Читать книгу Western Action Großband Februar 2019 - 1000 Seiten Spannung - Pete Hackett - Страница 6
Schieß zurück, Lane Western von Pete Hackett
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Unter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war - eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
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Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress
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Charles Turpin wischte sich den Schweiß von der Stirn. Soeben hatten er und sein Sohn Lane die letzten Mavericks aus der Herde ausgesondert und zum Feuer getrieben. Cole, sein Ältester, warf eines der Kälber mit hundertfach geübtem Griff um und hielt es fest. Dave, der mittlere seiner drei Söhne, riss das Brandeisen aus dem Feuer. Der Stempel glühte. Zischend fraß sich die Hitze in das Fell des Jungtieres. Es roch nach verbranntem Horn. Rauch stieg auf. Das Rind brüllte, Cole sprang zurück. Mit einem Ruck war das nunmehr gebrändete Tier auf den Beinen, erschreckt rannte es davon, dorthin, wo die Herde stand.
Die Sonne hing über den Bergen im Westen. Noch acht Kälber. Charles stieg vom Pferd und führte es zum Wasserloch, dessen glatte Fläche wie Gold im Sonnenlicht schimmerte. Er ließ das Tier trinken, dann warf er sich einige Hände Wasser ins gerötete Gesicht und wusch sich Staub und Schweiß ab.
Lane half seinen Brüdern beim Brandmarken der letzten Mavericks. Charles beobachtete seine Söhne. Für den Sechsundfünfzigjährigen waren sie die prächtigsten Jungs der Welt. Groß, sehnig, stark und geradlinig. Dave und Cole glichen mehr ihm selbst, waren aus seinem Holz geschnitzt. Lane hingegen, der Jüngste, war mehr nach der Mutter geraten.
Ein schmerzlicher Ausdruck überlief das faltige Gesicht des Ranchers, als er an Mae dachte. Sie war vor fünfundzwanzig Jahren gestorben. Bei Lanes Geburt … Er hatte sich nie wieder eine Frau genommen. Es wäre ihm wie Verrat an seiner über alles geliebten Mae vorgekommen.
Noch achtmal zischte der Brandstempel, noch achtmal brüllten Jungtiere, dann stapften die drei Burschen zum Wasserloch. Sie hatten die Hemdärmel hochgekrempelt, waren schmutzig und abgekämpft, aber sie waren noch längst nicht am Ende. Ihr blitzendes Grinsen und das Leuchten in ihren Augen verrieten es.
»Schluss für heute!«, rief Charles mit tiefem Bass, der zu seiner vierschrötigen Gestalt passte.
»Wir könnten heute noch damit beginnen, die Rinder zu zählen und die Kühe für den Trail nach Denver auszusondern«, schlug Dave vor.
Cole seufzte und warf Lane einen viel sagenden Blick zu, den Charles auffing. Grinsend sagte der Rancher: »Mir scheint, Dave, damit stößt du bei deinen Brüdern auf wenig Begeisterung. Aber auch ich habe die Nase voll. Seit einer Woche sitzen wir täglich bis zu fünfzehn Stunden in den Sätteln. Ich spüre jeden einzelnen meiner alten Knochen.«
»Yeah, das mit den alten Knochen ist so eine Sache, Bruder«, sagte Dave grinsend. »Schließlich gehst du auf die dreißig zu. Verständlich, dass du Ruhe brauchst!«
In gespieltem Ernst nahm Cole die Stellung eines Faustkämpfers ein. Seine Muskeln strafften sich, »Komm her, Rotznase, dann prügle ich dich trotz meiner vermeintlich morschen Knochen bis nach Feuerland.«
»Und mit wem willst du die fünfhundert Kuhschwänze nach Denver treiben? Wer soll auf dich aufpassen, alter Bruder, wenn nicht ich?«, gab sich Dave entrüstet und trocknete sich mit seinem Halstuch das Gesicht ab.
Cole wollte etwas erwidern, plötzlich aber neigte er den Kopf zur Seite und lauschte. Auch Lane hatte den Kopf gehoben und witterte wie ein Wolf in südöstliche Richtung. Denn in die Geräusche der stehenden Herde hinein erklang trappelnder Hufschlag. Dave richtete sich auf. Von der Herde kam Tex Dudley, der einzige Cowboy der Bar-T Ranch. Er zügelte beim Wasserloch sein Pferd und sprang aus dem Sattel. »Hört ihr auch, was ich höre, Leute?«, krächzte er mit staubheiserer Stimme.
»Yeah«, erwiderte Charles Turpin rau und kratzend. »Und ich kann mir schon denken, wer da ankommt.« Er rannte zu seinem Pferd und zog entschlossen die Winchester aus dem Scabbard. Mit einem kurzen, harten Knacken hebelte er eine Patrone in den Lauf.
Auch Tex Dudley griff nach seinem Gewehr. Lane rückte den Revolvergurt zurecht. Dave stapfte langsam zu seinem Braunen und holte sich ebenfalls die Winchester. Und Cole lüftete seinen Colt im Halfter. Verschwommen wehte der Hufschlag heran, wurde aber schnell deutlicher. In den sonnengebräunten und von Wind und Regen gegerbten Gesichtern arbeitete es.
Und dann trieben die Reiter ihre Pferde über den Hügelkamm, an dessen Fuß die Bar-T Herde stand. Es waren sieben. Ohne anzuhalten ritten sie schräg den Abhang herunter. Unruhiges Gewoge ging durch die Herde. Horn klapperte, buschige Schwanzenden peitschten erregt. Das Muhen der Kühe verstärkte sich.
»Die Sattelstrolche von der Great Sand Ranch!«, knirschte Charles zwischen den Zähnen. »Ich wusste es.« Fester umklammerten seine Fäuste das Gewehr.
»Yeah, und allen anderen voran Bill Forsyth, der verschlagene Ableger Big Jims«, sagte Lane und spuckte aus.
Schließlich waren die Reiter heran. Sie zogen sich zu einer Linie auseinander, stützten sich lässig auf die Sattelknöpfe und lehnten sich vor. Das eine oder andere Pferd tänzelte, wurde aber hart an die Kandare genommen. Herausfordernde Augen fixierten die Bar-T Männer — und so herausfordernd wie ihre Blicke war die ganze Haltung der Leute von der Great Sand Ranch. Mit einem Schenkeldruck trieb Bill Forsyth seinen Schecken nach vorn. Sein Blick sprang von einem zum anderen und blieb schließlich an Charles Turpin hängen, der ihn gelassen erwiderte. »Das Land, auf dem ihr euch befindet, gehört meinem Vater!«, stieß Bill Forsyth hervor. »Wie kommt ihr dazu, hier euer Round up durchzuführen?«
Charles reckte die mächtigen Schultern und röhrte wütend: »Das ist freie Weide, Forsyth - Regierungsland. Hier dürfen die Rinder eines jeden grasen. Wenn dein Vater Anspruch auf dieses Land erheben will, dann muss er es kaufen. Und erst dann, wenn er mir eine Kaufurkunde vorweisen kann, ziehe ich meine Herde ab. Andernfalls stehen meine Rinder hier bis zum Jüngsten Tag.«
Bill Forsyth lachte scheppernd. Seine Stimme klirrte: »Du täuschst dich, Turpin. Deine Kuhschwänze werden schon in einer halben Stunde nicht mehr die Great Sand Weide zertreten und kahl fressen. Wir jagen sie nämlich auf dein Land zurück. Du hast es dir selbst zuzuschreiben. Gewarnt haben wir dich oft genug.«
Charles atmete tief durch. Mit einem schnellen Blick streifte er seine Söhne. Sie standen angespannt, wie sprungbereit da, heißen Zorn in den Augen, bereit zu kämpfen. Grimmig, bemüht, die hochkochende Wut zu unterdrücken, rief Charles: »Denk nur nicht, dass wir tatenlos zusehen, wenn ihr euch über unsere Rinder hermacht. Du musst damit rechnen, Bill Forsyth, dass du mit der Nase in den Dreck fliegst.«
Das Gesicht Bill Forsyths verzerrte sich, wurde zu einer boshaften, gehässigen Fratze. »Ihr Turpins seid uns schon lange ein Dorn im Auge!«, fauchte er und beugte sich weit im Sattel nach vorn. »Mein Vater bedauert es seit fünfzehn Jahren, dass er euch nicht in der ersten Minute, als ihr hier ankamt, zum Teufel jagte. Nun, was Big Jim versäumte, werde ich nachholen.« Seine Stimme triefte vor selbstsicherer Überheblichkeit.
Lane Turpin trat einen Schritt vor. »Du fühlst dich auch nur stark und unbezwingbar, wenn du die abgebrühtesten Sattelwölfe deines Vaters hinter dir weißt, Bill. Als wir uns das letzte Mal in Alamosa begegnet sind und du alleine warst, konntest du mir nicht mal gerade in die Augen sehen. Steig ab und kämpf mit mir. Beweise den Männern deines Vaters, dass du tatsächlich der hart gesottene Bursche bist, für den du dich gerne ausgibst.«
Die wilde Leidenschaft in seiner Stimme erschreckte Charles Turpin. Er kannte den Jähzorn Lanes, trat schnell neben ihn und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. Aber Lanes Blick ließ Bill Forsyth nicht mehr los und übte einen dumpfen Druck auf den Ranchersohn aus.
»Ich mache mir an einem wie dir die Hände nicht schmutzig!«, giftete Forsyth. »Du bist für mich nämlich Dreck, Lane Turpin. Und dich jage ich persönlich mit der Peitsche aus dem Alamosa County.«
Der Gesichtsausdruck Lane Turpins verriet, dass er kurz vor der Explosion stand. Der Griff seines Vaters wurde härter. Lanes Kiefer mahlten.
»Du bist ein Feigling, Bill Forsyth. Ein windiger, aufgeblasener Bastard, der nicht einmal Cody Renslaw das Wasser reichen kann!«
Cody Renslaw war der verkommenste Säufer in Alamosa. Für einen Brandy holte er Fünfcentstücke aus den Spucknäpfen in den Saloons. Ein Wrack, das sein Leben im Delirium fristete.
Lanes provozierende Worte hingen unheilvoll zwischen ihnen. Und jeder spürte, wie sich jäh eisige Kälte ausbreitete.
*
Bill Forsyth war zusammengezuckt wie unter einem Peitschenhieb. Er wusste, dass er sein Gesicht verlor, wenn er diese Herausforderung nicht annahm.
John Landers, der Vormann der Great Sand Ranch, rief rau vor unterdrückter Erregung: »Darauf gibt es nur eine einzige Antwort, Lane. Du weißt das.«
»Natürlich«, versetzte Lane gelassen und unbeeindruckt.
Bill Forsyth fühlte die ersten Anzeichen tiefer Unsicherheit und Angst. Aber wenn er jetzt kniff, würden ihn die Cowboys verachten. Und da schnitten auch schon John Landers' Worte tief in sein Bewusstsein: »Du wirst ihm die entsprechende Antwort nicht schuldig bleiben können, Bill. Oder willst du die Beleidigung auf dir sitzen lassen?«
Bill Forsyth erschauderte. Mit belegter Stimme, in der all seine inneren Nöte mitschwangen, gab er zu verstehen: »Wie du willst, Lane. Ich nehme deine Herausforderung an. Hoffentlich bist du dir darüber im Klaren, dass ich mit dem Colt besser bin als du. Ich habe es nämlich nicht nötig, lassoschwingend hinter sturen Rindern herzujagen. Ich hatte Zeit, zu üben.«
»Hör auf!«, mahnte Charles Turpin beschwörend und gerade so laut, dass Lane es verstehen konnte. »Wenn hier Blut fließt, dann wird es einen Krieg geben.«
Lane trat von seinem Vater weg. Dessen Hand rutschte von seiner Schulter und fiel nach unten. »Du redest zuviel, Bill!«, peitschte Lanes Stimme. »Also steig ab, damit wir es austragen können. Ich denke, diese Sache zwischen uns beiden ist längst fällig.«
Aller Augen ruhten auf Bill Forsyth. Er spürte die Blicke nahezu körperlich und kam sich vor wie ein in die Enge gedrängtes Tier. Fast zögernd hob er sein linkes Bein über den Sattelknauf. Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und machte zwei kurze, linkische Schritte. Seine Hand hing neben dem Revolverkolben, öffnete und schloss sich und war feucht vom Schweiß. »Es ist wegen Lisa, nicht wahr?«, zwang er sich, mit einigermaßen gefestigter Stimme zu sagen.
»Ich weiß, dass du ihr nachstellst, und zwar gegen den ausdrücklichen Wunsch deines Vaters. Als die Tochter eines Coyotenjägers steht sie unter seiner Würde. Du bist Lisa ein Gräuel. Sie hat es mir selbst gesagt. Und weil sie dir die kalte Schulter zeigt, brauche ich dich ihretwegen auch nicht auf deine richtige Größe zurechtstutzen.«
Bill Forsyths Blick wurde unstet. In seinem schmalen Gesicht zuckte es. Er schielte zu John Landers hin. Erbärmliche Furcht sprach aus jedem seiner Züge.
»Ich kann dir in diesem Fall nicht helfen, Bill«, knurrte Landers. Seine Worte fielen wie Hammerschläge und erreichten den Ranchersohn wie eine Botschaft von Untergang und Tod, hallten in ihm nach wie Höllenglocken. »Das ist eine Sache, die du alleine austragen musst. Tut mir leid!«
Blitzschnell hob Dave seine Winchester an. Die Mündung strich über die Reihe der Reiter. »Und ich rate auch keinem anderen, sich einzumischen!«, rief Dave.
Lane schoss seinem Bruder einen überraschten Blick zu. Überhaupt richtete sich die ganze Aufmerksamkeit für die Spanne einiger Herzschläge lang auf Dave. Nur Bill Forsyth, der sich das Gehirn nach einem Ausweg aus dieser für ihn gefährlichen Situation zermartert hatte, hatte Lane im Blick behalten. Und nun, da alles abgelenkt schien, sah er seine Chance. Seine Hand fuhr zum Colt. Das Eisen schwang hoch. Charles Turpin erfasste die tödliche Bedrohung zuerst. Sein Warnschrei blieb ihm im Hals stecken, er sprang vor und versetzte Lane einen heftigen Stoß. Im selben Moment brüllte der Schuss auf. Lane wurde zur Seite geschleudert, strauchelte und fiel auf die Knie. Und es war mehr der Reflex, als ein bewusster Wille, der ihn den Colt ziehen ließ. Das Donnern in den Ohren schoss er, Bill Forsyth knickte in der Mitte ein, er sperrte den Mund auf, und ein abgrundtiefes Röcheln brach daraus hervor. Seine Augen weiteten sich in ungläubigem Staunen.
Von Charles Turpin kam ein erstickendes Husten. Er wankte und hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Ein dunkler, feuchter Fleck auf seiner rechten Brustseite vergrößerte sich schnell. Rasender Schmerz zeichnete tiefe Risse und Linien in das Gesicht des Ranchers.
Betroffenheit und Lähmung griffen um sich. Der Pulverrauch, der Lane einhüllte, verflüchtigte sich. Erst der dumpfe Aufprall, als Bill Forsyth auf das Gesicht fiel, riss die Männer aus ihrer Erstarrung. Cole Turpin sprang hinzu, um seinen Vater zu stützen. Die Finger des Ranchers hatten sich im Hemd verkrallt. Blut sickerte zwischen ihnen hindurch. »Dad!« Fassungslos schrie Cole dieses Wort. »Mein Gott …« Seine Stimme erstarb, als er das Blut und die gähnende Leere im Blick seines Vaters sah.
Ein dritter Schuss krachte. Eine armlange Mündungsflamme zuckte aus Dave Turpins Gewehr. Einer der Great Sand Reiter warf beide Arme hoch, sein Colt flog im hohen Bogen davon, dann stürzte der Bursche rücklings vom Pferd.
Lane erhob sich. In die zerflatternde Detonation hinein brüllte er: »Schluss jetzt!« Erschlug den Colt auf John Landers an und sah aus den Augenwinkeln, wie Cole seinen Vater sachte zu Boden gleiten ließ.
»Dad stirbt!«, schrie Cole verzweifelt. Lane ließ den Colt sinken, eilte zu seinem Vater hin. Die Brüder tauschten einen fassungslosen Blick. »Die Kugel sitzt neben dem Herzen. Vielleicht hat sie die Lunge erwischt. Die einzige Rettung für ihn gibt es in Alamosa.«
Dave und Tex Dudley hielten die Great Sand Mannschaft in Schach. Ungeachtet der auf ihn gerichteten Waffen sprang John Landers vom Pferd. Er ging zu Bill Forsyth hin, der seinen Colt unter sich begraben hatte, beugte sich über ihn und drehte ihn auf den Rücken. Erschüttert starrte er in das bleiche, starre Antlitz mit den weitaufgerissenen, gebrochenen Augen, dann stieg es dumpf und hohl aus seiner Kehle: »Er ist tot. Oh, verdammt, Lane Turpin, du hast den Sohn Big Jim Forsyths erschossen. Dafür wird Big Jim dir die Haut in Streifen abziehen.«
Lane richtete sich auf. Der Aufruhr seiner Empfindungen legte sich. Bitterkeit stieg in ihm hoch. »Sieh dir meinen Vater an, Landers«, quoll es gallig aus seinem Mund. »Er wollte den Kampf nicht. Und nun hat er eine Forsyth-Kugel in der Brust und ist dem Tod näher als dem Leben. Bill war ein Bastard, der mich kaltblütig niedergeknallt hätte, als ihm die Gelegenheit günstig und risikolos erschien. Er hat den Tod verdient.«
»Big Jim wird dich zur Rechenschaft ziehen, Lane!« Landers stand auf und wischte sich mit dem Handrücken über die Augen, als wollte er einen bösen Traum verscheuchen. Aber das alles hier war alptraumhafte Wirklichkeit und ließ sich nicht einfach aus der Welt wischen. »Wir werden dich hetzen, bis dir die Zunge zum Hals heraushängt, Lane Turpin. Big Jim wird nicht ruhen, bis eure Sippschaft ausgerottet und die Bar-T ein Haufen Schutt und Asche ist. Und ich werde ihm dabei helfen. Denn Bill war mein Freund.« Mörderischer Hass brannte in seinen Augen.
»Packt ihn auf sein Pferd und haut ab!« schnappte Lane. »Und lasst euch nicht einfallen, noch einmal einen Fuß auf das Gebiet der Bar-T Weide zu setzen.«
Landers ging steifbeinig zu dem Cowboy, den Dave vom Pferd geschossen hatte. Der Mann lag am Boden und wimmerte. Die Kugel hatte ihm die Schulter zerschmettert. »Du wirst es überleben, Steve. Komm, ich helfe dir aufs Pferd.«
Charles Turpin regte sich. Seine Lider flatterten, seine Lippen bewegten sich und formten Worte, die nicht zu hören waren. Auf seinem verfallenen grauen Gesicht perlte Schweiß.
»Ruhig, Dad, ganz ruhig«, flüsterte Cole heiser vor namenloser Angst um seinen Vater.
»Lane!«, entrang es sich matt und kaum vernehmbar dem Rancher. Ein keuchender, abgerissener Atemzug, und dann noch einmal: »Lane, Junge …«
»Er will dich, Lane!«, murmelte Cole.
Lane kniete neben seinem Vater ab. Er schob ihm die flache Hand unter den Hinterkopf und stützte ihn, schaute in das zerfurchte Antlitz, das vom Tod gezeichnet war, und der Magen krampfte sich ihm zusammen.
»Lane.« Der Sterbende röchelte. »Der zweite Schuss — hast du Forsyth …« Seine Stimme brach. Aus seinem Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden. Lane riss sein Halstuch herunter und tupfte damit seinem Vater den Schweiß aus dem Gesicht.
»Forsyth ist tot«, entrang es sich ihm.
Die Lider seines Vaters sanken halb über die fiebrigen Augen herab. Seine Brust hob sich unter einem rasselnden Atemzug. »Du - darfst - nicht - hierbleiben, mein Junge …« Charles Turpins Stimme verebbte wie ein Windhauch. Unzusammenhängendes Gestammel folgte. Seine Hände zuckten unkontrolliert. Aber dann fand er noch einmal die Kraft, zu sprechen. Es war das letzte Aufflackern der Flamme seines Widerstandsgeistes. »Big Jim wird den Tod seines Sohnes fürchterlich rächen. Reite fort, Lane, reite fort - sonst - tötet - er dich!« Sein Kopf wurde schwer, sein Blick erlosch. Charles Turpin war tot.
Lane stand auf. Er war wie benommen. Die Great Sand Reiter hatten Bill Forsyth auf sein Pferd gelegt. Der Bursche, dem Dave die Schulter zerschossen hatte, hockte krumm und mit schmerzverzerrtem Gesicht im Sattel. John Landers saß gerade auf. Er setzte sich zurecht und rief grollend: »Wir kommen dich holen, Lane Turpin. Und solltest du es vorziehen, zu fliehen, dann werden wir dich jagen. Du wirst keine ruhige Minute mehr haben. Du bist so gut wie tot.«
Lane sah ihn mit einem Blick an, der durch den Vormann hindurchzudringen schien. Er hielt noch immer den Colt in der Faust. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Es war, als hätte er die Drohung Landers überhaupt nicht begriffen. Er stand nur da und mutete an wie ein Mann, dessen Welt zusammengestürzt, in dem etwas zerbrochen war.
»Reiten wir!« Landers spornte sein Pferd an und gab ihm den Kopf frei. Schweigsam folgte ihm die Mannschaft. Sie ritten den Weg zurück, den sie gekommen waren. Bald verschwanden sie über dem Hügel aus dem Blickfeld der Turpins. Dave und Tex Dudley senkten die Waffen. Wie im Trance ging Dave zu seinem Vater hin. Heiß stieg es in ihm hoch. Er schluchzte trocken.
*
Es war Nacht. Unter der Sichel des Mondes pfiff ein frischer Wind dahin. Er rüttelte an den Türen der Bar-T Ranch und trieb prasselnd den feinen Sand gegen die Fenster. Die drei Brüder hatten Charles Turpin in der Wohnstube aufgebahrt. Zwei Kerzen flackerten und verbreiteten trübes Licht,
Bleischwer hing das bedrückte, dumpfe Schweigen im Zimmer. Lane und Dave saßen am Tisch. Die Gewehre lehnten griffbereit neben ihnen. Cole hatte sich einen Stuhl zum Fenster geholt und starrte hinaus in die Dunkelheit. Wolkenschatten zogen über den Hof. Die Spannung, die bleierne Ruhe, das Warten auf Big Jim - das alles zerrte an den Nerven und zermürbte sie.
An Schlaf dachte keiner der Brüder. Obwohl eine Woche knochenbrechender Sattelarbeit hinter ihnen lag, würde keiner von ihnen Ruhe finden.
Jeder hing seinen unerfreulichen Gedanken nach. Jeder spürte das Verhängnis, das sich über ihren Köpfen zusammenbraute. Aber keiner dachte an Flucht.
Tex Dudley war auf dem Weg nach Alamosa. Er sollte den Sheriff über den Vorfall auf der Weide unterrichten. Dessen Aufgabe war es, für Friede und Ordnung im County zu sorgen. Und bis er eintraf, wollten Lane und seine Brüder sich gegen Big Jim Forsyth behaupten.
Zäh verrann die Zeit. Irgendwann trug der Wind das Pochen von Pferdehufen heran. Coles Stimme sprengte die lastende Stille: »Sie kommen!«
Lane blies die Kerzen aus. Stiefelleder knarrte, Sporen klirrten. Eine Diele ächzte. Die Finsternis war mit den Augen nicht zu durchdringen. Nur vor dem Fenster zeichnete sich Coles Schulter- und Kopfpartie verschwommen ab.
»Wo willst du hin, Lane?«, fragte Dave.
»Ich verschanze mich im Wagenschuppen. Sobald sie in den Hof reiten, haben wir sie in der Zange.«
»Glaubst du, sie reiten uns wie blutige Anfänger vor die Mündungen?«, rief Dave hastig.
»Warten wir es ab. Jedenfalls gehe ich in den Schuppen hinüber.«
»Nichts zu machen, Lane!«, mischte sich Cole mit scharfer Stimme ein. »Was du vorhast, ist nämlich Selbstmord. Ich durchschaue deine Absicht, Bruderherz.« Er erhob sich mit einem Ruck und verdunkelte mit seinem Körper das Fenster. »Du willst vom Wagenschuppen aus die Aufmerksamkeit Forsyths auf dich ziehen, weil du der Meinung bist, dass er es einzig und allein auf deinen Skalp abgesehen hat Du möchtest uns raushalten. Aber daraus wird nichts. Er will uns alte. Darum wirst du auch nicht den Märtyrer spielen.«
»Das ist Unsinn! Ich …«
»Geschenkt«, presste Dave hervor. »Wir stellen uns diesem Weidepiraten geschlossen entgegen. Und wenn es so sein soll, dann gehen wir eben gemeinsam drauf.«
»Wie ihr wollt.« Lane gab sich geschlagen, ging zum anderen Fenster und schob es hoch. Ein kühler Luftzug streifte sein Gesicht.
Dave murmelte: »Ich postiere mich an der Haustür. Von dort aus habe ich auch das Korridorfenster in der Rückwand im Auge.« Er stapfte hinaus.
Dumpf brandete der Hufschlag heran. Er war der Vorbote von Untergang und Tod. Big Jim Forsyth wollte Rache. Sein Herz war tot, seine Seele abgestumpft, nachdem sie seinen Sohn erschossen nach Hause gebracht hatten. Zuerst glaubte er, verrückt zu werden. Sein einziger Sohn, sein Erbe, war tot. Nur nach und nach gelang es ihm, es zu begreifen - und zu verarbeiten. Aber dann war der Hass gekommen — in rasenden, giftigen Wogen.
Und nun ritt der Rancher an der Spitze seiner Mannschaft durch die dunkle Nacht. Was ihn beseelte, war tödlicher als die Waffen seiner Leute.
Die Lärmwelle, die unter dem Nachthimmel heranrollte, verstummte. Angespannt lauschten die Brüder. Der Wind trug den Geruch von Gras und Salbei heran. Ein Pferd wieherte. Die Reiter mussten sich in dem Buschgürtel befinden, der sich vom Saguache Creek aus nach Westen erstreckte.
Big Jim verharrte stumm auf seinem Rotfuchs. Aus engen Augenschlitzen starrte er auf die Ranchgebäude, deren Konturen durch die Finsternis nur verschwommen und als große, dunkle Flecke auszumachen waren. Dass sein Sohn Charles Turpin erschossen hatte, rührte ihn nicht. Rache!, brüllte es durch seinen schmerzenden Verstand, wieder und immer wieder: Rache! Er wollte Lane Turpin. Vor allem ihn. Aber er wollte auch dessen Brüder.
John Landers trieb sein Pferd neben das des Ranchers. »Wir sollten keine Zeit vergeuden, Boss«, knurrte er kehlig. »Die Leute wissen Bescheid. Wir nehmen die Ranch von allen Seiten in die Zange. Und wenn die Hundesöhne nicht geflohen sind, dann schießen wir sie in Fetzen.«
Big Jim nickte versonnen. »Fangt an. Doch wenn es möglich ist, dann bringt mir zumindest Lane Turpin lebend. Ich will den Mörder meines Sohnes am Ende eines Lassos zappeln sehen.«
Landers zerrte sein Pferd zurück, wendete es und rief unterdrückt: »All right, Leute, verteilt euch. Und seht zu, dass sie uns lebend in die Hände fallen. Bevor ihr aber ein Risiko eingeht - schießt, was das Zeug hält.«
Der Pulk zog sich auseinander. Die Reiter drängten ihre Pferde in die Büsche. Die Tiere scheuten und prusteten unwillig, aber die Männer lenkten wie mit eiserner Hand.
Eine Stimme, hart wie Metall, erklang: »Lane Turpin - hörst du mich?«
Lanes Kinnmuskeln spannten sich.
»Lass die Kerle lieber im Ungewissen«, riet Cole. »Er will nur hören, ob wir tatsächlich verrückt genug waren, hier auf sie zu warten. Sie werden sich darauf einstellen und sich eine todsichere Taktik zurechtlegen. So aber verunsichern wir sie.«
Sekunden verstrichen. Wieder ließ sich das stahlharte Organ vernehmen - John Landers' Organ: »Auch recht, Lane. Aber solltest du mich hören, dann lass dir folgendes gesagt sein: Ich habe über ein Dutzend tödlich entschlossener Burschen mitgebracht. Wir haben die Ranch umstellt. Ihr sitzt wie Ratten in der Falle. Wenn ihr klug seid, dann ergebt ihr euch. Andernfalls stürmen wir. Und ich verspreche dir, dass es für euch verdammt hart werden wird.«
Lane schwieg verbissen.
»Ich gebe euch Narren noch zehn Sekunden, um die Waffen zu strecken und mit erhobenen Händen herauszukommen. Wenn die zehn Sekunden um sind, werden wir euren Bau an allen vier Ecken anzünden. Wir werden euch rösten. Also sucht es euch aus. Das Ultimatum läuft!«
»Lass sie nur kommen!« zischte bei der Haustür Dave. Er hatte sie eine Handbreit geöffnet und spähte hinaus.
»Ich werde ihm einen Handel vorschlagen!«, presste Lane hervor.
»O nein, Bruder«, sagte Cole. »Du gehst nicht hinaus und wirfst dich diesen Wölfen zum Fraß vor.«
»Die zehn Sekunden sind um!«, brüllte Big Jim. »Stürmt den Bau, Leute, und brennt ihn nieder!«
Die Nacht wurde lebendig. Die Männer Big Jims kamen zu Fuß. Ihre Pferde hatten sie im Schutz der Dunkelheit zurückgelassen. Die Finsternis wurde von grellen Mündungsblitzen zerrissen. Ein Bleigewitter prasselte gegen das Haus. Es krachte, knirschte und splitterte. Die Gewehre der Brüder begannen zu donnern und schleuderten ihr rhythmisches Krachen den Great Sand Leuten entgegen. Sie schossen auf die Mündungsfeuer. Das Peitschen der Schüsse verschmolz zu einem explosionsartigen Dröhnen. Männer schrieen, schossen wie besessen und hetzten, jeden Schutz ausnutzend, aus der Dunkelheit. Ihre huschenden Schemen schälten sich aus den tintigen Schatten, heißes Blei raste ihnen entgegen. Der Geruch von verbranntem Pulver breitete sich aus. Pulverrauch vermischte sich mit den Nachtnebeln. Staub wallte.
Die Winchester lag nicht mehr verkrampft, sondern leicht und locker in Lanes Fäusten. Eine Kugel riss den Fensterstock auf und wirbelte ihm Holzsplitter ins Gesicht. Eine andere zog ihm eine blutige Schramme über die Wange. Die Wohnstube war erfüllt vom berstenden Donnern ihrer Gewehre.
Die Haustür wurde von Kugeln förmlich zerfetzt. Dave kniete im Schutz der Hauswand neben der Türöffnung und jagte Schuss um Schuss hinaus. Eine Gestalt taumelte aus dem Schlagschatten des Pferdestalles und brach zusammen. Ein Mann versuchte, sich kriechend in Sicherheit zu bringen. Ein mörderischer Strom von gnadenloser Härte, des brutalen Vernichtungswillens, des unerbittlichen Willens, Big Jims gieriger Besessenheit tödlichen Nachdruck zu verleihen, schlug über den Brüdern zusammen wie eine alles verschlingende Brandungswelle.
*
Eine Fackel loderte und warf zuckende, geisterhafte Reflexe auf die Wand eines Schuppens. Es roch nach verbranntem Petroleum. Der Mann, der die Fackel hielt, zögerte. Die unerbittliche Stimme John Landers sprang ihn an: »Worauf wartest du? Wirf sie endlich!«
Der Cowboy glitt an der Wand nach vorn, dann wirbelte die Fackel durch die Finsternis. Sie polterte auf den Vorbau und rollte bis zur Wand. Feuer flackerte hoch, Funken sprühten. Ringsum peitschten mit unverminderter Heftigkeit die Schüsse. Eine zweite Fackel segelte durch die Dunkelheit, eine dritte …
Mit einem Satz war Dave auf dem Vorbau. Wild um sich schießend erreichte er einen der hochlodernden Brandsätze, trat ihn aus und rannte geduckt zum nächsten. Mit einem zornigen Tritt fegte er die Fackel vom Vorbau. Seine Absätze hämmerten ein hallendes Echo auf den Bohlen, als er weiterhetzte. Ein Geschoss schleuderte ihn herum. Er fiel gegen die Hauswand und hob sich im Lichtschein deutlich davon ab. Eine Salve aus mehr als einem halben Dutzend Waffen nagelte ihn förmlich dagegen. Langsam rutschte er zu Boden, kippte auf den züngelnden Brandherd und erstickte ihn mit seinem Körper.
Lane schrie auf wie von Sinnen. Sein Herz drohte zu zerspringen. Er stöhnte auf. »Dave!« Seine eigene Stimme riss ihn aus der Erstarrung. Wie feurige Kometen zogen weitere Brandsätze vor seinem Blick ihre lautlose Bahn. Nur der Aufprall war zu vernehmen. Und der Wechsel von Licht und Schatten irritierte das Auge.
Cole hatte Dave fallen sehen und schoss wie rasend auf die durch die Dunkelheit stoßenden Mündungslichter. Dann war die letzte Kugel aus dem Colt. Mit fliegenden Fingern lud er nach. Ein Brandsatz flog durch das Fenster und rollte über den Boden. Draußen leckten die Flammen am Holz der Fassade hoch. Der Rauch wurde immer dichter und beißender.
»Wir müssen hier raus!«, brüllte Lane.
Cole schien ihn nicht zu hören. Lane sprang ihn an, zerrte ihn hinter sich her zur Tür. Brennende Gardinenfetzen fielen in der Wohnstube zu Boden. Ein Sessel brannte. Rauch wölkte bereits in dichten Schwaden und verätzte die Atemwege, ließ die Augen brennen und tränen.
»Durchs hintere Fenster!« Lane verschluckte sich, hustete und krümmte sich. Cole riss sich los. Er taumelte zur offenen Haustür, vor der ein Flammenvorhang zu stehen schien. In dem ausgetrockneten Holz des Vorbaus fand das Feuer ausreichend Nahrung. Es knackte und prasselte. Und Cole wankte direkt darauf zu, als hätte er den Verstand verloren. »Cole!«, rief Lane voll Verzweiflung. Rauch füllte seine Lungen, Schwindelgefühl erfasste ihn, Übelkeit stieg in ihm hoch. Er japste wie ein Erstickender und sah Cole hinter dem Flammenvorhang verschwinden. Eine schneidende Stimme peitschte: »Nicht schießen, ich will ihn lebend!«
Lane vernahm es wie durch einen Wattebausch und torkelte durch den Flur, spürte die Benommenheit gegen sein Bewusstsein anstürmen, und riss im Aufflackern eines jähen Überlebenswillens das Fenster hoch. Ein Schwall kalter Luft traf sein Gesicht, gierig sog er den Sauerstoff ein und spürte, wie sich die Benommenheit auflöste. Vorne wummerte Coles Colt. Einmal, zweimal - dann schwieg er. Die schnarrende Stimme Big Jims war zu hören, doch was sie rief, konnte Lane durch das Brausen des Feuers nicht verstehen.
Hin und her gerissen zwischen Gefühl und Verstand stand er wie versteinert. Sie hatten Cole. Dave war tot. Ein Zittern durchlief ihn. Und er war nahe daran, nach vorne zu stürzen und bis zum letzten Atemzug zu kämpfen. Aber der Verstand hämmerte ihm ein, dass er sein Leben retten musste. Er musste leben und Charles Turpins Vermächtnis verteidigen.
Er schüttelte seine Trägheit ab und sprang aus dem Fenster. Eng an die Hauswand geschmiegt lud er seinen Colt nach. Sein Verstand arbeitete wieder klar und präzise.
Auf dem Ranchhof waren die Waffen verstummt. Wie gebannt starrten die Männer von der Great Sand Ranch auf den hoch gewachsenen Mann, der nach zwei blindlings abgefeuerten Schüssen seinen Bruder aus den leckenden Flammen zerrte und der nun, die leblose Last auf den Armen, die Treppen hinunter in den Hof wankte. Der Feuerschein zeichnete seine Gestalt scharf nach. Sein Gesicht sah erschreckend starr aus, nur die Augen schienen noch darin zu leben.
Am Rande der Helligkeit stand Big Jim. Cowboys traten aus den Schatten. Die Metallteile ihrer gesenkten Waffen blinkten. John Landers erschien neben dem gnadenlosen Rancher. Ohne jede Gemütsregung blickte er Cole Turpin entgegen, der sich marionettenhaft und eckig bewegte. Seine Haare waren versengt, auf seinem Hemd glommen Funken. Sein schweißnasses Gesicht war rußverschmiert. In seinen Augen war ein irrsinniges Flackern. Zwei Schritte vor Big Jim blieb er stehen. Dann sagte er langsam, fast schleppend, mit angegriffener Stimme: »Der zweite Turpin, Big Jim, der innerhalb weniger Stunden an einer Forsyth-Kugel zugrunde ging. Ich bin in deiner Hand. Wahrscheinlich wirst du auch mich töten. Aber Lane ist dir entkommen. Und er wird zurückkehren. Und dann gnade dir Gott, Big Jim Forsyth, denn dann wirst du bezahlen!«
Cole verlor die Kraft. Er brach in die Knie, Big Jim versank vor seinem Blick in diesigem Nebel.
Hinter dem lichterloh brennenden Ranchhaus dröhnten Schüsse. »Lane Turpin!«, knirschte John Landers und fegte los. Einige der Cowboys schlossen sich ihm an.
*
Lane kauerte an der Rückwand des Ranchhauses, über dessen Dach bereits bläuliche Flammen tanzten.
Linker Hand reichten Stangencorrals bis hinter das Haus. In einer Entfernung von etwa hundert Yards wälzten sich die Fluten des Saguache Creek nach Südosten. Lane schob sich an die Hauswand entlang. Er hatte kein Pferd! Er hatte nur das, was er auf dem Leib trug - und er hatte seinen Colt und die Patronen in seinem Gürtel.
Bei den Corrals nahm er eine flüchtige Bewegung wahr. Er federte herum. Grell blitzte es auf. Lane spürte einen harten Schlag gegen den Oberschenkel, das Bein wurde ihm förmlich unter dem Körper weggerissen, trotzdem war sein Reflex noch da. Er schoss genau in den verglühenden Feuerball hinein und nahm im gleichen Augenblick einen zweiten Schemen wahr, der über das Corralgatter sprang und auf den Bauch hechtete. Lane spürte den sengenden Strahl eines Geschosses, biss die Zähne zusammen und drückte ab, rollte zur Seite und kam so vom Haus weg, in das nun die Kugeln des Great Sand Reiters harkten.
Lane zielte ruhig und überlegt. Dann feuerte er. Sein Geschoss trieb den anderen hoch, Lanes zweite Kugel schüttelte ihn, und im selben Augenblick, als er fiel, kam Lane hoch. Stechender Schmerz pulsierte von seinem Bein bis unter seine Schädeldecke. Er ignorierte ihn und humpelte davon, so schnell ihn seine Beine zu tragen vermochten.
Kugeln pfiffen hinter ihm her. Er stolperte, stürzte und schlug mit dem Gesicht auf den von der Sonne hartgebackenen Boden. Eine kalte, klirrende Stimme wehte heran. »Schnappt ihn euch! Aber denkt daran, dass Big Jim ihn hängen will!«
Es riss ihn wieder in die Höhe. Sein schmerzender Verstand begriff, dass dies seine Chance war. Feuerschein flutete über ihn hinweg, er raffte sich auf und stolperte weiter. Seine Gestalt warf einen langen Schatten. Eine kratzende Stimme holte ihn ein: »Stehen bleiben, Turpin! Bleib stehen, zum Teufel!«
Weiter, Lane, weiter! Sie dürfen dich nicht kriegen! Es drängte sich auf nahezu hypnotische Weise in sein Bewusstsein. Vom Grauen getrieben floh er, trampelnde Schritte näherten sich ihm von hinten. Er taumelte aus dem Lichtkreis. Das Ufergebüsch schien ihm unendlich fern und unerreichbar. Und seine Verfolger holten auf. Sie hatten seine große Not erkannt und verschwendeten keine Munition mehr, kamen wie ein Rudel Schweißhunde, die das Jagdfieber gepackt hatte.
Wieder strauchelte Lane, wieder schlug er hin. Der Schmerz in seinem Körper explodierte. Aber noch einmal überwand sein Widerstandswille Erschöpfung und Fatalismus, und er hob das Eisen. Eine Kugel röhrte aus dem Lauf, die heranrasenden Schatten spritzten schreiend und fluchend auseinander, als hätte eine Granate zwischen ihnen eingeschlagen. Sie versanken in der Dunkelheit. Hier und dort blitzte es auf. Lane aber kroch schon auf dem Bauch davon. Das sirrende Blei wurde ihm kaum gefährlich.
»Wir müssen ihm den Weg zum Fluss abschneiden!«, gellte John Landers' Organ.
Sie hatten seine Absicht durchschaut: Glasklar hatte Landers erfasst, dass Lanes einzige Rettung der Creek war.
Lane bot noch einmal alle Kraft auf, kämpfte sich hoch und schleppte sich weiter. Er wusste selbst nicht, wie es ihm gelang, das Ufergestrüpp zu erreichen. Er stürzte kopfüber hinein und spürte nicht, dass Äste sein Gesicht peitschten und ihm die Haut aufrissen. In der Nähe brüllte ein Mann Dinge, die Lane nicht verstand. Er robbte wie besessen durch das Strauchwerk, riss sich die Hände wund und wunderte sich selbst, dass er noch immer den Colt umkrampft hielt. Und plötzlich war er am Fluss. In der Wasserfläche spiegelte sich das Sternengeflimmer. Rechts von ihm ertönte Brechen und Rascheln, er schoss seine letzten Kugeln in diese Richtung, schleuderte den wertlosen Colt fort und warf sich in die Fluten. Kalt schlugen sie über ihm zusammen. Die Kälte war es auch, die in seinem Hirn einen Vorhang zum Zerreißen brachte. Sie vertrieb die Betäubung und linderte fast schlagartig den Schmerz in seinem durchschossenen Oberschenkel.
Ein Strudel erfasste ihn, wirbelte ihn herum und drückte seinen Körper nach unten. Die Luft wurde ihm knapp. Verbissen kämpfte er, spürte den Untergrund unter seinen Füßen und stieß sich ab. Er nahm nicht wahr, dass mit seinem Eintauchen in das Wasser die Great Sand Reiter die letzten Hemmungen über Bord warfen. Landers, der befürchtete, dass Lane ihnen entkam, brüllte mit sich überschlagender Stimme: »Schießt, Leute, haltet drauf! Besser wir haben ihn tot als überhaupt nicht!«
Das Wasser spritzte unter den Einschlägen. Ein fauchendes Brausen lag in der Luft. Funken und Asche wirbelten. Gelegentlich war das knirschende Bersten von niederbrechendem Gebälk zu hören.
Lane konnte sich aus dem Strudel befreien. Sein Kopf zerteilte die Wasseroberfläche, lechzend sog er frische Luft in seine Lungen. Er pumpte sie voll Sauerstoff und ließ sich wieder wegsacken. Am Fluss aufgewachsen konnte er schwimmen wie ein Fisch. Und die Erkenntnis, dass er ihnen fürs Erste entkommen war, verlieh ihm Antrieb. Weit holten seine Arme aus, die kraftvollen Schwimmstöße und die Strömung brachten ihn schnell flussabwärts.
Irgendwo, weitab, trieb ihn die Strömung ans flache Ufer. Erschöpft blieb er liegen. Die Finsternis hüllte ihn ein wie ein Mantel. Und seine Einsamkeit wurde ihm bewusst. Verlorenheit senkte sich in sein Gemüt, und dazu gesellte sich die Verzweiflung, die dem Wissen entsprang, dass innerhalb weniger Stunden sein bisheriges Leben zerstört worden war. Er folgte dem Fluss nach Südosten. Zerschunden, blutend und triefend vor Nässe setzte er mechanisch einen Fuß vor den anderen, die Schusswunde mit beiden Händen umklammernd, den Schmerz verbeißend. Weit zurück stürzte krachend das Haupthaus ein. Funkengarben stoben zum Himmel.
»Der erste Schritt, das Great Sand Valley von diesem Smallranchergeschmeiß zu säubern, ist getan. Ich hätte niemals einen von diesen Hungerleidern Fuß fassen lassen dürfen.« Big Jim Forsyth sprach in kurzen, abgehackten Sätzen. Licht- und Schattenreflexe ließen sein Gesicht dunkel und zerrissen anmuten, an die Rinde eines alten Baumes erinnern. »Aber zunächst will ich Lane Turpin. Er muss für den Tod meines Sohnes büßen.«
Er hatte die Worte in die Länge gezogen und die Umstehenden begannen trotz der Gluthitze zu frösteln. Sein schwelender Blick voll Hass und unheilvoller Begierde heftete sich auf die Brüder, von denen einer besinnungslos, der andere aber tot war.
*
Bald überfiel Lane bleierne Erschöpfung. Sein eingefallenes, von Blutverlusten und Schmerz gezeichnetes Gesicht verzerrte sich. Aber unermüdlich kämpfte er sich vorwärts. Die Schübe der Benommenheit kamen schneller, die Abstände zwischen ihnen wurden immer kürzer.
Wie ein Betrunkener wankte er dahin. Sie werden nicht ruhen, bis sie dich haben!, durchpeitschte eine unbarmherzige Stimme sein Gehirn. Sie jagen dich, bis sie dich Big Jim tot vor die Füße legen können. Du bist allein, unbewaffnet, am Ende …
Er ächzte. Immer wieder knickte das zerschossene Bein unter ihm weg. Die Blutung kam nicht zum Stillstand. Blut verklebte seine Hände. Die Angst, dass er es nicht schaffen könnte, durchrann ihn wie Fieber. Seine Kehle war wie ausgedörrt. Er fror erbärmlich. Seine Zähne schlugen wie im Schüttelfrost aufeinander.
Der Fluss gurgelte und rauschte. Lane lag im Ufersand. Wasser umspülte seine Beine. Er brauchte Hilfe. An der Mündung des Saguache Creek in den San Luis River lebte Lisa mit ihrem Vater. Clay Reed stand zwar als Wolfs- und Coyotenjäger in Big Jims Diensten, im Übrigen aber hatte er mit der Great Sand Ranch nichts zu tun. Reed würde sich heraushalten.
Drei Meilen bis zur Mündung. In seinem Zustand konnte er diese Entfernung nicht mehr bewältigen. Er würde irgendwo umfallen, und wenn er nicht verblutete, würden ihn Big Jims Sattelwölfe finden.
Drei Meilen! Lane starrte auf den Fluss. Und dann fasste er einen Entschluss: Schwimmen! Nun, wenn er infolge seines Blutverlustes die Besinnung verlor, dann ertrank er eben. Ein jämmerlicher Tod, aber immer noch gnädiger, als am Ende eines Lassos elend zugrunde zu gehen.
In jähem Entschluss erhob er sich. Er watete ins Wasser und verlor den Boden unter den Füßen. Die Strömung packte ihn. Er legte sich auf den Rücken, sah weit über sich den Nachthimmel und ließ sich dahintragen. Neue Hoffnungen beflügelten seine Gedanken.
Die dunklen, drohend anmutenden Buschgruppen am Ufer schienen vorbeizuhuschen. Hin und wieder warfen ihn unvermutete Stromschnellen herum, zerrten tückische Wirbel an ihm, aber mit wenigen kräftigen Ruderbewegungen der Arme befreite er sich. Der Fluss wurde breiter und ruhiger. Lane schwamm zum Ufer, kroch auf allen vieren die Uferböschung hinauf und ruhte kurze Zeit zwischen den dichten Büschen aus. Dann schlug er sich hindurch. Clay Reeds Hütte schälte sich aus der Dunkelheit. Es gab einen Pferdestall, einen Heuschuppen, einen kleinen Stangencorral und einen Brunnen.
Reed baute Mais und Weizen an, verfügte über etwas mehr als hundert Rinder, jagte Raubzeug und bekam für jeden Abschuss von Big Jim einen Dollar. Früher arbeitete er als Scout bei der Armee. Er war ein wortkarger, mürrischer Mann, der nie über seine Vergangenheit sprach, der sich selbst der Nächste war, und der sich von allem fern hielt. Und dasselbe erwartete er von seiner Tochter.
Ruhig lagen die Gebäude vor Laue im silbrigen Mondlicht. Clay Reed und seine Tochter schliefen. Lane gab sich einen Ruck. In seinen Stiefeln schmatzte bei jedem Schritt das Wasser. Schwer hing die Kleidung an ihm. Der Schmerz, den er im Wasser kaum wahrgenommen hatte, kam mit Macht zurück.
Er brachte drei Schritte hinter sich, als Clay Reeds Hund anschlug. Sein dunkles, warnendes Bellen zersprengte die Stille und ließ Lane zusammenzucken. Klar und scharf schallte es durch die Nacht, wurde heiser und kläffend. Eine schwere Kette rasselte und klirrte.
»Ruhig, Rex, ganz ruhig!«, rief Lane und hinkte weiter.
Der Hund stutzte, sein Bellen brach schlagartig ab.
»Brav, Rex!« Ein seltsames Gefühl durchströmte Lane. Er fühlte sich plötzlich nicht mehr alleine und einsam.
Das Fiepen des Hundes erreichte sein Gehör. Die Kette schleifte über den Boden. Aber da flog krachend der Fensterladen auf. Ein kurzes, metallisches Knacken, als ein Gewehrhahn gespannt wurde, dann eine raue, unfreundliche Stimme: »Wer immer da draußen herumschleicht zu dieser unchristlichen Stunde - er soll verschwinden! Ich habe niemand eingeladen, und zu holen gibt es bei mir nichts außer heißem Blei.«
Lane war stehen geblieben. Er war sich sicher, dass Reed ihn im Mondlicht ausmachen konnte. »Nicht schießen, Clay. Ich bin es, Lane Turpin. Ich bin verletzt und brauche deine Hilfe!«
»Lane Turpin?«, kam es fragend und misstrauisch zurück. »Wieso gehst du nicht nach Hause, wenn du Probleme hast? Warum kommst du mitten in der Nacht zu mir?«
Lane humpelte ein Stück weiter. In der Dunkelheit winselte Rex und scharrte mit den Pfoten.
»Lass mich in dein Haus, Clay, dann werde ich dir alles erklären.«
»Hattest du Ärger mit …«
Clay Reed wurde unterbrochen, als sich die Haustür knarrend öffnete. Lichtschein fiel ins Freie, die Gestalt einer Frau erschien im Türrechteck, und eine weibliche Stimme rief: »Lane, du lieber Himmel, was ist geschehen? Komm herein.« Sie lief ihm entgegen. Die Laterne schaukelte, das Licht warf ihren Schatten riesengroß und verzerrt auf den Boden.
»Zum Teufel damit!«, grunzte Clay Reed und zog das Gewehr zurück.
Lisa erschrak, als sie Lane aus der Nähe sah. Ihre dunklen Augen weiteten sich. Bestürzt musterte sie ihn, tausend Fragen stürmten auf sie ein.
»Es war Big Jim«, murmelte Lane und machte einen unbeholfenen Schritt auf sie zu. In seinem verzerrten Gesicht zuckten die Muskeln. Tief lagen seine Augen in den Höhlen. Innerhalb weniger Stunden schien er um Jahre gealtert zu sein. Tiefe Linien zogen sich von seinen Nasenflügeln bis zu den Mundwinkeln. Er war nur noch ein Schatten seiner selbst. Er sprach weiter — leise, losgelöst, hastig, als müsste er sich beeilen, alles loszuwerden: »Mein Vater und Dave sind tot. Ob Cole noch lebt, weiß ich nicht. Die Ranch ist …« Seine Knie wurden weich wie Butter. Die Betäubung kam wie eine graue, alles verschlingende Flut. Er schwankte. Lisa stützte ihn. Im Licht funkelten seine Augen wie Glas.
Lisa hatte begriffen. Schwer spürte sie Lanes Körper. »Drinnen, Lane«, flüsterte sie herb, mit vibrierender Stimme. »Du kannst uns alles im Haus erzählen. Komm.« Sie drehte den Kopf. Ihre Stimme hob sich, als sie hervorstieß: »Dad, schnell, Lane kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Du musst mir helfen!«
Clay Reed stapfte aus dem Haus. Er schaute ebenso betroffen wie seine Tochter, als er Lane aus der Nähe sah, dann aber kehrte der finstere Ausdruck in sein lederhäutiges Antlitz zurück. Er legte sich Lanes linken Arm um die Schultern, hielt ihn am Handgelenk fest und grollte: »Du siehst elend aus, Turpin, und ich habe das Gefühl, dass ich dich eigentlich zum Teufel jagen müsste. Wahrscheinlich reite ich mich bis zum Hals in den Verdruss hinein, wenn ich es nicht tue. Nun, wir werden es ja sehen.«
Sie schleppten Lane ins Haus. Schließlich hockte er auf einem Stuhl am rohen, grobgezimmerten Tisch. Zu seinen Füßen bildete sich eine Wasserlache. Sein Kinn war auf die Brust gesunken. Er hielt die Augen geschlossen.
Clay zog den Blendladen zu und schloss das Fenster. Die Lampe stand auf dem Tisch. Ihr Licht riss den karg und ärmlich eingerichteten Raum aus der Finsternis.
Lisa schnitt Lanes Hosenbein auf. Die Wunde war vom Wasser aufgequollen, die Wundränder sahen weißlich und teigig aus. Ein feiner Blutfaden, der sich mit dem Wasser auf Lanes Haut vermischte, rann heraus. Das Mädchen hatte sich noch immer nicht ganz von seinem Schrecken erholt. Immer wieder streifte sein besorgter Blick Lanes Gesicht.
Clay beugte sich über die Wunde. »Die Kugel ist hinten wieder ausgetreten«, murmelte er und seine Stirn war nachdenklich gefurcht. »Ein glatter Durchschuss. Hol das Zeug zum Desinfizieren, Lisa, und Verbandszeug. Er ist jung, stark und zäh. In einer Woche kann er wieder rennen wie ein Hase.«
Er ging um den Tisch herum und ließ sich auf einen Stuhl fallen. Weit streckte er die Beine von sich.
Und während Lisa in ein angrenzendes Zimmer lief, schnappte Clay: »Dann spuck mal aus, Lane, was es gegeben hat. Ich ahne zwar, dass der Krieg zwischen euch und der Great Sand Ranch zum Ausbruch gekommen ist, aber ich will Einzelheiten hören.« Seinem Ton fehlten Frische und Wärme, er war sachlich und fordernd.
Lane hob das Gesicht und öffnete die Augen. Seine blutleeren Lippen bewegten sich: »Es gibt nicht viel zu berichten«, murmelte er. »Bill Forsyth hat meinen Vater erschossen und ich habe Bill Forsyth getötet. Heute Nacht kam Big Jim mit seinem Rudel auf die Bar-T. Dave starb, Cole fiel Big Jim in die Hände, die Ranch ging in Flammen auf. Ich entkam den Wölfen. Das ist die Geschichte, Clay.«
Lisa kam zurück. Sie kniete sich neben Lane auf den Fußboden und begann, seine Wunde zu versorgen. Sie arbeitete stumm und sorgfältig.
»Es ist eine verdammt üble Geschichte, Turpin«, stieg es dumpf aus Clay Reeds Kehle. »Weshalb kommst du ausgerechnet zu mir damit?« Fast feindselig schaute er Lane dabei an.
»Vater!«, rief Lisa vorwurfsvoll und zurechtweisend und schoss Clay Reed einen vernichtenden Blick zu. »Wohin hätte er sich sonst wenden sollen?« Sie hatte die Wunde mit Peroxyd desinfiziert und verband ihn nun. Lane spürte pochenden Schmerz.
Reed zuckte nichts sagend mit den Achseln. »Er hätte wissen müssen, dass ich mich niemals einmischen werde. Ich arbeite öfter mal für Big Jim.« Seine Brauen schoben sich zusammen wie dunkle Raupen. Eine steile Falte stand plötzlich über seiner Nasenwurzel. »Und ich bin sehr dankbar dafür, dass Big Jim mich in Ruhe lässt. Darum hätte er nie herkommen dürfen.«
»Ich bin nicht hier, um mich bei dir zu verkriechen, Clay.« Lanes Tonfall gewann an Festigkeit. »Aber ich wäre dir für einige Dinge sehr dankbar …«
»Ich glaube nicht, dass ich auch nur einen Finger für dich krumm mache, Turpin!«, unterbrach ihn Reed eisig und unbarmherzig. Er nahm die Beine zurück, beugte sich weit über den Tisch. In seinem Blick erschien eine zornige Flamme, »Ich lasse mich von dir in nichts hineinziehen, was mich Kopf und Kragen kosten kann!«, fauchte er bissig. »Euer Krieg interessiert mich nicht. Soll Big Jim auch mir und Lisa das Haus über dem Kopf anzünden?«
Abrupt richtete Lisa sich auf. Ihre roten, sinnig geschnittenen Lippen verzogen sich angeekelt. »Soll das etwa heißen, Vater, dass du Lane in diesem Zustand wieder in die Nacht hinausjagen willst? Hast du denn kein Gewissen? Sind dir Ruhe und Sicherheit mehr wert als ein Menschenleben?« Die Leidenschaft in ihrer Stimme erschütterte Lane.
»Natürlich, das ist mir schon klar!«, giftete Reed und funkelte seine Tochter an. »Du ergreifst seine Partei, weil dir der Kerl etwas bedeutet. Denkst du denn, ich habe es nicht bemerkt, dass er immer wieder nur deinetwegen zu uns gekommen ist? Die Blicke, die ihr gewechselt habt, waren deutlich genug.« Sein Kopf schnellte herum zu Lane. »Denke nur nicht, Turpin, dass ich persönlich etwas gegen dich habe. Ganz und gar nicht.« Seine Stimme hatte wieder den sachlichen Tonfall angenommen. »Aber wie ich Big Jim kenne, kreuzt er in spätestens einer Stunde bei mir auf, weil er nicht dumm ist und sich an fünf Fingern abzählen kann, wohin du dich gewandt hast. Und er wird mich an den Ohren aufhängen, wenn er dahinter kommt, dass ich dir geholfen habe. Du hast nichts mehr zu verlieren. Aber ich! Und ich werde alles verlieren, wenn …«
Lisas entrüstetes Zischen schnitt ihm das Wort ab. Es glich dem wütenden Zischen einer Schlange. Der Anflug von Wildheit in ihren ebenmäßigen Zügen ließ erkennen, dass sie kurz vor der Explosion stand. »Ich schäme mich für dich, Vater!«, sprudelte es aus ihr heraus. »Ja, es stimmt: Lane bedeutet mir etwas — er bedeutet mir eine ganze Menge. Und ich werde ihm helfen. Versuch nur nicht, mich davon abzuhalten. Ich fürchte Big Jim nicht. Wenn Lane seinen missratenen Sohn erschossen hat, dann wird er dafür einen Grund gehabt haben. Lane ist am Ende. Er ist chancenlos. Ihn seinem Schicksal zu überlassen wäre ungefähr dasselbe, als würdest du ihm eine Kugel in den Kopf schießen.«
Lanes Gestalt wuchs schwerfällig in die Höhe. Schwer stützte er sich mit beiden Armen auf den Tisch. Enttäuschung spiegelte sich in seinen verkrampften Zügen wider. In seinem Blick woben die Schatten des Schmerzes und der Erschöpfung. Aber da waren auch Härte und Unbeugsamkeit zu sehen. »Wahrscheinlich hat dein Vater recht, Lisa«, murmelte er und seine Stimme raschelte wie altes Pergament. »Ich darf euch nicht mit hineinziehen. Big Jim ist unberechenbar. Und er ist voll Hass. Er wird vor nichts und niemand haltmachen. Also verschwinde ich.«
Reed sank wieder in seinen Stuhl zurück. Sekundenlang spürte er so etwas wie Ekel vor sich selbst. Aber die Furcht vor Big Jim in ihm überwog. »Ein kluger Entschluss«, bemerkte er grunzend und wich dem flammenden Blick seiner Tochter aus.
»Ich lasse es nicht zu!«, rief sie wie besessen.
Aber Lane winkte ab. »Ein Mann muss sich einen letzten Rest von Stolz bewahren, Lisa. Diesen Stolz aber verliert er, wenn er sich selbst zum Bettler degradiert. Ich werde niemals um etwas betteln. Weder bei Big Jim, noch bei deinem Vater. Du hast mir sehr geholfen, weil du meine Wunde versorgt hast.« Er wandte sich Reed zu. »Ich gehe, Clay. Aber ich kehre zurück. Big Jim ist mir eine Menge schuldig. Wenn er kommt, bestell es ihm.«
Reed knallte die flache Hand auf den Tisch. »Zum Teufel, Lane, versteh mich doch!«, rief er fast weinerlich, was Lane seltsam berührte. »Ich habe genug gekämpft in meinem Leben. Jetzt bin ich alt und will meinen Frieden. Big Jim duldet mich hier nur, weil ich ihm das vierbeinige Raubzeug von der Weide fege. Aber er wird mich davonjagen, wenn ich mich gegen ihn wende.«
Lane humpelte zur Tür. Lisa stellte sich ihm in den Weg. Entschlossene Härte zeigte sich in ihrer Miene. »Du kommst keine drei Meilen weit, Lane. Es dauert mindestens eine Woche, bis du wieder einigermaßen hergestellt bist. Ich weiß ein Versteck, wo Big Jim dich nicht findet. Dorthin bringe ich dich. Und du gehst nicht eher fort, bis du vollkommen gesund bist.«
»Du bist total übergeschnappt, Lisa!«, kreischte Reed. Seine weinerliche Art war verschwunden. Nur die Angst vor der Zukunft beherrschte ihn. »Big Jim vernichtet uns, wenn wir ihn herausfordern!«
Lisa lächelte. Ein Zug eisiger Verachtung lag um ihren Mund, als sie knapp und böse sagte: »Du kannst ihm ja entgegen kriechen und dich für deine Tochter entschuldigen. Ich jedenfalls stehe auf Lanes Seite. Und mit dir bin ich fertig.«
»Aber es ist doch nur deinetwegen, Lisa!« Reed brachte es nur mühsam hervor. Vergeblich versuchte er, das Zittern in seiner Stimme zu unterdrücken. Erregt kratzte er sich am Kinn. Gefühl und Verstand lagen in ihm in zäher Zwietracht. Er musterte Lane mit einem raschen, abschätzen den Blick, dann sah er wieder auf Lisa - beschwörend, fast flehend.
Aber deren Augen verrieten nur den Widerwillen, den sie empfand. Reed blickte in ihr willensstarkes Gesicht, in die trotzigen Augen, und hatte plötzlich den Eindruck, dass sie die verborgensten Züge seines Wesens durchschaute. Er befand sich in einer fürchterlichen Gemütsverfassung. Schließlich überwand er seine Ängste und Befürchtungen und flüsterte fast, als er fragte: »Was brauchst du, um aus dem Valley zu verschwinden, Turpin? Sag es mir und ich will sehen, ob ich dir es geben kann. Ehe ich Lisa verliere, will ich Big Jims Zorn in Kauf nehmen.«
»Selbst wenn er ein Pferd hätte, käme er nicht weit.« Die Anspannung war aus Lisas Miene gewichen. Fast mitleidig fixierte sie ihren Vater. Sie ahnte, welche Überwindung es ihn kostete, Lane dieses Angebot zu unterbreiten, das ihm nichts einbringen konnte als Ärger. Ihre Stimme klang weich und gelöst, als sie fortfuhr: »Ich werde ihn in die Höhle in der Alderschlucht bringen, Vater. Dort findet ihn Big Jim niemals. Er kann da bleiben, bis seine Wunden verheilt sind. Und dann sehen wir weiter.«
Clay Reed überlegte kurz, dann nickte er widerwillig, und es war klar, dass er wenig begeistert war von allem. »Einverstanden. Aber verliert jetzt keine Zeit mehr. Big Jim wird nicht lange auf sich warten lassen.«
*
Clay Reeds unheilvolle Vermutung ging schon bald in Erfüllung. Kaum, dass Lisa und Lane die Farm eine halbe Stunde verlassen hatten, kündete rumorender Hufschlag das Kommen von Big Jim und seiner Mannschaft an. Clay Reed erbebte innerlich und rang die schweißnassen Hände. Draußen bellte Rex wie besessen und zerrte ungestüm an seiner Kette.
Sie donnerten in den Hof und rissen ihre Pferde zurück. Der wogende Staub hüllte sie ein, verschleierte ihre Gestalten, und dennoch glaubte Clay Reed den Strom des Vernichtungswillens, der von dem Pulk ausging, zu fühlen. Er zwang sich zur Ruhe, aber die tiefe, innere Rastlosigkeit ließ sich nicht unterdrücken.
»Reed, heh, Clay Reed!«, rollte Big Jims kräftige Stimme über den Hof. »Ich habe nur ein paar Fragen an dich! Also komm heraus aus deinem Bau.«
Mit der Laterne in der Hand verließ Reed das Haus. Angst sprang ihn an wie ein wildes Tier. Der Staub legte sich, der Lichtschein traf Big Jims versteinertes Gesicht. Clay Reed durchlebte einen furchtbaren Augenblick und zuckte unter dem bohrenden, stechenden Blick Big Jims zusammen wie unter einem Peitschenhieb.
»Ich bin hinter dem Mörder meines Sohnes her, Clay!«, grollte Forsyth. »Hinter Lane Turpin!«
Reed zog den Kopf zwischen die Schultern und fühlte einen eisigen Schauer seinen Rücken hinunterlaufen. »Großer Gott!«, würgte er hervor. »Ihr Sohn ist …«
»Yeah, er ist tot!« Big Jim legte die Hände übereinander auf den Sattelknopf, beugte sich vor und musterte Reed zwingend. »Lane Turpin hat ihn erschossen. Aber dieser Killer ist mir entkommen. Er hat den Fluss als Fluchtweg benutzt. Und was liegt näher, als dass er bei dir Hilfe gesucht hat.«
»Nein — nein!« Es kam hastig — zu hastig aus Reeds Mund. »Turpin ist nicht …« Er verschluckte sich, hustete, und wurde von dem Anfall durch und durch geschüttelt. Dann sprach er keuchend weiter: »Turpin war nicht hier, Mister Forsyth. Ich habe von alledem keine Ahnung. Ich habe geschlafen, bis ich Sie und Ihre Männer heranreiten hörte.« Es gelang ihm nicht, das Zittern seiner Hände zu unterdrücken. Der Schein der Lampe kam auf dem Boden nicht zur Ruhe.
Big Jim schürzte die Lippen. »Es gab für Turpin nur diese Möglichkeit. Er ist verwundet, hat kein Pferd, keine Ausrüstung - gar nichts.« Sein Ton wurde schneidend. »Also raus mit der Sprache, Clay - war er bei dir?«
Reed nagte an der Unterlippe. Sein Kehlkopf hüpfte nervös auf und ab. Er suchte nach Worten, bemühte sich vergeblich, seine aus der Angst geborene Erregung zu verbergen und duckte sich förmlich unter Big Jims durchdringendem Blick.
»Er war also hier!«, spuckte der Rancher, wandte den Kopf und rief in John Landers Richtung: »Seht nach!« Sein Gesicht ruckte wieder herum. Mit böser Schärfe sagte er: »Es war dumm von dir, Clay, mich zu belügen.«
Reeds Schultern sackten nach unten. Er hielt den Atem an, versank in einer Welle des verzehrenden Schreckens und schlug die Augen nieder.
»Das wirst du bereuen, Clay!«, geißelte ihn wieder die unerbittliche, gnadenlose Stimme. »Ich werde dich mit der Peitsche aus dem Valley jagen!«
John Landers hatte zwei Reitern einen Wink gegeben. Sie sprangen von den Pferden und liefen ins Haus. Drinnen flammte Licht auf, als sie Streichhölzer anrissen. Dann versank der Raum wieder in der Finsternis und sie stürmten nach draußen. »Er war da!« rief einer. »Auf dem Boden ist eine riesige Pfütze.« Sie liefen zu ihren Pferden.
»Was hast du dazu zu sagen, Clay?«, fragte Big Jim sanft, tödlich sanft. Ein kaltes Lauern trat in seine Pupillen.
»Bei Gott, Mister Forsyth, was sollte ich tun?«, jammerte Reed und trat von einem Bein auf das andere, druckste herum und wand sich förmlich unter dem zwingenden, durchbohrenden Blick des Ranchers. »Er kam zu mir. Ich hatte von nichts den blassesten Schimmer. Er war verwundet und ich stellte keine großen Fragen. Wir …« Er stockte und verbesserte sich: »Ich habe ihn verbunden und dann bat er mich, ihm ein Pferd zu leihen. Ich hatte keinen Grund, ihm diese Bitte abzuschlagen. Ich konnte ja nicht ahnen, dass er vor Ihnen auf der Flucht war.«
»O doch, du hast es gewusst. Ein Mann wie du stellt Fragen, Clay. Turpin hat es dir gesagt. Und dennoch hast du ihm geholfen. Ist das der Dank dafür, dass ich dich hier all die Jahre leben ließ?«
»Ich …« Das Grauen schüttelte Reed und lähmte seine Stimmbänder. Die Hoffnung, ungeschoren davonzukommen, platzte wie eine Seifenblase.
»Turpin hat dir sicher auch gesagt, wohin er sich wenden wird.« Big Jim schielte zum Haus hinüber, als erwartete er etwas Bestimmtes. Seine Augen verkrallten sich wieder an Reed. »Spuck es schon aus, Clay. Oder müssen wir es aus dir herausprügeln?«
»Er — er hat fast überhaupt nicht gesprochen, wirklich. Er hatte es höllisch eilig, und kaum, dass ich seine Wunde verbunden hatte, sattelte er das Pferd und ritt fort wie der Teufel.«
»Wo ist deine Tochter? Warum lässt sie sich nicht sehen?«
Reed räusperte sich, als müsste er sich die Kehle freimachen, ehe er antwortete. In Wirklichkeit versuchte er, Zeit für eine glaubhafte Erklärung zu gewinnen. Rau rief er: »Lisa ist in der Stadt, bei ihrer Freundin Betty Miller.«
»Lass mal im Pferdestall nachsehen, Landers!«, presste Forsyth hervor.
»Ben!«, ertönte John Landers' auffordernde Stimme.
Der Gerufene lief los. Schweigen senkte sich über die Farm. Nur das Stampfen der Pferde, ihr Schnauben und das Knarren von Sattelzeug durchbrach es. Abwartende, drohende Spannung füllte die Atmosphäre, und Reed konnte sie kaum noch ertragen. Sein Blick streifte Big Jims düsteres Gesicht.
Der Cowboy kam zurück. »Im Stall steht ein einziger Gaul, Boss«, berichtete er. »Ein Schecke.»
»All right, Clay«, stieg es grollend aus Big Jims Kehle, und in seiner Stimme schwang eine tödliche Drohung mit. »Du hast mich genug belogen. Eigentlich bewundernswert dieser Mut, mit dem du versuchst, Lane Turpin die Flucht zu ermöglichen. Jetzt aber wird es verdammt bitter für dich. Yeah. Ich weiß, dass du vier Pferde besitzt. Und ich bin überzeugt, dass deine Tochter den jungen Turpin begleitet und dass sie ein Packpferd mit Vorräten mit sich führen.« Er presste sekundenlang die Lippen zusammen. Dann setzte er gedehnt hinzu: »Jeder im Valley weiß, was es mit deiner Tochter und Lane Turpin auf sich hat. Meinen Jungen ließ sie abblitzen. Mir war das nur recht. Denn Bill hätte etwas Besonderes verdient gehabt als eine Lisa Reed. Aber jetzt ist mein Sohn tot - und deine Tochter hilft seinem Mörder. Gebt es diesem Narren!« Er lachte leise, wie besessen auf.
Clay Reeds Fassung zerbrach. Er warf sich herum, um ins Haus zu fliehen. Aber er trat auf den Saum seines langen Nachthemdes und stolperte. Die Lampe entglitt ihm, zerschellte auf dem Boden und verlosch. Reed lag auf den Knien. Das Entsetzen schnürte ihm die Luft ab. Mahlende Schritte näherten sich ihm schnell. Und dann rissen ihn unbarmherzige Fäuste in die Höhe.
*
Sie ritten stumm durch die Nacht. Zunächst ging es über fruchtbares Grasland, das von Buschgürteln zerschnitten war und über dem der Duft des blühenden Salbeis hing. Später wurde das Gelände immer wieder von wild übereinander getürmten Felsgruppen unterbrochen, und je höher sie kamen, desto steiniger wurde der Boden, umso karger die Vegetation. Sie befanden sich in den Ausläufern der Felswildnis im Osten, die sich schwarz und drohend in der Ferne gegen den Sternenhimmel abhob. Buckelige Felsen zwangen sie zu Umwegen. Geröllhalden schwangen sich zu beiden Seiten nach oben.
Unbeirrt folgten sie dem ansteigenden Weg über kahle Felsterrassen. Irgendwann ritten sie durch einen Canyon. Bäume wuchsen auf seiner Sohle. Es waren Erlen, die der Schlucht ihren Namen gegeben hatten. Der Wind rauschte in ihren Kronen. Das Gurgeln eines Baches, der sich zwischen dem Geröll ein Bett, ausgewaschen hatte, begleitete sie. Kühle Luft strömte ihnen entgegen. Die Geräusche muteten in der Schlucht eigenartig dumpf, klingend und melodiös an.
Mit traumwandlerischer Sicherheit fand Lisa sich zurecht. Sie ritt bis zu einem Einschnitt in der Wand und lenkte ihr Pferd hinein. Ein steiler Pfad führte bergan. Sie zügelte das Tier. Lane verhielt ebenfalls. Sie sagte: »Am Ende dieses Pfades findest du die Höhle, Lane. Es gibt nur diesen Zugang. Ich entdeckte sie vor einigen Jahren, als ich mit meinem Vater hier auf der Jagd war. Du bist da oben so sicher wie in Abrahams Schoß. Du hast Proviant für eine Woche und brauchst die Höhle nicht zu verlassen.«
»Kommst du nicht mit hinauf?«, fragte er dumpf.
»Nein. Ich muss zurück. Big Jim fackelt nicht lange. Ich habe Angst um meinen Vater. Nachdem ich mit dir geritten bin, hat er sicher versucht, Big Jim auf eine falsche Fährte zu locken. Was aber ist, wenn Jim Forsyth sich mit den Erklärungen Dads nicht zufrieden gibt? Du hast am eigenen Leib erfahren, wie teuflisch er sein kann.«
»Allerdings«, sagte er knurrend. »Aber es ist überhaupt nicht sicher, dass Forsyth bei euch nach mir sucht.«
Sie lachte gallig auf. »Wo sonst, wenn nicht bei uns. Der Fluss führt genau an unserem Haus vorbei. Und im Fluss bist du ihnen entwischt. Du darfst Big Jim nicht unterschätzen.«
»Warum bleibst du nicht bei mir?« Lane versuchte, durch die Finsternis in ihrem Gesicht zu lesen. Es gelang ihm nicht. Aber er glaubte die Unrast zu spüren, die sie ausstrahlte. Sie sprang wie ein Funke auf ihn über.
»Soll ich meinen Vater im Stich lassen?«, entfuhr es ihr schroff.
Betreten biss Lane die Zähne zusammen. Seine Schultern strafften sich. »Oh, verdammt, in was habe ich euch bloß hineingezogen?« Seine Stimme war nur noch ein kratzendes Geflüster, die Stimme eines Mannes, der den Tod bereits die Knochenfaust nach sich ausstrecken sah.
Lisa schwieg. Und dieses Schweigen traf Lane mehr als alle Worte es vermocht hätten. Ihn beschlich ein kaltes Gefühl — ein Gefühl, das ihm körperliches Unbehagen bereitete. »All right, Lisa. Wenn ich mich stark genug fühle, verschwinde ich für einige Zeit. Ich weiß nicht, wie ich dir danken soll für alles, was du für mich getan hast. Jedenfalls wirst du von mir hören. Und irgendwann kehre ich zurück, um Jim Forsyth zur Rechenschaft zu ziehen.«
Er fühlte durch die Dunkelheit ihren Blick voll Schwermut und Sorge auf sich gerichtet. Plötzlich zog sie ihr Pferd herum und trieb es neben das seine. Steigbügel an Steigbügel verharrten sie. Er fühlte ihre erregende Nähe. Schlicht und einfach sagte sie: »Ich habe es für dich getan, weil ich dich liebe, Lane. Das weißt du auch. Aber jetzt habe ich Angst um meinen Vater, und ihn liebe ich ebenfalls. Das ist so, und du wirst es verstehen.«
»Wie willst du ihm beistehen, wenn sich deine Befürchtungen bewahrheiten sollten?«, schnappte er. In sein Denken begannen sich erneut die bittersten Vorwürfe einzunisten, weil er Clay Reed und Lisa einer Gefahr ausgesetzt hatte, die überhaupt nicht einzuschätzen war.
»Nicht einmal Big Jim kann es wagen, Hand an eine Frau zu legen«, erwiderte sie herb.
»Darauf vertraust du?«, entrang es sich ihm ungläubig und zweifelnd.
Sie beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn. »Mach dir keine Sorgen«, raunte sie dann mit Wärme im Tonfall. »Auch ein Mann wie Jim Forsyth kann sich über die ungeschriebenen Gesetze unseres Landes nicht hinwegsetzen. Wenn er erfährt, dass wir dir geholfen haben, wird er uns hassen, und mein Vater verliert seinen Job als Raubtierjäger. Nun, vielleicht versucht er sogar, uns zu vertreiben. Ich hänge nicht an der Farm. Und so alt ist mein Vater auch wieder nicht, dass er nicht noch einmal von vorne anfangen könnte.« Sie gab sich Mühe, zuversichtlich zu klingen, aber ihrer Stimme fehlte die echte Hoffnung. Nach diesen Worten schwieg sie, weil sie erkannte, dass sie sich selbst etwas einredete, dass sie sich völlig falschen Illusionen hingab.
Deutlich fühlte Lane die Resignation, die in ihrem Tonfall gelegen hatte. Es durchlief ihn heiß und kalt. Wenn ihm die Konsequenzen seiner Flucht auf Reeds Farm in ihrer ganzen Tragweite noch immer nicht so recht ins Bewusstsein gerückt waren, so traf ihn die Wucht der Erkenntnis nun mit aller Schärfe. Um sein Leben zu retten hatte er womöglich Clay Reeds Leben zerstört — und damit auch das Leben Lisas. Es wurde ihm mit erschreckender Klarheit bewusst, senkte sich wie schleichendes Gift in sein fieberndes Hirn und ließ ihn nicht mehr los.
»Mein Gott, Lisa, ich …«
»Schweig!« Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. »Mein Vater kennt die Höhle nicht. Ich habe ihm zwar davon erzählt, aber mehr, als dass sie sich in der Alderschlucht befindet, weiß er nicht. Du hast also nichts zu befürchten. Wenn du die Höhle verlässt, folge der Schlucht nach Osten. Du wirst nach Crestone gelangen, einem kleinen Nest in den Bergen. Von dort aus kannst du mich benachrichtigen.«
»Würdest du mir noch einen Gefallen tun, Lisa?«
»Wenn es in meiner Macht steht - sicher.«
»Sag Tex Dudley, wo er mich finden kann.«
»Auf ihn wird Big Jim ein besonders scharfes Auge werfen«, streute Lisa ihre Zweifel aus.
»Tex ist kein Anfänger.«
»In Ordnung. So long, Lane, und - good luck. Pass auf dich auf!« Sie trieb ihr Pferd an. Lane wollte nach ihr greifen, sie impulsiv festhalten, aber sie war schon außer Reichweite.
»Ich komme zurück, Lisa!«, rief er. Es klang wie ein Schwur. »Ich komme wieder …« Seine Stimme verhallte in der Nacht. Tackender Hufschlag entfernte sich. Mit gemischten Gefühlen lauschte er ihm nach. Er spürte das Unheil, das Verhängnis, dem Lisa entgegen ritt, tief in seiner Seele. Nur selten zuvor hatte Lane sich in einer ähnlich fürchterlichen Stimmung befunden wie in diesen Sekunden. Es war das nagende Empfinden, dass die Schlingen eines tückischen, grausamen Schicksals nicht nur ihm, sondern auch Lisa und ihrem Vater den Todesstoß versetzen wollten. Ein grenzenloses Gefühl der Angst um sie, aber auch des Alleinseins, der absoluten Einsamkeit und Hoffnungslosigkeit kam in ihm auf, das so stark wurde, dass er in einen regelrechten Taumel verfiel.
*
Der Taumel ging vorüber, die Ernüchterung kam. Der Hufschlag war nur noch fern und verschwommen zu vernehmen. Lane starrte den Pfad hinauf, der von fast senkrechten Felswänden gesäumt wurde. Es war finster hier wie im Schlund der Hölle, und nur ganz weit oben war ein Streifen des samtenen Nachthimmels zu sehen.
Nur ein Zugang!, sinnierte er düster. Falls Clay Reed nicht stark genug war, sich Big Jims Fragen nach mir zu widersetzen, dann sitzt du dort oben fest, wenn sie kommen. Wenn Reed auch die genaue Position der Höhle nicht kennt - es reicht, wenn er ihnen sagt, dass sie sich in der Alderschlucht befindet.
Schwer trug er an seiner Unentschlossenheit. Das Hufgeklapper war verklungen. Irgendwo in den Felsen schrie ein Käuzchen. Schrill und unheimlich. Seine Zukunft lag ebenso dunkel und undurchsichtig vor Lane wie der Felsenpfad. Sein Pferd schnaubte. Das Packtier stimmte prustend ein.
Er spann seine Überlegungen fort: Eine Woche kannst du dich dort oben halten. Vor allen Dingen kannst du mit einem Gewehr und der Munition, die du hast, die Höhle gegen eine ganze Armee verteidigen. Aber was ist dann? Dein Proviant wird zu Ende gehen, du wirst kein Wasser mehr haben, und dann musst du aufgeben oder sie kommen dich holen oder du knallst dir selber eine Kugel ins Hirn. Hell and damnation, es ist zum Verzweifeln!
»Hüh!« Er zog sein Pferd herum und verließ die Felsspalte. Es war mehr das Unterbewusstsein, das ihn dirigierte, nicht aber der bewusste Wille. Alles in ihm sträubte sich dagegen, die Höhle aufzusuchen, die für ihn zur tödlichen Falle werden konnte. Er ritt tiefer in die Schlucht hinein. An einem kleinen See, der von dem Bach gespeist wurde, hielt er an. Eine Gruppe von Zedern reichte bis zur nördlichen Felswand. Ihr Zweigwerk filterte das Mondlicht, das nur schwach auf den Grund der Schlucht drang, und ließ die ruhige, glatte Oberfläche des Teiches glitzern wie flüssiges Silber.
Lane schlug sein Lager zwischen den Bäumen auf. Bald lag er auf seiner Decke. Die Kälte der Nacht griff nach ihm, schien aus dem Boden und durch seine Kleidung zu kriechen. Sein letzter Gedanke galt Lisa. Die Sorge um sie elektrisierte ihn noch einmal und ließ ihn hochschrecken, zog ihm förmlich die bleischwere Müdigkeit aus dem Gehirn und ließ ihn schneller atmen. Aber dann versank die Welt um ihn herum. Er verfiel in tiefen Schlaf.
*
Der Morgen graute, als Lisa die Farm erreichte. Farblos und verwittert schälten sich die Hütten aus dem Dunst. Nichts deutete darauf hin, dass etwas anders sein könnte als vor wenigen Stunden, ehe sie mit Lane fortgeritten war. Und dennoch glaubte sie den Pulsschlag der Gefahr zu fühlen, der sie streifte wie ein böser Atem und der sie unwillkürlich das Pferd zügeln ließ.
Aber da war nur das gleichmäßige Rauschen des Flusses, das Winseln von Rex, der ihre Witterung aufgenommen hatte, der ewige Wind, der vom Wasser heraufwehte. Nach einem Schenkeldruck ging das Pferd weiter. Es trug Lisa in den Hof. Ihr entging nicht, dass der Staub von Hufen zerwühlt war. Rex, der Schäferhund, fing an zu bellen. Sein dumpfes Gebell warnte Lisa. Ihr Herz schlug höher.
Sie saß ab, ließ ihren Blick schweifen. Nichts! Warum kommt Vater nicht vor die Tür? Er muss doch hören, dass ich zurück bin. Der Magen krampfte sich ihr zusammen. Sie zog das Pferd über den Hof. Aus dem Stall drang Hufgestampfe. Lisa registrierte es und begriff, dass es nicht nur ein Pferd sein konnte, das im Stall rumorte. Jäher Schreck griff nach ihr mit eiskalten Händen. Die Kälte war plötzlich nicht nur mehr äußerlich. Sie drang tief in ihr Innerstes ein und blockierte sekundenlang ihr Denken. Unwillkürlich griff sie nach dem Gewehr, mit einem Ruck bekam sie es aus dem Scabbard. Aber da wurde die Stalltür aufgeworfen. Zwei Männer glitten ins Freie. Sie nahmen eine drohende Haltung ein. Und vom Wohnhaus her sprang Lisa eine klirrende, rasiermesserscharfe Stimme an: »Du hast lange auf dich warten lassen, Lisa. Wir waren nahe daran, die Geduld zu verlieren.«
Sie wirbelte herum, der Gewehrkolben flog an ihre Hüfte, ihre Gestalt krümmte sich vor Anspannung.
In der Haustür lehnte Big Jim. Er hielt die Arme vor der Brust verschränkt. Im diffusen Licht wirkte er groß, kantig und Ehrfurcht gebietend. Hinter dem Fenster war eine Bewegung wahrzunehmen. Es wurde hochgeschoben, John Landers lehnte sich heraus. Mit beiden Armen stützte er sich auf die Fensterbank. In seinem knochigen Gesicht stand ein schiefes Grinsen. Aus dem Heuschuppen traten drei Kerle. Breitbeinig standen sie im Hof, die Daumen in die Patronengurte gehakt, aufreizend und lässig. Rex ließ nur noch ein vereinzeltes Bellen hören, rannte erregt vor seiner Hütte hin und her und hechelte. Hin und wieder stieg ein zorniges, bedrohliches Grollen aus seiner Kehle.
Lisa war eingekreist. Sie zwang sich zur Ruhe. Die Männer betrachteten sie wie Wölfe, die ihr Opfer endlich gestellt hatten. Hart umkrampften ihre Hände das Gewehr. Sie sah die feixenden Mienen, das hämische Gegrinse, und die Sorge um ihren Vater überwältigte sie. Aber da peitschte Big Jims metallisches Organ: »Das Gewehr runter! Wenn du auch nur einen einzigen Schuss abgibst, behandeln wir dich wie einen Mann und du frisst unser Blei!« Er fixierte sie mit einem feindseligen Blick, der zuweilen die Härte von Stahl annahm. Um seinen Mund lag ein hässlicher Zug.
Lisa fasste sich ein Herz und rief, ohne dem Befehl nachzukommen: »Wenn ihr meinem Vater auch nur ein Haar gekrümmt habt, dann werden Sie dafür bezahlen, Forsyth. Ihre Männer werden mich vielleicht erschießen. Aber Sie sterben vor mir.«
Big Jims Brauen zuckten in die Höhe. Wut zerriss seine Züge. Er löste seine Arme aus der Verschränkung und trat aus der Tür. »Nimm nur den Mund nicht so voll!«, zischte er gehässig. »Du hast den Mörder meines Sohnes in Sicherheit gebracht. Und das stellt dich mit ihm auf eine Stufe. Du hast von mir keinerlei Rücksicht zu erwarten. Darüber will ich dich von vornherein nicht im Unklaren lassen.«
Lisa war bei seinen Worten totenblass geworden. Sie zitterte am ganzen Körper. Big Jim registrierte es mit zynischer Genugtuung. Aber mit einem Schlag kehrte die Farbe in ihr Gesicht zurück. Angewidert rief sie: »Ja, ich habe Lane Turpin geholfen, Forsyth, nachdem Sie mit Ihrem revolverschwingenden Haufen die Bar-T Ranch dem Erdboden gleichgemacht und seine Brüder getötet haben.« Ihre Sicherheit war zurückgekehrt. Sie wurde in diesen Augenblicken völlig von ihren Gefühlen beherrscht und fixierte den Rancher mit einem Blick, in dem sich Verachtung und Leidenschaft vermischten.
Big Jim musterte sie, als zweifelte er an ihrem Verstand. Das Gewehr in ihren Händen, die kreisrunde Mündung, die wie ein hohles Auge auf seine Brust gerichtet war - das beeindruckte ihn kaum. Aber dass sie ihm sein Unrecht schonungslos und ohne jeden Respekt ins Gesicht schleuderte, dass sie ihm Abscheu und Verachtung zeigte, das traf ihn und brachte sein Blut zum Sieden. Aber noch beherrschte er sich. Seine zornverdunkelte Stimme grollte Unheil verkündend:
»All right, Lisa Reed. Dein Vater hat zwar eine ganze Menge ausgespuckt, aber das Entscheidende war nicht aus ihm herauszukriegen. Ich weiß, dass ihr Turpins Wunde behandelt und dass ihr ihn eingekleidet, mit Waffen, Munition, Pferden und Proviant versorgt habt, und ich weiß, dass du ihn in ein sicheres Versteck gebracht hast. Was ich nicht weiß, ist die Lage dieses Ortes, an dem der Hundesohn sich nun seine Wunden leckt und darüber nachdenkt, wie er sich an mir rächen kann. Du wirst es mir sagen. Auf der Stelle!«
»Eher erschieße ich Sie!«, keuchte sie. »Ich will jetzt zu meinem Vater. Ich will sehen, was ihr mit ihm gemacht habt.«
»Wo ist das Versteck, Lisa?«, fragte der Rancher gedehnt.
»Gehen Sie zur Seite!«, fauchte das Mädchen und ruckte auffordernd mit der Winchester.
Plötzlich aber wurde sie von hinten gepackt. Ein kräftiger Arm schlang sich unbarmherzig um ihren Hals, mit einem Ruck wurde ihr die Winchester aus den Händen gerissen. Ihr betroffener Aufschrei erstickte im Ansatz, sie wand sich in dem gnadenlosen Griff und spürte die Panik, die in ihr hochspülte. Heißer Atem streifte ihren Nacken, sie trat nach hinten, entlockte dem Burschen, der sich lautlos, mit der Geschmeidigkeit eines Pumas, an sie herangeschlichen hatte, aber nur ein ironisch-bissiges Lachen.
Mit wenigen langen Schritten war Big Jim heran. Bretterhart landete sein Handrücken auf ihrer Wange. Sie versteifte. »Lass sie los!«, röhrte Big Jims Bass. Der Bursche versetzte ihr einen leichten Stoß und trat zurück. Lässig legte er sich Lisas Gewehr auf die Schulter. Aus dem Haus kam John Landers. Big Jims Hand traf noch einmal klatschend Lisas Gesicht. Er kannte keine Gnade, kein Erbarmen. Ihn regierten nur blindwütiger Hass und verzehrende Rachsucht. Ihm war jedes Mittel recht, seinen Wünschen und Absichten Geltung zu verschaffen. Seine Augen waren eng geworden, zwischen den Lidschlitzen funkelte es tückisch. Er begann sich in einen Rausch hineinzusteigern, der dem Bewusstsein seiner Macht und Überlegenheit entsprang.
Lisas Kopf flog auf die Seite, der Schlag brannte auf ihrer Wange wie Feuer. Aber er riss sie aus ihrer Lähmung. Sie duckte sich, spreizte die Finger, und es sah aus, als wollte sie im nächsten Augenblick Big Jim an die Kehle fahren.
Der Kopf des Ranchers flog herum. »Bringt Reed in den Hof!«, schnarrte er.
Landers hob zum Zeichen dafür, dass er verstanden hatte, die Hand und stapfte zurück ins Haus. Lisas gebannter Blick folgte ihm. Jeder Muskel ihres Gesichts wirkte straff und angespannt. Jede Linie darin verriet die Qualen, die sie durchlitt. Mühsam kämpfte sie um ihre Fassung. Der lauernde, tückische Ausdruck in Big Jims Miene ließ schlimme Ahnungen in ihr aufwallen.
Und als sie ihren Vater sah, traf es sie wie ein Schwall eisigen Wassers. Erschrocken hob sie eine Hand vor den Mund. Sein zerschlagenes und blutverschmiertes Gesicht kündete vom Wahnsinn brutalster Gewalt. Er konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten. Die verzweifelte Hilflosigkeit in seinem verschleierten Blick war erschütternd. Gnadenlos schleuderte John Landers ihn in den Staub. Sein Kopf rollte auf die Seite, seine Finger verkrallten sich im Boden. Ein Zucken lief durch seinen Körper, seinem Mund entrang sich ein ersterbendes Röcheln.
»Dad!« Lisa stürzte zu ihm hin, warf sich auf die Knie, nahm seinen Kopf in beide Hände und starrte wie hypnotisiert in das von brutalen Fäusten gezeichnete Gesicht. Es war nur noch eine zur formlosen Masse verschwollene Grimasse mit Platz- und Schürfwunden und blauschwarzen Blutergüssen.
Er sah sie mit den verängstigten Augen eines Tieres an, das die Schlachtbank witterte. Seine aufgesprungenen Lippen öffneten sich. Seine Stimme kam erschreckend schwach, als er sprach: »Ich habe ihnen das Versteck nicht verraten, Lisa. Aber sie werden weitermachen. O mein Gott, sie sind schlimmer als wilde Bestien.«
Lisa spürte eine harte Hand auf ihrer Schulter. Sie wollte sie abschütteln. Der Griff wurde eisenhart. In der Tiefe ihrer Augen war nichts als das nackte Entsetzen. Mit dem zitternden Atemzug lähmender Verzweiflung, der aus ihrer Brust strömte, löste sich ein Aufschrei von ihren trockenen Lippen.
Unerbittlich zerrte Big Jim sie in die Höhe. Der Kopf ihres Vaters entglitt ihren Händen und sank kraftlos in den Staub. Die Männer der Great Sand Ranch bildeten nun einen Kreis um sie, ihren Vater und Big Jim. Sie waren ihnen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Ein Krampf überlief ihr bleiches Antlitz. Ihr Blick schien von irgendwoher in die Wirklichkeit zurückzukehren. Sie rang nach Luft, versuchte zu begreifen, was sie soeben gesehen hatte und fühlte, dass sie wohl nicht die Kraft haben würde, gegen diesen Strom von vernichtender Brutalität anzuschwimmen. Sie stöhnte auf, schluchzte und schlug die Hände vor das Gesicht. Ein Weinkrampf schüttelte sie.
»Wo hat Turpin sich verkrochen?«, peitschte Big Jims zerspringende Stimme.
Ihre Arme hingen schlaff herab. Sie sah ihn an, und die Besessenheit in seinem Blick erschreckte sie. Aber sie erkannte auch, dass sie die Flinte nicht ins Korn werden durfte, wenn nicht alles umsonst gewesen sein sollte. Sie fasste sich. Unter Aufbietung aller Willenskraft befreite sie sich von Angst und Schrecken. Ihr Widerstandsgeist loderte noch einmal auf.
»Suchen Sie ihn, Forsyth!«, rief sie mit klarer, präziser Stimme, furchtlos und trotzig. »Von mir erfahren Sie jedenfalls nicht, wo Lane sich versteckt hält. Jagen Sie Ihre Gunslingerbande in die Sättel und lassen Sie das Land nach ihm durchkämmen. Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen dabei.«
»Ist das dein letztes Wort, Lisa Reed?«, schnappte Big Jim böse.
»Nein. Etwas will ich Ihnen noch sagen: Ich danke Gott, dass es mir gelungen ist, Lane Turpin vor Ihnen in Sicherheit zu bringen. Ich habe dadurch einen weiteren Mord verhindert. Ihr Sohn hat nicht viel getaugt, Forsyth. Er war verkommen, er war durch und durch schlecht. Und wenn Lane es nicht getan hätte, wäre er irgendwann von einem anderen Mann gerechterweise getötet worden. In Alamosa war keine Frau vor ihm sicher. Und schon so mancher Ehemann hat geschworen, Bill Forsyth umzubringen, weil er seine Frau in einer Art und Weise belästigte, die zum Himmel schrie. Er …«
»Schweig!«, brüllte der Rancher in einem Anfall jäher Wut. Die Umstehenden zuckten zusammen. Sein Gesicht nahm fast tierische Züge an. Ein hässliches Funkeln stieg aus der Tiefe seiner Augen.
»Die Wahrheit ist schwer zu ertragen - ich weiß«, fuhr Lisa ungerührt fort. Ihre Miene veränderte sich nicht, blieb gleichmäßig kühl, und ihrem Tonfall war nicht mehr die geringste Erregung anzuhören. »Aber es ist nun mal die Wahrheit«, setzte sie hinzu, »und Sie werden sie akzeptieren müssen. Ihr Sohn war nichts wert. Im Übrigen hat Lane ihn in Notwehr erschossen. Nur schade, dass Charles Turpin noch seiner Niedertracht zum Opfer fiel.«
Big Jims Gesicht hatte sich von einer Fratze des glühenden Hasses in eine Grimasse der namenlosen Ungläubigkeit verwandelt. Sein röchelndes Keuchen war Ausdruck seiner Sprachlosigkeit. Aber dann kam der Zorn zurück, jäh und wild wie eine Sturmwoge. Dick schwoll seine Halsschlagader an. Er nahm seinen lodernden Blick von Lisa und richtete ihn auf ihren Vater, der vor ihm im Staub lag. Es war ein Blick voll Wahnsinn, Mordlust und Teufelei.
»Meine Peitsche, John! Ich will ihm das Fleisch von den Knochen schlagen - und sie wird mir sagen, wo ich Lane Turpin finde!«
Sogar die hart gesottenen, abgebrühten Burschen ringsum schien plötzlich ein Frösteln zu erfassen. So manche Stirn umwölkte sich, so manche Hand ballte sich in hilfloser Ohnmacht zur Faust. Ein jeder kannte Big Jims Unduldsamkeit - und keiner wollte Opfer seiner wechselvollen Stimmung werden. Also verschwand einer der Cowboys im Pferdestall. und als er wieder herauskam, trug er die zusammengerollte Bullpeitsche.
Ein Schrei staute sich in Lisa, das Entsetzen tobte in ihr wie eine Sturmböe. Ihr Selbstbewusstsein war zerbrochen. Furcht, kalt und stürmisch wie ein Blizzard, ergriff sie. »Nein!«, stieß sie hervor. »Großer Gott …«
Big Jim entriss dem Cowboy die Peitsche. Seine Rechte umklammerte den Stiel, dass die Knöchel weiß hervortraten. Der Riemen fiel in den Staub, bewegte sich in Schlangenlinien. Der Arm zuckte hoch. Pfeifend wurde die Luft zerschnitten. Der Bann fiel von Lisa und sie sprang Big Jim an, klammerte sich an seinen Arm und schrie wie von Sinnen. Clay Reed bäumte sich am Boden auf. Aber der Riemen traf ihn nicht. Er riss eine Staubwolke in die Luft. Mit einem verlöschenden Gurgeln fiel Reed wieder zurück.
John Landers sprang hinzu. Er packte Lisa am Hemd und zerrte sie zurück. Der Stoff krachte und riss. Sofort stürzte das Mädchen sich wieder auf Big Jim. Der hatte Front zu ihr eingenommen und wehrte sie mit einem ungestümen Herumschleudern des Armes ab. Lisa flog in den Staub. Aber mit dem Mut der Verzweiflung kam sie sofort wieder hoch. Wirr hingen ihr die Haare in die Stirn. Ihr Mund stand halb offen, auf ihren Wangen zeichneten sich noch die Abdrücke von Big Jims Fingern ab, in ihren Augen war ein irres Flackern.
Big Jim hatte sich wieder Clay Reed zugewandt. Und wieder pfiff die Peitsche durch die Luft. »Aufhören!« Lisas Stimme überschlug sich. »Lane befindet sich in der Alderschlucht! Bei allen Heiligen — hören Sie auf!« Sie sank auf die Knie, krümmte den Rücken, drückte ihr heißes, brennendes Gesicht in die Handflächen und wurde von hemmungslosem Weinen geschüttelt.
Big Jims Arm mit der Peitsche sank herab. Der unerbittliche Mann warf John Landers einen triumphierenden Blick zu. »Ich wusste es doch, dass sie klein beigeben wird!«, kam es mitleidlos und ohne jede Gemütsregung über seine Lippen. »Auf die Pferde, Leute - zur Alderschlucht!«
*
Als Lane erwachte war es hell. Er hatte tief und traumlos geschlafen und fühlte sich wie neugeboren. Aber das Ziehen und Stechen in seinem Oberschenkel und das Brennen auf seiner Wange von dem Streifschuss erinnerten ihn schlagartig wieder an die schrecklichen Geschehnisse des vergangenen Tages. Er schälte sich aus seiner Decke, erhob sich und reckte Arme und Schultern, um seine verkrampften Muskeln und Sehnen zu lockern.
Die beiden Pferde standen zwischen den Erlen und zupften an dem taufeuchten Gras, das hier wuchs. Der Packsattel mit dem Proviant lag am Boden. Seinen Sattel hatte Lane als Kopfkissen benutzt.
Er ging steifbeinig zum See und war bemüht, sein Gewicht auf das unverletzte Bein zu verlagern. Bei jedem Schritt klatschte das Halfter mit dem langläufigen 45er gegen seinen Oberschenkel. Sein Handgelenk streifte den Knauf. Er wusch sich das Gesicht, strich sich mit den gespreizten Fingern durch die dunklen Haare und schaute sich um. Am Tage sah dieser Platz weitaus freundlicher aus als in der Nacht, in der ihm die Schlucht vorgekommen war wie ein riesiges Grab des Schweigens.
Sein Blick wanderte die Felswände hinauf. Sie klafften oben weit auseinander und der Himmel spannte sich azurblau über ihnen. Lane stakste zum Packsattel und suchte sich ein Frühstück zusammen. Er fand Kaffeepulver, eine Kanne und eine Tasse aus Blech, die zwar schlimm verbeult war, die aber ihren Zweck erfüllen würde.
Bald flackerte ein kleines Feuer. Über zwei Astgabeln, die er in den Boden gerammt hatte, hing der Topf mit Wasser an einem Stock. Lane schaute an sich hinunter. Ein bitteres Lächeln zerpflügte sein hohlwangiges, stoppelbärtiges Gesicht. Die Hose, die ihm Clay Reed geborgt hatte, kniff und zwickte erbärmlich und umspannte seine Beine wie eine zweite Haut. Sie reichte nur bis knapp über die Knöchel.
Vorsichtig ging er in die Hocke. Versonnen starrte er in die Flammen. Der lang schwelende Zwist zwischen der Bar-T und der Great Sand Ranch war mit alptraumhafter Grausamkeit eskaliert. Lane hielt den Atem an. Vor seinen Augen wirbelte eine wirre Folge von grellen Bildern. Bilder, die sich ihm unauslöschlich eingeprägt hatten. Bitterkeit und tiefer Schmerz überschatteten sein Gesicht. Er spürte das Unheil tief in seiner Seele. Gut, er hatte Bill Forsyth getötete. Aber es war in Notwehr geschehen. Außerdem hatte Bill den Tod verdient. Lane dachte ohne besondere Regung darüber nach, und die kalte Gelassenheit, mit der er Bill Forsyths Tod akzeptierte, erschreckte ihn selbst.
Er schlürfte den heißen Kaffee. Dazu kaute er trockenes Brot und kalten Speck. Um ihn herum war Vogelgezwitscher. Das Feuer brannte langsam herunter. Er hatte bald gefrühstückt und führte die Pferde zur Tränke. Tageswärme kroch in die Schlucht. Lane fühlte sich kräftig genug, um diesen Platz zu verlassen. Die Ungewissheit, was Coles Schicksal betraf, ließ ihn nicht zur Ruhe kommen. Eines war sicher: die Great Sand Mannschaft hatte nicht auf Cole geschossen. Big Jim wollte ihn lebend. Also bestand die Möglichkeit, dass Cole noch am Leben war.
Er dachte an Lisa. Ihrer Ansicht nach sollte er eine Woche in diesem Canyon bleiben. Eine Woche! Die Ungewissheit würde ihn umbringen. Unvermittelt erfasste ihn Unrast, eine Unruhe, die ihn mehr und mehr zu beherrschen begann, die sein ganzes Denken und Sinnen überlagerte.
Er entschloss sich von einem Augenblick zum anderen. Bald standen die Pferde unter den Sätteln. Und gerade, als Lane sich auf den Pferderücken schwingen wollte, vernahm er entferntes Hufgetrappel. Er nahm den Fuß wieder aus dem Steigbügel und lauschte nach Westen. Er hatte sich nicht geirrt. Es war Hufschlag, der durch die Schlucht klapperte, und es war das Echo, das sein Gehör erreichte, lange bevor er die Reiter sehen konnte.
Ein Schimmer des Begreifens huschte über sein Gesicht. Da kamen Big Jim und seine Sattelwölfe. Und da Lisa ihnen niemals freiwillig verraten hätte, wo er sich versteckt hielt, begann er die furchtbare Wahrheit zu ahnen.
Er konzentrierte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Hufschlag. Es musste ein ganzes Rudel sein, das Big Jim für die Jagd auf ihn mobilisiert hatte. Das Hämmern der Hufe schwoll schnell an und weitete sich aus zu einem unheilvollen Grollen, als würde ein Gewitter heraufziehen, und bald schlug es wie eine brausende Brandungswelle zu ihm her.
Hau ab, Lane!, dachte er. Noch hast du genügend Zeit!
Er handelte mit kaltblütiger Überlegung. Eiserne Entschlossenheit zeigte sich in seiner Miene. Ehe er floh, wollte er Big Jim noch einen Denkzettel verpassen. Scharfe Linien kerbten sich in seine Mundwinkel. Er holte die Winchester aus dem Scabbard, riegelte eine Patrone in den Lauf, führte die Pferde tiefer in das Gehölz hinein und leinte sie an. Dann verließ er den Platz mit dem kleinen See. Seine Blicke tasteten durch die Schlucht und suchten eine geeignete Deckung. Er durfte sich nicht allzu weit von den Pferden entfernen. Denn nur schnelle Flucht würde ihn am Ende vor der Übermacht der Great Sand-Mannschaft retten können. Er wusste es und handelte trotzdem wider alle Vernunft.
Er postierte sich hinter einem yardhohen Felsbrocken und spähte angestrengt und abwartend über den oberen Rand hinweg in den Canyon hinein. Und er sagte sich mit einem grimmigen Lächeln um die Lippen, dass sich Big Jim seiner Sache sehr sicher sein musste, nachdem er jedwede Vorsicht außer acht ließ. Erwartete Big Jim etwa, einen halbtoten Mann aufzustöbern, den jeder Kampfgeist verlassen hatte?
Lanes Lächeln verstärkte sich. Er würde den unbeugsamen Despoten eines Besseren belehren. Er dachte es im selben Moment, als der Hufschlag abrupt abbrach. Sein Lächeln verwischte. Sein Gesicht spiegelte äußerste Anspannung wider, seine Gedanken vollführten Sprünge. Die unheilschwangere, angespannte Stille begann an seinen Nerven zu zerren. Ahnte Big Jim die Gefahr, die bei dem kleinen See mitten in der Schlucht lauerte? Hatte er sich etwa darauf eingestellt, dass ihn anstelle eines halbtoten Mannes heißes Blei erwartete? Lane schimpfte sich einen Dummkopf, weil er nicht geflohen war. Diese Chance hatte er leichtfertig vertan. Seine Sinne arbeiteten mit doppelter Schärfe. Die Schlucht bot tausend Möglichkeiten, sich anzupirschen und ihn einzukreisen.
Schleichende Kälte kroch von Lanes Zehenspitzen hoch, zog durch seine Beine und schien sich in seinen Eingeweiden einzunisten. Die Stille war wie eine stumme Warnung vor Tod und Untergang. Und Lane konnte die Augen nicht länger vor der Tatsache verschließen, dass er sich selbst Big Jim ans Messer geliefert hatte. Er zerbiss einen Fluch zwischen den Zähnen. Die Aussichtslosigkeit seiner Lage wurde ihm bewusst. Aber in ihm war keine Furcht. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Und er würde seine Haut so teuer wie nur möglich verkaufen.
*
Lane schien ganz ruhig und erweckte den Eindruck, als ob ihn die knisternde Spannung, die ihn umgab, nicht berührte. Nur seine Augen funkelten hellwach. Sein Blick tastete sich die zerklüfteten Felswände mit Nischen, Simsen und Vorsprüngen hoch. Lane hoffte, dass keiner der Kerle auf die Idee kam, irgendwo in der Wand Position zu beziehen und ihn von oben unter Beschuss zu nehmen.
Minuten reihten sich in zäher Langsamkeit aneinander. Und plötzlich vernahm Lane ein klirrendes Geräusch, als Metall gegen Gestein stieß. Es hing sekundenlang in der Luft und versank wieder in der Stille. Nun erst bemerkte Lane, dass das Vogelgezwitscher verstummt war. Er nahm eine flüchtige Bewegung am Fuß der südlichen Felswand wahr, starrte auf das Gebüsch, durch dessen Äste eine Erschütterung ging, die niemals von dem lauen Wind herrühren konnte, der durch die Schlucht zog. Der Lauf der Winchester wanderte etwas herum, Lane legte sie auf den Steinbrocken und visierte den Busch an.
Aber er schoss nicht. Er wartete nur ab, war angespannte Aufmerksamkeit. Und für ein paar Momente lang sah er aus den Augenwinkeln an der Nordwand ebenfalls eine geduckte Gestalt entlang huschen. Er reagierte nicht schnell genug. Ehe er das Gewehr in die neue Richtung anschlagen konnte, war sie in einer Felsnische verschwunden. Er richtete sein Augenmerk wieder auf das Gestrüpp. Wenn er sich nicht getäuscht hatte, dann musste der Bursche doch irgendwann wieder zum Vorschein kommen.
In der Tat. Ein Mann schob sich vorsichtig hinter dem Strauchwerk hervor. Lane identifizierte ihn als James Dembrow. Er kannte jeden der Reiter Big Jims vom Namen. Dembrow hielt sich eng an der Felswand und ließ seine nervösen Blicke in die Runde schnellen. Schritt für Schritt tastete er sich voran, und er hatte sicherlich nicht den Hauch einer Ahnung, dass er über Kimme und Korn einer Winchester beobachtet wurde. Er reckte den Hals, hob den Arm und gab seinem Gefährten auf der gegenüberliegenden Canyonseite ein Zeichen. Lane nahm den Kopf herum und sah den anderen Burschen aus der Felsnische gleiten. Er bewegte sich mit lautloser Geschmeidigkeit, und Lane vermutete, dass Big Jim die zwei Kerle vorausgeschickt hatte, um die Lage zu erkunden.
Der Bursche an der Nordwand bewegte sich dicht am Fels entlang. Im Gegensatz zu Dembrow hatte er seinen Colt in der Faust. Er nutzte den Schatten und die Felsvorsprünge geschickt aus. Dembrow näherte sich Lanes Stellung auf ähnliche Weise. Sie verschwanden aus seinem Blickfeld, tauchten wieder auf, verschwanden aufs Neue …
Lanes Vermutung wurde zur Gewissheit. Big Jim ging kein Risiko ein. Es war anzunehmen, dass er diese Schlucht kannte und dass er Lane am See wähnte. Und diese beiden Figuren sollten auskundschaften, wie groß die Gefahr war, die von ihm ausging.
Well, Freunde, ich werde euch einen gehörigen Strich durch die Rechnung machen!, versprach Lane den Burschen in Gedanken. Denn wenn er die beiden Burschen geräuschlos unschädlich machen konnte, dann eröffnete sich ihm noch einmal eine Chance zur Flucht.
Sein Körper beschrieb eine halbe Drehung. Er nahm die Winchester herunter und schätzte die Entfernungen. Dembrow, der an der Südwand entlangschlich, würde den kleinen See zuerst erreichen. Er sah ihn gerade wieder hinter einem Felsbrocken hervorgleiten. In grimmigem Entschluss zog Lane sich zurück. Der Felsen, der ihm Schutz geboten hatte, verbarg ihn auch weiterhin vor ihren Blicken. Bei einer Buschgruppe legte er sich flach auf den Bauch und robbte, die Ellenbogen wie Ruder benutzend, hinein. Er kam auf der anderen Seite wieder heraus und bewegte sich nach links. Einmal verharrte er, lugte durch das Zweiggeflecht, konnte aber nichts erkennen. Er kroch weiter. Noch verbargen ihn die Büsche vor unliebsamen Blicken. Aber dann erreichte er das Ende des Buschstreifens. Fünfzehn Schritte bis zum Teich, fünfundzwanzig bis zu dem Erlenwäldchen, in dem er seine Pferde versteckt hatte. Seine Wunde meldete sich wieder mit pulsierendem Ziehen. Sein Blick suchte Dembrow. Der war noch etwa fünfzig Yards von dem kleinen See entfernt. Er schien etwas in seiner Wachsamkeit nachgelassen zu haben, denn er bewegte sich ziemlich schnell und ließ viele Deckungen aus.
Vor den Blicken des anderen Great Sand Reiters würde ihn der Buschgürtel schützen. Er musste sich ungefähr auf der Höhe Dembrows befinden und war somit von Lane mehr als doppelt so weit entfernt.
Sie verständigten sich wieder durch Handzeichen. Jetzt hatte auch Dembrow den Revolver gezogen. Gleich musste er wieder hinter dichtem Gebüsch verschwinden. Es reichte bis an die Felswand heran. Dembrow würde seine ganze Aufmerksamkeit aufwenden müssen, um sich nicht durch zurückschnellende Äste oder knackende Zweige zu verraten. Wenn sie auch nicht wissen konnten, ob er sich überhaupt noch hier befand – sie mussten damit rechnen. Und darum waren sie höllisch auf der Hut.
Es war soweit. Dembrow schlüpfte in das Gestrüpp und verschwand aus Lanes Sichtkreis. Wie von Furien gehetzt robbte er los, kroch wie eine Schlange durch Geröll und über Inseln harten Grases und erreichte die ersten Erlen, unter deren Laubdach Licht und Schatten wechselten und den Eindruck erweckten, als befände sich der Boden in ständiger Bewegung.
Atemlos hielt Lane an. Seine Lungen pumpten. Sein Herz schlug einen aufgeregten Takt. Es hätte auch ins Auge gehen können. Er arbeitete sich tiefer in das Gehölz hinein, umrundete seine Pferde, die verborgen im Buschwerk zwischen den alten Stämmen friedlich grasten, und erreichte die Felswand, an der Dembrow entlangkommen musste. Er presste sich in einen engen Felsspalt und atmete nur noch ganz flach.
Der Bursche kam. Zuerst war es nur das Schaben von rauem Hosenstoff, das ihn ankündete. Dann zerbrach mit leisem Knacken ein dünner Ast unter seinem Tritt, und schließlich vernahm Lane seinen gepressten Atem. Er bewegte sich direkt auf Lane zu und hatte das Gesicht zur anderen Schluchtseite gerichtet, als suchte er Sichtkontakt mit seinem Gefährten. Der aber pirschte wahrscheinlich gerade durch den Buschstreifen, der auch Lane als Schutz gedient hatte.
Lane lachte boshaft und spöttisch in sich hinein. Dembrow schob sich in sein Blickfeld. Er trat auf ihn zu und ließ ihn kerzengerade in die Mündung der Winchester blicken. Der Mann wurde steif wie ein Brett, der Schock ließ ihn den Mund aufklappen, und seine Augen weiteten sich vor Betroffenheit und Überraschung. Einen schrecklichen Augenblick lang starrte er in die Mündung, und ehe er zur Besinnung kommen konnte, schlug Lane mit dem Lauf zu. Ohne einen Ton von sich zu geben sackte Dembrow zusammen. Lane entwaffnete ihn und schob sich den Colt in den Hosenbund. Dann zog er dem Cowboy den Leibriemen aus der Hose und fesselte ihm die Hände, zuletzt schob er ihm sein eigenes Halstuch als Knebel in den Mund.
Er setzte sich den Hut des Bewusstlosen auf. Geduckt, den Schmerz in seinem Bein unterdrückend, huschte er von Baum zu Baum, bis er den Rand des Gehölzes erreicht hatte, in dem sich der zweite Kundschafter Big Jims nähern musste.
Der Weidereiter verharrte am Ende des Buschgürtels und äugte herüber. Lane richtete sich hinter einem Baum, der seine Gestalt fast ganz gegen den Blick des anderen abschirmte, auf und schwenkte den verknautschten, durchgeschwitzten Hut, den er soeben erbeutet hatte. Mit gedämpftem Tonfall rief er: »Alles klar! Er ist längst verduftet. Die Luft ist rein!«
Der Bursche schien sich einen Augenblick lang nicht entschließen zu können, aber schließlich richtete er sich auf und spurtete über die freie Fläche, als traute er dem Frieden doch nicht so recht. Und er begriff die Gefahr in dem Moment, als er zum Sprung in das Wäldchen ansetzte und Lane hinter dem Baum hervortrat. Aber er war nicht mehr in der Lage, diesen letzten, kraftvollen Satz abzubremsen, der ihn in den Schutz der Bäume bringen sollte. Ein bestürzter Aufschrei entrang sich ihm, er landete und wollte sofort herumfedern, aber da rammte ihm Lane schon die Mündung in den Bauch und zischte: »Fallen lassen und keinen Laut mehr!« Seine Stimme kam hart und düster und eine tödliche Drohung schwang in ihr mit.
Der Bursche japste nach Luft. Nur langsam löste sich der Schreck aus seinen Gesichtszügen. Er bekam den Aufruhr seiner Empfindungen in den Griff, schielte auf die Winchester, um deren Abzug Lanes Zeigefinger lag und an der jeder Widerstand zerbrechen musste, und schnappte mit herausgepresstem Atem: »Hölle, Turpin, du hast mich hereingelegt.«
»So ist es, Tucker. Aber jetzt wirf deine Kanone fort. Es wird mir nichts ausmachen, dich zum Teufel zu schicken. Schließlich hast du es selbst herausgefordert.«
Die Hand des Cowboys öffnete sich. Das Schießeisen fiel zu Boden.
»Gut so, Tucker. Du wirst mir jetzt drei Fragen beantworten. Und ich rate dir, mich nicht anzulügen. Wie viel Mann seid ihr?«
»Was hast du mit Dembrow gemacht?«, versetzte Tucker, ohne auf Lanes Frage einzugehen.
Lane runzelte ungeduldig die Stirn und verstärkte den Druck mit der Winchester. »Den habe ich schlafen gelegt. Also, wie viele?«
»Acht. Big Jim eingeschlossen. Die anderen habt ihr auf eurer Ranch getötet oder kampfunfähig geschossen.« Tucker hatte seine Angst überwunden und starrte Lane herausfordernd an.
»Und Forsyth hat seine Wut an Cole ausgelassen, wie?«, kam wie aus der Pistole geschossen Lanes zweite Frage. Er starrte Tucker zwingend an, mit einem Ausdruck, der diesem jäh vor Augen führte, dass Lane zum Letzten entschlossen war. Und aus der Winchester konnte jeden Augenblick das tödliche Blei rasen. Es durchfuhr Tucker wie ein Blitzstrahl. Er schluckte und würgte hervor:
»Big Jim hat deinen Bruder mit der Peitsche halb totgeschlagen. Er wollte ihn für alle Zeit zerbrechen. Und das ist ihm sicher auch gelungen.« Stoßweise, tonlos und abgehackt war es aus Tuckers Mund gequollen. Sein Blick wurde flehend. Denn Lanes jäh veränderter Gesichtsausdruck ließ in ihm Todesangst hochschießen.
Ungebändigter Hass brach aus Lanes Augen, er verzerrte sein Gesicht und zerfraß sein Denken. Und in diesen Sekunden wäre er sicher fähig gewesen, einen Mord zu begehen. Aber er hatte sich in der Gewalt. Die Flamme in seinem Blick erlosch, seine Züge glätteten sich wieder. Stockheiser presste er hervor: »Und was ist mit Lisa und ihrem Vater? Hat er sie etwa auch mit seiner Peitsche drangsaliert, bis sie ihm verrieten, dass ich mich in der Alderschlucht verkrochen habe?«
Tucker schüttelte den Kopf. »So weit kam es nicht. Als er anfangen wollte, die Peitsche zu schwingen, verriet Lisa es ihm freiwillig. Er versprach, Clay Reed das Fleisch von den Knochen zu schlagen.«
Wieder wollten Lane die Gefühle übermannen, wieder beherrschte er sich im letzten Augenblick. »Und wo befindet sich Cole jetzt?«, knirschte er.
»Wir haben ihn liegenlassen.«
Jetzt wusste Lane Bescheid. Er war erleichtert und erschüttert zugleich. Wie weit durfte ein Mann wie Jim Forsyth eigentlich noch gehen, ehe ihm jemand Einhalt gebot? Er spürte plötzlich die wilde Gier, den heißen Wunsch, Big Jims unerbittlichem Treiben auf der Stelle ein Ende zu setzen. Er brauchte sich nur auf die Lauer zu legen und zu warten. Ein wohlgezielter Schuss aus dem Hinterhalt — aus.
Er riss sich gewaltsam von diesem Gedanken los. Er war kein feiger Mörder. Er würde Big Jim auf seine Art zur Rechenschaft ziehen.
»Gut, Tucker, du hast mir sehr geholfen«, murmelte er, und seine Miene war jetzt vollkommen ausdruckslos. »Du wirst sicher verstehen, dass ich Zeit gewinnen muss, um euch abzuhängen. Tut mir leid.« Er wirbelte die Winchester herum, und ehe Tucker auf irgendeine Art reagieren konnte, krachte ihm der Lauf gegen die Schläfe. Der Schlag schickte ihn gnadenlos zu Boden.
Lane hob Tuckers Colt auf und humpelte zu seinen Pferden. Dort verstaute er die beiden Schießeisen in der Satteltasche, dann saß er auf. Wenig später fegte er im gestreckten Galopp durch die Schlucht. Und nichts hielt den Strudel auf, in den er hineingerissen worden war.
*
»Auf die Gäule!«, kreischte Big Jim und warf sich in den Sattel. Deutlich schallte der prasselnde Hufschlag heran. Big Jim platzte fast vor Ungeduld und Rachedurst. »Beeilt euch, verdammt!« Er bändigte sein unruhiges Pferd mit hartem Schenkeldruck. Schließlich aber ließ er die Zügel schießen. Unbarmherzig drosch er dem Tier die Sporen in die Seiten. Das Pferd raste los.
John Landers folgte ihm, und schließlich donnerte auch der Rest der Mannschaft hinterher. Vier mürrische, erschöpfte Männer, die hungrig waren und deren Kampfgeist erlahmt war. Aber sie gehorchten, weil sie Big Jim und John Landers fürchteten.
Sie stoben in halsbrecherischer Karriere zwischen den himmelstürmenden Felswänden entlang, und nach wenigen Minuten lagen der kleine See und das Erlenwäldchen vor ihnen. Big Jim riss sein Pferd auf die Hanken zurück. Das Tier stieg, drehte sich wie ein Kreisel und wieherte trompetend. John Landers parierte ebenfalls sein Pferd und sprang aus dem Sattel. Er lief zu Tucker hin, der am Rand des Gehölzes lag und nicht zu übersehen gewesen war, bückte sich über ihn und sah die Beule an seinem Kopf. Langsam hob er das Gesicht und schaute zu Big Jim hoch, der düster den bewusstlosen Cowboy musterte.
»Der Hundesohn ist zäher als ich annahm«, stieß er dumpf hervor. »Aber wir kriegen ihn. Er gehört nicht zu der Sorte, die den Schwanz einzieht und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.«
»Wir könnten ihn noch einholen«, gab Landers zu verstehen und drehte sein Ohr in den Wind, lauschte dem sich entfernenden Hufgetrappel.
Big Jim wendete sein Pferd. Sein Blick flog über die vier Cowboys hinweg und er knurrte: »Irgendwo in diesem Gestrüpp muss Dembrow liegen. Sucht ihn.« Er ließ sich aus dem Sattel gleiten und schritt sattelsteif und müde zum See, schöpfte mit beiden Händen das frische Wasser und wusch sich das staubverkrustete Gesicht.
Tucker rührte sich. Landers rüttelte ihn an den Schultern. Der Cowboy schlug die Augen auf. Verständnislos starrte er Landers an, aber dann kam die Erinnerung. Er hob den dröhnenden Kopf und verzog das Gesicht. »Oh, verdammt!«, gurgelte er. »Turpin hat uns hereingelegt wie blutige Anfänger.« Er quälte sich in eine sitzende Stellung, Landers war ihm behilflich. Tuckers Hand tastete über die Beule an seiner Schläfe. »Zuerst hat er Dembrow ausgeschaltet, und dann ließ er mich in die Mündung seiner Winchester blicken. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte mich umgelegt.«
Raue Stimmen schallten heran, als die Cowboys Dembrow fanden. Wenig später schleppten sie ihn aus den Büschen. Sie hatten ihn von den Fesseln befreit und ihm den Knebel aus dem Mund gezogen. Dembrow war ziemlich benommen, aus einer Platzwunde rann Blut über sein Gesicht. Big Jim fixierte ihn gleichgültig und gestand sich widerwillig ein, dass er Lane Turpin unterschätzt hatte. Es war sein Fehler, einfach in den Canyon zu reiten und sich darauf zu verlassen, dass Turpin viel zu sehr am Ende war, um ihnen viel entgegensetzen zu können.
Landers' Stimme drang in seine Gedankengänge und riss ihn aus seiner Versonnenheit. »Er hat Tucker nach seinem Bruder gefragt«, rief der Vormann. »Es ist anzunehmen, dass er auf dem Weg zur Bar-T ist, weil er ihn dort zu finden hofft. Wir können vor ihm dort sein.«
Big Jims Gestalt straffte sich. Er nickte. »Wir werden vor ihm dort sein!«, gab er mit Entschiedenheit zu verstehen, und das Böse, das Verhängnisvolle, schien ihn wieder zu umgeben. Er wollte zu seinem Pferd gehen, aber in seinen ersten Schritt hinein schmetterte ein Schuss. Er zerfetzte die Stille im Canyon wie ein Kanonenschlag. Die Kugel ließ vor Big Jims Stiefelspitze das Erdreich spritzen, und oben, über dem Rand des Canyons, stieg eine kleine Wolke von Pulverrauch empor. Das Echo röhrte die Schlucht entlang und ließ den fernen Hufschlag von Lane Turpins Pferden untergehen.
Big Jim war erschreckt zurückgesprungen. Verstört schaute er nach oben. John Landers schrie gellend: »In Deckung, Boss!«, und zerrte Tucker in die Höhe, der vollkommen verwirrt zu sein schien. Die Cowboys packten Dembrow und schleiften ihn kurzerhand in den Schutz der Büsche zwischen den ersten Baumstämmen. Colts flirrten aus den Halftern, klickend bewegten sich die Trommeln eine Kammer weiter, als die Hähne gespannt wurden.
Ein zweiter Knall, wieder wölkte ein Rauchball über dem Canyonrand in die Höhe, wieder schlug das Geschoss direkt vor Big Jims Stiefeln in den Boden. Und endlich kam Leben in seine vierschrötige Gestalt. Mit einer Behändigkeit, die man diesem wuchtigen Mann niemals zugetraut hätte, hetzte er in das Gehölz.
Die Detonation verrollte. Es fiel kein weiterer Schuss. »Von Turpin können diese Schüsse nicht gekommen sein«, ertönte John Landers' raues Organ. »Der flieht nach Osten, als säße ihm der Leibhaftige im Genick!«
»Richtig!«, antwortete der Rancher und spähte aus engen Lidschlitzen nach oben. Er überlegte scharf, plötzlich lachte er trocken auf, als wäre ihm die Erleuchtung gekommen. »Ich fresse meinen Hut, wenn uns nicht Clay Reed gefolgt ist, um sich für die Prügel zu rächen, die wir ihm verabreicht haben.« Er bog einen Zweig zur Seite, um besser sehen zu können. Seine Mundwinkel sanken nach unten. »Wenn es Reed ist, dann werde ich ihm endgültig das Fell über die Ohren ziehen!«, schloss er.
»Ich tippe mehr auf die Kleine, Boss«, vermutete Landers und spuckte zur Seite aus. »Reed war sicher nicht in der Lage, auf ein Pferd zu steigen und uns zu folgen. Außerdem ist er nicht mutig genug, um uns den Krieg zu erklären. Aber Lisa — ich habe in ihren Augen gelesen, als wir von der Reed-Farm ritten.« Viel sagend verstummte Landers.
»Dann holen wir uns die Göre!«, schnarrte Big Jim. »Wahrscheinlich ist ihr Mut nach den beiden Fehlschüssen verraucht. Wir schnappen sie uns. Vorwärts, Leute!«
Er brach aus den Büschen, rannte zu seinem Pferd und warf sich in den Sattel. Seinen Männern blieb nichts anderes übrig, als es ihm gleichzutun. Auch Dembrow und Tucker schwangen sich auf ihre Pferde. Ohne jede Ordnung preschten sie davon. Der hassvolle Blick Lisas folgte ihnen über den Rand der Schlucht hinweg. Als sie aus ihrem Blickfeld verschwunden waren, nahm sie mit beiden Händen die Winchester hoch und starrte böse darauf. Die Zieleinrichtung stimmte nicht mehr. Der Cowboy, der ihr das Gewehr abgenommen hatte, schleuderte es, ehe sie fortritten, gegen die Stallwand. Deshalb hatte sie Big Jim verfehlt. Und sie wusste, dass er nun eine Hetzjagd auf sie veranstalten würde, die sich in nichts von seinem Kesseltreiben auf Lane Turpin unterschied.
Das Gewehr war unbrauchbar geworden, vielleicht noch gut genug für einen Zufallstreffer. Also war Lisa so gut wie waffenlos. Enttäuscht lief sie zu ihrem Pferd. Mit der Ernüchterung kam das Erschrecken über ihre eigene Courage. Sie hatte sich vom mörderischen Hass hinreißen lassen, nachdem Big Jim, ehe er mit seinen Leuten die Farm verließ, sie aufgefordert hatte, innerhalb von vierundzwanzig Stunden aus dem Great Sand Valley zu verschwinden, da er andernfalls blutigen Ernst machen würde. Und die Angst um Lane gesellte sich ihrem Hass hinzu. Aber hätte sie zulassen dürfen, dass Big Jim ihren Vater noch schlimmer zerbrach? Nein! Es trieb sie in den Sattel. Und dann hatte sie den höllischen Ranchboss vor der Mündung. Sie wollte ihn nicht töten. Ihre Absicht war es gewesen, ihm das Knie zu zerschmettern, um ihn für den Rest seines Lebens die Hölle durchmachen zu lassen, die er all den Männern bereitet hatte, die er im Laufe der Zeit auf diese oder jene Weise zerbrochen hatte.
Es war fehlgeschlagen. In das Fegefeuer ihrer quälenden Gedanken versunken kletterte Lisa in den Sattel. Die Winchester versenkte sie im Sattelschuh. Ihre einzige Genugtuung war die Tatsache, dass Lane Big Jim und seinen Sattelwölfen entkommen war.
Der trommelnde Hufschlag der Great Sand-Pferde stieg an den Canyonwänden in die Höhe. Lisa trieb ihren Braunen an. Irgendwo im Gewirr des Felslabyrinths war Lane untergetaucht. Sie musste versuchen, ihn einzuholen.
Das Gelände war auf eine Entfernung von einer Meile tafelflach. Linker Hand öffnete sich wie ein riesiger, klaffender Riss der Canyon. Am Ende der Ebene senkte sich das Terrain abwärts. Rechter Hand, im Süden also, ragten die erhabenen Proportionen bizarrer Felsgebilde zum seidenblauen Himmel. Und im Osten, im blauen Dunst schwimmend, erhoben sich hinter einer weitläufigen Senke bewaldete Hügel, deren Kulisse kahler Fels bildete.
Der natürliche Pfad, dem Lisa folgte, bohrte sich schließlich zwischen haushohe Felsen und senkte sich immer steiler nach unten. Das Pferd musste sich gegen das Gefälle stemmen. Hin und wieder schlitterte es ein Stück hangabwärts. Die Hufe hinterließen auf dem Gestein helle Kratzspuren. Lisa hielt die Zügel kurz und bewies, dass sie eine hervorragende Reiterin war.
Der Weg gabelte sich. Nach rechts stieg er an und verschwand im Gewirr der Felsen, nach links führte er weiter in die Tiefe. Noch konnte sie nicht in den Abgrund hinunterblicken. Ihr schauderte davor, denn sie befand sich in schwindelerregender Höhe, und wenn die Felsen zu ihrer Linken aufhörten, fiel die Wand fünfzig Yards steil zur Sohle des Canyons ab. Der Blick zurück war ihr verbaut. Aber sie wusste, dass Big Jim und seine Männer nicht vor einer halben Stunde den Aufstieg schaffen konnten. Erneut überkam sie ein Gefühl tiefer Genugtuung. Big Jim handelte blindwütig und ließ sich nur von seiner Besessenheit und seinem Vernichtungswillen leiten. Indem er sie hetzte, verschaffte sie Lane einen ausreichenden Vorsprung. Und sie kannte diese Gegend wie ihre Hosentasche.
Aber dann traten die Felsen linker Hand zurück, der Abgrund fiel senkrecht ab. Das Pferd scheute und Lisa saß ab. Vorsichtig führte sie das Tier in die Tiefe, immer darauf bedacht, festen Stand zu haben und keinen Blick hinunter zu werfen. Steine lösten sich, rollten über den Felsrand und zerschellten unten auf Felsgestein, und das scharfe Geräusch des Aufpralls stieg nach oben.
Aber Lisa schaffte es. Mit zitternden Beinen kam sie unten an. Als sie zurückschaute, sah sie weit hinten, ganz klein und kaum auszumachen, die Reiter, die oben am Rand des Canyons entlangzogen. Kalte Ironie ließ sie das Gewehr aus dem Futteral ziehen. Sie jagte einen Schuss zum Himmel, schwang die Waffe über ihrem Kopf, sprang in den Sattel und jagte davon.
*
Der Widerhall der Schüsse hatte Lane eingeholt. Abrupt zügelte er sein Pferd. Das Packtier kam automatisch zum Stehen. Lane horchte hinter sich. Keine weiteren Schüsse fielen. Er konnte sich keinen Reim darauf machen. Also zuckte er mit den Achseln und ritt weiter. Aber er trieb die Pferde nun nicht mehr so hart an. Vielleicht war er auf ihre Kraft und Ausdauer noch angewiesen. Und hinter ihm blieb alles ruhig. Unwillkürlich fragte er sich, ob Big Jim etwa aufgegeben hatte. Er verwarf diese Hoffnung, kaum dass er sie zu Ende gedacht hatte. Die Jagd würde weitergehen.
Der Canyon schien nicht enden zu wollen. Die Hitze begann zwischen den Wänden zu brüten. Eine Stunde war seit den beiden Schüssen vergangen, als erneut fernes Aufpeitschen heranwehte. In Lanes Miene arbeitete es angestrengt. Irgendetwas begann im Hintergrund seines Bewusstseins zu lauern, etwas, das ihn plötzlich zutiefst beunruhigte. Es entzog sich seinem Verstand, aber er fühlte, dass es drohend war. Gedanken kamen und gingen, düstere Gedanken, die den einen oder anderen Kurzschluss in seinem Bewusstsein auslösten und wieder im Dunkeln versanken.
Sie werden sich geteilt haben und verständigen sich von Zeit zu Zeit mit Schüssen!, zuckte es durch seinen Verstand. Unsinn! Solange sie sich im Canyon bewegen, können sie sich gar nicht aus den Augen verlieren. Aber was, beim Satan, bedeuten dann die Schüsse? Sie ballern doch nicht zum Spaß ihr Blei ins Blaue hinein.
Impulsiv wendete er sein Pferd. Er wollte es herausfinden. Langsam ritt er den Weg zurück. Das Packpferd trottete hinterher. Ein unerklärlicher Zwang trieb Lane.
Lane ritt angespannt, wachsam und vorsichtig. Eng an der Felswand suchte er sich einen Weg. Vielleicht war er ein Narr, weil er umgekehrt war. Aber in ihm saß eine seltsame Unruhe, die ihm sein Handeln vorschrieb. Immer wieder hielt er an und lauschte. Nichts. Er blickte zum Himmel. Dem Stand der Sonne nach zu schließen musste es später Vormittag sein. Weiter!
Als er wieder einmal nach vorne horchte, vernahm er Hufschläge. Er lenkte sein Pferd in einen engen Seitencanyon und wartete. Ein Gaul wurde im höllischen Tempo durch die Schlucht gejagt. Das Getrappel prallte immer lauter heran und artete aus zum hämmernden Stakkato. Schließlich sah er den Reiter. Sengend fuhr es ihm bis unter die Haarwurzeln. Es war Lisa! Weit auf den Pferdehals gebeugt donnerte sie dahin.
Fasziniert starrte Lane auf das Bild, das sich ihm bot. Doch dann trieb er seine Pferde aus der Deckung. Lisa sah ihn, riss ihr Tier zurück, griff nach der Winchester — und erkannte ihn. Befreit atmete sie auf. Der Reitwind hatte ihr Gesicht gerötet und ihr das Wasser in die Augen getrieben. Ein tiefes Gefühl der Erleichterung wallte in ihr hoch. Die Anspannung ihrer angestauten Gefühle ließ nach.
»Lane!«, rief sie und bog ihren Rücken durch. »Gott sei Dank!«
Es war ihm noch nicht gelungen, seine Betroffenheit über ihr unvermutetes Auftauchen völlig abzustreifen. »Du lieber Himmel - Lisa!« Verwunderung prägte seine Miene. Er fuhr sich über die Augen und blinzelte. Dann zügelte er bei ihr das Pferd. Beklemmung kroch in ihm hoch. »Ist etwas passiert?« Seine Stimme klang belegt. »Von Tucker weiß ich, dass Big Jim deinen Vater mit der Peitsche schlagen wollte, bis du mein Versteck preisgibst. Aber Big Jim brauchte die Peitsche nicht zu schwingen. Hat Tucker mich etwa angelogen?« Er starrte sie an, als hätte er die Antwort von ihrem Gesicht ablesen können.
Sie sagte betrübt: »Tucker hat dir nur die halbe Wahrheit erzählt, Lane. Als ich von der Alderschlucht zurückkehrte, erwarteten sie mich. Sie überwältigten mich. Dann schleppte Landers Dad in den Hof. Er war nur noch ein zusammengeschlagenes Bündel Elend, das sich nicht mehr von alleine auf den Beinen halten konnte. Wahrscheinlich haben sie das letzte, was ein Mann an Stolz in sich haben muss, aus meinem Vater herausgeprügelt.« Sie brach bitter ab, nickte, hob in hilfloser Geste die Hände, die die Zügel umkrampften, und ließ sie wieder sinken. »Den Rest hat Tucker richtig wiedergegeben.« Ihr Gesicht verschloss sich. »Ich habe dich verraten, Lane, weil ich meinem Vater helfen musste. Aber dann bin ich ihnen hinterher geritten, um dir beizustehen. Ich habe auf Big Jim geschossen. Leider stimmt das Visier meiner Winchester nicht mehr.«
»Vielleicht war es gut so«, murmelte Lane, der aus ihren Worten schloss, dass sie Big Jim töten wollte. »Du hättest damit leben müssen. Und du wärst wahrscheinlich nie darüber hinweggekommen.« Er biss die Zähne zusammen. Scharf traten seine Backenknochen hervor. Seine Augen verdunkelten sich. »Big Jim hat auch bei meinem Bruder die Peitsche geschwungen. Wenn Tucker nicht übertrieben hat, dann hat er auch Cole für alle Zeit zerbrochen. Sie haben ihn hilflos auf der Bar-T liegenlassen.«
»In der Zwischenzeit wird Tex Dudley zurückgekehrt sein und sich um Cole kümmern«, vermutete sie.
»Darauf kann ich mich nicht verlassen, und darum will ich selbst nachsehen. Tex ist zwar ein prächtiger Bursche und ein hervorragender Cowboy, aber es ist nicht sein Kampf. Vielleicht ist ihm der Boden unter den Füßen zu heiß geworden und er ist, nachdem er den Sheriff in Alamosa benachrichtigt hat, gar nicht mehr auf die Bar-T zurückgekehrt. Ich könnte ihm nicht einmal gram sein, wenn er fortgeritten wäre.«
»Tucker wird Big Jim berichten, dass du dich nach Cole erkundigt hast. Big Jim wird eins und eins zusammenzählen und dir auf der Bar-T einen Hinterhalt legen. Mein Gott, Lane, du musst jetzt an dich denken. Wenn du tot bist, kannst du Cole auch nicht mehr helfen.« Ihre letzten Worte waren beschwörend und eindringlich gekommen.
»Nein, Lisa. Ich muss zu Cole. Big Jim macht keine halben Sachen. Ich denke, Cole ist jetzt verdammt auf Hilfe angewiesen. Komm, wir reiten.«
Und dann war nur noch das Hufgeklapper um sie. Lisa beobachtete Lane immer wieder verstohlen von der Seite. Sein Gesicht verriet deutlich, was in ihm vorging. Er durchlebte eine Hölle der Ungewissheit und der Rastlosigkeit. Seine Lippen waren wie versiegelt. Seine ganze Haltung drückte Ungeduld aus.
Sie verließen den Canyon und trailten nach Norden. Die Sonne überschritt den Zenit und schleuderte eine wahre Gluthitze auf das Land. Das Atmen wurde zur Qual, die Pferde röchelten und röhrten. An einem kleinen Fluß tränkten sie die Tiere. Sie aßen etwas von dem Proviant. Lustlos kaute Lane. Lisa hatte ebenso wenig Appetit. Sie ließen die Pferde eine halbe Stunde auf dem grünen Uferstreifen weiden, dann ging es weiter. Ein richtiges Gespräch war die ganze Zeit über nicht mehr zustande gekommen.
Irgendwann konnte Lisa nicht mehr an sich halten. »Warum wendest du dich nicht an den Sheriff? Er muss dich und Cole vor Forsyth schützen.«
Sie ritten jetzt nach Westen. Die Felsen waren zurückgetreten. Das Land war hügelig und bewaldet, der Boden grasbedeckt. Die Sonne hing wie eine riesige Flammenkugel über dem Horizont. Von Osten her schlich die Abenddämmerung ins Great Sand Valley.
Lane lachte verächtlich auf. »Renslow wird sich hüten, gegen Big Jim vorzugehen oder sich ihm in den Weg zu stellen. Ich habe Bill Forsyth erschossen. Meine einzigen Zeugen, dass es Notwehr war, sind Tex Dudley und Cole. Der eine ist wahrscheinlich über alle Berge, der andere ein hilfloses Wrack und vielleicht wahnsinnig vor Angst. Dagegen stehen die Aussagen der Great Sand-Reiter. Wem, denkst du wohl, schenkt man mehr Glauben? Ich müsste damit rechnen, dass man mir hochoffiziell den Strick um den Hals legt.«
»Landers und die Männer, die dabei waren, werden aber nicht abstreiten können, dass Bill Forsyth deinen Vater auf dem Gewissen hat. Außerdem wurde Dave von Big Jims Männern getötet. Sie haben eure Ranch niedergebrannt. Big Jim …«
»Hör auf, Lisa!« Er stieß es schroffer hervor, als er beabsichtigt hatte. »Ich liefere mich nicht aus. Lieber gehe ich vor die Hunde.«
Ihr Mund verkniff sich. »Dann gehe ich mit dir zugrunde!«, rief sie leidenschaftlich.
»Nein.« Er sah sie fest an. »Du wirst auf eurer Farm zurückbleiben. Ich reite alleine zur Bar-T. Und wenn Big Jim noch nicht da ist, wenn ich ankomme, dann warte ich auf ihn. Ich habe es satt, mich wie ein Hase jagen zu lassen.«
Erschreckt parierte sie ihr Pferd. »Willst du wirklich sterben?«, entrang es sich ihr. »Warum bist du dann überhaupt erst vor Forsyth und seinen Revolverschwingern geflohen? Sterben hättest du auch in der vergangenen Nacht können! Du hättest damit eine Menge schlimmer Dinge verhindert! «
Kaum, dass es über ihre Lippen war, bereute sie, was sie in ohnmächtigem Zorn von sich gegeben hatte. Sein Gesicht, das wieder nach vorn gerichtet war, ruckte zu ihr herum. Es war hart und kantig geworden. »Dinge, für die Big Jim zur Verantwortung gezogen werden muss!«, schnappte er. Und etwas gemäßigter fügte er hinzu: »Du brauchst mich nicht an meine Verantwortung dir, deinem Vater und Cole gegenüber zu erinnern. Aber wir sollten uns nicht streiten, Lisa. Finde dich ganz einfach damit ab, dass ich einen Weg beschritten habe, den ich nicht verlassen kann und nicht verlassen will. Ich stehe zwar in deiner und deines Vaters Schuld, aber es gibt Dinge, über die sich ein Mann nicht hinwegsetzen kann, wenn er nicht die Achtung vor sich selbst verlieren will.«
»Entschuldige, Lane. Meine Nerven sind wohl etwas überreizt. Ich hätte es nicht sagen sollen.« Sie ritt wieder an.
»O doch«, versetzte er und brachte ein mattes Lächeln zustande. »Es war angebracht. Ohne deine Worte wäre ich vielleicht blindlings ins Verderben gerannt. Ich will leben, yeah, aber ohne Angst vor der Rache Big Jims.«
»Du reitest also nicht zur Bar-T?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Doch. Aber wenn Big Jims Sattelhaie dort schon auf mich warten, werde ich ihnen nicht den Gefallen erweisen, vor ihre Kanonen zu reiten.«
»Was hast du vor?«
Auf diese Frage schwieg Lane. Es hatte keinen Sinn, Lisas Protest aufs Neue herauszufordern.
Lisa war verwirrt und ratlos. Sein harter Gesichtsausdruck erschreckte sie und sie zog es vor, von nun an keine Fragen mehr zu stellen.
Sie erreichten den San Louis Creek und folgten ihm. Und als die Sonne hinter den Bergen versank, lag die Reed-Farm vor ihnen. Es berührte Lisa schmerzlich, dass die Stunde des Abschieds gekommen war. Nichts würde Lane zurückhalten können.
*
Big Jim hatte die Jagd nach Lisa abgebrochen, weil er einsehen musste, dass sie sie nicht mehr einholen konnten. Düster starrte er dem winzigen schwarzen Punkt tief unten auf dem Grund des Canyons hinterher, bis er ihn nicht mehr sehen konnte. »Ich werde ihr die Flügel stutzen!«, grollte sein Bass. »Doch sie läuft mir nicht davon. Wir reiten zur Bar-T.« Er zerrte sein Pferd herum und schaute in die vor Übermüdung erschlafften Gesichter seiner Männer, sah ihre rotgeränderten Augen und spürte selbst, wie sehr ihm der Schlaf fehlte.
Diese Mannschaft war nur noch die Hälfte wert. Er erkannte es plötzlich mit aller Klarheit. Aber konnte er den Männern Ruhe gönnen? Er selbst dachte nicht daran, eine Pause einzulegen. Sein Rachedurst war stärker als die psychische und physische Erschöpfung. Doch die Pferde waren ebenfalls vollkommen ausgelaugt. Sie ließen die Köpfe hängen, ihren Augen fehlte der Glanz.
Er nickte und murmelte schwerfällig: »All right, ich sehe, ihr seid fertig. Also ruhen wir uns an dem See unten in der Schlucht ein paar Stunden aus. Ist das in Ordnung?«
Landers nickte beifällig. »Das ist notwendig, Boss«, erwiderte er mit trockener Stimme. »Wenn es zum Treffen mit Turpin kommt, muss jeder von uns hellwach sein. Dieser Bursche ist gefährlicher als eine Kobra. Ich schätze, drei Stunden Ruhe reichen. Außerdem muss Turpin einen Umweg durch das Gebirge machen. Wir werden trotz der Rast vor ihm auf der Bar-T sein.«
»Hoffen wir es.« Big Jim ruckte im Sattel.
Nach drei Stunden hatten sie die Alderschlucht verlassen. Sie waren einigermaßen ausgeruht, auch die Pferde griffen wieder kraftvoll aus. Es ging nach Nordosten. Sie überquerten den San Louis River und folgten dann dem Saguache Creek. Und mit dem beginnenden Abend verhielten sie auf dem Kamm der Anhöhe, an deren Fuß die Bar-T Ranch lag.
Sie war nur noch ein Haufen von Schutt und Asche. Zwei Schuppen waren von den Flammen verschont geblieben. Der Rest war ein Bild der brutalen Zerstörung. Der laue Wind wirbelte die Asche auf und trug sie über den Fluss. Hier und dort stiegen noch Rauchsäulen aus den Trümmern. Verkohlte Balken ragten aus dem Schutt. Der gemauerte Kamin überragte alles wie ein Mahnmal.
Vor einem der Schuppen stand ein Pferd. Auf seinem Rücken lag der Sattel. Es schlug mit dem Schweif nach den lästigen, blutsaugenden Bremsen an seinen Flanken. Teuflische Zufriedenheit drückte sich in Big Jims Zügen aus. »Jetzt haben wir ihn!« Es war, als tropften die Worte von seinen Lippen, aus dem Gefühl einer bösartigen Genugtuung heraus gesprochen, kalt und triumphierend.
In diesem Moment verließ ein Mann den Schuppen. Er beschattete mit der flachen Hand seine Augen und spähte zu ihnen herauf.
»Das ist nicht Turpin!«, geiferte Landers. »Das ist Dudley. Er war dabei, als Turpin Billy erschoss. Und er half mit seinem Gewehr, uns in Schach zu halten.«
Big Jims Gesicht wurde hart und kantig. Auf dem Grund seiner Augen glomm wieder die schwelende Glut des Hasses. »Yeah«, grunzte er, »und der Narr wird dafür bezahlen. Kommt, schnappen wir ihn uns.«
Tex Dudley rannte zu seinem Pferd. Mit einem Ruck zog er den Bauchgurt an. Mit fliegenden Fingern löste er die Leine. Dann war er mit einem Satz im Sattel. Er nahm das Pferd herum und spornte es an. Seine rauen Anfeuerungsrufe erreichten die Ohren der Männer auf dem Hügel, die jetzt ebenfalls ihren Tieren die Köpfe freigaben. Im gestreckten Galopp fegten sie den Abhang hinunter. Tex Dudley preschte nach Westen. Die Hufe seines Braunen wirbelten und schienen kaum den Boden zu berühren. Immer wieder schaute der Cowboy über die Schulter zurück. Die Great Sand-Mannschaft stob an den Überresten der Bar-T vorbei. Die Reiter hatten sich in den Steigbügeln aufgestellt und lagen fast auf den gestreckten Hälsen ihrer Pferde.
Tex Dudley spürte Entsetzen und Verzweiflung. Gnadenlos hetzte er sein Pferd. Die Muskeln und Sehnen des Tieres arbeiteten. Die bewaldeten Hügel, auf die er zuhielt, waren greifbar und schienen doch unendlich fern und unerreichbar. Der Reitwind riss ihm den Hut vom Kopf und ließ ihn am Kinnband auf seinem Rücken tanzen. Wieder warf Tex einen Blick über die Schulter nach hinten. Der Pulk war etwas auseinander gefallen. Er sah ihre verzerrten Gesichter und glaubte sogar das Weiße in ihren Augen erkennen zu können.
Er wusste, was ihm blühte, wenn er Big Jim und John Landers in die Hände fiel. Das Grauen stieg wie ein Schrei in ihm auf. Die Hügel schienen förmlich auf ihn zuzufliegen. Wie Sturmgebraus zerrte das trommelnde Hufgetrappel an seinen Trommelfellen. Es war für ihn ein Wettlauf mit dem Tod.
Aber die Pferde der Verfolger verlangsamten bald ihren Hufewirbel. Big Jims Arm flog in die Höhe. »Stopp!«, brüllte er und riss das Pferd unerbittlich auf die Hinterhand. Die bremsenden Hufe schlitterten über das Gras und ließen tiefe Spuren zurück. Big Jim zerrte das gepeinigte Tier vorne hoch und presste ihm mit einem gnadenlosen Schenkeldruck die Luft aus den pumpenden Lungen. Mit zitternden Flanken und rollenden Augen stand das Tier.
Seine Crew hielt ebenfalls an. »Brennan!«, schnarrte Big Jim und starrte finster hinter Tex Dudley her, der sein Pferd mit dem langen Zügelende peitschte. Der Cowboy hatte die Horde anhalten sehen und ein Hoffnungsschimmer, dass sie das Interesse an ihm verloren hatten, flackerte in ihm auf. Hätte er Big Jims Gedanken erraten können, wäre ihm wahrscheinlich das Blut eingefroren. So aber atmete er tief durch. Die Spannung, die ihn bis in die letzte Nervenfaser erfasst hatte, ließ nach.
»Boss?« Tom Brennan drängte sein Pferd auf Big Jim zu.
»Gib mir deine Sharps!«, sagte Forsyth, in dessen Tonfall eine tödliche Ruhe lag. Sein Verstand arbeitete mit teuflischer Präzision. Er griff nach dem Gewehr, das ihm der Cowboy reichte. Es war eine Sharps Borschardt, ein Weitschussgewehr vom Kaliber 45. Ruhig lud der Rancher, dann zog er den Kolben an die Schulter. Sein kaltes Auge ruhte über Kimme und Korn hinweg auf dem unruhigen Ziel. Das Sonnenlicht wurde vom Stahl des Laufes reflektiert. Big Jim zog durch. Der Schuss brüllte.
Der Knall holte Tex Dudley in dem Moment ein, als durch sein Pferd ein Ruck ging. Im nächsten Moment brach es hinten ein, krachte auf die Seite und rutschte ein ganzes Stück über das Gras. Schließlich kippte es endgültig auf die Seite und sein Kopf fiel schwer auf den Boden. Ein Zittern durchlief den Pferdekörper, ein letztes Aufbäumen, dann lag das Tier still.
Tex Dudley war wie von einem Katapult geschleudert durch die Luft gesegelt. Hart prallte er auf. Funken sprühten vor seinen Augen. Er stemmte sich verbissen gegen die bleierne Benommenheit, die gegen sein Bewusstsein anbrandete. Dumpfer Druck lag auf seinem Gehirn, aber sein fiebernder Verstand hämmerte ihm ein, dass er in die Höhe musste. Mühsam rappelte er sich hoch. Nur mit übermenschlichem Willen hielt er sich auf den Beinen. Wie durch dichten Nebel sah er sein Pferd. Er wankte darauf zu, japste und röchelte. Mit beiden Händen zog er die Winchester unter dem toten Tier hervor. Übelkeitserregendes Schwindelgefühl packte ihn.
Prasselnder Hufschlag sickerte heran. Zunächst erreichte er nur Tex Dudleys Unterbewusstsein, aber dann konnte er seine Trägheit abschütteln und er begriff kalt und nüchtern, dass er kämpfen musste. Weitere Flucht war aussichtslos. Es schoss wie ein eisiger Strahl in sein Bewusstsein. Und es nahm die Furcht von ihm. In blitzschnellem Entschluss warf er sich hinter sein Pferd. Der Ladebügel seiner Winchester knackte. Tex Dudley war bereit.
Sie jagten in einer auseinander gezogenen Linie auf ihn zu. Verkniffen starrte er ihnen entgegen. Yard um Yard schmolz unter den fliegenden Hufen dahin. Schweiß lief dem Cowboy über das sonnenverbrannte Gesicht. Der Gewehrschaft lag auf dem Leib des toten Pferdes. Er dachte an Cole Turpin, der hilflos auf der T-Bar Ranch in der Scheune lag, den das Fieber und furchtbare Alpträume schüttelten. Er dachte an Lane, von dem er nicht wusste, ob er überhaupt noch lebte, und sein Denken bewegte sich um Charles Turpin und Dave, die der Great Sand-Ranch zum Opfer gefallen waren. Er zielte ruhig und drückte ab.
Mit hartem Schlag fuhr seine Kugel John Landers Pferd in die Brust. Das Tier überschlug sich mitsamt seinem Reiter, wälzte sich im Todeskampf und verendete. Landers lag am Boden und rührte sich nicht mehr. Sofort hatten die anderen die Gefahr begriffen, schwärmten noch mehr auseinander und schwenkten ab.
»Einkreisen!«, heulte Big Jim wie von Sinnen. Er hatte die Sharps nach seinem Meisterschuss zurückgegeben und zog nun seine Winchester aus dem Scabbard.
John Landers' Besinnungslosigkeit war nur von kurzer Dauer. Einer der Cowboys sprang vom Pferd und half ihm beim Aufstehen. Sein Gesicht war aufgeschürft und schmutzig. Wütend schüttelte er die helfenden Hände des Weidereiters von sich ab. »Das wird mir dieses Stinktier büßen!«, rasselte es böse aus seinem Mund. Er holte sein Gewehr und heftete seinen lodernden Blick auf den Pferdekadaver, hinter dem sich Dudley verschanzt hatte. Seine Kiefer zitterten vor Zorn, in seinen Augen irrlichterte es. Aber da war noch mehr - da war etwas Raubtierhaftes, Unberechenbares, und da war die tödliche Gier.
Big Jim hatte sein Pferd pariert und wartete nun ab, bis seine Männer einen Ring um Tex Dudley gebildet hatten. Im Westen färbte der Widerschein der untergegangenen Sonne den Himmel blutrot. Tiefe Schatten lagen im zerfurchten Gesicht des Ranchers. Aus den Felsklüften und Tälern schlich violette Abenddämmerung.
John Landers stiefelte zu seinem Boss hin und knurrte: »Wenn wir ihn haben, überlassen Sie ihn mir, Mister Forsyth. Ich möchte ihm eine Lektion erteilen, die er den Rest seines Lebens nicht vergisst.« Die letzten Worte waren fast mit einer gewissen Andacht gesprochen.
Die Great Sand-Reiter hatten Position bezogen. Tex Dudley erkannte, dass seine Lage aussichtslos geworden war. Ihn verließ aller Kampfgeist. Müde Resignation erfasste ihn, und die Düsternis ringsum verstärkte das Gefühl von Unsicherheit, Verlorenheit und Angst. Big Jims Stimme trieb heran - laut, fordernd, wie eine schlimme Verheißung: »Wirf deine Waffen weg und komm hinter dem toten Gaul hervor, Dudley. Wenn ich meinen Männern den Befehl gebe, dann verwandeln sie dich in ein Sieb!«
Die Gnadenlosigkeit in Big Jims Stimme trieb den Cowboy immer tiefer in Mutlosigkeit und Verzweiflung. In seinen Schläfen hämmerte das Blut, Entsetzen durchfuhr ihn wie ein Fieberschauer. Sein Gesicht war grau wie verwittertes Gestein. Sein Mund stand halb offen, sein Blick irrte rastlos hin und her.
Big Jim jagte ein Stück Blei in den Pferdekadaver. Tex zuckte zusammen, als hätte das Geschoss ihn getroffen. Und etwas in ihm zerbrach. Er schleuderte sein Gewehr fort, den Colt hinterher, richtete sich auf und hob die Hände in Schulterhöhe.
»Da hast du ihn, Landers«, dehnte Big Jim. »Bevor du ihn aber fertig machst, will ich ihm einige Fragen stellen.«
Der Kreis zog sich immer enger zusammen, und dann sah sich Tex Dudley aus nächster Nähe mehr als einem halben Dutzend Gewehrmündungen gegenüber. Ein Blick in die Augen Big Jims sagte ihm, dass er kein Mitleid zu erwarten hatte. Sie zeigten eine unheimliche Drohung.
*
Big Jim fletschte die Zähne wie ein angreifender Wolf. Und als seine stählerne Stimme ertönte, klang sie präzise, voller Autorität und zwingend. In der sinkenden Dämmerung wirkte alles an ihm gefährlich, wild und unberechenbar. Er grollte: »Bevor ich dich John Landers überlasse, Dudley, will ich von dir wissen, was sich wirklich zugetragen hat, als Turpin meinen Sohn erschoss. Ich will von dir die Wahrheit hören. Verstanden? Du lässt nichts weg, und du fügst nichts hinzu. Sprich!« Diese Aufforderung kam scharf und ungeduldig.
Ein gepresstes, bitteres und abgerissenes Keuchen entrang sich dem Cowboy. Verständnislos, fast verwirrt, stierte er Big Jim an. Aber dann fing er an zu sprechen. Zunächst fiel es ihm schwer. Sein Hals war so trocken, so dass er nur flüstern konnte. Aber dann gewann seine Stimme an Festigkeit, und zuletzt sprudelten die Worte geradezu über seine Lippen.
Mit verschlossener Miene lauschte Big Jim, ohne ihn auch nur ein einziges Mal zu unterbrechen. Erst als Dudley geendet hatte, stieg es brummend aus seiner Kehle: »Lane Turpin hat Bill also herausgefordert, mit ihm zu kämpfen. Und dann erschoss Bill versehentlich Charles Turpin …«
»Yeah, und ehe Bill begriff, was geschehen war, knallte ihn Lane Turpin ohne jede Vorwarnung nieder wie einen räudigen Hund!«, fiel John Landers hastig seinem Boss ins Wort.
Tex Dudley hatte eine Erwiderung auf den Lippen, aber ein Blick in Landers' flammendes Gesicht ließ ihn schweigen.
In Big Jims Augen erschien ein Grübeln, ein Forschen, und es war deutlich von seinen Zügen abzulesen, dass er scharf nachdachte. Schließlich fragte er dumpf: »Wo warst du in der vergangenen Nacht, als wir das Nest der Turpins aushoben, Dudley?«
»Ich bin nach Alamosa geritten, um den Sheriff zu informieren. Es war aber nur sein Deputy da. Renslow befand sich in Monte Vista.«
In Big Jims Miene vermischten sich unvermittelt Spannung, Grimm und Sorge. Er starrte Dudley durchdringend an, und plötzlich rief er in unerwarteter Wildheit: »Was für eine Story hast du dem Deputy erzählt, heh? Etwa auch die Notwehrgeschichte?«
»Ich beschönigte nichts, Mister Forsyth, aber ich ließ auch nichts weg. Der Deputy wollte Renslow informieren und meinte, dass der Sheriff wohl kommen würde, um den Vorfall zu untersuchen, sobald er aus Monte Vista zurückgekehrt ist.«
»Du behauptest also, Bill zog in einem Moment den Colt, als keiner der Turpins auf ihn achtete. Deine Worte beinhalten nichts anderes, als dass er Lane Turpin auf heimtückische Art und Weise erledigen wollte. Charles Turpin sprang dazwischen und ihn traf die Kugel, die Lane gegolten hatte. Und dann erst reagierte dieser.«
»So und nicht anders war es, Mister Forsyth.« Tex hatte plötzlich, das Empfinden, in Big Jim eine Saite zum Klingen gebracht zu haben, die er in ihm nicht vermutet hatte.
Der Rancher nickte bedächtig. Doch dann veränderte sich seine Miene unversehens zur teuflischen Fratze. »So etwas habe ich mir schon gedacht, Dudley!«, klirrte seine Stimme. Panik breitete sich schrill in Dudleys Denken aus, als er begriff, dass er einem tödlichen Irrtum aufgesessen war. »Yeah, Dudley, ich vermisste dich in der vergangenen Nacht auf der Ranch und ich ahnte, dass du den Sheriff aufsuchen würdest. Allerdings hat die Sache einen Haken. Das Gesetz interessiert mich nicht. Hier draußen ist mein Name Gesetz. Und Lane Turpin hat meinen Jungen ermordet. Du wirst umdenken müssen, Dudley. Und wenn wir mit dir fertig sind, wirst du beschwören, dass Lane Turpin zuerst auf meinen Sohn feuerte und sich erst dann aus dessen Colt die Kugel löste, die Charles Turpin tötete. Landers - du bist dran!«
Auf einen Wink des Vormanns sprangen die Reiter von den Pferden. Lediglich Big Jim blieb im Sattel. Tex Dudley schluckte, aber er vermochte den Geschmack von Angst und Grauen nicht hinunterzuwürgen. Sie näherten sich ihm mit erstarrten Mienen, in denen sich nicht die geringste Gefühlsregung abzeichnete. Brutale Hände packten ihn, rissen ihm die Arme auf den Rücken und hielten ihn fest. John Landers schob sich bis auf Armlänge an ihn heran. Ein sadistisches Grinsen spielte um seinen Mund, gemein und widerwärtig. Sanft und trügerisch sagte er: »Du hast auf das falsche Pferd gesetzt, Tex, als du dem Gesindel von der Bar-T deine Loyalität beweisen wolltest und dich gegen die Great Sand Ranch stelltest. Und du hast mir den Gaul unter dem Hintern weggeschossen. Ich werde dir deinen Verstand jetzt zurechtrücken, mein Freund. Und du wirst den Dreck von Big Jims Stiefeln lecken, wenn ich mit dir fertig bin!«
Mit seinem letzten Wort schlug er zu. Wie ein Huftritt knallte seine Faust in den Magen des Cowboys. Ihm wurden die Beine vom Boden weggehoben, er schien sekundenlang in der Luft zu hängen. Wie der Überdruck aus einem Dampfkessel entwich die Luft seinen Lungen. Er wollte schreien, seinen Schmerz hinausbrüllen, aber da knallte ihm Landers' Linke gegen den Kinnwinkel. Er wurde halb herumgeschleudert und hatte das Gefühl, die Arme würden ihm ausgekugelt, weil die Kerle, die ihn hielten, keinen Millimeter locker ließen. Vor Tex Dudleys Blick schien einige Herzschläge lang die Welt in Flammen zu stehen. In seiner Brust entstand ein tiefes Gurgeln, es kämpfte sich hoch und verließ seinen Mund als gequälten, kippenden Aufschrei. Die Flammen sanken zusammen, ein milchiger Schleier legte sich über seine Augen, seine Lider wurden schwer wie Blei, und dann traf ihn der dritte fürchterliche Schwinger. Er knallte ihm gegen die kurzen Rippen und nahm ihm schlagartig die Luft. Todesangst jagte in ihm hoch. Sein Verstand schaltete ab. Hysterie überfiel ihn wie ein rasendes Ungeheuer. Er japste, trat blindlings nach Landers, warf sich hin und her und versuchte, seine Arme aus dem eisenharten Griff zu zerren. Er spürte keinen Schmerz, er handelte nur noch instinktiv, und es war der dämonische Selbsterhaltungstrieb, der ihn den Kopf verlieren ließ.
Aber da kam für ihn die Rettung von einer Seite, an die in diesen Augenblicken niemand mehr gedacht hatte. Peitschend verschlang ein Gewehrschuss alle anderen Geräusche. Die Detonation prallte heran. Bestürzung griff um sich. John Landers schwang herum und duckte sich. Big Jim war im Sattel herumgezuckt. Seine Männer waren zusammengefahren. Unwillkürlich öffneten sich die Fäuste derer, die Tex Dudley gepackt hielten. Alle starrten sie in die Richtung, aus der der Knall unheilvoll und drohend herangerollt war.
Sie sahen den Reiter, der sich schwarz gegen die Düsternis abhob. Er verhielt auf dem Kamm des Hügels, an dessen Fuß die Bar-T Ranch lag - unbeweglich, wie aus Stein gehauen. Und obwohl auf diese Entfernung niemand sein Gesicht erkennen konnte, wusste ein jeder, dass Lane Turpin gekommen war.
*
»All right!« schnappte Big Jim und hieb, während er sich seinen Leuten zuwandte, mit der flachen Hand auf den Sattelknauf. »Meine Rechnung ist aufgegangen. Auf die Pferde, Männer.«
John Landers deutete mit knapper Geste auf Tex Dudley und fragte: »Was machen wir mit ihm? Sie wollen doch nicht, dass er uns davonläuft, Boss?«
»Nein.« Düster fixierte Big Jim den Cowboy. Er sah die Spuren von Landers' unbarmherzigen Schlägen, sah den Schmerz, der die Züge Tex Dudleys förmlich zerlegte, und knurrte: »Tucker und Dembrow sind sowieso ziemlich angeschlagen. Sie sollen ihn …« Ihm schien etwas einzufallen. Sein Kopf stach vor. »Heh, Dudley, befindet sich Cole Turpin noch auf der Bar-T?«
»Yeah«, krächzte der Cowboy. »Er liegt in der Scheune und dämmert dahin.« Es schien, als habe er mit Lanes Auftauchen wieder neuen Mut gefasst. Seine Stimme klang überraschend klar und fest. In seinem eben noch verzerrten Gesicht begannen sich die Züge zu glätten.
Big Jim nickte. »Natürlich, wo sollte er auch sonst sein.« Er grinste spöttisch. »Gut.« Sein hässliches Grinsen zerrann. Er schielte über die Schulter dorthin, wo Lane Turpin nach wie vor auf seinem Pferd verharrte. »Tucker, Dembrow - ihr habt ziemliche Beulen von Turpins Hieben und seid nicht hundertprozentig einsatzfähig. Ihr passt auf ihn und Cole Turpin auf, bis wir zurückkommen.« Er nahm den Kopf ein wenig herum und starrte wieder Dudley an. »Sollte der Sheriff auftauchen, dann überlege dir gut, was du ihm erzählst, mein Freund. Wenn es mir nicht gefällt, dann gnade dir Gott. Landers, du kannst dir Tuckers oder Dembrows Gaul nehmen.«
Dann hockten sie in den Sätteln. Durch die Dämmerung waren die Konturen Lane Turpins nur noch unscharf auszumachen.
»Sieht aus, als wollte er kämpfen«, murmelte John Landers.
Sie ritten im Schritt auf die Trümmer der Bar-T zu. Das Rot im Westen begann zu verblassen. Dumpf pochten die Hufe.
»Dann ist er übergeschnappt«, grunzte Big Jim. »Aber mir wäre es nur recht. Ich will ihn - und ich kriege ihn. Selbst wenn er mit dem Satan im Bunde sein sollte.«
*
Lane suchte die Entscheidung. In seinen Augen stand der unabänderliche Entschluss. Die Regeln des Kampfes würde er bestimmen. Sein Gesicht verriet nicht, was er dachte. Es war glatt und ausdruckslos. Langsam nahm der Pulk, der sich ihm näherte, Formen an. Längst hatten sie sich ihm auf Gewehrschussweite genähert.
Kalt wartete er ab. Er hatte das, was von der Ranch seines Vaters übrig geblieben war, gesehen, und der letzte Rest von Versöhnlichkeit war in ihm abgestorben. Die Gedanken, die ihn beseelten, unterschieden sich kaum von denen Big Jims.
Als sie sich auf der Höhe der Bar-T befanden, hob Lane das Gewehr. Er knallte dem ersten Pferd eine Kugel vor die Hufe und jagte sofort eine zweite hinterher. Für einen Augenblick entstand unten am Fuße des Hügels ein ziemliches Durcheinander, als die erschreckten Tiere scheuten und stiegen. Aber dann kam Ruhe in das Rudel und Lane schrie mit Donnerstimme: »Ich habe dich gesucht, Jim Forsyth. Du hast dich nämlich zu einer reißenden Bestie entwickelt und es ist an der Zeit, dich zu bremsen.«
Big Jim war wie vor den Kopf gestoßen. Nicht, weil ihn die Worte Lanes besonders trafen. Es war mehr die Erkenntnis, dass er es nicht mit verrückter Arroganz oder selbstmörderischer Dummheit zu tun hatte, sondern dass ihm in Lane Turpin ein ernstzunehmender Gegner erwachsen war, der mutig und intelligent genug war, seine Ziele und Pläne bis zum Ende durchzustehen.
Er riss sich los von seinen Überlegungen und brüllte: »Du hast es herausgefordert, Turpin! Hättest du meinen Sohn nicht gezwungen, zum Colt zu greifen, wäre alles nicht so gekommen. Dein Vater würde noch leben, mein Junge … Ach, was rede ich! Es ist nun einmal so, dass du Bill umgebracht hast. Das schreit nach Sühne. Ich werde dich vernichten, Turpin! Du bist dir darüber im Klaren, dass ich deinen Bruder in der Hand habe. Ich könnte dich zwingen, aufzugeben und dich mir auszuliefern. Oder würdest du zulassen, dass dein Bruder für dich büßen muss?«
»Du willst mich, Forsyth!«, tönte es ungerührt zurück. »Erst wenn du mich hast, wirst du dich zufrieden geben. Warst du nicht immer ein aufrechter Mann, Big Jim. Nachdem du dich an meinem Bruder, an Lisa Reed und ihrem Vater und an Tex Dudley ausgetobt hast, ist dein ganzes Sinnen nur noch darauf ausgerichtet, mich zu erwischen. Wie du siehst, stelle ich mich dem Kampf. Und weil das so ist, glaube ich nicht, dass du zu Mitteln greifst, für die dich eines Tages jeder Mann im County verachten würde.«
In Big Jims breitflächigem Antlitz zuckte kein Muskel. Lane Turpin forderte seinen Stolz heraus. Auf nachdenklich-lauernde Art beobachtete er die Reitersilhouette oben auf dem Kamm.
»Lassen Sie sich von diesem Hundesohn nicht einwickeln!«, zischte John Landers, der Steigbügel an Steigbügel neben seinem Boss verhielt. »Fairness ist bei diesem Halunken fehl am Platze!«
»Halt den Mund!«, brummte Big Jim ungnädig. »Er hat recht. Es ist nur noch eine Sache zwischen ihm und mir. Und es ist in der Tat nicht mein Stil, die Entscheidung auf dem Rücken Kranker und Kampfunfähiger herbeizuführen.« Er rief schneidend, kalt und unversöhnlich: »Wir kommen jetzt, Turpin. Fang an zu beten!«
Er riss das Gewehr in die Höhe und feuerte. Der Donner stieß den Hang hinauf, bei Lane blitzte es auf. Die Detonationen vermischten sich. Lane spürte ein scharfes Singen neben seinem Ohr und duckte sich. Unten brach ein Pferd zusammen. Die anderen Tiere stiegen, wieherten und keilten um sich. Die Reiter hatten Mühe, sich in den Sätteln zu behaupten. Vom Hügel aus mutete es an wie ein Knäuel ineinander verkeilter Pferde und Reiter.
Landers gelang es als erstem, dem Chaos zu entrinnen. Er jagte einen Schuss nach oben, sah bei Lane einen zweiten Feuerball platzen, einen der Reiter im Gewirr der verstörten Pferde die Arme hochwerfen und im nächsten Augenblick aus dem Sattel verschwinden. Er fluchte lauthals, schoss noch einmal, aber Lane trieb bereits sein Pferd an. Die Kugel des Vormannes jaulte wirkungslos durch die Dunkelheit.
»Hinterher!«, gellte Landers' Stimme. Er hämmerte seinem Tier die Sporen in die Seiten.
Der Pulk riss auseinander. Der getroffene Reiter am Boden wimmerte. Big Jim kümmerte sich nicht darum. »Folgt mir!«, kreischte er und stob hinter John Landers her. Gleich darauf wehte rumorender Hufschlag über den Hügel hinweg, der an das Grollen erinnerte, das ein Erdbeben ankündigt. Big Jim fühlte sich am letzten Rest seiner Ehre gepackt, und die Besessenheit in seinen Zügen ließ keinen Zweifel darüber aufkommen, dass er der mitleidlosen Menschenjagd in dieser Nacht ein Ende bereiten wollte.
Lane ritt nach Osten. Sein Pferd lief gleichmäßigen Galopp. In Lane war eine tiefe, fast grimmige Genugtuung. Er hatte Big Jim da, wo er ihn haben wollte. Fünf Mann ritten noch auf seiner Fährte. Eine deutliche Übermacht. Hier, im offenen Gelände, war er chancenlos. Ihnen hier entgegenzutreten hätte sein Todesurteil bedeutet. Seine Chance sah er in der Felswüste. Sie würden auf ihn in den Schluchten und Canyons ein Kesseltreiben veranstalten und er könnte sie sich einzeln schnappen.
Nun, sein Plan war voll tödlicher Gefahren. Wie leicht konnten sie ihn in die Enge treiben und fertigmachen. Aber dieses Risiko nahm Lane auf sich.
Von hinten quoll der Hufschlag der Verfolgergäule unter dem Abendhimmel heran. Lane ließ sein Pferd weit ausgreifen, aber er trieb es nicht zu sehr. Von den Reserven des Tieres konnte noch eine Menge abhängen. Lane hatte die Winchester gehalftert und führte die Zügel mit beiden Händen.
Das Land senkte sich zum San Louis River hin ab. Überall standen Büsche, vereinzelt und in dichten Gruppen. Am Fluss drosselte Lane das Tempo. Die Hufe platschten durch das seichte Wasser und versanken im Treibsand, schließlich aber hatte Lane den Creek überwunden und das Pferd kämpfte sich die steile Böschung auf der anderen Seite hinauf. Zwischen verfilztem Buschwerk hielt Lane an und schaute zurück.
Es war zwischenzeitlich so finster, dass von den Verfolgern nichts zu sehen war. Aber das heranbrandende Hufgetrappel kündete überlaut von ihrem Nahen.
Dann lösten sich ihre Schemen aus der Dunkelheit. Sie kamen in einer breiten Linie durch den Fluss. Lane wartete, bis sie die Flussmitte erreicht hatten.
»Hier, Big Jim - hier bin ich!«
Die Gewehrkolben flogen an ihre Schultern. Eine Salve prasselte in die Büsche. Abgeschossene Äste und Zweige fielen zu Boden, Blätter segelten hinterher. Das steile Ufer warf den ohrenbetäubenden Knall zurück und schleuderte ihn über den Creek.
Lane zielte ruhig. Er konnte in der Finsternis nicht unterscheiden, wen er vor dem Lauf hatte. Und darum zögerte er. John Landers wollte er nämlich auf keinen Fall töten. Ihn brauchte er lebend, damit er bestätigen konnte, dass er Bill Forsyth in Notwehr erschossen hatte. Niemals sollte ein Zweifel an seiner Unschuld bestehen. Aber das würde der Fall sein, wenn nur Zeugen, die auf seiner Seite standen, dem Sheriff gegenüber die Notwehrsituation bestätigten.
Big Jim konnte er ausmachen. Die breitschultrige, vierschrötige Gestalt hätte er unter Hunderten auf Anhieb erkannt. Er nahm an, dass sich Landers neben seinem Boss hielt, was ihn veranlasste, einen der äußeren Reiter aufs Korn zu nehmen. Er schwang das Gewehr etwas herum, visierte sorgfältig und drückte ab, im selben Sekundenbruchteil, als sie ihre Pferde antrieben, um in den Schutz der Uferböschung zu gelangen.
Lanes Kugel saß. Der Mann wankte im Sattel, ließ die Zügel fahren und ruderte haltsuchend mit den Armen. Plötzlich aber sank er auf den Pferdehals, rutschte langsam zur Seite und kippte vom Pferd. Das Wasser spritzte, sein Pferd machte einige unkontrollierte Sprünge und kämpfte sich dann durch die Fluten, die ihm an dieser Stelle kaum bis zum Bauch reichten. Der Cowboy wurde von der Strömung fortgetragen.
Die Great Sand Mannschaft erreichte das Ufer. Ohne Befehl sprangen die Männer aus den Sätteln. Vorsichtig arbeiteten sie sich den steilen Abhang hinauf. Aber ehe sie oben waren, verriet ihnen der trommelnde Hufschlag, dass Lane Turpin seine Flucht fortsetzte.
Sie scharten sich um Big Jim. »Wen hat's erwischt?«, fragte er, und unter der Oberfläche seiner belegten Stimme schwangen Wildheit, aber auch Verwirrung.
»Tom Brennan«, murmelte einer der Männer heiser.
»Noch ein Grund mehr, Turpin das Tor zur Hölle aufzustoßen!«, kreischte John Landers wie besessen. »Sie werden doch nicht aufgeben, Boss?«
»Niemals!«
»Weiter!« John Landers lief zu seinem Pferd, und auch Big Jim wollte sich abwenden, aber plötzlich stutzte er und hielt mitten in der Bewegung inne. Die beiden Cowboys standen wie zu Salzsäulen erstarrt und machten keine Anstalten, Landers' Aufforderung Folge zu leisten. Big Jim spürte den Verdruss plötzlich tief in seiner Seele.
Landers hatte seinen Fuß in den Steigbügel gestempelt und das Sattelhorn gepackt, nun aber erkannte auch er, dass etwas nicht mehr stimmte. Und da hörte er auch schon einen der Cowboys sagen: »Wir machen nicht mehr mit. Turpin will uns in die Felsen locken und nacheinander fertigmachen. Dafür zahlen Sie uns nicht, Forsyth. Bei dreißig Dollar im Monat ist der Tod nicht inbegriffen. Brennan hat für Ihren Irrsinn ins Gras beißen müssen. Wir fühlen uns aber noch nicht alt genug zum Sterben.«
Landers trat von seinem Pferd weg. Langsam schlenderte er heran. Die Winchester hielt er mit beiden Händen. Das Hufgetrappel von Lanes Pferd war schwächer geworden.
»Ihr wollt mir doch nicht etwa den Gehorsam verweigern, Stuart?«, hörte er Big Jims drohendes Organ.
»Ich glaube, wir waren Ihnen viel zu lange treu, Sir. Wir haben Dinge getan, die schamlos und niederträchtig waren. Kameraden von uns sind gestorben oder wurden übel zusammengeschossen. Es ist genug, Big Jim. Der Wahnsinn hat für uns ein Ende.« Der Mann, den Big Jim Stuart nannte, hatte hastig und eindringlich gesprochen.
»Ist das auch deine Meinung, Lonelly?«, fragte der Rancher.
»Ja. Falls es Ihnen noch nicht aufgefallen sein sollte, Mister Forsyth: Wir sind nicht mehr die Jäger und Turpin nicht mehr das Wild, das wir hetzen. Jetzt verteilt er die Karten. Er veranstaltet mit uns ein höllisches Katz- und Mausspiel. Und er wird jeden von uns erwischen. Ja, Sir, ich bin Stuarts Meinung. Die Sache wird mir zu heiß. Für dreißig Dollar monatlich lohnt es sich wirklich nicht zu sterben.« Der Cowboy verstummte.
»Elende Feiglinge!«, schrie Landers, und es lag mehr kochende Wut in seiner Stimme als Verachtung. Giftig musterte er durch die Dunkelheit die beiden Cowboys.
»Okay«, murmelte Big Jim. »Es mag Turpins Absicht sein, uns in eine Falle zu locken. Ich habe diesen Burschen unterschätzt.« Seine Stimme hob sich. »Demjenigen, der mir Lane Turpin vor die Füße legt - egal ob tot oder lebendig -, zahle ich tausend Dollar. Tausend gute, harte Dollar! Und ich verspreche ihm einen Job auf Lebenszeit. Seid ihr bereit, zu diesen Bedingungen weiter mitzumachen?«
Stuart und Lonelly wurden unsicher. Für tausend Dollar musste ein Cowboy fast drei Jahre arbeiten. Stuart meinte nach kurzer Zeit des Nachdenkens bedächtig: »In Ordnung, Mister Forsyth. Für diesen Preis nehme ich das Risiko auf mich.« Er straffte die Schultern und stiefelte zu seinem Pferd.
»Und was ist mit dir, Lonelly?«
Der Angesprochene hob die Schultern, ließ sie wieder sinken und versetzte rau: »Wenn Stuart mitmacht, bin ich ebenfalls dabei.«
»Well, dann verlieren wir keine Zeit mehr.«
*
Das Gelände stieg an. Lane ließ das Pferd traben. Der Weg bohrte sich zwischen hohes Gestrüpp, dessen Ranken und Geäst so dicht ineinander verflochten war, dass es schier undurchdringliche Hecken bildete. Lane ritt am Saum des Buschgürtels entlang, bis der Trail nach Osten wieder frei war.
Nachdem er eine Hochebene überquert hatte, lag wild zerklüftetes, wie von Urgewalt zersplittertes Land vor ihm. Weit hinten zeichneten sich schwarz und unheimlich die Umrisse des der Sangre de Cristo-Kette vorgelagerten Gebirgszuges im kalten Licht der Gestirne ab.
Lane trieb sein Pferd zwischen einige Felsen und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Mechanisch überprüfte er die Ladung der Winchester, dann postierte er sich. Frischer Wind strich über sein Gesicht. Dumpfes Rumoren unten in der Senke verriet ihm, dass seine Verfolger kamen. Er lächelte frostig, und seine Augen blickten im fahlen Licht kalt wie Porzellan, als er das Gewehr zum Himmel richtete und eine Kugel aus dem Lauf jagte. Der peitschende Knall prallte nach allen Richtungen hinaus in die bizarre Welt und verhallte in vielfältigen, rollenden Echos.
*
»Allmächtiger Gott!«, entrang es sich Moss Jones erschüttert und entsetzt zugleich, als er erkennen konnte, was von der Bar-T Ranch Charles Turpins übrig geblieben war.
Sheriff Vince Renslow teilte die Betroffenheit seines Deputys. Er war am späten Nachmittag aus Monte Vista, einem kleinen Ort zwanzig Meilen nordwestlich von Alamosa, zurückgekehrt und hatte von Moss Jones erfahren, dass der Krieg zwischen den Turpins und Big Jim ausgebrochen war. Er zögerte nicht, sattelte sich ein anderes Pferd und ritt sofort los.
»Ich ahnte es«, murmelte er und seine Stimme klang brüchig. »Nachdem Lane Bill Forsyth erschoss, drehte Big Jim durch. Und wie es aussieht, hat er die Turpin-Brüder mit Feuer und Blei von der Erde gefegt.«
Eine Schuppentür knarrte rostig in den Angeln. Das Geräusch entging ihnen. Sie sahen auch nicht den Schemen, der sich aus der Finsternis des Stallinneren löste und nach links weghuschte, dem ein zweiter folgte, der in das Schattenfeld rechts neben der Tür glitt. Die metallische Stimme aber, die ertönte, ließ sie erschreckt zusammenzucken und riss sie aus ihren trüben Gedanken.
»Wer ist da? Wir können genug von euch sehen, um euch auch zu treffen! Also haltet still und antwortet!«
Der Sheriff wollte im ersten Augenblick zum Colt greifen, aber sein Verstand holte die reflexartige Bewegung ein. Er stützte sich auf das Sattelhorn und rief wütend: »Hier ist der Sheriff, Mister! Ich weiß zwar nicht, wer du bist, aber was ich hier sehe, stinkt mächtig zum Himmel. Wir kommen jetzt zu euch hinüber. Waffen runter!«
Sie lenkten ihre Pferde an dem Brandschutt vorbei auf die Scheune zu. Matt funkelten die Sterne an ihren Westen. Zwei Gestalten verließen den tiefen Schatten vor der Hütte und gingen ihnen langsam entgegen.
»Wer seid ihr?", fragte der Sheriff, der ihre Gesichter nicht ausmachen konnte, der sich lediglich sicher war, keinen der Turpin-Brüder vor sich zu haben.
»James Dembrow und Bret Tucker von der Great Sand Ranch!«, kam es zurück.
Die beiden blieben stehen. Renslow konnte erkennen, dass sie zwar Gewehre in den Fäusten hielten, dass die Mündungen aber auf den Boden zeigten. Er saß ab. »Pass auf!«, raunte er Jones zu, der auf dem Pferd blieb und dessen Hand sich auf den Coltknauf legte.
Renslow trat vor die beiden Great Sand-Reiter hin. »Was habt ihr hier zu suchen? Euer Boss hat ja schon ganze Arbeit geleistet.« Er vollführte eine ausholende Armbewegung. »Stecken vielleicht noch mehr von euch in dem Schuppen?«
Der Tonfall des Sheriffs klang ungeduldig, war zwingend und schroff. Trotz des schlechten Lichts war der eisenharte Wille dieses Mannes von seinen kantigen Zügen abzulesen. Er wirkte in der Dämmerung schlank, hager und dunkel wie ein Wolf.
»Wir haben einen Verwundeten. Lane Turpin hat ihn aus dem Sattel geschossen.«
»Was tut ihr hier?« Ranslows Blick sprang von einem zum anderen.
Den beiden Cowboys wurde es plötzlich ziemlich unbehaglich zumute. Schließlich aber antwortete Dembrow: »Wir sind auf Befehl Big Jims zurückgeblieben, um Cole Turpin und Tex Dudley zu bewachen.« Dembrows Stimme kam zaghaft. Sein Gesicht sah bekümmert aus, es wirkte müde und unruhig.
»Erzähle!«, forderte der Sheriff und hakte seine Daumen in den Patronengurt. »Ich will alles wissen. Hörst du? Alles!« Er spürte beinahe körperlich die Ratlosigkeit, die die beiden Weidereiter ausstrahlten. Und die Anspannung in ihm wuchs, aber auch die Ungeduld, weil sich keiner der beiden entschließen konnte, den Mund aufzumachen.
»Ich warte!«, schnauzte er.
Nun war es Tucker, der sich entschloss, dem Sheriff Bericht zu erstatten. Stumm lauschte der Gesetzeshüter. »Tex Dudley hat Dave Turpin begraben«, schloss der Cowboy. »Und jetzt jagt Big Jim Lane Turpin. Turpins Leben ist keinen Cent mehr wert, sage ich Ihnen.«
»Ich habe die Geschichte von Tex Dudley ein wenig anders vernommen, Tucker!«, rief Moss Jones kehlig.
»Was sagst du dazu?«. Der Sheriff knurrte unheilvoll.
Verstockt und störrisch schwieg der Cowboy.
»Ich werde die Wahrheit herausfinden, Tucker! Und wehe, wenn du mich angelogen hast. Dann kannst du was erleben.« Renslow befeuchtete sich mit der Zungenspitze die Lippen. »Big Jim hat also das Gesetz in seine eigenen Hände genommen!«, knurrte er dann wie im Selbstgespräch. »Dieser alte, sture Narr!« Er hieb mit der flachen Hand durch die Luft, als brauchte er ein Ventil für seinen Zorn. Sein Blick verkrallte sich an Tucker, der den Kopf zwischen die Schultern zog und betreten auf den Boden stierte. »Dann wollen wir mal in den Schuppen hineingehen, Freunde. Gibt es hier noch so etwas wie eine Laterne?«
»Ja«, erwiderte Dembrow und schwang auf dem Absatz herum. Er lief in die Scheune. Ein Streichholz flammte auf. Helligkeit breitete sich aus, als die Lampe brannte.
Sattelsteif ging der Sheriff in den Schuppen. Sein Schatten fiel über drei Männer auf dem Boden, von denen einer gefesselt und geknebelt war. Tex Dudley. Cole Turpin lag unter einer Decke und wälzte sich stöhnend und röchelnd hin und her. Der verwundete Great Sand-Reiter lag still und atmete rasselnd. Er hatte die Augen geschlossen, sein Gesicht war bleich, schweißnass und eingefallen.
Tucker war dem Sheriff gefolgt. Der nahm alles in sich auf und spürte, wie sich an seinem Gaumen ein gallenbitterer Geschmack festsetzte. »Nimm Dudley den Knebel aus dem Mund!«, befahl er unwillig. »Und schneide seine Fesseln durch.« Er beugte sich über Cole Turpin. Blutige Striemen zogen sich über dessen Antlitz. Renslow sah die fiebrig entzündeten, zuckenden Lider, vernahm unzusammenhängendes Gestammel aus dem Mund des zerschlagenen Mannes, sah die Schweißperlen auf seiner Stirn und brauchte einige Zeit, um diesen Anblick zu verarbeiten. Wut kroch in ihm hoch.
Er richtete sich auf. »Mir scheint, ihr habt hier gehaust wie die Vandalen!«, brach er erbittert los. Seine Augen hatten sich vor Zorn verdunkelt. Seine Stimme sank herab zum unheilvollen Geflüster: »Damit hat Big Jim das Fass zum Überlaufen gebracht.« Der Sheriff griff sich an den Kopf. Plötzlich aber wirbelte er zu Tucker herum, der Tex Dudley von seinen Fesseln befreit hatte. Tex rappelte sich in die Höhe und massierte seine Handgelenke, um das Blut wieder zum Zirkulieren zu bringen.
»Und ihr wart dabei, Tucker! Yeah, ihr habt all diese Schweinereien mitgemacht und ihr seid euch dabei wahrscheinlich noch mächtig stark vorgekommen. Weißt du, was das Gesetz darauf für eine Antwort hat, mein Freund? Gefängnis! Ihr wandert hinter Gitter, bis ihr schwarz werdet. Vielleicht legen sie sogar dem einen oder anderen von euch einen Strick um den Hals!«
»Sie waren dabei«, bestätigte Tex Dudley und ließ Tucker nicht aus den Augen, der ihn tückisch fixierte. »Ich konnte die Geschichte hören, die er Ihnen auftischte, Sheriff«, fuhr Tex bedächtig fort. »Ihr Deputy wird Ihnen sicherlich meine Version berichtet haben. Sie entspricht der Wahrheit. Sehen Sie mein Gesicht, Sheriff? John Landers sollte mir Big Jims Auffassung von der Schießerei draußen auf der Weide ins Gehirn hämmern. Wenn Lane nicht aufgetaucht wäre, dann hätte er es vielleicht sogar geschafft.«
Der Sheriff beobachtete Tucker, der Anstalten machte, Tex an den Hals zu gehen. Warnend hob er die Hand. »Bewahre Ruhe, Tucker, sonst machst du für dich alles nur noch schlimmer.« Sein Blick schweifte zu Dembrow, der mit verkniffenem Gesicht dabeistand und schwieg. »Hört her, ihr beiden«, sprach der Sheriff weiter. Er bemühte sich um einen klaren, sachlichen Tonfall. »Ich gebe euch eine Chance, einen Teil eurer Schuld abzutragen.« Er verstummte, ließ seine Worte sekundenlang wirken und sah das jähe Interesse in den Augen Dembrows, in dem die Worte des Sheriffs von Gefängnis und Strick nachklangen wie ein höllischer Choral. »Besorgt einen Wagen mit Heu und bringt die beiden armen Hunde da am Boden auf dem schnellsten Weg in die Stadt.«
Dembrow stieß scharf die Luft durch die Nase aus. »Ich würde es tun, Sheriff. Allerdings ist der Wagen-Schuppen ebenfalls abgebrannt. Wir haben zwei Pferde. Das meine und den Gaul Caldwells.« Er deutete mit dem Kinn auf den Burschen, der Lanes Kugel im Körper hatte. »Die nächste Farm ist die Clay Reeds. Aber …«
»Dann reitet eben einer von euch zu Reed und borgt sich einen Wagen und ein Pferd aus!«, schnitt ihm der Sheriff brüsk das Wort ab.
Dembrow wich dem forschenden Blick aus. »Zu ihm ist Lane geflohen, nachdem die Ranch in Feuer aufging. Big Jim fand es heraus. Er hat Reed nicht mit Samthandschuhen angefasst. Und das Mädchen bekam auch einiges ab. Ich glaube nicht, dass Clay oder seine Tochter einen von uns näher als bis auf Gewehrschussweite an sich herankommen lassen. Vor allem die Kleine hat Haare auf den Zähnen.«
»Oh, verdammt!«, röhrte der Sheriff entrüstet. »Was seid ihr doch für hundsgemeine Lumpen!«
In diesem Moment zerbrach Tuckers Fassung. Der Gedanke, ins Gefängnis zu wandern, vielleicht über Jahre hinweg eingesperrt zu sein, raubte ihm den Verstand. Er riss das Gewehr hoch und sprang den Sheriff unvermittelt an. Renslow duckte sich unwillkürlich, konnte aber nicht verhindern, dass ihn der heruntersausende Lauf am Ohr streifte und mit aller Härte auf seine rechte Schulter knallte. Schreck und Schmerz entrissen ihm einen gellenden Aufschrei, eine jähe Lähmung erfasste seinen Arm und machte ihn im entscheidenden Moment wehrlos. Denn Tucker rammte ihm im Nachsetzen die Linke in den Magen. Der Oberkörper des Sheriffs pendelte nach vorn. Der Cowboy stürzte an ihm vorbei zum Tor. Er feuerte ohne zu zielen auf Moss Jones, der sich instinktiv vom Pferd kippen ließ und hart auf die Erde prallte.
Tucker erreichte, ehe überhaupt jemand richtig zur Besinnung kam, das Pferd des Sheriffs. Er erhaschte es am Zaumzeug und wollte sich mit einem Satz in den Sattel werfen.
Aber nun reagierte Renslow. Mit zwei Sprüngen war er im Freien. Er zog mit der Linken den Colt und brüllte: »Stehen bleiben, zum Teufel! Bleib …«
Das Pferd war zurückgescheut. Tucker hatte es nicht geschafft, mit dem ersten Schwung in den Sattel zu gelangen. Mit einer lästerlichen Verwünschung auf den Lippen kreiselte er herum. Er schlug das Gewehr auf Renslow an. In seinen Augen glitzerte der Irrsinn.
Das Eisen bäumte sich in der Faust des Sheriffs auf. Ein dumpfer Ton quoll aus Tuckers Kehle, dann brach er vornüber zusammen. Sofort wirbelte der Sheriff zu Dembrow herum. Aber der stand wie angewurzelt und war nicht fähig, zu begreifen, was sich innerhalb der letzten Sekunden abgespielt hatte.
Moss Jones kam mit dem Revolver in der Faust hoch. Tex Dudley wischte sich über die Stirn, blies seine Backen auf und fasste sich nur ganz allmählich wieder. »Er ist tot!«, rief der Deputy, und seiner Stimme war anzuhören, dass auch er noch schwer an dem Schock trug, den Tuckers Schuss in ihm ausgelöst hatte.
»Dieser Dummkopf!«, knirschte der Sheriff. »Ich hätte ihm wirklich eine Chance gegeben. Es hätte mich nicht gekümmert, wenn er verduftet wäre, bis ich wieder in der Stadt bin. Dembrow, du wirst einen Wagen bei Clay Reed holen und die beiden nach Alamosa bringen!«
James Dembrow nickte wie in Trance.
»Und du passt auf ihn auf, Dudley. Nimm ihm die Waffen weg und steck dir selber wieder eine Knarre ins Halfter.«
»Klar, Sheriff«, murmelte Tex. »Und was haben Sie vor?«
»Moss und ich folgen Lane Turpin und Big Jim, um zu retten, was noch möglich ist. In welche Richtung ist Lane geflohen?«
»Nach Osten, auf die Berge zu.«
»Okay, Moss. Nach Osten also!«
*
Das Grollen der Detonation schlug auseinander wie hallender Donner. Big Jim und seinen Männern wies der Knall den Weg. Sie brauchten sich nicht zu beeilen. Das wussten sie. Lane Turpin wartete. Sie wichen den übereinander getürmten Felsgebilden aus und erreichten den Rand der Ebene. Am Fuße des Hanges mit den zerzausten Kiefern, dem Fettholz- und Dornengestrüpp und den aus dem Boden sich erhebenden Findlingen hielten sie an.
»Dort oben hat der Bastard sich postiert!«, rief Big Jim. »Wir lassen die Pferde hier zurück und teilen uns auf. Zu Fuß sind wir auf jeden Fall wendiger und vor allem leiser.«
»Und wenn ihn einer vor dem Lauf hat, nicht überlegen sondern schießen!« ergänzte John Landers.
Sie verließen die Sättel und leinten ihre Pferde an. Dann schlichen sie auseinander. Ab und zu kollerten Steine oder klapperte ein Absatz. Jede mögliche Deckung ausnutzend arbeiteten sie sich den Hang hinauf. Lane blieben die kaum wahrnehmbaren Hinweise, die ihr Kommen verrieten, nicht verborgen. Er verlor nichts von seiner kalten Ruhe. Soweit es die Dunkelheit zuließ, hatte er den Rand des Plateaus, das bis zu den Bergen reichte, im Blick.
Ihm entging nicht eine huschende Bewegung direkt an der Stelle, an der er den Berg heraufgekommen war. Sein Blick wanderte nach rechts, dann nach links, und auch dort konnte er einen Schatten wahrnehmen, der sogleich hinter einem Felsblock verschwand.
Lane drängte sein Pferd an der seinen Jägern abgewandten Seite aus der Felsengruppe. »Ich verlasse mich auf dich, Alter!«, wisperte er dem Tier ins Ohr. Dann versetzte er ihm einen harten Schlag auf die Kruppe. Das Pferd warf erschreckt den Kopf hoch und sprang aus dem Stand an. Lane lief zwei Schritte hinterher, noch einmal klatschte seine flache Hand auf die Kruppe des Tieres. Der Braune fegte los. Scharf und klirrend erklang das Hufgetrappel in der Nacht. Mit fliegenden Steigbügeln raste das Pferd auf die Felskette zu. Und Lane glitt sofort wieder zurück in seine Position, die ihm einen umfassenden Überblick ermöglichte. Er konnte nun auch rechts vor sich eine verschwommene Gestalt ausmachen, die geduckt über den Hügelrand hetzte und in Deckung ging. Sein Pferd donnerte in die Nacht hinaus. Der Hufschlag entfernte sich schnell.
Big Jim und seine Männer warteten. Lane grinste in sich hinein. Er stellte sich ihre Ratlosigkeit vor und versuchte sich in Big Jims Gedankengänge hineinzuversetzen. Er vernahm schnelle Schritte. Einige Herzschläge lang war ein gleitender Schatten zu sehen. Erregtes Flüstern wehte heran.
Dann brach der Hufschlag ab. Ein entferntes Wiehern - Ruhe.
Aber Big Jim und seine Reiter gingen auf Nummer Sicher. Landers war es, der sich an den Rancher herangepirscht hatte und wisperte: »Es ist eine Finte, Boss. Er hockt irgendwo vor uns und wartet nur darauf, dass wir leichtsinnig werden. Dann knallt er uns ab wie auf dem Schießstand.«
Big Jim kauerte eng an den rauen Stein geschmiegt auf den Absätzen. »Wir müssen jedenfalls davon ausgehen, dass er uns zu bluffen versucht. Dieser Hundesohn ist mit allen schmutzigen Wassern gewaschen. Hoffentlich fallen Stuart und Lonelly nicht auf ihn herein.«
»Und wenn schon«, versetzte Landers kalt. »Wenn ihm einer dieser beiden Halbaffen vor die Flinte läuft, wissen wir gleich Bescheid, wo er sich verschanzt hat«
Big Jim begriff, und obgleich er sich sagte, dass in dieser Rechnung seines Vormannes ein ausgesprochen hohes Maß an Niedertracht steckte, witterte er darin eine glasklare Chance, Lane Turpin zu fassen.
»Okay«, murmelte er ohne jede Gefühlsregung. »Sieh zu, Landers, dass du tiefer in die Ebene gelangst. Denn wenn Turpin nicht geflohen ist, dann hat er sich, dem Hufschlag nach zu urteilen, irgendwo in der Nähe verkrochen. Versuche in seinen Rücken zu gelangen.«
Landers schlich davon.
Das war im selben Moment, als Lane seine Stellung aufgab. Er glitt in die Richtung, wo er einen der Schemen hinter einem Felsblock verschwinden sah. Schutz vor unliebsamen Blicken gab es ausreichend. Er war vorsichtig und wachsam und setzte tastend einen Fuß vor den anderen. Und dann sah er die Konturen des Burschen, der sich behutsam hinter dem Steinklotz hervorschob. Lane hielt die Luft an. Der Mann bewegte sich direkt auf ihn zu. Dann passierte er seine Stellung. Lane ließ ihm noch einen Schritt, dann schien er halbrechts hinter dem Kerl aus dem Boden zu wachsen. Der aber spürte die Gefahr, denn mitten aus der Bewegung heraus wirbelte er geduckt und katzenhaft schnell herum. Lanes Gewehrkolben sauste auf ihn herunter und fällte ihn. Klirrend flog die Winchester des Burschen auf den steinigen Boden.
Noch weiter links blitzte es auf. Lane federte zur Seite und hatte die Winchester gedankenschnell im Hüftanschlag. Er sah das verglühende Mündungslicht und jagte einen Schuss hinein. Nun krachte es hinter seinem Rücken. Er hechtete in den Schutz des Felsblocks und hörte das grässliche Quarren eines Querschlägers. Das Hämmern schneller Schritte trieb heran. Lane zuckte in der Hocke herum, warf sich auf den Bauch und spürte einen schmerzhaften Stich, als sich ihm ein spitzer Stein in die Rippen bohrte. Mit einem wummernden Dröhnen strich eine Kugel dicht über ihn hinweg, einen Atemzug lang riss das Mündungsfeuer die springende Gestalt aus der Finsternis. Lane zog durch. Der Mann rannte mitten in die Kugel hinein, wurde herumgeschleudert, knickte im Kreuz ein und verschwand zwischen dem Geröll.
Sofort wechselte Lane seine Position und kniete ab. Dort, wo er sich eben noch befunden hatte, klatschte Blei gegen den Felsen, wurde platt gedrückt und jaulte mit giftigem Heulen in die Nacht hinein. Zwischen zwei Felsnadeln machte Lane eine hoch gewachsene, vierschrötige Gestalt aus. Wie ein Scherenschnitt hob sie sich schwarz und klar gegen den helleren Hintergrund ab.
Big Jim!
Er war keinen Steinwurf weit von Lane entfernt, und nun rief er brechend: »Jetzt fährst du in die Hölle, Turpin!« Mit seinem letzten Wort drückte Big Jim ab. Eine grelle Lohe stieß auf Lane zu. Die Kugel zerfetzte sein Hemd und zog ihm eine blutige Spur über die rechte Seite. Lanes erster Schuss verfehlte den Rancher. Er rollte herum. Big Jims zweites Geschoss ließ Gesteinssplitter an der Stelle auseinanderspritzen, an der Lane eben noch gekniet hatte. Lane feuerte zurück. Big Jims Gestalt schien zu wachsen. Ein japsender Schrei des Ranchers mischte sich in den sich verflüchtigenden Hall der Detonationen. Er taumelte gegen einen der Felsen und rutschte langsam zu Boden. Fasziniert starrte Lane sekundenlang auf das Bild, das sich ihm bot, doch er fühlte nicht die Spur einer Genugtuung.
Dann aber wurde ihm schlagartig bewusst, dass der Kampf noch nicht zu Ende war. Er hatte es auf jeden Fall mit vier Gegnern zu tun. Zwei waren tot oder kampfunfähig. Einen hatte er bewusstlos geschlagen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er wieder zur Besinnung kam und sich erneut einmischte.
Lane schnellte hoch. Mit der Kraft eines Raubtieres sah er eine hohe Gestalt auf sich zujagen. Der Bursche hatte versucht, den Schusswechsel zwischen ihm und Big Jim auszunutzen, und es war wohl seine Absicht, so nahe wie möglich an Lane heranzukommen. Er sah Lane hochfedern und stürzte sich mit wildem Gebrüll auf ihn. Lane reagierte mit instinktiver, blitzartiger Behändigkeit und tauchte unter der heranfliegenden Gestalt weg, pendelte herum und ließ mit der Drehung sein Gewehr kreisen. Er knallte dem Angreifer den Schaft in den Rücken. Der Bursche krachte auf das Gesicht. Sofort sprang Lane einen Schritt auf ihn zu und drückte ihm die Mündung zwischen die Schulterblätter.
»Das war's wohl!«, fuhr es rasiermesserscharf über seine Lippen.
Aber der Mister dachte nicht daran, aufzugeben. Er warf sich herum, spürte den Druck der Mündung nicht mehr auf seiner Wirbelsäule und umklammerte mit beiden Armen Lanes Beine. Lane, von dieser Aktion total überrascht, verlor das Gleichgewicht. Er stürzte und kam auf den Burschen zu liegen. Der aber wand sich mit unnachahmlicher Wendigkeit unter ihm hervor und schlug ihm die Faust gegen den Kopf.
Gleichzeitig kamen sie in die Höhe, Und nun erkannte Lane, wen er vor sich hatte. Es war John Landers. Ihre Gewehre lagen auf der Erde. Landers stieß sich ab. Seine Fäuste flogen. Lane wurde vom Aufprall des Körpers erneut aus dem Gleichgewicht gebracht und stolperte zwei Schritte zurück. Landers' Faust landete krachend auf seinem Brustkorb, die andere pfiff dicht vor seinen Augen ins Leere, weil er im letzten Moment den Kopf in den Nacken warf. Lane fand nicht die Zeit, einen klaren Gedanken zu fassen. Ein gemeiner Tritt Landers' gegen seinen verwundeten Oberschenkel löste ein Inferno höllischer Qualen in seinem Körper aus. Dumpfer Druck legte sich auf sein Gehirn, dem furchtbaren Schmerz gesellte sich bleierne Benommenheit hinzu. Panikartig überrollte ihn eine Welle der Angst, dass er zu guter Letzt doch noch verlieren würde. Und die Verzweiflung kam. Doch mit ihr erwachte in ihm der Wille, durchzuhalten. Er schien sein Bewusstsein mit frischer Energie aufzuladen.
Landers attackierte ihn auf kurze Distanz und schlug wie von Sinnen. Jeder Schlag wurde von einem abgerissenen Knurren begleitet. Lane warf sich einfach in den Hagel unkontrollierter Schwinger hinein. Den Schmerz in seinem Bein nahm er kaum noch wahr. Der Selbsterhaltungstrieb war stärker als die Not, die ihn für kurze Zeit außer Gefecht gesetzt hatte. Er klammerte sich an Landers und stieß ihm den Kopf ins Gesicht. Sofort glitt Landers einen Schritt zurück, aber Lane ließ nicht locker. Er schickte zwei Haken auf die Reise und traf den Vormann empfindlich auf das Jochbein und das Ohr. Aber Landers stand wie ein Fels. Der Hass schien ihn schmerzunempfindlich zu machen. Und Lane spürte die Schwäche, die in ihm jäh das Empfinden hervorrief, dass seine Fäuste tonnenschwer wurden. Sein Puls raste, sein Atem flog, und er bot seine letzten Energien auf …
*
»Schneller!«, brüllte Sheriff Vince Renslow, als die ersten Detonationen vom Wind herangetragen wurden. In halsbrecherischer Karriere ließen er und Moss Jones ihre Pferde galoppieren. Beim geringsten Fehltritt eines der Tiere konnte sich der Reiter den Hals brechen.
Wieder dröhnten irgendwo vor ihnen die Waffen. Und die beiden Männer glaubten den Hauch von Tod und Verderben zu spüren, der wie ein eisiger Luftzug heranstrich.
Die Waffen schwiegen. In unvermindertem Tempo stoben sie dahin.
Sie jagten über die Hochebene. Ihnen entgingen an ihrem Ende nicht die verschwommenen Konturen einiger Pferde, die sich unruhig bewegten und an den Leinen zerrten. Die beiden Gesetzeshüter sprangen ab und hetzten ohne ein Wort zu verlieren den Abhang hinauf. Sie hatten die Revolver in den Fäusten, ihre Muskeln waren angespannt, ihre Sinne aktiviert. Mit pumpenden Lungen kamen sie oben an. Ihre Blicke gingen in die Runde. Eine hassgetränkte Stimme wehte heran: »Ich mache dich fertig, Turpin! Du fährst in die Hölle, du elendes Stinktier. Billy Forsyth war der beste Freund, den ich jemals hatte. Doch du hast ihn umgebracht!«
Ein klatschender Schlag folgte diesen Worten, ein ersticktes Gurgeln, wieder ein Schlag.
»Komm!« Der Sheriff orientierte sich am Klang der Stimme. Moss Jones glitt wie ein Schatten hinter ihm her.
»Ich werde dich nach Alamosa schleppen, Landers!«, erklang Lane Turpins gepresste Stimme. »Und du wirst Renslow Wort für Wort berichten, wie es sich zugetragen hat.« Ein dumpfes Schlaggeräusch schloss sich an, ein Stöhnen, und ein harter Fall. »Du wirst Renslow die Wahrheit erzählen! Bill wollte mich kaltblütig niederknallen, als ich nicht auf ihn achtete.« Wieder schlug Lane zu. Landers, der sich gerade erheben wollte, krachte auf die Seite, heulte auf und trat von unten herauf nach Lane.
Renslow und Jones konnten jetzt den Kampf beobachten. Sowohl Lane Turpin als auch John Landers schienen sich völlig verausgabt zu haben. Aber ein jeder von ihnen konzentrierte sich derart auf den anderen, dass sie die beiden Männer in einer Entfernung von wenigen Schritten überhaupt nicht wahrnahmen.
Landers stemmte sich keuchend in die Höhe. Er kam auf die Knie, warf sich nach vorn und klammerte sich mit beiden Händen an Lane. »Ja«, krächzte Landers. »Er wollte dich zum Satan schicken. Leider ist ihm das nicht gelungen. Dein Vater, dieser alte Narr, warf sich dazwischen. Aber auch er war ein Turpin. Also war es um ihn nicht schade.« Er kämpfte sich an Lane in die Höhe. Lanes Hände legten sich um seinen Kehlkopf und drückten zu. Die Augen quollen Landers aus den Höhlen. Sein Mund klaffte auf, gierig lechzte er nach Sauerstoff und krächzte unverständliche Laute. Er umklammerte Lanes Handgelenke und versuchte, den Würgegriff von seinem Hals zu lösen. Feurige Kreise drehten sich schon vor seinen Augen. Aber Lane ließ nicht locker. Der Vormann zog das Knie an. Lane wurde empfindlich getroffen. Seine verkrampften Hände öffneten sich. Landers feuerte einen lahmen Haken ab. Er verfehlte Lane und wurde von seinem eigenen Schwung halb herumgeschleudert.
Sheriff Renslow fand es an der Zeit, einzuschreiten. Er wollte sich gerade in Bewegung setzen, als er die Silhouette eines Mannes zwischen einigen Felsbrocken auftauchen sah. Im matten Licht funkelten die Metallteile einer Winchester. Renslow riss die Hand mit dem Colt hoch. Aber er reagierte genau den Bruchteil eines Augenblicks zu spät, der zwischen Erkennen und Begreifen liegt. Der Schuss des Burschen krachte in dem Moment, in dem sich John Landers wieder auf Lane Turpin stürzen wollte.
Der Sheriff schoss. Ein fast tierisch zu nennender Aufschrei erhob sich, das Geschoss Renslows trieb den Burschen auf die Zehenspitzen. Seine Winchester fiel zu Boden. Der Mann drehte sich um seine Achse und fiel seitlich über einen der Steinklötze.
Die heimtückisch abgefeuerte Kugel fuhr John Landers in den Rücken. Er sank vornüber direkt in Lanes Arme. Mit einem schrecklichen Ausdruck in den Augen starrte er Lane an. Plötzlich aber wurde sein Körper schlaff und schwer. Ein letzter, flatternder Atemzug, dann war Landers tot. Lane hatte nicht mehr die Kraft, ihn festzuhalten. Er ließ ihn zu Boden gleiten, wankte zu einem Stein und setzte sich darauf. Das Gesicht in beiden Händen vergrabend bemühte er sich, seine auseinanderdriftenden Gedanken zu ordnen. Der Mann, der ihn bis zuletzt vernichten wollte, hatte ihm das Leben gerettet, indem er die tödliche Kugel auffing. Ein Hohn des Schicksals.
Renslow trat hinter ihn. Er legte ihm eine Hand auf die Schulter und sagte brüchig: »Du hast es ausgestanden, Lane. Keine Sorge. Ich konnte mir die Wahrheit bereits zusammenreimen. Bill Forsyth war eine Ratte. Und nun habe ich aus Landers' Mund vernommen, was mir noch fehlte, um endgültig von deiner Unschuld überzeugt zu sein. Was ist mit Big Jim?«
»Tot, schätze ich.« Lanes Worte kamen lahm. Um ihn herum wurde es stockfinster, und sein letzter Eindruck war, in einen bodenlosen, pechschwarzen Schacht zu stürzen.
*
Als Lane erwachte, lag er in einem weichen Bett. Jemand beugte sich über ihn. Verständnislos starrte er in das schmale, gelöste Gesicht. Und dann begriff er, dass es Lisas Antlitz war, in das er blickte. Sie lächelte, und ihre weißen, gleichmäßigen Zähne bildeten einen scharfen Kontrast zu ihren roten, verlockenden Lippen. Er sah die makellose Linie ihres feingeformten Kinns, ihren sonnengebräunten schlanken Hals und hörte sie leise sagen: »Du hast zwei Tage lang geschlafen, Darling. Noch ein paar Tage, und du kannst wieder alleine auf den Beinen stehen.« Sie beugte sich über ihn und hauchte ihm einen scheuen Kuss auf die rissigen Lippen. Dann fuhr sie fort: »Es ist alles gut, Lane. Dein Bruder und mein Dad sind in der Obhut des Doc. Es geht ihnen schon wieder ganz gut. Körperlich werden sie bald wieder auf dem Damm sein …« Ein schmerzlicher Ausdruck huschte um ihren Mund. Aber die unerfreulichen Empfindungen gingen vorüber. Und Lisas Stimme hatte wieder Festigkeit, als sie erneut anhub: »Tex Dudley befindet sich mit einigen Männern aus der Stadt draußen auf der Bar-T, um aufzuräumen. Schließlich wollen wir doch ein schönes Haus, wenn wir verheiratet sind und …«
Sie brach ab und schaute verblüfft in sein entspanntes Gesicht. Lane war wieder eingeschlafen. Aber sie wusste, dass er der Genesung entgegenschlief, und ein Funkeln des Glücks spiegelte sich in ihren Augen.
E N D E