Читать книгу Western Action Großband Februar 2019 - 1000 Seiten Spannung - Pete Hackett - Страница 7

Die Jagd auf Sean Tetley Ein Western von Heinz Squarra

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author / Cover 2019: Edward Martin

Redaktion und Korrektorat: Alfred Wallon

© dieser Ausgabe 2019 by Alfred Bekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

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Jay Durango ist auf der Suche nach den Männern, die Rancho Bravo überfallen haben. Einige der Cowboys wurden bei diesem Angriff verletzt. Durango hat sich geschworen, die Banditen zu finden und sie ihrer gerechten Strafe zuzuführen. Einer dieser Männer ist Sean Tetley, der Sohn des mächtigen Ranchers Tobe Tetley. Er hat diesen Überfall geplant und rücksichtslos umgesetzt. Auch wenn Tobe Tetley weiß, dass sein Sohn nichts taugt, so versucht er dennoch, ihn zu schützen. Aber selbst das hindert Durango nicht daran, für Gerechtigkeit zu sorgen. Denn wer Rancho Bravo angreift, der muss dafür zahlen – selbst wenn Jay Durango selbst sein eigenes Leben riskiert!

**

Gedeckt von Mesquite und Scrubbüschen hielt Jay Durango sein Pferd an und blickte in das fruchtbare Tal hinunter, in dem die Ranch lag.

Die grellen Sonnenstrahlen spiegelten sich in den Fenstern des Haupt- und des Bunkhauses. Im Hof waren ein paar Cowboys damit beschäftigt, ihre Pferde zu satteln. Es waren drei Männer - drei von vierzehn Reitern, die Tobe Tetley noch zur Verfügung standen.

Jay Durango hatte keine Ahnung, wie viele Männer noch da unten auf der Ranch waren. Aber selbst wenn Tobe Tetley mit seinem Sohn allein sein würde, konnte nur der Tod auf ihn warten, wenn er jetzt ins Tal ritt.

Die drei Reiter saßen auf und kamen auf ihn zu. Jay Durango saß rasch ab und drängte sein Pferd rückwärts, um es tiefer in den Büschen zu verbergen. Er schlang ihm den Arm um den Kopf, als er den Hufschlag hören konnte.

Nach ein paar Minuten kamen die drei Reiter den Hügel herauf. Das scharfe Knacken trockener Äste übertönte hin und wieder den Hufschlag. Dann sagte eine Stimme:„Vielleicht weiß der Teufel, was in den Boss gefahren ist. Ich jedenfalls weiß es nicht, und du, Al?“

„Keine Ahnung“, ließ sich ein anderer der Cowboys vernehmen. „Es hängt aber mit Sean und den anderen zusammen. Sie müssen etwas verbockt haben, als sie die Pferde nach San Angelo brachten. Ich müsste verrückt sein, wollte ich in Erfahrung bringen, was es ist. Lass dir einen Rat geben: Stelle keine Fragen und zeige keine neugierigen Blicke.“

Jay Durango sah die Hutkronen der Reiter auftauchen und duckte sich. Sie ritten vorbei, ohne ihn zu bemerken. Seine linke Hand, die auf dem Knauf des Messers gelegen hatte, rutschte an seiner Seite hinab. Die Hutkronen der Reiter verschwanden. Ganz langsam wurde der Hufschlag ihrer Pferde leiser.

Er ließ ein paar Minuten verstreichen. Dann lockerte er den Griff um den Kopf des Pferdes und zog es mit sich aus dem dichten Buschwerk heraus. Als er wieder im Sattel saß und durch das Gestrüpp die Ranch im Tal sehen konnte, war der Hof verlassen, als würde es da unten kein Leben mehr geben. Er blickte noch eine Weile hinunter. Dann lenkte er das Pferd herum und folgte den Spuren der Reiter, die im unübersichtlichen Land am Rande der Wüste verschwunden waren.

Eine Meile vom Hügel entfernt lenkte Jay Durango sein Pferd nach Westen. Er würde jetzt nach Duncan reiten. Vielleicht erwartete ihn dort eine Enttäuschung, denn Tobe Tetley wusste nun lange genug, dass dort im Jail ein wichtiger Mann saß: Jared Zattig, der Cowboy, der seinen Mordkumpan Connor aus Versehen erschossen hatte. Vielleicht hatten sie die Zeit genutzt und Zattig verschwinden lassen.

*

Er hielt das Pferd auf der Bodenwelle an und blickte in die Stadt hinunter. Die Sonne wanderte bereits nach Westen. Jay Durango wusste, dass er von der Stadt aus gesehen werden konnte. Wenn Tetleys Reiter dort waren, würden sie kommen, und er war gegen sie machtlos, weil er außer dem Messer keine Waffe hatte. Aber er musste dieses Spiel wagen, wenn sein Wille, die Männer der Gerechtigkeit auszuliefern, zum Sieg kommen sollte.

Minuten rannen dahin. Jay Durango spürte immer stärker den Schweiß, der ihm aus allen Poren brach. Er hatte Angst, weil er wusste, dass sie ihn töten würden, konnten sie seiner habhaft werden. Aber die Stadt spie keine Reiter aus.

Dann sah er ein paar Männer auf der Straße, die sich durch den Ort zog, auftauchen. Sie standen mitten auf der Straße, wurden mehr und mehr und rührten sich nicht.

Tetleys Reiter waren nicht hier.

Da sprengte ein Reiter durch die Front Street, aus der Stadt hinaus und kam auf Jay zu. Er griff nach dem Messer, während ihm der Schweiß von der Stirn in die Brauen rann. Doch als er das Messer ziehen wollte, erkannte er den jungen, drahtigen Reiter, der vor einer Staubwolke auf ihn zukam.

„Dave“, sagte er überrascht, als der Mann vor ihm sein Pferd zügelte. „Wie kommst du hierher?“

Dave Harmon lächelte, zog den Hut vom Kopf und schlug ihn über das Knie. Staub wirbelte auf.

„Der Boss hat mich geschickt“, erwiderte er. „Wir konnten die Rinder nicht so schnell sammeln, wie wir gedacht hatten. Die Revolverschüsse der Banditen hatten sie meilenweit auseinandergetrieben. Dann kam ein Sandsturm ...“

„Ja, ich weiß.“

„Am fünften Tag ritten wir in Gruppen zu zwei Mann und hatten keine Ahnung, wo die anderen waren. Chris und ich hatten dreißig Tiere gesammelt und trieben sie zurück. Auf der Ranch traf ich den Boss. Er war in Sorge, weil du immer noch nicht zurückgekommen warst. Er sagte, ich sollte dich suchen. So kam ich gestern hierher. Ich habe im Office des Sheriffs auf dich gewartet und ließ mir von Barbier die Geschichte erzählen. Dann bekam ich Besuch. Jemand wollte Zattig befreien oder umbringen, ich weiß es nicht. Er konnte mir leider entkommen.“

„Ein einzelner Mann?“

„Ja.“

„Das muss Clint Rule gewesen sein, den Tobe Tetley vergeblich suchte.“ Jay Durango trieb sein Pferd an. Dave drehte sein Tier und ritt neben ihm her auf die Stadt zu. Sie sahen, wie sich die Männer zurückzogen.

„Erzähle“, sagte Dave gespannt. „Du bist bei Tobe Tetley gewesen?“

Jay nickte.

„Er wollte seinen Sohn freikaufen. Als ich darauf nicht einging, übergab er mich gefesselt zwei Männern. Sie sollten mich in die Wüste bringen und dort ohne Pferd zurücklassen. Aber das gefiel ihnen nicht. Sie nahmen mir mein Geld ab und verschwanden. Ich verdanke es ihnen, noch am Leben zu sein.“

Dave fluchte leise.

„Ich werde dir alles erzählen, wenn meine Kehle nicht mehr so trocken ist“, fuhr Jay Durango San. „Solange hat es doch noch Zeit?“

Dave gab keine Antwort. Sie lenkten die Pferde in die Straße hinein. Die letzten Männer zogen sich vor ihhen unter die vorspringenden Hausdächer zurück und starrten sie an. Jay Durango zügelte sein Pferd vor dem Store und saß ab.

„Warte hier“, sagte er. „Und halte die Augen offen. Tetley muss inzwischen gemerkt haben, dass seine Reiter nicht mitgespielt haben. Sie wären sonst zu ihm zurückgekehrt, um sich die Prämie abzuholen.“

„In Ordnung.“ Daves linke Hand legte sich auf den Colt, während er sich im Sattel drehte, um die ganze Straße überblicken zu können.

*

Jay stieg die Stufen zum Gehsteig hinauf. Er sah die Postkutsche vor der Butterfield Overland Mail Station, vor die noch keine Pferde gespannt waren. Sicher sollte sie heute noch die Stadt verlassen. Dann hatte er die Tür erreicht und stieß sie mit dem Stiefel auf.

Der kleine, weißhaarige Mann hinter der Theke sah bleich aus und bewegte unruhig die Hände.

Jay Durango blieb ihm gegenüber am Ladentisch stehen und warf Geld auf die Platte.

„Einen Revolver, ein Gewehr und Munition“, sagte er.

„Ich weiß nicht, ob Mr. Tetley etwas dagegen hat“, gab der Mann gepresst zurück.

Jay Durango legte den Stern, den ihm Marshal Clayburn gegeben hatte, neben das Geld.

„Einen Revolver, ein Gewehr und Munition“, wiederholte er. „Oder ich reite zur Territoriumsregierung und zeige Sie an.“

Der Krämer kniff die Augen zusammen. Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt.

„Sie wollen mich anzeigen?“, fragte er. „Weswegen denn, Mr. Durango?“

„Wenn Sie mir nicht verkaufen, was ich brauche, um meine Pflicht erfüllen zu können, leisten Sie einem Banditen Vorschub - einem Mörder! Deswegen würde ich Sie anzeigen. Der Richter in Austin wird Sie dafür verurteilen, und Sie verschwinden in den Steinbrüchen von San Angelo.“ Jay Durango schob das Geld weiter über die Theke. „Überlegen Sie schnell“, fuhr er San. „Bis jetzt wissen Sie doch weiter nichts, als dass Sean Tetley ein gemeiner Mörder ist. Alles andere, was seinen Vater betrifft. sind reine Vermutungen von Ihnen.“

Der Mann wandte sich um zog eine Winchester 66 aus einem Regal.

„Sie sind mit Ihren Waffen zu Tetley geritten und kommen ohne sie zurück, Mr. Durango“,. sagte er ächzend. „Vielleicht sind Tobe Tetleys Männer schon hinter Ihnen her.“

„Vielleicht“, entgegnete Jay und streckte die Hand aus, um dem Mann das Gewehr mit einer jähen Bewegung aus der Hand zu reißen. „Das werden Sie ja sehen. Jetzt einen Colt und Munition. Vielleicht geht es etwas schneller!“

„Sie bringen mich in Teufels Küche. Ich kenne Tetley genau. Er wird zuerst mich fragen, woher Sie wieder Waffen haben.“

Jay Durango steckte den Stern in die Tasche.

„Sagen Sie ruhig, ich hätte Sie gezwungen, mir Waffen zu verkaufen. Ich habe nichts dagegen. Los, beeilen Sie sich!“

*

Als sie an der Poststation vorbeiritten, schirrte der Stationsmeister die ersten zwei Pferde vor die Kutsche.

Jay Durango warf einen Blick auf den Saloon. Hinter einem Fenster im Obergeschoss bewegte sich eine Gardine, aber Jay konnte kein Gesicht sehen. Er wusste noch, dass Mandy Bacon, das Barmädchen, da oben wohnte. Wahrscheinlich beobachtete sie ihn jetzt und vermutete ganz richtig, was alle anderen auch vermuteten, und was die Wahrheit war.

Vor dem Office des Sheriffs hielten sie an. Dave stieg ab und schlang die Zügel um die Holmstange. Jay Durango blickte dem Barbier entgegen, der mit bleichem Gesicht und blutleeren Lippen die Straße heruntergerannt kam.

„Mr. Durango!“, rief der Mann atemlos. „Es ist gut, dass Sie kommen! Silas Pate ... Er stirbt!“

Jay sprang aus dem Sattel, blickte Dave kurz an und folgte dann dem Mann, der sich bereits .abgewandt hatte. Staubfontänen wirbelten hinter seinen Stiefeln in die Höhe. Er sprang mit einem Satz zur Veranda vor dem Haus des Barbiers hinauf, stieß den Mann, der ihm im Weg stand, zur Seite und trat in das Zimmer, in dem der alte Sheriff lag.

Silas Pate blickte ihn an, als Jay sich über ihn beugte. Er versuchte zu lächeln, aber sein schmerzverzerrtes Gesicht legte sich nur in Falten. Zitternd streckte sich seine knochige Hand aus, um nach Jays Arm zu fassen.

„Mein Junge“, hörte Jay Durango ihn schwach sagen. „Es ist gut, dass ich Sie noch einmal sehe. Gehen Sie San. Reiten Sie mit Ihrem Cowboy nach Hause. Schenken Sie sich und der Stadt das Leben!“

Jay Durango riss den Blick vom Gesicht des Sterbenden los und schaute höher. Aber auch der Blick des Barbiers, dem er begegnete, war eine einzige Aufforderung.

„Er stirbt“, sagte der Mann mit einer Stimme, die hart und kalt klang.

Jay schaute den Sheriff wieder an.

Silas Pate schien immer noch auf seine Antwort zu warten.

„Man lässt einen Sterbenden nicht vergeblich bitten“, knurrte der Barbier dunkel.

„Tobe Tetley wollte mich von seinen Reitern in der Wüste aussetzen lassen“, erklärte Jay dem Sheriff. „Er will Sean Tetley dem Gericht nicht übergeben.“

„Ich weiß“, murmelte der Sheriff gepresst. Ein Hustenanfall schüttelte seinen Körper, und aus seinem Mundwinkel rann ein dünner Blutfaden.

Der Barbier hatte sich über den Mann gebeugt und wollte ihn stützen, aber Silas Pate wischte seine Hand weg.

„Es geht schon wieder“, sagte er heiser. „Jay, Sie haben keine Chance. Ich … bitte Sie ...“ Sein Kopf rollte auf einmal zur Seite.

Jay konnte sein Gesicht immer noch sehen. Die Nase schien noch weißer zu werden.

„Silas!“, rief der Barbier, griff nach dem Kopf Pates und drehte ihn zurück.

Tot und leer starrten die gebrochenen Augen zur Decke. Der Barbier begann zu zittern und ließ den Kopf los.

„Er ist tot“, sagte Jay Durango. Er blickte auf und abermals den Barbier an.

„Sie haben es ihm nicht versprochen!“, keuchte der Mann. „Sie haben einen Mann sterben lassen und ihm das Bewusstsein mitgegeben, seinen letzten Wunsch nicht zu erfüllen.“

„Ja. Und ich glaube, er wird mich verstanden haben. Es muss Sean Tetley gewesen sein, der ihm in den Rücken schoss. Es kann nicht sein Wunsch sein, dass sein eigener Mörder nicht zur Strecke gebracht wird.“

„Sie haben sich versündigt, Mr. Durango.“ Der Barbier bekreuzigte sich. „Möge Gott Ihnen verzeihen.“

Jay Durango wandte sich ab und ging hinaus. Neben der Tür lehnte er sich an die Hauswand, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. Er konnte Dave nicht mehr sehen. Die beiden Pferde standen noch gesattelt vor dem Office. Nun hatte Duncan keinen Sheriff mehr. Silas Pate hatte ihn zu seinem Vertreter ernannt. Es war noch keine vierundzwanzig Stunden her. Aber das würde nun niemand mehr anerkennen. Vielleicht würden sie eines Tages einen neuen Sheriff wählen, aber vielleicht überließen sie diese Entscheidung auch Tobe Tetley.

*

Jay sah den Kutscher auf den Bock klettern. Der Postmeister war vor der Station aufgetaucht.

„Beeile dich, dann wirst du die Station vor Einbruch der Dunkelheit erreichen!“, rief er dem Fahrer zu.

Der Mann zog die Peitsche aus dem Futteral am Bock und ließ sie knallend durch die Luft streichen. Die Pferde zogen die schwere Concord-Kutsche mit einem Ruck vorwärts.

Jay Durango war mit seinen Gedanken immer noch bei dem Toten, der hinter ihm im Haus lag. Er sah die Kutsche an sich vorbeirollen, ohne sie zu beachten.

Doch plötzlich stand er gerade. Für einen Moment hatte er durch das Fensterrechteck das helle Gesicht unter dem roten Haar genauer gesehen und erkannt.

„Mandy!“, rief er.

Niemand beachtete ihn.

„Halt!“, schrie er da der Kutsche nach, riss den Revolver aus der Halfter und wischte mit der linken Hand über den Hammer.

Dröhnend löste sich der Schuss. Die Kugel ging über den Fahrer und das nächste Haus hinweg. Grollend kam das Echo über die Straße zurück.

Der Kutscher hatte die Pferde gezügelt, wandte sich um und griff nach dem Gewehr.

Jay Durango senkte den Colt und trat aus dem Schatten des Vordaches. Das Echo des Schusses verklang. Plötzlich war es so still, dass Jays knirschende Schritte zu hören waren.

Der Kutscher schien noch nicht zu wissen, ob er das Gewehr auf Jay Durango anschlagen sollte oder nicht. Überall tauchten Männer und Frauen auf, blieben aber auf den Gehwegen und in den Haustüren stehen.

Jay Durango riss den Schlag der Concord-Kutsche auf. Im Wagen saß nur ein Passagier: Mandy Bacon, das Barmädchen. Bleich, Schweißperlen auf der weißen Stirn, blickte sie ihn mit großen, ängstlich fragenden Augen an, die von dunklen Rändern umgeben waren.

„Wohin geht die Reise?“, fragte er scharf.

„Geht Sie das etwas an? Ich bin ein freier Mensch und kann gehen, wohin ich will!“

„Meinen Sie?“

„Verdammt, was soll das?“, schrie der Kutscher.

„Mark, halte dich aus der Sache heraus!“, rief der Postmeister. „Silas Pate hat ihn zu seinem Vertreter ernannt, und solange Duncan keinen neuen Sheriff hat, ist er das Gesetz in dieser Stadt. Ob uns das passt oder nicht.“

Brummend ließ der Fahrer die schwere Drillingsbüchse wieder sinken.

„Steigen Sie aus, Mandy“, sagte Jay Durango noch einmal. „Unser Spiel um Leben und Tod geht weiter. Niemand wird ausgelassen. Vor allem die nicht, die die Knoten geflochten haben.“

„Lassen Sie mich in Ruhe. Ich gehe, wohin ich will. Ich bin eine Frau!“

„Steigen Sie aus!“ Jays Schrei schien durch die ganze Stadt zu schallen.

„Nein!“

Er packte ihren Arm und riss sie mit einem einzigen Ruck aus der Kutsche, um sie hinter sich loszulassen. Sie taumelte noch ein paar Schritte, trat in eine Fahrrinne und fiel. Ihr Schrei prallte von den Häusern ab.

Jay warf den Schlag der Concord-Kutsche mit einem Knall zu und rief: „Jetzt können Sie fahren. Diese Frau bleibt hier. Sie ist in eine Reihe brutaler Überfälle verstrickt.“

„Er lügt!“, schrie das Barmädchen.

Jay Durango schob den Revolver in die Halfter. Hilflos blickte der Kutscher den Stationsmeister an. Der Mann winkte mit der Hand, er sollte fahren. Da legte der Kutscher das Gewehr aus den Händen, nahm die Peitsche und trieb die Pferde an. In einer Staubwand verschwand die Kutsche.

Jay drehte sich ganz um. Mandy Bacon saß immer noch auf der Straße im schuhtiefen Staub.

„Stehen Sie auf!“, herrschte er sie an. „Aus unserem Spiel können Sie nicht mehr aussteigen, Mandy. Die Schuldigen werden nach San Angelo gebracht. Eine dritte Wahl hat keiner von euch.“

„Ich habe damit nichts zu tun!“, schrie sie ihn an. Tränen rannen über ihre Wangen.

„Warum wollten Sie dann verschwinden, Mandy? Sie hatten mich kommen sehen. Sie haben geahnt, was geschehen ist, wie es alle anderen geahnt haben. Da stand Ihr Entschluss fest, denn Sie konnten gleichzeitig sehen, wie der Stationer die Pferde vor die Kutsche schirrte.“

Das Blut schoss ihr in den Kopf.

„Stehen Sie auf!“, schrie Jay Durango sie an. „Sie sind verhaftet, Mandy. Ich sperre Sie in die Zelle neben Zattig. Sie können sich inzwischen an das gewöhnen, was Sie erwartet.“

Das Mädchen kam auf die Knie. Die Tränen tropften von ihren Wangen und färbten das hellrote Kleid, das sie trug, dunkel. Abwehrend streckten sich ihre Hände aus, denen die Reisetasche entfallen war.

„Nein!“, schrie sie schrill und wild und schüttelte den Kopf, dass das Haar ihren Kopf wie eine Mähne umflog.

„Nein, Sie dürfen mich nicht einsperren! Dazu haben Sie kein Recht! Ich habe nichts getan!“

Jay Durango sah einen Schatten, der sich näherte und dann verharrte. Er blickte auf und erkannte den herkulischen Schmied der Stadt, der die Fäuste um seinen schwarzen Gürtel ge krampft hatte.

„Das dürfen Sie nicht tun, Mr. Durango“, knurrte der Mann. „Sie ist eine Frau. Bei uns kommen zwanzig Männer auf eine Frau. Sie wissen, wie wir darüber denken.“

„Gehen Sie zurück.“

„Und wenn ich es nicht tue?“

„Dann sperre ich auch Sie ein. Ich sperre jeden ein, der sich zwischen mich und die Banditen und ihre Helfershelfer stellen will. Jeden!“

Der Mann prallte zurück.

„Helfen Sie mir doch!“, wimmerte das Mädchen verzweifelt und streckte die gefalteten Hände vor. „Helfen Sie! Ich bin unschuldig! Sie müssen mir helfen!“

„Stehen Sie auf, Mandy“, sagte Jay Durango. „Sie können dem Richter erzählen, dass Sie unschuldig sind. Gegen Ihr Wort wird dann das Ihrer Komplizen stehen, und wir werden sehen, was der Richter damit anfängt.“

Das Mädchen ließ die Hände sinken, als sich Dave Harmon näherte und der Schmied sich weiter zurückzog. Jay Durango ging auf das Mädchen zu und riss es am Arm in die Höhe.

„Hilfe!“, schrie Mandy gellend in die Stadt hinein.

Aber die Menschen unter den Vordächern schwiegen.

Dave ging vor Jay und dem Mädchen her, sprang zum Gehsteig hinauf und schob die Tür des Offices auf. Jay stieß das Mädchen in den halbdunklen Raum hinein, dass es gegen den Schreibtisch prallte.

Dave schloss die Tür. Mandy ging um den Schreibtisch herum und weiter rückwärts, als wollte sie immer noch versuchen zu fliehen und der Verantwortung zu entkommen. Dann aber prallte ihr Rücken gegen die Wand neben der Tür des Jails. Weiter konnte sie nicht mehr. Sie war gefangen, und das Gefühl, schuldig zu sein, stand deutlich und klar in ihren Augen, auch wenn ihr Mund immer wieder etwas anderes sagen würde.

„Was haben Sie mit mir vor?“, fragte sie gepresst.

„Tobe Tetley wollte mich töten lassen. Ich konnte entkommen; wie, ist unwichtig. Wahrscheinlich wäre es Selbstmord, noch einmal zu ihm zu reiten. Es würde nichts an seinen Absichten ändern. Deshalb machen wir es anders.“

„Anders? Was heißt das? Sie haben doch einen Mann nach San Angelo geschickt.“

„Eben. Wir warten hier auf die Deputy Marshals des Richters. Ich glaube, wir können dieses Haus ganz gut verteidigen.“ Er griff nach dem Jailschlüssel und sperrte die schwere Bohlentür auf. „Vorwärts!“

Sie ging vor ihm in den Gang und blieb dort stehen, wo Zattig hinter dem Eisengitter stand, die Hände um die Stäbe gekrampft.

„Ihr Idioten“, sagte sie bebend. „Ihr habt Menschen überfallen und mich mit in den Sumpf gezogen. Er weiß alles - jede Kleinigkeit.“

„Ich hatte das Geld nicht verspielt“, erwiderte Zattig. „Ich habe es auch nicht getan. Jetzt haben sie dafür versucht, mich umzubringen. Mr. Durango, wollen Sie mein Geständnis hören?“

„Du kannst es dem Richter erzählen“, erwiderte Jay Durango und stieß das Mädchen zwei Zellen weiter.

Als er Mandy Bacon in die Zelle gebracht hatte, schmetterte er die Tür zu, drehte den Schlüssel um und zog ihn ab. Gelblich leuchtete ihm ihr hübsches, ovales Gesicht entgegen. Der Schweiß, der die Schminke verwischte, und die Falten ließen sie langsam hässlich werden.

Jay Durango wandte sich ab und verließ das Jail. Er warf den Schlüssel auf den Schreibtisch und stieß die schwere Tür mit dem Stiefelabsatz zu.

Dave stand am Fenster.

„Vielleicht rotten sie sich bald gegen uns zusammen“, sagte er, ohne sich umzuwenden.

„Vielleicht. Siehst du schon etwas?“

„Bis jetzt verteilt der Stationer nur die Post, die vor einer Stunde mit der Kutsche gekommen ist.“

„Das bringt sie vielleicht für eine Weile auf andere Gedanken“, entgegnete Jay Durango und trat hinter den Rancho Bravo-Cowboy. Er sah den Wagen des Coroners, der vor dem Haus des Barbiers stand. Auf ihn wurde eben eine lange Holzkiste geladen.

„Sie hatten schon bei ihm Maß genommen“, murmelte Dave gegen die Scheibe. „Sie haben es eilig, ihn unter die Erde zu bringen. Es muss ihr schlechtes Gewissen sein.“

Jay wandte sich ab und ging hinter den Schreibtisch, um sich zu setzen.

„Vielleicht“, gab er zu. „Er war alt und grau, aber er war ein Mann. Ich bin schrecklich müde.“

„Der Barbier hat auch einen Brief“, sagte Dave. „Sieht ziemlich aufgeregt aus. Jetzt kommt er über die Straße. Du, er scheint hierherzukommen.“

Jay Durango wischte sich über das Gesicht.

„Tatsächlich“, sagte Dave und wandte sich der Tür zu, die in diesem Moment aufflog.

Der Barbier blieb hinter der Schwelle stehen. Dave stieß die Tür zu. Der Mann zuckte heftig zusammen. Der Brief, den er offen in der Hand hielt, knisterte leise.

„Was ist?“, fragte Jay Durango.

„Ein Brief an Silas Pate.“

„Und?“

„Von Sam Beaver.“

Jay Durango stand mit einem so wilden Ruck auf, dass sein Stuhl umkippte.

„Von Beaver?“, fragte er.

„Sie versündigen sich“, sagte der Barbier. „Ich habe es doch gewusst. Aber jetzt sitzen Sie sogar in der Falle, Mr. Durango. Sam Beaver ist nicht nach San Angelo geritten, um den Richter zu verständigen. Er ist ausgestiegen, hat Silas Pate einen Brief geschrieben und dürfte schon verschwunden sein.“

„Das kann doch nicht wahr sein“, sagte Jay Durango heiser.

Der Barbier kam an den Schreibtisch und ließ den Brief darauf fallen.

„Warum nicht?“, erkundigte er sich. „Weil Beaver in dieser Stadt ein kleines Haus und ein leidlich gehendes Sattlergeschäft hat? Deswegen nicht, Mr. Durango?“ Der Barbier beugte sich vor. „Was ist das gegen das Leben? Er will leben, verstehen Sie! Aber jeder von uns kann nicht so denken wie er. Mancher ist zu alt, um noch einmal neu anfangen zu können. Keiner weiß, wie er es anderswo antrifft. Manche haben Frauen und Kinder, Mr. Durango.“

Jay Durango blickte auf den Brief, sah die steilen Buchstaben und wischte das Schreiben dann mit einer ruckartigen Handbewegung vom Tisch. Sam Beaver hatte gekniffen, obwohl die Stadt schon weit hinter ihm gelegen hatte. Er hatte sich vor der Rache gefürchtet, die Tobe Tetley an ihm nehmen würde, wenn es ihm in den Sinn kam. Irgendwie konnte er ihn verstehen.

Der Barbier hatte sich gebückt und den Brief aufgehoben. Jay ging um den Schreibtisch herum.

„Er wollte mich in der Wüste aussetzen lassen, damit sein Sohn nicht für den Mord dorthin gebracht wird, wohin er gehört!“, schrie er. „Begreift ihr denn nicht?“

Der Barbier ging rückwärts.

„Wir begreifen schon, Mr. Durango“, erwiderte er spröde. „Jeder von uns versteht Sie und fühlt mit Ihnen.“

„Ihr Lügner!“

„Wir müssen aber auch an uns denken, Mr. Durango. Jeder lebt nur einmal, und Tobe Tetley kann dieser Stadt das Leben zur Hölle machen.“

Jay Durango ging hinter den Schreibtisch zurück, hob den Stuhl auf und setzte sich.

„Gehen Sie“, sagte Dave und öffnete die Tür. „Erzählen Sie den Leuten von der Neuigkeit, die Silas Pate nicht mehr erreicht hat.“

Der Mann ging rückwärts hinaus. Dave Harmon schloss die Tür und lehnte sich mit verschränkten Armen dagegen.

„Noch ein paar Minuten, dann sind sie alle gegen uns“, erklärte er. „Was soll nun werden?“

„Ich weiß es nicht.“

„Tetley wird kommen, Jay. Wahrscheinlich mit seiner ganzen Mannschaft. Vielleicht haben wir wirklich kein Recht dazu, die Stadt in eine Sache zu verwickeln, die sie nichts angeht.“

„Wen geht ein Mord nichts an, Dave?“

„Ich nahm an, wir wären uns darüber einig, dass es unsere Sache ist.“

Jay Durango stand wieder auf und ging zum Fenster zurück. Er sah den Barbier, der vor dem Saloon mit fünf anderen Männern sprach und dabei immer wieder auf den Brief deutete, den er in der rechten Hand hielt.

Die Männer nickten, während der Barbier sprach. Dann redete ein anderer, aber auch ihn konnte Jay nicht verstehen. Er wandte sich ab und ging im Office hin und her.

„Es werden immer mehr“, sagte Dave. „Vielleicht jagen sie uns aus der Stadt.“

„Dazu fehlt ihnen genauso der Mut, wie uns eventuell gegen Tetley zu helfen.“

„Meinst du? Ohne Tetleys Ranch dürfte diese Stadt zum Tode verurteilt sein. Hier am Rand der Wüste gibt es keine anderen Einkünfte für die Leute.“

„Wollen wir uns danach richten? Darf es wahr sein, dass aus diesem Grund ein Verbrecher frei herumlaufen kann?“

„Nein, Jay. Ich will nur, dass du die Männer begreifst. Sie können nicht anders denken. Sie sind keine Kämpfer. Sie sind seit langer Zeit hier und können es sich nicht vorstellen, noch einmal mit einem Treck durch das feindliche Land zu ziehen, ohne zu wissen, wo sie ankommen werden.“

Jay Durango ging wieder im Office auf und ab. Als er abermals am Fenster stehenblieb, standen vor dem Saloon mindestens zwanzig Männer.

Zwei Minuten später liefen die Leute auseinander und verschwanden in den Häusern.

Jay Durangos harte Schritte hallten durch den Raum. Er dachte an die beiden Gefangenen in den Zellen. Vielleicht war es überhaupt unklug, noch länger in der Stadt zu bleiben. Wenn Tetley mit seiner Mannschaft kam, konnte er nichts gewinnen.

„Jetzt kommen sie mit Gewehren“, sagte Dave heiser. „Sie kommen hierher!“

*

Sie standen einer neben dem anderen, die Gewehre an den Hüften angeschlagen und feste Entschlossenheit in den Gesichtern, die bleich, zornrot oder unruhig waren.

„Was wollt ihr?“, fragte Jay Durango, der vor die Tür getreten war und die Hand auf den Kolben des 45er Colts stützte. „Zu was habt ihr die Gewehre mitgebracht?“

„Hören Sie mir gut zu, Durango“, knurrte der Barbier. „Nach allem, was wir nun wissen, wird Tetley kommen. Wir kennen ihn und wissen, wie er reagiert. Diese Stadt gehört uns. Wir haben sie gebaut. Es ist unser Schicksal, dass der Rancher, von dessen Aufträgen wir leben, Tetley heißt. Aber wir können es nicht ändern.“

„Eines Tages wird euer Rancher Sean Tetley heißen“, sagte Jay Durango spöttisch und doch ernst, als der Barbier einen Moment schwieg. „Dann arbeitet ihr für einen Verbrecher und dürft nicht einmal darüber reden.“

„Wir können nicht aus unserer Haut heraus. Sie dürfen nicht denken, wir würden Sie nicht verstehen. Aber wir spielen nicht mit. Wir geben Ihnen und Ihrem Freund fünfzehn Minuten Zeit, die Stadt zu verlassen.“

„Und wenn wir dann noch da sind?“ Der Barbier packte sein Gewehr fester und blickte die anderen an.

Der Schmied nickte ihm aufmunternd zu.

„Dann jagen wir euch zum Teufel!“, knirschte der Barbier. „Dafür gebe ich Ihnen mein Wort. Also, in fünfzehn Minuten.“

Der Barbier wandte sich ab und ging zu seinem Haus.

Die anderen Männer verstreuten sich und standen wenig später überall an den Hauswänden, die Gewehre neben sich.

„Sie meinen, was sie sagen“, murmelte Dave. „Was soll nun werden?“

„Wir verlassen die Stadt und bringen die Gefangenen nach San Angelo.“

Dave blickte seinen Vormann forschend an.

„Gibst du Tetley wirklich auf?“

„Nein. Tetley hat hier eine große Ranch, Dave. Er fühlt sich als der Herr in diesem Land und gibt die Ranch nicht auf. Er ist für den Richter jederzeit erreichbar.“

„Und Sean?“

„Tetley wird auf seinen Sohn aufpassen, weil er nicht will, dass noch mehr Staub aufgewirbelt wird. Ich besorge Pferde für unsere Gefangenen. Sie werden in San Angelo schon auspacken. Dann kann der Richter seine Marshals zugreifen lassen.“

Dave nickte.

*

Jay stieg zur Fahrbahn hinunter und ging dem Mietstall entgegen.

Der Stallmann lehnte hinter dem Hofzaun. Er hatte eine Maiskolbenpfeife zwischen den Zähnen.

„Ich will zwei Pferde und Sättel kaufen“, sagte Jay. „Kommen Sie mir nicht mit irgendwelchen Ausreden.“ Er ging bis zur Tür weiter und betrat den Hof.

Der Stallmann rührte sich nicht.

„Wozu brauchen Sie Pferde?“, fragte er. „Sie und Ihr Freund haben doch welche. Ich könnte sie umtauschen, wenn Sie wollen.“

„Ich brauche noch zwei Pferde. Sie wissen, wozu.“

Der Mann nahm die Pfeife aus dem Mund.

„Eben, ich weiß es, Mr. Durango. Und deshalb bekommen Sie von mir keine Pferde.“

Jay ging zu dem Mann, packte ihn am Arm und schleppte ihn zum Stall, in den er ihn stieß.

„Hören Sie“, sagte er gepresst, „ich kam hierher, weil Sean und seine Komplizen in der Gegend von San Angelo einige Verbrechen begangen haben. Euere Angst ändert nichts an meiner Absicht. Ich werde die beiden Gefangenen mitnehmen, wenn ich die Stadt verlasse. Und ich nehme jeden anderen mit, der sich mir in den Weg stellt und Tetley Vorschub leistet!“

„Vorschub? Sind Sie verrückt?“

„Sie wollen Tobe Tetley helfen. Sie wollen, dass die Komplizen seines Sohnes keine Gelegenheit bekommen, vor einem Gericht auszusagen. Wollen Sie das?“

„Ich - ich weiß nicht, was Sie meinen, Mr. Durango.“

„Dann satteln Sie zwei ausdauernde Pferde. Ich werde sie bezahlen.“

„Wenn Tetley kommt ...“

„Wenn Tetley kommt und Fragen an Sie stellt, können Sie sagen, ich hätte Sie gezwungen. Der Storekeeper wird etwas ganz ähnliches sagen. Sie sind nicht allein. Muss ich noch lange warten?“

Der Stallmann ging rückwärts zu einer Box, in der ein Pinto stand, dessen Fesseln Jay Durango sehr schmal erschienen.

„Das Pferd nicht“, sagte er scharf. „Den Fuchs daneben. Und den Cayusen links hinten! Bewegen Sie sich, verdammt!“

Fünf Minuten später kam Jay Durango mit den beiden Pferden auf die Straße.

Die Männer waren immer noch da. Verwirrt und ängstlich starrten sie ihn an. Offenbar hatte keiner damit gerechnet, dass er Pferde bekommen würde.

Vor dem Office blieb er stehen und winkte Dave zu, die Pferde zu halten. Dann stieg er die Treppe hinauf, betrat das Office, griff nach dem Schlüssel und ging ins Jail.

Mandy Bacon ging in ihrer Zelle rückwärts, als sie Jay Durango durch den Gang kommen sah.

Er blieb vor der Zelle stehen und schob den Schlüssel ins Schloss. Aus den Augenwinkeln sah er, dass Zattig ihn genau wie das Barmädchen anstarrte.

„Wir reiten nach San Angelo“, erklärte er. „Die Pferde stehen schon draußen. Sam Beaver hat gekniffen und ist geflohen, damit ihr alles wisst.“

Zattig lachte. Es klang hohl und heiser und viel zu schrill.

„Du bringst uns niemals nach San Angelo!“, schrie er hämisch, dass es von den kahlen Wänden dröhnte.

„Wenn Tetley uns einholt, kommst du vom Regen in die Traufe, Zattig. Ich glaube nicht, dass das so lustig wird, wie du jetzt noch denkst.“

Der Bandit wurde grün im Gesicht.

Jay Durango schloss die Zelle auf und holte das starr stehende Mädchen heraus, um es ins Office zu führen.

„Zattig werde ich binden“, sagte er. „Bei Ihnen will ich davon absehen. Versuchen Sie nicht, mir zu entkommen. Sie sind für mich nicht besser als die anderen, und wenn Sie zu fliehen versuchen, werde ich an nichts anderes denken. Haben wir uns verstanden?“

„Sie haben sehr deutlich gesprochen“, gab sie zurück. „Aber ich habe damit nichts zu tun. Ich wollte Sean heiraten. Aus keinem anderen Grund kam ich nach Duncan zurück.“

„Wir wollen uns nicht gegenseitig mit Lügen und Vorhaltungen langweilen“, erwiderte Jay Durango und schob das Mädchen hinaus.

Fünf Minuten später saß auch Zattig auf seinem Pferd. Seine Hände waren an das Sattelhorn gebunden.

Unbeweglich standen die Männer an den Hauswänden. Der Barbier kam schließlich auf die Straße und stellte sich vor die Pferde, als Jay als letzter aufsaß.

„Was gibt es noch?“, fragte Jay Durango scharf. „Haben Sie neue Forderungen?“

„Sie wissen genau, was wir wollen, Durango: Frieden für diese Stadt. Lassen Sie die beiden hier.“

„Geben Sie den Weg frei!“

Der Barbier rührte sich nicht.

Da sprang Dave mit einem wilden Satz aus dem Sattel und ging mit geballten Händen auf den Mann zu.

Der Barbier wich zurück.

„Dort hinüber!“, schrie Dave zornig. „Damit die Feiglinge alle beisammen sind!“

„Lasst sie hier“, bat der Barbier.

Dave folgte ihm weiter und stieß ihn dann zur Seite. Jay Durango trieb sein Pferd an und zog das Zattigs mit sich.

„Dafür wird Tetley euch das Fell über die Ohren ziehen!“, rief das Mädchen.

Da war Dave wieder im Sattel und folgte seinem Bruder, das Pferd des Mädchens am Zügel mitführend.

Jay Durango spürte den Schweiß auf seinem Rücken, als die Männer der Stadt alle hinter ihnen waren. Er wusste, dass sie sehr feige waren. Aber gerade diese Feigheit konnte sie zu etwas bringen, was sie erst zu spät überlegen würden.

Der Sand knirschte unter den Hufen der Pferde, und das Echo des Hufschlages prallte von den schweigenden Häusern ab und wehte zu den Reitern zurück.

Das Mädchen riss den Mund auf, und Dave sagte schnell: „Sparen Sie sich die Mühe, Mandy.“

Ihr Mund klappte wieder zu.

Die Stadt blieb hinter ihnen zurück. Langsam hob sich die Piste zur Bodenwelle an. Dann hatten sie auch den Pfahl mit dem daran genagelten Brett, auf dem Duncan stand, hinter sich.

„Schneller!“, rief Jay Durango und trieb sein Pferd zu einem flotten Trab an, den die Tiere lange durchhalten konnten.

*

Sie standen noch genauso vor den Häusern, als der mächtige Tobe Tetley mit seiner Mannschaft kam. Es waren acht Männer, die ihn begleiteten. Sie hatten die Gewehre in den Händen und ritten in breiter Kette auf das Office des toten Sheriffs zu. Dann hielten sie an.

Knarrend rollte der zweirädrige Wagen des Coroners um eine Ecke und über die Front Street.

Tobe Tetley, der große, breitschultrige Mann, blickte verkniffen auf den Wagen, den ein alter Maulesel zog. Der Wagen verschwand zwischen zwei Häusern auf der anderen Straßenseite.

Ruhe herrschte in der Stadt, über die sich die Dämmerung zu senken begann.

„Durango!“, schrie der Rancher. „Komm heraus! Wir wissen, dass du da bist!“

Der Ruf wehte von irgendwo zurück und an dem Rancher vorbei, um zu verklingen.

„Durango!“

Die Reiter repetierten die Gewehre.

Da kam der Barbier auf die Straße, zog seinen Hut und verbeugte sich.

„Was willst du?“, herrschte ihn der Rancher an.

„Sie sind nicht mehr da, Mr. Tetley.“

„Sie?“

„Ein Mann kam gestern während der Nacht hier an. Dave Harmon, Mr. Tetley.“

„Einer von den Rancho Bravo-Leuten?“

„Ja. Sie haben Zattig und Mandy Bacon mitgenommen.“

Tetley beugte sich im Sattel so weit vor, dass sein Kinn den Hals des Pferdes berührte.

„Wohin?“

„Sicher nach San Angelo. Wir haben ihnen gesagt, dass die Stadt damit nichts zu tun haben will.“

Tetleys Blick wurde noch schärfer, und der Barbier schien jäh zu erstarren.

„Womit?“, schrie der Rancher.

„Mit - mit dem, was Durango und Harmon Ihrem Sohn vorwerfen, Mr. Tetley.“

Der Rancher setzte sich gerade.

„Sie werfen ihm vor, ein Verbrecher zu sein, aber es ist alles gelogen! Jedes Wort!“

Der Barbier blickte zu Boden.

„Glaubst du das nicht?“, schrie der Rancher.

Der Barbier blickte immer noch zu Boden. Tetley trieb sein Pferd vorwärts und hielt es neben dem Mann wieder an.

„Glaubst du nicht, was ich sage?“, schrie er wieder.

Der Barbier blickte nicht auf. Da schlug ihm Tetley den Hut vom Kopf.

„Antworte!“, bellte er.

„Die Stadt wird schweigen und nichts wissen, Mr. Tetley“, würgte der Barbier hervor.

Tetley sprang aus dem Sattel und riss den Kopf des Barbiers an den Haaren in die Höhe.

„Antworte!“

„Silas Pate ist nun auch tot“, murmelte der Barbier. „Aber wir werden schweigen.“

Eine Welt der Ablehnung sprach aus den Augen des Mannes und traf Tobe Tetley wie ein Hammerschlag. Er hatte keine Macht mehr über seine Gefühle, als er die geballte Hand hob und ins Gesicht des Barbiers schmetterte, dass der von den Füßen gerissen wurde.

Der Mann schlug in den Staub und rollte schreiend zweimal um seine eigene Achse. Dann lag er still. Der aufgewirbelte Staub senkte sich auf ihn.

Tobe Tetley ließ die Hand sinken. Seine Finger entspannten sich. Langsam wandte er sich um. Sein Gesicht war grau, als er in den Sattel stieg.

„Wohin sind sie geritten?“, wandte er sich an einen Mann, der am Rand des Gehweges stand.

Der Mann zeigte mit seinem Gewehr nach links.

„Sie wollen nach San Angelo, Mr. Tetley.“

„Nat, die Lampe!“, rief der Rancher. „Ist genug Petroleum darin?“

„Ja, Boss.“

„Dann vorwärts!“

Die Kavalkade sprengte aus der Stadt hinaus.

*

Nat Brock beugte sich aus dem Sattel und hielt die Sturmlaterne dicht über den Boden, um die Spur der Reiter sehen zu können. Sie kamen nicht sehr schnell voran.

Plötzlich parierte der Cowboy sein Pferd.

„Ein Feuer“, flüsterte er. „Das müssen sie sein.“

Tetley drängte sein Pferd durch die Reihe seiner Leute und hielt neben Nat an.

„Die Lampe aus!“, zischte er.

Nat Brock löschte die Lampe. Tiefe Dunkelheit umgab die Männer. Aus der Ferne trug der laue Wind das Heulen eines Wolfes an ihre Ohren. Tetley glitt aus dem Sattel und zog das Gewehr aus dem Scabbard.

Die Cowboys folgten seinem Beispiel. Alle starrten auf den schwachen Widerschein des Feuers, den sie durch die Büsche sehen konnten.

„Sollen sie uns wirklich noch nicht bemerkt haben?“, fragte Nat flüsternd.

„Vielleicht sind sie sehr müde“, knurrte der Rancher. „Also, denkt daran: jeden von euch erwartet der doppelte Lohn!“

Er blickte in die ihm zugewandten Gesichter und wusste, dass sie tun würden, was er von ihnen verlangte, solange er in ihrer Nähe war. Dann wandte er sich ab und ging vorwärts, den Kolbenhals des Gewehres fest mit der schweißnassen Hand umspannt.

Vor den Büschen blieb er sekundenlang stehen, bis alle bei ihm waren. Dann winkte er ihnen, sich auseinanderzuziehen.

Die Cowboys folgten seinem Wink lautlos.

Tetley wartete. Nur Nat Brock war noch neben ihm. Nach zwei Minuten sagte der Cowboy: „Jetzt dürfte das Lager umstellt sein, Boss.“

Tetley schob sich in die Büsche hinein. Der Feuerschein wurde heller. Äste, die auf dem Boden lagen, zersprangen mit hellen Geräuschen unter Tetleys Stiefeln. Dann war er durch den letzten Busch, sah das zuckende Feuer, das abgesattelte Pferd und den Mann, der hinter dem Feuer lag und schlief.

„Clint Rule“, sagte Nat an seiner Seite enttäuscht. „Aber den hast du auch gesucht, nicht wahr?“

„Und ob ich ihn gesucht habe. Er muss viele Nächte nicht mehr geschlafen haben.“ Tetley ging weiter, drehte das Gewehr in der Hand und schlug dem Schläfer den Kolben gegen die Schulter, als er neben ihm war.

Der Mann bewegte sich und öffnete die Augen.

„Clint, steh auf!“, herrschte ihn Tobe Tetley an.

Aus den Büschen kamen die anderen Cowboys.

Der Mann am Boden zuckte in die Höhe und starrte sie an. Dann fiel sein Blick auf den Rancher, der wie ein Riese über ihm stand. Er wurde bleich bis zu den Haarwurzeln, und das Feuer schleuderte schwarze Schatten in sein Gesicht.

„Steh auf!“, schrie der Rancher, ließ dann das Gewehr fallen, bückte sich, packte den Mann am Hemd und riss ihn wild auf die Beine.

„Nein“, sagte Clint Rule. „Ich habe nicht geschossen. Ich war es nicht, Boss. Sean und die anderen haben es getan. Ich war nur dabei und konnte nichts dagegen tun.“

„Du hast versucht, Zattig im Jail zu töten, nicht wahr?“, fragte Tetley.

„Ich habe es für Sean tun wollen. Nur für deinen Sohn, Boss!“ Clint Rule brach der Angstschweiß aus allen Poren. „Er hat geschossen!“

Tetley öffnete die linke Hand, mit der er Rule gepackt hielt. Gleichzeitig schmetterte er ihm die rechte mit solcher Wucht ins Gesicht, dass dem Banditen auf der Stelle der Boden unter den Füßen entrissen wurde.

Rule schlug auf den Rücken. Sein keuchender Atem übertönte alle anderen Geräusche. Blut rann aus seinem Mundwinkel. Er stemmte sich auf die Ellenbogen und blickte von einem der Männer zum anderen. Schließlich schaute er den wutschäumenden Rancher wieder an.

„Ich habe es für Sean getan“, sagte er noch einmal. Aber jetzt klang seine Stimme fester. „Ja, ich weiß, was du willst, Boss. Deshalb kam ich auch nicht zur Ranch zurück. Ich kenne dich. Wir wussten alle, was uns erwartet. Wir wussten es in dem Moment, in dem Sean das Geld an Crossing verspielt hatte. Nur deswegen haben wir mitgemacht.“

„Schweig!“, schrie Tobe Tetley. „Ihr habt euch tausend Dollar geteilt.“

„Wir haben uns für die Drecksarbeit ein klein wenig belohnt. Aber wir haben es für Sean getan.“

Ein Fußtritt traf den Mann und warf ihn auf die Seite. Aber er drehte sich wieder zurück.

„Sie sollen es wohl nicht wissen, was?“, schrie Clint Rule. „Sie sehen ganz so aus, als verstünden Sie noch nicht einmal die Hälfte der Geschichte. Soll ich Ihnen sagen, was wirklich geschehen ist?“

Tetley blickte sich im Kreis um. Er konnte die fragenden Blicke seiner Reiter nicht mehr übersehen. Vielleicht ahnten sie längst alle, was die Wahrheit war. Aber noch schwiegen sie. Aber irgendwann würden sie fragen, und dann würde er antworten müssen. Dann konnte es ihm nichts mehr nützen, wenn er jetzt einen Mann mundtot machte.

„Ihr seid Banditen, einer wie der andere“, erklärte er. „Sean macht keine Ausnahme. Von mir aus, erzähle es den Leuten. Sie wissen dann genau, warum sie noch mit mir reiten.“

Clint Rule setzte sich.

„Dann hört zu“, sagte er dunkel „Sean hat die zweitausend Dollar für die Pferde in San Angelo verspielt. Mandy Bacon sagte ihm, auf der Rancho Bravo-Weide wären nur ein paar Wächter. Auf der Ranch wäre Geld. Jeder andere von euch hätte auch mitgemacht. Wir konnten ohne Geld nicht mehr hierher zurückkommen. Aber verspielt hat es Sean - wir hatten ihn gewarnt!"

„Erzähle weiter, aber beeile dich“, knurrte der Rancher mühsam beherrscht.

Clint Rule leckte sich über die Lippen.

„Wir kamen zur Ranch, aber die Mannschaft war wieder von der Weide zurückgekehrt. Auf einer Weide trafen wir Cowboys. Wir täuschten sie und trieben die Rinder weg. Zwei wurden angeschossen. Der dritte entkam und holte Verstärkung von der Ranch. Da ließen wir von der Herde ab und kehrten zu der Ranch zurück. Wir erbeuteten dreitausend Dollar. Das ist alles.“

Tetley ging ums Feuer herum und wandte sich um. Jetzt konnte er seine Mannschaft besser überblicken.

„Nun wisst ihr, warum wir hier sind“, sagte er. „Jay Durango will meinen Sohn zu Richter Douglas nach San Angelo bringen. Was ihn dort erwartet, könnt ihr euch vielleicht denken. Sean hat den Tod verdient. Er ist ein hundsgemeiner, verworfener Kerl, der auf der Erde nur die Luft verpestet. Aber er ist mein Sohn. Schmach und Schande würden auch mich treffen. Ich kann nicht zulassen, dass mein eigenes Blut unter einem Galgen endet. Versteht ihr das?“

Die Männer blickten betreten zu Boden.

„Wer mich nicht verstehen kann, soll jetzt auf sein Pferd steigen und davonreiten“, sagte Tobe Tetley gepresst. „Ich hindere ihn nicht daran.“

Die Reiter blickten sich verstohlen an. Dann sagte Nat Brock: „Doch, Boss, wir verstehen dich schon. Kein Vater würde anders darüber denken. Schon gar nicht ein Vater, der eine große Ranch besitzt und sein halbes Leben für den Sohn geschuftet hat. Aber wenn wir Durango einholen, was wird dann geschehen?“

„Wenn sie auf uns schießen, schießen wir zurück. Wenn sie sich ergeben, nehmen wir sie mit.“

„Und weiter?“

„Auf der Ranch stellen wir sie vor die Wahl. Sie können die Sache aufgeben. Dafür werde ich sie belohnen. Oder sie können schmoren, bis sie anderen Sinnes werden. Aber der, der zu entkommen versucht, wird erschossen. Wer will, kann jetzt immer noch fortreiten. Aber denkt an eines: Einen Job findet ihr im Umkreis von dreihundert Meilen vor dem Frühjahr nicht mehr.“

„Das wissen wir selbst“, knurrte einer der Cowboys.

„Die Verantwortung für alles, was geschieht, trage ich“, sagte der Rancher. „Genügt euch das?“

„Das genügt“, erwiderte Nat Brock. Er bückte sich, zog ein Stück brennendes Holz aus dem Feuer und zündete den Docht der Sturmlaterne wieder an. Dann ging er durch die Büsche, nahm sein Pferd am Zügel und lief zu der Stelle zurück, an der sie von der Spur abgebogen waren.

*

Es dauerte eine Weile, bis sich die anderen um ihn versammelt hatten. Clint Rule kam als letzter.

„Hier kamen vier Reiter vorbei“, sagte Brock und blickte Rule an. „Jay Durango und Dave Harmon, die Zattig und Mandy Bacon nach San Angelo bringen wollen.“

Clint Rule wurde wieder bleich.

„Hast du davon nichts bemerkt?“, fragte Nat Brock.

„Ich habe nicht lange gelauert. Vielleicht ritten sie hier vorbei, als ich noch nicht da war.“

„Vielleicht.“

Der Rancher drängte sein Pferd durch den Pulk der Reiter. Vor Clint Rule hielt er an.

„Noch etwas“, verkündete er. „Auch wenn wir verhindern wollen, dass sie San Angelo erreichen, mit Banditen machen wir keine gemeinsame Sache.“ Clint Rule schien sich zu ducken.

„Bindet ihn!“, kommandierte der Rancher. „Ihr bekommt alle eure Strafe, und vielleicht werdet ihr euch wünschen, lieber tot zu sein!“

„Nein!“, schrie Clint Rule, als die Cowboys absaßen. Er drängte sein Pferd rückwärts und warf es herum.

Aber da hatte einer der Männer sein Bein gepackt und aus dem Steigbügel gezogen. Ein jäher Ruck - Clint Rule rutschte schreiend über die Hinterhand des Pferdes hinweg, flog einen Sekundenbruchteil durch die Luft und schrammte auf den Rücken. Noch ehe er eine Bewegung der Gegenwehr machen konnte, waren vier Mann über ihm und knieten sich auf seine Arme und Beine.

„Ein paar kurze Stricke und ein Lasso“, befahl der Rancher. „Ein Mann reitet mit ihm zurück. Die Fesseln werden ihm keine Sekunde abgenommen. Jago, hast du mich verstanden?“

„Ja“, erwiderte Jago Kidd.

„Dann wirst du ihn zurückbringen. Werft ihn auf sein Pferd und bindet ihn daran fest.“

„In Ordnung, Boss.“ Jago Kidd wartete, bis Clint Rule quer über dem Sattel seines Pferdes lag und sein Hosengurt am Sattelhorn festgebunden war.

Dann ritt er an, nahm die Zügel des zweiten Tieres und verschwand in der Nacht.

Tobe Tetley blickte ihm noch eine Weile nach, dann schaute er die anderen wieder an.

„Weiter, Nat!“, kommandierte er. „Wir müssen sie einholen, ehe die Nacht zu Ende ist!“

Nat stieg auf sein Pferd. Zur Seite gebeugt ritt er weiter, den Arm so weit ausgestreckt, dass die Sturmlaterne fast den Boden berührte.

*

„Mir tut alles weh!“, keuchte Clint Rule. „Ich kann so nicht mehr liegen. Jago, hörst du nicht. Wir waren doch früher immer gute Freunde.“

Jago Kidd zügelte die Pferde, ging um die Tiere herum und hob den Kopf des jungen Banditen in die Höhe.

Clint Rules Gesicht war verzerrt. Aber in seinen Augen stand ein Hoffnungsschimmer.

„Schneide mich los und lass mich reiten, wohin ich will, Jago!“, bettelte er. „Ich verschwinde und komme nie mehr zurück!“

„Und ich?“

„Du kannst ihm sagen, ich hätte mich befreit.“

„Du kannst dich nicht von selbst befreien, Clint. Und ich würde es nicht tun. Du bist ein Bandit!“

„Und Sean?“

„Er ist genauso wie du, vielleicht noch schlimmer. Der Boss wird euch dafür bezahlen - Sean und dich, und auch Zattig, wenn er ihn bekommt.“

„Der Boss wird mit Gefangenen zurückkommen. Durango hat von Marshal Clayburn in San Angelo einen Stern bekommen.“

„Das ist Sache vom Boss, Clint.“

„Du irrst. Es geht auch dich an. Jetzt können wir beide verschwinden, und sie bekommen uns nie mehr.“

Jago Kidd schüttelte den Kopf.

„Wohin sollte ich verschwinden? Er hat gesagt, was Tatsache ist. Er kennt dieses Land. Wir kennen es auch. Kein Reiter findet vor dem Frühjahr einen Job. Bald wird es Winter sein. Erinnerst du dich an den letzten Winter? Ein paar stellungslose Cowboys hatten sich in einer seiner Weidehütten festgesetzt. Er jagte sie in Schnee und Eis hinaus. Sie hatten keinen Dollar und keinen Bissen Brot. Niemand kam, um ihnen zu helfen. Der Boss konnte mit ihnen machen, was er wollte. Es war sein Land. Er war im Recht.“

„Du tust es nur, weil du Angst vor ihm hast.“

„Ich bleibe aus diesem Grund. Warum sollte ich für andere in den Tod reiten? Du weißt doch noch, dass wir die Cowboys fanden - erfroren!“

„Ich weiß es.“

„Alle wissen es, Clint. Und jeder hat vorhin daran gedacht. Seit Jahren ist Tobe Tetley unser Gesetz und unser Gewissen. Warum sollte es auf einmal anders sein. Niemand von uns hat gemordet oder andere überfallen. Wir helfen dem Boss, weil er nichts dafür kann, dass sein Sohn ein Schwein ist. Weiter tun wir nichts. Er gibt die Befehle und führt sie mit uns aus. Was wir machen, tun tausend andere Männer in diesem Land ebenfalls, und keiner denkt darüber nach.“

Jago Kidd ließ den Kopf des Banditen los. Clint Rules Stirn schlug gegen das harte Sattelleder.

„Und ich dachte, du bist mein Freund“, knirschte der Bandit heiser.

„Ich werde nie der Freund eines Mörders sein, Clint“, knurrte Jago Kidd.

„Wenn der Boss Durango und Harmon umbringt, ist er dann kein Mörder?“, fragte der Bandit.

„Wenn er das tut, muss er es verantworten. Aber nicht vor mir. Er ist auch nicht mein Freund, Clint. Er ist der Mann, auf dessen Lohnliste ich stehe.“

Jago Kidd stieg in den Sattel, nahm die Zügel von Rules Pferd auf und ritt weiter in die Nacht hinein.

Er fühlte sich nicht wohl in seiner Haut, weil er die Grenze zwischen Recht und Unrecht kannte. Aber er war dabei gewesen, als sie die stellungslosen, erfrorenen Cowboys gefunden hatten, und er wollte nicht auf die gleiche Art enden.

Mit verkniffenem Mund und spaltengen Augen ritt er durch die Nacht, fest entschlossen den Weg zu gehen, den ein armer Mann in diesem Land gehen musste, wollte er nicht zwischen den starren Fronten von Macht und Recht zerrieben werden.

„Ich habe es nicht gewollt!“, schrie Clint Rule verzweifelt. „Ich habe nur für Sean mitgemacht. Wir wussten nicht, dass wir auf Wächter stoßen würden!“

„Wenn du nicht still bist, muss ich dich knebeln“, sagte Jago Kidd finster.

*

Dave Harmon stieß das Holz mit dem Stiefelabsatz tiefer ins Feuer und blickte über die Büsche hinweg zum Horizont, der sich heller zu färben begann.

Jay schob die Satteldecke zurück und setzte sich. Er blickte zu Mandy Bacon und Zattig hinüber und sah, dass sie auch nicht schliefen.

„Worauf warten wir noch?“, fragte Dave drängend. „Schlaf finden wir doch nicht.“

„Die Pferde müssen sich ausruhen“, erklärte Jay Durango. „Wir kommen dann um so schneller voran. Wir werden den ganzen Tag nicht mehr anhalten.“

Mandy stand auf und gähnte. Im Flammenschein sah ihr Gesicht spitzer und bleicher aus, als es war.

„Ihr bringt uns niemals bis San Angelo“, sagte sie in die Stille, die nur das Knistern des .Feuers unterbrach. „Tetley ist längst hinter uns her. Ich fühle es.“

„Wir haben unsere Spur am Anfang der Büsche gut genug verwischt. Hier findet uns niemand. Dave, wir löschen das Feuer.“ Jay Durango nahm Sand und warf ihn auf die Flammen.

Dave folgte seinem Beispiel. Plötzlich hielt er inne und stand auf.

Jay ließ die Hände sinken und rieb sie an der Hose ab. Dave schaute ihn an.

„Sie kommen“, flüsterte er. „Hörst du sie nicht?“

„Doch.“ Jay Durango stand auf. Er blickte über die verfilzten Büsche, konnte aber noch nichts anderes als tiefe Dunkelheit erkennen. Noch kämpfte der nahe Tag vergeblich gegen die Schwärze der Nacht an. Dann irgendwo das Schnauben eines Pferdes, dem ein gefluchter Befehl folgte.

„Sie haben die Spur wirklich verloren“, sagte Dave und zog den Revolver aus der Halfter.

„Kneble Zattig.“

Dave wandte sich ab.

Jay Durango drehte sich zu dem Mädchen um, dem Schweißperlen auf der Stirn standen.

„Müssen wir Sie auch knebeln?“, fragte er.

Sie bog die Mundwinkel verächtlich nach unten.

„Vielleicht ist das, was mich bei Tetley erwartet, noch schlimmer, als was Richter Douglas für mich ausbrüten kann. Tobe Tetley hat schon einmal dafür gesorgt, dass ich aus Duncan verschwinde. Nun wird er mich für alles verantwortlich machen.“

„Vielleicht ist das nicht ganz richtig, Mandy. Ein Postreiter wurde ermordet. Das war ganz sicher nicht Ihr Gedanke. Aber dass Sie den Stein ins Rollen gebracht haben, steht wohl außer Zweifel.“

„Ich habe gesagt, dass auf Ihrer Ranch Sean dort Geld finden wird. Ich wollte ihm helfen. Von einer Gewalttat war nie die Rede.“ Sie blickte in den Rauch, der sich einen Weg durch den Sand über dem Feuer bahnte und fast senkrecht über die Büsche stieg. „Für den Richter bin ich mitschuldig“, fuhr sie leise San. „Für Tobe Tetley bin ich die Hauptschuldige. Sein Hass auf Sean wird sich über mir entladen. Meine Chance bestand darin, allem zu entkommen.“

Wieder schnaubte ein Pferd. Es klang näher. Dann der Fluch eines Mannes und der Ruf: „Hierher mit der Lampe!“

„Fort!“, kommandierte Jay Durango. „Dave, kannst du Zattig tragen?“

„Es geht schon!“ Dave wuchtete sich den Banditen auf die Schulter, trug ihn zu den Pferden und warf ihn über einen Sattel.

„Los“, sagte Jay zu dem Mädchen. Mandy Bacon stand auf. Jay griff nach ihrem Arm und führte sie zu den Tieren. Dave ging mit den ersten beiden Pferden bereits tiefer in die Büsche. Jay nahm die Zügel der beiden anderen. Er spürte, dass das Barmädchen unter seinem Griff zitterte. Sie hatte Sean dazu bringen wollen, sie zu heiraten, und auf diesem Weg war ihr jedes Mittel recht gewesen.

Zweige streiften ihre Kleider und ihre Gesichter. Hinter ihnen wurden die Komandostimmen lauter.

„Gehen Sie vor mir her“, sagte Jay, ließ sie los und zog den Colt. Unter seinem Daumen spannte sich der Hammer.

Mandy Bacon lief vor ihm tiefer in die Büsche hinein. Mit den Armen teilte sie das Gestrüpp. Manchmal zersprang ein Ast unter ihren Sohlen, und sie blieb erschrocken stehen und blickte zurück.

„Weiter“, sagte Jay Durango jedes mal. Er konnte seinen Bruder mit dem Gefangenen und den beiden anderen Pferden schon nicht mehr sehen. Vielleicht hatte Dave eine andere Richtung eingeschlagen.

„Halt!“, schrie da hinter ihm eine Stimme.

Jay Durango zuckte zusammen, ließ die Zügel los und sprang vorwärts. Er packte den Arm des Mädchens und riss es mit sich.

Dröhnend löste sich ein Schuss. Pfeifend raste die Kugel durch das Gestrüpp und wirbelte Blätter in die Höhe.

Jay wandte sich um, hielt an, sah einen Schatten und drückte zweimal ab.

Der Schatten verschwand.

Jay packte den Arm des Mädchens fester und lief mit ihm weiter. Mehrmals schlug er Haken. Dann blieb er stehen und schaute zurück. Er hörte die Rufe, mit denen sich die Verfolger verständigten, immer noch. Aber jetzt kamen sie aus einer anderen Richtung.

Sie liefen weiter. Mandy Bacon keuchte so laut, dass Jay Durango befürchtete, es könnte sie verraten. Sie krochen unter Ästen hinweg und standen plötzlich auf einer sandigen Insel, und in der gleichen Sekunde schlug das schauderhafte Rasseln einer Klapperschlange an Jays Ohren.

Das Mädchen sah das Tier, das sich auseinander ringelte, den Kopf hob und vorwärts schoss. Es stieß einen gellenden Schrei aus, der weit durch die Büsche zu hören sein musste. Im gleichen Moment schlug sie beide Hände vor das Gesicht.

Jay Durango drückte ab. Feuer und Blei fuhren der Schlange entgegen und warfen den dreieckigen Kopf rückwärts. Der Körper wand sich noch, als der zerschmetterte Kopf des Reptils bereits auf dem Boden lag.

„Weiter!“, schrie Jay Durango und zwang das Mädchen, über den sich immer noch bewegenden Leib der Schlange hinwegzuspringen. Mandy Bacon stieß dabei einen zweiten entsetzten Schrei aus. Dann waren sie hinter dem Tier und hetzten der Buschmauer entgegen. Sie brachen in die Büsche hinein.

„Durango!“, schrie hinter ihnen eine Stimme. Dann ein Schuss. Das Pfeifen der Kugel war nicht zu hören.

Jay schlug wieder mehrere Haken und hielt schließlich an, als sich das Barmädchen zu Boden fallen ließ. Neben ihr kniete er sich auf den Boden, drehte sich und hielt den Revolver schussbereit.

Noch kam niemand. Vielleicht war es ihnen gelungen, noch einmal zu entkommen. Mandy lag keuchend auf dem Boden und musste sich auf die Seite drehen, um noch Luft zu bekommen. Er kniete sich neben sie und sah die flackernde Angst in ihren Augen. Noch vor ein paar Stunden hatte sie gesagt, Tetley würde verhindern, dass sie San Angelo erreichen konnten, und es hatte geklungen, als würde sie auf sein Auftauchen warten.

Nun saß ihr die nackte Angst vor dem mächtigen, gewalttätigen Mann in den Gliedern - die Angst vor einem Mann, der nach seinem eigenen Gesetz lebte.

Jay lud seinen Revolver nach.

„Wir werden hier sterben“, sagte das Mädchen. „Ohne Pferde haben wir keine Chance, aus den Büschen zu kommen, ohne von ihnen bemerkt zu werden.“

Jay Durango schwieg verbissen.

„Warum wollen Sie das nicht wahrhaben?“, fragte sie drängend. „Sie wissen doch selbst, dass es so ist.“

Plötzlich fielen Schüsse. Das gellende, abgerissene Wiehern eines Pferdes schallte gespenstisch über sie hinweg, und verwehte. Mandy Bacon hatte sich aufgerichtet und starrte die Buschmauer an.

„Ihr Freund“, sagte sie. „Jetzt hat Tetley Ihren Freund gefunden und gestellt.“ Sie lachte, als hätte sie den Verstand verloren.

„Ruhe!“, zischte Jay ihr zu. „Das ist doch gar nicht sicher.“

Die Schüsse verklangen. Stille breitete sich aus. Jay Durango merkte, dass es rasch heller wurde.

„Natürlich haben sie ihn gestellt“, meinte das Mädchen nach einer Weile. „Oder wissen Sie immer noch eine andere Erklärung für die plötzliche Ruhe?“

Er blickte sie an. Für einen Moment schien ein teuflisches Lächeln ihr Gesicht zu überziehen. Dann sagte sie: „Wir sitzen alle in der gleichen Falle und werden vielleicht das gleiche Schicksal erleiden. Aber es kann auch sein, dass Tetley mich zum Teufel jagt - und Sie in die Hölle!“

„Er hat mich schon einmal auf die gemeinste Art töten wollen. Ich weiß, was mich erwartet. Darüber brauchen Sie sich keine Kopfschmerzen zu machen, Mandy. Aber noch habe ich meinen Colt. Vielleicht stirbt er vor mir.“

„Sie würden ihn erschießen, obwohl Sie wegen Sean hierher gekommen sind?“

„Ich werde auf jeden schießen, der gekommen ist, um mich umzubringen.“

Mandy Bacons Oberkörper sank auf den sandigen Boden zurück.

„In euerem Hass seid ihr alle gleich“, sagte sie schwach. „Ich habe nicht gehasst. Ich hatte Liebe und eine gesicherte Zukunft erringen wollen.“

„Sie hatten sich nur den falschen Weg dazu ausgesucht“, gab Jay zurück.

Sie richtete sich erneut auf.

„Es war der einzige Weg, den ich sah!“, stieß sie hervor. „Oder wissen Sie nicht, dass ein Mädchen wie ich keine Auswahl hat? Uns wollen viele haben. Aber nur für eine Nacht. Was dann mit uns geschieht, interessiert keinen Menschen. Auch für einen Saloonkeeper sind wir nur solange interessant, wie wir jung und ansehnlich sind. Keine Stunde länger. Wissen Sie, wie alt ein Mädchen bei uns werden muss, um alt und verbraucht zu sein?“

„Ich kann mich dafür nicht interessieren, Mandy. Ihr Plan hat zweien meiner Reiter das Leben gekostet.“

Sie ließ den Kopf sinken. Jay Durango stand auf, den Revolver an der Hüfte angeschlagen. Er hörte wieder Geräusche. Sie suchten, und er wusste nicht, ob sie Dave wirklich in ihre Gewalt gebracht oder gar getötet hatten.

Minuten reihten sich aneinander. Es wurde heller und heller, und schließlich zogen dunstige Nebelschwaden über die Kronen der Büsche.

Mandy erhob sich. Hart schlugen ihre Zähne aufeinander.

„Frieren Sie?“, fragte Jay.

„Nein. Ich habe Angst. Ich möchte Sie um etwas bitten.“

„Wozu? Sie kennen meine Meinung. Aus diesem Spiel steigt niemand mehr aus, Mandy.“

„Es konnte ja sein, dass sich Ihre Meinung in den letzten Minuten geändert hat.“ Mandy ließ den Kopf sinken.

„Meine Meinung wird sich nie ändern. Kommen Sie!“ Er griff nach ihrem Arm und zog sie weiter durch das verfilzte Gestrüpp.

*

Heiß brannte die Sonne vom Himmel. Überall in den Büschen bewegten sich suchende Männer.

Jay Durango lag mit dem Barmädchen in einer Rotdornhecke und konnte die verstaubten Stiefel eines Mannes sehen. Jays Hand lag auf dem Mund Mandy Bacons, weil er befürchtete, sie würde vielleicht aus Angst einen Schrei ausstoßen.

Der Stiefel bewegte sich vorbei. Für einen Sekundenbruchteil brach sich ein Sonnenstrahl auf dem großen Spornrad. Dann zerbrach ein Ast, und der Mann war vorbei.

Der Schweiß von der Stirn des Mädchens rann über Jay Durangos Handrücken. Er lockerte den Griff und ließ sie schließlich los, als er den Mann nicht mehr hören konnte.

Mandy Bacon wandte ihm das Gesicht zu.

„Wie lange verstecken wir uns nun schon vor ihnen?“, fragte sie flüsternd. „Und wie lange wollen wir uns noch verstecken? Ich habe Hunger. Noch ein paar Stunden, dann schreie ich deswegen.“

Jay Durango blickte sie starr und schweigend an, und Mandy Bacon senkte den Kopf. Die Sonnenstrahlen trafen ihr rotes Haar, in dem plötzlich Funken zu sprühen und Feuer zu brennen schien.

„Nat!“, rief eine dunkle, bellende Stimme.

Der Kopf des Mädchens zuckte in die Höhe.

„Das ist Tetley“, flüsterte sie mit bebender Stimme. „Ich würde seine Stimme unter Tausenden erkennen.“

„Nat!“, schrie die Stimme wieder.

„Was ist los, Boss? Ich bin hier. Wir haben noch nichts gefunden. Vielleicht ist er doch entkommen.“

„Unmöglich.“ Die Stimme des Ranchers kam von rechts.

Jay Durango drehte sich etwas und spannte den Hammer des Colts unter der vorgehaltenen Hand.

„Die Leute sollen überall rufen, dass er herauskommen soll und dass wir seinen Gefährten und Zattig haben.“

„In Ordnung, Boss.“

Jay war zusammengefahren. Irgendwo entfernten sich Schritte. Dann wurde es still. Auf einmal, links, weit entfernt eine rufende Stimme: „Durango, komm heraus! Dein Kumpel und Zattig sind in unserer Hand! Harmon ist nicht verletzt! Aber wir garantieren für nichts, wenn du nicht mit dem Mädchen herauskommst! Durango! Hörst du uns?“

„Nun wissen Sie es!“, stieß das Mädchen hervor. „Tetley hat Ihren Freund. Ich habe es gleich geahnt, als die Schüsse fielen und das Pferd wieherte. Tetley wird ungeduldig. Vielleicht lässt er Ihren Bruder töten, wenn Sie sich nicht ergeben.“

„Was wollen Sie eigentlich, Mandy? Noch vor ein paar Stunden war Ihre Angst vor Tobe Tetley größer als vor Richter Douglas.“

„Ich habe mir alles durch den Kopf gehen lassen. Zeit genug war dazu. Tetley wird es nicht wagen, mir etwas zu tun. Er wird mich fortjagen, wie er es schon einmal getan hat. Er wird wissen, dass ich alles totschweige.“

„Natürlich. Es liegt ja in Ihrem eigenen Interesse.“

„Eben.“ Ihr Lächeln war hämisch, verschwand aber sofort wieder aus ihrem Gesicht. Sie kniete sich auf den Boden, und noch ehe Jay Durango begriff, schrie sie: „Wir sind hier! Hier!“

Er riss sie zu Boden und presste ihr fluchend die Hand auf den Mund.

Aber es war zu spät. Schon hörte er die sich nähernden Schritte. Da sprang er auf und warf sich aus der Hecke. Ein Mann kam ihm entgegen.

„Halt!“, donnerte die Stimme des Cowboys.

Jay Durango hob den Revolver und schleuderte ihn dem Mann mit einem raschen Schnappen des Handgelenkes ins Gesicht.

Der Reiter schrie, taumelte rückwärts und hob die linke Hand vor das Gesicht. Jay Durangos Revolver fiel zu Boden. Da drückte der taumelnde Mann ab.

Eine Feuerzunge stach Jay Durango entgegen, und er spürte den heißen Luftzug, der seine Wange und das Ohr streifte. Er sprang weiter und schlug mit der Faust nach dem Mann, der auf der Stelle zu Boden stürzte.

Da hörte er hinter sich ein Geräusch und wollte herumwirbeln. Er hatte sich halb gedreht und sah einen hochschwingenden Arm. Seine Reaktion kam zu spät. Ein schmetternder Hieb traf seinen Kopf und zauberte sekundenschnell buntes Feuer vor seine Augen, das sich in einer Kugel zu drehen schien und jäh mit grellem Licht in Tausende winziger Sterne zerbarst. Er spürte nicht mehr, wie er auf den Boden schlug, denn in der dunklen Nebelwand, die das Feuer ablöste, war sein Bewusstsein untergetaucht.

*

Als er erwachte, erfüllte ein Hämmern und Brausen seinen Kopf. Jay Durango erinnerte sich nur langsam, was geschehen war. Dann aber war ihm wieder alles klar.

Er hatte die Augen noch geschlossen, während er versuchte, die Geräusche, die ihn umgaben, klar aufzunehmen.

„Schläft er immer noch?“, fragte die harte, wie Stahl klirrende Stimme des Ranchers.

„Scheint so“, brummte jemand.

„Du bist ein Idiot, Nat“, meldete sich der Rancher wieder. „Niemand hat gesagt, dass du so nach ihm schiagen sollst.“

„Ich dachte, ich hätte dir einen Gefallen getan, Boss“, sagte ein Cowboy grollend.

Jay wollte die Hände bewegen, aber es gelang ihm nicht. Er merkte, wie etwas in seine Gelenke schnitt und begriff, dass sie ihn gefesselt hatten. Da öffnete er die Augen. Das Hämmern und Dröhnen in seinem Kopf begann abzuklingen.

Vor ihm brannte ein Feuer. Ihm gegenüber stand Tetley, und es sah aus, als würde der Mann mitten in den Flammen, die bis zu seinem Patronengurt reichten, stehen.

„Na also“, sagte der Rancher und schob sich eine dünne schwarze Zigarre in den Mundwinkel. Er bückte sich nach einem Stück brennenden Holzes, brannte die Zigarre an, paffte und warf das Holz ins Feuer zurück.

Jay Durango blickte nach links. Neben ihm lag Dave Harmon, ebenfalls gefesselt. Dahinter saß das Barmädchen. Mandy Bacon war nicht gefesselt. Irgendwie verfuhren sie offenbar mit einem Mädchen alle gleich.

Jay blickte nach der anderen Seite. Dort sah er Zattig und Rule, die auch gefesselt waren.

„Wir sind wieder alle beieinander, und diesmal fehlt wirklich keiner“, meinte der Rancher.

„Sie vergessen, dass wir noch einen Rancher und eine Mannschaft haben!“, stieß Dave hitzig hervor.

Tetley wischte die Worte mit einer großartigen Geste aus der Luft.

„Hören Sie damit auf“, brummte er. „In Duncan gibt es keinen Gefangenen mehr und auch kein Barmädchen, das meinen Sohn mit Gewalt heiraten will. Mit anderen Worten, es gibt keine Zeugen mehr.“

„Sie können uns spurlos verschwinden lassen“, sagte Jay, als alle schwiegen. „Aber diesmal sollten Sie vielleicht bei Ihren Leuten bleiben, damit Ihre Befehle auch wirklich ausgeführt werden.“

Tobe Tetley fluchte verbissen und wandte sich nach seinen Leuten um, die in einem Halbkreis hinter ihm standen. Sie blickten ihn starr an und zeigten kein Zeichen von Ablehnung oder Zustimmung.

Tetley schaute Jay wieder an.

„Sie hatten mir keine Wahl gelassen“, sagte er. „Sie haben mich sogar gereizt, bis mein Blut kochte. Ich schicke einen Mann nicht in den Tod, wenn er es nicht verdient hat.“

„Dann muss ich es ja wohl verdient haben, Tetley“, gab Jay Durango zurück.

„Sie können mich noch einmal reizen, bis ich blindlings einen Befehl gebe.“

„Es war nicht blindlings, Tetley. Aber Sie brauchen sich nicht bei mir zu entschuldigen. Ich weiß, dass Sie die Verbrecher decken. Aber das auch nur deswegen, weil zufällig Ihr Sohn zu ihnen gehört.“

„Meine Leute wissen, um was es geht“, meinte der Rancher und schob die schwarze Zigarre wieder in den Mundwinkel. „Sparen Sie sich jedes weitere Wort darüber.“

Jay Durango blickte die Cowboys an. Sie schienen es wirklich bis in die letzte Einzelheit zu wissen, und das begriff er nicht.

„Werft sie auf die Pferde!“, kommandierte der Rancher. „Wir reiten zurück. Auf der Ranch sehen wir weiter. Hoffentlich wissen Sie nun, dass nirgends noch ein Trumpf auf Sie wartet, Durango!“

Die Männer kamen um den Rancher herum. Ein grober, bullig aussehender Reiter hob Jay Durango hoch und warf ihn quer über den Sattel eines Pferdes. Jay merkte, wie er festgebunden wurde. Unter sich sah er den Boden und einmal die Stiefelspitze eines Cowboys. Dann wehte ihm Staub entgegen.

„Fertig?“, fragte Tobe Tetley nach ein paar Minuten.

„Fertig“, erwiderte jemand.

„Dann vorwärts!“

Einer der Männer trieb das Pferd, auf dem Jay Durango lag, an. Unter ihm wanderte der gebleichte Sandboden dahin. Staub wallte ihm in immer dickeren Wolken entgegen und brannte mit dem Schweiß auf seiner Haut. In seinen Nacken und auf den Kopf, auf dem er keinen Hut mehr hatte, stachen die Sonnenstrahlen.

„Schneller!“, schrie der Rancher. „Wir wollen heute noch ankommen!“

Das Pferd fiel in eine schnellere Gangart. Jay Durango flog auf dem Sattel hin und her. Übelkeit packte ihn. Er biss die Zähne zusammen, um stärker als der Schmerz sein zu können. Den anderen konnte es nicht bessergehen.

„Ihr Schweine!“, schrie Clint Rule. „Ihr ...“ Der Rest seines Rufes ging in einem Röcheln unter.

„Willst du etwas?“, rief Tobe Tetley. „Da!“ - das scharfe Klatschen einer Peitsche erreichte Jays Ohren.

Clint Rule stieß einen Schrei aus.

„Schneller!“, rief der Rancher.

*

Es war Spätnachmittag, als die Pferde stehenblieben. Jay Durango war nur noch halb bei Bewusstsein.

„Nun, mein Sohn, wie fühlst du dich?“, schrie der Rancher. „Clint und Jared werden dir jetzt Gesellschaft leisten!“

Jay wollte den Kopf heben, aber es gelang ihm nicht. Doch er merkte, wie das Hämmern des Blutes in seinen Schläfen abzuklingen begann.

„Los, Zattig und Rule an den Holm!“, brüllte der Rancher.

„Nein – nicht!“, schrie Zattig aus Leibeskräften. „Boss, das darfst du nicht tun!“

„Halt die Schnauze!“

„Dazu hast du kein Recht!“, rief Jared Zattig. „Verdammt, warum helft ihr ihm! Lasst mich los! Ihr sollt mich loslassen!“

Ein scharfes Peitschenknallen, und Jared Zattigs gepeinigter Schrei, der in einem erstickten Wimmern unterging.

„Weiter, an den Holm mit ihm!“, befahl die schneidende Stimme Tetleys.

Von Zattig war nur noch ein Wimmern zu hören.

Jay Durango wusste, dass sie den Ranchhof erreicht haben mussten. Alles war umsonst gewesen, und nun hatte er auch Dave in die tödliche Falle verstrickt.

„Bindet Durango und Harmon los. Aber nicht die Handfesseln!“

Stiefel und die verstaubte Hose eines Mannes tauchten in Jays Blickfeld auf. Er hörte, wie ein Messer seine Fesseln zertrennte. Dann wurde ihm gegen den Kopf gedrückt, und er rutschte vom blanken Sattel des Pferdes. Mit den Beinen kam er auf dem Boden auf, taumelte und konnte sich nicht halten, weil seine Füße noch aneinandergebunden waren. Er fiel rückwärts, konnte den Sturz aber mit der Schulter abfangen, ehe sein Kopf auf den harten Boden fiel. So liegend sah er zwischen den Pferden hindurch den Zügelholm vor der Veranda des Hauses.

Dort hatte er das erste mal gehalten und den Rancher gesehen. Und dort stand jetzt Sean im zerfetzten Hemd, mit beiden Händen nach hinten an die blanke Stange gebunden.

Zattig, der neben ihm geschleppt worden war, wurde gerade angebunden.

Die Cowboys traten zurück.

„Nun Rule!“, befahl der Rancher, den Jay Durango nicht sehen konnte.

Es dauerte eine Weile, bis zwei Männer mit Rule kamen. Der Bandit wehrte sich verzweifelt und versuchte, seine Arme aus den Griffen der beiden zu befreien. Aber es gelang ihm nicht. Sie schleppten ihn an den Holm auf Seans anderer Seite. Ein dritter brachte Rohlederriemen, und Clint Rule wurde angebunden. Er versuchte, nach den Cowboys zu treten, und als er einen von ihnen traf, schmetterte der ihm die Faust ins Gesicht, dass Rules ganzer Oberkörper über den Holm nach rückwärts geworfen wurde.

„Das machst du nicht noch mal!“, zischte der Mann und trat zurück.

Die anderen ließen nun ebenfalls von den drei Gefesselten ab und traten auseinander.

Da tauchte der Rancher in Jays Blickfeld auf. Breitbeinig und wuchtig stand er vor seinen Gefangenen und schien seinen Sohn anzustarren. Doch dann wandte er sich jäh um und funkelte Jay Durango an.

„Ich will, dass nur noch seine Hände gefesselt sind!“, schrie er.

Zwei Männer schoben Jays Pferd zurück und hoben ihn dann auf. Einer zerschnitt Jay Durango die Fußfesseln. Sie ließen von ihm ab und zerrten Dave vom Pferd, um ihn neben Jay zu schieben.

„Nat, die Peitsche!“, rief der Rancher.

Jay Durango sah an Tetley vorbei dessen Sohn. Seans Gesicht war verschwollen und voll von blutunterlaufenen Flecken. Dunkle Schmarren zogen sich über seine Brust, die unter dem zerfetzten Hemd teilweise freilag.

„Du brauchst uns nicht vorzuführen, wie grausam du mit deinem eigenen Sohn sein kannst“, sagte Jay verächtlich und ganz bewusst so vertraulich, wie sie hier alle miteinander sprachen.

Nat Brock, der die Peitsche geholt hatte, blieb unentschlossen stehen.

„Sagt es dir nichts?“, knurrte der Rancher an Jay Durango gewandt.

Der schüttelte den Kopf.

„Gar nichts, Tetley. Es kann keine Gerechtigkeit ersetzen. Du kannst ihn prügeln, bis er tot ist, und dann hast du einen Verbrecher ermordet.“

„Durango, du bist verrückt!“, zischte Tobe Tetley.

Jay Durango schwieg.

Tetley blickte Nat Brock an, dann griff er sichtlich unentschlossen nach der Peitsche, die der ihm entgegenstreckte. Er wandte sich um.

„Nein!“, schrie Mandy Bacon. „Sean, bitte ihn, es nicht zu tun!“

Tetley hatte sich zurückgedreht.

„Er hörte nur auf sich selbst“, sagte Sean. „Er hat nie eine andere Stimme gelten lassen. Halte dir die Ohren zu und schließe die Augen, Mandy.“

Tobe Tetley fluchte, wirbelte herum und schlug zu. Das Mädchen schrie gellender als Sean, dessen Oberkörper über den Holm geschleudert wurde. Tetley hob die Peitsche und schlug wieder zu.

„Nein!“, rief das Mädchen. „Tut doch etwas! Steht doch nicht herum und seht zu, wie er ihn totschlägt!“

Die Männer schwiegen verbissen.

Tetley hob wie von Sinnen die Peitsche und schlug wieder auf Sean ein, bis der in die Knie brach und nur von seinen nach hinten gestreckten Armen gehalten wurde.

Rule und Zattig waren schneeweiß in den spitzen Gesichtern, in denen die Augen unnatürlich tief in den schwarzgeränderten Höhlen lagen.

Sean brüllte, als wäre ein Messer in seine Brust gefahren. Die langen Strahlen der im Westen stehenden Sonne ließen das frische Blut auf seinem Rücken glitzern.

„Willst du das noch einmal tun?“, schrie der Rancher.

„Nein!“, brüllte Sean aus Leibeskräften.

Tetley ließ die Peitsche fallen, drehte sich steif und kam auf Jay Durango zu.

Vor ihm blieb er stehen. Sein Gesicht war grau wie Asche. Schweiß schimmerte auf seiner Stirn.

„Haben Sie es gehört?“, fragte er steif. „Er wird es nie wieder tun. Ich werde dafür sorgen, solange ich lebe.“

„Und wenn Sie tot sind?“, fragte Dave. „Keiner hat das ewige Leben, Tetley.“

Tobe Tetley fuhr scharf zu Dave Harmon herum.

„Geht es Sie jungen Specht auch etwas an?“, knurrte er gereizt und nur mühsam beherrscht.

„Es geht ihn an“, sagte Jay Durango kühl. „Aber es geht nicht danach, wie lange Sie leben, Tetley, und was später sein wird. Gerechtigkeit lässt sich nicht aufschieben und nicht aufheben. Wenn Ihr Sohn sich auf diese Art der Verantwortung entziehen könnte, dann müssten es tausend andere Männer auf tausend andere Arten auch können.“

„Sie wollen nicht, Durango.“ Es arbeitete wild im Gesicht des Ranchers. „Hoffentlich wissen Sie wenigstens, dass es die letzte Chance war, die ich Ihnen geben kann.“

Jay Durango presste die Lippen, auf denen ihm der Staub brannte, zusammen.

„Sechs Mann umstellen die Ranch“, befahl der Rancher. „Nat, du teilst die Wachen ein. Wer die Ranch verlassen will, wird angerufen. Wer nicht antwortet, wird erschossen.“

„In Ordnung, Boss“, knurrte Nat Brock mit einem Seitenblick auf die beiden Rancho Bravo-Männer. Dann wandte er sich ab und rief sechs Namen. „Mitkommen!“

Jay sah ihn mit den Männern zum Bunkhaus gehen.

„Jago, bring sie ins Haus“, kommandierte Tetley an Kidd gewandt.

„Du musst sie töten!“, schrie Sean. „Sonst entkommen sie dir vielleicht noch einmal.“

Tetley ging zu seinem Sohn hinüber und zerrte ihn in die Höhe.

„So bleibst du stehen!“, befahl er. „Es hat sich nichts geändert, du kleiner, schmutziger Verbrecher!“

Jago Kidd hatte Jay Durango am Arm gepackt und stieß ihn auf das Haus zu. Als Jay Durango an Sean vorbei musste, spuckte der nach ihm. Dafür schlug ihm der Rancher ins Gesicht, dass er wieder halb über den Zügelholm geworfen wurde.

Jay Durango stieg die Verandatreppe hinauf.

„Das Weib auch!“, schrie der Rancher im Hof. Und dann: „Hör mir gut zu, Sean: so wie er ist, so sind die Männer, die zum Salz dieser Erde gehören. So wärst du geworden, wenn es nach meinem Willen gegangen wäre. Aber du bist ein schmutziger kleiner Aasgeier geworden; das letzte Stück Dreck in Texas.“

„Du wirst mir trotzdem helfen!“, stieß Sean keuchend hervor.

„Ich kann mein Blut nicht unter den Galgen stellen. Ich kann es nicht!“

Jay Durango wurde von Jago Kidd durch die Tür gestoßen und in die Wohnhalle geführt. Hier hatte der erste dramatische Kampf zwischen ihnen stattgefunden. Hier hatte er verspielt, und hier würde nun vielleicht alles zu Ende gehen.

„Von mir aus, setz dich“, brummte der Mann. „Wenn du versuchst, die Fesseln zu lockern, binde ich dir die Hände auf den Rücken. Es wird dann ungemütlicher.“

Jay Durango setzte sich in einen Ledersessel und blickte Dave entgegen, der durch die Tür gestoßen wurde und stehenblieb.

„Dorthin“, kommandierte Jago und zeigte zu einem anderen Sessel.

Dave folgte dem Wink.

Da kam Mandy Bacon herein. Der Mann, der sie geführt hatte, stieß sie bis zum Tisch, über den sie mit einem spitzen Schrei fiel.

„Setz dich, und die Schnauze gehalten“, befahl Jago Kidd. „Das dicke Ende kommt auch für dich erst noch.“

Mandy richtete sich auf und ging zu dem Sofa auf der linken Seite neben den hohen spanischen Fenstern. Sie setzte sich darauf und vergrub das Gesicht in den Händen. Mandy Bacon war nicht gefesselt.

*

Die Dunkelheit kroch in die große Wohnhalle herein. Es wurde schnell kühler.

Tobe Tetley lief mit klingelnden Sporen und auf dem Rücken verschränkten Händen hin und her. Jay sah, dass Dave stets dann, wenn Tetley ihm den Rücken zukehrte, die Fesseln zu lockern versuchte.

Mandy Bacon schluchzte leise.

Da blieb Tetley vor ihr stehen.

„Hör auf, Weib verdammtes!“, schrie er sie an. „Hör auf, ich kann es nicht mehr hören!“

Mandy Bacon wischte sich die Tränen mit dem Handrücken auf den Wangen mit dem Schmutz breit.

„Lassen Sie mich gehen“, bat sie flehend. „Ich werde aus Texas verschwinden. Ich fahre tausend Meilen weit nach Norden und werde keinem Menschen sagen, was ich erlebt habe. Sie sehen mich nie wieder.“

Tetley, der sich schon abgewandt hatte, fuhr herum.

„Das könnte dir so passen“, sagte er barsch. „Eigentlich gehörst du mit an den Zügelholm gebunden.“

Erschrocken ließ das Barmädchen die Hände sinken.

„Was - was haben Sie mit mir vor?“

„Du kommst nicht davon. Keiner kommt davon.“ Tetley ging weiter und blieb vor Jay Durango stehen. „Zehntausend Dollar“, sagte er gepresst. „Ist das wirklich kein Angebot?“

Jay schwieg verbissen.

Tetley ging zu Dave weiter.

„Zehntausend.“

„Hören Sie auf, oder ich spucke Ihnen ins Gesicht“, sagte Dave flüsternd und mit fast geschlossenen Augen. „Ich kann Sie nicht mehr sehen, Tetley.“

Der Rancher riss Dave den Kopf in die Höhe und schlug ihm die Linke ins Gesicht. Dave wurde in den Ledersessel zurückgeworfen. Mandy Bacon schrie auf, als wäre sie geschlagen worden. Ihr Gesicht sah jetzt aus, als wäre die Haut aus Glas.

Tetley trat zurück und rieb über seinen Handrücken.

„Mehr kann ich euch nicht bieten“, sagte er. „Sean bekommt ihr nicht. Wenn wir noch einmal in die Wüste reiten, dann werde ich dabei sein.“ Tobe Tetley blickte von Dave auf Jay Durango.

Jay lächelte ihn verächtlich zu.

„Dazu fehlt Ihnen der Mut“, gab er zurück. „Alle Ihre Reiter würden dann wissen, dass Sie ein kleiner, gemeiner Verbrecher sind - genau wie Sean. Und das wagen Sie nicht, Tetley.“

Schleichend wie ein Raubtier kam Tetley auf Jay Durango zu und blieb vor ihm stehen.

„Ihr müsst doch wissen, dass ich mir euch vom Hals schaffe - irgendwie!“

„In den Büschen hätten Ihre Reiter schießen müssen“, sagte Dave. „Nicht auf mein Pferd, Tetley. Sie hatten den falschen Befehl gegeben, und Sie hätten das wissen müssen.“

„Er hat es auch gewusst“, erklärte Jay. „Aber die Hoffnung, es mit uns doch noch mit Geld abmachen zu können, ließ ihn nicht los.“

„Ja“, gab der Rancher zu. „Das ist die Wahrheit. Ich habe räuberische Indianer und Viehdiebe aufhängen lassen, ohne darüber nachzudenken, Durango. Aber jetzt ist alles anders. Gut, fünfzehntausend Dollar!“

Jay schwieg.

Tetley blickte Dave an.

Der hielt die gefesselten Hände vor und sagte: „Schneiden Sie mir die Fesseln durch, Tetley, dann bekommen Sie meine Antwort ins Gesicht geschrieben.“

Tetley ging rückwärts. Wut und Hass entstellten sein Gesicht. Aber auch der Zwiespalt, in dem sich der machtbesessene, steinreiche Mann befand, war ihm anzusehen.

In der Tür tauchte ein Cowboy auf. Tetley wandte sich um.

„Was ist?“

„Sean hat das Bewusstsein verloren, Boss. Der Hunger und der Durst ... Er hat nichts bekommen.“

„Bringt ihn herein und werft ihn auf das Sofa. Aber schneidet ihm die Stricke nicht durch.“

„Ja, Boss.“ Der Cowboy wandte sich ab und verschwand. Im Flur auf den dicken, kostbaren Teppichen verklangen seine Schritte und das Rasseln seiner großen Sternsporenräder.

„Jemand soll das Feuer anzünden!“, schrie Tetley ihm nach. „Es wird kalt!“

*

Der zuckende Lichtschein ließ Licht und Schatten an den mit Tapeten verkleideten Wänden auf und nieder springen.

Sean wälzte sich auf dem Sofa auf die Seite und starrte Jay Durango hassglühend an. Das Feuer ließ Funken in seinen schwarzen Augen tanzen.

Tobe Tetley stand neben dem Kamin, einen Arm auf den Sims gestützt, die andere Hand auf dem Kolben des Colts liegend.

Mandy Bacon schluchzte leise. Die Tränenbäche auf ihren Wangen schimmerten wie Silber.

„Wann willst du sie endlich mundtot machen?“, schrie Sean seinem Vater zu. „Sie wollen kein Geld. Sie wollen mein Leben. Und sie werden nie Ruhe geben, solange sie am Leben sind. Hörst du nicht!“

Jay Durango blickte hinaus. Die Nacht hatte sich über das Land gesenkt, und der Schuppen, den er vor Minuten noch gesehen hatte, war nur noch zu ahnen.

„Warum antwortest du nicht?“, schrie Sean seinen Vater an.

Der Rancher nahm den Arm vom Kaminsims und ging zum Fenster, durch das aus der Wüste kommende Nachtkälte in den Raum floss. Er schloss das Fenster. Die großen Scheiben klirrten leise.

„Es ist heiß“, murmelte das Barmädchen. „Warum lassen Sie das Fenster nicht offen?“

Tobe Tetley gab auch ihr keine Antwort. Die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, ging er zum Kamin zurück und nahm die alte Stellung ein.

Seans Kopf sank auf das Sofa zurück.

Jay Durango merkte, dass der Rancher ihn anschaute, aber genau sehen konnte er es nicht. Er blickte zum Fenster zurück, sah draußen die Finsternis, in der irgendwo die schwerbewaffneten Reiter standen, die schießen würden, wenn er oder Dave zu fliehen versuchten. Und dort draußen, an den Zügelholm gebunden, standen auch die beiden anderen Banditen, die Tobe Tetley, ob es ihm passte oder nicht, so wie seinen Sohn behandeln musste.

Minute reihte sich an Minute. Eine Viertelstunde verging. Dann hob Sean wieder den Kopf.

„Wenn du Angst hast, dann gib mir deinen Revolver“, sagte er drängend. „Ich werde sie erledigen. Hörst du? Ich werde es erledigen!“

Jay Durango sah den Rancher vor das Kaminfeuer treten und auf seinen Sohn zugehen.

„Hat noch etwas in deinem Schädel Platz?“, schrie Tobe Tetley. „Antworte mir! Hat in deinem Schädel noch etwas anderes Platz?“

Seans Kopf sank zurück.

Tobe Tetley riss seinen Sohn am Hemd in die Höhe und stellte ihn vor dem Sofa auf die Beine.

„Ich habe dich etwas gefragt!“, stieß er gepresst hervor. „Was hat sonst noch in deinem Schädel Platz?“

Sean gab keine Antwort. Riesige Angst vor dem gewalttätigen Mann schien ihn wieder gepackt zu haben. Sein Vater schüttelte ihn.

„Antworte!“, schrie er wie von Sinnen.

Jay Durango sah aus den Augenwinkeln, wie Dave wieder versuchte, die Fesseln an seinen Handgelenken zu lockern. Vielleicht hatte der Schweiß die Rohlederriemen inzwischen völlig durchnässt, und es gelang Dave, sie wirklich zu strecken.

„Du sollst antworten!“, schrie der Rancher.

„Einer muss es tun“, würgte Sean über die Lippen. „Ich bin dazu bereit.“ Seine Stimme wurde fester. „Du brauchst mir nur den Revolver zu geben.“

Tobe Tetley schmetterte seinem Sohn die Faust ins Gesicht und ließ sein Hemd los.

Mit einem Schrei stürzte Sean auf das Sofa zurück.

Die Tür wurde aufgerissen. Ein Cowboy, der eine Lampe in der Hand hielt, stand auf der Schwelle.

„Ist etwas, Boss?“, fragte der Mann leise und offenbar sehr zögernd.

„Nichts. Du kannst wieder gehen. Halt! Stelle die Lampe auf den Tisch!“

Der Cowboy kam ganz herein und warf einen Blick auf Sean, der offenbar wieder das Bewusstsein verloren hatte. Dann stellte er die Lampe auf den Tisch.

Tobe Tetley zerrte so wild an seinem Hemdkragen, dass der Knopf abplatzte.

„Es ist heiß“, sagte er plötzlich. „Öffne das Fenster wieder - und dann verschwinde.“

Der Cowboy öffnete das Fenster, ging hinaus und schloss die Tür leise. Sein Schritt entfernte sich.

Tetley ging zu seinem Sohn und schüttelte ihn. Sean gab kein Lebenszeichen von sich. Da wandte sich Tobe Tetley ab und kam auf Jay Durango zu. Er blieb vor ihm stehen und beugte sich so weit nieder, dass sein heißer Atem Jay Durangos Gesicht streifte.

„Ich könnte ihn dafür totschlagen, Durango! Mit meinen eigenen Händen! Verstehen Sie das?“

Jay gab keine Antwort.

„Sie wollen mich nicht verstehen. Sie haben behauptet, dass Sie Vormann auf Rancho Bravo sind. Dann wissen Sie auch, was es bedeutet, so etwas aufzubauen.“

„Die Ranch wurde von Tom Calhoun aufgebaut“, erwiderte Jay Durango. „Und er hat zwei Söhne.“

„Stellen Sie sich vor, er hätte plötzlich feststellen müssen, es wäre alles umsonst gewesen, weil seine Söhne Halunken sind. Was hätte er dann getan?“

Jay blickte dem Rancher ins Gesicht. „Ich glaube nicht, dass er die Männer, die gekommen wären, um Gerechtigkeit zu verlangen, in die Wüste gebracht hätte, um sie der gnadenlosen Natur zu überantworten.“

Tobe Tetley richtete sich heftig auf.

„Ich verstehe nicht, warum Sie solange reden“, mischte sich Dave ein. „Es wird sich Ihnen keine dritte Lösung anbieten. Sie können tun, was Sie vorgestern schon einmal tun wollten und wobei Ihre Leute die Nerven verloren haben. Diesmal müssten Sie es selbst tun. Oder Sie könnten Sean schicken. Er würde den Befehl bestimmt ausführen. Oder aber Sie übergeben ihn dem Richter.“

„Ich halte das nicht mehr aus“, stöhnte das Barmädchen und griff sich nach den Schläfen. „Hört ihr! Ich halte das nicht länger aus!“

Tetley wandte sich um und ging auf sie zu. Er zog sie aus dem Sessel, in dem sie gesessen hatte und sagte: „Du bist an allem schuld. Vielleicht hast du den Spieler sogar auf Sean gehetzt, damit er auf deinen Plan eingehen muss. Damit du ihn in die Hand bekommst. Damit er dich heiratet und du dich hierher setzen und kommandieren kannst!“

„Das ist nicht wahr! Als ich ihn in San Angel sah, hatte er bereits alles verspielt.“

Tetley stieß sie in den Sessel zurück. Das Mädchen schrie erschrocken auf. In ihrem Gesicht stand nackte Angst, die ihre Augen groß und dunkel gemacht hatte.

„Du bist schuld“, wandte Jay Durango ein, als der Rancher den Kopf drehte. „Der Richter wird sie auch alle verurteilen, wenn sie vor ihm stehen. Nicht nur Sean, Tetley. Er wird sie alle verurteilen, und jeder von ihnen würde bekommen, was er verdient hat.“

Tobe Tetley kam zu Jay zurück.

„Sean wird er nie verurteilen!“, stieß er hervor. „Eher würde ich dem Jungen eine Kugel in den Kopf schießen. In San Angelo wird niemals ein Tetley vor Gericht stehen. Haben Sie das jetzt begriffen, Durango?“

„Sie brauchen nicht so laut zu schreien, Tetley“, sagte Dave scharf. „Aber denken Sie an das, was ich schon einmal sagte. Wir haben einen entschlossenen Rancher und eine starke Mannschaft. Vielleicht sind die Rinder, die Ihr Sohn und seine Kumpane in Stampede versetzten, inzwischen gesammelt und Tom Calhoun ist mit den Männern schon auf dem Weg hierher.“

„Wollen Sie mir Angst machen? Vielleicht würde ich froh sein, wenn eine Mannschaft kommt und meine Ranch unter Feuer nimmt. Vielleicht würde später, wenn sich der Pulverrauch verzogen hat, alles vergessen sein.“

Dave lehnte sich zurück.

„Ich hoffe, unsere Mannschaft wird nicht kommen“, sagte Jay leise. „Denn auch auf Ihrer Seite würden Männer sterben, die anders denken als Sie, Tetley.“

„Anders als ich?“

„Natürlich. Denken Sie, die Männer billigen Ihre schmutzigen Pläne?“

Der Rancher stieß einen Fluch aus und schlug Jay Durango ins Gesicht. Jays Kopf wurde zurückgeworfen. Einen Moment sah es so aus, als wollte Tobe Tetley sich auf ihn stürzen, dann trat er zurück.

„Ich habe die besten Pferde gezüchtet, die es in Texas gibt“, sagte er leise und wie ernüchtert. „Ich habe die meisten Rinder hier an der Grenze. Ich habe es möglich gemacht, dass hier am Nueces River Menschen leben und ganze Städte entstehen konnten. Ich, Durango, habe das alles gemacht, und alles ist mir gelungen. Aber bei Sean ...“Er brach ab und schüttelte den Kopf, als könnte er es nicht begreifen.

„Aber eines Tages wird er so sein, wie er sein soll“, fuhr er nach einer Weile leiser fort. „Dann wird niemand mehr von dem reden, was einmal gewesen ist. Dann wird er durch harte Arbeit und gute Taten für die Menschen hier an der Grenze gut gemacht haben, was er als junger Mensch falsch machte.“

Tobe Tetley wartete ein paar Sekunden und blickte von dem schweigenden Jay auf Dave Harmon. Als der auch nichts sagte, ging der Rancher rückwärts zum Kamin.

Draußen am Ende des Hofes erschallte ein Ruf. Dann näherte sich Hufschlag, der im Hof vor dem offenen Fenster verklang.

Tetley bewegte sich nicht.

Im Flur erklangen Schritte. Jemand schlug mit dem Handknöchel gegen die Tür.

„Ja“, sagte der Rancher müde.

Die Tür öffnete sich. Ein verstaubter Reiter kam in die Wohnhalle.

„Und, wie sieht es aus in Duncan?“, fragte Tobe Tetley.

„Wie immer, Boss. Die Leute sind ruhig. Ich war eine ganze Stunde im Saloon. Sie haben kein Wort über die Sache verloren.“

„Waren viele Männer im Saloon?“

„Ungefähr ein Dutzend, Boss.“

„Es ist gut.“

Der Mann blickte Jay Durango, dann Dave und schließlich Sean an, der immer noch ohne Bewusstsein war. Es schien die völlige Entkräftung zu sein, die ihn nicht wieder zu sich kommen ließ.

„Es ist gut“, sagte Tobe Tetley noch einmal.

Da wandte sich der Reiter ab, ging hinaus und schloss die Tür hinter sich.

Tetley kam wieder auf Jay Durango zu.

„Sie haben es gehört“, knurrte er. „Die Leute werden die Sache schlucken. Sie wissen, dass es diese Ranch ist, die ihnen Arbeit und Schutz vor den mörderischen Indianerbanden bietet. Ich werde nicht ewig leben. Aber die Stadt wird wachsen. Sie wird noch lange Schutz und Arbeit brauchen - Schutz und Arbeit von dieser Ranch, Durango! Wollen Sie das alles vernichten, nur um den Angriff auf ein paar Cowboys zu rächen? Es waren doch nur Satteltramps.“

Jay Durango stand mit einem so jähen Ruck, dass der Rancher zurückwich. Er holte mit den gefesselten Händen kurz aus und schlug zu. Sein wilder Hieb traf den Rancher gegen die Stirn und warf ihn gegen den Tisch. Die Lampe schwankte.

Heftig sprang die Tür auf. Jay Durango, der sich vorwärts werfen wollte, blieb stehen.

Auf der Türschwelle stand ein Cowboy, der eine Winchester auf ihn angeschlagen hatte.

„Für mich sind alle Menschen gleich, wenn sie keine Banditen sind!“, rief Jay.

Tetley stellte sich gerade. Der Cowboy kam weiter in die Wohnhalle herein. Hinter ihm folgten zwei andere, die Colts in den Händen hatten.

„Schlagt ihn zusammen!“, schrie Tetley.

Jay sah die Männer auf sich zukommen. Der erste ließ das Gewehr einfach fallen und sprang ihn an. Aber Jay sprang zur Seite und der Mann flog auf den leeren Sessel. Da waren die beiden anderen heran und schlugen von zwei Seiten gleichzeitig zu. Jay konnte mit den gefesselten Händen nicht viel machen. Einen der Kerle traf er gegen den Hals. Der Mann wurde zu Dave, der aufgesprungen war, hinübergeschleudert.

Dave trat den Cowboy in den Leib. Brüllend rannte der Mann rückwärts und wurde von Tetley aufgefangen und vorwärtsgestoßen. Da schlug der andere Jay Durango die Handkante in den Nacken.

Jay stolperte vorwärts, spürte, wie ihn ein zweiter Schlag traf, und fiel. Der Teppich, auf dem er landete, milderte den Aufprall. So liegend hörte er ein hartes Klatschen, dem Daves Fluch folgte.

„Ist es genug?“, schrie der Rancher.

Jay hörte Dave, der offenbar gemeint war, nicht mehr.

„Ich halte das nicht mehr aus!“, rief das Mädchen.

„Los, hebt ihn hoch!“, kommandierte der Rancher.

Jay bemerkte die Hand, die ihn packte und aufhob. Er wurde auf die Füße gestellt. Zwei Mann waren vor ihm, die ihn zurückstießen, dass er in den Sessel fiel. Der dritte stand zwischen ihm und Dave, ging jetzt zu seinem Gewehr und hob es auf.

„Raus“, knurrte Tobe Tetley.

Die drei Männer verschwanden.

Jay blickte zu Sean hinüber, der sich immer noch nicht bewegte. Vielleicht war er aus der Ohnmacht in tiefen Schlaf gefallen.

Tetley rieb sich über die Stirn. Vielleicht begann er zu begreifen, dass sich auf diese Art nichts an der entstandenen Lage ändern konnte. Er ging zur Tür, die die Cowboys offengelassen hatten und blickte in den Flur hinaus. Dann trat er über die Schwelle. Seine Gestalt verschwand.

Mandy Bacon stand auf, als würde sie in die Höhe gezogen. Ihr Kopf drehte sich. Sie starrte das offene Fenster an. Dann plötzlich rannte sie darauf zu und flankte über das Fensterbrett hinweg.

Jay sprang auf. Er sah das Barmädchen auf der Veranda, davor den Zügelholm und die beiden angebundenen Männer. Und neben Zattig und Rule das gesattelte Pferd des Reiters, der aus Duncan gekommen war.

Unwahrscheinlich flink sprang das Mädchen über die Verandabrüstung und in den Sattel des Pferdes, das sie mit einem Schrei herumlenkte.

„Das Mädchen!“, schrie im Hof eine Stimme.

„Halt!“

Mandy Bacon donnerte vor einer Staubwolke über den Hof und wurde von der Dunkelheit verschluckt.

Vor dem Haus fiel ein Schuss.

Dann rief hinter dem Hof eine Stimme, die aber im trommelnden Hufschlag unterging. Dann fielen Schüsse. Jay Durango sah die orangeroten Blitze vom Ende des Hofes durch die Nacht zucken. Ein gellender Schrei brandete über den Hof und schien vom Haus abzuprallen.

Plötzlich trat Stille ein. Männer mit Lampen hasteten über den Hof.

Jay Durango ging zum Fenster. Er hörte, dass Dave ihm folgte.

*

Dort wo die Cowboys mit Lampen und Pechfackeln einen Kreis bildeten, lag Mandy Bacon auf der Erde und bewegte sich nicht mehr. Der Rancher stand zwischen den Männern und schüttelte den Kopf, als wäre etwas geschehen, was er nicht begreifen könnte.

„Sie scheint tot zu sein“, sagte Dave leise. „Die Wachen müssen gedacht haben, einer von uns wäre es gewesen. Vielleicht wird Tetley nicht ungehalten darüber sein, wenn sich die Verwirrung erst einmal gelegt hat.“

Jay blickte den Rancho Bravo-Cowboy von der Seite an. Dave arbeitete immer noch an seinen Handfesseln. Sie waren allein. In der Aufregung musste man sie vergessen haben. Jay wandte sich um. Teilnahmslos wie zuvor lag Sean Tetley auf dem Sofa, die Augen geschlossen.

„Los“, raunte er Dave zu und lief zum Kamin. Auf dem Sims lag ein Messer. Ein paar Sekunden später war Dave frei und zerschnitt Jays Fesseln. Sie gingen zur Tür, die Jay als erster erreichte. Er legte die Hand auf die Klinke und drückte sie nieder.

Dave warf noch einen Blick auf den schlafenden Banditen und zögerte, als Jay schon in den Flur trat.

„Jetzt können wir ihn nicht mitnehmen“, murmelte Jay.

Dave folgte ihm und schloss die Tür. Im Flur war es stockdunkel. Sie liefen an der Wand entlang und kamen zu einer Tür. Jay öffnete sie. Dunkelheit gähnte ihnen entgegen. Auch hinter dem Fenster war nur ein fahler Schimmer Helligkeit zu erkennen.

„Die Rückseite des Hauses“, sagte Dave. „Vorwärts. Zu Pferden kommen wir hier kaum.“ Er wollte an Jay vorbei, aber der hielt ihn fest.

„Was noch?“

„Wir brauchen Waffen. Warte hier. Ich weiß, wo ich welche finden kann.“

„Gut.“ Dave lehnte sich an die Wand und lauschte. Es war auf der Ranch sehr still geworden. Dave Harmon hoffte, dass die Verwirrung länger anhalten würde.

Jay kam zurück, bevor eine Minute vergangen war. Er hatte zwei Patronengurte mit zwei Colts bei sich und hielt Dave einen davon entgegen.

„Vielleicht sollten wir Sean doch mitnehmen“, sagte Dave leise. „Wenn sie uns stellen, hätten wir ein Faustpfand.“

„Du meinst, wir könnten damit drohen, ihn zu erschießen?“, fragte Jay.

„Ist das so schlimm?“

„Tetley würde wissen, dass wir nur bluffen. Los, gehen wir!“

Jay schob ihn vor sich her zum Fenster. Dave öffnete es und flankte über den Sims hinweg in den Hof hinunter. Er duckte sich, den Revolver schussbereit in der Faust und blickte um sich, bereit zu schießen, wenn sich irgendwo etwas bewegen würde.

Aber es bewegte sich nichts. Dave stieß ein leises Zischen aus. Jay kam hinter ihm her.

Sie rannten nebeneinander über den kleinen Hinterhof, umgingen das Bunkhaus und sprangen über ein Gatter. Sie kamen durch einen verlassenen, völlig abgegrasten Korral, an dessen Ende das Gatter niedergerissen war. Nur ein Stück weiter standen die ersten Büsche, bei denen sie stehenblieben und zurückblickten. Sie konnten die Lampen und Fackeln sehen und die Schatten der Männer.

„Sie haben noch nichts gemerkt“, sagte Dave, fasste nach dem Arm Daves und zog ihn mit sich weiter. „Wenn wir Glück haben, brauchen sie auch eine Weile, bis sie Spuren finden.“

„Im Hinterhof finden sie keine“, erwiderte Jay. „Frühestens am Ende des alten Korrals.“

Er schob Dave in die Büsche hinein und folgte ihm.

*

Tobe Tetley blieb wie vom Blitz getroffen in der Wohnhalle stehen und starrte die leeren Sessel an. Auf dem Tisch neben der Lampe lag ein kleines Stück Rohlederriemen. Sean schlief immer noch.

„Nat!‘,‘ schrie der Rancher.

Im Flur waren Stimmen zu hören. Nat Brock tauchte in der Tür der Wohnhalle auf.

„Nein“, sagte er entgeistert. „Nein, das kann nicht wahr sein, Boss!“

Tetley ging zum Tisch, nahm den Riemen, ließ ihn durch die Finger gleiten und dann zu Boden fallen.

„Aber sie können noch nicht weit sein!“, stieß Nat Brock hervor. „Sie haben keine Pferde, und in den Stall konnten sie nicht. Auch nicht in den Korral, in dem die Pferde stehen.“

Auf der Türschwelle tauchte ein zweiter Mann auf, der mit einem Blick begriff, was geschehen war.

„Die beiden sind geflohen!“, schrie er in den Flur hinaus.

Sean bewegte sich unruhig, ohne die Augen zu öffnen.

„Nat, du bindest ihn so, dass er sich nicht bewegen kann“, befahl der Rancher. „Du und Jago, ihr bleibt hier. Alle anderen sollen ihre Pferde satteln.“

Nat Brock ging hinaus, indem er den Cowboy, der auf der Türschwelle stand, zurückschob.

Tetley ging zum Fenster und blickte in den Hof hinaus. Zwei seiner Leute trugen das tote Barmädchen hinter einen Schuppen. Draußen erschallte ein Befehl. Dann kam Nat Brock zurück und blieb abwartend stehen.

„Beerdigt das Mädchen“, sagte Tetley. „Ich möchte, dass von ihr nicht mehr gesprochen wird.“

„Ja, Boss.“

Tetley wandte sich nach dem Cowboy um.

„Aber behaltet eure Colts in den Händen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sie zurückkommen.“

„Sie sollen nur kommen.“ Nat Brock grinste böse. „Wir warten auf sie, Boss.“

„Nimm die Sache nicht zu leicht.“ Tetley ging an dem Cowboy vorbei. Als er in den Hof kam, führten die Cowboys ihre Pferde aus dem Korral, rollten die Lassos auf und hängten sie über die Pickettpfähle.

„Schneller!“, schrie Tobe Tetley.

Hastig warfen die Männer den Tieren die Sättel auf und schnallten sie fest.

Tetley stieg die Verandatreppe hinunter und stieg schwerfällig auf das Pferd, das ihm vorgeführt wurde. Er sah die erwartungsvollen und fragenden Gesichter seiner Männer.

„Wenn sie San Angelo erreichen können, ist diese Ranch am Ende“, sagte er. „Denkt daran, wenn ihr Spuren sucht. Und nun vorwärts, Männer!“

Die Cowboys zogen die Pferde herum und ritten über die Brücke, die den Bach am Rand des Hofes überspannte. Dumpf polterten die Hufe über die Bohlen. Tobe Tetley ritt als letzter. Lampen und Fackeln wurden angezündet.

Tobe Tetley hielt wieder an und gab ein Zeichen. Seine Reiter schwärmten aus, um Spuren zu suchen.

„Hier!“, schrie nach einer Weile ein Mann hinter dem Haus. „Hier sind sie gewesen! Sie sind gelaufen, Boss!“

Heftig riss der Rancher sein Pferd herum und galoppierte hinter dem Schuppen entlang auf den verlassenen, halb niedergerissenen Korral zu.

*

Jay Durango duckte sich tiefer in die Büsche, den Colt mit der Faust fest umspannt. Neben ihm lag Dave, der ebenfalls den Revolver in der Faust hatte. Sie schoben sich weiter rückwärts, als sie die sich nähernden Lichtflecke der Lampen und Fackeln und die dunklen, verschwommenen Schatten der Reiter sahen. Unter ihren Körpern klirrte das scharfkantige Geröll, das hier überall den Boden bedeckte und in dessen zahllosen Spalten die Büsche wucherten.

„Sie finden hier keine Spuren“, sagte Jay leise. „Und diesmal sind wir allein. Sie reiten sicher vorbei.“

„Denkst du?“

„Ja. Sie müssen annehmen, wir wären schon weiter. Vielleicht am Fluss. Er führt ein wenig Wasser.“

Die Reiter kamen näher. Jay Durango sah den Schweiß auf Daves Stirn und merkte, dass ihm selbst das Hemd auf dem Rücken festgeklebt war. Schon klirrte das Gestein unter den Hufen der Verfolger.

Da gab Tetley einen Befehl.

Die Kavalkade hielt an.

Dave hob den Revolver höher und zielte auf den Rancher. Vielleicht war die Entfernung nicht zu groß, ihn treffen zu können.

Aber Jay drückte den Colt herunter.

„Findet ihr noch Spuren?“, fragte der Rancher.

„Nichts mehr, Boss“, knurrte eine kratzige, belegt klingende Stimme.

Zwei Männer stiegen ab und beugten sich über den Boden.

Dave wollte weiter zurück, aber Jay Durango hielt ihn fest.

„Ein einziger Stein, der wegspringt, wird uns verraten“, flüsterte er kaum hörbar.

Daves gespannte Haltung lockerte sich. Der Schweiß rann ihm in die Augen, und er begann zu blinzeln, um die Hand nicht heben zu müssen.

Die beiden Männer suchten immer noch den Boden ab.

„Weiter! Aufsitzen!“, kommandierte da der Rancher. „Hier werden sie nicht angehalten haben. Hier sind sie zu leicht zu finden.“

Die beiden Männer stiegen auf und ritten weiter.

„Schneller!“, schrie der Rancher, dem das Blut zu kochen schien.

Die Kavalkade sprengte an dem Busch, unter dem die Brüder lagen, vorbei. Alkalistaub wehte Dave und Jay in die Gesichter und brannte in ihren Augen. Dann war der letzte vorbei und donnerte in die Bodenwelle hinunter.

Jay stand auf. Dave folgte sofort seinem Beispiel und entspannte den Hammer seines Revolvers.

„Jetzt dort hinüber!“, drängte Jay und begann zu rennen.

Dave holte ihn ein und hielt ihn fest.

„Warum kehren wir nicht um? Ich habe sie nicht zählen können, aber mehr als zwei oder drei Mann können nicht auf der Ranch sein.“

„Stimmt. Und dort unten ist die Ranch. Niemand weiß, wie weit Tetley noch reitet - weiter als man Schüsse hört oder nicht. Ich habe einen besseren Plan.“

„Was für einen?“

„Sie trieben damals die Herde fort, um uns von der Ranch zu locken. Erinnerst du dich daran?“

„Wieso sollte ich mich nicht daran erinnern?“, knurrte Dave aufgebracht.

„Wir könnten es genauso machen. Ehe sie uns hierher brachten, müssen wir an einem Korral vorbeigekommen sein.“

„An einem Korral mit Pferden“, meinte Dave.

„Ja, Tetley sprach mit einem Mann. Es klang, als wäre dort nur ein Wächter. Wir müssten natürlich Zeit vergehen lassen. Einen ganzen Tag. Dann könnten wir uns an die Pferde heranmachen. Dort finden wir vielleicht auch Sättel, zumindest den des Cowboys. Es ist dann alles einfach. Wenn wir ihn entkommen lassen, wird er zur Ranch laufen. So hast du es auch gemacht, Dave. Ich fiel auf den Trick herein. Wenn wir Glück haben, macht Tetley den gleichen Fehler.“

„Und weiter?“

„Du könntest wenigstens ein paar Pferde forttreiben. Ich halte mich auf dem Weg, den Tetley mit seinen Leuten nehmen muss, versteckt. Ich kann sie dann zählen. Und wenn ich zur Ranch komme, habe ich ein Pferd und ein Gewehr. Das Gewehr des Wächters. Jetzt haben wir nur Colts, und vielleicht wissen sie das sogar.“

„Gut.“

Sie rannten weiter so schnell sie konnten. In der Ferne sahen sie noch die suchende Ranchmannschaft mit ihren Fackeln und Lampen.

*

Im Morgengrauen verließ Jay Durango den Fluss. Das Wasser, das bis zu seinen Knien gereicht hatte, lief aus seiner Hose und von den Stiefeln.

Dave folgte ihm. Sie hatten den Rand der Wüste erreicht und sahen die Helligkeit, die ihnen entgegenkroch und Nebelschwaden aus dem Boden zauberte. Überall stand noch verkrüppeltes Buschwerk, so weit der Blick nach Süden reichte. Sie verschwanden dazwischen, überzeugt, ihre Spur gründlich verwischt zu haben. Dave taumelte hinter Jay her. Müdigkeit, Hunger und Durst quälten ihn, und seine Gedanken waren mehr bei dem Geld, das Jay in der Tasche hatte, als bei den Verfolgern, die sicher noch irgendwo nach ihnen suchten. Sie hatten sie während der Nacht noch zweimal in der Ferne gesehen.

Aber das Geld nützte ihnen nichts. Die einzige Stadt in der Nähe war Duncan. Aber selbst dorthin würden sie Stunden brauchen und sicher mehr als einmal von den Tetley-Reitern entdeckt und gestellt werden.

Sie brachen in die Büsche hinein. Dave blieb nach zweihundert Yards stehen und ließ sich zu Boden fallen.

Jay drehte sich nach ihm um und kniete sich dann auf den Boden, der hart und weiß war.

„Weiter zu gehen ist sinnlos“, stieß Dave ächzend hervor. „Wenn sie uns hier finden, dann finden sie uns auch zwei Meilen weiter im Süden. Wenn wir die Pferde an uns bringen, müssen wir am Abend den ganzen Weg zurück.“

Jay legte sich neben Dave und schloss die Augen. Es hatte auch keinen Sinn, wenn einer von ihnen wach blieb. Wenn sie hier gefunden wurden, waren sie so oder so verloren.

Jay Durango war schon am Einschlafen, als er das Wiehern eines Pferdes hörte.

Sie fuhren gleichzeitig in die Höhe, bogen das Geäst der trockenen Büsche auseinander und starrten zum Fluss, wo zwei Reiter hielten. Beide hatten Gewehre in den Händen, deren Kolben sie auf die Oberschenkel gestemmt hatten. Die beiden schienen zu ihm herüber zu starren.

Dave zog den Colt und spannte den Hammer.

„Wenn sie hierher kommen, haben wir gleich Pferde“, sagte er dunkel. „Vielleicht haben sie sogar Proviant in den Satteltaschen. Hast du auch solchen Hunger?“

„Was dachtest du denn?“, knurrte Jay und drehte die Trommel seines Colts durch.

Die beiden Reiter verharrten, als wäre kein Leben mehr in ihnen. Dann beugte sich der eine schließlich aus dem Sattel und schien auf dem Boden nach Spuren zu suchen.

„Wenn sie fünfzig Yards weiter nach Osten reiten, sehen sie das Wasser am Ufer, das aus unseren Hosen gelaufen ist.“ Dave blickte Jay an. „Vielleicht kehren sie dann um und holen die anderen.“

Jay richtete sich etwas auf.

Der Reiter setzte sich wieder gerade und blickte den anderen an. Sie schienen miteinander zu sprechen. Dann wandten beide die Pferde und ritten nach Westen.

Dave atmete auf und entspannte die Waffe.

Jay setzte sich und blickte den beiden nach. Er sah sie ins Bett des Gila River zurückreiten und konnte dann nur noch ihre Köpfe und die flachen schwarzen Hüte, die sie trugen, sehen.

„Wenn wir Glück haben, kommen sie hierher nicht mehr zurück“, sagte er. „Ich glaube, Tetley nimmt an, wir wollten eine Stadt oder gar San Angelo zu erreichen versuchen. Er wird die Wege nach Duncan und anderen erreichbaren Orten kontrollieren.“

„Dann wird er in der kommenden Nacht aber nicht auf seiner Ranch sein.“

Jay schüttelte den Kopf.

„Wenn er uns am Nachmittag noch nicht hat, muss er wissen, dass wir noch in der Nähe oder durch seine Reihen geschlüpft sind. Dann wird er bestimmt umkehren.“

Dave legte sich nieder und schob den Colt in den Hosenbund.

Jay Durango sah die Hüte der beiden Tetley-Reiter verschwinden. Da ließ er das Geäst ganz los und legte sich ebenfalls.

„Wie weit mag es von den Pferden bis zur Ranch gewesen sein?“, fragte Dave, ohne sich zu bewegen.

„Vielleicht zwei Meilen. Mehr sicher nicht.“

„Wenn ich den Leithengst erwische, kommt die ganze Herde hinter mir her. Vorausgesetzt, es ist eine Herde.“

„Es wird sicher eine sein. Und der Wächter wird Proviant haben, Dave.“

*

Der Mann saß am Feuer und hatte den Pferden im Korral den Rücken zugekehrt.

Plötzlich drang Hufschlag an seine Ohren. Er griff nach dem Gewehr, das neben ihm lag und repetierte es.

Aus der Dunkelheit tauchte ein Reiter auf.

„Halt!“, schrie der Mann.

„Ich bin es, Jago!“

„Komm näher.“

Der Reiter trieb das Pferd wieder an und ritt weiter auf das Feuer zu. Seine Gestalt wurde deutlicher. Schon erreichte der Flammenschein sein Gesicht. Da ließ der Wächter das Gewehr sinken und setzte sich wieder.

„Was ist los, Jago? Ich sollte schon heute morgen abgelöst werden.“

„Der Teufel ist los.“ Der Cowboy glitt aus dem Sattel und lockerte den breiten Gurt unter dem Leib des Tieres. „Tetley war mit der Mannschaft unterwegs. Schon die ganze Nacht.“

„Ich weiß. Während der Nacht kam Al hier vorbei. Sie haben überall gesucht, aber offenbar nicht mehr finden können.“

„Eben. Sie haben noch den ganzen Tag gesucht. Jetzt sind sie auf der Ranch - müde und ausgebrannt.“

„Ohne Durango und Harmon gefunden zu haben?“

„Ja. Tetley hofft jetzt nur noch, dass sie doch noch in der Nähe sind und versuchen werden, Sean, Zattig und Rule in ihre Gewalt zu bringen.“

„Oder sie versuchen, San Angelo zu erreichen“, sagte der sitzende Wächter. „Der Boss kann seine Ranch nicht einpacken und fortreiten. Hat er nicht daran gedacht? Richter Douglas wird ihn hier immer antreffen können.“

„Daran scheint er nicht zu denken“, sagte Jago Kidd, nahm seinem Pferd den Sattel ab und warf ihn zu Boden. Dann hängte er die Fenz aus und trieb das Pferd in den Korral hinein. Er hängte die Fenz wieder ein und setzte sich neben den anderen Mann.

„In der Kanne ist noch etwas Kaffee“, sagte der Wächter. „Es wundert mich, dass du allein gekommen bist.“

„Wieso?“

„Vielleicht sind Durango und Harmon hier in der Nähe und wollen Pferde an sich bringen.“

Jago Kidd stand langsam auf und blickte sich suchend um. Aber die Dunkelheit verbarg alles, was weiter als fünfzig Schritte entfernt von ihm war. Jago setzte sich wieder.

„Daran habe nicht mal ich gedacht“, gestand er kleinlaut und heiser. „Ich glaube nämlich nicht, dass sie zu Fuß nach San Angelo wollen.“

„Und Duncan? Dort könnten sie schon sein.“

„Dorthin hat der Boss zwei Männer geschickt. Dort dürfen sie sich nicht sehen lassen.“

Der andere stand auf und zog seinen Gurt in die Höhe.

Jago blickte ihm fast ängstlich nach, als er die Fenz aushängte und das Lasso vom Pfahl nahm, um sein Pferd zu fangen. Als der Mann mit dem Tier aus dem Korral kam, schloss Jago Kidd die Fenz wieder.

Der andere hob seinen Sattel auf und legte ihn auf den Rücken des Pferdes, um ihn festzuschnallen.

„Wie denkst du eigentlich darüber?“, knurrte Jago Kidd.

„Worüber?“

„Über Durango und Harmon - über Sean - und über das, was wir tun, Saul? Du musst doch eine Meinung haben.“

„Meine Meinung ist Tetley. Er denkt für mich, das weißt du doch. Ich habe nur daran zu denken, dass ich hier einen Job, eine Bunk, mein Essen und ein paar Dollar jeden Monat habe. Und an noch etwas.“

„An was?“, fragte Jago Kidd gespannt.

Der andere Cowboy grinste ihn an.

„Daran, dass es mit Pferden einfacher als mit störrischen Rindern ist.“

Jago Kidd ließ die angespannte Schultern sinken.

„Und sonst denkst du an nichts?“, fragte er lauernd.

„Nein, an nichts, Jago. Aber du denkst natürlich, der Boss hätte immer recht. Ich habe es einfach. Ich denke nicht.“ Der Mann schwang sich in den Sattel.

Jago Kidd fiel ihm in die Zügel und zog den Kopf des Pferdes nach unten.

„Ist noch etwas?“, fragte der andere.

„Du denkst, der Boss wäre im Unrecht, nicht wahr? Du meinst, er dürfte sich nicht vor Sean stellen.“

„Ich denke überhaupt nicht. Lass das Pferd los, Jago. Er hat dich doch nicht etwa geschickt, um mich ausfragen zu lassen? Ich mache meine Arbeit und halte die Klappe. Mehr kann er von mir nicht verlangen. Los, lass das Pferd los!“

Jago Kidds Pland fiel von den Zügeln. Der andere trieb das Tier durch ein Zungenschnalzen an. Schnell verschwand er in der Nacht.

Das Heulen eines Wolfes schallte an Jago Kidds Ohren. Er drehte sich im Kreis und sah die Pferde, die sich ängstlich zusammendrängten und schnaubten. Aber das interessierte ihn nicht. Jago Kidd dachte an die beiden Gegner, die hier in der Nähe sein konnten.

Er hockte sich am Feuer nieder und blickte auf das Gewehr, das der andere Cowboy vergessen hatte. Er sah es nicht.

Das Heulen des Wolfes wiederholte sich. Jago Kidd schnellte in die Höhe. Sein ganzer Körper war in Schweiß gebadet. Er bückte sich nach dem Gewehr, nahm es auf und ging um den Korral herum. Als er wieder ans Feuer kam, war er nicht ruhiger geworden. Er kauerte sich und griff nach der Kaffeekanne, um sich die Blechtasse, die neben dem Feuer stand, vollzuschenken. Da sah er, wie sehr seine Hand zitterte. Klappernd schlug die Kanne gegen den Becher, und ein Teil des Kaffees floss daneben und versickerte im Sand. Jago stellte die Kanne zurück und trank den lauen Kaffee. Den Rest kippte er ins Feuer, in dem er sprühend verdampfte. Die Geräusche ließen den Weidereiter erneut zusammenfahren. Wieder stand er auf, um den Korral zu umrunden.

Aber er traf niemanden, sah nirgends eine Gestalt und hörte keine verdächtigen Geräusche. So erreichte er wieder das Feuer und setzte sich. Er hatte eine Nacht lang die Ranch bewacht, war vorher eine Nacht und einen Tag lang im Sattel gewesen und hatte auch während der letzten zwölf Stunden keine Minute Schlaf gefunden.

Das rächte sich jetzt.

Jago Kidd bemerkte die Müdigkeit, die in seinen Körper kroch, nicht. Sein Kopf sank auf die angezogenen Knie und seine Augen schlossen sich.

Jago Kidds Kopf zuckte ein paar mal, als würde er gegen den Schlaf ankämpfen. Aber die Gegenwehr wurde immer schwächer und erstarb schließlich. Sein Körper sank mehr und mehr zur Seite, bis er fiel und auf der Schulter lag, den Kopf direkt neben der Kaffeekanne am Rand des Feuers.

Aber auch das merkte der Mann, der die Pferde bewachen sollte, nicht mehr.

*

Er lag noch genauso auf dem Boden, als das scharfe, knackende Geräusch den Schlaf jäh zerriss. Heftig richtete sich der Cowboy auf und griff nach dem Gewehr. Er repetierte es. Eine gelbe Geschosshülse sprang aus dem Röhrenmagazin und landete neben dem Feuer im fast gelben Gras.

Jago Kidd stand unsicher auf.

„Wer ist da?“, rief er belegt.

Das Feuer war so weit niedergebrannt, dass sein Schein nicht mehr bis zum Ende des Korrals reichte.

Jago Kidd blickte zu den Pferden. Sie hatten sich in einer hinteren Ecke um den schwarzen Leithengst mit der weißgrauen Blesse auf der Stirn zusammengeschart. Das genügte ihm um zu wissen, dass er wirklich etwas gehört hatte.

Eine kalte Hand schien nach seinem Herzen zu greifen. Er blickte von der tiefen Finsternis auf die Mündung der Winchester 66, die so sehr wackelte, dass er vielleicht nicht treffen würde, wenn ein Gegner vor ihm auftauchte.

„Wer ist da?“, fragte er hohl und heiser.

Dann ging er um das Feuer herum und auf die Korralecke zu.

„Jago!“, rief eine scharfe Stimme hinter ihm.

Der Cowboy zuckte herum, sah Jay Durango am Feuer und wollte das Gewehr anlegen.

Eine Mündungsflamme stach ihm, begleitet von einem Brüllen, entgegen. Die Kugel traf den Gewehrschaft und riss die Waffe aus seinen zitternden, kalten Händen. Sie prallte gegen eine Gatterlatte und fiel zu Boden.

Die Pferde wieherten und drängten sich noch dichter um den schnaubenden Leithengst.

„Geh weiter, Jago!“, sagte hinter dem Cowboy Dave Harmon. „Wir wollen dir nichts tun. Aber um entkommen zu können, brauchen wir Pferde. Du weißt ja, wir wollen nach San Angelo. Richter Douglas muss endlich erfahren, was für einen sauberen Sohn Tobe Tetley hat. Das meinst du doch auch - oder?“

Jago Kidd schien etwas zu verschlucken. Dann ging er zum Feuer zurück und starrte Jay Durango an.

„Jago, ich habe dich etwas gefragt“, erinnerte Dave, der dem Cowboy gefolgt war. „Meinst du das auch?“

Jay ließ den Colt sinken.

„Er scheint anders darüber zu denken“, sagte Jay. „Wir werden die ganze Herde ein Stück mitnehmen, damit ihr hier keine Ersatzpferde findet.“ Jay schob den Revolver in die Halfter und hakte die Sicherheitsschlinge über den Hammer.

Jago Kidd hörte, wie hinter ihm Dave seine Waffe entspannte. Da wirbelte er, vielleicht in der Panik, die ihn ergriffen hatte, herum. Seine Fäuste fuhren in die Höhe. Aber ehe er zuschlagen konnte, traf ihn Daves Hieb, der ihn neben das Feuer warf.

Jay bückte sich, als der Cowboy nicht aufstand. Er zog ihm das Augenlid in die Höhe, ließ es wieder los und stand auf.

„So hart hatte ich nicht zuschlagen wollen“, meinte Dave und zuckte die Schultern.

„Er wird bald wieder zu sich kommen.“ Jay schleppte den Körper zur Seite. „Also, du nimmst den Leithengst am Lasso mit und reitest mindestens zehn Meilen. Du kommst nicht zurück. Erst dort, wo sie die Pferde finden, werden sie wissen, dass du allein gewesen bist. Dann dürfte es für sie zu spät sein.“

„Ich werde fünfzehn Meilen reiten“, sagte Dave. „Das schaffe ich auf einem ungesattelten Pferd schon.“

„Vergiss nicht, dir ein frisches Pferd zu nehmen, ehe du die Herde stehen lässt. Wir treffen uns später.“

„Ich denke, in San Angelo?“

„Nein. Ich habe es mir anders überlegt. Ein Mann aus Duncan namens Beaver ist in meinem Auftrag dorthin unterwegs. Entweder kommt er mit einigen Deputys zurück, oder er ist einfach abgehauen, bis alles vorbei ist. Wie auch immer, es spielt jetzt keine so große Rolle mehr. Es gibt viele Männer, die Sean Tetley wiedererkennen und uns helfen werden. In San Angelo ist Marshal Clayburn. Wir wissen nicht, auf was Tetley nicht verfällt.“

„Wie du meinst.“ Dave hängte die Fenz aus und ging in den Korral hinein.

*

Als Jago Kidd das zweite mal erwachte, war er allein. Er sah das niedergebrannte Feuer, wälzte sich auf den Rücken und lauschte. Kein einziges Geräusch schlug an seine Ohren. Da hob er den Kopf und richtete schließlich den Oberkörper auf.

Jetzt hörte er doch etwas. Aus der Ferne schlug ein dumpfes Grollen an seine Ohren, und es war ihm, als würde der Boden leicht zittern.

Jago Kidd legte die Hand auf den Boden, blickte zu der Fenz hinüber, die auf dem Boden lag und fuhr plötzlich in die Höhe.

Der Korral war leer, sein Gewehr, das irgendwo gelegen hatte, verschwunden, und sein Sattel war ebenfalls weg.

Er rieb sich über den Kopf und folgte dann ein Stück der breiten, dunklen Spur, die die Herde hinterlassen hatte. Sie führte ihn nach Westen.

Nach hundert Yards blieb der Cowboy stehen, wandte sich um und ging zurück. Er überlegte ein paar Minuten, blickte sich noch einmal um und begann dann nach Norden zu laufen. Schon nach wenigen Yards begann er zu rennen. Er lief dem Hügel entgegen, rannte ihn hinauf und auf der anderen Seite hinunter. Dann stolperte er über einen Stein und schrammte hart auf den Boden. Keuchend blieb er einen Moment liegen, raffte sich wieder auf und rannte weiter. Er taumelte bald. Salziger Schweiß brannte in seinen Augen und ließ ihn die Spur nicht erkennen, die er kreuzte, als er vom Weg abgekommen war.

Manchmal musste er langsamer gehen, um Atem zu bekommen. Dann rannte er wieder, so schnell seine Füße ihn tragen konnten. Er rannte nach zwanzig Minuten an der Hecke vorbei, hinter der Jay Durango stand und dem Pferd die Nüstern hielt.

Jago Kidd hatte den Mann nicht bemerkt.

Jay Durango ließ den Kopf des Pferdes los und blickte dem strauchelnden Mann nach, solange er ihn sehen konnte. Dann drängte er das Pferd rückwärts und saß auf. Langsam folgte er Jago Kidd, immer bemüht, ein ganzes Stück seitlich des Weges zu bleiben, den die Wächter der Pferde nahmen. Er hoffte, dass Tetley und seine Leute wütend genug sein würden, nicht auf Spuren in der Umgebung des Weges zu achten.

Nach zwanzig Minuten hielt Jay Durango das Pferd an. Jetzt konnte die Ranch nicht mehr weit sein. Er musste sich hier ein geeignetes Versteck suchen, von dem aus er die Männer, die kamen, zählen konnte.

*

Zusammengebrochen lag der Cowboy im Hof der Ranch und krümmte sich im Sand.

„War noch etwas?“, schrie der Rancher ihn an.

„Nichts weiter, Boss!“, würgte Jago Kidd mühsam hervor.

Tetley richtete sich auf und blickte Nat Brock an.

„Du bleibst mit ihm hier“, bestimmte er. „Ihr anderen kommt mit. Für jeden Mann zwei Pferde! Vorwärts!“

Die Cowboys liefen auseinander, um die Pferde zu satteln. Tetley wandte sich um und schaute zu den beiden Banditen hinüber, die er am Abend wieder an den Zügelholm hatte binden lassen.

„Wenn ihr am Morgen nicht zurück seid, Boss“, sagte Nat Brock, „was soll dann mit ihnen werden?“

„Dann werft ihr sie in den Schuppen. Aber seht die Fesseln nach. Verstanden?“

„Sicher“, sagte Brock.

Die Cowboys kamen mit den Pferden zurück. Tetley stieg auf das große löwengelbe Tier, das sie ihm gebracht hatten.

„Alles fertig?“, rief er.

Die Männer saßen auf.

„Und Sean, was soll mit ihm geschehen?“, erkundigte sich Nat Brock.

„Nichts.“

„Er wird wieder schreien, dass er Hunger und Durst hat, Boss“, sagte der Cowboy.

Tetley beugte sich aus dem Sattel.

„Dann schlag ihm aufs Maul, bis es ihm vergeht!“, stieß er hervor.

Nat Brock trat zurück.

Tetley setzte sich im Sattel gerade und hob die Hand. Jago Kidd hatte sich etwas aufgerichtet und sah den Wächter, den er abgelöst hatte, unter den Reitern.

„Los!“, kommandierte der Rancher in diesem Moment und trieb sein Pferd an.

Staub wallte Nat Brock und Jago Kidd entgegen, als die Reiter über den Hof stoben.

„Kannst du aufstehen?“, fragte Brock. „Wenn du dich auf die Verandatreppe setzt, wird es bestimmt besser.“

Kidd nickte und stand auf. Brock stützte ihn und führte ihn zur Veranda, wo sich Jago Kidd auf die Treppe fallen ließ.

„Nat, jetzt sind sie wieder fort“, knurrte Clint Rule. „Willst du wirklich, dass ich es dir nie vergesse?“

„Ich will nichts von dir, Clint. Und ich habe mit dir nichts zu tun.“

„Bildest du dir ein, es wäre dir anders gegangen, wenn du hättest mit nach San Angelo reiten müssen?“

„Ich wäre sicher nicht als Mörder zurückgekommen, Clint. Sean weiß, dass ich nicht mache, was er sagt. Deshalb hat er mich für den Ritt damals auch nicht ausgewählt.“

Die Reiter waren auf der Hügelkuppe noch einmal zu sehen. Dann verklang der Hufschlag in der Nacht.

„Sie werden sie vor San Angelo nicht mehr einholen“, sagte Clint Rule. „Vielleicht solltet ihr uns und Sean Pferde geben und verschwinden lassen. Eines Tages wird euch der Boss sicher dafür belohnen.“

„Clint, ich soll jedem die Schnauze stopfen, der sie nicht freiwillig hält“, meinte Nat Brock. „Vielleicht willst du dich danach richten.“

Clint Rule öffnete wieder den Mund.

„Sei still“, mahnte Zattig. „Er ist dem Boss wie ein Hund ergeben, und merkt gar nicht, dass er dadurch genau das gleiche tut wie wir.“

Nat Brock ging auf Jared Zattig zu, baute sich breitbeinig vor ihm auf und hielt die Faust vor.

„Schlag nur zu, wenn es dir soviel Spaß macht“, schimpfte Zattig. „Tue es.“

„Gib nicht so an, Jared. Jeder auf dieser Ranch weiß, dass du ein verdammter Feigling bist. Du kannst auf mich keinen Eindruck machen, wenn du jetzt versuchst, anders zu sein. Von mir bekommt ihr keine Chance!“

Zattig blickte Rule an.

„Ihr solltet uns freilassen und mit uns fortreiten. Mit uns und Sean.“ Clint Rule spuckte auf den Boden.

Brock wandte sich Rule zu und sagte: „Glaubst du wirklich, Sean würde mit euch fortreiten?“

„Natürlich.“

„Ich glaube es nicht, Clint.“

„Wieso?“

„Sein Vater würde ihn suchen, bis er ihn gefunden hat und das weiß Sean. Außerdem ist er ohne den Boss machtlos und verloren.“

„Ja, ihm wird der Boss helfen“, knurrte Zattig. „Er darf auch drin im Haus auf einem Sofa liegen. Und wir? Wir werden hier an den Holm genagelt. Dabei haben wir nur mitgemacht, weil er es wollte.“

Nat Brock wandte sich ab. Zattig wollte ihm noch etwas nachrufen, aber Rule sagte: „Hör auf damit, Jared. Die helfen uns nicht.“

*

Dave Harmon sprengte mit dem Leithengst am Lasso die Hügelflanke hinauf. Hinter ihm stürmte die Herde her. Auf der Kuppe wieherte der Leithengst unwillig und wollte ausbrechen. Dave riss ihn am Lasso zurück.

Das Tier reagierte umso heftiger, aber Dave zwang es, mit ihm den Hügel hinunterzusprengen. Sein Pferd, auf dessen ledigem Rücken er keinen festen Halt finden konnte, setzte über einen niedrigen Busch, und im gleichen Moment brach der Leithengst wieder heftig aus.

Dave spürte den heftigen Ruck, der seinen Arm nach der Seite riss. Er durfte nicht loslassen, denn er war vom Korral erst ein paar Meilen entfernt. Seine linke Hand verkrampfte sich in der Mähne seines Pferdes, aber als es in der gleichen Sekunde nach der anderen Seite wollte, wurde er ausgehoben. Seine Finger öffneten sich. Er flog durch die Luft und schrammte auf den Prärieboden, das Lasso noch immer fest umkrampft. Ein Stück schleppte ihn der steigende und auskeilende Leithengst mit, dann öffnete sich seine Hand.

Neben ihm jagten die Pferde vorbei. Der Boden schien sich unter den trommelnden Hufen zu bewegen. Dave dachte an nichts anderes, als dass er dem Korral noch sehr nahe war. Sie würden ihn finden, wenn er hier ohne Pferd liegenblieb. Das brachte ihn dazu, aufzuspringen. Ein Pferd nach dem anderen hetzte an ihm vorbei. Eins davon kam ihm so nahe, dass er zurückspringen musste, um nicht niedergerannt zu werden. Dann warf sich ein Pferd vor ihm herum und bremste in der Bewegung für einen Herzschlag.

Dave Durango sprang vorwärts, warf sich auf den Rücken des Tieres hinauf und griff in die Mähne. Fast am Schluss der Herde sprengte er dahin. Dann wurde das Tier, auf dem er saß, durch das Gewicht langsamer und fiel zurück. Die letzten Tiere sprengten vorbei. Dave parierte das Pferd und blickte der Herde nach, die mit hämmernden Hufen im Dunkel verschwand.

Er hatte das Glück, dass es keine Wildpferde waren. So stand sein Tier still.

Der Hufschlag wurde leiser. Dave wusste, dass der Leithengst irgendwo stehenbleiben würde. Er ritt auf der Spur weiter. Solange er ihr folgte, war seine Spur von den anderen nicht zu unterscheiden. Dann aber beschrieben die Eindrücke einen Bogen. Vielleicht kehrte der Leithengst um und kreuzte bald seine eigene Spur.

Dave Durango hielt wieder an und blickte zurück. Von hier aus hatte ein schneller Reiter vielleicht zwei Stunden bis zu Tetleys Ranch. Er konnte nur noch hoffen, dass dieser Vorsprung Jay genügen würde. Er wandte sich wieder nach vorn und ritt weiter nach Westen. Von hier an würden die Verfolger merken, dass nur ein Mann die Herde geführt hatte. Das musste ihnen alles sagen.

*

„Es kommt jemand“, sagte Jago Kidd und stand von der Verandatreppe auf, um die beiden untersten Stufen hinunterzusteigen. Dann blieb er stehen, die Hand auf dem Revolver.

Rule und Zattig hatten die Köpfe gehoben. Auch sie sahen den Schatten eines Reiters neben der Wand des letzten Schuppens auf der anderen Bachseite.

„Wer ist da?“, rief Jago Kidd. Seine Stimme klang unsicher. Er zog den Colt und spannte den Hammer.

„Wirf die Waffe weg!“, rief der Reiter.

„Durango“, sagte Jago Kidd. „Es ist Jay Durango!“

Seine Waffe fuhr in die Höhe und entlud sich. Krachend sprang das Echo zwischen den Schuppen und Scheunen hin und her. Jago Kidd stürmte vorwärts und drückte wieder ab. Pochend fuhr die Kugel in die Schuppenwand und schleuderte Jay Durango einen Holzsplitter ins Gesicht. Dann der dritte Mündungsblitz. Jay hörte die Kugel über sich hinwegstreichen. Sein Pferd wollte ausbrechen. Da drückte er ab.

Jago Kidd wurde mitten im Lauf jäh gestoppt, drehte sich schreiend halb um seine eigene Achse und fiel auf das Gesicht. Er bewegte sich, als wollte er sich auf den Rücken wälzen. Dann erlahmte auch das und er lag still.

Jay Durango ritt aus dem Schatten des Schuppens und auf die Brücke zu. Er sah Nat Brock, der aus dem Haus stürzte, die Treppe hinunter rannte und wie festgenagelt stehenblieb.

„Es ist Durango!“, schrie Zattig. „Sie haben euch zum Narren gehalten! Idioten seid ihr alle! Hoffentlich weißt du es nun. Schneide uns los, zur Hölle!“

Jay Durango hatte das Pferd wieder pariert. Er sah Nat Brock auf Jared Zattig zustürzen. Im Lichtschein, der aus den Hausfenstern fiel, funkelte die Klinke des Messers, das Nat Brock in der Hand hielt.

„Halt!“, rief Jay Durango und schoss aus dem Colt über die Männer hinweg. „Keiner bewegt sich!“ Seine Worte wurden vom grollenden Echo halb verschluckt.

Nat Brock dachte nicht daran, stehenzubleiben. Mit zwei schnellen Schnitten hatte er Zattig befreit.

Jay Durango sah den Banditen nach links rennen.

„Halt!“, schrie er und schoss, aber wieder so hoch, dass die Kugel über das Hausdach kratzte. Er wollte nicht auf einen fliehenden, unbewaffneten Mann schießen.

Zattig verschwand hinter der Scheune. In der gleichen Sekunde war Clint Rule frei und hetzte hinter ihm her. Nat Brock führ herum, ließ das Messer fallen und zog den Colt.

Jay Durango setzte dem Pferd die Sporen ein und sprengte über die Brücke. Zwei, drei Schüsse peitschten auf, und das Wimmern der Kugeln ging an Jay vorbei.

Er schoss zurück und sah den Banditen zur Verandatreppe springen. Da war er mitten im Hof und schwang das eine Bein über den Sattel hinweg. Seine Hände hielten ihn am Sattelhorn fest. Vor der Verandatreppe warf sich das Pferd herum. Jay Durango zog den Stiefel aus dem Steigbügel und ließ das Sattelhorn fahren. Das Pferd jagte an ihm vorbei.

Vor ihm lag die Verandatreppe. Nat Brock war im Haus verschwunden.

Jay hastete die Treppe hinauf. Eine Feuerlanze riss den Flur aus der Dunkelheit. Die Kugel traf den Türpfosten und spaltete ihn ein Stück.

Jay war nur einen Moment stehengeblieben, dann rannte er weiter und schoss auf die Stelle, an der der Mündungsblitz aufgeflammt war. Er hörte ein Röcheln, dem ein dumpfer Aufprall folgte. In der Haustür blieb er stehen und lauschte. Das Röcheln hub wieder an. Langsam, die Waffe schussbereit in der Hand, ging er weiter. Das Röcheln vor ihm erstarb. Jay war nicht sicher, ob Nat Brock ihn nicht nur täuschen wollte. Aber wenn das der Fall war, hätte er jetzt schießen können.

In der hinteren Ecke des Flurs lag ein dunkler, unförmiger Klumpen auf dem Boden. Jay ging weiter darauf zu, stand vor dem liegenden Mann und wälzte ihn mit dem Stiefel auf den Rücken. Er sah das helle Gesicht wie einen Klecks Kalk und bückte sich. Nun konnte er auch die gebrochenen, glasigen Augen sehen, die ihn starr anblickten.

Er stand wieder auf, lehnte sich an die Wand und lud den Revolver nach. Zwei Männer hatte er erschossen. Es war schnell gegangen. Er musste daran denken, dass sie noch vor ein paar Tagen brave Cowboys gewesen waren.

Dann schüttelte er den Kopf. Nein, hier auf dieser Ranch waren die Männer immer anders gewesen. Sie waren eiskalt und hartherzig und hatten jeden anderen, selbst wenn er nur aus Hunger ein Rind stahl, ohne Skrupel aufgehängt.

Unter seiner Hand drehte sich die Trommel des Revolvers ratschend durch. Jay Durango ging weiter und betrat die Wohnhalle. Auf dem Tisch brannte die Sturmlaterne. Sie stand dort, als wäre sie während der letzten vierundzwanzig Stunden nicht weggenommen worden. Genauso lag Sean Tetley auf dem Sofa. Nur war er weder bewusstlos noch schlief er. Seine Augen waren offen und schreckgeweitet auf Jay Durango gerichtet.

Sean war an Händen und Füßen gefesselt.

„Nein!“, schrie er, dass es von den Wänden zurückschallte.

Jay Durango wandte sich um und blickte auf die Fenster. In der gleichen Sekunde fiel draußen ein Schuss. Eine Kugel zerschmetterte eine der hohen Fensterscheiben und warf Tausende von Splittern in die Wohnhalle herein.

Das Licht in der Lampe auf dem Tisch flackerte. Draußen ein zweiter Schuss. Die Kugel schlug neben Jay Durango in die Wand und hinterließ ein hässliches Loch in der Tapete. Er hob den Colt, spannte den Hammer und zog durch. Die Waffe zuckte im Rückstoß. Die Lampe wurde gegen den Blechbehälter getroffen und über den Tisch hinweg gestoßen. Sie flog in einem Bogen durch die Luft, knallte zwischen den Fenstern an die Wand und verlosch. Klirrend rollte sie über den Boden. Der Geruch nach ausgelaufenem Petroleum breitete sich aus.

Jay Durango blickte wieder zu dem Sofa. Er konnte Sean nicht mehr genau erkennen, aber das war für ihn auch nicht wichtig. Sie hatten ihn gut genug gefesselt. Entkommen konnte er ihm nicht.

„Rule und Zattig schleichen draußen herum“, sagte Jay Durango, ohne den jungen Banditen anzusehen. „Die beiden anderen sind tot, Sean. Wir reiten los. Vielleicht können wir Zattig und Rule gleich mitnehmen.“

Im Hof fiel wieder ein Schuss. Die Kugel traf die Decke und ließ Kalk durch die Wohnhalle rieseln.

Jay Durango schoss auf die Mündungsflamme. Das Krachen des Schusses schien das Haus in Fetzen reißen zu wollen. Draußen schlug die Kugel gegen eine Mauer und prallte ab. Quarrend stieg der Querschläger zum Himmel.

Jay ließ die rauchende Waffe sinken. „Du musst hinausgehen, wenn du sie haben willst, Durango!“, stieß der junge Bandit hervor. „Oder hast du Angst, ich könnte dir in der Zwischenzeit abhanden kommen.“

Jay ging auf das Sofa zu, blieb daneben stehen und blickte in das hämisch verzogene Gesicht.

„Du kommst mir nicht mehr abhanden, Sean“, sagte er. „Jetzt nicht mehr. Ich kenne nun deine Tricks.“

Das hämische Grinsen verschwand aus dem Gesicht des jungen Tetley.

„Oder auch nicht!“, stieß er hervor. „Mein Vater hat einmal gesagt, mir würden immer neue Tricks einfallen!“ Er lachte scharf. „Das hast du nicht gewusst, was, Durango?“

Jay blickte noch einen Moment in das jetzt vor Hass glühende Gesicht. Dann wandte er sich ab und ging zum Fenster. Daneben lehnte er die Schulter gegen die Wand und blickte hinaus.

Verlassen lag der Hof in der Nacht, und kurz vor dem leise murmelnden Bach der tote Jago Kidd. Von den beiden Banditen war nichts zu sehen.

Jay ging zum nächsten Fenster und blickte nun zur anderen Hofseite. Auch hier konnte er keinen der Kerle sehen. Aber vielleicht standen sie an einer dunklen Wand, wo sie nicht zu erkennen waren.

„Dein Trick stammt auch von mir“, sagte Sean hinter ihm.

Jay wandte sich um und lud den Colt nach.

„Ich habe nicht den Ehrgeiz, einen Trick für deinen Vater erfinden zu wollen“, gab er zurück. „Es hat sich so ergeben, und ich war sicher, dass keiner von euch auf den Gedanken kommen würde, ich könnte es genauso wie du machen. Weiter wollte ich nichts erreichen.“

Durch das zerschossene Fenster blickte er wieder hinaus und sah eine Gestalt am Schuppen entlang hasten. Sein Revolver fuhr in die Höhe und zuckte dreimal im Rückstoß. Drüben in der Schuppenwand schlugen die Kugeln ratschend ein.

Die Gestalt war hinter der Kante des hohen Gebäudes verschwunden. Draußen blieb es still.

„Sie werden es dir schwermachen“, sagte Sean. „Und am Ende bist du tot.“

Jay Durango ging zur Tür und verließ die Wohnhalle.

„Achtung!“, schrie Sean. „Jared, Clint, er kommt hinaus! Verpasst ihm eine Kugel!“

Jay Durango ging weiter. Kurz vor der Tür stand eine hohe, schlanke Vase an der Wand. Er nahm sie auf und warf sie vor die Veranda hinaus. Sie rollte zwei Stufen holpernd hinunter. Dann fielen hämmernde Schüsse und zerfetzten die Vase. Ein paar Splitter flogen in den Flur herein, und einer traf Jay Durangos Hose.

Er sprang hinaus, sah den Schatten an der Schuppenwand wieder und schoss.

Ein Schrei tönte in die peitschenden Abschüsse hinein. Jay Durango ließ sich auf den Verandaboden fallen. Kugeln wimmerten über ihn hinweg und fraßen sich irgendwo im Flur in die Wände.

Aus dem Schlagschatten des Schuppens taumelte eine Gestalt und brach in die Knie. In dieser Lage schoss der Bandit wieder, aber seine Kugeln gingen weit fehl. Der Rückschlag des letzten Schusses entriss seiner Hand den schweren Colt.

Jay Durango, der den Kopf gehoben hatte, erkannte, dass es Rule war. Der Bandit hatte sich auf die Hände gestützt und kroch dorthin, wo seine Waffe lag.

Jay sprang auf. Er wurde von der anderen Seite beschossen. Eine Kugel streifte seinen Arm und riss sein Hemd auf. Er feuerte zurück. Der Schatten, den er gesehen hatte, verschwand. Jay wirbelte herum. Da hatte Rule seinen Colt erreicht und aufgehoben. Wieder schoss er auf den Knien liegend. Sein Gesicht war verzerrt. Seine Kugel traf die oberste Treppenstufe. Er wollte noch einmal abdrücken, aber der Hammer schlug auf eine leere Patronenhülse.

„Durango, komm her!“, schrie er gepresst und keuchend. „Ich bringe dich um!“ Der Revolver entfiel ihm abermals. Seine Gestalt begann zu schwanken. Dann fiel er zur Seite.

Jay stieg die Treppe langsam hinunter. Neben dem Schuppen sah er das Pferd stehen, auf dem er gekommen war.

„Clint, Jared!“, schrie Sean Tetley im Haus. „Was ist los? Warum kommt ihr mich nicht befreien?“

Am Fuß der Treppe blieb Jay Durango stehen. Clint Rule lag so reglos wie Jago Kidd, und neben ihm der Colt, den er leergeschossen hatte. Er ging weiter auf ihn zu und berührte den ausgestreckten Arm mit der Stiefelspitze.

Rule reagierte nicht mehr darauf. Er war tot.

Jay fuhr heftig herum, als etwas scheppernd über den Hof rollte. Er sah einen leeren Blecheimer, der neben der Verandatreppe liegenblieb. Um die Schuppenecke schob sich ein Arm.

Jay Durango schoss von der Hüfte aus, aber seine Kugel lag zu tief. Sie zog eine Furche in den Boden und schleuderte den feinen Sand in die Höhe.

Der Arm war wieder verschwunden.

Jay hetzte zurück und sprang vom Hof aus zur vierten Stufe der Verandatreppe hinauf. Dort wirbelte er herum. An der Seite des Schuppens flammte ein Revolver auf. Die Kugel traf das Verandageländer und ließ es zittern.

Jay Durango schoss zurück. Ein Schatten sprang zurück und verschwand. Jay stieg die Treppe weiter hinauf.

„Clint, Jared!“, schrie Sean Tetley im Haus. „Warum helft ihr mir nicht?“

Jay betrat das Haus, ohne sich umzusehen. Sein Blick war immer noch auf die dunkle Wand des Schuppens gerichtet. Dort war Zattig gewesen. Jared Zattig, der im Grunde seines Herzens ein Feigling war. Vielleicht war es das, was ihn so verzweifelt kämpfen ließ.

Jay betrat das Haus ohne sich umzuwenden. Männer wie Zattig waren heimtückisch. Jago Kidd hatte seinen Gegner noch angerufen. Zattig würde das nicht tun. Er würde schießen, und es war ihm gleich, ob er einen Mann von vorn sah oder von hinten. Vielleicht würde er ihn sogar lieber von hinten sehen.

„Clint, Jared!“ Sean Tetleys Ruf glich schon fast einem Heulen.

*

Hinter der Tür blieb Jay Durango stehen. Der Petroleumgeruch schien noch intensiver geworden zu sein. Seans bleiches Gesicht leuchtete ihm wie eine trübe Lampe entgegen.

„Außer Zattig sind alle tot“, sagte Jay. „Wer weiß, ob Zattig dir helfen will.“

„Er ist mein Freund!“

Jay Durango ging weiter auf den Banditen zu, bis er das sprühende, irre Licht in dessen dunklen Jettaugen sehen konnte.

„Dein Freund, den du ermorden wolltest, als er im Jail saß und dir gefährlich werden konnte, Sean“, erwiderte er. „Vielleicht denkt er jetzt daran.“

Sean Tetleys Kopf sank auf das schwarze Kissen.

„Jared!“, schrie er. „Er ist allein! Wovor hast du denn Angst?“

„Er hat vor mir Angst“, sagte Jay Durango. „Ist das wirklich so weit hergeholt?“

Sean stemmte den Oberkörper wieder in die Höhe, so gut er es konnte. Jay Durango zog sein Messer und schnitt ihm die Fußfesseln durch.

„Wir gehen hinaus“, bestimmte er. „Steh auf!“

Sean nahm die Fuße vom Sofa und setzte sich. Verlangend streckte er die Hände vor.

„Die behältst du“, sagte Jay. „Und zwar so lange, bis du in im Jail sitzt. Was dann passiert, bestimmt Marshal Clayburn.“

„Soll er auf einmal mein Richter sein?“

„Nein. Du bist dann nur in der Stadt, in die du jetzt gehörst. Und dort wirst du bleiben, bis dich Richter Douglas holt.“

„Vielleicht wartet mein Vater dann auf dem Weg.“

„Er würde sich die Zähne ausbeißen. Steh auf, wir gehen jetzt!“

„Und Jared?“

„Das werden wir sehen.“ Jay zog den jungen Banditen mit der linken Hand vom Sofa.

Tetley wollte nach ihm schlagen, aber Jay konnte den aneinandergebundenen Händen ausweichen. Plötzlich stand er neben Sean und presste ihm die Revolvermündung gegen die Schläfe. Seans Haltung entspannte sich.

„Das wirst du nicht wagen!“, stieß er krächzend hervor. „Ich bin unbewaffnet und gefesselt.“

„Du warst schon einmal gefesselt und hast mir ins Gesicht getreten. Ich fiel bewusstlos um. Wir könnten vielleicht schon sein, wo ich mit dir hinwill.“

„Du wagst es trotzdem nicht.“

„Verlass dich nicht zu sehr darauf, Sean. Ich werde verhindern, dass durch deine schmutzigen Hände noch mehr Menschen verletzt werden. Das verspreche ich dir!“

Sean wagte nicht den Kopf zu drehen. Die Revolvermündung an seiner Schläfe hatte dicke Schweißperlen in sein Gesicht getrieben.

„Los, wir gehen hinaus!“, kommandierte Jay Durango, griff nach dem Arm des jungen Burschen und drehte ihn heftig herum. Im nächsten Moment bohrte sich die Coltmündung schon in Sean Tetleys Rücken.

Er ging mit steifen Schritten auf die Tür zu. Auf der Schwelle blieb er stehen und blickte zu dem dunklen Klumpen in der hinteren Ecke.

„Es ist Brock“, sagte Jay.

„Keiner kann so schlecht sein, dass er sich nicht verdient hätte, beerdigt zu werden, Durango.“

„Mag sein, Sean.“

„Warum tust du es dann nicht? Soll ich es machen? Sie waren meine Sattelgefährten.“

„Hör damit auf, Sean. Vielleicht bildest du dir ein, mit einem Spaten etwas gegen mich unternehmen zu können. Nein, wir beerdigen sie nicht. Dein Vater kommt mit seinen Leuten irgendwann in den nächsten zwanzig Stunden zurück. Das ist sicher. Er wird sich um sie kümmern müssen. Los, zur Tür!“

Sean lief vor dem Revolver weiter und trat auf die Veranda hinaus.

„Jared!“, rief er bellend. „Er ist hinter mir!“

Dumpf schallten seine Worte vom Bunkhaus zurück und mussten wie Hohngelächter in seinen Ohren klingen.

„Jared, warum gibst du keine Antwort?“, rief er. „Du bist doch noch hier?“

Plötzlich merkte Jay Durango, wie der Bandit zusammenzuckte. Er blickte über Seans Schulter und sah den huschenden Schatten an der Schuppenecke, der in dieser Sekunde auf das Pferd zulief und in die Höhe sprang.

„Jared, das ist gemein!“, brüllte Sean.

Da saß Zattig schon auf dem gesattelten Pferd und zog ihm die Zügel über den Kopf.

„Halt, Zattig!“, rief Jay Durango.

Jared Zattig hörte nicht darauf. Mit einem Fluch trieb er das Pferd an. Es stürmte zwei, drei Sätze vorwärts, bis Jay die Waffe neben Seans Arm angeschlagen hatte.

„Jared!“, brüllte der junge Bandit.

Da krachte die Waffe. Ein Feuerstoß jagte an Sean vorbei und blendete ihn. Die Kugel strich über die Hinterhand des Pferdes. Erschrocken wiehernd stieg es in die Höhe. Jared Zattig wurde aus dem Sattel geschleudert. Nur den Bruchteil einer Sekunde lag er auf dem Boden. Dann wurde er von dem anspringenden Tier jäh mitgerissen, denn sein Stiefel hatte sich im Steigbügel gedreht und verklemmt. Das Tier riss ihn über den Boden und wieherte wieder. Das Pferd donnerte auf die Brücke. Zattigs Kopf knallte gegen das Geländer. Dann wurde er über die Bohlen gerissen. Staub wallte in die Höhe.

Plötzlich blieb Zattig liegen. Das Pferd stürmte weiter.

Jay Durango blickte zu der Stelle, an der der Bandit lag. Über ihm schien sich der Staub im Kreis zu drehen. Das Pferd verschwand in der Nacht.

Jay drückte Sean Tetley den Revolver wieder mit der Mündung in den Rücken.

„Weiter“, befahl er. „Wir wollen nachsehen, ob ihm noch zu helfen ist.“

Sean stieg die Treppe hinunter. Seine Knie schienen zu zittern. Obwohl er und Clint Rule mehrfach versucht hatten, den lästigen und gefährlichen Zeugen zu beseitigen, schien ihm nun dessen jähes Ende doch in die Glieder gefahren zu sein. Am Ende der Treppe blieb Sean Tetley stehen.

„Wozu noch?“, fragte er heiser. „Er ist tot, das sieht man doch. Und beerdigen willst du ihn ja doch nicht.“

„Weiter!“, kommandierte Jay.

Sean setzte sich wieder in Bewegung. Dann, als er neben Rule war, hielt er wieder an. Er bückte sich und drückte seinem toten Kumpan die Augen zu.

Jay war einen Schritt zurückgetreten. Er war bei Sean immer auf Überraschungen gefasst, auch wenn es im Moment so schien, als wäre der junge Bandit unfähig, etwas zu unternehmen oder an etwas anderes als seine gestorbenen Kumpane zu denken.

„Weiter, Sean!“, stieß Jay Durango hervor.

Der Bandit richtete sich auf und lief mit steifen, schleifenden Schritten weiter. Unter seinen Stiefeln dröhnten die Bohlen der Brücke.

Dann standen sie bei Jared Zattig. Eine breite Wunde klaffte an seiner Schläfe. Er musste gleich, nachdem er mit dem Kopf ans Brückengeländer geschlagen war, tot gewesen sein.

Sean bückte sich auch bei ihm nieder und schloss ihm die Augen. Dann richtete er sich wieder auf.

„Und nun?“, fragte er hohl.

„Nun nehmen wir uns Pferde. Jeder zwei. Ich muss noch meinen Sattel suchen.“

„Warum zwei Pferde?“

„Damit wir schnell genug sind, Sean. Sobald die ersten beiden nicht mehr können, lassen wir sie zurück. Ich will sichergehen.“

„Vielleicht hat mein Vater längst alles durchschaut und ist bereits auf dem Rückweg.“

„Vielleicht, Sean. Wir werden es sehen. Vorwärts, dort hinüber!“

Sean warf noch einen Blick auf den Colt, der aus Zattigs Halfter gerutscht war. Dann wandte er sich um und ging über die Brücke zurück.

*

Tobe Tetley starrte dem Mann, der auf der Fährte des Reiters zurückkam, entgegen.

Vor ihm hielt der Mann an.

„Und?“

„Es ist wirklich nur einer, Boss. Er ist nach Westen geritten. Hinter dem Hügel führt die Spur in der gleichen Richtung weiter. Vielleicht sollten wir ihr folgen.“

„Wozu?“

Der Mann zuckte die Schultern.

„Das weiß ich auch nicht, Boss.“

Tobe Tetley schaute die anderen an.

„Was sagt ihr dazu?“, knurrte er. „Sagt doch etwas! Was denkt ihr?“

„Vielleicht haben sie uns zum Narren gehalten, Boss“, meinte einer.

„Wie?“

„Einer von ihnen trieb die Pferde weg. Mit dem Leithengst am Lasso ist das eine Kleinigkeit, schätze ich. Der andere ...“

Der Mann brach ab, als Tetleys Arm scharf die Luft durchschnitt. Alle schwiegen und starrten den Rancher an. Dann sagte Tobe Tetley: „Die anderen Pferde. Zwei Mann kommen mit den abgetriebenen Tieren nach und kümmern sich um die Herde. Al, du und noch einer!“

Tetley saß ab, nahm seinem Pferd den Sattel ab und warf ihn auf den Rücken des anderen Tieres, das Al ihm schon heranführte. Al half Tetley und schlug dem Pferd auf die Hinterhand, als Tetley im Sattel saß.

Das Pferd trabte an. Mann um Mann folgten die Reiter dem Rancher, aber die meisten warfen Al erst einen Blick zu.

„Matt, du bleibst hier!“, rief Al da dem vorletzten Cowboy zu.

Der Mann hielt sein Pferd an und grinste den anderen an.

„Warum ich?“, fragte er.

„Ist es dir nicht gleichgültig? Wer weiß, was auf der Ranch wartet.“

„Sicher eine Überraschung, die dem Boss gar nicht gefällt, Al. Aber vielleicht hätte ich sein Gesicht gern gesehen.“

„Kann schon sein, Matt. Nur, was hast du davon?“

„Eine ganze Menge, denke ich. Er hat mich mal mit der Peitsche geschlagen. Ich würde sein Gesicht wirklich gern sehen. Immerhin ist es möglich, dass Sean nicht mehr da ist.“

„Das denke ich auch. Aber du hast nicht darüber nachgedacht, was danach kommt.“

„Danach?“

„Denkst du, er ist damit zufrieden, dass Sean verschwunden ist? Das glaubst du doch nicht - oder?“

„Er würde nach Spuren suchen lassen. So wie hier. Dann würde er reiten.“

„Eben, Matt. Er wird reiten, auch wenn es längst zu spät ist. Er wird vor der Hölle nicht Halt machen, wenn Seans Spur in sie führt. Und alle, die dann bei ihm sind, reiten mit in die Hölle. Deshalb solltest du froh sein, dass wir hier sind. Hier ist nicht die Hölle, Matt.“

„Ja, Al. Dann vielen Dank.“

„Wir wollen die Pferde sammeln und der Herde folgen. Vielleicht finden wir sie erst morgen, oder übermorgen. Na, wir haben ja Zeit!“

Matt grinste.

„Ja, wir haben viel Zeit, Al. Wenn sie in die Hölle reiten, kommen sie nicht wieder. Wer bezahlt uns dann?“

„Wir müssten uns selbst bezahlen. Ich weiß, wie der Tresor aufgeht.“

„Was du nicht sagst.“

„Ja, Matt. Ich stand einmal daneben, als er offen war, und ich sah die eingestellten Zahlen. Vielleicht dachte der Boss, ich könnte es nicht ablesen oder nicht behalten. Aber ich habe es behalten.“

Matt ging auf Al zu und griff ihm nach der Schulter. Er grinste nicht mehr.

„Wie sind die Zahlen?“, fragte er drängend.

„Das sage ich dir, wenn feststeht, dass sie wirklich in die Hölle geritten sind!“

*

Dave Harmon parierte das Pferd und stieg ab. Das Tier trug ein Kopfgeschirr. Dave nahm das zweite Lasso, das er bis jetzt über der Schulter getragen hatte, und schnitt sich zwei yardlange Enden zurecht, die er als Zügel rechts und links an das Kopfgeschirr band. Dann saß er wieder auf und ritt weiter. Jetzt konnte er das Pferd besser lenken und ritt dorthin, wohin er wollte. Sein Blick war auf den Boden geheftet. Dave ritt jetzt nach Süden. Er hoffte, irgendwo mit seinem Vormann wieder zusammentreffen zu können, aber er hatte keine Ahnung, wo Jay jetzt sein könnte. Vielleicht war er noch weit hinter ihm. Vielleicht aber auch schon vor ihm, denn er, Dave, hatte einen Bogen geschlagen und wusste selbst nicht mehr, wo er sich befand. Niemals zuvor war er in dieser Gegend gewesen. Auch gestern mit Jay war er nicht hier gewesen.

Dave ritt über einen Hügel und in ein Tal hinunter. Endlos breitete sich die Prärie vor ihm aus, und er konnte sie, als der Mond aufgegangen war, weit überblicken.

In der Ferne heulte ein Wolf. Das Pferd scheute. Dave beruhigte es durch leises Murmeln. Dann stieg er ab und führte das Pferd ein Stück, weil ihm alles zu schmerzen begann. Dann wieder ritt er und suchte den Boden ab.

Als er glaubte, schon zu weit im Süden zu sein, kehrte er um und ritt nach Nordwesten. Ihm war klar, dass er Jay nur noch durch Zufall finden konnte. Genauso zufällig konnte er aber auch den Verfolgern in die Hände laufen, wenn Jays Plan aufgegangen war, was er nicht wusste.

*

Tobe Tetley hatte sein Pferd vor der Brücke angehalten. Das Tier ging schnaubend rückwärts, weil der Tote vor ihm lag.

Zwei Männer waren abgestiegen und hatten sich über Jared Zattig gebeugt. Schweigend standen sie wieder auf und blickten den Rancher an.

„Weiter“, sagte Tobe Tetley rau. Er wollte sein Pferd anspornen, aber es brach nach der Seite aus. Erst dann, als es neben dem Toten war, ging es wieder vorwärts und über die Brücke.

Die Reiterschar folgte dem Rancher. Vielleicht hatten sie alle damit gerechnet, hier niemanden mehr anzutreffen. Aber die Toten ließen die Männer frieren.

Tobe Tetley hielt vor der Veranda wieder an. Zwei Männer trugen hinter ihm Jago Kidd an die Schuppenwand. Tetley stieg ab und ging die Treppe hinauf. Als er wieder aus dem Haus kam, sah sein Gesicht grau aus. Er stieg die Treppe schweigend hinunter und stieg auf das abgetriebene, schaumbedeckte Pferd.

„Er hat ihn geholt“, sagte er. „Sucht nach Spuren. Beeilt euch!“

Die Männer warfen die Pferde herum und stoben so schnell auseinander, als hätten sie es eilig, aus Tobe Tetleys Nähe zu kommen. Der Rancher zog seinen Colt und sah die Trommel nach.

Nach wenigen Minuten hörte er Rufe und drehte das Pferd. Die ersten Reiter kamen aus westlicher Richtung zurück.

„Wir haben die Spur!“, riefen sie.

Tetley ritt an den Männern vorbei. Hinter der Brücke setzte ein Mann sein Pferd vor ihn und führte ihn zu der Spur von vier Pferden, die nach Westen führte.

Sie ritten ein Stück neben ihr her, dann hielt Tetley an.

„Wie alt?“, fragte er.

Der Cowboy saß ab und befühlte den Boden mit den Fingerspitzen. Dann schaute er auf und meinte: „Höchstens drei Stunden, Boss.“

„Die anderen sollen sich beeilen. Ich brauche jeden Mann! Jeden!“

Der Mann schrie etwas. Nach und nach kamen die Reiter heran, um hinter dem Rancher Aufstellung zu nehmen.

„Ist alles da?“

„Alles, Boss.“

„Dann vorwärts.“

Tetley trieb sein Pferd an und jagte in die Prärie hinaus. Der Spur war so leicht zu folgen, dass sie im Galopp ritten. Schaumflocken wehten Tetley ins Gesicht, aber auch das ließ ihn nicht daran denken, dass sie vergessen hatten, die Pferde zu wechseln.

*

Im Osten kroch das erste Grau des anbrechenden Tages in die Höhe.

„Hey! Hey!“, schrie Sean Tetley und schlug die Hände klatschend gegeneinander.

Die beiden Pferde, die sie abgesattelt hatten, stoben davon. Jay Durango, der noch seinen Sattel festschnallte, achtete nur darauf, dass Sean ihm nicht zu nahe kam. Plötzlich sah er, wie Sean gegen sein eigenes Pferd sprang. Für einen Moment sah es so aus, als wollte er sich in den Sattel werfen und zu fliehen versuchen. Dann aber trat er dem Tier so wild in die Flanke, dass es sich aufbäumte, zurückfiel und davondonnerte.

Drei Sekunden stand Jay Durango starr und begriff nicht. Dann hörte er Seans triumphierendes Lachen, und als der junge Bandit sich umwandte, sah er sein tückisches Grinsen.

Da warf sich Jay Durango in den Sattel und preschte hinter dem Pferd her. Da der Tritt nicht allzu heftig gewesen war, lief es nicht sehr schnell. Jay machte das Lasso los und legte es während des Rittes in der Hand zurecht. Wieder trieb er das Pferd an. Das andere Tier durfte nicht entkommen. Schon kam er näher. Sein Arm mit dem Lasso streckte sich, und die Hand begann zu schwingen. Er trieb das Tier etwas nach links, um dem anderen in die Flanke zu kommen. Die Zügel schliffen über den Boden, und es war wie ein Wunder, dass das Tier noch nicht darauf getreten und gestürzt war, um sich das Genick zu brechen.

Dann flog die Schlinge schwirrend durch die Luft, verfing sich über dem Hals des Tieres und zog sich zu. Jay Durango lenkte sein Pferd noch weiter nach links und ließ es langsamer werden. Als er hielt und das andere, zitternde Pferd neben sich hatte, blickte er zurück.

Sean war ein sich bewegender Punkt in der Ferne.

Jay Durango befreite das zweite Pferd von dem Lasso und nahm es am Zügel. Schnell ritt er zurück.

Der Punkt wurde größer. Sean rannte nach Osten. Er rannte so schnell, dass er bald stolperte und fiel. Er lag noch, als Jay ihn erreichte.

Sean Tetley hatte den Kopf gehoben und starrte seinen Widersacher hassglühend an.

„Vielleicht hätte es .klappen können, Sean. Ich weiß, dass wir auf einem Pferd nur eine sehr kleine Chance gehabt hätten. Aber das Schicksal scheint nun endgültig gegen dich zu sein. Steh auf und steige in den Sattel.“

Sean setzte sich.

„Ich will nicht!“, schrie er noch immer außer Atem. „Ich bleibe hier.“

Jay stieg ab.

„Steig auf“, befahl er noch einmal. „Du bleibst nicht hier. Ich bringe dich nach San Angelo.“

Sean bewegte sich nicht.

Jay packte ihn am Kragen und zerrte ihn in die Höhe. Mit den gefesselten Händen griff Sean nach seinem Revolver und riss ihn aus der Halfter. Doch als er ihn herumschwingen wollte, hämmerte ihm Jay die Handkante so hart über die Gelenke, dass sich seine Finger öffneten. Der zweite Schlag traf Sean gegen das Kinn und stieß ihn rittlings von den Beinen.

Jay Durango bückte sich nach seinem Revolver, wischte den Sand ab und schob ihn in die Halfter zurück.

„Steh auf“, befahl er. „Steh auf - oder ich prügle dich auf die Beine.“

Sean stand auf.

„Ja, das würdest du tun!“, stieß er fast flüsternd hervor. „Du bist brutal und grausam, Durango. Du hast kein Herz.“

„Was ist los, Sean? Was soll der Blödsinn? Ich habe nie ein Herz für Verbrecher gehabt, und es gibt nichts, was ihr Tun bei mir entschuldigen könnte. Steig auf das Pferd, oder ich prügle dich in den Sattel.“

Sean ging an ihm vorbei und stieg auf das Pferd. Jay ging hinten um das Tier herum und schwang sich in den Sattel des anderen.

„Los!“

Sean setzte das Pferd in Bewegung. Mehrmals versuchte er, näher an Jay heranzukommen, bis der sein Pferd wieder parierte. Sean hielt ebenfalls an.

„Hör zu“, sagte Jay. „Du hast es lange genug versucht. Hör jetzt damit auf. Das nächste mal, wenn ich dich niederschlagen muss, werde ich dich binden.“

Sean hielt die gefesselten Hände in die Höhe.

„Ich werde dich richtig binden. Mit dem Lasso, Sean. Dann kannst du mir nicht mehr gefährlich werden. Ich habe es bis jetzt nur vermieden, weil ich weiß, dass es Quälerei ist.“

„War das alles?“, fragte Sean hämisch.

„Du solltest dich danach richten.“

Sean ritt weiter. Jay hielt sich ein Stück links hinter ihm. Uber der Prärie begann die Nacht grau zu werden. Jay Durango schlug Seans Pferd mit dem zusammengerollten Lasso auf die Hinterhand. Das Tier fiel sofort in Galopp. Er sprengte ihm nach und rief: „Soviel Zeit wie du habe ich nicht, Sean.“

*

„Boss, die ersten Pferde können nicht mehr!“, rief der Reiter neben dem Rancher. „Wir haben vergessen, sie zu wechseln.“

„Jetzt ist es zu spät!“, brüllte Tobe Tetley zurück. „Treibt die Pferde schärfer an!“

Der Mann gab den Befehl weiter, und die Reiter setzten ihren Pferden die Sporen mit verkanteten Gesichtern fester ein. Die Pferde schnaubten und wieherten gequält.

Plötzlich brach das erste Tier zusammen. Der Mann flog durch die Luft und blieb auf dem Rücken liegen. Hinter ihm versuchte sein Pferd aufzustehen, schaffte es aber nicht.

Ein Cowboy parierte sein eigenes, schaumbedecktes Pferd, zog den Revolver, richtete die Mündung auf den Kopf des kämpfenden Tieres und drückte ab.

Der Kopf des gequälten Pferdes fiel zu Boden.

Der Cowboy stand auf und kam hinkend zurück.

„Danke, Jack“, sagte er gepresst. „Das habe ich noch nie mit einem Pferd gemacht. Es ist eine Schande.“

Der andere nickte. Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass alle hielten und der Rancher zurückgeritten kam.

„Was passt dir nicht, Orson?“, fragte Tobe Tetley dunkel und starrte den Mann an, als wollte ihn sein Blick verbrennen.

„Es passt mir nicht, dass die Pferde zuschanden geritten werden, Boss!“

Tetley ritt noch näher und schickte den Mann mit einem Faustschlag zu Boden. Der Mann wälzte sich über die Erde und schrie vor Schmerz. Den anderen schien das Blut in den Adern zu gefrieren.

„Es geht um mehr als ein Dutzend Pferde“, knurrte Tetley. „Wer nicht mehr mitmachen will, soll absteigen und sein Pferd ausruhen lassen. Darauf komme ich zurück. Weiter!“

Er warf sein Pferd herum und trieb es ohne Gnade wieder zum Galopp an.

Die anderen folgten ihm einer nach dem anderen. Zuletzt war nur noch der Mann da, der auf dem Boden lag. Er stand, auf und blickte in die Staubwand, die ihm entgegenwallte.

„Schwein!“, stieß er hervor. Dann ging er unsicher zu dem toten Pferd und öffnete die Schnalle, um den Sattel unter dem toten Tier hervorzuziehen.

Als er sich den Sattel auf die Schulter geladen hatte, waren die Reiter im Grau der scheidenden Nacht zu kleinen, unklaren Punkten geworden.

Orson wandte sich ab und lief auf einen Hügel zu. Noch war er sich nicht im klaren, dass er in dieser Richtung die Ranch nicht erreichen konnte. Dann aber, als er endlich auf der Hügelkuppe stand, wusste er, dass es in dieser Richtung nach Norden ging. Er lief weiter.

Unterdessen hatten Tetley und seine Reiter mehr als eine weitere Meile hinter sich gebracht. Da brach das zweite Pferde zusammen. Die anderen Tiere scheuten.

„Wir müssen langsamer reiten!“, rief der Mann neben dem Rancher gegen den scharfen Reitwind.

Tetley achtete nicht darauf.

„Langsamer, Boss!“, schrie der Mann wieder.

Tetley blickte ihn an.

„Wir können nicht langsam reiten, wenn wir sie einholen wollen!“, rief er zurück. Dann schlug er seinem Pferd die Faust zwischen die Ohren. „Schneller, verdammt!“

*

Die Sonne war noch nicht lange aufgegangen, aber es war schon sehr heiß. Sean Tetley war auf den Hals seines Pferdes gesunken und schien zu schlafen. Die Pferde liefen im Schritt die Böschung zu dem Bach hinunter, der das Gelände durchschnitt. Als sie mit den vorderen Hufen im Wasser stehenblieben, hob Sean immer noch nicht den Kopf.

Jay Durango stieg ab, machte seine Flasche vom Sattel los und ließ das brackige Wasser auslaufen. Er bückte sich und füllte die Flasche, aus der gluckernde Luftblasen stiegen. Im Wasser sah er die verzerrten Spiegelbilder der Pferde. Sean auf dem Pferdehals schien sich zu bewegen.

Jay blickte auf. Er hatte sich geirrt. Sean lag noch genauso wie vorher.

Jay verschloss die Flasche, ging zurück und befestigte sie an dem Riemen an seinem Sattel. Dann stieg er auf, wartete, bis die Pferde genug gesoffen hatten und griff nach den Zügeln des anderen Tieres. In diesem Moment bewegte sich Sean flink wie eine Raubkatze. Sein gekrümmter Körper schnellte auseinander. Beide Fäuste wirbelten so jäh herum, dass Jay Durango ihnen nicht mehr ausweichen konnte. Er wurde nach der anderen Seite gestoßen und verlor den Halt im Sattel.

Mit dem Rücken zuerst schrammte er auf den Boden und sah Sean aus dem Sattel flanken. Schmerzen rasten seinen Rücken hinunter. Eine Hitzwelle flutete durch seinen Kopf. Er biss die Zähne zusammen und sprang auf. Als Sean um das Pferd herumkam, hatte er den Colt in der Hand und spannte den Hammer mit dem Daumen.

Scharf hielt der junge Bandit an. Enttäuschung zeichnete sein Gesicht.

„Nein“, sagte er.

„Was, Sean?“

„Das gibt es doch nicht. Ein Mann kann nicht pausenlos wachsam sein.“

„Vielleicht kommt es nur auf den Willen des betreffenden Mannes an, Sean.“

Der junge Tetley machte noch einen Schritt. Jay Durango hob die Mündung des Colts, so dass Sean in den Lauf schauen konnte und stehen blieb.

„Wirst du wirklich schießen?“, fragte er heiser.

„Natürlich.“

„Aber dann bringst du mich nicht dorthin, wohin du mich bringen willst.“

„Doch, Sean. Ich. werde dich nicht töten.“ Die Mündung der Waffe zuckte tiefer und zeigte auf Seans Leib. „Ich werde dich bestimmt nicht töten. Aber es wird schmerzhaft für dich werden. Es ist besser, du zwingst mich nicht dazu.“

Sean Tetley schien etwas zu verschlucken. Dann machte er zwei Schritte rückwärts, als wollte er hinter den Pferden verschwinden. Jay Durango folgte ihm. Sean prallte gegen den Leib seines Tieres und musste stehen bleiben.

„Steig wieder auf und nimm die Zügel, Sean!“, kommandierte Jay Durango.

Sean griff hinter sich nach dem Sattelhorn, aber sein Blick wanderte noch immer zwischen Jays Augen und der auf ihn gerichteten Waffe hin und her.

„Steig auf, wir reiten weiter!“, schrie Jay Durango.

Da drehte sich der junge Bandit etwas und schob den angehobenen Stiefel in den Steigbügel.

„Vielleicht hättest du schießen sollen“, sagte er dumpf und drohend. „Es werden noch andere Momente kommen, Durango. Ein Mann kann nicht immer wachsam sein!“ Er schwang sich in den Sattel und blickte über den Hals seines Pferdes hinweg nach Westen.

Jay drängte sein Pferd weiter nach links, um unbehindert aufsitzen zu können. Dann saß er im Sattel.

„Vorwärts, Sean!“

Der Bandit ritt durch den Bach und die steile Uferböschung auf der westlichen Seite hinauf. Als sie die Höhe erklommen hatten, blickte Sean Tetley zurück. Aber hinter ihnen waren noch keine Reiter auf dem welligen Land zu sehen.

Sean lenkte sein Pferd in einem unauffälligen Bogen nach Norden. Vielleicht glaubte er, Jay Durango so täuschen und in eine falsche Richtung bringen zu können.

Aber Jay hielt sein Pferd zurück und ritt dann auf die rechte Seite des Banditen. Hart prallten die Pferde zusammen. Seans Tier wieherte. Jay schlug ihm auf die Hinterhand. Da folgte es wieder der alten Richtung.

Sean grinste verkniffen.

„Du scheinst wirklich alles zu merken“, knurrte er. „Warten wir ab, ob es dabei bleibt. Bis San Angelo müssen es noch fast fünfzig Meilen sein.“

Jay Durango gab keine Antwort. Er trieb sein Pferd durch einen harten Schenkeldruck schneller vorwärts, griff nach dem Kopfgeschirr von Seans Pferd und riss es mit. Sean Tetley musste sich mit den aneinandergebundenen Händen am Sattelhorn festhalten und hatte so keine Möglichkeit, etwas gegen Jay Durango zu unternehmen.

*

Der Mann, der die Ränder der Hufeindrücke abgetastet hatte, richtete sich auf und zog den Hut tiefer in die Stirn. Die Sonnenstrahlen blendeten ihn, als er den Rancher anschaute.

„Und?“, knurrte Tetley drängend.

„Sie sind höchstens noch eine Stunde vor uns“, sagte der Mann. „Sean scheint es ihm schwerzumachen, schnell voranzukommen. Er muss alles Mögliche versucht haben, Boss.“

„Steig wieder auf.“ Tobe Tetley blickte sich um. Es waren noch sechs Männer, die ihn umgaben: sechs Männer auf abgetriebenen, schwankenden Pferden.

„Steig auf“, sagte er zu dem Mann, der vor seinem Pferd stand. „Wir müssen ihn einholen.“

Der Cowboy saß auf. Verbissen schwiegen sie alle.

„Weiter!“, kommandierte Tobe Tetley und trieb sein Pferd wieder an.

Die anderen folgten seinem Beispiel. Unwillig schnaubten die Pferde und schwankten hin und her. Es dauerte eine Weile, bis sie wieder richtig in Gang gekommen waren und schneller werden konnten.

Tetley ritt an der Spitze seiner Mannschaft. Er war der schwerste der Männer und hatte auch das stärkste Pferd. Es war nicht weniger abgetrieben und fertig als die anderen, aber vielleicht konnte es am längsten durchhalten.

Sie waren nicht weit gekommen, als am Schluss ein Tier kläglich wieherte, zur Seite strauchelte und vorn einbrach. Der Cowboy wollte sich aus dem Sattel schnellen. Aber er war selbst müde und ausgebrannt und hatte nicht mehr die Kraft in den Beinen, die er für den Sprung gebraucht hätte. Er stürzte mit dem Tier, wurde über dessen einknickenden Hals geworfen und rollte über den Boden. Das Pferd unternahm den sinnlosen Versuch, noch einmal aufstehen zu können, schaffte es aber nicht. Langsam neigte sich der schwere Körper zur Seite. Es lag auf der Flanke, nur der Kopf noch gehoben und die großen, ängstlichen, verzweifelt blickenden Augen auf den Mann gerichtet, der aufstand und den Colt aus der Halfter zog.

Als könnte das Pferd wissen, was geschehen sollte, wieherte es noch einmal, und es klang, als würde ein Mensch um Hilfe rufen. Dann fiel der Schuss. Pulverdampf trieb zwischen dem Mann und dem Pferd, dessen Kopf die Kugel getroffen und zu Boden gestoßen hatte.

Der Reiter schob den Revolver in die Halfter, wandte sich um und blickte den anderen nach, die vor einer Wand wehenden Staubes nach Westen preschten.

Dann schaute er wieder auf das Tier.

Der achtjährige Wallach war sein Pferd gewesen.

„Verrückt sind wir“, knurrte er. Dabei musste er an die anderen Reiter der Tetley-Ranch denken, die schon vor ihm ganz genauso zurückgeblieben waren. Wahrscheinlich hatten, sie genauso gedacht wie er jetzt.

Der Mann bückte sich, öffnete die Schnalle des Sattels und zog den Gurt und den Steigbügel unter dem schweren, noch dampfenden Tierkörper hervor. Er lud ihn sich auf die Schulter und ging den Weg, den sie gekommen waren, zurück. Er hatte den Lohn bekommen - aber anders, als Tobe Tetley ihn versprochen hatte. Vielleicht dachte der Rancher schon lange nicht mehr daran.

„Die Hölle soll euch fressen“, murmelte er verbittert. Er schaute auf die breite Spur im Gras, der er folgte. Sein eigenes Pferd hatte mitgeholfen, sie in den Boden zu zeichnen.

Nun lag es hinter ihm. Er hatte seinen besten - vielleicht seinen einzigen wahren Kameraden verloren und war sich plötzlich klar, dass er so schnell keinen Ersatz für ihn finden würde.

Die Fußsohlen schmerzten ihm. Er wechselte den Sattel auf die andere Schulter. Auf einmal lief er neben der dunklen Spur, und dann geriet er immer weiter links neben sie, bis er nach Süden lief und sie nicht mehr sehen konnte. Er würde auch die Ranch nicht mehr zu Gesicht bekommen. Der Tod des Pferdes hatte für ihn alles verändert. Vielleicht war es doch irgendwo möglich, einen Job zu bekommen.

*

Die beiden Pferde hatten den Hügel erklommen und liefen in die Büsche hinein. Aber der Salbei bestand nur aus einer mauerartigen Hecke, in deren Mitte die Hügelkuppe frei vor den beiden Reitern lag.

Jay Durango hielt an, als Sean Tetley sein Pferd zügelte. Er blickte zurück, sah die Ebene im grellen Sonnenlicht, aber nichts von Verfolgern.

Sean, der sich ebenfalls umgewandt hatte, verzog das Gesicht. Jay Durango stieg ab. Sean folgte seinem Beispiel.

„Willst du rasten, bis du sie sehen kannst?“, fragte der junge Bandit. „Sie müssen bald kommen.“

Jay Durango lockerte den Sattelgurt, ohne die Worte des Banditen zu beachten.

Sean kam um sein Pferd herum. Jay wandte sich nach ihm um.

„Wir lassen die Pferde zehn Minuten verschnaufen. Dann reiten wir weiter.“

Er schob Sean zur Seite und wollte zu dessen Pferd, um ihm ebenfalls den Sattelgurt zu lockern. In dieser Sekunde griff der Bandit blitzschnell nach seiner Hüfte.

Jay spürte, wie der Colt aus seiner Halfter glitt, und warf sich herum. Sean hatte die Waffe mit beiden Händen gepackt und sprang flink zurück. Jay setzte ihm nach und wollte nach der Mündung schlagen, aber Sean riss die Arme mit dem Revolver zur Seite, und Jays Schlag ging ins Leere.

Sean sprang noch weiter zurück. Jay rannte auf die Büsche zu, und als Sean wild und triumphierend auflachte, warf er sich mit einem Hechtsprung vorwärts.

Peitschend hallte die Detonation des ersten Schusses in die Büsche hinein. Neben Jay Durango pflügte die Kugel den Boden auf und warf ihm Sand ins Gesicht. Er wälzte sich um seine eigene Achse und hörte das Krachen des zweiten Schusses. Die Kugel ging dicht an seinem Gesicht vorbei und bohrte sich mit einem dumpfen Geräusch in den Boden.

Jay sprang auf und warf sich mit einem verzweifelten Satz in die Büsche. Hinter ihm peitschte der dritte Schuss auf. Die Kugel riss Äste vom Buschwerk, die noch in der Luft tanzten, als Jay schon im Dickicht lag. Er sprang auf und hastete weiter. Zweige peitschten in sein Gesicht. Dann blieb er stehen und drehte sich um. Er konnte Sean und die beiden Pferde nicht mehr sehen. Seine Hand tastete zum Stiefelschaft hinunter und zog das Messer. Er wusste, dass die Waffe gegen den Colt ziemlich wirkungslos war, aber er würde kämpfen, solange er konnte.

„Durango, komm her!“, rief Sean aus der Richtung, in der die Pferde stehen mussten. „Ich verspreche dir ein schnelles Ende.“ Sein wildes Lachen folgte den Worten.

Jay bewegte sich lautlos nach links und umging den freien Platz.

„Durango!“, schrie Sean nach einer Weile. „Willst du mich einschüchtern? Von irgendwo musst du kommen, und ich kann dreimal schießen, bevor du bei mir sein kannst.“

Jay war stehengeblieben und wartete.

„Durango!“, meldete sich Sean Tetley wieder. „Ich habe keine Angst, hörst du? Ich habe deine Waffe. Du hast keine mehr. Komm her, ich mache es kurz!“

Jay ging weiter. Plötzlich wurde das Geäst zwischen ihm und dem freien Platz dünner. Er sah die beiden Pferde und Sean Tetley, der sich im Kreis drehte, ihm jäh das Gesicht zuwandte und zusammenzuckte.

Jay warf sich zu Boden, als die Waffe in der Hand des jungen Banditen in die Höhe sprang. Er hörte den Knall des Schusses in der gleichen Sekunde, in der seine Schultern hart den Boden berührte. Die Kugel ging über ihn hinweg. Jay Durango wartete keine Sekunde. Er sprang auf und hastete dorthin zurück, woher er gekommen war. Hinter sich hörte er einen enttäuschten Fluch. Dann plötzlich fielen zwei Schüsse dicht hintereinander. Ein schauriges Wiehern schlug an Jays Ohren. Er zuckte zusammen, stand ein paar Herzschläge lang wie gelähmt und teilte dann die Büsche vor sich mit den Händen auseinander, um zu Sean zurückzugehen.

Das Messer fiel aus seiner Hand, als er die Hügelkuppe überblicken konnte.

Sean stand neben den beiden zusammengebrochenen Pferden. Er hatte den rauchenden Revolver noch in der Hand.

Jay trat aus den Büschen und blieb wieder stehen. Sean warf ihm den leergeschossenen Colt entgegen.

„Viermal wollte ich dich töten“, sagte er fast gelassen. „Es ist mir nicht gelungen. Vielleicht hätte ich die beiden anderen Kugeln auch noch verschwendet.“ Er unterbrach sich und blickte auf die Pferde. Sie waren tot. „Sie konnte ich nicht verfehlen“, fuhr er dann fort. „Sie standen direkt neben mir, Durango. Nun hast du doch verloren.“

Jay Durango bückte sich nach der Waffe, lud sie und schob sie in die Halfter. Diesmal hakte er die Sicherheitsschlinge über den Hammer.

„Meinem Vater kann ich doch nicht entgehen“, sprach Sean weiter. „Er würde mich überall finden.“

„Ach so.“

„Ja, Durango. Nun entgehen wir ihm beide nicht mehr. Du bringst mich nicht nach San Angelo!“

Jay Durango blickte auf den Weg, den sie gekommen waren, zurück. In der Ferne schien Staub in die Höhe zu steigen. Aber vielleicht war es auch nur das Flimmern in der Luft.

Er hatte einen Fehler gemacht. In dem Wunsch, kein Aufsehen zu erregen, hatte er die Poststraße gemieden.

So war er jetzt von der nächsten Station, wo er vielleicht Pferde bekommen konnte, mindestens fünf Meilen entfernt.

„Wir laufen, Sean“, sagte er. „Du gehst vor mir her. Und du wirst so schnell gehen, wie du kannst. Vorwärts!“ Jay schob die Schlinge wieder vom Hammer des Colts und zog die Waffe, um sie auf Sean zu richten.

„Zu spät“, meinte der junge Bandit. „Dort kommt mein Vater, Durango!“

Jay warf den Kopf herum. Es war wirklich Staub gewesen, was er gesehen hatte. Und jetzt näherten sich ein paar Punkte, die langsam größer wurden.

„Wir kommen keine Meile mehr, Durango! Du hast verspielt.“

Jay ging rückwärts, bückte sich nach seinem Messer und schob es in den Stiefelschaft. Sean war ihm einen Schritt gefolgt. In dem Moment, in dem Jay Durango den Colt in der linken Hand hatte, sprang der junge Bandit.

Aber Jay hatte das Messer schon im Stiefel. Seine Faust schnellte vorwärts und traf Sean Tetley so hart gegen das Kinn, dass der gestoppt und rückwärts geworfen wurde. Er fiel auf den Rücken und atmete keuchend.

Jay nahm den Revolver wieder in die rechte Hand und ging auf den Banditen zu.

„Das war noch für die Pferde mit“, sagte er. „Bleib liegen!“ Die Mündung der Waffe richtete sich auf Sean Tetley.

„Das wagst du nicht! Ich habe keine Waffe.“ Sean hob die gefesselten Hände.

„Vielleicht hast du es weit genug getrieben, dass ich alles wage, Sean.“ Jay ging rückwärts. „Bleib liegen“, mahnte er noch einmal. Er blickte in die Ebene hinunter. Aus den Punkten waren Reiter geworden. Aber es waren nur noch drei. Das Pferd des einen brach nach der Seite aus. Jay sah wie der Mann aus dem Sattel sprang. Das Pferd wurde langsamer und lief dann. Es schien hart am Zusammenbrechen zu sein, fiel aber nicht.

Die beiden anderen kamen weiter auf der Spur geritten. Jay erkannte, dass einer von ihnen der Rancher war. Er ging im Bogen um Sean herum und schob die Büsche mit der linken Hand und dem Revolver auseinander.

Dann stand er vor den Salbeibüschen und wartete. Er würde, wenn er die Zeit dazu hatte, sechsmal schießen können. Langsam ging er weiter. Wenn Sean durch die Büsche brach, musste er es hören. So konnte er sich auf die Reiter konzentrieren.

Sie kamen schnell näher und hatten nach wenigen Minuten den Fuß des lang auslaufenden Hügels erreicht. Da brach das Pferd des letzten Cowboys jäh zusammen. Der Mann überschlug sich und blieb reglos liegen. Es sah aus, als hätte er sich das Genick gebrochen.

Tobe Tetley kam allein weiter. Mühsam kämpfte sich sein großes Pferd die Hügelflanke herauf. Er zog das Gewehr aus dem Scabbard und schoss, aber er war so aufgeregt, dass die Kugel weit über Jay Durango hinweg ging.

Jay wartete. Die zweite Kugel verfehlte ihn ebenfalls. Da ließ der Rancher das Gewehr fallen und zog den Colt.

Jay Durango schoss auf ihn. Seine Kugel fetzte dem Rancher den Hut vom Kopf. Tobe Tetley zuckte zusammen und feuerte zurück. Aber die Kugel lag zu kurz und bohrte ein Loch in den Boden. Da brachen hinter Jay Durango die Äste auseinander. Er wandte sich um und entging durch die Drehung der nächsten Kugel.

Sean kam aus den Büschen.

„Hier bin ich!“, schrie er und warf die gefesselten Hände in die Höhe.

Jay Durango wandte sich um. Jetzt war der Rancher noch dreißig Yards von ihm entfernt. Ein Schuss blitzte vor Tetleys Gesicht auf, und Jay hörte das Pfeifen. Da drückte er selbst ab. Tetley stürzte rittlings aus dem Sattel. Das Pferd jagte an Jay Durango vorbei. Tetley bewegte sich, wälzte sich herum und kniete sich hin. Blut färbte sein Hemd auf der Brust dunkel.

Jay starrte auf den Mann und überhörte den leichten, katzenhaften Schritt hinter sich. Da traf ihn Seans mit beiden Händen geführter Schlag in den Rücken. Er stolperte vorwärts, konnte sich aber fangen. Während er sich umwandte, schoss Tetley auf den Knien liegend. Sean, der Jay anfallen wollte, wurde mitten im Lauf gestoppt. Sein Schrei übertönte alle anderen Geräusche. Er stand zwei Herzschläge lang völlig reglos, um dann zusammenzubrechen.

„Sean!“, rief der Rancher. „Sean?“

Der junge Bandit bewegte sich nicht mehr.

Jay Durango ging auf Tobe Tetley zu. Der rote Fleck auf dessen Brust wurde zusehends größer. Tetley schien noch immer die Kraft zu haben, die Waffe halten und vielleicht auch anschlagen zu können. Aber er tat es nicht.

Dann war Jay Durango nur noch acht Schritte von ihm entfernt und blieb stehen. In seiner herabhängenden Hand lag der Revolver. Er sah die echte Verzweiflung in Tetleys Gesicht.

„Ich habe ihn erschossen, Durango“, sagte der harte Mann. „Dabei wollte ich dich töten.“

„Sie wollten mich schon einmal töten lassen.“

„Einmal, ja, Durango. Aber dann nie wieder. Du bist so, wie er sein sollte.“ Seine Hand mit dem Revolver hob sich. „Aber du bist zuviel in diesem Land.“

Jay blickte in die Mündung, sah das halbe Gesicht des Ranchers und die Augen darüber. Er wusste nicht, was ihn daran hinderte, sich zu bewegen, selbst die Waffe zu heben und vielleicht doch noch schneller zu sein.

Da öffnete sich Tetleys Hand. Der Colt fiel auf den Boden. Und in dieser Minute begriff Jay Durango, dass Tobe Tetleys Hass und Wut gestorben waren. Der Rancher stürzte nach vorn.

Jay Durango wischte sich den Schweiß mit dem Handrücken von der Stirn. Da sah er, wie Tetley den Kopf zur Seite bewegte und abgerissen sagte: „Aber ... einen Tetley ... bringst du nicht ... unter den ... Galgen.“

Als Jay Durango sich neben ihm auf den Boden kniete, war der Rancher tot. Jay stand auf und wandte sich um. Dort lag Sean, Tobe Tetleys Sohn, und auf einmal wusste Jay Durango nicht mehr, ob die letzte Kugel des Ranchers wirklich ihm gegolten hatte.

Er ging zu den Pferden und holte seinen Sattel. Am Fuß des Hügels sah er den letzten Mann stehen, der Tetley begleitet hatte. Da tauchte aus einer Bodenwelle im Norden ein Reiter auf. Jay Durango ließ den Sattel von der Schulter fallen. Er lud seinen Colt nach und wartete. Auch der Mann am Fuß des Hügels schien zu warten.

Nach zehn Minuten erkannte Jay Durango, dass es Dave Harmon war, der auf dem ungesattelten Pferd heransprengte.

Der Cowboy am Fuß des Hügels hob die Hände über den Kopf. Dave sprengte an ihm vorbei und kam den Hügel herauf.

Sie hatten den Sattel auf den Rücken des Pferdes gelegt und den Gurt festgeschnallt.

„Komm“, sagte Dave und saß auf. „Um die Toten kann der da unten sich kümmern. Für uns ist es zu Ende.“

Jay saß hinter dem Cowboy auf.

„Ich weiß wirklich nicht, ob er mich oder seinen Sohn töten wollte“, meinte er. „Er muss gespürt haben, dass er nur noch Minuten zu leben hatte.“

„Dann wollte er vielleicht wirklich vermeiden, dass ein Tetley unter den Galgen kommt.“

„Ja, vielleicht.“

Dave trieb das Pferd an.

„In einer Stunde erreichen wir eine Poststation und kommen zu zwei frischen Pferden“, sagte er.

Das Tier brach in die Büsche hinein, und die beiden Reiter schauten nicht mehr zurück.

ENDE

Western Action Großband Februar 2019 - 1000 Seiten Spannung

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