Читать книгу Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga - Pete Hackett - Страница 7
Band 1 Apachenhass
ОглавлениеColonel Loyd McIntosh führte die Verhandlungen. Eine Delegation begleitete ihn. Es waren Angehörige der Armee sowie einige weiße Händler und zwei Politiker, die die Interessen der Apachen in Washington vertraten. Ihre Namen waren John Olson und Todhunter Blake.
Victorio war mit einigen Unterhäuptlingen erschienen.
Das Sternenbanner, das gehisst worden war, hing schlaff an dem von Regen und Hitze gekrümmten Mast und bewegte sich träge im Wind. Im Schatten einer Korkeiche stand ein großes Zelt. In einem Seilcorral tummelten sich etwa zwei Dutzend Armeepferde. Männer in blauen Uniformen und mit Karabinern patrouillierten. Misstrauische Indianeraugen beobachteten sie. Die Fronten hatten sich verhärtet. Der Friede stand auf der Kippe ...
Es war heiß. Die Sonne setzte Mensch und Tier zu, saugte ihnen regelrecht das Mark aus den Knochen. Wie eine zerlaufende Scheibe aus Weißgold stand das Gestirn am Firmament, fast senkrecht über den Vertretern der beiden Rassen.
Das Treffen fand am Frenchs Arroyo, einem kleinen Fluss südlich des Zuni-Plateaus statt.
Die Delegierten saßen oder standen im Kreis herum. Der Colonel hatte auf einem zusammenklappbaren Feldstuhl Platz genommen. Die Indianer hockten am Boden. Vögel zwitscherten, Bienen summten in den Sumac-Dickichten und über den Feldern blühenden Salbeis. Die Gesichter der Indianer waren unbewegt.
Jetzt erhob Victorio das Wort und sagte laut, mit klarer Stimme: »Das Land, auf dem wir leben, ist gut. Es ist fruchtbar, und es gibt Wild, das wir jagen können. Wir haben ausreichend Wasser, und unsere Tiere gute Weidegründe. Warum sollen wir das Land verlassen? Es ist uns zugesichert.«
»Der Weiße Vater in Washington möchte das so«, erwiderte der Colonel mit Bedacht. »Er möchte, dass ihr in die White Mountain Reservation zurückkehrt.« Der Colonel machte eine kurze Pause, um seine Worte wirken zu lassen. Dann fuhr er mit erhobener Stimme fort: »Du weißt sicher, dass ihr euch widerrechtlich hier befindet. Niemals hättet ihr die White Mountain Reservation verlassen dürfen, um nach Ojo Caliente zu gehen.«
»Das Land in White Mountain ist schlecht«, versetzte Victorio. Seine Hand fuhr wegwerfend durch die Luft; eine Geste, die nichts als Geringschätzung zum Ausdruck bringen sollte. »Es gibt dort nur Staub, Sand und Steine. Klapperschlagen, Eidechsen und Skorpione treiben in San Carlos ihr Unwesen. Mögen andere Häuptlinge einverstanden sein mit den Verhältnissen dort. Wir -« der Häuptling schlug sich mit der Faust vor die Brust, »- wollen nicht dorthin.«
»Ihr müsst!« Der Colonel stieß es mit aller Härte hervor, seine Stimme duldete keinen Widerspruch. Er hatte seine Weisungen, und diese galt es hier durchzusetzen. Auf Biegen und Brechen.
»Wir sind in diesem Land geboren«, erwiderte Victorio kehlig. »Es ernährt uns. Hier können wir in Frieden leben. Warum will man uns nach San Carlos zurückbringen? Wir nehmen in Ojo Caliente niemandem etwas weg. Lasst unsere Kinder in dem Land aufwachsen, in dem auch ihre Väter und Vorväter aufgewachsen sind.«
»Es geht nicht, Victorio. Der Befehl, euch nach San Carlos in das White Mountain Reservat zurückzubringen, ist unwiderruflich. Wenn ihr nicht freiwillig geht, wird man euch deportieren. Warum willst du, dass wir Gewalt anwenden? Das Land um Fort Wingate müsst ihr verlassen. Da führt kein Weg dran vorbei. Also warum nicht in Frieden?«
Victorio erhob sich. Sein Gesicht war wie aus Granit gemeißelt. Strähnig fielen die langen Haare über seine Schultern. Er hatte sich ein rotes Tuch um den Kopf gebunden. Bekleidet war er mit einem Baumwollhemd, einer gelben, zerschlissenen Leinenhose sowie kniehohen Mokassins aus weichem Leder. »Ihr könnt unsere Frauen und Kinder mit euren Wagen fortbringen«, stieß er grimmig hervor. »Meine Männer und ich gehen nicht.«
Ein Schatten schien über das Gesicht des Colonels zu huschen. »Ist das dein letztes Wort, Häuptling?«
»Mein letztes, Nantan.«
»Dann habt ihr euch selbst zuzuschreiben, was kommt. Himmel, warum seid ihr Kerle bloß so stur? Habt ihr denn nicht aus euren Niederlagen gelernt?« Die Stimme des Offiziers hatte zuletzt nahezu beschwörend geklungen.
»Wir gehen nicht.«
Jetzt erhoben sich auch die Unterhäuptlinge. Finster musterten sie die Weißen. Ihre Mienen waren verschlossen. Keiner von ihnen wollte in das White Mountain Reservat zurück. Vor einem Jahr hatten sie es verlassen, nachdem sie von dem Agenten dort betrogen worden waren. Man hatte von ihnen verlangt, Mais und Weizen anzubauen. Doch das Land war kaum ertragreich. Als sie White Mountain verließen, nahmen aus den Corrals des Reservats Pferde und Maultiere mit. Apachenpolizei folgte ihnen und nahm ihnen das Diebesgut wieder ab, ließ sie aber weiterziehen. So gelangten sie in das ihnen angestammte Gebiet um Fort Wingate ...
»Dann wird man euch zwingen!«, versicherte Colonel McIntosh.
»Enju – gut. Man wird es versuchen. Aber lieber sterben wir im Kampf, als dass wir in White Mountain langsam verhungern.«
Victorio machte abrupt kehrt und ging zu den Pferden, die etwas abseits an Büschen festgebunden waren. Seine Begleiter folgten ihm. Sie banden die Tiere los, schwangen sich auf ihre Rücken, zerrten wortlos die Pferde herum und ritten an.
Die Weißen blickten ihnen mit gemischten Gefühlen hinterher.
»Man sollte Victorio einsperren und seine Mimbres zwingen, nach White Mountain zu gehen«, sagte einer der Armeevertreter mit gepresster Stimme. »Wenn wir ihm nicht zeigen, wer die Herren im Lande sind, tanzt er uns bald auf der Nase herum.«
»Warten wir ab, was er tut«, knurrte der Colonel. »Wir siedeln jedenfalls seinen Stamm nach San Carlos um. Und wenn sich die Rothäute dagegen auflehnen, dann wenden wir Gewalt an. Die Umsiedlung hat auf jeden Fall zu erfolgen.« Es klang abschließend und endgültig.
»Das kann einen neuen Krieg geben«, verlieh dennoch ein Mann in Wildlederkleidung seiner Befürchtung Ausdruck. An seinem Gürtel hing rechts ein Holster mit einem schweren Armee-Revolver, an seiner linken Hüfte steckte ein schweres Messer in einer mit Nieten und Stickereien verzierten Scheide. Er hatte die Delegation der Weißen zum Frenchs Arroyo geführt. Seine Worte klangen wie eine düstere Prophezeiung ...
*
Fort Wingate, September 1878.
Der Herbst nahte. Man nannte diese Jahreszeit den Indianersommer. Die Tage waren nicht mehr so heiß, und in den Nächten war es schon ziemlich kühl. Zwei Dutzend Reiter waren angetreten. Die Männer hielten ihre Pferde an den Zaumzeugen fest. Die Tiere prusteten, peitschten mit den Schweifen und stampften mit den Hufen. Hin und wieder war helles Wiehern zu vernehmen. Gebissketten klirrten.
Colonel McIntosh trat vor die Gruppe hin. Major Martin Garretson legte die Hand an den Hut und sagte: »Patrouille angetreten, Sir. Wir sind zum Abmarsch bereit.«
Der Colonel erwiderte den Gruß, dann rief er: »Gott sei mit Ihnen, Männer. Jeder von Ihnen weiß, um was es geht. Es gilt, eine Bande aufrührerischer Apachen zu finden, sie festzunehmen und zu veranlassen, nach San Carlos zu gehen. Es kann gefährlich werden, Männer. Aber Sie sind gut ausgebildet. Jeder von Ihnen hat genügend Erfahrung mit den Apachen. Ich wünsche jedem von Ihnen, dass er gesund und heil nach Fort Wingate zurückkehrt.«
»Danke, Sir!«, riefen die Kavalleristen wie aus einem Mund.
»Sie können fortfahren, Major«, sagte der Colonel.
»Lassen Sie aufsitzen, Lieutenant!«, befahl Garretson.
»Jawohl, Sir!« Lieutenant Tyler Whitlock salutierte, dann ließ er seine Stimme erklingen: »Mount up!«
Die Kavalleristen schwangen sich in die Sättel. Die Pferde tänzelten. Mit eisernen Fäusten bändigten sie die Soldaten.
»Auf Wiedersehen, Sir«, sagte der Major. »Wir werden in spätestens einem Monat zurückkehren. Hoffen wir, dass uns Erfolg beschieden ist.«
»Auf Wiedersehen, Major. Hals- und Beinbruch.« Der Colonel reichte dem Major die Rechte, dieser schüttelte sie, dann ging er zu seinem Pferd und stieg auf.
Lieutenant Whitlock war inzwischen aufgesessen. Als der Major sich im Sattel zurechtgerückt hatte, rief er: »Rechts um!«
Die Pferde wurden herumgezogen. Die Kavalleristen bildeten Dreierreihen.
»Fall in!«, ertönte Whitlocks Stimme.
Die Truppe setzte sich in Bewegung. Voraus ritten drei indianische Scouts. Ihnen folgten der Lieutenant und ein Sergeant, dann kamen die Trooper. Der Major ritt an der Seite des kleinen Zuges.
Im klirrenden Trab verließen sie das Fort. Kameraden winkten ihnen hinterher. Niemand beneidete diese Männer. Auf sie wartete das Fegefeuer, vielleicht sogar die Hölle. Sie zogen nach Süden. Um sie herum war nur totes Land, Felswüste, Staub und dorniges Gestrüpp; Comas und Mesquitesträucher. Das Gebiet war trocken und zerklüftet wie eine Mondlandschaft. Weit im Süden ragten die Zinnen und Grate der Zuni Mountains in ein Meer aus weißen Wolken hinein.
Es war früh am Morgen. Die Sonne stand noch weit im Osten. Gleißendes Licht lag auf den Flanken der Hügel und den Ostwänden der Felsen. Die Pferdehufe wirbelten Staub auf. Staub kroch unter die Uniformen, scheuerte auf der Haut und knirschte bald zwischen den Zähnen der Reiter, puderte ihre blauen Uniformen und verklebte ihre Poren.
Victorio war mit einer großen Gruppe von Kriegern aus Ojo Caliente geflohen. Man vermutete, dass sich die Apachen in den Mimbres Mountains verkrochen hatten. Der Befehl lautete, Victorio und die Unterhäuptlinge festzunehmen und die Apachen zu zwingen, ins Reservat bei Fort Wingate zurückzukehren, von wo aus sie den Marsch ins Arizona-Territorium nach San Carlos antreten sollten.
Die Agentur, die sich am Zusammenfluss des San Carlo River und Gila River befand, war sogar bei den Offizieren der Armee verhasst. Einer von ihnen beschrieb sie als einen kiesbedeckten Landstrich, der sich etwa zehn Meter über dem Flussbett hinzog ... >Darauf standen da und dort die graubraunen Ziegelbauten der Agentur. Dürre, vertrocknete, fast blattlose Baumwollsträucher säumten die Flüsse. Regen war so selten, dass er einem, wenn er einmal fiel, fast wie ein Naturwunder erschien. Fast ständig fegten trockene, heiße, Staub aufwirbelnde Winde über die Ebene und entblößten sie jeglicher Vegetation. Im Sommer empfand man eine Temperatur von über 40 Grad im Schatten als kühl. Zu allen anderen Jahreszeiten schwärmten Millionen von Fliegen, Mücken und unbekannten Käfern umher ...<
Das war San Carlos. Zwei Armeeposten, Fort Apache und Fort Thomas, wachten über den Frieden in dem Reservat.
Meile um Meile ging es nach Süden. Die Scouts ritten voraus und erkundeten den besten Weg. Eine Straße gab es nicht. Es ging durch Schluchten, vorbei an übereinander getürmten Felsblöcken, über windige Plateaus, zwischen Felsen und Geröllhängen hindurch. Es war ein Land, in dem man aus den Lektionen, die es einem erteilte, entweder schnell lernte, oder in einem namenlosen Grab verschwand.
Am Mittag lagerten die Soldaten. Sie befanden sich am Rio Pescado. Die Kavalleristen tränkten ihre Pferde, dann wuschen sie sich Staub und Schweiß aus den Gesichtern. Schließlich aßen sie Pemmikan, den sie in den Satteltaschen mit sich führten. Major Garretson hatte darauf verzichtet, einen Küchenwagen mitzunehmen. In diesem Irrgarten aus Felsen, Schluchten, Arroyos und sandigen Hügeln wären sie mit einem schwer manövrierbaren Fuhrwerk nur schlecht vorwärts gekommen und hätten weite Umwege in Kauf nehmen müssen. Also waren sie auf das angewiesen, was sie in den Satteltaschen mit sich führten und was ihnen die Natur bot.
Der Major hatte eine Karte am Boden ausgebreitet. Er, Lieutenant Whitlock und Sergeant Burmester waren darüber gebeugt. Es gab zwischen Fort Wingate und den Mimbres Mountains keine Ortschaft, sondern nur Wüste. Sie rechneten damit, dass sie fünf Tage benötigten, um in die Berge zu gelangen, in denen sie Victorio und seine Anhänger vermuteten. Dies, nachdem Kunde nach Fort Wingate gelangt war, wonach die Apachen auf ihrem Weg nach Süden Farmen und Ranches überfallen hatten. Und im Süden lagen die Mimbres Mountains, ein unwegsames, menschenfeindliches Gebiet.
»Morgen Abend sind wir am Frenchs Arroyo«, meinte der Major. »Übermorgen erreichen wir die Mangas Mountains. Am Abend des vierten Tages kommen wir am Beaver Creek an, und vierundzwanzig Stunden später werden wir in den nördlichen Ausläufern der Mimbres Mountains sein.«
Whitlock nickte. »Und dann beginnt unsere eigentliche Aufgabe. Es gibt in den Mimbres Mountains tausend Verstecke, in denen sich die Apachen verkriechen können. Ihre Späher werden uns ausmachen.«
Der Lieutenant war ein großer, geschmeidiger und dunkelhaariger Mann, der Ruhe ausstrahlte, der Sicherheit verlieh und zu dem man sofort Vertrauen fassen konnte. Sein Gesicht war hohlwangig und wurde von einem blauen Augenpaar beherrscht. Seine Lippen waren schmal, ohne brutal zu wirken, sein Kinn war eckig, was Härte und Energie verriet, seine Haltung war aufrecht, in seinen Zügen lag Kampfgeist. Er war gewiss ein energischer, willensstarker Mann, der sich durchzusetzen vermochte.
»Victorio wird uns sicherlich angreifen«, sagte der Major im Brustton der Überzeugung. Doch ihm entging nicht Whitlocks zweifelnder Blick, und er fragte: »Oder sind Sie der Meinung, dass er sich zurückhält und vielleicht sogar flieht?«
Der Major schaute den Lieutenant fragend an.
»Ich denke nicht, dass er flieht«, meinte an Stelle des Lieutenants der Sergeant. »Seine Gruppe Krieger ist dreimal so stark wie wir. Ich schätze, dass er uns angreift, sobald er uns ausmacht.«
»Dessen bin ich mir nicht so sicher«, wandte Whitlock ein. Er sprach abgehackt. »Die Apachen sind schlecht bewaffnet. Man hat ihnen so ziemlich alles an Waffen abgenommen, nachdem sie vor über einem Jahr San Carlos verlassen haben. Das Land fordert sicherlich einen hohen Tribut von ihnen. In den Mimbres Mountains haben Eidechsen und Schlangen kaum eine Chance ...«
»Selbst in einem solchen Gebiet sind die Apachen noch in der Lage, ihr Leben zu fristen«, versetzte Sergeant Burmester.
»Victorio ist ein Stratege«, fuhr Whitlock fort. »Ich denke, dass er zunächst keinen Feindkontakt sucht, sondern dass er uns ausweicht und an der Nase herumführt, bis sich ihm eine günstige Gelegenheit bietet.«
»Sie haben eine hohe Meinung von der Kriegskunst dieses Wilden, Lieutenant, wie?«, schnarrte der Major.
»Er ist gefährlich«, versetzte Whitlock. »Wir dürfen ihn auf keinen Fall unterschätzen...«
»Sie meinen, ihm ist jeder Ehrenkodex fremd!«, stieß der Major hervor. »Die Apachen sind wie die wilden Tiere.« Er verbesserte sich. »Nein. Wilde Tiere töten um zu überleben. Die Apachen töten um des Tötens Willen.«
Sekundenlang herrschte betroffenes Schweigen. Doch dann ergriff Whitlock wieder das Wort. »Wenn sich ein Apache bereit erklärt, zu kämpfen, dann ist das nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.«
»Ich wünsche, dass er uns angreift«, knurrte der Major. »Dann werden wir ihm die heilige Mannesfurcht beibringen. Wie Sie richtig bemerkten, Lieutenant, sind die Apachen nur unzureichend bewaffnet. Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit jedoch denke ich, dass sie uns attackieren werden. Und dann ...«
Der Major brach ab und schnippte mit Daumen und Mittelfinger. Eine Geste, viel sagend genug, um weitere Worte überflüssig zu machen - und erschreckend war in ihrer Unmissverständlichkeit.
Einer der Scouts kam zurück. Er meldete, dass das Land nach Süden bis zu den Lava Beds frei sei, dass also kein Hinterhalt zu befürchten war.
Nach einer Stunde Rast brach die Patrouille wieder auf.
*
Es war Nacht. Der Himmel war bewölkt. Mond und Sterne waren hinter einer dicken Wolkendecke verschwunden. Die kleine Farm lag in Finsternis. Kein Licht brannte. Die Zikaden zirpten im Gras. Vom Rio Grande her war das leise Rauschen und Gurgeln des Wassers zu vernehmen. Ein schraler Wind erfüllte die Nacht mit einem feinen Säuseln und ließ die Blätter im Ufergebüsch rascheln.
Eine Gruppe Reiter hielt zwischen den Hügeln die Pferde an. In der Finsternis wirkten die Gebäude der Farm wie viereckige, schwarze Kleckse. Dumpf pochten die Hufe, als die Tiere auf der Stelle traten.
Ein Hund schoss aus seiner Hütte, bis ihn die Kette bremste, und kläffte wie von Sinnen. Die Kette rasselte. Das Bellen trieb in die Nacht hinaus und wurde von den Echos wiederholt. Es klang wie eine Warnung vor Unheil und Tod.
Es dauerte nicht lange, dann wurde die Tür des Farmhauses geöffnet. Ein Mann, der eine Laterne in der Hand hielt, trat in den Hof. »Was ist denn, Odin? Still! Du weckst alle auf!« Die Stimme wurde schärfer. »Ruhe, Odin! Sei still, verdammt!«
Der Hund beruhigte sich nicht. Der Farmer ging in den Hof. Die Laterne schaukelte am Drahtbügel und quietschte leise. Licht- und Schattenreflexe huschten über den Boden. Der Mann erreichte den Hund, hob die Hand mit der Laterne und der Lichtkreis, der ihn umgab, vergrößerte sich etwas. »Still jetzt!«, fauchte der Farmer. »Da ist nichts!«
Jetzt hörte der Hund zu bellen auf. Er knurrte leise.
»So ist's brav«, grollte der Farmer und schickte sich an, ins Haus zurückzukehren.
Da kam trommelnder Hufschlag auf. Die Erde schien zu erbeben. Einen Augenblick lang war der Farmer wie gelähmt, zu keiner Reaktion fähig. Als er schließlich die Reiterschemen in einer weit auseinander gezogenen Linie näherdonnern sah, kam Leben in seine Gestalt.
»Alarm!«, brüllte er mit sich überschlagender Stimme. »Wir werden angegriffen!« Er rannte los und verschwand im Haus, warf die Tür hinter sich zu. Der Hund begann wieder wie von Sinnen zu bellen.
Es waren zwei Dutzend Reiter, die auf die Farm zustoben. Erste Schüsse krachten. Die Blendläden vor den Fenstern des Farmhauses wurden aufgestoßen. Mündungsfeuer leckten durch die Nacht, die Detonationen vermischten sich zu einem einzigen, lauten Knall, der auseinander rollte und über den Hügeln zerflatterte. Aufbrüllend antworteten die Echos.
Mit einem kläglichen Winseln verstummte der Hund. Die Apachen ritten im Kreis um die Gebäude der Farm herum. Heißes Blei fegte den einen oder anderen Pferderücken leer. Staub wirbelte nebelhaft, Pulverdampf vermischte sich damit. Immer wieder peitschten Schüsse. Einige Indianer sprangen von den Pferden und stürmten, Tomahawks und Kriegskeulen schwingend, in das Farmhaus.
Sehr schnell war alles vorbei. Der Farmer, seine Frau und zwei Farmhelfer wurden niedergemacht. Die Indianer trieben Schafe, Ziegen, eine Milchkuh und zwei schwere Kaltblüter aus den Stallungen. Dann holten sie aus dem Haus, was sie brauchen konnten, vor allen Dingen Kleidung für den Winter, und dann zündeten sie die Farm an. Bald schlugen die Flammen aus den Fenstern und Türen und leckten an den Außenwänden in die Höhe. Das alte, ausgetrocknete Holz brannte wie Zunder. Funken stoben, Aschefetzen wirbelten, das Feuer machte bald die Nacht zum Tage. Die Gebäude brannten wie Scheiterhaufen. Dichter Rauch quoll in die Höhe, wurde vom sanften Westwind über den Fluss getrieben und zerpflückt. Brenzliger Geruch breitete sich aus.
Die Apachen ritten fort und trieben die erbeuteten Tiere mit sich. Ihre Toten und Verwundeten nahmen sie mit.
Zurück blieb ein Werk der Zerstörung. Krachend und berstend brachen die ersten Dächer ein. Hoch schlugen die Flammen. Sie kündeten vom Irrsinn brutaler Gewalt. Wie ein mahnend erhobener Zeigefinger ragte bald nur noch der gemauerte Kamin des Farmhauses aus den kreuz- und querliegenden, verkohlten Brettern und Balken, wie ein Mahnmal an die Vergänglichkeit ...
*
Las Cruses, September 1878. Die Stadt am Rio Grande war eine Ansammlung von Häusern und Hütten und nur vierzig Meilen von El Paso entfernt. Am Ortsrand gab es Pferche und Corrals, in denen sich Schafe, Ziegen und Kühe tummelten. Der Geruch von Tierkot und Urin hing in der Luft. Die Hauptstraße des Ortes war breit und staubig. Die Häuser waren ohne besondere Ordnung errichtet worden. Aber es gab alles, was eine Stadt ausmachte; einen Store, einen Saloon, eine City Hall, ein Hotel, einen Mietstall und eine Kirche. Sie war im spanischen Stil erbaut worden, wie überhaupt die ganze Stadt einen mexikanischen Einschlag aufwies. Viele Häuser waren aus Adobeziegeln gemauert, an Stelle von Gartenzäunen hatte man hüfthohe Mauern errichtet, in der Ortsmitte gab es einen Brunnen inmitten einer Gruppe von Bäumen.
Der Ort vermittelte Ruhe und Frieden. Kinder spielten am Straßenrand, Hunde lagen in den Schatten, einige Frauen standen beim Store zusammen und unterhielten sich. Beschaulichkeit - das war der Eindruck, den die Stadt vermittelte.
Ein Rudel Reiter kam in die Stadt. Es waren sieben Männer. Die Hufe ihrer Pferde rissen kleine Staubfahnen in die warme Luft. Die Kerle waren stoppelbärtig, Staub und Schweiß verklebte die Gesichter und das Fell der Pferde, sie trugen die Hüte tief in der Stirn und waren allesamt bewaffnet. In den Holstern steckten schwere Revolver, in den Scabbards moderne Gewehre.
Sie lenkten ihre Pferde zum Brunnen und saßen ab. Sattelleder knarrte, ein Pferd wieherte, einer der Männer sagte staubheiser: »Verdammtes Land. Es muss der Satan persönlich geschaffen haben.«
Die Winde quietschte, als einer der Kerle einen Eimer voll Wasser in die Höhe hievte. Er stellte ihn auf den Brunnenrand. Am Balken des Gewindes hing an einem rostigen Nagel eine Schöpfkelle. Die Reiter tranken. Ihre Augen waren entzündet, die Lider gerötet. Staub rieselte von den Krempen ihrer Hüte und ihren Schultern. Sie trugen lange, zerschlissene Mäntel.
Dann wuschen sich die Kerle die Gesichter und zuletzt tränkten sie die Pferde. Einer von ihnen löste sich aus dem Pulk und ging hinüber zur City Hall, die eigentlich nur ein flacher Bau mit einer falschen Fassade war, in der sich das Büro des Bürgermeisters und des Sheriffs befand, und in der es kleinen Saal für Versammlungen des Bürgerrates gab.
An einem Anschlagbrett neben der Tür des Gebäudes hingen amtliche Bekanntgaben und Steckbriefe. Der Bursche studierte sie. Er war ungefähr eins fünfundachtzig groß, hager, um die vierzig und sah ziemlich verwegen aus. Einen der Steckbriefe riss er kurzerhand vom Brett und kehrte zu seinen Gefährten zurück. »Tausend Dollar für die Ergreifung Victorios. Er soll sich in den Mimbres Mountains herumtreiben.«
»Also nicht weit von hier«, sagte einer. »Etwa sechzig, siebzig Meilen.«
»Das Problem ist, dass er mit fast achtzig Kriegern unterwegs ist«, sagte der Hagere. Sein Name war Scott Wilburn.
»Wer hat die Prämie ausgesetzt?«
»Die Regierung.«
Ein Mann kam näher. Er trug einen Stern. Ihm gefielen diese Kerle nicht. Sie sahen aus wie eine Horde Banditen. Der Sheriff schaute nicht begeistert drein.
Er erregte die Aufmerksamkeit der Kerle und sie wandten sich ihm zu. Leise klirrten ihre Sporen, Stiefelleder knarrte. »Sie sind auf dem Durchritt?«, fragte der Sheriff, als er das Rudel erreicht hatte und stehen geblieben war.
Wilburn nickte und erwiderte: »Ich habe den Steckbrief von Victorio abgenommen, Sheriff. Er ist tausend Dollar wert. Ist die Meldung, dass er sich in den Mimbres Mountains aufhalten soll, noch aktuell?«
Der Gesetzeshüter nickte. »Er hat eine Blutspur von Ojo Caliente bis hier in den Süden gezogen. Erst vor wenigen Tagen haben die Apachen die Hellman-Farm überfallen. Der Farmer, seine Frau und zwei Helfer wurden getötet, das Vieh wurde abgetrieben, die Farm haben diese elenden Mörder niedergebrannt. Möchten Sie sich die Prämie verdienen?«
»Warum nicht.«
»Wann werden Sie weiterreiten?«
»Das hört sich ja gerade so an, als wollten Sie uns hier nicht haben, Sheriff.«
»Das ist eine friedliche Stadt, und sie soll es auch bleiben.«
»Keine Sorge. Wir bringen keine Unruhe in dieses Nest. Sobald wir gegessen und getrunken haben, verlassen wir es wieder.«
»Dann wünsche ich Ihnen einen angenehmen Aufenthalt«, knurrte der Sheriff ohne die Spur einer Freundlichkeit im Tonfall, schwang herum und stiefelte davon.
Er ging in sein Büro, zog den Schreibtischschub auf und holte ein Bündel teilweise vergilbter Steckbriefe hervor. Nach und nach schaute er den Packen durch, zwei Steckbriefe sortierte er aus. Sie waren auf zwei Männer namens Glenn Farley und Dexter Morgan ausgestellt. Der Sheriff glaubte die beiden in dem Rudel erkannt zu haben.
Er schätzte sie richtig ein. Es waren Sattelstrolche, deren Heimat dort war, wo sie gerade vom Pferd stiegen. Abenteurer, die immer wissen wollten, was sich hinter dem nächsten Hügel abspielte. Und zumindest zwei von ihnen waren Banditen.
Der Sheriff faltete die beiden Steckbriefe zusammen, schob sie in die Innentasche seiner Jacke, holte entschlossen eine Schrotflinte aus dem Gewehrschrank und lud beide Läufe. Dann verließ er das Office.
Die sieben Männer hatten ihre Pferde zum Holm beim Saloon geführt und banden sie an. Dann gingen sie in den Schankraum. Ihre Absätze weckten ein dumpfes Echo auf den Bohlen des Vorbaus und den Dielen des Fußbodens im Gastraum. Sie setzten sich an zwei der runden Tische und riefen nach Bier. Der Keeper beeilte sich, sieben Krüge vollzuschenken.
Da kam Sheriff Matt Baxter in den Gastraum. Knarrend und quietschend schlugen die Türpendel hinter ihm aus. Er machte zwei Schritte, hielt an, richtete das Gewehr auf die Kerle und sagte mit klarer, präziser Stimme: »Unter euch sind zwei Männer, die gesucht werden. Glenn Farley und Dexter Morgan. Steht auf. Ich verhafte euch im Namen des Gesetzes.«
Zwei der Kerle stemmten sich am Tisch in die Höhe. Einer sagte gedehnt: »Ich bin Glenn Farley. Was wirft man mir denn vor?« In seinen Augen war ein heimtückisches Glimmen wahrzunehmen.
»Das müssen Sie selbst am Besten wissen, Farley«, antwortete der Sheriff. »Aber ich will Ihnen gern auf die Sprünge helfen. Postkutschenüberfall und Bankraub. Na, fällt der Groschen bei Ihnen?«
Die Kiefer Farleys mahlten. Es sah aus, als kaute er einen Priem. Seine Hand stahl sich zum Knauf des Revolvers an seinem rechten Oberschenkel.
»Das ist Unsinn«, knurrte Farley. »Man beschuldigt mich zu Unrecht.«
»Das festzustellen wird Sache des Gerichts sein«, erklärte der Sheriff, und die Schroffheit seiner Worte ließ erkennen, dass er keine Lust hatte, groß zu debattieren. »Legen Sie Ihren Revolver auf den Tisch, heben Sie die Hände und kommen Sie her. Dasselbe gilt für Sie, Morgan. Und keine krummen Gedanken. Ich würde nicht zögern.«
»Wir werden hier essen und trinken«, sagte Morgan, »und dann reiten wir weiter. Sie sollten nicht versuchen, den Helden zu spielen, Sheriff. Wenn doch, reißen wir Ihnen den Blechstern von der Weste und spucken drauf.«
Die Atmosphäre im Saloon war plötzlich angespannt und explosiv, die Luft schien vor Spannung zu knistern wie vor einem schweren Gewitter. Das Rudel vermittelte einen erschreckenden Eindruck von Wucht und Stärke, von kompromissloser Härte und von kalter Entschlossenheit.
Auch Scott Wilburn erhob sich, trat einen Schritt vor und rief halblaut: »Lassen Sie die Männer in Ruhe, Sheriff. Wir haben uns entschlossen, Victorio zu jagen und zu stellen. Das muss wichtiger sein als die kleinen Gesetzesverstöße, die man meinen Freunden vorwirft.« Wilburn grinste schief.
»Gehen Sie aus der Schusslinie!«, presste der Sheriff hervor, da donnerte auch schon ein Revolver. Die Detonation drohte den Raum aus allen Fugen zu sprengen. Der Sheriff bekam die Kugel in die Schulter und wurde halb herumgerissen.
Einer der Kerle hatte gezogen und geschossen. Pulverdampf wolkte vor seinem Gesicht, aus der Mündung seines Colts kräuselte ein feiner Rauchfaden.
Der Sheriff hatte die Schrotflinte fallen lassen und presste die linke Hand gegen die zerschossene Schulter. Blut quoll zwischen seinen Fingern hervor. Der Schmerz verzerrte sein bleiches Gesicht und wühlte in seinen Zügen.
Die Kerle starrten ihn an wie ein Rudel Wölfe, das eine Beute gestellt hatte und jeden Moment über sie herfallen würde. Ohne die Spur einer Gemütsregung, mitleidlos und feindselig.
Der Sheriff wandte sich ruckartig um und verließ auf unsicheren Beinen den Schankraum. Wieder schlugen die Türpendel. Die Anspannung fiel von den Strolchen ab. Bill Latimer, der geschossen hatte, ließ den Revolver einmal um den Finger rotieren, dann stieß er ihn ins Holster. »Dieser Narr«, murmelte er. »Hat der wirklich gedacht, dass wir uns von ihm ans Bein pinkeln lassen?«
»Besitzt die Stadt eine Bürgerwehr?«, so wandte sich Wilburn an den Keeper, der wie zur Salzsäule erstarrt hinter dem Tresen stand.
Er schüttelte den Kopf. Seine Stimmbänder versagten ihm den Dienst.
Wilburn setzte sich in Bewegung, verließ den Saloon, trat draußen an das Vorbaugeländer heran und schwenkte seinen Blick die Straße hinauf und hinunter. Der Sheriff ging mitten in der Fahrbahn. Sein Blut tropfte in den Staub. Auf den Gehsteigen waren einige Passanten stehen geblieben. Wilburn schaute teilnahmslos hinter dem Gesetzeshüter her, der des Öfteren stolperte und Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Von Wilburns Gesicht war nicht abzulesen, was hinter seiner Stirn vorging. Ebenso wenig verrieten seine Augen.
Plötzlich wandte Wilburn sich um und kehrte in den Schankraum zurück. Der Keeper trug gerade die Bierkrüge zu den Tischen. Einige der Kerle hatten sich Zigaretten gedreht und rauchten. Schlieren von Tabakqualm zogen unter der Decke dahin. »Trinkt aus!«, stieß Wilburn hervor. »Wir verschwinden. Ich traue dem Frieden in diesem Nest nicht. Auch wenn es angeblich keine Bürgerwehr gibt. Es finden sich immer ein paar Narren ...«
Er verstummte viel sagend.
Die Kerle schütteten das Bier in sich hinein, und ohne zu bezahlen verließen sie den Saloon. Der Keeper wagte nicht aufzubegehren. Er war froh, das Rudel wieder los zu sein. Die Kerle banden die Pferde los, saßen auf und ritten. Niemand hinderte sie daran. Die Stadt schien den Atem anzuhalten und sich zu ducken.
*
Eine kleine Ranch am Alamosa River. Im Corral standen über zwanzig Pferde. Im Hof pickten Hühner in den Staub. Aus dem Kamin des Küchenanbaues stieg Rauch. Es war die Zeit der Abenddämmerung. Der Himmel im Westen schien in Flammen zu stehen. Rötlicher Schein lag auf dem Land. Die Schatten waren lang und scharf. Ein Ranchhelfer schob eine Karre voll Pferdemist aus dem Stall. Ein Cowboy schloss das Corralgatter. Einige Cowboys gingen zum Brunnen in der Hofmitte. Ihre Oberkörper waren nackt und sie trugen Handtücher mit sich.
Hassvolle, dunkle Augen beobachteten die Ranch. Niemand sah den Späher auf dem Hügel. Gebüsch verdeckte ihn. Die Cowboys beim Brunnen wuschen sich. Es waren vier Männer. Der Späher ahmte den Ruf eines Eichelhähers nach. Der Ruf wurde beantwortet. Dann trieben Apachen ihre Pferde hinter den Hügeln hervor, sammelten sich in einer Mulde, einige Befehle erklangen, kehlig, abgehackt, und schließlich setzte sich der Pulk in Bewegung. Schließlich schien die Erde unter nahezu hundert Pferdehufen zu erbeben, als die Krieger ihre Mustangs antrieben.
Auf der Ranch wurden Stimmen laut. Die Männer beim Brunnen rannten in die Unterkunft. Der Bursche mit der Schubkarre stellte sie ab und folgte ihnen. Aus der Scheune kam ein weiterer Mann. Auch der Cowboy beim Gatter begann zu laufen. Die Hühner stoben mit schlagenden Flügeln und vorgereckten Hälsen aufgeregt gackernd auseinander.
Die Indianer sprengten heran und sprangen im vollen Galopp von den Pferden, als sie im Ranchhof angelangt waren. Aufwirbelnder Staub hüllte sie ein. Nervenzermürbendes, durchdringendes Kriegsgeschrei erschallte, Tomahawks und Keulen schwingend drangen die Krieger in die Gebäude ein. Schüsse krachten. Todesschreie erklangen. Indianer und Weiße starben. Der Tod war wieder einmal unersättlich in seiner Gier.
Stille hatte sich wie ein Leichentuch zwischen die Gebäude gesenkt. Nur das Stampfen der Pferde und ihr Schnauben waren zu vernehmen. Einige Indianer rannten zum Corral. Andere trieben Pferde und einige Milchkühe aus den Stallungen. Auch hier versorgten sich die Krieger wieder mit Kleidung. Dann versammelten sie sich im Ranchhof. Der eine oder andere hielt einen blutigen Skalp in der Hand.
»Wann werden die Weißaugen endlich einsehen, dass wir stärker sind als sie?«, rief einer der Krieger und hob die Faust mit dem Kriegsbeil. »Brennt alles nieder. Es soll den Weißen als Warnung dienen.«
Die Pferde wurden aus dem Corral getrieben. Wiehern erfüllte die Luft. Dann züngelten Flammen, und bald brannte alles lichterloh. In dem ausgetrockneten Holz fand das Feuer ausreichend Nahrung. Es brannte wie Zunder.
Die Apachen trieben die erbeuteten Tiere davon und kehrten in die Mimbres Mountains zurück, um Victorio von einem erneuten Sieg zu berichten und ihm die Beute zu präsentieren.
*
Der Scout stand in den Steigbügeln und witterte wie ein wildes Tier, dann sagte er: »In der Nähe wurde etwas niedergebrannt. Folgen wir dem Geruch.« Er ließ sich in den Sattel zurückfallen.
Sie ritten nach Osten. Es waren drei Apachen, Mescaleros, die als Kundschafter für Major Garretson ritten. Unter ihren Armeehüten quollen lange, schwarze Haare hervor. Sie trugen Feldblusen und dazu farbige Leinenhosen. Ihre Füße steckten in hohen Mokassins.
Sie folgten dem Brandgeruch, und schließlich verhielten sie ihre Pferde bei der niedergebrannten Ranch. Hier und dort stieg noch Rauch aus den Trümmern, an manchen Stelle glomm es, wenn der Wind in die Schutthaufen fuhr, manchmal flackerte sogar das Feuer wieder auf.
Tod und Verderben, Hass und brutale Vernichtung - das war das Bild, das sich den Scouts bot. An Stelle der Embleme mit den gekreuzten Säbeln trugen sie weiße Andreaskreuze auf den Kronen der Hüte, einfach mit Farbe daraufgepinselt, was sie als Kundschafter kennzeichnete.
»Wir müssen es dem Major melden«, sagte einer im Apachendialekt. »Ich reite. Bleibt ihr hier und haltet Ausschau. Es kann sein, dass sich die Kriegshorde noch in der Nähe befindet.«
Der Scout zog sein Pferd um die linke Hand und trieb es mit einem Schenkeldruck an. Er folgte den Windungen zwischen den Hügeln und Felsen, die sich westlich der niedergebrannten Ranch erhoben. Die Patrouille befand sich etwa eine Meile weiter im Westen. Der Mescalero ließ das Pferd traben.
Drei Reiter trieben ihre Mustangs über den Kamm des Hügels zu seiner Rechten. Drei kamen über den Hügel zu seiner Linken. Er hämmerte seinem Pferd die Sporen in die Seiten. In schräger Linie jagten die beiden kleinen Trupps die Abhänge hinunter und trafen schließlich nur fünfzig Yards hinter dem Scout zusammen. In wilder Karriere stoben sie hinter dem Mescalero her.
Die Hufe der Pferde schienen kaum den Boden zu berühren. Der Scout ritt um sein Leben. Noch klappte bei seinem schweren Armeepferd das Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen. Das Tier schien dahinzufliegen, als hätte es gewusst, dass seine Schnelligkeit und Ausdauer über Leben oder Tod entschied.
Die Krieger jagten hinterher. Spitzes, abgehacktes Kriegsgeschrei holte den Scout ein und ließ ihn einen eisigen Schauer den Rücken hinunterrinnen. Der Tod streckte die knochige Klaue nach ihm aus. Er zog seinen Revolver und feuerte nach hinten. Aber die Distanz zu seinen Verfolgern war für einen Schuss mit dem Sechsschüsser zu weit. Er vergeudete nur seine Munition. Das Krachen der Schüsse vermischte sich mit dem Trommeln der Hufe zu einer Art Höllensymphonie.
Vor den Nüstern des Pferdes bildete sich weißer Schaum, der Reitwind riss ihn fort und trieb ihn gegen die Beine des Scouts. Der Hufewirbel verlangsamte sich. Das Pferd röchelte und röhrte. Und jetzt begannen die Verfolger zu feuern. Plötzlich brach das Pferd unter dem Scout zur Seite aus. Eine Kugel hatte es gestreift. Es begann wie verrückt zu bocken. Dann stieg es auf die Hinterhand. Der Scout sprang ab, riss das Gewehr aus dem Scabbard und rannte in den Schutz einer verdorrten Korkeiche, deren Stamm ihm Schutz bot. Sein Pferd stob mit fliegenden Steigbügeln davon.
Der Mescalero repetierte und schoss. Er traf einen Krieger. Dieser warf beide Arme hoch, machte das Kreuz hohl, und stürzte vom Pferd. Das Tier stob im Pulk der anderen weiter.
Wieder schoss der Scout. Ein Pferd brach zusammen. Sein Reiter flog wie von einem Katapult geschleudert durch die Luft, überschlug sich einige Male am Boden und rührte sich nicht mehr.
Dann waren die anderen vier Krieger heran. Sie sprangen von den Pferden und fielen über den Scout her. Es gab keine Gnade und kein Erbarmen. Es gab nur den tödlichen Hass.
Als eine Viertelstunde später einer seiner Kameraden erschien, den das ferne Peitschen der Schüsse auf die Fährte des Scouts gelockt hatte, hatten ihn die Apachen an den Beinen an einem Ast der verdorrten Eiche aufgehängt. Er war skalpiert. Blut tropfte auf den Boden. Sein Gesicht war von den Hieben mit den Tomahawks grässlich verstümmelt.
Der Scout gab seinem Pferd die Sporen. Er hatte plötzlich das Empfinden, von zig Augenpaaren beobachtet zu werden. Die Angst kam kalt und stürmisch wie ein Blizzard und eine eisige Hand schien nach dem Mescalero zu greifen. Er ließ sein Pferd galoppieren. Und dann sah er auf einer Ebene die Patrouille. Er jagte auf sie zu und riss sein Pferd in den Stand, als er sie erreichte.
»Eine Ranch!«, rief er. »Am Alamosa River. Niedergebrannt. Keine Lebenden, der Corral ist leer. Die Spur der Pferde führt in die Berge. Black Eagle ist tot. Sie haben ihn skalpiert.«
Die Kavalkade hatte angehalten. Im Gesicht Major Garretsons arbeitete es. »Diese elenden roten Heiden!«, entrang es sich ihm mit heiserer, belegter Stimme. »Jetzt ziehen wir seit einer Woche kreuz und quer durch diese Region und sind auf keinen einzigen von ihnen getroffen. Die Hölle verschlinge diese niederträchtigen Mörder.«
Lieutenant Whitlock schwieg. Was er zu sagen gehabt hätte, würde seinem Vorgesetzten wohl nicht gefallen haben, nämlich, dass sich die Apachen nur gegen eine Indianerpolitik wehrten, die ihnen immer mehr von ihren Rechten nahm und sie mehr und mehr ins soziale Abseits drängte.
»Ich denke, die Renegaten befinden sich noch in der Nähe, Nantan«, sagte der Scout. »Es ist davon auszugehen, dass ihre Späher uns schon beobachten, seit wir in den Mimbres Mountains angelangt sind.«
»Woraus schließen sie das?«, fragte der Major.
»Es ist wohl so«, übernahm es Whitlock, die Antwort zu geben. »Sicher wurde schon unsere Annäherung an das Gebiet südlich der Plains of Saint Augustine beobachtet.« Er ließ seinen Blick in die Runde schweifen. Die Ebene wurde von hochragenden Bergen begrenzt, es gab Schluchten und Risse. »Irgendwo vor uns wird etwas vorbereitet«, sagte Whitlock. »Ich kann die Apachen geradezu riechen.«
»Wir reiten weiter!«, gebot der Major.
»Eskadron, Marsch!«, rief Whitlock.
Die Patrouille setzte sich in Bewegung.
Der Scout ritt wieder voraus und verschwand bald aus dem Blickfeld Whitlocks. Dieser sicherte unablässig um sich. Seine Augen waren in ständiger Bewegung. Er verspürte Anspannung und ein seltsames Kribbeln zwischen den Schulterblättern. Als Whitlock sagte, dass er die Rothäute geradezu riechen konnte, so war das keine Metapher. Die Apachen gerbten das Leder mit Tran und Urin, und diesen Geruch verströmten die Krieger. Und wenn der Wind richtig stand...
Sie erreichten die Stelle, an der der tote Scout am Baum hing. Einer der jungen Soldaten wurde ganz grün im Gesicht, er sprang ab, lief zu einem Felsen und übergab sich.
»Wir müssen ihn begraben«, sagte der Lieutenant.
»Ja. Es ist unsere Christenpflicht«, pflichtete der Major bei.
Whitlock gab vier Soldaten den Befehl, ein Grab auszuheben. Den anderen gebot er, abzusitzen und in die Runde zu sichern. Springfield-Karabiner wurden durchgeladen. Die Soldaten verteilten sich. Nichts geschah. Der Major sprach ein Gebet am offenen Grab des Kundschafters, dann schaufelten die vier Kavalleristen den trockenen Sand auf ihn und bedeckten den Hügel mit Steinen, damit wilde Tiere den Leichnam nicht wieder herausscharrten.
Blutsaugende Fliegen, angezogen vom süßlichen Schweißgeruch, setzten Pferden und Reitern zu. Im Sand glitzerten winzige Kristalle. Es handelte sich um Glimmerschiefer, der im Laufe der Jahrmillionen verrottet und zerfallen war. Es war ein schönes Land, aber auch ein gefährliches Land. Hinter jedem Hügel konnte Gefahr lauern, der Tod war allgegenwärtig.
Sie zogen weiter und erreichten die niedergebrannte Ranch. Die Menschen waren in den Häusern verbrannt. Der laue Wind wirbelte Asche in die Höhe und trug sie mit sich. Die Blicke schweiften hinweg über diese Stätte des Todes. In den Zügen der Männer drückten sich tiefer Ernst und maßloses Grauen aus. Aber längst nicht jeder schob den Apachen die Schuld zu. Sie wehrten sich wie in die Enge gedrängte Raubtiere. Die Hoffnungslosigkeit ihrer Situation, ihre Ausweglosigkeit war es, die sie gefährlich und unberechenbar machte.
Der Major war abgesessen und ging hin und her. Der Staub im Hof war von Hufen und Füßen aufgewühlt. Abgesehen von den Kavalleristen und ihren Pferden vermittelten nur noch einige Hühner Leben.
Lieutenant Whitlock ritt zu der Stelle, wo die Spur der gestohlenen Pferde und der unbeschlagenen Mustangs nach Südwesten führte. Einer der Scouts befand sich bei ihm. »Folge der Spur«, sagte Whitlock. »Folge ihr bis zu ihrem Ende, komm zurück und führe uns.«
Der Scout nickte und ruckte im Sattel. Sein Pferd ging an. Im Schritttempo verschwand er zwischen den Felsen.
Es dauerte etwa eine Stunde, dann stiegen im Südwesten Rauchzeichen zum Himmel. Zuerst war es nur eine Rauchsäule. Sie wurde jäh unterbrochen, um sich dann erneut zu erheben. Der Rauch ballte sich am Himmel und trieb träge nach Osten.
»Was sagen diese Zeichen?«, fragte Whitlock den anderen Scout, der zurückgeblieben war.
»Ein Späher teilt dem Haupttrupp mit, dass jemand auf seiner Spur reitet. Big Bird werden wir wohl nicht mehr sehen.«
Whitlock schaute betroffen. Wenn der Scout ums Leben kam, dann hatte er ihn in den Tod geschickt. Er schalt sich einen Narren, und er versuchte sich zu beruhigen. Du musst dir keine Vorwürfe machen, zog es durch seinen Verstand. Es ist sein Job. Wenn wir hier umkommen, macht sich Colonel McIntosh sicher auch keine Vorwürfe.
Der Versuch misslang. Es beruhigte ihn nicht. Whitlock fand das alles plötzlich so sinnlos, so überflüssig. Das Land ertrinkt im Blut seiner Menschen, durchfuhr es ihn voll Verbitterung. Und die Armee schürt den Hass noch. Alles nur wegen der unstillbaren Habgier einiger weißer Männer, die den Indianern die Luft nicht gönnen, die sie atmen.
Whitlock beobachtete die Rauchsignale. Soeben wurde die dunkle Rauchsäule wieder unterbrochen. Der Späher hatte grünes Laub in die Flammen geworfen, darum war der Rauch fast schwarz. Immer wieder schickte er seine Signale zum Himmel. Whitlock ahnte, dass das Kommunikationssystem in der Wüste vorzüglich funktionierte. Tatsächlich stiegen bald in der Ferne ebenfalls Rauchzeichen zum Himmel. Das Feuer brannte auf der Kuppe eines Felsens. Senkrecht stiegen die Rauchbahnen empor...
*
Whitlock begab sich zum Major. »Sie haben unseren Scout entdeckt.« Er deutete mit einer matten Geste seiner Linken nach Südwesten. »Seine Chancen sind die eines Schneeballs in der Hölle. Wir sollten nicht auf seine Rückkehr warten, Sir, sondern aufbrechen. Noch ist die Fährte frisch.«
»In Ordnung, Lieutenant. Lassen Sie das Camp abbrechen und die Männer aufsitzen.«
Eine Viertelstunde später waren sie auf dem Weg. Die Geräusche, die sie verursachten, rollten vor ihnen her. Wo der Boden sandig war, konnte man die Spur, die die räuberischen Indianer gelegt hatten, deutlich sehen. Aber auch auf felsigem Untergrund gab es immer wieder Hinweise wie Pferdedung, Kratzspuren, losgetretene Steine und Pferdehaare, die an dornigen Büschen hängen geblieben waren...
Der letzte der drei Scouts ritt voraus. Es ging durch einen Canyon, dessen Wände senkrecht nach oben stiegen. Oben schienen sich die Felsen zu vereinen. Staub wehte über die Ränder, leises Prasseln erfüllte die Luft. Die Luft schien stillzustehen, nur aus Seitenschluchten strömte den Reitern kühle Luft entgegen. Zwischen den Felsen wurden die Geräusche von den Echos verstärkt und muteten besonders intensiv an. Von einem vorspringenden Felsen tropfte Wasser und färbte den Sand am Boden dunkel. Es war wie ein steinernes Grab des Schweigens, das sie durchritten. Stellenweise war die Schlucht fast hundert Yards breit, dann verengte sie sich wieder und war gerade so breit, dass drei Reiter nebeneinander durchkamen.
Der geeignete Platz für einen Überfall.
Dort, wo die Schlucht endete, fanden sie den Scout, den der Lieutenant losgeschickt hatte. Er war tot und skalpiert. Sein Körper war mit Pfeilen gespickt. Neben ihm steckte eine Kriegslanze im Boden. Myriaden von kleinen Mücken saßen auf dem Leichnam oder umschwärmten ihn.
Whitlocks Kehle war salztrocken. Er hatte das Gefühl, von einer unsichtbaren Faust gewürgt zu werden. Sein Befehl hatte den Mann in den Tod geschickt. Mit Indianern, die der Armee dienten, gingen die aufrührerischen Apachen besonders grausam um.
Vor ihren Blicken lag ein staubiger Talkessel. Einige Kakteen und Hickorys sowie Korkeichen erhoben sich. Rundum gab es Felsen und Hügel. Die Sonne gleißte. Der Major ließ absitzen. Der Scout wurde begraben. Dann ritt die Patrouille in den Kessel hinein. Er hatte einen Durchmesser von etwa dreihundert Yards. Jeder der Soldaten war ein Bündel angespannter Aufmerksamkeit. Die Nerven waren zum Zerreißen angespannt, die Anspannung vertiefte die Linien in den Gesichtern. Sie präsentierten sich den Apachen wie auf einem Schießstand. Rundum schien das Land tot und leer zu sein. Aber sie gaben sich keinen Illusionen hin. Die Ruhe war nicht echt, sie war gefährlich und trügerisch. Die Apachen würden sich erst sehen lassen, wenn es zu spät war und es kein Zurück mehr gab.
Und dann kamen sie.
Die Kavalleristen befanden sich mitten in dem Kessel. Die Apachen griffen von allen Seiten an. Ihr schrilles Geschrei erhob sich zum Himmel und vermischte sich mit dem Trommeln des Hufschlages.
»Absitzen! Rundumsicherung! Benutzt die Pferde als Deckung. Und vergeudet keine Munition!«
Gellend kamen die Befehle. Das Entsetzen fuhr den Männern in die Knochen. Der eine oder andere verspürte Gänsehaut. Mit dem Entsetzen kam die Angst, und mit der Angst der Selbsterhaltungstrieb, eines der ältesten, angeborenen Prinzipien der Menschheit.
Die Soldaten handelten, warfen sich von den Pferden, die Karabiner flirrten aus den Futteralen. Trockenes, metallisches Geräusch erklang, als die Männer durchluden. Sie bildeten einen Kreis. Eine Wand aus zuckenden Mündungsblitzen und Pulverdampf stellte sich den Angreifern entgegen.
Deutlich war der Strom des Vernichtungswillens, der von der näherbrandenden Schar ausging, zu spüren. Die Kavalleristen zwangen sich dazu, ihren Anblick zu ertragen.
Pferderücken wurden leergefegt. Die reiterlosen Gäule preschten in der donnernden Angriffwelle weiter, wurden regelrecht mitgerissen. Jetzt schossen auch die Angreifer wie rasend. Aus der flatternden Wolke, die die Soldaten umhüllte, torkelten Gestalten hervor und brachen zusammen.
Das hochträllernde Geschrei zermürbte die Gemüter. Tomahawks wirbelten durch die Luft, Kriegslanzen zogen ihre lautlosen Bahnen. Pferde brachen zusammen. Die Soldaten schossen die Rohre heiß. Die Indianer waren in eine Kreisbahn eingeschwenkt, hingen an den den Soldaten abgewandten Seiten der Pferde und feuerten mit alten Revolvern und Gewehren unter den Köpfen der Tiere hindurch.
Dann aber verschwanden sie ebenso schnell, wie sie gekommen waren. Wahrscheinlich merkten sie, dass der Blutzoll, den sie Ihrem Hass zu bezahlen hatten, zu hoch war. Sie stoben über die Kämme der Hügel ringsum und es war, als hätte sie die Erde geschluckt, als hätte es sie nie gegeben. Doch die toten Pferde, Indianer und Soldaten waren Zeugnis dafür, dass sie Realität gewesen waren - bittere, unselige Realität.
Staub und Pulverdampf zerflatterten, wurden vom Wind fortgetragen oder legten sich auf den Boden zurück.
»Rückzug in die Schlucht!«, rief der Major. Seine Stimme klang heiser und mitgenommen. »Decken Sie mit drei Mann unseren Rückzug, Lieutenant!«
Fünf tote Soldaten blieben zurück. Sieben Pferde waren getötet worden. Einige Mustangs standen herum und spielten nervös mit den Ohren.
»Wir nehmen die toten Kameraden mit!«, kommandierte Whitlock, als Major Garretson mit dem Haupttrupp in der Schlucht verschwunden war. Sie luden die reglosen Gestalten auf die Pferde und führten die Tiere zwischen die Felswände. Zwei Soldaten blieben zurück, um den Zugang zu bewachen.
»Fünf Tote, vier Verwundete«, zog Major Garretson Resümee. »Und wir haben sieben Pferde verloren. Welch ein Irrsinn. Sie sind über uns gekommen wie der Adler über eine Feldmaus.«
»In dieser Wildnis sind sie uns haushoch überlegen«, knurrte Whitlock.
Die Verwundeten wurden verbunden. Einer der Kavalleristen hatte einen Schuss in die rechte Brustseite bekommen. Ein anderer hatte einen Bauchschuss davongetragen. Die beiden anderen Verwundeten hatten nur leichte Verletzungen.
»Wir müssen Schleppbahren bauen«, erklärte der Lieutenant. »Zunächst einmal aber sollten wir die Nacht abwarten. Kehren wir zum Beginn der Schlucht zurück, Sir?«
»Ja.« Der Major nagte an seiner Unterlippe. »Wir sind noch neunzehn Männer. Sieben Mann fallen aus. Das heißt, dass wir um mehr als fünfundzwanzig Prozent dezimiert sind. Noch ein solcher Überfall, und wir können einpacken.«
»Ich habe im Fort meine Bedenken angemeldet, Sir«, versetzte Whitlock vorsichtig. »Aber der Colonel meinte, dass wir als kleine Gruppe beweglicher wären. Er hat die Apachen unterschätzt.«
»Sie zweifeln den Befehl des Colonels an?«, fragte der Major scharf. Zwei steile Falten hatten sich über seiner Nasenwurzel gebildet.
»Nein, Sir«, wehrte Whitlock ab. »Das wäre vermessen. Ich will damit nur zum Ausdruck bringen, dass wir zu schwach sind, um gegen Victorio und seine Krieger bestehen zu können. Der Colonel ist davon ausgegangen, dass Victorio die Aussichtslosigkeit seines Kampfes einsieht und sich ergibt. Das war jedoch ein Trugschluss. Ich will damit dem Colonel auf keinen Fall zu nahe treten.«
Der Major winkte resigniert ab. »Schon gut. Ich weiß, was Sie meinen, Lieutenant. Lassen Sie aufsitzen. Wir ziehen uns in die Schlucht zurück. Und dann sehen wir weiter.«
»Wir sollten uns einige Pferde zusätzlich beschaffen, Sir«, räumte Whitlock ein. »Es kann nie schaden, ein paar Tiere in der Reserve zu haben.«
»Veranlassen Sie, dass die Tiere der Apachen eingefangen werden.«
Whitlock rief die Namen dreier Kavalleristen und befahl ihnen, die Pferde zu holen, die die Apachen zurückgelassen hatten. Dann zogen sich in die Schlucht zurück. Eine kleine Gruppe sicherte nach hinten, vier Soldaten und der Scout ritten voraus. Immer wieder wanderten die Blicke an den Felswänden nach oben. Und als die Vorhut eine der Engstellen passiert hatte, geschah es. Steine stürzten in die Tiefe. Eine ganze Gerölllawine. Es krachte und barst. Staub wallte dicht. Die Pferde scheuten. Geschrei erschallte. Die Vorhut war von der Patrouille getrennt. Immer wieder krachten Felsklötze in die Tiefe. Und dann kam Hufgetrappel auf. Ein Dutzend Apachen stoben durch die Schlucht. Im vollen Galopp feuerten sie ihre Waffen ab. Der Scout und die vier Soldaten hatten keine Chance. Die Apachen sprangen von den Pferden und erklommen den Haufen Gestein, der von oben in die Schlucht gestürzt war. Blindlings feuerten sie in die Patrouille hinein. Im Nu wälzte sich ein Knäuel ineinander verkeilter Menschen- und Pferdeleiber am Boden. Das Sterben ging weiter. Nur einem kleinen Rest Soldaten gelang es, in Deckung zu laufen und zu kämpfen. Pferde gingen durch und stoben von Panik erfasst davon. Die Nachhut war aufgerückt. Die Indianer, die durch die Schlucht gekommen waren, verschwanden wieder.
Der Spuk war plötzlich zu Ende.
Lieutenant Whitlock, Sergeant Burmester und fünf Soldaten waren noch einsatzfähig. Die anderen waren entweder tot oder schwer verwundet. Sie hatten nur noch drei Pferde. Es war eine bittere Niederlage, die sie einstecken mussten.
»Wir brechen die Mission ab«, sagte Whitlock. »Die Toten begraben wir an Ort und Stelle. Mit den Verwundeten versuchen wir, uns nach Norden durchzuschlagen.«
Seinen Worten fehlte die Hoffnung. Später, als die Männer Felsbrocken über die toten Kameraden schlichteten, sagte er zu dem Sergeant: »Wir sind verheizt worden. Der Colonel ist von völlig falschen Voraussetzungen ausgegangen. Aber was zählen schon ein paar Soldaten. Es ist im Sold inbegriffen, gegebenenfalls vor die Hunde zu gehen. Als Kavallerist bist du nichts weiter als ein Stück Ausrüstung, die zum Pferd gehört. Das ist so und wird mir immer klarer.« Der Tonfall in der Stimme Whitlocks war an Verbitterung nicht zu übertreffen.
»Haben wir überhaupt eine Chance?«, fragte der Sergeant.
»Solange ein Funke Leben in uns ist – ja. Es wird zehn bis zwölf Tage dauern, bis wir Fort Wingate erreichen. Ja, wir haben eine Chance.» Whitlock nickte, als wollte er so seinen Worten Nachdruck verleihen. »Wir marschieren nachts und ruhen am Tag. So schaffen wir es, Sergeant. Ganz bestimmt.«
Der Gesichtsausdruck des Sergeanten verriet, dass er Whitlocks Zuversicht nicht teilte.
Es starben noch zwei der Verwundeten. Sie waren zu siebt und mussten sich um drei Verwundete kümmern. Für sie hatten sie noch Pferde. Whitlock, der Sergeant und die anderen fünf Soldaten, die noch einsatzfähig waren, mussten marschieren.
Als die Dunkelheit den Tag nach Westen vertrieben hatte, brachen sie auf. Sie verließen die Schlucht und wandten sich nordwärts. Die Angst war ihr Begleiter, die Apachengefahr hing wie ein Damoklesschwert über ihren Köpfen. Dazu kamen bald Hunger und Durst. Der kleine Vorrat an Pemmikan war schnell aufgebraucht, die drei Wasserflaschen, die sie hatten, waren leer. Auf die Jagd wagten sie sich noch nicht zu gehen, denn ein Schuss konnte den Indianern ihren Standort verraten.
Die Nacht war finster. Die Dunkelheit zwischen den Felsen mutete fast stofflich und greifbar an. Sie kamen nur schlecht vorwärts. Die Geräusche, die sie verursachten, rollten vor ihnen her. Schon bald begannen Whitlocks Füße in den Stiefeln zu brennen. Den anderen ging es nicht besser. Mit den glatten Sohlen rutschte der eine oder andere auf dem oftmals glatten Fels aus. Die Männer stöhnten und ächzten. Einmal sagte einer der Kavalleristen: »Wenn ich das zehn oder zwölf Tage durchhalten soll, schieße ich mir lieber gleich eine Kugel durch den Kopf.«
»Das erledigen vielleicht die Rothäute«, knurrte ein anderer.
Unbeirrt ließ Whitlock marschieren. Gegen Mitternacht gönnte er sich und den Männern eine Pause. Nach einer halben Stunde ging es weiter. Die Füße wurden schwer wie Blei. Oftmals stieg das Land an und der Aufstieg war beschwerlich. Dann ging es wieder steil nach unten. Sie stolperten über Geröll, traten in Risse, stießen sich an Felsvorsprüngen. Als der Morgen graute, waren sie fix und fertig. Sie ließen sich zu Boden sinken und rissen sich die Stiefel von den Füßen.
Zwei Mann mussten Wache halten. Die anderen durften sich ausstrecken und schlafen. Sie befanden sich am Beginn einer Schlucht. Die Erschöpfung hatte die Muskeln in ihren Gesichtern erschlaffen lassen. Ihre Augen brannten. Sie hatten sich die Füße wundgelaufen und in den Gemütern saß die Angst. Sie waren psychisch und physisch fertig.
*
Eine kleine Gruppe von Apachen befand sich auf der Jagd. Sie hatten einen Hirsch erlegt und das tote Tier auf dem Rücken eines Mustangs festgebunden. Jetzt waren sie auf dem Rückweg in ihr Lager in einem Canyon. Es war um die Mittagszeit.
Es gab nicht viel Wild in den Mimbres Mountains. Nur Wölfe, Coyoten und Pumas, vielleicht auch Bären. Die Bisons, die früher über die Prärien gezogen waren, hatten weiße Jäger zu hunderttausenden abgeschlachtet und ihre Häute verkauft. Die Hauptnahrungsquelle der Indianer gab es nur noch selten, und vor dem Winter würden die wenigen kleinen Herden, die jetzt die weiten Prärien noch bevölkerten, nach Süden ziehen. Auch das Wild würde sich aus den gebirgigen Regionen in die Wälder flüchten.
Die Apachen wussten, dass ihnen ein harter Winter bevorstand. Darum versuchten sie, soviel Fleisch wie möglich zu erjagen und es zu trocknen, damit sie in den Wintermonaten überleben konnten. Dazu dienten hauptsächlich die auf den Ranches erbeuteten Rinder.
Auf einem Felsen stand ein Weißer. Das Rudel mit dem erlegten Hirsch war an ihm vorbeigezogen, ohne ihn zu bemerken. Er hielt die Winchester mit beiden Händen schräg vor seinem Körper.
Auf einem anderen Felsen erschien ebenfalls ein Weißer. Stoppelbärtig, mit einem langen Staubmantel bekleidet, ein Gewehr in den Fäusten haltend. Verkommenheit und Niedertracht standen ihm ins Gesicht geschrieben. Seine stahlblauen Augen blickten eisig. Er winkte seinem Gefährten zu.
Zwischen den Felsen zeigte sich ein dritter der Kerle.
Am Ende waren es sieben Männer, die die Indianer zwischen sich hatten. Es handelte sich um Scott Wilburn und seine Bande – um eine Horde skrupelloser Skalpjäger. Die Regierung in Arizona zahlte für jeden Indianerskalp fünf Dollar. Der Tucson-Ring, dessen Transporte immer wieder von den Apachen überfallen wurden, ebenfalls. Ein Indianer war also zehn Dollar wert.
Die Kerle waren aus Brutalität, Niedertracht, Heimtücke und allem, was hart und unmenschlich macht, zusammengesetzt. Jetzt gab Wilburn das Zeichen. Die Gewehre flogen an die Schultern und begannen zu krachen. Es war ein Crescendo des Todes, das die Waffen hinausposaunten. Die Indianer wurden herumgerissen und von den Treffern geschüttelt, tot und sterbend sanken sie zu Boden.
Das Krachen brach ab. Die Gewehre schwiegen. Mit geisterhaftem Geraune verrollten die Echos.
Die Skalpjäger kamen zwischen den Felsen hervor und gingen zu den Indianern hin. Einer rührte sich noch. Wilburn zog seinen Colt und gab ihm mit erschreckendem Gleichmut in den Zügen den Rest. »Sechs Skalps Leute. Sechzig Dollar. Nicht schlecht. Gekostet hat es uns lediglich einige Unzen Blei.«
Das Wort Mitleid oder Anteilnahme gab es nicht in seinem Sprachschatz. Ein Menschenleben war ihm gerade mal den Preis für eine Kugel wert. Sie zogen ihre Messer und machten sich an die blutige Arbeit. Die Skalps stopften sie in blutbesudelte Leinensäcke.
Dann verließen sie diesen Ort und zogen weiter. Sie wollten so viele Skalps wie möglich erbeuten und vor allem wollten sie Victorio. Er war der Regierung tausend Dollar wert. Und für tausend Dollar wären Wilburn und seine Komplizen in die Hölle geritten und hätten dem Satan ins Maul gespuckt.
*
»Ich will nicht mehr. Lasst mich hier zurück.« Der junge Soldat ließ sich einfach auf den Boden sinken, zog die Beine an und schlug beide Hände vor das schmutzige Gesicht. Er war am Ende. Etwas in ihm war zerbrochen. Er hielt die Strapazen des Marsches nicht mehr länger aus. Seit vier Tagen marschierten sie nun über Stock und Stein. Sicher, tagsüber hatten sie Zeit, sich zu erholen. Aber die Nächte waren schon lang, und das Land schenkte ihnen nichts. Der Weg war eine Tortur. Der Bursche war bereit, aufzugeben.
»Hoch mit Ihnen, Trooper Stillwell! Nehmen Sie sich ein Beispiel an Ihren Kameraden. Wir können alle nicht mehr. Dennoch marschieren wir.« Lieutenant Whitlock hatte angehalten, das rechte Bein auf einen Felsen gestellt und beugte sich weit über den Kavalleristen. »Wir lassen Sie nicht zurück.«
»Ich – ich kann nicht mehr, Sir«, brach es rasselnd über die bebenden Lippen des Jungen. Seine Augen glitzerten in der Dunkelheit wie Glaskugeln. Ein Ächzen stieg aus seiner Kehle. Es hörte sich an wie trockenes Schluchzen.
Die anderen waren weitermarschiert und Whitlock konnte sie nur noch schemenhaft wahrnehmen. Die Pferdehufe krachten und klapperten. Niemand kümmerte sich um Stillwell, der schlapp zu machen drohte. Jeglichen Gedankens, jeglichen Willens beraubt stapften die Soldaten dahin. Jeder Schritt war eine Anstrengung, eine Überwindung, die all den Willen erforderte, der in den Männer noch steckte. Es war das Gesetz der Selbsterhaltung, das nur noch der Instinkt diktierte und sie vorwärts peitschte.
»Stehen Sie auf, Soldat!«, keuchte Whitlock. »Das ist ein Befehl. Sie werden mir doch den Gehorsam nicht verweigern?«
»Erschießen Sie mich von mir aus, Lieutenant. Es ist mir egal. Lieber tot sein, als...« Stillwell brach ab. »Tut mir Leid, Sir. Ich kann wirklich nicht mehr. Meine Füße sind wund. Ich – ich fühle mich ausgehöhlt wie ein morscher Baumstamm. Bitte, Lieutenant, lassen Sie mich zurück.«
»Niemals, Stillwell!« Whitlock nahm sein Bein von dem Felsen. »Geben Sie mir Ihre Hand, ich helfe ihnen.« Er streckte den Arm aus. »Anhalten!«, gebot er gleichzeitig mit lauter Stimme. Seine Worte holten den kläglichen Rest der Patrouille ein. »Sergeant, warten Sie mit den Männern! Stillwell kann nicht mehr.« Seine Stimme sank herab. »Geben Sie mir die Hand, Soldat!« Whitlocks Worte fielen zwingend und duldeten keinen Widerspruch. Stillwell reichte ihm die Hand. Whitlock zog ihn auf die Beine. Schwankend stand der Trooper. »Kommen Sie, ich stütze sie.«
»Wie lange wollen Sie das schaffen, Sir? Ein paar hundert Yards, dann sind wir beide fix und fertig.«
»Wahrscheinlich haben Sie Recht. In Ordnung. - Sergeant!«
»Sir!«
»Ich ordne eine Pause von einer Stunde an. Die Männer sollen sich ausruhen.«
Whitlock machte sich Sorgen und schätzte, dass sie noch sieben oder acht Tage unterwegs sein würden. Weitere Männer würden schlapp machen und aufgeben wollen. Der Hunger höhlte sie aus. Am Morgen des vergangenen Tages waren sie auf einen kleinen Creek gestoßen. Sie konnten sich die Mägen mit Wasser füllen. Einige Männer hatten Rauchzeug und sie betäubten das nagende Hungergefühl mit Nikotin. Es wurde Zeit, dass sie etwas Essbares fanden. Auf dem Weg, der vor ihnen lag, gab es keine Ranch, keine Farm, keine Ansiedlung. Sich nach Osten zum Rio Grande durchzuschlagen, bedeutete einen Umweg von zweihundert Meilen. Die Landkarte hatte der Lieutenant mit seinem Pferd verloren. Er konnte sich nur am Stand der Sonne und der Sterne orientieren. Rauchzeichen hatte er keine mehr gesehen. Das hieß aber nicht, dass die Apachen nicht in der Nähe waren.
Gerade ihre Nähe konnte der Grund sein, weshalb sie keine Rauchsignale mehr zum Himmel schickten. Weil ihnen die Blaubäuche sicher waren...
Sie rasteten. Wind kaum auf. Windstöße fegten den Staub vor sich her. Man konnte bald die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Der Sand drang in sämtliche Körperöffnungen ein, trocknete die Schleimhäute aus und knirschte zwischen den Zähnen. Das Heulen und Fauchen des Sturms zwischen den Felsen ließ die Ohren schmerzen. Die Soldaten blieben dort, wo sie waren. Sie kauerten hart an der Felswand, gegen die der Wind prallte und Sand ablud.
Gegen Morgen ließ der Sturm nach. Berge von Sand türmten sich an der Basis der Felsen. Spuren, soweit es welche gab, waren verweht. Die Speicheldrüsen der Soldaten waren versiegt. Nachdem sie sich mit dem brackigen Wasser aus ihren Feldflaschen die Münder ausgespült hatten, torkelten sie weiter. Sie warteten nicht die Nacht ab. Es wurde ein Wettlauf gegen die Zeit. Der Marsch ging an die Substanz. Nach zwei Stunden brach Reiter Stillwell zusammen. Zwei Kameraden halfen ihm auf eins der Pferde, das schon mit einem Verwundeten besetzt war. Auch die drei Tiere waren am Ende.
Es ging immer höher hinauf. Am Rand einer Ebene stießen sie auf eine Tinaja, eine Wasserstelle. Ein Staubfilm schwamm auf der Wasseroberfläche. Einige Soldaten wollten sich sofort zu dem Wasserloch stürzen und trinken. Die schroffe Stimme des Lieutenants stoppte sie. Er ging bei dem Wasser auf das linke Knie nieder, schöpfte mit der Hand etwas von dem lebensnotwenigen Nass und probierte es, dann senkte er die Hand und sagte: »Ich habe befürchtet, dass es alkalihaltig ist. Doch es ist in Ordnung.«
Die Soldaten löschten ihren Durst, dann kamen die Pferde an die Reihe. Ringsum erstreckte sich ein Gebiet zerklüfteter Hügel und dunkler Kämme, zwischen denen kleine Prärien mit braunverbranntem Büffelgras eingebettet lagen. Von Apachen hatten sie nichts mehr gesehen.
»Wie lange noch, Sir?«, fragte der Sergeant. Aus seinen Haaren tropfte Wasser. Die blaue Feldmütze hielt er in der Hand.
»Sechs Tage noch«, versetzte Whitlock. Während er sprach, blickte er zu den verschwommenen Umrissen der blauen Bergkette am nordwestlichen Horizont. Und er sah ein Aufblitzen, wie wenn sich Sonnenlicht auf einer Spiegelscherbe oder einem Gewehrlauf bricht. Ein herber Zug kerbte sich in seine Mundwinkel. »Wir werden erwartet«, sagte er und deutete zu dem Felsmassiv, das sich von Osten nach Westen erstreckte. »Etwas hat das Sonnenlicht reflektiert. Wir müssen nach Osten ausweichen und um die Felskette herummarschieren.«
»Warum nicht nach Westen? Wir könnten den Frenchs Arroyo erreichen und uns westlich der Lava Beds nach Norden bewegen. Das wäre der direkte Weg nach Fort Wingate.«
»Dass wir diesen Weg wählen, werden sich auch die Apachen denken«, gab Whitlock zu bedenken und verlieh damit seinen Zweifeln Ausdruck. »Ich bin dafür, dass wir nach Osten gehen und östlich der Lava Beds nach Norden marschieren.«
»Das ist ein Umweg.«
»Den wir unserer Sicherheit wegen in Kauf nehmen sollten.«
»Sie erteilen die Befehle, Sir«, meinte der Sergeant achselzuckend.
Darauf gab Whitlock keine Antwort.
Die drei Wasserflaschen waren gefüllt. Der Marsch ging weiter. Stunde um Stunde, Meile um Meile. Mechanisch setzten die Soldaten einen Fuß vor den anderen. Sie waren zu erschöpft, um aufmerksam zu sein. Keiner war mehr in der Lage, seine Sinne zu aktivieren. In diesem Land war das unter Umständen ein tödlicher Fehler. Als Whitlock einmal zum Himmel hinaufschaute, sah er die dunklen Punkte vor dem endlosen Blau. Sie zogen lautlose Bahnen über ihnen. Aasgeier – Todesvögel...
Whitlock knirschte mit den Zähnen. Die Geier sahen in ihnen schon potentielle Beute. Er spuckte aus. Es war eine zähe Masse aus Speichel und Staub.
Als die Soldaten lagerten, es war kurz vor Sonnenuntergang, erklomm der Lieutenant einen Hügel, von dem aus er nach Süden und Westen blicken konnte. Im Norden und Osten versperrte ihm Berge die Sicht. In der Ferne sah er eine Reiterkette über einen Hügel ziehen. Apachen!
Er kehrte zu seinen Männern zurück und berichtete ihnen, was er gesehen hatte. Dann sagte er: »Wir warten hier die Finsternis ab, dann ziehen wir weiter. Ich weiß, Leute, es ist mörderisch. Ihr seid am Ende. Aber wir müssen durch hier, oder wir gehen elend zugrunde.«
»Marschier oder krepier«, sagte einer der Soldaten mit herbem Unterton. Seine Stimme war nur ein staubheiseres Geflüster. »Langsam frage ich mich, ob der Tod nicht eine Erlösung wäre.«
»Reden Sie keinen Unsinn, Reiter!«, wies ihn Whitlock zurecht. »Sie demoralisieren die anderen.«
»Was gibt es da noch zu demoralisieren?«, knirschte der Soldat. »Die Motivation war schon nach dem zweiten Überfall durch die Indsmen im Arsch, als uns allen klar wurde, dass wir in diesem verdammten Land wohl verrecken werden.«
»Steh auf, Miller!«, knurrte Sergeant Burmester. »Hoch mit dir. Ich werde dir den nötigen Respekt und die nötige Motivation mit den Fäusten in dein dämliches Gehirn hämmern.« Der Sergeant taumelte hoch und stand schwankend. Die Schicht aus Staub und Schweiß in seinem Gesicht war gebrochen. Seine Lippen waren rissig, seine Augen entzündet.
Auch der Soldat kam hoch. »Komm her, Winkelsoldat!«, fauchte er. Die Nerven lagen blank. Sie waren gereizt und übellaunig. Der geringste Anlass genügte... »Ich schlage dich ungespitzt in den Boden. Ihr großkotzigen Offiziere und Unteroffiziere mit eurem verdammten Kodex. Komm nur her! Ich pfeife auf deine Winkel.«
»Seid ihr verrückt geworden!«, herrschte Whitlock die beiden Streithähne an. »Ihr werdet eure Kraft noch nötig brauchen. Setzt euch!«
»Ist das ein Befehl, Sir?«, fragte der Sergeant gedehnt und musterte Miller finster, unter zusammengeschobenen Brauen hervor, in seinen Augen irrlichterte der Wille, zu zerschlagen, zu zerstören, den anderen mit seinen Fäusten zu zertrümmern.
»Ja.«
Die Schultern des Sergeanten sanken nach unten. Widerwillig setzte er sich wieder. Auch Miller ließ sich nieder. »Den Winkelsoldaten schlage ich dir irgendwann in den Hals zurück, Miller«, drohte Burmester.
»Du kannst mich mal.«
»Auch darüber reden wir noch.«
»Schluss jetzt!«, gebot Whitlock schroff. »Reißt euch zusammen, verdammt! Ich lasse nicht zu, dass wir uns gegenseitig an die Hälse gehen.«
»Tut mir Leid«, Sir«, entschuldigte sich Burmester. »Aber...« Er winkte ab und hob die Schultern.
»Schon gut. - Miller, wenn Sie so weitermachen, landen Sie vor dem Kriegsgericht.«
Der Soldat spuckte verächtlich aus und schwieg verbissen.
Die Schatten wurden länger, irgendwann verblassten sie. Der Himmel im Westen leuchtete an diesem Tag nach dem Verschwinden der Sonne schweflig gelb. Wolken, deren Ränder zu erglühen schienen, schoben sich vor diese Kulisse. Im Westen zeigte sich der Abendstern. Nach und nach verfärbte sich das Gelb zu violett und die Natur begann ihre Farben zu verlieren. Aus Mulden und Felsnischen schlich die Dämmerung. Noch immer lastete die Tageswärme zwischen dem kahlen Gestein. Überall woben jetzt Schatten zwischen den Klippen und Felskegeln. Sie täuschten huschende Gestalten vor.
Dann hatte die Nacht den Tag endgültig vertrieben. Sie brachen wieder auf. Der Sergeant ging voraus. Whitlock bildete den Schluss. Schon bald waren die Beine der Männer schwer wie Blei. Die Muskeln arbeiteten nur noch automatisch, von keinem bewussten Willen gesteuert. Die Erschöpfung grub tiefe Linien in die Gesichter. Dazu kam die Gefahr, die nicht wegzudenken war. Sie marschierten durch Feindesland. Ihr Leben hing an einem seidenen Faden. Müde Resignation hatte die meisten der Soldaten erfasst. Und der Gedanke, dass noch einige Tage der unmenschlichen Strapazen vor ihnen lagen, trieb sie immer tiefer in Mutlosigkeit und Verzweiflung. Die Dunkelheit, die sie umgab, verstärkte das Gefühl von Unsicherheit, Verlorenheit und Angst.
*
Oktober 1878. Scott Wilburn und seine Männer verhielten ihre Pferde. Vor ihnen lagen die Gebäude einer Farm. Sie schien verwaist zu sein. Alles war dem Verfall preisgegeben und wirkte grau in grau. Einige Schuppendächer waren schon eingebrochen.
»Sehen wir mal nach, was uns da erwartet«, sagte Wilburn und setzte mit einem Schenkeldruck sein Pferd in Bewegung. Im Schritttempo ritten sie auf den Farmhof. Die Tür eines Schuppens stand offen und knarrte leise im Wind. Die Fenster des Farmhauses besaßen kein Glas. Dafür gab es Blendläden, die schief in den Angeln hingen. Auf dem sandigen Farmhof waren keinerlei Spuren auszumachen. Wenn es je welche gegeben hatte, waren sie vom Wind eingeebnet worden. Zwischen zwei Schuppen stand ein verrotteter Heu-Wagen, den die Menschen, die hier lebten, zurückgelassen hatten. Ein Corral war zum Teil eingebrochen. Staubspiralen trieben über den Hof.
Wilburn saß ab und ging ins Haus. Auch hier war alles verstaubt. Es roch muffig. In der Küche befand sich ein aus Feldsteinen gemauerter Herd, eine aus groben Ästen gefertigte Bank, ein Tisch, dessen Beine vier Pfosten bildeten, die einfach in die Erde geschlagen worden waren. In den Ecken zogen sich verstaubte Spinnenweben, in denen tote Fliegen hingen.
Wilburn ging in den anderen Raum. Das Mobiliar bildeten zwei grob aus dünnen Fichtenstämmen gefertigte Betten. Matratzen und Bettzeug fehlten. Die vier Eckpfosten der Betten bestanden ebenfalls nur aus armdicken Pfählen, die in die Erde gerammt worden waren.
Wilburn verließ das Haus.
Einer seiner Kumpane kam aus einem flachen Schuppen. Die anderen inspizierten Stall und Heuschober.
»Sieht aus, als hätten die Bewohner das Weite gesucht«, sagte Wilburn. »Wahrscheinlich fürchteten sie einen Überfall durch die Rothäute.«
Die anderen kamen in den Hof.
»Wir bleiben hier, solange wir uns in der Wildnis aufhalten«, beschloss Wilburn. »Da haben wir wenigstens ein Dach über dem Kopf. Ehe der Winter hereinbricht, begeben wir uns nach Tucson.«
Die anderen waren einverstanden. Hier gab es Heu und Stroh, und ein Dach über dem Kopf war in der Tat nicht zu verachten. Hierher konnten sie sich immer wieder zurückziehen und sich verkriechen.
»Warum gehen wir nicht nach Ojo Caliente?«, fragte Glenn Farley, einer der Skalpjäger. »Dort oben könnten wir zig Skalpe machen. Und wir müssten nicht befürchten, selbst skalpiert zu werden.«
Das war traurige Wahrheit. Nachdem im Arizona-Territorium Prämien für Skalps gezahlt wurden, machten die Skalpjäger auch vor Frauen und Kindern nicht halt, sie töteten selbst Mexikaner und skalpierten sie. Einem Skalp sah man es nicht an, ob er von einem Krieger, einer Squaw, einem Kind oder einem schwarzhaarigen Mexikaner stammte.
»Weil ich Victorio erwischen und das Kopfgeld kassieren will«, versetzte Wilburn.
»Na schön«, knurrte Dexter Morgan, ein anderer der Kerle. »Dann richten wir uns häuslich ein hier. Hier könnten wir sogar einige Zeit überwintern.«
»Wir müssten uns Vorräte anschaffen«, versetzte Wilburn. »Viel zu viel Aufwand. Daher begeben wir uns im November nach Tucson.«
*
Die Soldaten schleppten sich dahin. Die Gesichter waren eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen. Staub und Schweiß hatten unter der Kleidung die Haut der Soldaten aufgescheuert. Es war ihnen gelungen, ein Reh zu schießen. Sie brieten es über einem Feuer und verzehrten das Fleisch halb roh. Das Land forderte von ihnen gnadenlos und unerbittlich seinen Tribut. Sie hatten die Plains of Saint Augustine erreicht, eine staubige, teilweise grasbewachsene Ebene mit Kakteenfeldern und Comas sowie anderem Dornengebüsch. Im Norden erhob sich der Horse Peak mit fast 9.500 Fuß, dahinter buckelten die Mangas Mountains. Es war die Hälfte der Strecke, die sie zurücklegen mussten.
Sie zogen über die Ebene hinweg. Die Soldaten bewegten sich wie von Schnüren gezogen. Die Signale, die die Gehirne aussandten, blieben von den Körpern teilweise unbeantwortet. Es war nur noch ein mechanischer Bewegungsablauf, bar jeglichen Willens und jeglichen Gedankens, der sie einen Fuß vor den anderen setzen ließ.
Dann brach einer der Soldaten zusammen. Der Sergeant half ihm auf die Beine. Zwei seiner Kameraden schleppten ihn mit sich. Der Wind trieb ihnen Wolken von Staub entgegen. Obwohl es schon Oktober war, brannte die Sonne heiß vom Firmament. Bäche von Schweiß zogen helle Bahnen in die verstaubten Gesichter. Schweiß durchweichte unter den Achseln und zwischen den Schulterblättern die Uniformhemden und färbte sie dunkel. Es gab keinen Schatten. Die Aasgeier folgten den Kavalleristen.
Es war wieder Mittag. Sie rasteten auf dem Kamm einer Bodenwelle, von der aus der Blick in die Umgebung frei war. So konnten sie es sich ersparen, Wachen aufzustellen. Die Soldaten ließen sich einfach zu Boden fallen. Es bedurfte schroffer Befehle, um sie zu veranlassen, die Verwundeten von den Pferden zu heben.
»Ich will trinken«, krächzte einer der Kavalleristen. »Verdammt, wir haben ebenso Durst wie die Verwundeten. Ich trinke jetzt einen Schluck, Lieutenant. Und Sie werden es zulassen.«
»Das restliche Wasser ist für die Verwundeten und die Pferde bestimmt«, stieß Whitlock hervor. »Noch zehn Meilen, dann stoßen wir auf einen Creek. Dann könnt ihr trinken.«
»Zehn Meilen! Ich halte keine zwei Meilen mehr durch ohne Wasser.« Der Soldat wankte auf eines der Pferde zu, an dessen Sattel die Wasserflasche hing. Er griff nach der Flasche und hakte sie los, dann wollte er sie aufschrauben.
Mit drei Schritten war Whitlock bei ihm. »Sie missachten meinen Befehl, Reiter Henders!«, knirschte er und streckte die rechte Hand aus. »Geben Sie mir die Flasche.«
»Verdammt, Lieutenant, ich...«
»Ich verlange von Ihnen nichts, was ich nicht von mir selbst fordere, Soldat. Also her mit der Flasche.«
»Nein.« Der Soldat drehte am Verschluss.
Whitlock trat an ihn heran und schlug ihm die Canteen aus den Händen. Sie fiel in den Staub. Da der Verschluss schon herumgedreht worden war, lief etwas von dem Wasser aus und tropfte in den Staub. Schnell bückte sich der Lieutenant nach der Flasche. Da ließ Tom Henders sein Bein vorschnellen. Er war nicht mehr Herr seiner Sinne. Sein Fuß traf Whitlock unter dem Kinn. Dessen Kopf wurde in den Nacken geschleudert, er ließ die Flasche fallen, kippte aus seiner kauernden Haltung nach hinten und saß am Boden.
»Sind Sie verrückt geworden, Henders?«, keuchte er. »Das...«
Henders bückte sich schon wieder nach der Flasche. Der Sergeant trat heran und riss ihn am Hemdkragen zurück. Henders schrie auf, seine Hände griffen ins Leere und er fiel auf den Rücken. Sofort versuchte er, hochzukommen. Aber Burmester stand breitbeinig über ihm. Und er schmetterte ihm die Faust von der Seite gegen das Kinn, als sich Henders in sitzende Haltung erhob. Aufbrüllene kippte er zur Seite. Seine Finger verkrallten sich im Untergrund. Sein Atem ging stoßweise und rasselnd.
Henders' Bein zuckte hoch. Er traf den Sergeant in den Leib. Burmester presste beide Hände in seinen Schritt und krümmte sich. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen, sein Mund klaffte auf, doch der Schrei erstickte in der Kehle. Nur ein verlöschendes Röcheln platzte über seine rissigen Lippen. Übelkeit stieg in ihm auf. Er hatte gegen eine große Not anzukämpfen...
Doch jetzt war Whitlock wieder auf die Beine gekommen. Er trat vor Henders hin, der sich mit lahmen Bewegungen, fast zeitlupenhaft langsam hochrappelte. Der Lieutenant schlug zu. Henders bekam seine Faust in den Magen, sein Oberkörper pendelte nach vorn, ein Schwinger Whitlocks richtete ihn wieder auf, mit den Armen rudernd taumelte er zwei – drei Schritte zurück, dann stolperte er und setzte sich erneut auf den Hosenboden.
»Nehmen Sie Vernunft an, Henders«, keuchte Whitlock, und er spürte die Schwäche wie flüssiges Blei durch seine Blutbahnen kriechen. »Ich schreibe es Ihrem kläglichen Zustand zu. Sie sind nicht mehr bei Verstand. Aber wenn sie das noch einmal versuchen, sorge ich dafür, dass Sie vor dem Kriegsgericht landen.«
Er hob die Feldflasche auf, schraubte sie zu und hängte sie an den Sattel.
Henders verbarg das Gesicht in seinen Händen. Seine Schultern zuckten. »Es – es tut mir Leid, Sir«, röchelte er. »Ich muss durchgedreht sein.«
»Es ist in Ordnung, Henders. Wir schaffen es. Mein Wort drauf. Wir kommen durch.«
Whitlock war härter als alle anderen. Ihm ging es nicht nur um seine Person. Er wollte den kläglichen Rest seiner Patrouille lebend nach Fort Wingate bringen, den Unbilden und Strapazen, die das Land für sie bereit hielt, trotzen und diese Männer, für die er die Verantwortung trug, retten.
Das war sein Bestreben. Das beflügelte ihn, das hielt ihn auf den Beinen und ließ ihn immer wieder neue Hoffnung schöpfen.
Er gab sich keinen Illusionen hin. Die Chance, es zu schaffen, war die eines Regentropfens im Ozean. Er hatte keine Ahnung, welche bösen Überraschungen sie noch erwarteten. Es konnte ein Angriff durch die Apachen sein, oder dass sie den Fluss nördlich der Plains verpassten, oder dass eines der Pferde zusammenbrach und erschossen werden musste. Es war nicht absehbar. Niemand wusste, welche gnadenlose Schläge ein unerbittliches Schicksal für sie noch bereithielt.
Es gab keinen Indianerangriff. Die Pferde hielten durch, und sie fanden den Fluss. Und am achten Tag ihres Gewaltmarsches trafen sie auf eine andere Patrouille aus Fort Wingate, die auf dem Weg nach Süden war. Das war die endgültige Rettung. Elf Tage nach ihrem Aufbruch in den Mimbres Mountains erreichte sie das Fort.
Nach einem ausgiebigen Bad, einem nach den Strapazen der vergangenen Wochen feudalen Essen und zwölf Stunden Schlaf trat Whitlock bei Colonel McIntosh zum Rapport an. Nachdem er salutiert hatte und sich vom Patrouillenritt zurückgemeldet hatte, forderte ihn der Colonel auf, sich zu setzen. Er bot ihm ein Zigarillo an und fragte ihn, ob er einen Drink wollte. Das Zigarillo nahm Whitlock, den Drink lehnte er ab.
»Dann erzählen Sie mal«, sagte der Kommandant des Forts. »Soviel ich gehört habe, war es ein Trail durch die Hölle.«
»Ja, Sir. Ich habe fast drei Viertel der Männer verloren. Wir ritten in zwei Hinterhalte der Apachen. Es war in der Tat die Hölle. Von Victorio haben wir nicht mal die Nasenspitze gesehen.«
»Sie brauchen sich keine Vorwürfe zu machen, Lieutenant. Wir haben Victorio unterschätzt. Vielleicht haben wir auch seine Bereitschaft, Frieden zu schließen, völlig falsch beurteilt.«
»Victorio führt einen Raubkrieg«, erklärte Whitlock. »Vor ihm ist nichts sicher. Er überfällt Farmen, Ranches und Transporte, mordet, raubt und brandschatzt. Zwei Dutzend Männer reichen nicht aus, um ihn zur Räson zu bringen. Es bedarf einiger Kompanien Kavallerie.«
Der Colonel presste die Lippen zusammen. Sekundenlang fixierte er Whitlock. Dann meinte er: »Entnehme ich Ihren Worten einen Vorwurf, Lieutenant?« Seine Stirn hatte sich in Falten gelegt. Lauernd fixierte er Whitlock.
»Kritik zu üben steht mir nicht zu, Sir. Aber die Männer, die gestorben sind, starben einen unsinnigen Tod. Wir waren ein verlorener Haufen.«
»Ich verstehe«, grollte die Stimme des Colonels. Leicht schlug er mit der flachen Hand auf den Tisch. »Ich erwarte Ihren schriftlichen Bericht bis heute Abend, Lieutenant. Und Sie sollten nichts schreiben, was ein schiefes Licht auf mich, Major Garretson oder Sie selber wirft. Es war mir verwehrt, mehr Soldaten mit Ihnen loszuschicken. Im Reservat herrschte Unruhe. Ich durfte das Fort nicht derart schwächen, dass die Rothäute es als Aufforderung verstanden hätten, es dem Erdboden gleichzumachen.«
»Eine weitere Patrouille ist nach Süden geritten«, so wechselte Whitlock das Thema. »Ist sie in derselben Mission unterwegs wie wir, oder soll sie Verhandlungen mit Victorio führen, um ihn zu bewegen, aufzugeben?«
»Der Winter steht vor der Tür«, antwortete der Colonel. »Die Apachen sind nicht gerüstet dafür. Sicher, sie haben Kleidung und Decken erbeutet und wahrscheinlich auch Fleisch getrocknet. Dennoch wird es für sie ein einziger Überlebenskampf werden. Dies vor Augen ist Victorio vielleicht bereit, die Waffen zu strecken.«
Whitlock wiegte skeptisch den Kopf. »Bei allem Respekt, Sir. Aber die Aussicht, gehängt zu werden, wird ihn die Waffen nicht strecken lassen. Er soll den Tod im Kampf gegen die Weißen der Abschiebung nach San Carlos vorgezogen haben. Die Aussicht, am Galgen zu enden, wird dies noch unterstreichen.«
»Wir müssen es auf uns zukommen lassen.« Der Colonel lehnte sich auf dem Stuhl zurück und zog an seinem Zigarillo. »Wenn Victorio nicht zustimmt, werden wir wohl im Frühling erneut Soldaten nach Süden schicken müssen, die ihm schließlich und endlich unseren Willen aufzwingen.«
Whitlock schaute nicht besonders zuversichtlich drein.
*
Die Patrouille, die nach Süden gezogen war, kehrte nicht mehr zurück. Anfang Dezember kam der Winter mit Schnee und klirrendem Frost. Die Krieger der Apachen in den Bergen waren nicht bereit, aufzugeben. Sie hausten in einer Schlucht und hatten sich dort provisorische Unterkünfte aus übereinander geschichteten Steinen und Ästen errichtet. Von der Außenwelt waren sie abgeschnitten. Ihre Raubzüge am Rio Grande und an seinen Nebenflüssen mussten sie aussetzen.
Im Januar ging der Fleischvorrat aus. Victorio schickte ein halbes Dutzend Krieger auf die Jagd. Es war früher Morgen und noch finster, als sie aufbrachen. Der Schnee lichtete die Dunkelheit, dazu kam das Mond- und Sternenlicht, das noch nicht verblasst war.
Die Krieger gingen zu Fuß. Sie führten lediglich ein Pferd mit sich, das die Beute tragen sollte. Das Wild hatte sich in die Täler und Wälder geflüchtet. Sie sanken bis zu den Knien im Schnee ein. Ein Krieger namens Little Elk führte die Gruppe an. Ein erfahrener Mann, dessen Leben ein einziger Daseinskampf gewesen war und den seine bitteren Erfahrungen geprägt hatten.
Sie stiegen in die Tiefe. Dichte Atemwolken zerflatterten vor den Gesichtern und den Nüstern des Pferdes. Schneebretter lösten sich. Es war bitterkalt und nun begann es leicht zu schneien; hagelkörnerkleiner, harter Schneegriesel, der in die Gesichter peitschte.
Big Elk ging voraus. Jeder Schritt kostete Mühe. Die Gesichter waren gerötet. Mit klammen Fingern hielten die Krieger ihre Waffen. Zwei trugen Henrygewehre, einer eine Sharps, drei waren mit Lanzen sowie Pfeil und Bogen bewaffnet. Der Abstieg kostete Kraft.
Sie gelangten in eine Schlucht. Die Schneedecke, die den Boden bedeckte, war unberührt. Stille herrschte in der Natur. Mond und Sterne waren hinter dicken Schneewolken verschwunden, die sich am Himmel gebildet hatten. Nur langsam wurde es heller. Zwielicht fiel in die Schlucht. Es gab keine Spur eines Wildes. Die Apachen zogen zwischen den Felswänden dahin. Die beißende Kälte ließ ihre Augen tränen. Ein scharfer Wind, der aufgekommen war und ihnen zwischen den Felswänden entgegenpfiff, nahm ihnen fast den Atem. Die kleine Gruppe erreichte das Ende der Schlucht. Sie hatte sich in Richtung Osten bewegt. Dort war Wasser, dort gab es Wald und Weideland.
Dann war es hell. Der Schnee glitzerte. Das Schillern und Schimmern strengte die Augen an. Unermüdlich stapften die Indianer dahin. Sie zogen eine deutliche Spur. Es ging durch Täler und über Ebenen. Im Westen türmten sich Wolken, sie falteten sich zu formlosen, tiefdunklen Bergen zusammen, der Himmel hatte sich im Zenit ganz hell verfärbt. Über dem Horizont dagegen war er finster wie in der tiefsten Nacht. Der Wind ließ nach. Und schließlich war es windstill.
Die Luft schien mit Elektrizität geladen zu sein. Zwischen den Felsen war es düster. Das Grau der Atmosphäre lastete bleiern über dem stillen Land. Ringsum war alles reglos, wie tot. Die Kälte nahm ständig zu und biss in den Gesichtern.
Der wolkenüberzogene Himmel, das düstere Grau ringsum, die Reglosigkeit der Hügel und Felsen, die eingetretene Stille - das alles wirkte unheimlich und bedrückend. Hier bahnte sich lautlos und unheimlich die Hölle eines Blizzards an. Dann wehte ein ferner Pfeifton über die Felsmauern und Hügel heran, das Pfeifen wurde schnell lauter, schriller, dann ging es in ein durchdringendes Heulen über. Das unheimliche Heulen schwoll weiterhin an. Die Wolkenberge im Westen wurden von einem ungeheuren Sturm herangetrieben.
Es gab keinen allmählichen Übergang von der Reglosigkeit in das Toben des Unwetters. Es dauerte nicht länger als eine Sekunde, und alles hatte sich in eine tobende, weiße Hölle verwandelt. Der Blizzard kam wie ein wildes Ungeheuer über die Felswände herabgefegt und trieb eine weiße Wand aus Schnee und Eiskristallen vor sich her, die alles unter sich begrub. Die Kälte kroch durch die Kleidung. Über die Gesichter der Krieger schienen Flammenzungen zu lecken. Ihre Ohren waren taub vom Heulen und Prasseln ringsum. Die Wildnis hatte sich in einen tosenden, weißen Hexenkessel verwandelt, aus dem es kein Entrinnen zu geben schien. Immer neue Schneemassen jagte der Blizzard über die Hügelkuppen heran. Der Schnee wirbelte so dicht, dass man fast die Hand vor den Augen nicht mehr erkennen konnte.
Die Krieger hatten sich in eine Schlucht geflüchtet. Hier kauerten sie sich zusammen. Der Sturm packte sie wie mit einer Riesenfaust, drohte sie umzuwerfen. Nadelspitze Eiskristalle schlugen in ihre Gesichter. Das Pferd hatte versucht, auszubrechen. Aber zwei Apachen hatten sich an die Zügel aus Rohleder gehängt und konnten das von Panik erfasste Tier festhalten.
Little Elk schrie etwas, aber der Sturm riss ihm die Worte von den Lippen. Der wirbelnde Schnee bildete einen dichten, mit den Augen kaum zu durchdringenden Schleier. In immer neuen eisigen Böen peitschte der Sturm vernichtende Wogen von Schnee und Eiskristallen in die Schlucht. Schneewehen türmten sich an Felsblöcken und –wänden auf.
Der Blizzard dauerte über eine Stunde. Dann flaute er ab. Es schneite noch immer. Große, schwere Flocken fielen wie ein weißer Vorhang. Nach dem Jaulen und Orgeln des Sturms wirkte die Stille unecht, fast gespenstisch. Kälte stach in den Lungen und legte sich auf die Krieger wie ein Eispanzer, kroch von den Beinen herauf in ihre Körper, brannte in ihren Gesichtern. Die Luft war so kalt, dass das Atmen Mühe bereitete. Die ganze Natur wirkte dunkel, leblos und unheimlich.
Lautlos und dicht fiel der Schnee. Und dann kamen die Wölfe. Der Hunger hatte sie aus den höheren Regionen in die Täler getrieben. Der Hunger würde sie in reißende Bestien verwandeln. Ihr Heulen ging durch Mark und Bein. Das Pferd, das die Apachen mit sich führten, begann verrückt zu spielen und zerrte an der Leine, drängte zurück, stieg plötzlich und wollte sich herumwerfen. Es bockte wie ein störrischer Maulesel, warf den Kopf in den Nacken und keilte nach hinten aus. Einer der Krieger konnte es nur mit äußerster Anstrengung und Mühe bezähmen. Er schlang den langen Rohlederzügel um den armdicken Ast eines Strauches.
Der Tod kam auf weichen Pfoten durch die Schlucht, mit geifernden Fängen und gnadenlosem Hunger in den Eingeweiden.
Durch herabtanzende Schneeflocken und die Düsternis konnten die Apachen die huschenden Schemen wahrnehmen. Im nächsten Moment erreichte heiseres Gehechel ihre Ohren.
Die Schatten kräftiger, struppiger Körper schälten sich aus dem Schneetreiben. Die grünen Wolfslichter schimmerten fluoreszierend.
Die Wölfe hatten die Witterung des Pferdes und der Krieger aufgenommen. Nun waren sie gekommen, um über ihre Beute herzufallen und ihren nagenden Hunger zu stillen. Sie duckten sich, als setzten sie zum Sprung an.
Vier, fünf, sechs dunkle Körper zählte Little Elk. Er sah die Lefzen, die sich über die schimmernden, mächtigen Reißzähne zurückgeschoben hatten, die gesträubten Nackenhaare, die Gier in den glitzernden Wolfsaugen. Erregte Läufe scharrten durch den Schnee, geschmeidige Körper schnellten aus dem Weiß. Schnee stäubte.
Der Hunger der Wölfe war stärker als ihre angeborene Scheu vor dem Menschen. Ihr Knurren und Hecheln wehte heran wie eine tödliche Verheißung. Das Pferd stampfte erregt auf der Stelle, dann wieherte es grell und angstvoll. Die Herzen der Krieger pochten hart und wie rasend. Die Kälte, die sie spürten, war nun nicht nur mehr äußerlich. Sie bildete sich tief in ihrem Innersten und ließ sie erschauern.
Einer der schwarzen Körper flog auf Little Elk zu. Mit einem gewaltigen Satz hatte sich der Wolf vom Boden abgestoßen. Lautlos kam er durch die Luft. Der Apache schwang den Tomahawk hoch und schlug zu. Der Wolf wurde im Flug herumgeschleudert, jaulte gequält, fiel zwischen Geröll, winselte und verendete.
Da schoss auch schon der nächste Schemen auf Little Elk zu. Auch die anderen Krieger kämpften verzweifelt mit den Wölfen, die sie wild und ungestüm angriffen. Little Elk starrte direkt in den aufgesperrten Rachen hinein und warf sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen den Wolfskörper, gleichzeitig schlug er mit dem Beil zu.
Und er traf den Schädel des Wolfes. Das Tier überschlug sich jaulend am Boden, kam auf die Hinterbeine und rutschte ein Stück dahin. Mit wütendem Knurren warf es sich herum, federte erneut auf den Apachen zu, der erneut zuschlug und traf. Der Wolf fiel zu Boden. Blut färbte den Schnee rot.
Little Elk vernahm das Hecheln und das zornige Grollen hinter seinem Rücken, registrierte, dass sich das Pferd wie irrsinnig gebärdete, schleuderte sich herum - und verlor das Gleichgewicht. Die Beine wurden ihm regelrecht unter dem Körper weggezogen. Er landete rücklings im Schnee.
Der Wolf schnellte an ihm vorbei. Jemand schoss. Das Tier überschlug sich, seine Läufe zuckten, der gierige Fang schnappte ein letztes Mal, dann lag es still.
Aber das Schneetreiben spuckte weitere Wölfe aus. Sie fielen über ihre getöteten Artgenossen her und vergaßen für eine Weile die Menschen und das Pferd in dem Felsspalt. Mit ihren fürchterlichen Fängen fetzten sie das noch warme Fleisch aus den toten Körpern. Der Geruch des frischen Blutes machte sie irrsinnig. Knochen brachen...
Little Elk rappelte sich auf die Beine und war mit einem Satz bei seinem Gewehr, das ihm entfallen war, raffte es an sich und repetierte. Das scharfe Geräusch des Durchladens hing sekundenlang zwischen den Felsmauern.
Sein Gewehr begann zu peitschen.
Little Elk feuerte in das durcheinander quirlende Knäuel der dunklen Wolfsleiber, die am Körper eines toten Artgenossen rissen und zerrten. Wölfe bäumten sich auf, stürzten in den Schnee und starben. Einige der Bestien wichen zurück, die Köpfe tief über dem Boden, mit Geifer zwischen den Zähnen. Die anderen ließen sich nicht beirren.
Weitere Gewehre stimmten ein.
Die Apachen machten sich nicht die Mühe, genau zu zielen. Sie jagten ihre Kugeln einfach in die Masse der sich um die Beute streitenden Bestien hinein. Wölfe wurden getroffen und umgerissen. Tot und sterbend lagen sie im Schnee. Klägliches Jaulen und Heulen erhob sich. Soweit sie dazu noch in der Lage waren, ergriffen die Wölfe die Flucht. Die zottigen, sehnigen Biester schnellten durch den lautlos fallenden Schnee und verschwanden.
Diese Schlacht gegen die Natur hatte die kleine Gruppe Apachen gewonnen.
*
Der Kampf der Apachen in den Bergen ums Überleben ging weiter. Einige von ihnen hatten den strengen Winter nicht überlebt. Die Überlebenden überfielen wieder einsame Farmen und Ranches, als endlich Tauwetter einsetzte und die Wildnis wieder einigermaßen gangbar war.
Scott Wilburn und seine Männer hatten in Tucson überwintert. Jetzt deckten sie sich mit Proviant ein und zogen wieder in die Ödnis. Sie erreichten die alte Farm, die sie sich zu ihrem Stützpunkt auserkoren hatten, und unternahmen von dort aus ihre Jagdausflüge. Ja, es war für sie eine Jagd, was für die Apachen tödlicher Ernst war. Sie wollten Skalps, und vor allem wollte Wilburn den Häuptling. Victorio war der Regierung zwischenzeitlich 1.500 Dollar wert geworden.
In Fort Wingate wurde zu einer neuen Patrouille in die Mimbres Mountains gerüstet. Lieutenant Whitlock sollte sie führen. Er brach am 2. Februar 1879 auf. Vier Apachenscouts begleiteten die Gruppe.
Am 5. Februar überfiel eine Kriegshorde eine Ranch am Berenda Creek. Der Rancher, seine Frau, der siebzehnjährige Sohn des Paares und drei Cowboys wurden massakriert.
Auf dem Rückweg zu ihrem Versteck in den Bergen wurden die Apachen von Wilburn und seinen Leuten überrascht. Ahnungslos ritten sie in den Hinterhalt. Nur zwei Kriegern gelang verwundet die Flucht. Zehn Krieger waren tot. Die Weißen skalpierten sie und ließen sie liegen. Die beiden Verwundeten kehrten zurück. Ihre Pferde waren entweder erschossen worden, oder die Weißen hatten sie mitgenommen. Einer der Krieger hatte eine Kugel in der rechten Brustseite. Dem anderen hatte ein Geschoss das Schlüsselbein zerschmettert. Er machte sich auf den Weg, um Hilfe zu holen.
Der Krieger mit der Brustwunde lag am Boden. Benommenheit brandete gegen sein Bewusstsein an. Er hatte zwar einen Stoffpfropfen in die Wunde geschoben, um nicht noch mehr Blut zu verlieren, doch die Verletzung war übel und wahrscheinlich würde er sogar sterben.
Gegen Abend hörte er Hufgetrappel. Er nahm sein Gewehr und kroch zwischen die Felsen. Dann trieben zwei Apachen, die die Uniform der Blaubäuche trugen, ihre schweren, braunen Pferde aus einem Felsspalt. Das Bild mit den toten und skalpierten Kriegern und den erschossenen Pferden sprang ihnen mit erschreckender Schärfe in die Augen und sie parierten die Vierbeiner, auf denen sie saßen.
Überall lag noch Schnee. Aber er war nass. Und er war rot vom Blut der Getöteten. Die beiden wechselten einige Worte.
Der Krieger, der auf einen der Scouts zielte, wagte nicht abzudrücken. Einer der Kundschafter drehte sein Pferd herum und ritt zurück. Der andere ritt ein Stück weiter und saß ab.
Die Spur des Kriegers, der verwundet war, führte zwischen die Felsen. Der Scout nahm sein Gewehr und folgte ihr. Dann stand er vor dem Apachen, der die Henry Rifle auf ihn angeschlagen hielt und den Zeigefinger um den Abzug krümmte. Ein leichter Druck hätte genügt...
Sie starrten sich an. Schließlich sagte der Scout in seiner Sprache: »Ich will dir nichts Böses tun, Bruder. Warum zielst du auf mich?«
»Du trägst eine Uniform und dienst den Blaubäuchen. Du bist mein Feind.« Der Krieger sprach mit matter Stimme, als kostete ihm jedes Wort übermenschliche Anstrengung. Tonlos brachen die Silben über seine pulvertrockenen Lippen.
»Du irrst dich. Im Gegensatz zu dir habe ich begriffen, dass es nicht gut ist, gegen die Weißen zu sein. Hass führt in die Hölle, Bruder. Warte ein wenig. Wir haben einen Sanitäter dabei. Er wird dir helfen.«
»Ich glaube dir kein Wort!«, keuchte der Krieger und schoss. Wie vom Blitz getroffen stürzte der Scout zu Boden. Der Krieger kämpfte sich auf die Beine. Er versuchte zu fliehen, taumelte durch den Schnee, stolperte über einen Felsbrocken, schlug lang hin. Benommen blieb er minutenlang liegen und spürte, wie die Kälte durch seine Kleidung drang. Schweratmend erhob er sich wieder, seine Hände waren zerschunden und bluteten. Er hatte sie sich auf dem scharfen Gestein verletzt.
Er kam nur wenige Schritte weit. Dann brach er zusammen. Der Blutverlust hatte ihn derart geschwächt, dass ihn seine Beine nicht mehr trugen. Ein milchiger Schleier legte sich über seine Augen, seine Lider wurden schwer wie Blei. Aber schon in der nächsten Sekunde gewann der Überlebenswille die Oberhand und erfüllte den schwer angeschlagenen Körper mit neuer Kraft.
Er kam schwankend hoch und taumelte weiter. Doch das Feuer der Auflehnung, das ihm Kraft gegeben hatte, verlosch schnell. Er brach zusammen. Da waren wieder die wühlenden Schmerzen, die dunklen Schleier vor seinen Augen und die Übelkeit, die seinen Magen zusammenkrampfte. Eine Welle der Benommenheit überschwemmte sein Bewusstsein. Er lag mit dem Gesicht nach unten und stemmte sich verbissen gegen die Nebel, die auf ihn zuzukriechen schienen.
Dann hörte er die Geräusche der Patrouille, und er wusste, dass er nicht entkommen konnte. Befehle ertönten. Wenig später wurde er von Kavalleristen umrundet.
»Der Hund hat Yellow Hand niedergeschossen!«, stieß einer hervor.
»Sanitäter!«, rief Lieutenant Whitlock. Der Mann kam. »Kümmern Sie sich um den Verwundeten.« Seine Stimme hob sich. »Was ist mit Yellow Hand?«
»Er ist verwundet!«, rief Sergeant Tom Billinger, der dieses Mal als zweiter Mann bei der Patrouille war. »Die Kugel hat ihm einen Scheitel gezogen. Eine stark blutende Wunde, und eventuell hat der Scout eine Gehirnerschütterung davongetragen. Doch er wird überleben.«
Whitlock kauerte bei dem Verwundeten nieder. »Was ist geschehen?«
»Es waren sieben Weiße«, ächzte der Krieger in schlechtem Englisch. »Sie haben uns niedergeschossen und meine Brüder skalpiert.«
»Wie sahen Sie aus? Trugen Sie Uniformen?«
»Nein. Lange Mäntel. Es waren keine Soldaten.«
»Skalpjäger«, murmelte der Lieutenant und drückte sich hoch. Er biss die Zähne zusammen. Wut kroch in ihm in die Höhe - hilflose, ohnmächtige Wut, die seinen Blutdruck steigen ließ und in tödliche Leidenschaft umschlug. »Diese verdammten Banditen«, murmelte er rau. »Sie schüren in ihrer Habgier den Hass und die Zwietracht noch.«
Er ging im Kreis um den Platz mit den Toten herum. Es war ein natürlicher Durchlass, zu dessen beiden Seiten die Weißen gelauert hatten. Er fand Spuren im Schnee und ausgeworfene Kartuschen. Winchestermunition. Schließlich stieß er auf die Fährte der Mörder. Sie führte nach Südosten. Der Lieutenant entschloss sich schnell. »Corporal Patty, Reiter Cameron, Reiter Mahoney und Reiter McAllister! Wir folgen den Schuften. Mögen die Behörden im Department Arizona Prämien für Apachenskalps zahlen. Es gilt nicht für das Department New Mexiko. Hier ist es Mord.«
Die vier Soldaten liefen zu ihren Pferden und saßen auf.
»Sergeant Billinger!«
»Sir!«
»Sie suchen mit dem Rest der Mannschaft weiterhin nach dem Schlupfwinkel Victorios. Wenn Sie das Lager finden, versuchen Sie mit Victorio zu verhandeln. Versuchen Sie ihn zu bewegen, nach Ojo Caliente zurückzukehren. Wenn er nicht bereit ist, ziehen Sie sich zurück, schicken einen Boten nach Fort Thomas oder Fort Grant und bitten um Unterstützung. Ich will auf keinen Fall, dass Sie es auf einen Kampf mit den Apachen ankommen lassen.«
»Die Apachen werden uns nicht fragen, ob wir kämpfen wollen oder nicht«, gab der Sergeant zu bedenken.
»Das ist sicher richtig«, versetzte Whitlock grimmig. »Wenn es zu Aggressionen von Seiten der Apachen kommt, dann müssen Sie sich natürlich verteidigen. Aber ich will nicht, dass Sie den Kampf provozieren. Versuchen Sie in diesem Fall, sich zurückzuziehen, um Verluste so gut es geht zu vermeiden. Verstanden?«
»Jawohl, Sir.« Der Sergeant salutierte.
Whitlock ging zu seinem Pferd und stieg in den Sattel. »Folgen Sie mir!«
Sie ritten auf der Spur der Mörder. Sie führte zum Tierra Blanca. Die fünf Soldaten stießen auf die heruntergekommene Farm. In einem Corral standen fünfzehn Pferde. Es waren die Reittiere der Skalpjäger und die Pferde, die sie den Apachen geraubt hatten. Whitlock und seine Männer hatten in einem Hügeleinschnitt angehalten. Hier wuchs mannshohes Gebüsch, sodass sie von der Farm aus nicht zu sehen waren.
»Was glauben Sie, Sir?«, fragte einer der Reiter. »Haben sich die Schufte auf dieser Farm verkrochen?«
»Die Spur führt zu der Farm. Ich denke, dass sie von ihrem rechtmäßigen Besitzer verlassen wurde. Und nun hausen dort diese elenden Halunken.«
»Soll ich hinreiten und es herausfinden?«
»Nein. Ich reite. Sie, Cameron, begeben sich auf die Westseite der Farm und verstecken sich dort. Sie, Patty und Mahoney, bleiben hier. Sie, McAllister, gehen zur Ostseite. Sollte es zum Kampf kommen, rücken Sie von drei Seiten vor.«
»Sie stehen dann mitten im Kreuzfeuer, Sir«, gab Patty zu bedenken.
Whitlock deutete ein Lächeln an und sagte: »Keine Sorge, Reiter. Ich bin auf einer Pferderanch aufgewachsen, und es gab einen mächtigen Mann im Land, dem unsere Ranch ein Dorn im Auge war. Da lernte ich es, zu kämpfen. Diese Art Kampf hat mit der Gefechtsausbildung, wie wir sie bei der Armee genossen haben, zwar kaum etwas gemein, aber es ist sicher die Art zu kämpfen, wie sie die Schufte auf der Farm praktizieren.«
Cameron und McAllister trieben ihre Pferde an und ritten davon. Jeder nahm eine andere Richtung. Whitlock wartete eine Viertelstunde, dann vermutete er, dass die beiden ihre Stellungen bezogen hatten, und trieb sein Pferd an. Langsam ritt er auf die Farm zu.
*
Ein Mann zeigte sich. Er rief etwas über die Schulter, dann kamen sechs weitere Männer in den Hof. Sie hielten die Gewehre in den Fäusten. Whitlock war klar, dass es sich um ein raubeiniges Rudel handelte, hart und kompromisslos, mitleidlos und tödlich wie Cholera.
Er ritt bis auf fünf Pferdelängen an die Kerle heran. Sie starrten ihn an. Ja, es waren zweibeinige Wölfe. Jeder trug einen Revolver unter dem Mantel. Um den Mund des einen oder anderen lag ein brutaler Zug. Es waren Männer mit dem typisch wachsamen Blick der Gesetzlosen, denen die Verworfenheit in die Gesichter geschrieben stand.
»He, Reitersoldat!«, rief einer. »Hast du dich verirrt? Oder bist du entschlossen, allein in den Krieg gegen die Apachen zu ziehen?«
Whitlock spürte das Misstrauen, das ihm entgegenschlug. Ihre Blicke huschten unruhig in die Runde, als erwarteten sie weitere Soldaten.
»Weder – noch!«, stieß Whitlock hervor. Was er sah, gefiel ihm nicht. Das waren Sattelstrolche der übelsten Sorte. Er legte beide Hände übereinander auf den Sattelknauf und drückte die Arme durch. »Ich bin einer Spur gefolgt, Gents. Sie beginnt bei einem Rudel toter und skalpierter Apachen und hier scheint sie zu enden.«
Whitlock zeigte sich furchtlos und unerschrocken.
Scott Wilburn trat einen Schritt nach vorn. Er hatte den Daumen seiner Rechten vor seinem Bauch in den Revolvergurt gehakt. Mit der Linken hielt er die Winchester am Kolbenhals fest. Seine Augen glitzerten wie die Augen eines Reptils. Er dehnte: »Na gut, Lieutenant. Die Spur hat dich hierher geführt. Was nun? Willst du uns eine Standpauke halten, weil wir ein paar Indsmen vom Leben zum Tod befördert haben? Oder willst du uns die Hosenböden strammziehen? Guter Gott, es waren ein paar stinkende Rothäute. Kein Hahn kräht nach ihnen. In Arizona zahlen sie Prämien für ihre Skalps.«
»Wir sind aber nicht in Arizona.«
»Na und? Verschwinde, Pferdesoldat. Auf Victorio ist eine hohe Belohnung ausgesetzt. Die wollen wir uns verdienen. Dabei lassen wir uns von der Armee oder einem windigen Lieutenant nicht ins Handwerk pfuschen.«
»Lasst die Gewehre fallen, Leute«, gebot Whitlock. »Ihr seid umzingelt. Wir werden euch nach Fort Wingate schaffen, und dort wird man euch den Prozess machen.«
Sie duckten sich regelrecht. Lauernd und sprungbereit standen sie da. In den Gesichtern arbeitete es. Dann presste Wilburn hervor: »Ich glaube nicht, dass wir umzingelt sind. Du musst uns schon die Waffen wegnehmen, Pferdesoldat. Dabei wirst du dich jedoch verdammt hart tun.«
Er zeigte ein schadhaftes Gebiss. Es erinnerte an das Zähnefletschen einer wütenden Dogge. Das Kinn war trotzig vorgeschoben. Dieser Bursche ging keinem Streit und keiner Herausforderung aus dem Weg. Seine Worte waren ebenso herausfordernd wie seine ganze Haltung.
»Warum fackeln wir lange?«, grunzte Hunter Welsh, ein rattengesichtiger Bursche mit vorstehenden Zähnen. »Geben wir es ihm. Und dann sehen wir ja, ob er tatsächlich so viele Soldaten mitgebracht hat, wie er uns glauben machen möchte.«
Es war wie ein Kommando – der Auftakt zu einer blutigen Tragödie. Sie rissen die Gewehre hoch. Kugeln befanden sich bereits in den Kammern. Whitlock ließ sich seitlich vom Pferd fallen und zog den Revolver. Mit dem Peitschen der Schüsse brach sein Brauner zusammen. Whitlock prallte hart am Boden auf und spannte den Hahn, dann dröhnte das Eisen in seiner Faust. Eine handlange Mündungsflamme stieß aus der Mündung. Einer der Kerle schienen für den Bruchteil einer Sekunde schräg in der Luft zu hängen, dann krachte er auf den Rücken.
Als es von drei Seiten zu krachen begann, spritzten die Halunken auseinander, als wäre eine Granate zwischen ihnen eingeschlagen. Whitlock rollte sich herum. Dort, wo er gelegen hatte, pflügte ein Geschoss den Boden und ließ das Erdreich spritzen. Der Lieutenant schoss einen zweiten der Skalpjäger von den Beinen, dann schnellte er hoch und rannte, hakenschlagend wie ein Hase, in den Schutz eines Schuppens.
Die Prämienjäger verschwanden im Ranchhaus. Drei von ihnen lagen reglos im Hof. Sein Gewehr, das im Scabbard am Sattel des getöteten Pferdes steckte, konnte sich Whitlock nicht holen. Er ersetzte die verschossenen Patronen in den Kammern des Revolvers durch scharfe aus der Patronentasche. Dann schloss er die Trommel. Vorsichtig lugte er um die Ecke des Schuppens herum, der ihm Schutz bot.
Links von dem Farmhaus, im Ufergebüsch, sah er McAllister. Von Cameron war nichts zu sehen. Patty und Mahoney kauerten irgendwo im hüfthohen Gras und lauerten darauf, dass einer der Banditen seine Nasenspitze zeigte.
McAllister bemerkte, dass ihn Whitlock beobachtete. Er gab ihm einige Zeichen. Whitlock verstand. McAllister wollte hinter das Farmhaus gelangen und die Skalpjäger ausräuchern.
Das Ufergestrüpp bot dem Soldaten Schutz. Er gelangte zur Rückwand der Hütte, nahm einige Patronen aus der Tasche und knickte mit den Zähnen die Geschosse aus den Hülsen. Das Pulver schüttete er auf einen kleinen Haufen direkt an der Hüttenwand. Dann nahm er sein Feuerzeug und zündete das Pulver an. Schnell zog er die Hand zurück, als es sich explosionsartig entzündete und eine Stichflamme hochschoss. Der Soldat huschte zur Seite davon.
Das ausgedörrte Holz fing Feuer. Die Flammen leckten an der Wand empor. Bald bemerkten die Banditen, dass es brannte. Wasser zum Löschen hatten sie nicht.
»Diese dreckigen Bastarde«, presste Wilburn hervor. »Sie räuchern uns aus. Wenn wir hinauslaufen, knallen sie uns ab wie auf dem Schießstand.«
Schnell brannte das Feuer höher. Im Innern der Hütte bildete sich Qualm. Er zog durch die Ritzen herein und ließ die Kerle husten. Das Dach fing Feuer.
»Wir müssen hinten hinaus, durch den Creek und nichts wie fort!«, keuchte Bill Latimer. Er ging zur Rückwand und trat dagegen. Brennende Bretter flogen davon. Ein Lücke entstand in der brennenden Wand, durch die die Skalpjäger ins Freie drängten.
McAllister schoss. Hank Freeman brach zusammen. Wilburn, Farley und Morgan feuerten auf die Stelle, an der der Soldat im Schutz des Gestrüpps kauerte. Blätter und Zweige segelten zu Boden. Eine Kugel traf McAllister ins Herz, die andere in den Kopf. Er war sofort tot.
Die Banditen rannten durch den Creek. Das Wasser war nicht einmal knietief, es spritzte und gischtete. Cameron, der sich westlich der Farm im Ufergebüsch verborgen hielt, feuerte zwar, doch er traf nicht. Wilburn und seine letzten beiden Kumpane rannten in Zickzacklinie und gelangten in die Deckung einer Bodenerhebung.
»O verdammt!«, keuchte Wilburn. »Latimer, Dillinger, Welsh und Freeman hat es erwischt. Wir haben keine Pferde. Die Pest an den Hals dieses verfluchten Blaubauches.«
»Den Schüssen nach zu urteilen waren es nur vier oder fünf Leute, die uns einheizten«, gab Farley zu verstehen. »Vielleicht lassen sie die Pferde frei und es gelingt uns, drei Gäule einzufangen.«
»Und dann?«
»Dann begeben wir uns in eine Stadt«, sagte Wilburn, »und versuchen, eine neue Mannschaft auf die Beine zu stellen. Zu dritt schaffen wir es nicht, Victorio zu fangen.«
»In welche Stadt? Tucson?«
»Nein. Wir reiten nach El Paso. In Texas werden wir nicht gesucht. Dort finden wir mit Sicherheit auch einige Leute, die sich uns anschließen werden. Ich will Victorio. Und vielleicht läuft mir noch einmal dieser dreimal verfluchte Lieutenant über den Weg.«
Hass verzerrte Wilburns Stimme. Hass brannte auch in seinem Herzen und vergiftete sein Denken.
»Lasst uns zuerst mal von hier verschwinden«, knurrte Morgan. »Wenn sie ein Kesseltreiben auf uns veranstalten, sind wir geliefert.«
Sie rannten zwischen die Hügel.
Whitlock, Patty, Mahoney und Cameron trafen sich im Farmhof. Sie sicherten um sich und standen Rücken an Rücken. Das Farmhaus brannte lichterloh. Es knackte und knisterte, die Flammen fauchten durch die Räume. Die drei Kerle, die langgestreckt im Hof lagen, rührten sich nicht.
»Was ist mit McAllister?«
»Ich sehe nach«, erbot sich Cameron und rannte ins Ufergebüsch. Schon zwei Minuten später fand er den getöteten Kameraden. Er packte ihn unter den Achseln und zog den schlaffen Körper aus dem Ufergebüsch. »Diese dreckigen Stinktiere«, stieß Cameron zwischen den Zähnen hervor. »McAllister ist tot!«, rief er, dann ging er hinter das Haus, wo dicht beim Flussufer Hank Freeman zusammengebrochen war. Auch er war tot.
Cameron kehrte in den Hof zurück. »Hinter dem Haus liegt auch noch einer der Banditen. Es ist wohl so, dass wir insgesamt vier von ihnen erwischt haben.«
»Wir nehmen McAllister mit«, gebot Whitlock. »Die Banditen begraben wir an Ort und Stelle. Ihre Pferde lassen wir frei. Um sie durch die Wildnis zu treiben haben wir weder die Zeit noch die Kapazität.«
Cameron nahm dem toten Pferd Whitlocks den schweren Kavallerie-McClellan-Sattel und das Zaumzeug ab und sattelte eines der Pferde im Corral.
*
Sie legten McAllister über den Rücken seines Pferdes und banden ihn fest. Nach den Banditen zu suchen war in der Wildnis zwecklos. Außerdem bestand die Gefahr, dass Whitlock und seine Männer in einen Hinterhalt gerieten.
Das Farmhaus war eingestürzt. Es war nur noch ein Haufen Brandschutt, verkohlte Bretter und Balken glommen. Rauch stieg aus den Trümmern, Rauch, der meilenweit am Himmel zu sehen sein würde. Es war nicht auszuschließen, dass er streunende Indianer anzog.
Die Soldaten machten sich auf den Rückweg. Die Stimmung war gedrückt. Wieder hatte einer ihrer Kameraden seinen Einsatz mit dem Leben bezahlt. Whitlock fragte sich, ob es je eine Zeit geben würde, in der das Töten und getötet werden verpönt war, in der der rote Mann gleichberechtigt und nicht mehr unterdrückt war, in der Rot und Weiß im friedlichen Nebeneinander lebten. Er glaubte nicht daran. Seit Jahrhunderten gab es Krieg zwischen Weißen und Indianern. Und solange es einen Indianer gab, der etwas hatte, was ein Weißer wollte, würde der Krieg fortdauern. Es war frustrierend und niederschmetternd. Und solange es Männer wie diese Skalpjäger gab, wurde der Hass geschürt und führte der Tod die Regie in diesem Trauerspiel.
Sie wurden beobachtet. Die Banditen waren nach Norden geflohen und konnten aus dem Schutz der Felsen den Abzug der Soldaten beobachten.
»Fünf Mann«, knirschte Wilburn. »Es waren fünf lächerliche Figuren, die uns das Fürchten lernten. Diese verdammten, blaubäuchigen Hunde! Ich will sie tot sehen!« Der Hass in ihm war fast wie ein Rausch. Sein Gesicht hatte sich auf erschreckende Art veränderte; es war nur noch eine Physiognomie der tödlichen Leidenschaft und des mörderischen Vernichtungswillens.
»Wir müssen uns Pferde besorgen«, mahnte Glenn Farley. »Ohne Gäule sind wir in diesem verdammten Land aufgeschmissen.«
»Ja. Und dann folgen wir diesen Hurensöhnen!«, fauchte Wilburn. »Ich will diesen Lieutenant zerdrücken wie eine Laus.«
Sie begaben sich zu der Farm. Die Pferde hatten eine deutliche Spur hinterlassen. Sie waren am Fluss entlang gelaufen und hatten bereits nach einer Meile auf einem Stück Weideland angehalten, auf dem schon große Flächen Schnee weggeschmolzen waren. Hier, am Creek, war das Land fruchtbar. Eine halbe Meile vom Fluss entfernt begann schon die Wüste.
Sie nahmen sich drei Tiere und warfen sich auf die sattellosen Rücken. Ihre Sättel waren mit dem Farmhaus verbrannt. Auch dafür hassten sie die Soldaten.
Wie Bluthunde folgten sie der Spur. Und dann sahen sie von der Kuppe eines Hügels den kleinen Pulk weit vor sich. Whitlock und seine Männer zogen über eine Ebene, aus der sich sporadisch Felsen erhoben und auf der hier und dort ein Baum gewachsen war. Ringsum waren Berg- und Hügelketten. Die Banditen folgten der Spur nicht direkt, sondern ritten einen Bogen und beeilten sich, um die Soldaten zu überholen. Sie bewegten sich durch Schluchten und umritten Hügel, und sie beeilten sich. Schließlich bezogen sie auf einer Anhöhe Stellung.
Die Soldaten tauchten auf. Einzelheiten waren nicht zu erkennen. Die Banditen legten an, zielten, und zogen durch. Eine Salve aus drei Gewehren peitschte den Reitern entgegen. Corporal Pattys Pferd brach zusammen. Jesse Cameron wurde aus dem Sattel gerissen. Price Mahoney bekam eine Kugel in die Schulter. Whitlock sprang ab und zog den Karabiner aus dem Scabbard. »Runter vom Pferd, Mahoney!«, gellte sein Organ.
Jack Patty hatte sich hinter seinem toten Pferd in Deckung geworfen.
Whitlock rannte in den Schutz eines Felsens und lud durch.
Price Mahoney benötigte eine kurze Zeitspanne, um zu reagieren. Dann sprang er vom Pferd. In diesem Moment krachte es. Er machte das Kreuz hohl, drehte sich halb um seine Achse und brach zusammen.
Die Echos der Schüsse waren verhallt. Die Pulverdampfwolken, die über den Stellungen der Schützen schwebten, zerfaserten im Wind.
»Reiter Cameron, was ist? Wo sind Sie getroffen?« Die Worte entfernten sich von Whitlock, eine Antwort blieb aus. »Was ist mit Ihnen, Mahoney?«
Mahoney röchelte nur.
»Sind Sie in Ordnung, Sir?«, fragte Corporal Patty rasselnd, mit einer Stimme, in der das Entsetzen mitschwang.
»Ja. Und Sie?«
»Auch. Abgesehen vom Schrecken, der mir ganz schön in die Glieder gefahren ist. Sind das vor uns die Skalpjäger, oder sind wir in einen Hinterhalt der Rothäute geritten?«
»Das weiß ich nicht, Corporal. Wir müssen Cameron und Mahoney in Sicherheit bringen.«
»Geben Sie mir Feuerschutz, Sir. Ich versuche, die beiden in die Deckung des toten Pferde zu holen.«
»In Ordnung.« Whitlock begann zu feuern. Der Karabiner schleuderte sein rhythmisches Krachen in die Richtung des Hügels, auf dem die Banditen lauerten.
Patty schnellte hoch und rannte zu Mahoney, packte ihn unter den Achseln und zerrte ihn hinter den Pferdekadaver. Auf dem Hügel krachten einige Schüsse, doch sie waren blindlings abgegeben, denn Whitlock zwang die Gegner mit seinen Kugeln in Deckung.
»Mahoney lebt«, rief Patty. »Aber es ist ein Lungenschuss. Ich erkenne es am Blut, das aus seinem Mund sickert. Ich schätze, den Abend erlebt er nicht mehr.«
»Ich muss laden!«, rief Whitlock.
Patty wartete. Und als der Lieutenant das Feuer wieder eröffnete, rannte er geduckt zu Cameron hin, fühlte seinen Puls, warf sich herum und rannte zurück, hechtete in den Schutz des Pferdeleibes und rief: »Cameron ist tot, Sir.«
Whitlocks Zahnschmelz knirschte, so sehr biss er die Zähne zusammen. Hart sprangen die Backenknochen in seinem Gesicht hervor. Kälte befiel ihn. Aber es lag etwas darunter - eine schwelende Glut aus grenzenlosem Hass und mörderischer Leidenschaft, vielleicht sogar tödlicher Begierde. Er überlegte fieberhaft, wie sie den Schützen auf dem Hügel entkommen und sie sich schnappen konnten.
»Ich denke, Sir, es sind drei«, rief Patty. »Die erste Salve tötete mein Pferd, und traf Jesse sowie Price. Wären es mehr Gewehre auf dem Hügel, wären sicherlich auch Sie getroffen worden.«
»Dann sind es wahrscheinlich die drei Banditen, die uns entkommen sind.«
»Das denke ich auch, Sir.«
»Verdammt, Patty, sparen Sie sich das Sir.«
»Wie soll ich dann zu Ihnen sagen, Sir?«
»Nennen Sie mich Lieutenant.«
»In Ordnung, Sir – äh, ich meine Lieutenant.«
»Geben Sie mir Feuerschutz, Corporal. Ich versuche, mich an die Schufte heranzuarbeiten.«
»In Ordnung, Lieutenant.«
Corporal Patty gab einige Schüsse ab. Whitlock sprang hoch und rannte einige Schritte, warf sich flach auf den Boden und rollte zur Seite, kam in eine Mulde zu liegen und zog den Kopf ein. Kugeln pfiffen über ihn hinweg. Querschläger jaulten durchdringend.
Es galt, ein Stück Terrain ohne die geringste Deckungsmöglichkeit zu überwinden - zwanzig Yards etwa, auf denen er den Gewehren der Schufte schutzlos ausgeliefert war. Whitlock zögerte. Schließlich gab er sich einen Ruck, kam hoch und hetzte los.
Patty feuerte, was das Zeug hielt.
Schon peitschten die Gewehrschüsse in die Senke. Kugeln schlugen neben Whitlock ein. Ein Stück Blei riss ihm den Hut vom Kopf. Ein Geschoss zupfte an seinem Hemdsärmel. Aufjapsend warf er sich schließlich hinter den Felsen in den Schnee und riss das Gewehr hoch.
Er feuerte dreimal. Die Detonationen rollten den Hang hinauf und stießen über die Banditen hinweg. Das Feuer wurde sofort mit wilder Verbissenheit erwidert. Schüsse peitschten und die Detonationen verdichteten sich zu einem Donnerknall. Das durchdringende Heulen der Querschläger zog durch das Tal, brüllendes Echo hallte von den Felswänden und Hängen wider.
Dann trat Stille ein.
Lieutenant Whitlock lugte über seine Deckung hinweg.
Die nächste Deckung war zehn Schritte entfernt. Er peilte sie an. Es war ein dichtes Gebüsch, zwischen dem einige Felsbrocken lagen. Kein 100-prozentig sicherer Schutz, aber er musste das Risiko eingehen. Er durfte sich nicht hier hinter dem Felsen festnageln lassen.
Also setzte er zum Spurt an. Geduckt lief er in Zickzacklinie auf die dürren Büsche zu, die ihm als einzige Schutz versprachen. Die Gewehre seiner Gegner krachten. Mit einem Hechtsprung warf er sich dahinter, ruderte mit dem Karabiner, weil er keinen Halt fand, und stürzte aufs Gesicht. Schüsse krachten. Die Kugeln peitschten durchs Gebüsch, konnten ihm aber nichts anhaben, denn er lag hinter einem der Gesteinsbrocken, an dem die eine oder andere Kugel abprallte oder quarrend abgefälscht wurde.
Der Lieutenant aus Fort Wingate hielt nach der nächsten Deckung Ausschau...
Whitlock war es unter Pattys Feuerschutz gelungen, sich wieder ein Stück hangaufwärts zu kämpfen. Der Schweiß rann dem Lieutenant in die Augen und entzündete sie. Seine Lippen waren salztrocken und rissig. Atmung und Puls hatten sich beschleunigt. Jetzt kauerte er gepresst atmend hinter einem Felsbrocken, holte eine Schachtel Patronen aus der Kugeltasche und begann, den Karabiner nachzuladen.
Patrone um Patrone drückte er in das Magazin. Dann war es voll. Er lud durch, spähte über den Felsen, äugte nach der nächsten Deckung, und stieß sich ab.
Mit langen Sätzen hetzte er geduckt auf den Felsklotz zu, hinter dem er Schutz suchen wollte.
Oben begannen die Gewehre zu hämmern. Ein furchtbarer Schlag gegen den Oberschenkel riss Whitlock halb herum. Er stürzte und rollte ein Stück hangabwärts. Um ihn herum schlugen die Kugeln ein und warfen Erdreich über ihn. Heiß fuhr es ihm über den Rücken. Dann fing er sich und robbte schnell zu einem Felsen in seiner Nähe.
Aus der Wunde am Oberschenkel des Lieutenants sickerte dunkles Blut. Sein Rücken brannte von dem Streifschuss wie Höllenfeuer. Whitlock nahm das Halstuch ab und band es um die Wunde. Gequält sog er Luft durch die zusammengepressten Zähne in seine pumpenden Lungen.
Aber sein Entschluss, sich die Kerle auf dem Hügel zu holen, war unumstößlich.
*
»Lass uns verschwinden!«, stieß Glenn Farley hervor. »Zwei von ihnen sind entweder verwundet, oder sie schmoren in der Hölle. Sie haben nur noch drei Pferde. Wozu etwas herausfordern? Sie werden uns nicht folgen.«
»Einen Augenblick noch!«, versetzte Scott Wilburn, dann zielte er, sein Schuss peitschte, eines der Pferde in der Ebene brach zusammen. Und schon peitschte sein nächster Schuss und ein weiteres Pferd brach vorne ein, legte sich zur Seite, keilte noch einige Male aus und lag dann still. Der letzte Pferd, das den Kavalleristen zur Verfügung stand, rannte mit fliegenden Steigbügeln und aufgestelltem Schweif davon. Wilburn senkte grinsend das Gewehr. »Jetzt verschwinden wir.«
Sie rannten zu ihren Pferden, warfen sich in die Sättel, trieben die Tiere an und lenkten sie nach Südosten. Dort lag an der Grenze zu New Mexiko El Paso.
*
»Diese niederträchtigen Aasgeier!«, stieß Jack Patty zwischen den Zähnen hervor. »Die unschuldigen Kreaturen.«
»Es sind ehrlose Lumpen«, versetzte Whitlock, äugte in Richtung des Hügelkammes und glaubte, fernen Hufschlag zu vernehmen. Er drehte das linke Ohr nach Südosten, war sich jedoch nicht völlig sicher und erhob sich vorsichtig, bereit, sich sofort wieder hinzuwerfen, sollte es auf dem Hügel aufblitzen. Jeder seiner Sinne war aktiviert, seine Muskeln waren angespannt. Aber nichts geschah. »Sie sind fort«, gab er zu verstehen.
Auch Corporal Patty erhob sich.
Auf dem Hügel blieb es ruhig.
»Ich suche das Pferd«, knurrte Patty und stiefelte in die Richtung davon, in die das entsetzte Tier geflohen war.
Whitlock ging zu Mahoney hin. Der Trooper war gestorben. Der Lieutenant drückte ihm die Augen zu. »Das werden diese Schufte büßen, Reiter Mahoney«, knurrte Whitlock, und es klang wie ein Schwur. »Ich werde sie jagen, stellen und zur Rechenschaft ziehen.«
Alles andere zählte im Moment nicht für Tyler Whitlock. Er sah nur den toten Kameraden. Sein Hass kannte kein Verständnis und keine Zugeständnisse. Einen Moment dachte Whitlock daran, dass er seinem Auftrag zuwider handelte, wenn er sich auf diesen Trail der Rache und Vergeltung begab, aber er war nicht bereit, die Mörder ungeschoren davonkommen zu lassen. Über die Konsequenzen dachte er nicht nach.
Nach einer halben Stunde kam der Corporal mit dem Pferd zurück. Sie begruben die beiden Soldaten unter einem Berg Steinen, dann stiegen sie auf das Pferd und ritten auf den Hügel. Das Messing der Kartuschen, die die Winchestergewehre der Banditen ausgeworfen hatten, glitzerte wie Gold. Der Corporal fand die Spur der Banditen. Die beiden Soldaten folgten ihr. Nach zwei Tagen erreichten sie Las Cruses. Die Spur hatten sie verloren. Sie meldeten sich beim Kommandanten des dortigen Militärstützpunktes und dieser stellte ihnen drei Pferde zur Verfügung. So hatte jeder ein Pferd zum Wechseln. In der Stadt erfuhren sie, dass Wilburn und seine Leute im vergangenen Herbst den Sheriff niedergeschossen hatten und seitdem in New Mexiko gesucht wurden. Die beiden Banditen hatten sich in Las Cruses nicht blicken lassen.
Aber die Spur hatte nach Südosten geführt ...
Whitlock und Patty saßen im Saloon und tranken ein Bier. Whitlocks Oberschenkelwunde handicapte ihn kaum. Es handelte sich um einen glatten Durchschuss. Ein Sanitäter hatte sie desinfiziert und ordentlich verbunden. Sie hatte sich bereits geschlossen.
»El Paso«, sagte Whitlock plötzlich. »Die Schufte sind nach El Paso geritten.« Er sprach es im Brustton der Überzeugung. »Es gibt sonst keinen Ort in der Nähe, in dem sie sich verkriechen und verstärken können.«
»Bis El Paso sind es um die vierzig Meilen.«
»Da wir Pferde zum Wechseln haben, können wir morgen Abend dort anlangen«, knurrte Whitlock.
»Sollten wir nicht zur Truppe zurückkehren?«, kam es zweifelnd von Corporal Patty.
»Ich habe einen Schwur geleistet«, antwortete Whitlock grollend. »Es geht nicht nur mehr darum, ein paar Skalpjägern das Handwerk zu legen. Es geht um die Mörder einiger unserer Männer.«
»Es ist die Sache des U.S.-Marshals, der für New Mexiko zuständig ist.«
»Nein. Es ist meine Sache!« Whitlock sprach es mit Nachdruck, Entschiedenheit und Endgültigkeit im Tonfall.
Sie ritten los, als es noch finster war. Es war die Stunde, in der sich die Jäger der Nacht zur Ruhe begeben und die Natur zum Leben erwacht. Sie ließen die Pferde traben. Nach jeweils zehn Meilen wechselten sie und kamen so gut voran. Und da sie sich auch nicht mehr mit Spurensuche aufhielten, erreichten sie tatsächlich am Abend El Paso. Auf der mexikanischen Seite des Rio Grande brannten Lichter. Da lag Chiudad Juarez. Nur der Fluss trennte die beiden Städte.
El Paso war ein Hexenkessel, ein Sündenbabel. Die Stadt erwachte erst am Abend richtig zum Leben – zum lasterhaften Leben. Aus den Tingeltangel-Betrieben trieb Gitarren- und Klaviermusik, Betrunkene torkelten durch die Straßen und Gassen, die Stadt war voll von verworrenem Lärm.
Whitlock und Patty meldeten sich in Fort Bliss. Die Kommandantur hatte schon geschlossen. Der Fortkommandant empfing sie in seiner Wohnung. Whitlock meldete, in welcher Mission sie unterwegs waren. Colonel Miles bot ihnen in seiner Wohnstube Plätze an, schenkte ihnen Drinks ein, dann setzte er sich und sagte grollend:
»Sie hätten die Truppe nicht verlassen dürfen, Lieutenant. Sie sind für die Männer der Patrouille verantwortlich. Man wird Sie dafür vielleicht sogar vor das Kriegsgericht stellen.«
»Es sind Mörder, Sir«, versetzte Whitlock. »Sie haben Apachen ermordet und skalpiert. Einige meiner Leute fielen ihren Kugeln zum Opfer.«
»Was war Ihre Order, Lieutenant?«
»Victorio zu suchen und zur Aufgabe zu bewegen«, versetzte Whitlock widerwillig und zähneknirschend.
»Verbrecher zu jagen ist nicht Ihr Job. Na schön. Lassen wir es. Über Ihre Zukunft bei der Armee werden andere zu entscheiden haben. Es wird Sache Ihres Vorgesetzten sein, die Angelegenheit weiterzuverfolgen.«
»Diese Banditen schüren den Hass der Apachen. Muss das Land tatsächlich im Blut seiner Menschen ertrinken?«
Colonel Miles winkte ab. »Ich kann Sie verstehen, Lieutenant, und wollte Ihnen nur klar machen, was Sie möglicherweise erwartet.« Miles räusperte sich. Dann wechselte er das Thema. »In El Paso drei Banditen zu finden ist nahezu unmöglich. Es ist ein Sammelsurium von Glücksrittern, Abenteurern, Büffeljägern, Soldaten, Huren und einer Reihe anderen zwielichtigen Gesindels. Sie sollten zu Ihren Leuten zurückkehren und versuchen, Ihren Auftrag zu erfüllen, mit dem Sie in die Mimbres Mountains geschickt wurden.«
»Auf Sergeant Billinger ist Verlass. Ich habe ihm befohlen, keinen Kampf zu provozieren. Sollte er das Lager Victorios entdecken, habe ich angeordnet, dass er Verstärkung aus Fort Thomas oder Fort Grant holt.«
»Von mir aus, Lieutenant. Ich bin nicht Ihr Vorgesetzter, und ich mache Ihnen auch keine Vorschriften. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, dann fragen Sie in den Mietställen nach. Die Stallburschen sind die am besten unterrichteten Leute in den Städten. Denn wer mit dem Pferd kommt, sucht zuerst sie auf.«
Sie blieben fast noch eine Stunde bei dem Colonel, sprachen über das Apachenproblem und andere Dinge, schließlich verabschiedeten sich Whitlock und Patty und begaben sich in die Stadt, um Nachforschungen wegen der drei Banditen zu betreiben.
Der erste Mietstall, den sie aufsuchten, war ein zugiger Bretterverschlag, dessen Tor schief in den Angeln hing und dessen Besitzer wohl nur darauf bedacht war, Gewinn zu machen, ohne etwas zu investieren. Neben dem Stalltor hing ein Laterne und warf einen Lichtklecks in den Hof. Auch im Innern des Stalles hing an einem Tragebalken eine Laterne und sorgte für etwas Helligkeit.
Whitlock und Patty führten ihre Pferde an den Zaumzeugen über den Wagen- und Abstellhof. Der Stallmann kam aus einem Verschlag linker Hand, der ihm wahrscheinlich als Stall Office und Aufenthaltsraum, vielleicht sogar als Unterkunft diente.
»An Ihnen und den Pferden klebt der Dreck der Wüste«, kam es näselnd von dem alten Burschen. Er spuckte einen Priem zur Seite aus, einen braunen Strahl Tabaksaft, dann grinste er und braune Zahnstummel wurden sichtbar. »Sieht nicht so aus, als wärt ihr in Fort Bliss stationiert. Wer aus der Wüste kommt, hat es meistens sehr eilig, auf die andere Seite des Rio Bravo zu verschwinden. Seid ihr Deserteure?«
»Nein. Wir suchen drei Männer...«
Als Whitlock geendet hatte, schüttelte der Stallbursche den Kopf. »Diese Kerle sind bei mir nicht abgestiegen. Es gibt vier Ställe in der Stadt. Ich kann Ihnen nicht helfen. Lassen Sie Ihre Pferde trotzdem hier?«
»Was verlangen Sie pro Pferd und pro Nacht?«
»Von der Armee fünfzig Cents. Die Woche kostet drei Dollar.«
»Die Konkurrenz ist beachtlich, wie?« Whitlocks Mund umspielte ein Lächeln.
»Sie ist tödlich, Lieutenant. Wo es geht, versuchen wir, uns gegenseitig zu unterbieten. Irgendwann ist jedoch Schluss. Bei fünfzig Cent ist kaum etwas verdient.«
Er übernahm die Pferde.
Im dritten Stall wurden Whitlock und Patty fündig. »Ja«, sagte der Stallmann, »die drei sind heute Mittag angekommen. Sahen ziemlich abgerissen aus, scheinen aber nicht auf der Flucht zu sein, weil sie sich immer noch in El Paso aufhalten.«
»Haben Sie den Dreien irgendein Hotel oder Boarding House empfohlen?«
»Ja, Jeff's Boarding House. Dort steigen die meisten Männer ab, die nur auf dem Durchritt sind. Ist bedeutend günstiger als ein Hotel.«
»Wo finden wir die Pension?«
Der Stallmann beschrieb ihnen den Weg.
Ja, drei Männer waren an diesem Tag in der Pension abgestiegen. Ihre Namen waren Wilburn, Farley und Morgan. Unter diesen Namen hatten sie sich zumindest ins Gästebuch eingetragen. Der Clerk erklärte, dass die Kerle irgendwo in der Stadt unterwegs waren.
»Irgendwann werden sie ja kommen«, sagte Whitlock. »Wir beobachten den Bau.«
Ihre Geduld wurde auf eine ziemlich lange Probe gestellt. Es war weit nach Mitternacht, als die drei Banditen auftauchten. Sie unterhielten sich lautstark. »...reiten wir mit einer größeren Mannschaft als bisher in die Mimbres Mountains«, sagte Wilburn gerade, als Whitlock aus dem Schatten des Boarding House trat und sich ihnen in den Weg stellte.
Die drei hielten an. Sie ahnten, was die Stunde geschlagen hatte. Und dann erkannte Wilburn den Lieutenant im vagen Licht, das aus den Fenstern zu beiden Seiten der Straße fiel. »He, Pferdesoldat. Du hast uns also eingeholt. Und jetzt bist du auf Kampf aus, wie?
Rechter Hand kam Jack Patty hinter einem Gebäude hervor und blieb am Rand des Schattens stehen. »Wir haben euch eingeholt!«, rief er und betonte das Wort wir ganz besonders.
»Sie haben zwei Möglichkeiten«, ließ wieder Whitlock seine Stimme erklingen. »Sich ergeben oder kämpfen. Entscheiden Sie sich.«
Wilburn entschied sich innerhalb eines Sekundenbruchteils. »Erschießt die Narren!«, zischte er seinen Komplizen zu, dann griff er zum Revolver. Er war schnell, verdammt schnell, brachte das Eisen in die Waagerechte, mit dem Daumen spannte er den Hahn, dann drückte er ab.
Whitlock und Patty waren langsamer. Aber sie glitten, während sie zogen, zur Seite. Und die Banditen konnten sich nicht schnell genug auf die so jäh veränderten Ziele einstellen.
Die Schüsse donnerten, die Detonationen stießen durch die Stadt, Mündungslichter leckten in die Dunkelheit. Farley und Morgan brachen zusammen. Wilburn riss die Faust mit dem Colt herum, doch da erklang eine eiskalte Stimme:
»Runter mit dem Revolver! Wenn Sie spannen, schieße ich!« Es war Whitlock, der gesprochen hatte.
Als wäre der Griff plötzlich glühend heiß geworden, ließ Wilburn das Eisen fahren. Er hob die Hände. Am Boden stöhnte einer seiner Kumpane. Der Tod hatte die Knochenfaust, die er bereits nach ihm ausgestreckt hatte, wieder zurückgezogen.
Langsam kam Whitlock auf den Banditen zu. »Wir werden Sie nach Las Cruses bringen, Mister!«, stieß der Lieutenant hervor. »Wer sind Sie? Wilburn, oder Farley, oder Morgan.«
»Scott Wilburn.«
»Schön, Wilburn. Sie sind verhaftet.«
Männer kamen näher, einige traten aus dem Boarding House. Whitlock erkundigte sich nach dem Sheriff's Office. Der Mann erklärte ihm den Weg. »Vorwärts, Wilburn«, gebot Whitlock. »Sie werden die Nacht hier im Jail verbringen, und morgen früh reiten wir.«
»Noch habt ihr mich nicht in Las Cruses«, zischte der Bandit wie eine Schlange.
Whitlock drückte ihm die Mündung des Revolvers gegen die Wirbelsäule. »Marsch! Sie haben gehört, wohin wir uns wenden müssen.«
»Verständigt den Arzt«, sagte Corporal Patty zu einigen Männern. Dann schloss er sich Whitlock an, der den Banditen bereits in Richtung Office dirigierte.
Zwei Deputys kamen ihnen auf der Straße entgegen. »Was war los? Wer hat geschossen? Ist jemand verwundet oder tot?«
»Wir sind Wilburn und seinen beiden Kumpanen von den Mimbres Mountains herunter gefolgt«, erklärte Whitlock ruhig. »Es sind Skalpjäger und Mörder und haben in New Mexiko einen Sheriff niedergeschossen. Wir brechen morgen früh auf, um Wilburn nach Las Cruses zu schaffen. Bis zum Morgen bitte ich Sie, ihn in Gewahrsam zu nehmen.«
»Liegt gegen diese Männer in Texas etwas vor?«, fragte einer der beiden Deputys.
»Nein«, antwortete an Stelle des Lieutenants der Bandit. »In Texas werde ich nicht gesucht, ebenso wenig meine Freunde. Wir waren vorher noch nie in diesem Staat.«
»Dann haben wir keinen Grund, ihn in Haft zu nehmen, Lieutenant. Überdies haben Sie keine Kompetenz, in El Paso eine Verhaftung vorzunehmen. Ich wollte nur darauf hingewiesen haben. Wen haben er und seine Gefährten denn ermordet?«
»Apachen, und einige von unseren Kameraden. Außerdem haben sie in Las Cruses den Sheriff niedergeschossen...«
»Es wäre einfacher, wenn sie ihn nach Fort Bliss bringen würden, damit er dort arretiert wird. Verbrechen gegen die Indianer und die Armee fallen nicht in unseren Zuständigkeitsbereich.«
Wut kochte in Whitlock hoch. Aber er bezähmte sie. »In Ordnung«, knurrte er, »wir bringen sie ins Fort. Vorwärts, Wilburn. Ich schätze, Sie kennen den Weg.«
Sie setzten sich in Bewegung.
*
Am Morgen sprach Whitlock noch einmal mit dem Fortkommandanten. Dieser versprach ihm, Wilburn und Farley nach New Mexiko auszuliefern. Farley hatte eine Kugel in die Schulter bekommen. Dexter Morgan war tot.
Das Gefängnis, in dem Wilburn untergebracht war, befand sich im Keller der Wachbaracke. Als Whitlock und Patty aus dem Fort ritten, rief Wilburn durch das vergitterte Fenster, das nur eine Hand breit über dem Niveau des Bodens lag: »Wir werden uns wiedersehen, Whitlock. Und dann werde ich dich töten. Das ist ein Versprechen.«
Whitlock und Patty zügelten die Pferde. »Sollten sich unsere Wege noch einmal kreuzen, Wilburn«, rief Whitlock, »dann werde ich kurzen Prozess mit Ihnen machen. Es wird in New Mexiko sein, und dort ist es im Falle des Falles egal, ob man Sie tot oder lebendig abliefert.«
Wilburn lachte zynisch auf. »Ich werde dich in die Hölle schicken, Whitlock!«
Der Lieutenant und Jack Patty ritten weiter. Die Worte des Banditen klangen in ihnen nach. Sie muteten an wie ein Manifest.
*
Einer der Scouts war einigen Spuren gefolgt und hatte in einem Canyon das Lager der Apachen entdeckt. Ein Wachposten der Apachen jedoch hatte den Scout bemerkt. Er informierte Victorio. »Wir werden die Pferdesoldaten in einen Hinterhalt locken und sie niederkämpfen«, sagte der Häuptling, als der Krieger seinen Bericht abgeschlossen hatte, entschlossen. »Standing Wolf!«
Einer der Unterhäuptlinge trat aus dem Kreis der Krieger, die den Häuptling und den Wachposten umringten. Fragend musterte er Victorio.
»Du reitest mit einer Gruppe Krieger in die Nähe der Soldaten und lockst sie hinter dir her in Schlucht des Rio Mimbres, wie die Weißen den Fluss nennen. Dort warten wir. Wir lassen keinen von ihnen am Leben und werden viele Pferde, Revolver, Gewehre und viel Munition erbeuten. Und wir werden den Blaubäuchen die Skalps nehmen.«
»Damit geben wir den Pferdesoldaten unser Lager Preis«, gab einer der Krieger zu bedenken.
»Unsere Vorräte sind aufgebraucht. In den tieferen Regionen schmilzt der Schnee. Ich glaube nicht, dass der Winter zurückkehrt. Wir töten die Weißaugen. Sie sind hier, um uns zu fangen und zu töten. Es gibt keinen Grund, sie zu schonen.«
Damit hatte der Häuptling alles gesagt. Und er sprach den meisten seiner Krieger aus der Seele. Sie rannten zu ihren Pferden. Die größere Gruppe wandte sich nach Nordwesten. Standing Wolf ritt mit einem Dutzend Krieger auf der Fährte des Scouts.
Es war um die Mitte des Nachmittags, als die Patrouille auf die Spuren der kleinen Kriegergruppe stieß. Tom Billinger dachte daran, den Trupp aufzuteilen, um mit der einen Gruppe zu dem Canyon zu reiten, während die andere den Apachen folgte, deren Spur sie hier entdeckt hatten.
»Als ich hier ritt«, bemerkte der Scout, »gab es diese Spur noch nicht. Es kann ein Täuschungsmanöver sein. Vielleicht haben mich die Späher Victorios gesehen, und nun will er uns in eine Falle locken.«
Die Worte gaben Billinger zu denken. Und so wagte er nicht, die Truppe aufzusplittern. »Wir reiten weiter.«
Der Scout führte sie. Statt in den Canyon zu reiten zogen sie an seinem oberen rechten Rand entlang. Von unten waren sie nicht zu sehen. Der Scout ritt voraus. Immer wieder tauchte er auf, um der Patrouille den Weg zu weisen. Dann kam er zurück und rief: »Sie haben das Lager geräumt. Die Späher Victorios haben mich also bemerkt.«
»Wir kehren um und folgen der Spur, die wir gesehen haben«, gebot der Sergeant.
»Warum zerstören wir das Lager nicht?«, fragte ein Corporal.
»Was haben wir davon?«, kam Billingers Gegenfrage. »Nachdem wir ihr Lager gefunden haben, kehren Sie hierher wahrscheinlich sowieso nicht mehr zurück. Sie haben dieses Camp aufgegeben. Wir machen es so, wie ich gesagt habe.
Sie kehrten um, stießen wieder auf die Spur und folgten ihr. Sie führte zum Rio Mimbres. Der Fluss rauschte und gurgelte, Felsen ragten aus dem Wasser und die Strömung war ziemlich reißend. Zu beiden Seiten erhoben sich felsige Terrassen und Steilwände. Die Spuren führten am Fluss entlang nach Norden. Doch schon nach einer halben Meile, als die Felsen eng zusammenrückten und steil in das Wasser abfielen, gab es kein Weiterkommen mehr. Die Apachen, die hier geritten waren, schienen sich in Luft aufgelöst zu haben. Der Boden war zu steinig, um die Spuren eindeutig lesen und einen Schluss ziehen zu können.
Der Scout, der vorausgeritten war, war samt seinem Pferd spurlos verschwunden. Und plötzlich zeigten sich auf Felsvorsprüngen und in Felsrissen Krieger. Sie begannen ohne jede Warnung auf die Soldaten zu feuern.
»Zurück!«, rief der Sergeant in das Rauschen der Stromschnellen und Peitschen der Schüsse hinein. Seine Stimme überschlug sich. »Wir müssen zusehen, aus der Schlucht hinauszukommen.«
Sie rissen die Pferde herum, gaben ihnen unerbittlich und unbarmherzig die Sporen und sprengten im Galopp den Weg zurück, den sie gekommen waren. Die Angst saß ihnen im Nacken. Sie ritten, als säße ihnen der Leibhaftige auf den Fersen.
Die Apachen hatten, als die Schlucht nicht mehr passierbar war, einen Krieger mit ihren Pferden zurückgeschickt und waren in die Felswand geklettert. Als der Scout auftauchte, töteten sie ihn und das Pferd lautlos mit Pfeilen und warfen beide in den Fluss, der sie mit sich gerissen hatte.
Da tauchten auch vor den Soldaten Krieger auf und verlegten ihnen den Weg aus der Schlucht. Und schließlich zeigten sich auch zu beiden Seiten auf den Felsterrassen Indianer.
Pferde stürzten, Männer starben. Schließlich gelang es den Überlebenden, sich zu verschanzen und die Apachen zurückzuschlagen. Als die Waffen schwiegen, rief Billinger: »Wie sieht es aus? Welche Verluste haben wir?«
Es dauerte kurze Zeit, Dann erhielt er Antwort: »Sechs tote Männer, drei Verwundete, acht tote Pferde. Wir sitzen in der Falle, Sergeant. O verdammt! Die Rothäute haben wieder mal bewiesen, dass sie nicht nur blindwütig angreifen können. Um uns herum wimmelt es von ihnen. Und wenn einer von uns seine Nasenspitze zeigt, wird sie ihm weggeschossen.«
»Verdammt. Wo sind die Scouts!«
»Einer ist tot«, antwortete der Corporal. »Low Dog steckt irgendwo in der Umgebung. Von Sharp Knife habe ich nichts mehr gesehen!«
»Ich bin hier, Nantan!«
Hinter einem Felsen glitt einer der Scouts hervor. Er bewegte sich geduckt, seine Augen waren in ständiger Bewegung. Das Gewehr hielt er mit beiden Händen schräg vor seiner Brust.
»Versuch einen Weg aus der Schlucht zu finden und Hilfe zu holen, Sharp Knife. Versuch, dich nach Fort Thomas oder Fort Grant durchzuschlagen.«
»Ich werde viele Tage unterwegs sein«, gab der Scout zu bedenken. »Vorausgesetzt, ich schaffe es überhaupt, durchzukommen.«
»Du versuchst in der Nacht, die Schlucht zu verlassen. Es ist unsere einzige Chance.«
»Nein«, murmelte der Corporal und schüttelte den Kopf. »Du solltest die Augen nicht vor den Tatsachen verschließen, Sergeant.» Er lachte gallig auf. »Das ist Augenwischerei. Denn wir haben nicht die geringste Chance. Wenn du Sharp Knife losschickst, opferst du ihn.« Es klang bitter und resigniert. Aus seinem Tonfall wurde deutlich, dass der Corporal die Hoffnung aufgegeben hatte.
»Du demoralisierst die Männer, Nolan«, zischte Tom Billinger wütend. »Verdammt, auch ich habe Angst. Wenn wir uns aber aufgeben...«
»Wir sind ein Haufen Verlorener«, knurrte Nolan, der Corporal. »Das ist bittere Realität. Die Rothäute werden uns die Skalps abziehen und unsere Kadaver für die Wölfe und Coyoten liegen lassen. Im Sommer werden unsere Gebeine hier in der Sonne bleichen. Zu dieser Zeit aber wird von uns schon keiner mehr reden. Mach dir nichts vor, Tom. Hier ist Endstation.«
Irgendwo hustete einer der Soldaten. Ein anderer rief: »Hat jemand was zu rauchen?« Einer fluchte mit gepresster Stimme, schließlich stieß er hervor: »Wir werden das Opfer einer verdammten Indianerpolitik sein! Dabei habe ich persönlich gar nichts gegen die roten Gentlemen. Als ich allerdings die blaue Uniform angezogen habe, hat man mir auch eine entsprechende Einstellung zu den Rothäuten eingebläut. Zur Hölle damit. Warum sind ausgerechnet wir es, die die Kastanien für eine Reihe von Politikern und Geschäftsleuten aus dem Feuer holen müssen?«
Niemand gab darauf eine Antwort. Stille kehrte ein. Lastende, trügerische Stille. Der Tod hatte Stellung bezogen. Obwohl es kalt war, schwitzten die Soldaten. Ihre Lage war nahezu hoffnungslos. Den Tod vor Augen warteten sie darauf, dass etwas geschah. Die Minuten reihten sich aneinander. In den Augen der meisten war es nur eine Gnadenfrist. Sie begannen abzuschließen. So manches leise Gebet stieg zum Himmel empor. Als einer der Soldaten seine Haltung veränderte, weil seine Beinmuskulatur verkrampfte, tötete ihn ein Apache mit einem blitzschnellen Schuss. Der Knall sprengte die Stille wie ein Donnerschlag, der in vielfältigen Echos verhallte. Die sich wieder anschließende Stille mutete die Männer in den blauen Uniformen erdrückend und schrecklich an. Es war, als hielt sogar die Natur den Atem an.
Die Stunden verrannen. Es war psychologische Kriegsführung, was die Apachen betrieben. Sie wollten die Soldaten zermürben. Das Wissen um die tödliche Gefahr ringsum und die Hilflosigkeit, mit der sie ihr gegenüber standen, sollte die Kavalleristen entnerven. Es war schlimmer als ein Angriff, dem man mit Feuer und Blei begegnen konnte.
Die Soldaten begannen zu frieren. Hoffnungslosigkeit rann wie Fieber durch ihre Blutbahnen. Die klammen Hände hatten sich regelrecht um Kolbenhälse und Schäfte der Karabiner festgesaugt. Jeder wartete darauf, dass etwas geschah, etwas, das die verdammt Spannung von ihm nahm.
Die Apachen blieben bei ihrer Taktik. Die Weißen waren ihnen sicher. Weshalb sollten sie auch nur einen einzigen Krieger opfern?
Die Stunden verrannen, dann kam der Abend. Im Februar waren die Tage noch kurz. Dazu kam, dass der Himmel voller Schneewolken hing, die kein Licht durchließen. Die Nacht kam wie ein schwarzer Vorhang und kam dem Vorhaben Sharp Knifes, sich aus der Schlucht zu schleichen, ausgesprochen entgegen. Sein Pferd nahm er nicht mit. Die Hufschläge hätten ihn verraten. Kein Stern flirrte am Firmament, der Mond wurde von Wolken verdeckt. Es war finster wie in einem Mausloch. Sharp Knife verabschiedete sich von Sergeant Billinger und verließ den Platz, an dem sich die Kavalleristen verschanzt hatten. Die Finsternis schien ihn aufzusaugen. Er schlich leise wie ein Raubtier.
Auch wenn er es schaffte, den Belagerungsring der Apachen zu durchbrechen: Eine echte Chance hatten die eingeschlossenen Soldaten nicht. Es würde viele Tage dauern, bis sich Sharp Knife zu Fuß nach Fort Thomas oder Fort Grant durchschlug. Weitere Tage würden vergehen, bis Hilfe eintreffen konnte.
Die Lage war aussichtslos.
Alles in Sergeant Tom Billinger sträubte sich auf gegen dieses Begreifen. Ein dumpfer Laut, ein Stöhnen, ein Aufbäumen gegen die Erkenntnis, dass sie keine Chance hatten, entrang sich ihm. Seltsamerweise verursachte sie keine Furcht in ihm, sondern nur ein Gefühl der bitteren Resignation...
*
Der Tag brach an. Es hatte zu schneien begonnen. Wind trieb den Schnee vor sich her. Die Soldaten froren erbärmlich. Ihre Muskeln waren verkrampft. Hinter ihnen lag eine höllische Nacht. An Schlaf war nicht zu denken gewesen. Die Schlucht des Rio Mimbres hatte sich für Tom Billinger und die Patrouille als tödliche Falle erwiesen.
Die Stille ringsum war bleischwer und erdrückend. Sie lastete auf den Gemütern und brachte die Nerven zum Schwingen. Die Kavalleristen würden sich dem Dämon einer absolut ungerechten Indianerpolitik stellen müssen, und nichts schien den Strudel aus Gewalt und Tod aufhalten zu können, auf den sie zutrieben.
Plötzlich erklang Hufschlag. Und dann schälte sich ein Reiter aus dem Schneetreiben. Das Pferd ging im Schritt und kam am Fluss entlang. Der Reiter saß nach vorne gekrümmt auf dem Pferderücken. Sein Kopf baumelte vor der Brust.
Jetzt blieb das Pferd stehen, stampfte auf der Stelle, warf den Kopf in den Nacken, wieherte und peitschte mit dem Schweif.
»Zur Hölle!«, erklang es heiser. »Das ist Sharp Knife. O verdammt, sie haben ihn geschnappt und umgebracht. Und jetzt schicken sie uns seinen Leichnam, um uns vor Augen zu führen, was uns blüht.«
Corporal Nolan richtete sich auf und trat hinter seiner Deckung hervor.
»Bist du verrückt!«, fauchte der Sergeant. »Runter mit dir, Nolan! Die schießen dir den Kopf von den Schultern.«
»Was spielt es schon für eine Rolle?« Nolan setzte sich in Bewegung. Den Karabiner hatte er an den Felsen gelehnt, der ihm Schutz geboten hatte. Steifbeinig und hoch aufgerichtet schritt er zu dem Pferd hin. Was er sah, ließ sein Herz höher schlagen. In der Brust des Scouts steckten einige Pfeile. Sein Gesicht war blutüberströmt. Die Apachen hatten ihm den Skalp genommen und ihn auf dem Pferd festgebunden ...
Der Corporal führte das Pferd zu den Tieren der Kavalleristen, die sich zwischen Flussufer und Felswand drängten. Dort zerschnitt er die Rohlederschnüre, die Sharp Knife auf dem Rücken des Mustangs hielten. Der tote Scout fiel vom Pferd und schlug schwer am Boden auf. Sein Körper war bereits starr. Der Hauch von Tod wehte durch die Wildnis – lautlos wie der Wind, der den Schnee vor sich hertrieb. Das Schicksal der Soldaten schien sich in einer Sackgasse verfahren haben zu haben.
Nolan befand sich wieder in der Deckung des Felsblocks. »Wir müssen den Ausbruch versuchen!«, rief er. »So haben wenigstens ein paar von uns eine Chance, der tödlichen Umklammerung zu entkommen. Wenn wir hier bleiben, werden wir alle sterben.«
»Ja«, pflichtete Tom Billinger bei, »das sehe ich auch so. Wir müssen alles auf eine Karte setzen. Ich bleibe mit einem halben Dutzend Männer zurück und gebe euch Feuerschutz, Nolan. Ihr anderen lauft zu den Pferden, sitzt auf und jagt die Gäule, als säße euch der Satan im Genick. Ihr nehmt die Verwundeten mit.« Er nannte sechs Namen. Dann rief er: »Jetzt, Nolan!«
Es waren nicht ganz ein Dutzend Männer, die hochkamen und zu den Pferden liefen. Die drei Verwundeten wurden mitgeschleppt. Billinger und die sechs Soldaten, die in ihren Deckungen geblieben waren, feuerten die Rohre heiß. Querschläger jaulten. Das feine Schneetreiben begünstigte die Absicht der Soldaten. Den Verwundeten wurde in die Sättel geholfen, die Kavalleristen warfen sich auf die Pferde. Auf so manchem Tier saßen zwei Männer. Die Hufe begannen zu wirbeln. Der Lärm steigerte sich zu einem krachenden, hämmernden, klirrenden und jaulendem Inferno. In dieses Getöse mischten sich das Kriegsgeschrei der Apachen, das ihre Schüsse begleitete, Wiehern und das Brüllen der Soldaten. Lanzen und Pfeile zogen ihre lautlose Bahn.
Zwei – drei Soldaten wurden getroffen und stürzten von den Pferden. Zwei Pferde brachen zusammen. Die Soldaten überschlugen sich am Boden, die Angst vor den Kugeln, Pfeilen und Lanzen der Indianer riss sie hoch und ließ sie den Durchbruch zu Fuß fortsetzen.
Dann waren Corporal Nolan und seine Leute durchgebrochen. Drei tote Kavalleristen waren die traurige Bilanz.
Schießend folgten Sergeant Tom Billinger und seine Gruppe. Nolan und seine Männer gaben ihnen Feuerschutz. Wieder erwischte es zwei Soldaten. Dann aber waren auch Billinger und die restlichen Kavalleristen durch. Sie saßen auf und verließen im Trab die Schlucht. Wütendes und enttäuschtes Heulen der Apachen folgte ihnen.
»Wir haben bis jetzt ein Dutzend toter Männer zu beklagen«, knurrte Nolan, als sie sich in Sicherheit wähnten und von den Pferden gestiegen waren. »Warum kommen Whitlock und die anderen nicht zurück? Es war ein Fehler von dem Lieutenant, den Skalpjägern zu folgen. Er hätte bei der Patrouille bleiben müssen.«
»Wenn er noch lebt, wird er sich verantworten müssen«, versetzte Sergeant Billinger. »Sicher wird man ihm seine Schulterklappen herunterreißen. Einerseits schade. Whitlock ist ein hervorragender Mann. Ich hätte an seiner Stelle wahrscheinlich nicht anders gehandelt. Leider entsprach es nicht seinem Auftrag. Und da für jedes Versagen ein Schuldiger bluten muss...« Vielsagend brach der Sergeant ab.
»Was jetzt? Wir sind nur noch ein kläglicher Haufen Verlorener. Mission gescheitert, würde ich sagen. Wollen wir nicht versuchen, uns nach Fort Wingate durchzuschlagen.«
»Das Scheitern der Mission wird man Whitlock an die Fahne heften«, knurrte Billinger. »Es sei denn, wir gehen auf dem Weg nach Norden noch vor die Hunde. Dann gibt es keinen mehr, der über die Ereignisse berichten kann.«
»Also nach Norden!«, rief der Corporal.
Die Patrouille zog weiter nordwärts. Unablässig sicherten sie Soldaten um sich. Die Anspannung grub Spuren in die eingefallenen, stoppelbärtigen Gesichter mit den fiebrig glänzenden Augen.
Sie zogen zwischen hohen Felsen hindurch durch eine schneebedeckte Senke. Nur ein paar Felsen boten Deckung. Skelettartige, dornige Comas hatten sich neben den Felsen eingenistet. Ringsum dehnte sich ödes Land; Felsketten, Hügel, ausgetrocknete Bachläufe, die vom Schnee zugeweht waren, und steinige Senken. Spärliche Büschel harten Galletagrases ragten dort aus dem Schnee, wo ihn der Wind bis auf eine dünne Schicht, die den Boden bedeckte, weggeweht hatte. Dornengestrüpp, Kreosot- und Mesquitebüsche bildeten die ganze Vegetation.
Im Norden beherrschte eine gewaltige Felswand mit tiefen Einschnitten das Blickfeld. Die Einschnitte waren Canyons und Schluchten.
Zwischen den Felsen im Norden schien jede Art von Leben erloschen zu sein. Grübelnd starrte Sergeant Billinger auf die düsteren Durchlässe. Jeder von ihnen schien Unheil und Untergang zu verkünden.
Billinger wandte sich an Nolan: »Wir bilden eine Vorhut, Swift. Ich selbst werde sie führen. Such mir fünf erfahrene Burschen aus.«
»Soll nicht ich die Vorhut führen, Tom?« fragte der Corporal. »Wenn es schief geht, musst du den Rest der Männer nach Fort Wingate durchbringen. Du hast die nötige Erfahrung.«
»Nein.« Billinger schüttelte den Kopf. »Du nimmst hier mit dem Rest der Leute Gefechtsstellung ein. Möglich, dass sie in der Schlucht über uns herfallen, und dann werden sie auch über euch kommen. Also seid auf der Hut.«
»Wenn es so kommt, dann sind wir so oder so verloren. Keine der beiden Gruppen ist stark genug, um einem weiteren Angriff zu trotzen.« Nolan hob die Schultern, ließ sie wieder sinken und rief schließlich fünf Namen.
Die Reiter trieben ihre Pferde aus dem Glied.
»Okay, Männer«, sagte Billinger. »Nehmt eure Karabiner zur Hand und macht sie schussbereit. Ihr wisst hoffentlich, dass das kein Spazierritt wird.«
Sie nickten mit grimmigen Gesichtern, zogen die Gewehre aus den Scabbards und luden sie durch.
Im Trab ritt die kleine Kavalkade auf einen der Felsdurchlässe zu. »Hals- und Beinbruch!« - »Viel Glück!« - »Haltet die Ohren steif!« riefen ihnen ihre Kameraden hinterher, schließlich bellte die Stimme des Corporals klare Befehle. Sie hobbelten ihre Pferde, damit sie nicht wegrennen konnten, dann verschanzten sie sich hinter den Felsen und Sträuchern, die Deckung boten.
Billinger und die fünf Soldaten ritten zwischen die Felswände. Zwischen den Felsen, wo die grelle Sommersonne den Boden nicht gar zu sehr ausbrennen konnte, wuchsen einige Bäume. Viele waren jedoch abgestorben und reckten ihre kahlen Äste zum Himmel.
Sie drangen etwa hundert Yards in die Schlucht ein, die ein Stück weiter einen scharfen Knick machte. Der Blick Billingers endete an einer zerklüfteten Felswand, die sich ihnen unüberwindbar und geradezu drohend in den Weg stellte.
Die Stille, die eingetreten war, nachdem die sechs Soldaten ihre Pferde angehalten hatten, schien genauso unüberwindlich wie die glatten Felswände zu beiden Seiten und vor ihnen.
»Irgendwo vor uns stecken diese roten Teufel«, knurrte einer der Kavalleristen.
»Weiter«, befahl Billinger. Er saß ab. »Wir führen die Pferde. Die Tiere bieten uns wenigstens etwas Deckung.«
Langsam bewegten sie sich tiefer in die Schlucht hinein. Sie marschierten zwischen ihren Pferden. Die Hufe tackten und klirrten. Dann erreichten sie den Knick. Im Osten endete die Felswand nach etwa zweihundert Yards. Nach Süden erstreckte sie sich doppelt so weit, lief flach aus und ging über in Hügelland. Auf den Hügelkuppen wuchteten von der Erosion zernagte Felsen zum Himmel.
»Keine Feder zu sehen«, knurrte ein Kavallerist. »Aber sie sind da. Ich kann sie geradezu spüren.«
»Reiten Sie zurück, Trooper Hartley, und führen Sie Corporal Nolan und den Rest der Patrouille her. Trooper Donelly, Sie begleiten Reiter Hartley.«
Die beiden nahmen die Pferde herum und gaben ihnen die Köpfe frei. Im Galopp sprengten sie zurück. Die Hufschläge stiegen an den Felswänden in die Höhe und verschluckten alle anderen Geräusche.
Nolan und seine Leute kamen. Billinger führte sie nach rechts, nach Osten also, wo die Felswand nach etwa zweihundert Yards endete.
Sie ritten schließlich wieder nach Norden, zwischen Geröllhängen und steilen Hügelflanken.
Und plötzlich waren die Apachen da. Auf den Hügeln zur Rechten und zur Linken wuchsen ihre bronzefarbenen, sehnigen Gestalten in die Höhe.
»Es geht los!« brüllte Billinger. »Wir brechen...«
Seine weiteren Worte gingen im Krachen der Schüsse unter. Er gab seinem Pferd die Sporen. Pfeile schwirrten wie schwarze Striche in die Tiefe. Heiseres Gebrüll wurde laut. Pferde stampften und wieherten. Zwei - drei Soldaten stürzten von ihren Pferden. Pferde brachen zusammen und keilten im Todeskampf mit den Hufen aus. Die Soldaten rannten zu den Tieren ihrer am Boden liegenden Kameraden und saßen auf.
Die Springfield-Kavalleriekarabiner begannen zu dröhnen. Jetzt donnerte auch der letzte der Soldaten hinter Billinger her. Im vollen Galopp jagten sie ihre Kugeln die Hügelflanken hinauf.
Das Geheul der Indianer, das zwischen den Salven zu hören war, zerrte an den Nerven. Wieder wurde ein Reiter vom Pferderücken gefegt. Das Tier rannte im Verbund der dahinjagenden Soldaten mit. Ein anderes Tier stürzte und warf seinen Reiter ab.
Und als die Soldaten schon glaubten, dem Hinterhalt entkommen zu sein, tauchten vor ihnen über einer Hügelfalte weitere Indianer auf. Sie waren beritten. In einer auseinandergezogenen Reiterkette donnerten sie über die Ebene heran. Das spitze, abgehackte Geschrei voll heidnischer Grausamkeit ging durch Mark und Bein. Es waren gut und gerne zwei Dutzend.
Billinger zerrte sein Pferd in den Stand, brüllte einen Befehl, der im knatternden und heulenden Inferno unterging, und sprang vom Pferd. Geduckt, das Pferd am Zügel hinter sich herzerrend, rannte er zu einem Felsen, der zumindest Deckung nach zwei Seiten versprach.
Auch die Kavalleristen waren abgesessen. Ebenfalls die Tiere mit sich ziehend suchten sie Deckung. Als das Pferd eines der Soldaten tot zusammenbrach, warf er sich einfach dahinter.
In der Ebene hatten die wie auf dem Schlachtfeld formierten Angreifer schon die halbe Strecke bis zu der Patrouille zurückgelegt. Sie schossen wie rasend. Aber die Soldaten boten Paroli. Immer neue Pferderücken wurden leergefegt. Die reiterlosen Gäule preschten in der donnernden Angriffswelle weiter, wurden regelrecht mitgerissen.
Innerhalb weniger Minuten starben ein Dutzend Indianer.
Die Horde drehte ab und floh zurück über die Bodenfalte.
Aber die Kavalleristen wurden weiterhin von beiden Seiten unter Feuer genommen. Ein Soldat taumelte hoch, im nächsten Moment bäumte er sich auf. Sterbend schlug er auf den Boden ...
Es war hoffnungslos. Und nach wenigen Minuten war alles vorbei. Der letzte Mann, der starb, war Corporal Nolan. Er lag auf dem Rücken, aus mehreren Wunden in seinem Körper sickerte Blut. Schmerzen spürte er nicht, Zeichen dafür, dass bereits der Tod mit gebieterischer Hand nach ihm griff.
Am Himmel zogen Wolken. Diese dunklen Gebilde, aus denen feiner Schnee rieselte, waren der letzte Eindruck im Leben des Corporals. Seine Augen brachen. Als die Apachen kamen und sich an das grausame Werk des Skalpierens machten, war er tot.
*
Tyler Whitlock und Jack Patty fanden drei Tage später ihre toten Kameraden. Sie konnten sie nicht einmal richtig begraben, weil zum einen der Boden gefroren war und sie zum anderen auch gar nicht über erforderliches Werkzeug verfügten. Sie legten sie in einen Felsspalt und häuften Steine über sie.
»Ich habe meine Patrouille verloren«, murmelte Whitlock. »Es war ein Fehler, sie zu verlassen. Mein Gott, Corporal, mehr als zwei Dutzend Männer. Tot, vernichtet, ausgelöscht. Und ich trage einen großen Teil der Schuld. Ich habe meinen Zorn über die Ermordung der Indianer über alles andere gestellt.«
»Reiten wir nach Wingate«, murmelte Jack Patty niedergeschlagen. Der Tod der Kameraden war ihm an die Nieren gegangen. Bei ihrem Anblick schien etwas in dem Corporal abgestorben zu sein. Es überstieg sein Begriffsvermögen.
Einen Moment spielte Whitlock mit dem Gedanken, dies abzulehnen. Man würde ihn verantwortlich machen, würde ihm vorwerfen, die Patrouille grundlos verlassen und sich selbst überlassen zu haben. Im Nachhinein betrachtet sah er es auch als Fehler an, den Banditen gefolgt zu sein. Es war nicht seine Aufgabe gewesen, sie zur Rechenschaft zu ziehen.
Whitlock verwarf den Gedanken. Er war nicht der Typ, der sich einer Verantwortung entzog. Er würde die Konsequenzen seines Handelns tragen.
Es war, als hätte Jack Patty in den Zügen seines Vorgesetzten die Gedanken, die sich hinter Whitlocks Stirn abspielten, lesen können. Er sagte: »Man wird Sie verantwortlich machen, Lieutenant. Und auch wenn ich zu ihren Gunsten aussage...«
»Machen Sie sich keine Gedanken, Corporal. Man wird Sie vernehmen, und Sie werden berichten, wie sich alles zugetragen hat. Ich habe keine Angst vor den Konsequenzen.«
Sie verließen den Platz des Todes. Es war der 18. Februar. Es schneite wieder. Der Winter war zurückgekehrt. Er brachte noch einmal Schnee und klirrende Kälte. Blizzards rasten wieder über das Land, die Schluchten wurden unzugänglich, die Wildnis schien in unberührtem Weiß erstarrt zu sein.
Sie mussten die Pferde oftmals führen. Stellenweise war der Schnee einen Meter tief. Die Senken waren zugeweht, und es gab kein Durchkommen. Sie mussten weite Umwege in Kauf nehmen.
Sie zogen am Fuß eines Hügels entlang. Es schneite nicht. Die Wolkendecke war aufgerissen und dahinter war blauer Himmel zu sehen. Sonnenlicht fiel auf das Land und brachte die Schneedecke zum Glitzern. Da peitschten Schüsse. Jack Patty stürzte vom Pferd. Tyler Whitlock spürte ein Brennen auf dem Oberarm und ließ sich aus dem Sattel fallen. Im letzten Moment konnte er den Karabiner aus dem Sattelschuh reißen. Die Detonationen stießen über ihn hinweg und verebbten.
Es waren fünf berittene Indianer, die ihre Pferde über den Hügelkamm trieben. Whitlock kam hoch. Die Apachen zogen die Lanzen aus den Schlaufen an ihren primitiven Sätteln aus Ästen oder schnappten sich die Tomahawks, und dann bearbeiteten sie ihre Mustangs mit den Fersen. Spitzes, abgehacktes Geschrei erschallte. Der Pulk riss auseinander, in einer breiten Linie kamen sie den Abhang herunter. Schnee staubte und spritzte. Krachend brachen die Hufe der Pferde in den Firn ein und versanken tief.
Durchladen, anlegen und schießen waren bei Tyler Whitlock einziger, fließender Bewegungsablauf. Sofort repetierte er wieder. Ein Mustang brach vorne ein, sein Reiter überschlug sich in der Luft, prallte auf den Boden und schnellte sofort wieder in die Höhe. Whitlocks zweite Kugel riss einen Krieger vom Pferderücken. Er rollte ein Stück hangabwärts und blieb dann mit ausgebreiteten Armen liegen.
Ein Tomahawk wirbelte auf den Lieutenant zu. Er duckte sich, es flog über ihn hinweg, und sein dritter Schuss krachte. Und wieder fegte er den Rücken eines Mustangs leer. Die beiden anderen Krieger und jener, dessen Pferd Whitlock erschossen hatte, flohen den Abhang hinauf und verschwanden über den Kamm aus Whitlocks Blickfeld. Zwei Pferde blieben auf dem Hang zurück.
Mit einem Satz kam der Lieutenant in den Sattel. Kurz entschlossen ritt er um den Hügel herum. Und jetzt tauchten die beiden berittenen Krieger auf. Sie hielten ihre Gewehre in den Fäusten. Als sie den Weißen wahrnahmen, war es für sie zu spät.
Whitlock schoss. Eines der Pferde brach zusammen. Der andere Krieger riss das Gewehr an die Schulter, das Pferd nur mit den Schenkeln lenkend. Whitlocks zweiter Schuss peitschte. Die Kugel traf. Der Krieger kippte nach hinten und stürzte vom Pferd. Am Boden überschlug er sich, dann blieb er verkrümmt liegen.
Doch da kam der Bursche, dessen Pferd Thomson erschossen hatte. Er schwang den Tomahawk und brüllte wie ein Teufel. Whitlock gab dem Pferd die Sporen.
Der Bursche mit dem Tomahawk war bis auf zehn Schritte heran und schleuderte das Beil. Im selben Moment schoss Whitlock. Der Krieger strauchelte und stolperte und stürzte zu Boden. Das Kriegsbeil traf Whitlocks Pferd in die Brust und fällte es. Er sprang ab.
Sein Pferd keilte mit den Hufen aus. Whitlock ruckte hoch und rannte zur Seite. Und dann erschien der letzte der fünf Krieger auf dem Scheitelpunkt des Hügels und brachte das Gewehr in Anschlag. Der Lieutenant drückte ab. Die Kugel des Kriegers pfiff über ihn hinweg. Seine Kugel indes fällte den Apachen.
Whitlock hatte den Kampf für sich entschieden, konnte aber keinen Triumph empfinden. Er hatte wieder Blut vergießen müssen. Und das bedrückte ihn.
Er stapfte durch den Schnee zu seinem Pferd und schoss ihm eine Kugel in den Kopf, um es von seinen Qualen zu erlösen. Anschließend schaute er nach dem Krieger, der sein Pferd getötet hatte. Er lebte. In seinen dunklen Augen glitzerte der irrsinnige Hass. Es traf Whitlock wie ein eisiger Guss. Er lief den Hang hinunter und kniete bei Jack Patty nieder.
Der Corporal lebte, aber sein Gesicht war schon vom nahen Tod gezeichnet. Ein Blutfaden rann aus seinem Mundwinkel. Seine Augen glitzerten fiebrig. In seinem Gesicht zuckte es. »Jetzt – jetzt hat es mich also auch erwischt, Lieutenant«, entrang es sich ihm zwischen rasselnden Atemzügen.
»Ich bringe Sie durch, Patty«, stieß Whitlock hervor. »Und wenn ich Sie nach Fort Wingate tragen muss. Ich...«
»Geben Sie sich keine Mühe, Sir, ich meine Lieutenant. Meine Stunde hat geschlagen. Jetzt kann ich nicht mal mehr – zu - Ihren – Gunsten - aussagen.« Das tonlose Flüstern klang losgelöst und wimmernd wie ein Windhauch. Ein Krampf überlief das totenbleiche Gesicht.
»Bei Gott, Corporal...«
Patty bäumte sich auf, fiel zurück, ein Schwall Blut brach aus seinem Mund, er verdrehte die Augen. Unzusammenhängendes Gestammel kam über seine Lippen, Speichel, vermischt mit Blut, rann aus seinem Mundwinkel, Schweißperlen glitzerten auf seiner Stirn. Und plötzlich rollte sein Kopf zur Seite. Ein letzter, verlöschender Atemzug, dann war es aus. Whitlock drückte dem Corporal die Augen zu, dann richtete er sich auf. Tief atmete er durch. Wie mit tonnenschweren Gewichten legte sich auf ihn die Erkenntnis, dass soeben der letzte seiner Männer gestorben war.
Er wischte sich fahrig über die Augen und wandte sich ab.
Zwei der Krieger hatte er getötet. Drei waren verwundet. Er holte sich Tom Pattys Pferd, schob sein Gewehr in den Scabbard und wollte aufsitzen, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Er wirbelte herum. Eine Gestalt flog auf ihn zu. Es war einer der verwundeten Krieger. In seiner Faust funkelte ein Dolch. Whitlock konnte im letzten Moment den linken Arm hochreißen und den Stich abblocken. Ihre Unterarme prallten schmerzhaft aufeinander. Der Lieutenant riss das Knie hoch und traf den Apachen empfindlich. Der Krieger taumelte zurück. Die tödliche Leidenschaft verzerrte sein Gesicht. Whitlock schaute ihm in die Augen – und sah den Tod.
Der Krieger hatte den Oberkörper nach vorne gebeugt. Der rechte Arm mit dem Messer war vorgestreckt. Er belauerte den Kavalleristen. Dieser zog kurzerhand den Revolver und schoss. Sein Blei durchbohrte den Oberschenkel des Kriegers. Im selben Moment stieß dieser sich ab und wollte sich auf Whitlock werfen. Aber die Wucht der Kugel riss ihn halb herum. Aufbrüllend stürzte er. Whitlock stellte seinen rechten Fuß auf das Gelenk der Hand, die den Dolch umklammert hielt. Die Mündung des Armeecolts wies auf auf das Gesicht des Kriegers. Die Hand des Apachen Hand öffnete sich, dass Messer entglitt ihr. Whitlock hob es auf und schleuderte es davon. Dann trat er zurück...
*
Fast zwei Wochen war Tyler Whitlock unterwegs. Dann kam er – am Ende seiner Kräfte -, in Fort Wingate an. Er ließ es sich nicht nehmen, sofort bei Colonel McIntosh vorzusprechen und zu berichten. Der Colonel stellte ein großes Glas voll Whisky vor Whitlock hin. Dieser begann zu sprechen. Der Colonel unterbrach ihn kein einziges Mal. Doch seine Miene verfinsterte sich mehr und mehr, und als Whitlock geendet hatte, grollte die Stimme des Fortkommandanten: »Wie konnten Sie Ihre Truppe verlassen, Lieutenant? Sie haben Billinger und die Männer sich selbst überlassen und dem Untergang preisgegeben. Welcher Teufel hat Sie geritten, als Sie sich entschlossen, die Skalpjäger zu jagen und zu stellen?«
»Da waren die toten Indianer, Sir. McAllister starb im Kampf mit den Banditen. Und dann töteten Wilburn und seine beiden letzten Kumpane Cameron und Mahoney aus dem Hinterhalt. Ich musste diese Schufte zur Rechenschaft ziehen, Sir, ich konnte nicht anders, ich war es meinen Männern schuldig.» Er hob die Schultern, straffte sie. »Nun, es ist uns gelungen, die Bande aufzureiben. Wilburn und Farley sitzen in Fort Bliss hinter Schloss und Riegel. Und wenn der Winter vorbei ist, wird der Kommandant von Fort Bliss die beiden Banditen nach New Mexiko ausliefern, wo die Kerle vor Gericht gestellt werden können.«
»Ihrem persönlichen Erfolg haben Sie mehr als zwei Dutzend Männer geopfert, Lieutenant.«
Whitlock schwieg. Es war die dritte Patrouille, die verheizt worden war. Irgendwann aber musste man einen Schuldigen präsentieren. Er, Whitlock, kam wie gerufen. Man würde ihm Befehlsmissachtung und Unfähigkeit vorwerfen, ihn degradieren und mit Schimpf und Schande aus der Armee entlassen. Der Magen krampfte sich ihm beim Gedanken daran zusammen. Sein Gesicht hatte sich verschlossen. Trübe lag die Zukunft vor ihm. Er stand sozusagen vor den Scherben einer Illusion, die ihn einst bewogen hatte, den blauen Rock anzuziehen, der Illusion, mitzuhelfen, diesem Land Frieden zu geben.
Er beschloss, die Flinte nicht ins Korn zu werfen, zu kämpfen und sich nicht wie ein Hammel zur Schlachtbank führen zu lassen.
Colonel McIntosh schaute zerknirscht drein. »Warum sagen Sie nichts?«
Whitlock fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und befeuchtete sie. »Sir«, sagte er dann mit klarer, präziser Stimme, »ich räume ein, vielleicht einen Fehler gemacht zu haben. Ja, mein Zorn auf diese Banditen war wohl stärker als das Verantwortungsbewusstsein für meine Männer. Wobei ich nach wie vor der Meinung bin, ihr Schicksal in die Hände eines erfahrenen und erprobten Unteroffiziers gelegt zu haben. Ich glaube auch nicht, dass ich durch meine Anwesenheit die Patrouille hätte retten können.«
Der Colonel kniff die Lippen zusammen, nickte und sagte. »Das sehe ich auch so. Dennoch... Nun, es wird mir obliegen, zu entscheiden, ob ich Sie vor das Kriegsgericht stelle oder nicht, Lieutenant. Ich bin ziemlich zwiegespalten. Einerseits haben sie verhängnisvolle Fehler gemacht, andererseits aber...«
McIntosh starrte Whitlock an. Der Lieutenant erwiderte den Blick. »Vielleicht fehlt es mir am Unrechtsbewusstsein, Sir«, murmelte er. »Aber ich sah es schon als meine Aufgabe an, diesen Kerlen, die die Unruhe unter den Apachen schürten, das blutige Handwerk zu legen. Selbst wenn ich bei der Patrouille geblieben wäre – es hätte nichts an ihrem Schicksal geändert. Der einzige Unterschied wäre gewesen, dass Sie einen weiteren Namen auf die Liste der Toten hätten setzen müssen, Sir, nämlich den Namen Tyler Whitlock.«
»Ich werde darüber nachdenken, Lieutenant.« McIntosh beugte seinen Oberkörper etwas weiter über den Schreibtisch. »Es gibt, Victorio betreffend, gravierende Neuigkeiten, Lieutenant. Er hat einen Unterhändler geschickt und sich bereit erklärt, aufzugeben, wenn die Armee den Familien der Warm-Springs-Apachen erlaubt, San Carlos zu verlassen und nach Ojo Caliente zurückzukehren.«
Es war, als hätte jemand Whitlock mit einem glühenden Draht berührt. Sein Mund klaffte auf, er musste zweimal ansetzen, dann stieß er hervor: »Victorio hat angeboten, zu kapitulieren?«
»Ja. Allerdings stellt er Bedingungen. Wir aber wollen die bedingungslose Kapitulation.«
»Was mag ihn dazu veranlasst haben?«
»Der harte Winter. Den Patrouillen aus Fort Wingate haben die Apachen trotzen können. Die Natur jedoch ist stärker als sie. Der erneute Wintereinbruch hat Victorio und seinen Renegaten den Rest gegeben.«
»Weiß Victorio, was ihm blüht?«
»Für den Fall, dass er sich ergibt, habe ich ihm Straffreiheit zugesichert. Aber er bleibt dabei, nur aufzugeben, wenn die Familien seiner Krieger und natürlich auch die Krieger nach Ojo Caliente zurückkehren dürfen. Andernfalls will er den blutigen Krieg weiterführen, und er wird Boten nach San Carlos und Tularosa ins Mescalero-Reservat schicken, die junge Krieger bewegen sollen, sich seinem Freiheitskampf anzuschließen.«
»Wird man sich gegebenenfalls in Washington an Ihr Versprechen halten, Sir?«
»Das weiß ich nicht. Und letztendlich ist es mir auch egal. Mir ist wichtig, dass dieser verdammte Krieg beendet wird. Was aus Victorio wird, berührt mich nicht. Mein Versprechen hat er. Wenn andere, kompetentere Leute, es brechen, so soll das nicht mein Gewissen belasten.«
»Warum gehen Sie nicht auf die Forderung Victorios ein?«
»Ich habe einen Boten nach Santa Fe geschickt, damit er nach Washington telegrafiert. Er ist noch nicht mit der Antwort eingetroffen. Bis er eintrifft, ist es mir wichtig, mit Victorio und seinen Getreuen wenigstens so etwas wie einen Waffenstillstand zu bewahren.«
»Ich glaube nicht, dass Washington zustimmt«, knurrte Whitlock.
»Um Victorio zur Aufgabe zu überreden werde ich ihn notfalls mit Lügen bedienen. Wenn wir ihn erst einmal haben, sieht die Sache ganz anders aus. Wir können ihn vielleicht sogar als Druckmittel gegen seine Warm-Springs-Gruppe einsetzen.«
Whitlock verzog das Gesicht. Es gefiel ihm offensichtlich nicht, was der Colonel von sich gab. Es sah so aus, als wäre Colonel McIntosh bereit gewesen, Victorio auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zur Aufgabe zu bewegen. Der Lieutenant erhob sich. »Damit könnte ein neuer Indianeraufstand provoziert werden«, murmelte er. »Und Blut, denke ich, ist genug geflossen.«
»Halten Sie sich zur Verfügung, Lieutenant«, gebot der Colonel. »Ich weiß noch nicht, ob ich Ihr Verhalten ahnde. Ich werde mich mit meinen Kompaniechefs beraten, und sobald wir zu einem Ergebnis gekommen sind, erhalten Sie Bescheid.«
»Ich denke, Sir, sie haben sich bereits entschieden«, stellte Whitlock fest.
Die Wangenmuskulatur des Colonels vibrierte. Er stemmte sich am Schreibtisch in die Höhe, ließ die Hände liegen und stützte seinen Oberkörper mit beiden Armen ab. »Sie machen es einem nicht leicht, Lieutenant. Sie sind ein hervorragender Offizier. Männer wie Sie braucht die Armee so notwendig wie das Salz, gerade in unruhigen Zeiten wie diesen. Sie kennen die Apachen wie kein zweiter. Da ist aber auch die Tatsache, dass sie Ihre Patrouille verloren haben. Die Frage, was gekommen wäre, wenn Sie bei Ihren Männern geblieben wären, stellt sich nicht. Fakt ist, dass Sie Ihre Männer verlassen haben und sie ohne die Führung eines Offiziers mitten im feindlichen Gebiet sich selbst überließen.«
»Darf ich gehen, Sir?«
»Ja. Begeben Sie sich in Ihre Unterkunft. Sie stehen vorläufig unter Stubenarrest. Sobald eine Entscheidung gefallen ist, werden Sie das Ergebnis erfahren.«
Whitlock salutierte, dann schwang er herum und ging zur Tür. Ehe er sie öffnen konnte, holte ihn die Stimme des Colonels ein. McIntosh sagte: »Ich will es nicht alleine entscheiden, Lieutenant. Und es wird im Endeffekt nicht meine Entscheidung sein. Wenn Sie denken, dass ich mich bereits entschieden habe, dann irren Sie sich. Ich möchte Sie nicht verlieren.«
Whitlock wandte sich noch einmal um. »Bitte, Sir, ich appelliere an Ihren gesunden Menschenverstand.« Seine Stimme klang beschwörend. »Gehen Sie auf Victorios Bedingung ein, und treiben Sie kein falsches Spiel mit ihm. Es gibt viele Häuptlinge, die noch in den Reservaten leben, die aber mit den herrschenden Verhältnissen ausgesprochen unzufrieden sind. Vor allem in San Carlos rumort es unter der Oberfläche. Geronimo, Juh, Naiche, um nur einige Häuptlinge aufzuzählen, werden nicht dulden, dass Victorio hereingelegt wird. Und wenn Sie aufstehen, um uns den Krieg zu erklären, dann bleibt kein Auge trocken. Ich bitte Sie, Sir, akzeptieren Sie Victorios Forderung.«
»Es liegt nicht mehr in meiner Hand, Lieutenant. Das letzte Wort hat in dieser Angelegenheit Washington.«
Der Colonel hatte sich aufgerichtet.
Whitlocks Schultern sanken nach unten. Müde wandte er sich ab, öffnete die Tür und verließ das Büro des Kommandanten.
McIntosh wartete ein wenig. In seinen zerfurchten Zügen arbeitete es, seine Hände öffneten und schlossen sich. In ihm stritten sich die Gefühle. Schließlich überwand er sich und rief nach einer der Ordonnanzen. »Holen Sie mir die Kompaniechefs her, Soldat. Ich will Sie in spätestens einer halben Stunde hier versammelt sehen.«
»Einige von ihnen sind auf Patrouille unterwegs, Sir«, schnarrte der Soldat.
»Dann sollen sich ihre Vertreter bei mir einfinden, oder die Vertreter der Vertreter.«
»In Ordnung, Sir.« Der Soldat legte die Hand an die Mütze, schwang herum und verließ das Office.
Der Colonel nahm eine unruhige Wanderung auf. Drei Schritte hin, drei zurück. Er hatte die Hände auf dem Rücken ineinander verkrampft. Seine Kiefer mahlten.
*
In der Zelle befanden sich sechs Männer. Es waren vier Deserteure sowie Scott Wilburn und Glenn Farley, der von seiner Verwundung wieder genesen war.
Das Gefängnis in Fort Bliss besaß nur eine Zelle. Die mit dicken Eisenstäben vergitterte Fensterluke befanden sich auf gleicher Höhe mit dem brettebenen sandigen Exerzierplatz. Sonnenlicht sickerte spärlich in das Verlies, in dem sich stickige Luft, Moder- und Schweißgeruch stauten. Es gab kein einziges Möbelstück hier drinnen, nur das halbverfaulte Stroh, das den Gefangenen als Schlaflager diente, und den stinkenden Latrinenkübel in der Ecke. Die Männer lauschten den knirschenden Stiefeltritten der Wachposten. Die Augen in ihren unrasierten, hohlwangigen Gesichtern glommen lauernd, fast gierig wie die Lichter von Raubtieren auf Beutejagd.
Es war später Nachmittag.
»Wir müssen raus hier«, knurrte Scott Wilburn.
»Sicher«, sagte Ross Wallace, ein Mann, an dessen Jackenärmeln die Winkel eines Corporals befestigt waren. Noch hatte man sie ihm nicht heruntergerissen. Das würde erst auf Anordnung des Kriegsgerichts geschehen. »Wir müssen raus. Davon reden wir schon, seit wir hier sind. Die Frage ist nur, wie kommen wir hinaus. Wir sitzen hier fest in diesem Loch. Sogar wenn sie uns den Schlangefraß bringen, sind drei Bewaffnete dabei. Und diese Kerle haben Order, zu schießen. Und sie würden schießen. Deserteure wie wir sind für sie eine Art untergeordneter Spezies.«
»Wir müssen den Ausbruch einfach wagen«, knurrte Glenn Farley. »Die günstigste Gelegenheit wäre, wenn sie uns das Essen bringen. Wir überwältigen die Posten, nehmen ihnen die Waffen weg und bringen die Kerle, die sich oben befinden, ebenfalls in unsere Gewalt. Wenn wir drohen, die Geiseln zu erschießen, wird man uns Pferde zur Verfügung stellen...«
»Und uns anschließend jagen, dass uns die Zungen zu den Hälsen heraushängen«, wandte Shane Baker, ein Kavallerist in verschmutzter, heruntergekommener Uniform ein. »In den Bergen herrscht tiefster Winter. Wir werden keinen Proviant haben...«
»Wir nehmen Geiseln mit«, stieß Wilburn hervor.
Da erklangen im Flur Geräusche. Schlüssel klirrten, das Schloss knackte, ein Riegel wurde mit rostigem Knirschen zurückgeschoben. »Bloß friedlich da drinnen, ihr lausigen Banditen, sonst gehen unsere Flinten los!« warnte eine brummige Stimme, während die Tür langsam aufschwang. Eine Laterne warf gelbe Lichtbündel in die Zelle. Zwei Kavalleristen betraten das Verlies. Das Licht konnte die Härte in ihren kantigen Gesichtern nicht mildern. Der eine hielt die Laterne in Schulterhöhe. Der andere presste den Kolben seines Karabiners an die Hüfte und ließ die Mündung drohend hin und her wandern.
Die Gefangenen schwiegen und starrten die beiden Wachleute an. Den Geräuschen, die vom Flur in die Zelle drangen, war zu entnehmen, dass sich da draußen weitere Wachsoldaten aufgebaut hatten.
»Wilburn, du hast Besuch bekommen«, sagte einer der Wachsoldaten. »Er wartet oben auf dich. Also schwing die Hufe. Und keine krummen Gedanken. Vorwärts, setz dich in Bewegung. Mach schon. Pfui Teufel! Hier stinkt es wie in einem Schweinestall.«
Scott Wilburn ging zur Tür. Er wurde von einem der Posten hinausbugsiert, während der andere die Gefangenen in Schach hielt. Der Bandit stellte keine Fragen. Die Soldaten nahmen ihn in die Mitte, führten ihn den Gang entlang zur Treppe, die sich nach oben schwang, und dirigierten ihn hinauf. Oben, im Wachlokal, stand der Mann, der ihn besuchte.
Wilburn entrang sich ein Laut der Überraschung. »Du?!«
Der andere nickte. »Ich habe in Odessa davon gehört, dass ein gewisser Scott Wilburn in Fort Bliss im Gefängnis sitzt. Und ich habe mich sofort auf meinen Gaul geschwungen und bin mit ein paar Freunden hergekommen. Man darf dich wirklich nicht aus den Augen lassen, Kleiner. Was hast du ausgefressen?«
»Wir haben drüben in den Mimbres Mountains ein paar Rothäute erledigt. Ein Lieutenant folgte uns mit einigen Leuten, stellte uns auf einer verlassenen Farm, und nur ich, Farley und Morgan entkamen. Einige der Soldaten blieben ebenfalls auf der Strecke. Morgan erwischte es dann in El Paso. Man will uns nach New Mexiko ausliefern. Dort ist es ein Verbrechen, Apachen der Skalpe wegen zu töten. Aber auch wegen des Todes der Blaubäuche erwartet uns dort der Galgen.«
»Mist.«
»Wen hast du mitgebracht, Bruder?«
»Hooker, Kemble, Logan und Webster.«
»Du bist doch sicher gekommen, um mich rauszuholen.«
Der Wachhabende, der dabeistand, grinste spöttisch. »Wenn er das vor hat, soll er sich gleich auf einen längeren Aufenthalt in einem texanischen Steinbruch vorbereiten, Wilburn«, knurrte der Sergeant. »Möglicherweise sollte er vielleicht sogar sein Testament machen.«
Scott Wilburn schoss dem Unteroffizier einen sengenden Blick zu.
Lester Wilburn fuhr mit der Rechten durch die Luft. »Wie geht es dir, Bruderherz?«
»Ich lebe seit Wochen in einem stinkenden Loch, bekomme Dreck zu fressen und bin mit einigen Deserteuren zusammengesperrt, die den ganzen Tag nichts anderes zu tun haben, als die Armee zu verfluchen. Jetzt kannst du dir ungefähr denken, wie es mir geht, Lester.«
»Warum bist du nicht in Arizona geblieben? Mutter hatte Recht, als sie mich auf dem Sterbebett bat, ein Auge auf dich zu haben. Sie wusste, dass du auf dich alleine gestellt keine Chance hast, dein Leben in den Griff zu bekommen. Jetzt ist guter Rat teuer, Bruder.« Lester Wilburn starrte seinen Bruder an, als wollte er ihm mit den Augen eine Botschaft übermitteln, als wollte er ihn hypnotisieren. »Ich werde dich morgen wieder besuchen. Und ich werde dich nach New Mexiko begleiten, wenn sie dich ausliefern. Keine Sorge, Scott. Ich habe Mutter versprochen, auf dich Acht zu geben. Ich lasse dich nicht allein.«
In den Mundwinkeln des Wachhabenden zuckte es spöttisch.
Lester Wilburn versetzte seinem Bruder einen leichten Schlag gegen den Oberarm. Dann verließ er die Wachbaracke. Scott Wilburn wurde in die Zelle zurückgebracht. Einer der Soldaten versetzte ihm einen derben Stoß in den Rücken, der ihn in das Verlies taumeln ließ. Dann fiel die Tür zu. Der Riegel schepperte.
»Mein Bruder ist gekommen«, sagte Wilburn. »Ich glaube, er hat eine Idee. Wenn ich aus seinen Worten die richtigen Schlüsse gezogen habe, will er uns rausholen, wenn sie uns nach New Mexiko überführen.«
»Und was wird aus uns?«, platzte es aus Ross Wallaces Mund.
»Was interessiert es mich?«, versetzte Wilburn. »Ihr müsst euch schon selbst helfen.«
»Du verdammter Hund!«, keuchte Wallace, und es sah aus, als wollte er sich auf Wilburn stürzten. Plötzlich aber sanken seine Schultern nach unten. Er atmete scharf durch die Nase aus. »Wir versuchen es, wenn sie uns das Abendessen bringen. Du und Farley könnt ja hier bleiben, Wilburn. Wir jedenfalls warten nicht, bis sie uns abholen, um uns an die Wand zu stellen.«
»Und ihr werdet uns keinen Strich durch die Rechnung machen!«, knurrte Ken Cramer, ein weiterer der inhaftierten Soldaten, drohend. »Wir sind zu viert. Auf jeden von euch kommen zwei von uns. Habt ihr eine Ahnung, wie es ist, mit bloßen Händen erwürgt zu werden?«
Wilburn schluckte.
Farley griff sich unwillkürlich an den Hals.
»Keine Sorge«, murmelte Scott Wilburn. »Wir sind natürlich dabei. Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Riskieren wir es also. Werdet ihr hinterher, vorausgesetzt uns gelingt die Flucht, bei uns bleiben?«
»Was habt ihr vor?«
»Wir haben in Fort Wingate eine Rechnung zu begleichen – eine blutige Rechnung. Und dann – nun, wir werden sehen.«
»Okay. In Texas werden wir keinen Fuß mehr auf die Erde bekommen. Wir sind dabei.«
Die Kerle kauerten nieder. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Sie begannen wieder, Hoffnung zu schöpfen. Keiner von ihnen hatte etwas zu verlieren, sie konnten nur gewinnen. Unerbittliche Härte, Kompromisslosigkeit und kalte Disziplin würden über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Am Ende stand für sie entweder der Tod oder die Freiheit.
Nachdem sein Bruder aufgetaucht war, gefiel Scott Wilburn die Entwicklung nicht mehr. Lester Wilburn hatte einen Plan. Der Bandit war davon überzeugt, dass sein Bruder vorgehabt hatte, ihn auf dem Weg nach New Mexiko zu befreien. Doch nun funkten die Deserteure dazwischen. Ungeschoren aus dem Fort zu kommen war deutlich schwerer als die Flucht während des Überführung nach New Mexiko, die mit einer begrenzten Anzahl von Soldaten vonstatten gehen würde.
Scott Wilburn und Glenn Farley waren gezwungen, mitzumachen. Die Deserteure waren zum letzten Entschlossen. Das hatten sie deutlich gemacht. Notfalls würden sie Wilburn und Farley die Hälse umdrehen.
Draußen wurde es dämmrig. Im Fünf-Minuten-Takt etwa schritt am Fenster der Wachposten vorbei. Das Leder seiner Stiefel knarrte, seine Stiefelsohlen knirschten im Schnee. Wenn er das Fenster passierte, fiel der Schatten seiner Beine in das Verlies. Dann verblasste das Licht, das in schräger Bahn in die Zelle fiel. In dem Raum wurde es düster. Und schließlich gewann die Nacht endgültig die Oberhand über den Tag. Die Finsternis kroch in die Zelle und breitete sich aus. Die Dunkelheit hüllte die Gefangenen ein.
Im Flur vor dem Verlies erklangen Schritte. Schlüssel rasselten, ein Riegel knirschte, dann schwang die Tür auf. Ross Wallace wurde vom Türblatt verdeckt. Die anderen Gefangenen kauerten an den Wänden. Licht huschte in die Zelle und umriss ihre Gestalten.
»Bleibt nur, wo ihr seid!«, grollte eine dunkle Stimme. »Wir können euch das Abendessen auch vor die Füße werfen. Was glaubt ihr, wie das Gemüse schmeckt, wenn es sich mit dem faulenden Stroh vermischt.« Der Wachposten lachte meckernd. Scheinbar machte es ihm Spaß, die Gefangenen verbal zu quälen.
Ein Soldat, der ein großes Tablett trug, betrat die Zelle. Sechs Blechteller stapelten sich auf dem Tablett. Ein Topf voll Gemüse, in dem ein Schöpflöffel steckte, stand darauf. Daneben eine große Kanne aus Blech, die mit frischem Wasser gefüllt war, und sechs dicke Stücke Brot.
Hinter dem Kavalleristen mit dem Tablett kam ein weiterer Soldat, der den Revolver im Anschlag hielt. Auf dem Korridor vor der Zelle hatten sich drei Mann mit Gewehren aufgebaut.
Der linke Arm Wallaces legte sich von hinten um den Hals des Soldaten mit dem Tablett. Der Mann schrie auf, das Tablett fiel zu Boden, es schepperte und klirrte, heißes Gemüse spritzte. Mit dem Knie versetzte Wallace der Tür einen Stoß. Sie flog wieder herum und knallte gegen die Mündung des Revolvers in der Faust des zweiten Soldaten.
Shane Baker kam ruckartig hoch, mit zwei Sätzen war er bei der Tür und warf sich dagegen. Krachend flog sie ins Schloss.
Ken Cramer und Dan Connor waren ebenfalls aufgesprungen. Sie packten den Soldaten, den Wallace festhielt, und rissen ihn zu Boden. Er war mit einem Revolver bewaffnet. Ross Wallace nahm ihm die Waffe ab.
Durch das Fenster wurde der Lauf eines Karabiners geschoben. »Was ist los da drin?«
Scott Wilburn sah den Lauf schemenhaft. Er stand bereits und griff nun mit beiden Händen nach dem Gewehr. Ein Ruck, ein erschreckter Laut, dann hatte er den Karabiner. Er repetierte.
Cramer und Connor hatten den Soldaten hochgezerrt. Wallace trat hinter ihn und drückte ihm die Mündung des Revolvers gegen die Wirbelsäule. »Mach die Tür auf, Shane. Wir wollen doch den Kerlen nicht verheimlichen, was wir fordern.« Er lachte siegessicher.
Knarrend schwang die Tür auf. Draußen hämmerten harte Absätze auf dem festgestampften Boden. Licht flutete wieder in die Zelle und kroch in die Ecken. Die Banditen standen so, dass sie durch die offene Tür nicht von einer Kugel getroffen werden konnten. Es roch penetrant nach dem verschütteten Gemüse.
»Ich schieße eurem Kameraden den Kopf von den Schultern, wenn ihr auf unsere Forderungen nicht eingeht!«, drohte Wallace.
»Was sind das für Forderungen?«
»Sechs gesattelte Pferde, sechs Patronengurte mit Revolvern, sechs Winchestergewehre mit jeweils hundert Schuss Munition. Außerdem verlangen wir, dass sich uns ein hoher Offizier freiwillig als Geisel zur Verfügung stellt. Wir lassen ihn laufen, sobald wir uns in Sicherheit befinden.«
»Ich kann das nicht entscheiden!«, rief der wachhabende Offizier. »Das muss mit dem Kommandanten abgesprochen werden. Das wird allerdings einige Zeit in Anspruch nehmen.«
»Dann lass dir gesagt sein, dass unsere Geduld Grenzen hat. Ich gebe deinem Kommandanten eine Viertelstunde Zeit, sich zu entscheiden. Sag ihm, dass der Mann, den wir in unserer Gewalt haben, kaum Verständnis haben wird, wenn er nicht auf unsere Forderungen eingeht.«
Schritte entfernten sich. Auch auf dem Platz vor der Wachbaracke trampelten Schritte. Im Fort war Alarm ausgelöst worden. Die Soldaten der Bereitschaft bezogen Stellung vor dem Wachgebäude. Die Posten am Tor und auf den Wehrgängen waren alarmiert. Eine nervliche Zerreißprobe begann.
*
Tyler Whitlock hatte ausgiebig gebadet. Jetzt saß er mit einer frischen Uniform bekleidet am Tisch in seiner Unterkunft. Zwei andere Offiziere waren bei ihm, Freunde, die von ihm wissen wollten, was sich in den Mimbres Mountains zugetragen hatte. Auf dem Tisch standen eine angebrochene Flasche Whisky und drei Gläser. Die Flüssigkeit glitzerte im Licht der Laterne, die von der Decke hing, bernsteinfarben in den Gläsern.
Whitlock berichtete ausführlich. Er beschönigte nichts, ließ nichts weg und fügte nichts hinzu. Er lieferte seinen Freunden einen präzisen und sachlichen Bericht. Sie hörten schweigend zu. Nur manchmal zuckte es in den Gesichtern, wenn der Bericht besonders dramatisch wurde.
Whitlock war noch nicht fertig, als hart und fordernd gegen die Tür gepocht wurde. Er brach ab. Zwei bittere Linien kerbten sich in seine Mundwinkel, als er die Lippen zusammenpresste. »Es ist soweit. Die Entscheidung ist gefallen. Ich glaube, ich kenne sie.«
Mit dem letzten Wort erhob sich der Lieutenant. Er bewegte sich etwas linkisch, als würde er von Schnüren gezogen, als er zur Tür ging und sie öffnete. Ein First Sergeant, an diesem Tag Offizier der Wache in Fort Wingate, betrat den Raum. Ihm folgten vier Soldaten, die mit Karabinern bewaffnet waren. Ihre Gesichter waren ausdruckslos.
»Ich darf Sie bitten, uns zu begleiten, Lieutenant Whitlock. Die Kompaniechefs haben beschlossen, gegen sie wegen Insubordination vor dem Kriegsgericht Anklage zu erheben. Ich wurde angewiesen, Sie in Gewahrsam zu nehmen. Ich hoffe, Sie widersetzen sich nicht Ihrer Verhaftung, Lieutenant. Es täte mir Leid, wenn ich Gewalt gegen Sie anwenden müsste.«
»Keine Sorge, First Sergeant. Sie werden kein Problem mit mir haben. Gehen wir.«
Die vier Wachsoldaten nahmen draußen Whitlock in die Mitte und führten ihn ab. Whitlock konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in diesen Momenten sein Leben in eine andere Bahn gelenkt wurde, und er hatte das tief empfundene, unheimliche Gefühl, dass sein Schicksal einer Entscheidung entgegen trieb. Fort Wingate schien zum Schauplatz eines Wendepunkts in seinem Leben zu werden...