte wert. Er erkannte es plötzlich mit aller Klarheit. Aber konnte er den Männern Ruhe gönnen? Er selbst dachte nicht daran, eine Pause einzulegen. Sein Rachedurst war stärker als die psychische und physische Erschöp­fung. Doch die Pferde waren ebenfalls vollkommen ausgelaugt. Sie ließen die Köpfe hängen, ihren Augen fehlte der Glanz.

Er nickte und murmelte schwerfäl­lig: »All right, ich sehe, ihr seid fertig. Also ruhen wir uns an dem See unten in der Schlucht ein paar Stunden aus. Ist das in Ordnung?«

Landers nickte beifällig. »Das ist notwendig, Boss«, erwiderte er mit trockener Stimme. »Wenn es zum Treffen mit Turpin kommt, muss jeder von uns hellwach sein. Dieser Bur­sche ist gefährlicher als eine Kobra. Ich schätze, drei Stunden Ruhe rei­chen. Außerdem muss Turpin einen Umweg durch das Gebirge machen. Wir werden trotz der Rast vor ihm auf der Bar-T sein.«

»Hoffen wir es.« Big Jim ruckte im Sattel.

Nach drei Stunden hatten sie die Alderschlucht verlassen. Sie waren einigermaßen ausgeruht, auch die Pferde griffen wieder kraftvoll aus. Es ging nach Nordosten. Sie überquerten den San Louis River und folgten dann dem Saguache Creek. Und mit dem beginnenden Abend verhielten sie auf dem Kamm der Anhöhe, an deren Fuß die Bar-T Ranch lag.

Sie war nur noch ein Haufen von Schutt und Asche. Zwei Schuppen waren von den Flammen verschont geblieben. Der Rest war ein Bild der brutalen Zerstörung. Der laue Wind wirbelte die Asche auf und trug sie über den Fluss. Hier und dort stiegen noch Rauchsäulen aus den Trüm­mern. Verkohlte Balken ragten aus dem Schutt. Der gemauerte Kamin überragte alles wie ein Mahnmal.

Vor einem der Schuppen stand ein Pferd. Auf seinem Rücken lag der Sat­tel. Es schlug mit dem Schweif nach den lästigen, blutsaugenden Bremsen an seinen Flanken. Teuflische Zufrie­denheit drückte sich in Big Jims Zü­gen aus. »Jetzt haben wir ihn!« Es war, als tropften die Worte von seinen Lippen, aus dem Gefühl einer bösartigen Genugtuung heraus ge­sprochen, kalt und triumphierend.

In diesem Moment verließ ein Mann den Schuppen. Er beschattete mit der flachen Hand seine Augen und spähte zu ihnen herauf.

»Das ist nicht Turpin!«, geiferte Landers. »Das ist Dudley. Er war da­bei, als Turpin Billy erschoss. Und er half mit seinem Gewehr, uns in Schach zu halten.«

Big Jims Gesicht wurde hart und kantig. Auf dem Grund seiner Augen glomm wieder die schwelende Glut des Hasses. »Yeah«, grunzte er, »und der Narr wird dafür bezahlen. Kommt, schnappen wir ihn uns.«

Tex Dudley rannte zu seinem Pferd. Mit einem Ruck zog er den Bauchgurt an. Mit fliegenden Fingern löste er die Leine. Dann war er mit ei­nem Satz im Sattel. Er nahm das Pferd herum und spornte es an. Seine rauen Anfeuerungsrufe erreichten die Ohren der Männer auf dem Hügel, die jetzt ebenfalls ihren Tieren die Köpfe freigaben. Im gestreckten Galopp feg­ten sie den Abhang hinunter. Tex Dudley preschte nach Westen. Die Hufe seines Braunen wirbelten und schienen kaum den Boden zu berüh­ren. Immer wieder schaute der Cow­boy über die Schulter zurück. Die Great Sand-Mannschaft stob an den Überresten der Bar-T vorbei. Die Rei­ter hatten sich in den Steigbügeln auf­gestellt und lagen fast auf den ge­streckten Hälsen ihrer Pferde.

Tex Dudley spürte Entsetzen und Verzweiflung. Gnadenlos hetzte er sein Pferd. Die Muskeln und Sehnen des Tieres arbeiteten. Die bewaldeten Hügel, auf die er zuhielt, waren greif­bar und schienen doch unendlich fern und unerreichbar. Der Reitwind riss ihm den Hut vom Kopf und ließ ihn am Kinnband auf seinem Rücken tan­zen. Wieder warf Tex einen Blick über die Schulter nach hinten. Der Pulk war etwas auseinander gefallen. Er sah ihre verzerrten Gesichter und glaubte sogar das Weiße in ihren Au­gen erkennen zu können.

Er wusste, was ihm blühte, wenn er Big Jim und John Landers in die Hän­de fiel. Das Grauen stieg wie ein Schrei in ihm auf. Die Hügel schienen förmlich auf ihn zuzufliegen. Wie Sturmgebraus zerrte das trommelnde Hufgetrappel an seinen Trommelfel­len. Es war für ihn ein Wettlauf mit dem Tod.

Aber die Pferde der Verfolger ver­langsamten bald ihren Hufewirbel. Big Jims Arm flog in die Höhe. »Stopp!«, brüllte er und riss das Pferd unerbittlich auf die Hinterhand. Die bremsenden Hufe schlitterten über das Gras und ließen tiefe Spuren zu­rück. Big Jim zerrte das gepeinigte Tier vorne hoch und presste ihm mit einem gnadenlosen Schenkeldruck die Luft aus den pumpenden Lungen. Mit zitternden Flanken und rollenden Augen stand das Tier.

Seine Crew hielt ebenfalls an. »Brennan!«, schnarrte Big Jim und starrte finster hinter Tex Dudley her, der sein Pferd mit dem langen Zügel­ende peitschte. Der Cowboy hatte die Horde anhalten sehen und ein Hoffnungsschimmer, dass sie das In­teresse an ihm verloren hatten, flackerte in ihm auf. Hätte er Big Jims Ge­danken erraten können, wäre ihm wahrscheinlich das Blut eingefroren. So aber atmete er tief durch. Die Spannung, die ihn bis in die letzte Nervenfaser erfasst hatte, ließ nach.

»Boss?« Tom Brennan drängte sein Pferd auf Big Jim zu.

»Gib mir deine Sharps!«, sagte Forsyth, in dessen Tonfall eine tödliche Ruhe lag. Sein Verstand arbeitete mit teuflischer Präzision. Er griff nach dem Gewehr, das ihm der Cowboy reichte. Es war eine Sharps Borschardt, ein Weitschussgewehr vom Kaliber 45. Ruhig lud der Rancher, dann zog er den Kolben an die Schul­ter. Sein kaltes Auge ruhte über Kim­me und Korn hinweg auf dem unruhigen Ziel. Das Sonnenlicht wurde vom Stahl des Laufes reflektiert. Big Jim zog durch. Der Schuss brüllte.

Der Knall holte Tex Dudley in dem Moment ein, als durch sein Pferd ein Ruck ging. Im nächsten Moment brach es hinten ein, krachte auf die Seite und rutschte ein ganzes Stück über das Gras. Schließlich kippte es endgültig auf die Seite und sein Kopf fiel schwer auf den Boden. Ein Zittern durchlief den Pferdekörper, ein letz­tes Aufbäumen, dann lag das Tier still.

Tex Dudley war wie von einem Ka­tapult geschleudert durch die Luft ge­segelt. Hart prallte er auf. Funken sprühten vor seinen Augen. Er stemmte sich verbissen gegen die blei­erne Benommenheit, die gegen sein Bewusstsein anbrandete. Dumpfer Druck lag auf seinem Gehirn, aber sein fiebernder Verstand hämmerte ihm ein, dass er in die Höhe musste. Mühsam rappelte er sich hoch. Nur mit übermenschlichem Willen hielt er sich auf den Beinen. Wie durch dich­ten Nebel sah er sein Pferd. Er wankte darauf zu, japste und röchelte. Mit beiden Händen zog er die Winchester unter dem toten Tier hervor. Übel­keitserregendes Schwindelgefühl packte ihn.

Prasselnder Hufschlag sickerte her­an. Zunächst erreichte er nur Tex Dudleys Unterbewusstsein, aber dann konnte er seine Trägheit abschütteln und er begriff kalt und nüchtern, dass er kämpfen musste. Weitere Flucht war aussichtslos. Es schoss wie ein eisi­ger Strahl in sein Bewusstsein. Und es nahm die Furcht von ihm. In blitz­schnellem Entschluss warf er sich hin­ter sein Pferd. Der Ladebügel seiner Winchester knackte. Tex Dudley war bereit.

Sie jagten in einer auseinander ge­zogenen Linie auf ihn zu. Verkniffen starrte er ihnen entgegen. Yard um Yard schmolz unter den fliegenden Hufen dahin. Schweiß lief dem Cow­boy über das sonnenverbrannte Ge­sicht. Der Gewehrschaft lag auf dem Leib des toten Pferdes. Er dachte an Cole Turpin, der hilflos auf der T-Bar Ranch in der Scheune lag, den das Fie­ber und furchtbare Alpträume schüt­telten. Er dachte an Lane, von dem er nicht wusste, ob er überhaupt noch lebte, und sein Denken bewegte sich um Charles Turpin und Dave, die der Great Sand-Ranch zum Opfer gefal­len waren. Er zielte ruhig und drückte ab.

Mit hartem Schlag fuhr seine Kugel John Landers Pferd in die Brust. Das Tier überschlug sich mitsamt seinem Reiter, wälzte sich im Todeskampf und verendete. Landers lag am Boden und rührte sich nicht mehr. Sofort hatten die anderen die Gefahr begrif­fen, schwärmten noch mehr auseinan­der und schwenkten ab.

»Einkreisen!«, heulte Big Jim wie von Sinnen. Er hatte die Sharps nach seinem Meisterschuss zurückgegeben und zog nun seine Winchester aus dem Scabbard.

John Landers' Besinnungslosigkeit war nur von kurzer Dauer. Einer der Cowboys sprang vom Pferd und half ihm beim Aufstehen. Sein Gesicht war aufgeschürft und schmutzig. Wü­tend schüttelte er die helfenden Hän­de des Weidereiters von sich ab. »Das wird mir dieses Stinktier büßen!«, ras­selte es böse aus seinem Mund. Er hol­te sein Gewehr und heftete seinen lo­dernden Blick auf den Pferdekada­ver, hinter dem sich Dudley ver­schanzt hatte. Seine Kiefer zitterten vor Zorn, in seinen Augen irrlichterte es. Aber da war noch mehr - da war etwas Raubtierhaftes, Unberechen­bares, und da war die tödliche Gier.

Big Jim hatte sein Pferd pariert und wartete nun ab, bis seine Männer ei­nen Ring um Tex Dudley gebildet hat­ten. Im Westen färbte der Wider­schein der untergegangenen Sonne den Himmel blutrot. Tiefe Schatten lagen im zerfurchten Gesicht des Ran­chers. Aus den Felsklüften und Tälern schlich violette Abenddämmerung.

John Landers stiefelte zu seinem Boss hin und knurrte: »Wenn wir ihn haben, überlassen Sie ihn mir, Mister Forsyth. Ich möchte ihm eine Lektion erteilen, die er den Rest seines Lebens nicht vergisst.« Die letzten Worte wa­ren fast mit einer gewissen Andacht gesprochen.

Die Great Sand-Reiter hatten Posi­tion bezogen. Tex Dudley erkannte, dass seine Lage aussichtslos geworden war. Ihn verließ aller Kampfgeist. Müde Resignation erfasste ihn, und die Düsternis ringsum verstärkte das Gefühl von Unsicherheit, Verloren­heit und Angst. Big Jims Stimme trieb heran - laut, fordernd, wie eine schlimme Verheißung: »Wirf deine Waffen weg und komm hinter dem toten Gaul hervor, Dudley. Wenn ich meinen Männern den Be­fehl gebe, dann verwandeln sie dich in ein Sieb!«

Die Gnadenlosigkeit in Big Jims Stimme trieb den Cowboy immer tie­fer in Mutlosigkeit und Verzweiflung. In seinen Schläfen hämmerte das Blut, Entsetzen durchfuhr ihn wie ein Fieberschauer. Sein Gesicht war grau wie verwittertes Gestein. Sein Mund stand halb offen, sein Blick irrte rast­los hin und her.

Big Jim jagte ein Stück Blei in den Pferdekadaver. Tex zuckte zusam­men, als hätte das Geschoss ihn getrof­fen. Und etwas in ihm zerbrach. Er schleuderte sein Gewehr fort, den Colt hinterher, richtete sich auf und hob die Hände in Schulterhöhe.

»Da hast du ihn, Landers«, dehnte Big Jim. »Bevor du ihn aber fertig ­machst, will ich ihm einige Fragen stellen.«

Der Kreis zog sich immer enger zu­sammen, und dann sah sich Tex Dud­ley aus nächster Nähe mehr als einem halben Dutzend Gewehrmündungen gegenüber. Ein Blick in die Augen Big Jims sagte ihm, dass er kein Mitleid zu erwarten hatte. Sie zeigten eine un­heimliche Drohung.

*

Big Jim fletschte die Zähne wie ein angreifender Wolf. Und als seine stählerne Stimme ertönte, klang sie präzise, voller Autorität und zwin­gend. In der sinkenden Dämmerung wirkte alles an ihm gefährlich, wild und unberechenbar. Er grollte: »Bevor ich dich John Landers überlasse, Dud­ley, will ich von dir wissen, was sich wirklich zugetragen hat, als Turpin meinen Sohn erschoss. Ich will von dir die Wahrheit hören. Verstanden? Du lässt nichts weg, und du fügst nichts hinzu. Sprich!« Diese Aufforderung kam scharf und ungeduldig.

Ein gepresstes, bitteres und abgeris­senes Keuchen entrang sich dem Cowboy. Verständnislos, fast ver­wirrt, stierte er Big Jim an. Aber dann fing er an zu sprechen. Zunächst fiel es ihm schwer. Sein Hals war so trocken, so dass er nur flüstern konnte. Aber dann gewann seine Stimme an Festigkeit, und zuletzt sprudelten die Worte geradezu über seine Lippen.

Mit verschlossener Miene lauschte Big Jim, ohne ihn auch nur ein einzi­ges Mal zu unterbrechen. Erst als Dudley geendet hatte, stieg es brum­mend aus seiner Kehle: »Lane Turpin hat Bill also herausgefordert, mit ihm zu kämpfen. Und dann erschoss Bill versehentlich Charles Turpin …«

»Yeah, und ehe Bill begriff, was ge­schehen war, knallte ihn Lane Turpin ohne jede Vorwarnung nieder wie ei­nen räudigen Hund!«, fiel John Lan­ders hastig seinem Boss ins Wort.

Tex Dudley hatte eine Erwiderung auf den Lippen, aber ein Blick in Lan­ders' flammendes Gesicht ließ ihn schweigen.

In Big Jims Augen erschien ein Grü­beln, ein Forschen, und es war deutlich von seinen Zügen abzulesen, dass er scharf nachdachte. Schließlich frag­te er dumpf: »Wo warst du in der ver­gangenen Nacht, als wir das Nest der Turpins aushoben, Dudley?«

»Ich bin nach Alamosa geritten, um den Sheriff zu informieren. Es war aber nur sein Deputy da. Renslow be­fand sich in Monte Vista.«

In Big Jims Miene vermischten sich unvermittelt Spannung, Grimm und Sorge. Er starrte Dudley durchdrin­gend an, und plötzlich rief er in uner­warteter Wildheit: »Was für eine Sto­ry hast du dem Deputy erzählt, heh? Etwa auch die Notwehrgeschichte?«

»Ich beschönigte nichts, Mister Forsyth, aber ich ließ auch nichts weg. Der Deputy wollte Renslow informie­ren und meinte, dass der Sheriff wohl kommen würde, um den Vorfall zu untersuchen, sobald er aus Monte Vista zurückgekehrt ist.«

»Du behauptest also, Bill zog in ei­nem Moment den Colt, als keiner der Turpins auf ihn achtete. Deine Worte beinhalten nichts anderes, als dass er Lane Turpin auf heimtückische Art und Weise erledigen wollte. Charles Turpin sprang dazwischen und ihn traf die Kugel, die Lane gegolten hat­te. Und dann erst reagierte dieser.«

»So und nicht anders war es, Mister Forsyth.« Tex hatte plötzlich, das Empfinden, in Big Jim eine Saite zum Klingen gebracht zu haben, die er in ihm nicht vermutet hatte.

Der Rancher nickte bedächtig. Doch dann veränderte sich seine Mie­ne unversehens zur teuflischen Frat­ze. »So etwas habe ich mir schon ge­dacht, Dudley!«, klirrte seine Stimme. Panik breitete sich schrill in Dudleys Denken aus, als er begriff, dass er ei­nem tödlichen Irrtum aufgesessen war. »Yeah, Dudley, ich vermisste dich in der vergangenen Nacht auf der Ranch und ich ahnte, dass du den She­riff aufsuchen würdest. Allerdings hat die Sache einen Haken. Das Gesetz interessiert mich nicht. Hier draußen ist mein Name Gesetz. Und Lane Tur­pin hat meinen Jungen ermordet. Du wirst umdenken müssen, Dudley. Und wenn wir mit dir fertig sind, wirst du beschwören, dass Lane Turpin zuerst auf meinen Sohn feuerte und sich erst dann aus dessen Colt die Kugel löste, die Charles Turpin tötete. Lan­ders - du bist dran!«

Auf einen Wink des Vormanns sprangen die Reiter von den Pferden. Lediglich Big Jim blieb im Sattel. Tex Dudley schluckte, aber er vermochte den Geschmack von Angst und Grau­en nicht hinunterzuwürgen. Sie nä­herten sich ihm mit erstarrten Mie­nen, in denen sich nicht die geringste Gefühlsregung abzeichnete. Brutale Hände packten ihn, rissen ihm die Ar­me auf den Rücken und hielten ihn fest. John Landers schob sich bis auf Armlänge an ihn heran. Ein sadisti­sches Grinsen spielte um seinen Mund, gemein und widerwärtig. Sanft und trügerisch sagte er: »Du hast auf das falsche Pferd ge­setzt, Tex, als du dem Gesindel von der Bar-T deine Loyalität beweisen wolltest und dich gegen die Great Sand Ranch stelltest. Und du hast mir den Gaul unter dem Hintern weggeschossen. Ich werde dir deinen Ver­stand jetzt zurechtrücken, mein Freund. Und du wirst den Dreck von Big Jims Stiefeln lecken, wenn ich mit dir fertig bin!«

Mit seinem letzten Wort schlug er zu. Wie ein Huftritt knallte seine Faust in den Magen des Cowboys. Ihm wurden die Beine vom Boden weggehoben, er schien sekundenlang in der Luft zu hängen. Wie der Über­druck aus einem Dampfkessel ent­wich die Luft seinen Lungen. Er woll­te schreien, seinen Schmerz hinaus­brüllen, aber da knallte ihm Landers' Linke gegen den Kinnwinkel. Er wur­de halb herumgeschleudert und hatte das Gefühl, die Arme würden ihm ausgekugelt, weil die Kerle, die ihn hielten, keinen Millimeter locker lie­ßen. Vor Tex Dudleys Blick schien einige Herzschläge lang die Welt in Flammen zu stehen. In seiner Brust entstand ein tiefes Gurgeln, es kämpf­te sich hoch und verließ seinen Mund als gequälten, kippenden Aufschrei. Die Flammen sanken zusammen, ein milchiger Schleier legte sich über sei­ne Augen, seine Lider wurden schwer wie Blei, und dann traf ihn der dritte fürchterliche Schwinger. Er knallte ihm gegen die kurzen Rippen und nahm ihm schlagartig die Luft. Todes­angst jagte in ihm hoch. Sein Ver­stand schaltete ab. Hysterie überfiel ihn wie ein rasendes Ungeheuer. Er japste, trat blindlings nach Landers, warf sich hin und her und versuchte, seine Arme aus dem eisenharten Griff zu zerren. Er spürte keinen Schmerz, er handelte nur noch instinktiv, und es war der dämonische Selbsterhal­tungstrieb, der ihn den Kopf verlieren ließ.

Aber da kam für ihn die Rettung von einer Seite, an die in diesen Au­genblicken niemand mehr gedacht hatte. Peitschend verschlang ein Ge­wehrschuss alle anderen Geräusche. Die Detonation prallte heran. Bestür­zung griff um sich. John Landers schwang herum und duckte sich. Big Jim war im Sattel herumgezuckt. Seine Männer waren zusammengefahren. Unwillkürlich öffneten sich die Fäuste derer, die Tex Dudley gepackt hiel­ten. Alle starrten sie in die Richtung, aus der der Knall unheilvoll und dro­hend herangerollt war.

Sie sahen den Reiter, der sich schwarz gegen die Düsternis abhob. Er verhielt auf dem Kamm des Hü­gels, an dessen Fuß die Bar-T Ranch lag - unbeweglich, wie aus Stein gehauen. Und obwohl auf diese Entfer­nung niemand sein Gesicht erkennen konnte, wusste ein jeder, dass Lane Turpin gekommen war.

*

»All right!« schnappte Big Jim und hieb, während er sich seinen Leuten zuwandte, mit der flachen Hand auf den Sattelknauf. »Meine Rechnung ist aufgegangen. Auf die Pferde, Män­ner.«

John Landers deutete mit knapper Geste auf Tex Dudley und fragte: »Was machen wir mit ihm? Sie wollen doch nicht, dass er uns davonläuft, Boss?«

»Nein.« Düster fixierte Big Jim den Cowboy. Er sah die Spuren von Lan­ders' unbarmherzigen Schlägen, sah den Schmerz, der die Züge Tex Dud­leys förmlich zerlegte, und knurrte: »Tucker und Dembrow sind sowieso ziemlich angeschlagen. Sie sollen ihn …« Ihm schien etwas einzufal­len. Sein Kopf stach vor. »Heh, Dud­ley, befindet sich Cole Turpin noch auf der Bar-T?«

»Yeah«, krächzte der Cowboy. »Er liegt in der Scheune und dämmert da­hin.« Es schien, als habe er mit Lanes Auftauchen wieder neuen Mut gefasst. Seine Stimme klang überra­schend klar und fest. In seinem eben noch verzerrten Gesicht begannen sich die Züge zu glätten.

Big Jim nickte. »Natürlich, wo soll­te er auch sonst sein.« Er grinste spöt­tisch. »Gut.« Sein hässliches Grinsen zerrann. Er schielte über die Schulter dorthin, wo Lane Turpin nach wie vor auf seinem Pferd verharrte. »Tucker, Dembrow - ihr habt ziemliche Beu­len von Turpins Hieben und seid nicht hundertprozentig einsatzfähig. Ihr passt auf ihn und Cole Turpin auf, bis wir zurückkommen.« Er nahm den Kopf ein wenig herum und starrte wieder Dudley an. »Sollte der Sheriff auftauchen, dann überlege dir gut, was du ihm erzählst, mein Freund. Wenn es mir nicht gefällt, dann gnade dir Gott. Landers, du kannst dir Tuckers oder Dembrows Gaul nehmen.«

Dann hockten sie in den Sätteln. Durch die Dämmerung waren die Konturen Lane Turpins nur noch un­scharf auszumachen.

»Sieht aus, als wollte er kämpfen«, murmelte John Landers.

Sie ritten im Schritt auf die Trüm­mer der Bar-T zu. Das Rot im Westen begann zu verblassen. Dumpf poch­ten die Hufe.

»Dann ist er übergeschnappt«, grunzte Big Jim. »Aber mir wäre es nur recht. Ich will ihn - und ich kriege ihn. Selbst wenn er mit dem Satan im Bunde sein sollte.«

*

Lane suchte die Entscheidung. In seinen Augen stand der unabänderli­che Entschluss. Die Regeln des Kamp­fes würde er bestimmen. Sein Gesicht verriet nicht, was er dachte. Es war glatt und ausdruckslos. Langsam nahm der Pulk, der sich ihm näherte, Formen an. Längst hatten sie sich ihm auf Gewehrschussweite genähert.

Kalt wartete er ab. Er hatte das, was von der Ranch seines Vaters übrig ge­blieben war, gesehen, und der letzte Rest von Versöhnlichkeit war in ihm abgestorben. Die Gedanken, die ihn beseelten, unterschieden sich kaum von denen Big Jims.

Als sie sich auf der Höhe der Bar-T befanden, hob Lane das Gewehr. Er knallte dem ersten Pferd eine Kugel vor die Hufe und jagte sofort eine zweite hinterher. Für einen Augen­blick entstand unten am Fuße des Hü­gels ein ziemliches Durcheinander, als die erschreckten Tiere scheuten und stiegen. Aber dann kam Ruhe in das Rudel und Lane schrie mit Don­nerstimme: »Ich habe dich gesucht, Jim Forsyth. Du hast dich nämlich zu einer reißenden Bestie entwickelt und es ist an der Zeit, dich zu bremsen.«

Big Jim war wie vor den Kopf ge­stoßen. Nicht, weil ihn die Worte Lanes besonders trafen. Es war mehr die Erkenntnis, dass er es nicht mit verrückter Arroganz oder selbstmör­derischer Dummheit zu tun hatte, sondern dass ihm in Lane Turpin ein ernstzunehmender Gegner erwach­sen war, der mutig und intelligent ge­nug war, seine Ziele und Pläne bis zum Ende durchzustehen.

Er riss sich los von seinen Überle­gungen und brüllte: »Du hast es her­ausgefordert, Turpin! Hättest du mei­nen Sohn nicht gezwungen, zum Colt zu greifen, wäre alles nicht so gekom­men. Dein Vater würde noch leben, mein Junge … Ach, was rede ich! Es ist nun einmal so, dass du Bill umge­bracht hast. Das schreit nach Sühne. Ich werde dich vernichten, Turpin! Du bist dir darüber im Klaren, dass ich deinen Bruder in der Hand habe. Ich könnte dich zwingen, aufzugeben und dich mir auszuliefern. Oder wür­dest du zulassen, dass dein Bruder für dich büßen muss?«

»Du willst mich, Forsyth!«, tönte es ungerührt zurück. »Erst wenn du mich hast, wirst du dich zufrieden ge­ben. Warst du nicht immer ein auf­rechter Mann, Big Jim. Nachdem du dich an meinem Bruder, an Lisa Reed und ihrem Vater und an Tex Dudley ausgetobt hast, ist dein ganzes Sinnen nur noch darauf ausgerichtet, mich zu erwischen. Wie du siehst, stelle ich mich dem Kampf. Und weil das so ist, glaube ich nicht, dass du zu Mitteln greifst, für die dich eines Tages jeder Mann im County verachten würde.«

In Big Jims breitflächigem Antlitz zuckte kein Muskel. Lane Turpin for­derte seinen Stolz heraus. Auf nachdenklich-lauernde Art beobachtete er die Reitersilhouette oben auf dem Kamm.

»Lassen Sie sich von diesem Hun­desohn nicht einwickeln!«, zischte John Landers, der Steigbügel an Steigbügel neben seinem Boss verhielt. »Fairness ist bei diesem Halunken fehl am Platze!«

»Halt den Mund!«, brummte Big Jim ungnädig. »Er hat recht. Es ist nur noch eine Sache zwischen ihm und mir. Und es ist in der Tat nicht mein Stil, die Entscheidung auf dem Rücken Kranker und Kampfunfähiger herbeizuführen.« Er rief schneidend, kalt und unversöhnlich: »Wir kom­men jetzt, Turpin. Fang an zu beten!«

Er riss das Gewehr in die Höhe und feuerte. Der Donner stieß den Hang hinauf, bei Lane blitzte es auf. Die Detonationen vermischten sich. Lane spürte ein scharfes Singen neben sei­nem Ohr und duckte sich. Unten brach ein Pferd zusammen. Die ande­ren Tiere stiegen, wieherten und keil­ten um sich. Die Reiter hatten Mühe, sich in den Sätteln zu behaupten. Vom Hügel aus mutete es an wie ein Knäuel ineinander verkeilter Pferde und Reiter.

Landers gelang es als erstem, dem Chaos zu entrinnen. Er jagte einen Schuss nach oben, sah bei Lane einen zweiten Feuerball platzen, einen der Reiter im Gewirr der verstörten Pfer­de die Arme hochwerfen und im nächsten Augenblick aus dem Sattel verschwinden. Er fluchte lauthals, schoss noch einmal, aber Lane trieb bereits sein Pferd an. Die Kugel des Vormannes jaulte wirkungslos durch die Dunkelheit.

»Hinterher!«, gellte Landers' Stim­me. Er hämmerte seinem Tier die Sporen in die Seiten.

Der Pulk riss auseinander. Der ge­troffene Reiter am Boden wimmerte. Big Jim kümmerte sich nicht darum. »Folgt mir!«, kreischte er und stob hinter John Landers her. Gleich dar­auf wehte rumorender Hufschlag über den Hügel hinweg, der an das Grollen erinnerte, das ein Erdbeben ankündigt. Big Jim fühlte sich am letz­ten Rest seiner Ehre gepackt, und die Besessenheit in seinen Zügen ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er der mitleidlosen Menschenjagd in dieser Nacht ein Ende bereiten woll­te.

Lane ritt nach Osten. Sein Pferd lief gleichmäßigen Galopp. In Lane war eine tiefe, fast grimmige Genug­tuung. Er hatte Big Jim da, wo er ihn haben wollte. Fünf Mann ritten noch auf seiner Fährte. Eine deutliche Übermacht. Hier, im offenen Gelän­de, war er chancenlos. Ihnen hier entgegenzutreten hätte sein Todesurteil bedeutet. Seine Chance sah er in der Felswüste. Sie würden auf ihn in den Schluchten und Canyons ein Kessel­treiben veranstalten und er könnte sie sich einzeln schnappen.

Nun, sein Plan war voll tödlicher Gefahren. Wie leicht konnten sie ihn in die Enge treiben und fertigmachen. Aber dieses Risiko nahm Lane auf sich.

Von hinten quoll der Hufschlag der Verfolgergäule unter dem Abendhim­mel heran. Lane ließ sein Pferd weit ausgreifen, aber er trieb es nicht zu sehr. Von den Reserven des Tieres konnte noch eine Menge abhängen. Lane hatte die Winchester gehalftert und führte die Zügel mit beiden Hän­den.

Das Land senkte sich zum San Louis River hin ab. Überall standen Büsche, vereinzelt und in dichten Gruppen. Am Fluss drosselte Lane das Tempo. Die Hufe platschten durch das seichte Wasser und versanken im Treibsand, schließlich aber hatte Lane den Creek überwunden und das Pferd kämpfte sich die steile Böschung auf der anderen Seite hinauf. Zwischen verfilztem Buschwerk hielt Lane an und schaute zurück.

Es war zwischenzeitlich so finster, dass von den Verfolgern nichts zu se­hen war. Aber das heranbrandende Hufgetrappel kündete überlaut von ihrem Nahen.

Dann lösten sich ihre Schemen aus der Dunkelheit. Sie kamen in einer breiten Linie durch den Fluss. Lane wartete, bis sie die Flussmitte erreicht hatten.

»Hier, Big Jim - hier bin ich!«

Die Gewehrkolben flogen an ihre Schultern. Eine Salve prasselte in die Büsche. Abgeschossene Äste und Zweige fielen zu Boden, Blätter segel­ten hinterher. Das steile Ufer warf den ohrenbetäubenden Knall zurück und schleuderte ihn über den Creek.

Lane zielte ruhig. Er konnte in der Finsternis nicht unterscheiden, wen er vor dem Lauf hatte. Und darum zö­gerte er. John Landers wollte er näm­lich auf keinen Fall töten. Ihn brauch­te er lebend, damit er bestätigen konnte, dass er Bill Forsyth in Not­wehr erschossen hatte. Niemals sollte ein Zweifel an seiner Unschuld beste­hen. Aber das würde der Fall sein, wenn nur Zeugen, die auf seiner Seite standen, dem Sheriff gegenüber die Notwehrsituation bestätigten.

Big Jim konnte er ausmachen. Die breitschultrige, vierschrötige Gestalt hätte er unter Hunderten auf Anhieb erkannt. Er nahm an, dass sich Lan­ders neben seinem Boss hielt, was ihn veranlasste, einen der äußeren Reiter aufs Korn zu nehmen. Er schwang das Gewehr etwas herum, visierte sorg­fältig und drückte ab, im selben Se­kundenbruchteil, als sie ihre Pferde antrieben, um in den Schutz der Ufer­böschung zu gelangen.

Lanes Kugel saß. Der Mann wankte im Sattel, ließ die Zügel fahren und ruderte haltsuchend mit den Armen. Plötzlich aber sank er auf den Pferde­hals, rutschte langsam zur Seite und kippte vom Pferd. Das Wasser spritz­te, sein Pferd machte einige unkontrollierte Sprünge und kämpfte sich dann durch die Fluten, die ihm an dieser Stelle kaum bis zum Bauch reichten. Der Cowboy wurde von der Strömung fortgetragen.

Die Great Sand Mannschaft er­reichte das Ufer. Ohne Befehl spran­gen die Männer aus den Sätteln. Vor­sichtig arbeiteten sie sich den steilen Abhang hinauf. Aber ehe sie oben waren, verriet ihnen der trommelnde Hufschlag, dass Lane Turpin seine Flucht fortsetzte.

Sie scharten sich um Big Jim. »Wen hat's erwischt?«, fragte er, und unter der Oberfläche seiner belegten Stimme schwangen Wildheit, aber auch Verwirrung.

»Tom Brennan«, murmelte einer der Männer heiser.

»Noch ein Grund mehr, Turpin das Tor zur Hölle aufzustoßen!«, kreisch­te John Landers wie besessen. »Sie werden doch nicht aufgeben, Boss?«

»Niemals!«

»Weiter!« John Landers lief zu sei­nem Pferd, und auch Big Jim wollte sich abwenden, aber plötzlich stutzte er und hielt mitten in der Bewegung inne. Die beiden Cowboys standen wie zu Salzsäulen erstarrt und mach­ten keine Anstalten, Landers' Auffor­derung Folge zu leisten. Big Jim spür­te den Verdruss plötzlich tief in seiner Seele.

Landers hatte seinen Fuß in den Steigbügel gestempelt und das Sattelhorn gepackt, nun aber erkannte auch er, dass etwas nicht mehr stimmte. Und da hörte er auch schon einen der Cowboys sagen: »Wir machen nicht mehr mit. Tur­pin will uns in die Felsen locken und nacheinander fertigmachen. Dafür zahlen Sie uns nicht, Forsyth. Bei dreißig Dollar im Monat ist der Tod nicht inbegriffen. Brennan hat für Ih­ren Irrsinn ins Gras beißen müssen. Wir fühlen uns aber noch nicht alt ge­nug zum Sterben.«

Landers trat von seinem Pferd weg. Langsam schlenderte er heran. Die Winchester hielt er mit beiden Hän­den. Das Hufgetrappel von Lanes Pferd war schwächer geworden.

»Ihr wollt mir doch nicht etwa den Gehorsam verweigern, Stuart?«, hör­te er Big Jims drohendes Organ.

»Ich glaube, wir waren Ihnen viel zu lange treu, Sir. Wir haben Dinge getan, die schamlos und niederträch­tig waren. Kameraden von uns sind gestorben oder wurden übel zusam­mengeschossen. Es ist genug, Big Jim. Der Wahnsinn hat für uns ein Ende.« Der Mann, den Big Jim Stuart nannte, hatte hastig und eindringlich gespro­chen.

»Ist das auch deine Meinung, Lonelly?«, fragte der Rancher.

»Ja. Falls es Ihnen noch nicht aufge­fallen sein sollte, Mister Forsyth: Wir sind nicht mehr die Jäger und Turpin nicht mehr das Wild, das wir hetzen. Jetzt verteilt er die Karten. Er veran­staltet mit uns ein höllisches Katz- und Mausspiel. Und er wird jeden von uns erwischen. Ja, Sir, ich bin Stuarts Meinung. Die Sache wird mir zu heiß. Für dreißig Dollar monatlich lohnt es sich wirklich nicht zu sterben.« Der Cowboy verstummte.

»Elende Feiglinge!«, schrie Lan­ders, und es lag mehr kochende Wut in seiner Stimme als Verachtung. Gif­tig musterte er durch die Dunkelheit die beiden Cowboys.

»Okay«, murmelte Big Jim. »Es mag Turpins Absicht sein, uns in eine Falle zu locken. Ich habe diesen Bur­schen unterschätzt.« Seine Stimme hob sich. »Demjenigen, der mir Lane Turpin vor die Füße legt - egal ob tot oder lebendig -, zahle ich tausend Dollar. Tausend gute, harte Dollar! Und ich verspreche ihm einen Job auf Lebenszeit. Seid ihr bereit, zu diesen Bedingungen weiter mitzumachen?«

Stuart und Lonelly wurden unsi­cher. Für tausend Dollar musste ein Cowboy fast drei Jahre arbeiten. Stu­art meinte nach kurzer Zeit des Nach­denkens bedächtig: »In Ordnung, Mi­ster Forsyth. Für diesen Preis nehme ich das Risiko auf mich.« Er straffte die Schultern und stiefelte zu seinem Pferd.

»Und was ist mit dir, Lonelly?«

Der Angesprochene hob die Schul­tern, ließ sie wieder sinken und ver­setzte rau: »Wenn Stuart mitmacht, bin ich ebenfalls dabei.«

»Well, dann verlieren wir keine Zeit mehr.«

*

Das Gelände stieg an. Lane ließ das Pferd traben. Der Weg bohrte sich zwischen hohes Gestrüpp, dessen Ranken und Geäst so dicht ineinander verflochten war, dass es schier un­durchdringliche Hecken bildete. Lane ritt am Saum des Buschgürtels ent­lang, bis der Trail nach Osten wieder frei war.

Nachdem er eine Hochebene über­quert hatte, lag wild zerklüftetes, wie von Urgewalt zersplittertes Land vor ihm. Weit hinten zeichneten sich schwarz und unheimlich die Umrisse des der Sangre de Cristo-Kette vorge­lagerten Gebirgszuges im kalten Licht der Gestirne ab.

Lane trieb sein Pferd zwischen eini­ge Felsen und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Mechanisch überprüfte er die Ladung der Winchester, dann postier­te er sich. Frischer Wind strich über sein Gesicht. Dumpfes Rumoren un­ten in der Senke verriet ihm, dass sei­ne Verfolger kamen. Er lächelte fro­stig, und seine Augen blickten im fah­len Licht kalt wie Porzellan, als er das Gewehr zum Himmel richtete und ei­ne Kugel aus dem Lauf jagte. Der peit­schende Knall prallte nach allen Rich­tungen hinaus in die bizarre Welt und verhallte in vielfältigen, rollenden Echos.

*

»Allmächtiger Gott!«, entrang es sich Moss Jones erschüttert und ent­setzt zugleich, als er erkennen konn­te, was von der Bar-T Ranch Charles Turpins übrig geblieben war.

Sheriff Vince Renslow teilte die Be­troffenheit seines Deputys. Er war am späten Nachmittag aus Monte Vista, einem kleinen Ort zwanzig Meilen nordwestlich von Alamosa, zurück­gekehrt und hatte von Moss Jones er­fahren, dass der Krieg zwischen den Turpins und Big Jim ausgebrochen war. Er zögerte nicht, sattelte sich ein anderes Pferd und ritt sofort los.

»Ich ahnte es«, murmelte er und seine Stimme klang brüchig. »Nach­dem Lane Bill Forsyth erschoss, dreh­te Big Jim durch. Und wie es aussieht, hat er die Turpin-Brüder mit Feuer und Blei von der Erde gefegt.«

Eine Schuppentür knarrte rostig in den Angeln. Das Geräusch entging ih­nen. Sie sahen auch nicht den Sche­men, der sich aus der Finsternis des Stallinneren löste und nach links weg­huschte, dem ein zweiter folgte, der in das Schattenfeld rechts neben der Tür glitt. Die metallische Stimme aber, die ertönte, ließ sie erschreckt zusam­menzucken und riss sie aus ihren trü­ben Gedanken.

»Wer ist da? Wir können genug von euch sehen, um euch auch zu treffen! Also haltet still und antwortet!«

Der Sheriff wollte im ersten Augen­blick zum Colt greifen, aber sein Ver­stand holte die reflexartige Bewegung ein. Er stützte sich auf das Sattelhorn und rief wütend: »Hier ist der Sheriff, Mister! Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber was ich hier sehe, stinkt mächtig zum Himmel. Wir kommen jetzt zu euch hinüber. Waffen run­ter!«

Sie lenkten ihre Pferde an dem Brandschutt vorbei auf die Scheune zu. Matt funkelten die Sterne an ihren Westen. Zwei Gestalten verließen den tiefen Schatten vor der Hütte und gin­gen ihnen langsam entgegen.

»Wer seid ihr?", fragte der Sheriff, der ihre Gesichter nicht ausmachen konnte, der sich lediglich sicher war, keinen der Turpin-Brüder vor sich zu haben.

»James Dembrow und Bret Tucker von der Great Sand Ranch!«, kam es zurück.

Die beiden blieben stehen. Renslow konnte erkennen, dass sie zwar Gewehre in den Fäusten hielten, dass die Mündungen aber auf den Boden zeigten. Er saß ab. »Pass auf!«, raunte er Jones zu, der auf dem Pferd blieb und dessen Hand sich auf den Colt­knauf legte.

Renslow trat vor die beiden Great Sand-Reiter hin. »Was habt ihr hier zu suchen? Euer Boss hat ja schon gan­ze Arbeit geleistet.« Er vollführte ei­ne ausholende Armbewegung. »Stec­ken vielleicht noch mehr von euch in dem Schuppen?«

Der Tonfall des Sheriffs klang un­geduldig, war zwingend und schroff. Trotz des schlechten Lichts war der eisenharte Wille dieses Mannes von seinen kantigen Zügen abzulesen. Er wirkte in der Dämmerung schlank, hager und dunkel wie ein Wolf.

»Wir haben einen Verwundeten. Lane Turpin hat ihn aus dem Sattel geschossen.«

»Was tut ihr hier?« Ranslows Blick sprang von einem zum anderen.

Den beiden Cowboys wurde es plötzlich ziemlich unbehaglich zumu­te. Schließlich aber antwortete Dembrow: »Wir sind auf Befehl Big Jims zurückgeblieben, um Cole Turpin und Tex Dudley zu bewachen.« Dembrows Stimme kam zaghaft. Sein Ge­sicht sah bekümmert aus, es wirkte müde und unruhig.

»Erzähle!«, forderte der Sheriff und hakte seine Daumen in den Patronen­gurt. »Ich will alles wissen. Hörst du? Alles!« Er spürte beinahe körperlich die Ratlosigkeit, die die beiden Weidereiter ausstrahlten. Und die Anspannung in ihm wuchs, aber auch die Ungeduld, weil sich keiner der beiden entschließen konnte, den Mund aufzumachen.

»Ich warte!«, schnauzte er.

Nun war es Tucker, der sich entschloss, dem Sheriff Bericht zu erstat­ten. Stumm lauschte der Gesetzeshü­ter. »Tex Dudley hat Dave Turpin be­graben«, schloss der Cowboy. »Und jetzt jagt Big Jim Lane Turpin. Turpins Leben ist keinen Cent mehr wert, sage ich Ihnen.«

»Ich habe die Geschichte von Tex Dudley ein wenig anders vernom­men, Tucker!«, rief Moss Jones kehlig.

»Was sagst du dazu?«. Der Sheriff knurrte unheilvoll.

Verstockt und störrisch schwieg der Cowboy.

»Ich werde die Wahrheit herausfin­den, Tucker! Und wehe, wenn du mich angelogen hast. Dann kannst du was erleben.« Renslow befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen. »Big Jim hat also das Gesetz in seine eigenen Hände genommen!«, knurrte er dann wie im Selbstgespräch. »Dieser alte, sture Narr!« Er hieb mit der flachen Hand durch die Luft, als brauchte er ein Ventil für seinen Zorn. Sein Blick verkrallte sich an Tucker, der den Kopf zwischen die Schultern zog und betreten auf den Boden stierte. »Dann wollen wir mal in den Schup­pen hineingehen, Freunde. Gibt es hier noch so etwas wie eine Laterne?«

»Ja«, erwiderte Dembrow und schwang auf dem Absatz herum. Er lief in die Scheune. Ein Streichholz flammte auf. Helligkeit breitete sich aus, als die Lampe brannte.

Sattelsteif ging der Sheriff in den Schuppen. Sein Schatten fiel über drei Männer auf dem Boden, von denen einer gefesselt und geknebelt war. Tex Dudley. Cole Turpin lag unter ei­ner Decke und wälzte sich stöhnend und röchelnd hin und her. Der ver­wundete Great Sand-Reiter lag still und atmete rasselnd. Er hatte die Au­gen geschlossen, sein Gesicht war bleich, schweißnass und eingefallen.

Tucker war dem Sheriff gefolgt. Der nahm alles in sich auf und spürte, wie sich an seinem Gaumen ein gal­lenbitterer Geschmack festsetzte. »Nimm Dudley den Knebel aus dem Mund!«, befahl er unwillig. »Und schneide seine Fesseln durch.« Er beugte sich über Cole Turpin. Blutige Striemen zogen sich über dessen Ant­litz. Renslow sah die fiebrig entzün­deten, zuckenden Lider, vernahm unzusammenhängendes Gestammel aus dem Mund des zerschlagenen Man­nes, sah die Schweißperlen auf seiner Stirn und brauchte einige Zeit, um diesen Anblick zu verarbeiten. Wut kroch in ihm hoch.

Er richtete sich auf. »Mir scheint, ihr habt hier gehaust wie die Vandalen!«, brach er erbittert los. Seine Au­gen hatten sich vor Zorn verdunkelt. Seine Stimme sank herab zum unheil­vollen Geflüster: »Damit hat Big Jim das Fass zum Überlaufen gebracht.« Der Sheriff griff sich an den Kopf. Plötzlich aber wirbelte er zu Tucker herum, der Tex Dudley von seinen Fesseln befreit hatte. Tex rappelte sich in die Höhe und massierte seine Handgelenke, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen.

»Und ihr wart dabei, Tucker! Yeah, ihr habt all diese Schweinereien mit­gemacht und ihr seid euch dabei wahrscheinlich noch mächtig stark vorgekommen. Weißt du, was das Gesetz darauf für eine Antwort hat, mein Freund? Gefängnis! Ihr wandert hinter Gitter, bis ihr schwarz werdet. Viel­leicht legen sie sogar dem einen oder anderen von euch einen Strick um den Hals!«

»Sie waren dabei«, bestätigte Tex Dudley und ließ Tucker nicht aus den Augen, der ihn tückisch fixierte. »Ich konnte die Geschichte hören, die er Ihnen auftischte, Sheriff«, fuhr Tex bedächtig fort. »Ihr Deputy wird Ih­nen sicherlich meine Version berichtet haben. Sie entspricht der Wahrheit. Sehen Sie mein Gesicht, Sheriff? John Landers sollte mir Big Jims Auffas­sung von der Schießerei draußen auf der Weide ins Gehirn hämmern. Wenn Lane nicht aufgetaucht wäre, dann hätte er es vielleicht sogar ge­schafft.«

Der Sheriff beobachtete Tucker, der Anstalten machte, Tex an den Hals zu gehen. Warnend hob er die Hand. »Bewahre Ruhe, Tucker, sonst machst du für dich alles nur noch schlimmer.« Sein Blick schweifte zu Dembrow, der mit verkniffenem Ge­sicht dabeistand und schwieg. »Hört her, ihr beiden«, sprach der Sheriff weiter. Er bemühte sich um einen kla­ren, sachlichen Tonfall. »Ich gebe euch eine Chance, einen Teil eurer Schuld abzutragen.« Er verstummte, ließ seine Worte sekundenlang wirken und sah das jähe Interesse in den Augen Dembrows, in dem die Worte des Sheriffs von Gefängnis und Strick nachklangen wie ein höllischer Choral. »Besorgt einen Wagen mit Heu und bringt die beiden armen Hunde da am Boden auf dem schnellsten Weg in die Stadt.«

Dembrow stieß scharf die Luft durch die Nase aus. »Ich würde es tun, Sheriff. Allerdings ist der Wagen-Schuppen ebenfalls abgebrannt. Wir haben zwei Pferde. Das meine und den Gaul Caldwells.« Er deutete mit dem Kinn auf den Burschen, der Lanes Kugel im Körper hatte. »Die nächste Farm ist die Clay Reeds. Aber …«

»Dann reitet eben einer von euch zu Reed und borgt sich einen Wagen und ein Pferd aus!«, schnitt ihm der Sheriff brüsk das Wort ab.

Dembrow wich dem forschenden Blick aus. »Zu ihm ist Lane geflohen, nachdem die Ranch in Feuer aufging. Big Jim fand es heraus. Er hat Reed nicht mit Samthandschuhen angefasst. Und das Mädchen bekam auch einiges ab. Ich glaube nicht, dass Clay oder seine Tochter einen von uns näher als bis auf Gewehrschussweite an sich herankommen lassen. Vor allem die Kleine hat Haare auf den Zäh­nen.«

»Oh, verdammt!«, röhrte der She­riff entrüstet. »Was seid ihr doch für hundsgemeine Lumpen!«

In diesem Moment zerbrach Tuckers Fassung. Der Gedanke, ins Ge­fängnis zu wandern, vielleicht über Jahre hinweg eingesperrt zu sein, raubte ihm den Verstand. Er riss das Gewehr hoch und sprang den Sheriff unvermittelt an. Renslow duckte sich unwillkürlich, konnte aber nicht verhindern, dass ihn der heruntersausen­de Lauf am Ohr streifte und mit aller Härte auf seine rechte Schulter knall­te. Schreck und Schmerz entrissen ihm einen gellenden Aufschrei, eine jähe Lähmung erfasste seinen Arm und machte ihn im entscheidenden Moment wehrlos. Denn Tucker rammte ihm im Nachsetzen die Linke in den Magen. Der Oberkörper des Sheriffs pendelte nach vorn. Der Cowboy stürzte an ihm vorbei zum Tor. Er feuerte ohne zu zielen auf Moss Jones, der sich instinktiv vom Pferd kippen ließ und hart auf die Er­de prallte.

Tucker erreichte, ehe überhaupt je­mand richtig zur Besinnung kam, das Pferd des Sheriffs. Er erhaschte es am Zaumzeug und wollte sich mit einem Satz in den Sattel werfen.

Aber nun reagierte Renslow. Mit zwei Sprüngen war er im Freien. Er zog mit der Linken den Colt und brüllte: »Stehen bleiben, zum Teufel! Bleib …«

Das Pferd war zurückgescheut. Tucker hatte es nicht geschafft, mit dem ersten Schwung in den Sattel zu gelangen. Mit einer lästerlichen Ver­wünschung auf den Lippen kreiselte er herum. Er schlug das Gewehr auf Renslow an. In seinen Augen glitzerte der Irrsinn.

Das Eisen bäumte sich in der Faust des Sheriffs auf. Ein dumpfer Ton quoll aus Tuckers Kehle, dann brach er vornüber zusammen. Sofort wir­belte der Sheriff zu Dembrow herum. Aber der stand wie angewurzelt und war nicht fähig, zu begreifen, was sich innerhalb der letzten Sekunden abgespielt hatte.

Moss Jones kam mit dem Revolver in der Faust hoch. Tex Dudley wischte sich über die Stirn, blies seine Backen auf und fasste sich nur ganz allmählich wieder. »Er ist tot!«, rief der Deputy, und seiner Stimme war anzuhören, dass auch er noch schwer an dem Schock trug, den Tuckers Schuss in ihm ausgelöst hatte.

»Dieser Dummkopf!«, knirschte der Sheriff. »Ich hätte ihm wirklich ei­ne Chance gegeben. Es hätte mich nicht gekümmert, wenn er verduftet wäre, bis ich wieder in der Stadt bin. Dembrow, du wirst einen Wagen bei Clay Reed holen und die beiden nach Alamosa bringen!«

James Dembrow nickte wie in Trance.

»Und du passt auf ihn auf, Dudley. Nimm ihm die Waffen weg und steck dir selber wieder eine Knarre ins Half­ter.«

»Klar, Sheriff«, murmelte Tex. »Und was haben Sie vor?«

»Moss und ich folgen Lane Turpin und Big Jim, um zu retten, was noch möglich ist. In welche Richtung ist Lane geflohen?«

»Nach Osten, auf die Berge zu.«

»Okay, Moss. Nach Osten also!«

*

Das Grollen der Detonation schlug auseinander wie hallender Donner. Big Jim und seinen Männern wies der Knall den Weg. Sie brauchten sich nicht zu beeilen. Das wussten sie. Lane Turpin wartete. Sie wichen den übereinander getürmten Felsgebilden aus und erreichten den Rand der Ebe­ne. Am Fuße des Hanges mit den zer­zausten Kiefern, dem Fettholz- und Dornengestrüpp und den aus dem Bo­den sich erhebenden Findlingen hiel­ten sie an.

»Dort oben hat der Bastard sich postiert!«, rief Big Jim. »Wir lassen die Pferde hier zurück und teilen uns auf. Zu Fuß sind wir auf jeden Fall wendi­ger und vor allem leiser.«

»Und wenn ihn einer vor dem Lauf hat, nicht überlegen sondern schie­ßen!« ergänzte John Landers.

Sie verließen die Sättel und leinten ihre Pferde an. Dann schlichen sie auseinander. Ab und zu kollerten Steine oder klapperte ein Absatz. Jede mögliche Deckung ausnutzend arbei­teten sie sich den Hang hinauf. Lane blieben die kaum wahrnehmbaren Hinweise, die ihr Kommen verrieten, nicht verborgen. Er verlor nichts von seiner kalten Ruhe. Soweit es die Dunkelheit zuließ, hatte er den Rand des Plateaus, das bis zu den Bergen reichte, im Blick.

Ihm entging nicht eine huschende Bewegung direkt an der Stelle, an der er den Berg heraufgekommen war. Sein Blick wanderte nach rechts, dann nach links, und auch dort konnte er einen Schatten wahrnehmen, der so­gleich hinter einem Felsblock ver­schwand.

Lane drängte sein Pferd an der sei­nen Jägern abgewandten Seite aus der Felsengruppe. »Ich verlasse mich auf dich, Alter!«, wisperte er dem Tier ins Ohr. Dann versetzte er ihm einen harten Schlag auf die Kruppe. Das Pferd warf erschreckt den Kopf hoch und sprang aus dem Stand an. Lane lief zwei Schritte hinterher, noch ein­mal klatschte seine flache Hand auf die Kruppe des Tieres. Der Braune fegte los. Scharf und klirrend erklang das Hufgetrappel in der Nacht. Mit fliegenden Steigbügeln raste das Pferd auf die Felskette zu. Und Lane glitt sofort wieder zurück in seine Position, die ihm einen umfassenden Überblick ermöglichte. Er konnte nun auch rechts vor sich eine verschwommene Gestalt ausma­chen, die geduckt über den Hügelrand hetzte und in Deckung ging. Sein Pferd donnerte in die Nacht hinaus. Der Hufschlag entfernte sich schnell.

Big Jim und seine Männer warte­ten. Lane grinste in sich hinein. Er stellte sich ihre Ratlosigkeit vor und versuchte sich in Big Jims Gedanken­gänge hineinzuversetzen. Er ver­nahm schnelle Schritte. Einige Herz­schläge lang war ein gleitender Schatten zu sehen. Erregtes Flüstern wehte heran.

Dann brach der Hufschlag ab. Ein entferntes Wiehern - Ruhe.

Aber Big Jim und seine Reiter gin­gen auf Nummer Sicher. Landers war es, der sich an den Rancher herangepirscht hatte und wisperte: »Es ist eine Finte, Boss. Er hockt irgendwo vor uns und wartet nur darauf, dass wir leichtsinnig werden. Dann knallt er uns ab wie auf dem Schießstand.«

Big Jim kauerte eng an den rauen Stein geschmiegt auf den Absätzen. »Wir müssen jedenfalls davon ausge­hen, dass er uns zu bluffen versucht. Dieser Hundesohn ist mit allen schmutzigen Wassern gewaschen. Hoffentlich fallen Stuart und Lonelly nicht auf ihn herein.«

»Und wenn schon«, versetzte Lan­ders kalt. »Wenn ihm einer dieser bei­den Halbaffen vor die Flinte läuft, wissen wir gleich Bescheid, wo er sich verschanzt hat«

Big Jim begriff, und obgleich er sich sagte, dass in dieser Rechnung seines Vormannes ein ausgesprochen hohes Maß an Niedertracht steckte, wit­terte er darin eine glasklare Chance, Lane Turpin zu fassen.

»Okay«, murmelte er ohne jede Gefühlsregung. »Sieh zu, Landers, dass du tiefer in die Ebene gelangst. Denn wenn Turpin nicht geflohen ist, dann hat er sich, dem Hufschlag nach zu urteilen, irgendwo in der Nähe verkrochen. Versuche in seinen Rücken zu gelangen.«

Landers schlich davon.

Das war im selben Moment, als Lane seine Stellung aufgab. Er glitt in die Richtung, wo er einen der Schemen hinter einem Felsblock verschwinden sah. Schutz vor unliebsamen Blicken gab es ausreichend. Er war vorsichtig und wachsam und setzte tastend einen Fuß vor den anderen. Und dann sah er die Konturen des Burschen, der sich behutsam hinter dem Steinklotz hervorschob. Lane hielt die Luft an. Der Mann bewegte sich direkt auf ihn zu. Dann passierte er seine Stellung. Lane ließ ihm noch einen Schritt, dann schien er halbrechts hinter dem Kerl aus dem Boden zu wachsen. Der aber spürte die Gefahr, denn mitten aus der Bewegung heraus wirbelte er ge­duckt und katzenhaft schnell herum. Lanes Gewehrkolben sauste auf ihn herunter und fällte ihn. Klirrend flog die Winchester des Burschen auf den steinigen Boden.

Noch weiter links blitzte es auf. Lane federte zur Seite und hatte die Winchester gedankenschnell im Hüft­anschlag. Er sah das verglühende Mündungslicht und jagte einen Schuss hinein. Nun krachte es hinter seinem Rücken. Er hechtete in den Schutz des Felsblocks und hörte das grässliche Quarren eines Querschlägers. Das Hämmern schneller Schritte trieb heran. Lane zuckte in der Hocke herum, warf sich auf den Bauch und spürte einen schmerzhaften Stich, als sich ihm ein spitzer Stein in die Rip­pen bohrte. Mit einem wummernden Dröhnen strich eine Kugel dicht über ihn hinweg, einen Atemzug lang riss das Mündungsfeuer die springen­de Gestalt aus der Finsternis. Lane zog durch. Der Mann rannte mitten in die Kugel hinein, wurde herumge­schleudert, knickte im Kreuz ein und verschwand zwischen dem Geröll.

Sofort wechselte Lane seine Posi­tion und kniete ab. Dort, wo er sich eben noch befunden hatte, klatschte Blei gegen den Felsen, wurde platt ge­drückt und jaulte mit giftigem Heulen in die Nacht hinein. Zwischen zwei Felsnadeln machte Lane eine hoch gewachsene, vierschrötige Gestalt aus. Wie ein Scherenschnitt hob sie sich schwarz und klar gegen den helleren Hinter­grund ab.

Big Jim!

Er war keinen Steinwurf weit von Lane entfernt, und nun rief er bre­chend: »Jetzt fährst du in die Hölle, Turpin!« Mit seinem letzten Wort drückte Big Jim ab. Eine grelle Lohe stieß auf Lane zu. Die Kugel zerfetzte sein Hemd und zog ihm eine blutige Spur über die rechte Seite. Lanes er­ster Schuss verfehlte den Rancher. Er rollte herum. Big Jims zweites Ge­schoss ließ Gesteinssplitter an der Stelle auseinanderspritzen, an der Lane eben noch gekniet hatte. Lane feuerte zurück. Big Jims Gestalt schien zu wachsen. Ein japsender Schrei des Ranchers mischte sich in den sich verflüchtigenden Hall der Detonationen. Er taumelte gegen ei­nen der Felsen und rutschte langsam zu Boden. Fasziniert starrte Lane se­kundenlang auf das Bild, das sich ihm bot, doch er fühlte nicht die Spur ei­ner Genugtuung.

Dann aber wurde ihm schlagartig bewusst, dass der Kampf noch nicht zu Ende war. Er hatte es auf jeden Fall mit vier Gegnern zu tun. Zwei waren tot oder kampfunfähig. Einen hatte er bewusstlos geschlagen. Es war nur ei­ne Frage der Zeit, bis er wieder zur Besinnung kam und sich erneut einmischte.

Lane schnellte hoch. Mit der Kraft eines Raubtieres sah er eine hohe Ge­stalt auf sich zujagen. Der Bursche hatte versucht, den Schusswechsel zwischen ihm und Big Jim auszunut­zen, und es war wohl seine Absicht, so nahe wie möglich an Lane heranzu­kommen. Er sah Lane hochfedern und stürzte sich mit wildem Gebrüll auf ihn. Lane reagierte mit instinktiver, blitzartiger Behändigkeit und tauchte unter der heranfliegenden Gestalt weg, pendelte herum und ließ mit der Drehung sein Gewehr kreisen. Er knallte dem Angreifer den Schaft in den Rücken. Der Bursche krachte auf das Gesicht. Sofort sprang Lane einen Schritt auf ihn zu und drückte ihm die Mündung zwischen die Schulterblät­ter.

»Das war's wohl!«, fuhr es rasier­messerscharf über seine Lippen.

Aber der Mister dachte nicht daran, aufzugeben. Er warf sich herum, spür­te den Druck der Mündung nicht mehr auf seiner Wirbelsäule und um­klammerte mit beiden Armen Lanes Beine. Lane, von dieser Aktion total überrascht, verlor das Gleichgewicht. Er stürzte und kam auf den Burschen zu liegen. Der aber wand sich mit un­nachahmlicher Wendigkeit unter ihm hervor und schlug ihm die Faust ge­gen den Kopf.

Gleichzeitig kamen sie in die Höhe, Und nun erkannte Lane, wen er vor sich hatte. Es war John Landers. Ihre Gewehre lagen auf der Erde. Landers stieß sich ab. Seine Fäuste flogen. Lane wurde vom Aufprall des Körpers erneut aus dem Gleichgewicht ge­bracht und stolperte zwei Schritte zu­rück. Landers' Faust landete kra­chend auf seinem Brustkorb, die an­dere pfiff dicht vor seinen Augen ins Leere, weil er im letzten Moment den Kopf in den Nacken warf. Lane fand nicht die Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein gemeiner Tritt Landers' gegen seinen verwundeten Ober­schenkel löste ein Inferno höllischer Qualen in seinem Körper aus. Dumpfer Druck legte sich auf sein Gehirn, dem furchtbaren Schmerz gesellte sich bleierne Benommenheit hinzu. Panikartig überrollte ihn eine Welle der Angst, dass er zu guter Letzt doch noch verlieren würde. Und die Verzweiflung kam. Doch mit ihr erwach­te in ihm der Wille, durchzuhalten. Er schien sein Bewusstsein mit frischer Energie aufzuladen.

Landers attackierte ihn auf kurze Distanz und schlug wie von Sinnen. Jeder Schlag wurde von einem abge­rissenen Knurren begleitet. Lane warf sich einfach in den Hagel unkontrol­lierter Schwinger hinein. Den Schmerz in seinem Bein nahm er kaum noch wahr. Der Selbsterhal­tungstrieb war stärker als die Not, die ihn für kurze Zeit außer Gefecht ge­setzt hatte. Er klammerte sich an Landers und stieß ihm den Kopf ins Gesicht. Sofort glitt Landers einen Schritt zurück, aber Lane ließ nicht locker. Er schick­te zwei Haken auf die Reise und traf den Vormann empfindlich auf das Jochbein und das Ohr. Aber Landers stand wie ein Fels. Der Hass schien ihn schmerzunempfindlich zu machen. Und Lane spürte die Schwäche, die in ihm jäh das Empfinden hervorrief, dass seine Fäuste tonnenschwer wur­den. Sein Puls raste, sein Atem flog, und er bot seine letzten Energien auf …

*

»Schneller!«, brüllte Sheriff Vince Renslow, als die ersten Detonationen vom Wind herangetragen wurden. In halsbrecherischer Karriere ließen er und Moss Jones ihre Pferde galoppie­ren. Beim geringsten Fehltritt eines der Tiere konnte sich der Reiter den Hals brechen.

Wieder dröhnten irgendwo vor ihnen die Waffen. Und die beiden Männer glaubten den Hauch von Tod und Verderben zu spüren, der wie ein eisiger Luftzug heranstrich.

Die Waffen schwiegen. In unver­mindertem Tempo stoben sie dahin.

Sie jagten über die Hochebene. Ih­nen entgingen an ihrem Ende nicht die verschwommenen Konturen eini­ger Pferde, die sich unruhig bewegten und an den Leinen zerrten. Die bei­den Gesetzeshüter sprangen ab und hetzten ohne ein Wort zu verlieren den Abhang hinauf. Sie hatten die Re­volver in den Fäusten, ihre Muskeln waren angespannt, ihre Sinne akti­viert. Mit pumpenden Lungen kamen sie oben an. Ihre Blicke gingen in die Runde. Eine hassgetränkte Stimme wehte heran: »Ich mache dich fertig, Turpin! Du fährst in die Hölle, du elendes Stinktier. Billy Forsyth war der beste Freund, den ich jemals hat­te. Doch du hast ihn umgebracht!«

Ein klatschender Schlag folgte diesen Worten, ein ersticktes Gurgeln, wieder ein Schlag.

»Komm!« Der Sheriff orientierte sich am Klang der Stimme. Moss Jones glitt wie ein Schatten hinter ihm her.

»Ich werde dich nach Alamosa schleppen, Landers!«, erklang Lane Turpins gepresste Stimme. »Und du wirst Renslow Wort für Wort berichten, wie es sich zugetragen hat.« Ein dumpfes Schlaggeräusch schloss sich an, ein Stöhnen, und ein harter Fall. »Du wirst Renslow die Wahrheit er­zählen! Bill wollte mich kaltblütig niederknallen, als ich nicht auf ihn achtete.« Wieder schlug Lane zu. Landers, der sich gerade erheben wollte, krachte auf die Seite, heulte auf und trat von unten herauf nach Lane.

Renslow und Jones konnten jetzt den Kampf beobachten. Sowohl Lane Turpin als auch John Landers schie­nen sich völlig verausgabt zu haben. Aber ein jeder von ihnen konzentrier­te sich derart auf den anderen, dass sie die beiden Männer in einer Entfer­nung von wenigen Schritten überhaupt nicht wahrnahmen.

Landers stemmte sich keuchend in die Höhe. Er kam auf die Knie, warf sich nach vorn und klammerte sich mit beiden Händen an Lane. »Ja«, krächzte Landers. »Er wollte dich zum Satan schicken. Leider ist ihm das nicht gelungen. Dein Vater, dieser alte Narr, warf sich dazwischen. Aber auch er war ein Turpin. Also war es um ihn nicht schade.« Er kämpfte sich an Lane in die Höhe. Lanes Hände legten sich um seinen Kehlkopf und drückten zu. Die Augen quollen Lan­ders aus den Höhlen. Sein Mund klaff­te auf, gierig lechzte er nach Sauerstoff und krächzte unverständliche Laute. Er umklammerte Lanes Hand­gelenke und versuchte, den Würge­griff von seinem Hals zu lösen. Feuri­ge Kreise drehten sich schon vor sei­nen Augen. Aber Lane ließ nicht locker. Der Vormann zog das Knie an. Lane wurde empfindlich getroffen. Seine verkrampften Hände öffneten sich. Landers feuerte einen lahmen Haken ab. Er verfehlte Lane und wur­de von seinem eigenen Schwung halb herumgeschleudert.

Sheriff Renslow fand es an der Zeit, einzuschreiten. Er wollte sich gerade in Bewegung setzen, als er die Silhou­ette eines Mannes zwischen einigen Felsbrocken auftauchen sah. Im mat­ten Licht funkelten die Metallteile ei­ner Winchester. Renslow riss die Hand mit dem Colt hoch. Aber er reagierte genau den Bruchteil eines Augen­blicks zu spät, der zwischen Erkennen und Begreifen liegt. Der Schuss des Burschen krachte in dem Moment, in dem sich John Landers wieder auf Lane Turpin stürzen wollte.

Der Sheriff schoss. Ein fast tierisch zu nennender Aufschrei erhob sich, das Geschoss Renslows trieb den Burschen auf die Zehenspitzen. Seine Winche­ster fiel zu Boden. Der Mann drehte sich um seine Achse und fiel seitlich über einen der Steinklötze.

Die heimtückisch abgefeuerte Ku­gel fuhr John Landers in den Rücken. Er sank vornüber direkt in Lanes Ar­me. Mit einem schrecklichen Aus­druck in den Augen starrte er Lane an. Plötzlich aber wurde sein Körper schlaff und schwer. Ein letzter, flat­ternder Atemzug, dann war Landers tot. Lane hatte nicht mehr die Kraft, ihn festzuhalten. Er ließ ihn zu Boden gleiten, wankte zu einem Stein und setzte sich darauf. Das Gesicht in bei­den Händen vergrabend bemühte er sich, seine auseinanderdriftenden Gedanken zu ordnen. Der Mann, der ihn bis zuletzt vernichten wollte, hat­te ihm das Leben gerettet, indem er die tödliche Kugel auffing. Ein Hohn des Schicksals.

Renslow trat hinter ihn. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte brüchig: »Du hast es ausgestan­den, Lane. Keine Sorge. Ich konnte mir die Wahrheit bereits zusammenrei­men. Bill Forsyth war eine Ratte. Und nun habe ich aus Landers' Mund ver­nommen, was mir noch fehlte, um endgültig von deiner Unschuld über­zeugt zu sein. Was ist mit Big Jim?«

»Tot, schätze ich.« Lanes Worte kamen lahm. Um ihn herum wurde es stockfinster, und sein letzter Eindruck war, in einen bodenlosen, pech­schwarzen Schacht zu stürzen.

*

Als Lane erwachte, lag er in einem weichen Bett. Jemand beugte sich über ihn. Verständnislos starrte er in das schmale, gelöste Gesicht. Und dann begriff er, dass es Lisas Antlitz war, in das er blickte. Sie lächelte, und ihre weißen, gleichmäßigen Zähne bildeten einen scharfen Kontrast zu ihren roten, verlockenden Lippen. Er sah die makellose Linie ihres feinge­formten Kinns, ihren sonnengebräun­ten schlanken Hals und hörte sie leise sagen: »Du hast zwei Tage lang geschla­fen, Darling. Noch ein paar Tage, und du kannst wieder alleine auf den Bei­nen stehen.« Sie beugte sich über ihn und hauchte ihm einen scheuen Kuss auf die rissigen Lippen. Dann fuhr sie fort: »Es ist alles gut, Lane. Dein Bru­der und mein Dad sind in der Obhut des Doc. Es geht ihnen schon wieder ganz gut. Körperlich werden sie bald wieder auf dem Damm sein …« Ein schmerzlicher Ausdruck huschte um ihren Mund. Aber die unerfreulichen Empfindungen gingen vorüber. Und Lisas Stimme hatte wieder Festigkeit, als sie erneut anhub: »Tex Dudley be­findet sich mit einigen Männern aus der Stadt draußen auf der Bar-T, um aufzuräumen. Schließlich wollen wir doch ein schönes Haus, wenn wir ver­heiratet sind und …«

Sie brach ab und schaute verblüfft in sein entspanntes Gesicht. Lane war wieder eingeschlafen. Aber sie wusste, dass er der Genesung entgegen­schlief, und ein Funkeln des Glücks spiegelte sich in ihren Augen.

E N D E

Western Action Großband Februar 2019 - 1000 Seiten Spannung

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