Читать книгу Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga - Pete Hackett - Страница 9

Band 2 Die Spur führt nach Mexiko

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»Bete, dass sich dein Boss richtig entscheidet!«, knirschte Ross Wallace. Seine Stimme war so frostig wie das Glitzern des Colts in seiner Faust. Er hielt die Mündung der Waffe gegen die Stirn des Wachsoldaten. Ken Cramer und Dan Connor hielten den Soldaten fest. Cramer hatte ihm den Arm auf den Rücken gebogen. Licht flutete vom Korridor in die Zelle. Man konnte das gepresste Atmen der Männer hören.

Die Banditen hatten nichts zu verlieren und mussten alles auf eine Karte setzen, denn für sie ging es um Kopf und Kragen. Das machte sie unberechenbar und tödlich gefährlich.

Der Wachsoldat, den sie in ihrer Gewalt hatten, zitterte, sein Gesicht war entstellt, die Angst ließ es zur Grimasse erstarren.

Dann war die Viertelstunde, die Ross Wallace als Frist für eine Entscheidung gesetzt hatte, um. Schritte tackten die Treppe hinunter in den Keller, in dem die Arrestzelle lag, eine Stimme erklang: »Was für eine Sicherheit bietet ihr, dass der Offizier, der sich euch als Geisel zur Verfügung stellt, freigelassen wird, sobald ihr euch in Sicherheit befindet?«

»Das ist eine verdammt dumme Frage!«, rief Scott Wilburn, der Indianermörder. »Es gibt keine Sicherheit. Unser Wort muss deinem Kommandanten genügen. Es ist verdammt leichtsinnig von ihm, dich statt mit einer Entscheidung mit dieser dummen Frage zu schicken, Reitersoldat. Will er wirklich, dass wir den Burschen erschießen, der sich in unserer Gewalt befindet?«

»Das werden Sie nicht wagen. Es würde auch für Sie das Ende bedeuten.«

»Weiß dein Boss eigentlich, dass wir nichts mehr zu verlieren haben?«

Stiefelsohlen scharrten. Ein Klirren, wie wenn Stahl gegen Stein stößt, erklang. Wispernde Stimme waren zu hören. Die Anspannung hielt die Banditen fest im Griff. Keiner fühlte sich wohl in seiner Haut. War Colonel Roger Miles erpressbar? Oder warf er das Leben seines Soldaten in die Waagschale?

Scott Wilburn gefiel die Entwicklung ganz und gar nicht. Sein Bruder war nach El Paso gekommen und trug sich gewiss mit Plänen, wie er ihm zur Flucht verhelfen konnte. Er, Scott Wilburn, und Glenn Farley sollten nach New Mexiko überführt und dort der Justiz ausgeliefert werden, weil sie Verbrechen gegen die Armee und die Indianer begangen hatten. Auf dem Weg nach Norden hätte sich Lester eine Chance geboten, sie zu befreien. Doch nun ...

Scott Wilburn und Glenn Farley waren gezwungen, mitzumachen. Es entsprach nicht ihrem Willen, aber sie hatten keine andere Wahl. Es galt jetzt, Nerven zu bewahren und sich durchzusetzen. Wilburn rief rau: »Wir geben euch noch einmal fünf Minuten. Bestell deinem Boss, dass wir nicht spaßen. Fünf Minuten. Dann stirbt der Mann, den wir hier haben. Und ehe ihr uns in die Hölle schickt, erwischen wir noch ein paar von euch. Vergesst nur nicht, dass wir einen Revolver und ein Gewehr haben.«

Es dauerte keine fünf Minuten, dann erklang eine grollende Stimme: »Hier spricht Colonel Roger Miles. Ich bin Kommandant dieses Forts. In Ordnung. Wir gehen auf eure Forderung ein. Major Stafford ist bereit, sich Ihnen als Geisel zur Verfügung zu stellen...«

»Wir wollen Sie, Colonel«, rief Wilburn. »Sie werden Garant dafür sein, dass es Ihre Leute nicht wagen, uns zu verfolgen. Lassen Sie die geforderten Pferde, Revolver, Gewehre und ausreichend Proviant vor die Tür der Wachbaracke bringen. Und dann kommen Sie waffenlos zu uns herunter. Ihnen geschieht nichts, darauf haben Sie mein Wort.«

»Wessen Wort?«

»Scott Wilburns.«

»Sie sind ein Mörder. Ich glaube nicht, dass Ihr Wort viel wert ist.«

»Dies herauszufinden werden Sie es wohl darauf ankommen lassen müssen, Colonel. Okay. Unsere Geduld ist am Ende. Entscheiden Sie sich jetzt. Wenn sie innerhalb der nächsten sechzig Sekunden nicht hier unten antanzen, stirbt der Soldat.«

Einige Sekunden der Stille, des betroffenen Schweigens, verrannen. Dann ließ wieder der Colonel seine Stimme erklingen. »In Ordnung. Ich komme jetzt hinunter.«

Feste Schritte hallten in dem Kellergewölbe wider. Wenig später betrat der Colonel die Zelle. Sofort packten ihn Glenn Farley und Shane Baker, Scott Wilburn drückte ihm die Mündung des Karabiners gegen den Leib. »So ist's gut«, presste der Bandit hervor. »Lass den Soldaten gehen, Ross.«

»Erst wenn draußen die Gäule stehen.« Ross Wallaces Stimme hob sich. »Vergesst nur nicht, auch für den Colonel ein Pferd vor die Tür zu stellen. Und lasst jedweden krummen Gedanken sausen. Der Colonel hätte die Suppe auszulöffeln, die ihr ihm einbrockt.«

Wenig später erklangen durch das kleine, vergitterte Fenster Hufschläge. Sieben gesattelte Pferde wurden herangeführt. Eines der Tiere wieherte hell. Gebissketten klirrten. Die Tiere stampften auf der Stelle.

»Die Pferde stehen vor der Tür!«, erklang es. »An den Sattelknäufen hängen die Revolvergurte, in den Scabbards stecken Gewehre, Munition und Proviant befinden sich in den Satteltaschen.«

»Dann räumt jetzt das Wachgebäude!«, gebot Wilburn. »Wir wollen auch draußen keinen Soldaten sehen. Denkt daran, dass ich sogar noch mit einer Kugel im Kopf die Zeit finden werde, euren Kommandanten zu erschießen. Die Spielregeln bestimmen wir. Haltet euch nur daran. Andernfalls ...«

Der Bandit brach ab. Die stumme Drohung hing im Raum.

Schritte entfernten sich. Durch das Fenster sickerte Stimmengemurmel in das Verlies.

»Wir gehen«, sagte Wilburn.

»Vorwärts!« Ross Wallace trat von hinten an den Wachsoldaten heran, legte ihm den linken Arm um den Hals und drückte ihm die Mündung des Revolvers unter das Kinn. Er dachte nicht daran, den Burschen laufen zu lassen.

Der Pulk setzte sich in Bewegung. Auf dem Flur stand eine einsame Laterne auf dem Boden und verbreitete Licht. Wallace ging mit dem Soldaten, den er als lebendigen Schutzschild vor sich hielt, voraus. Ihm folgten Shane Baker und Ken Cramer. Dann kam der Colonel. Ihn hielt Scott Wilburn in Schach, indem er ihm die Mündung des Karabiners zwischen die Schulterblätter drückte. Den Schluss bildeten Glenn Farley und Dan Connor.

Der Aufenthaltsraum und das Wachlokal waren menschenleer. Die Tür nach draußen stand offen. Auch draußen stand eine Laterne. Die sieben Pferde standen in einer Reihe. Einige Soldaten hielten die Tiere am Zaumzeug fest.

Die Banditen und ihre Geiseln drängten ins Freie. »Verschwindet!«, herrschte Ross Wallace die Soldaten an, die die Pferde hielten. Sie zogen sich schnell zurück. Der Corporal, der als Deserteur vor Gericht landen sollte, versetzte dem Soldaten, den er als Geisel genommen hatte, einen derben Stoß und nahm seinen Arm von seinem Hals. »Hau ab, Mann!« Der Trooper beeilte sich und verschwand in der Dunkelheit.

»Bewaffnet euch!«, gebot Wilburn. »Ich gebe auf den Colonel Acht. Und dann steigt auf die Gäule.«

Sie schnallten sich die Patronengurte um, richteten die Holster, zogen die schweren Armeecolts und spannten die Hähne. Dann kletterten sie auf die Pferde und schwenkten die Fäuste mit den schussbereiten Waffen in die Runde.

»Jetzt Sie, Colonel!«, befahl Wilburn.

Miles saß auf. Fünf Revolver richteten sich auf ihn.

Scott Wilburn ließ den Karabiner fallen, griff nach dem Revolvergurt und nahm ihn vom Sattelknauf. Er warf ihn sich um die Hüften, schnallte ihn zu, stieg aufs Pferd und zerrte das Tier herum.

Sie ritten an.

Kein Soldat ließ sich blicken. Das Tor stand offen. Auf dem Wehrgang darüber standen zwei Posten, doch sie hatten die Gewehre gegen die Wand gelehnt. Tatenlos mussten sie zusehen, wie die Banditen mit ihrer Geisel das Fort verließen.

*


Colonel Loyd McIntosh erhielt aus Washington Antwort auf seine Anfrage, ob den Forderungen Victorios zugestimmt werden könne. Victorio hatte angeboten, sich zu ergeben, wenn die Armee es seinem Stamm erlaubte, nach Ojo Caliente zurückzukehren.

Anfang Februar 1879 schien der Frühling den Winter besiegt zu haben. Tauwetter setzte ein. Die Apachen-Guerillas, die sich in den Mimbres Mountains verkrochen hatten, hatten wieder begonnen, das Land unsicher zu machen, nachdem sie dem strengen Winter über Wochen hinweg getrotzt hatten. Viele Krieger waren gestorben. Sie waren einfach zu schwach gewesen. Viele wurden im Kampf mit den Armeepatrouillen getötet. Von etwa achtzig Kriegern, die mit Victorio in die Berge geflohen waren, lebten nicht einmal mehr drei Dutzend.

Dann war der Winter zurückgekehrt. Mit Eis und Schnee, mit Blizzards und klirrender Kälte. Victorio entschloss sich aufzugeben. Aber er stellte die Bedingung, nach Ojo Caliente zurückkehren zu dürfen.

Die Antwort aus Washington lautete: Victorio und seinen Kriegern kann Straffreiheit zugesichert werden. Die Warm-Springs-Apachen können San Carlos verlassen. Die Zustimmung, nach Ojo Caliente zurückzukehren, wird jedoch verweigert. Victorio und seine Leute sind im Mescalero-Reservat bei Tularosa anzusiedeln. Unterbreiten Sie dem Häuptling diesen Vorschlag. Wenn er einverstanden ist, sind die Apachen zu entwaffnen und sofort auf den Weg nach Tularosa zu bringen.

Unterschrieben hatte den Brief ein General Hannigan.

Tags darauf kamen zwei Abgesandte Victorios nach Fort Wingate. Sie wollten wissen, ob Antwort aus Washington eingetroffen war. Colonel McIntosh bot an, sich mit Victorio zu treffen. Das Treffen fand vier Tage später am Mount Lookout, südlich des Bluewater Lake statt. Colonel McIntosh kam mit einer kleinen Gruppe von Offizieren. Damit wollte er zum Ausdruck bringen, dass ihm an ernsthaften Verhandlungen gelegen war und dass er auf keinen Fall vorhatte, Victorio in eine Falle zu locken.

Victorio erschien mit vier Kriegern.

McIntosh zeigte sich loyal. Er reichte Victorio die Hand. »Möge Friede einkehren in unserem Land«, sagte er. »Um ihn auszuhandeln sind wir hier.«

»Es wird nie Frieden geben, solange die Indianer unterdrückt und betrogen werden«, versetzte Victorio furchtlos. Er zeigte sich nicht unterwürfig oder demütig. Aus jedem Zug seines scharfgeschnittenen Gesichts sprach ungebrochener Stolz. Seine Augen glitzerten. Nichts deutete darauf hin, dass hinter ihm eine schwere Zeit voller Strapazen und Entbehrungen lag.

»Das Angebot, das ich dir zu unterbreiten habe, ist ehrlich, Häuptling«, erklärte McIntosh. »Es garantiert dir und deinen Kriegern Straffreiheit.«

»Und wir dürfen nach Ojo Caliente zurückkehren.«

»Nein.« Die Antwort fiel wie ein Peitschenhieb.

Victorio war zusammengezuckt. Sein Gesicht verschloss sich. Ein düsterer Ausdruck trat in seine dunklen Augen. Von einem der Krieger, die ihn begleiteten, kam ein gehetzter Ton. Plötzlich stand die Feindschaft zwischen Rot und Weiß wieder wie eine unüberwindliche Wand, wie ein heißer Atem.

»Warum nicht?«

»Es ist unmöglich. Dennoch dürfen eure Familien San Carlos verlassen. Man hat für sie und euch einen Platz im Mescalero-Reservat bei Tularosa vorgesehen. Wenn ihr dorthin geht, werdet ihr nicht für eure Untaten bestraft. Der Haftbefehl gegen dich wird aufgehoben, Häuptling. Im Land zwischen der Sierra Blanca und den Sacramento Mountains werdet ihr es gut haben. Es gibt dort Wasser und fruchtbaren Boden. Ihr bekommt eigenes Land zugewiesen und könnt es bebauen. Was sagst du zu diesem Kompromiss, Victorio?«

»Ich muss mich mit meinen Kriegern beraten. Du bekommst die Antwort morgen, wenn die Sonne ihren höchsten Stand erreicht hat. Wir treffen uns wieder hier.«

»Ich will die Antwort heute noch, Häuptling. Du hast vier Krieger bei dir, und ihr seid bevollmächtigt, im Namen eures Stammes zu sprechen. Berate dich mit deinen Brüdern, und dann gib mir Antwort. Denk aber daran, Häuptling, dass ihr am Ende seid. Erweist euch als klug und stimmt unserem Vorschlag zu.«

Die fünf Apachen berieten sich keine zehn Minuten lang, dann kamen sie zurück und Victorio sagte: »Wir sind einverstanden. Meine Krieger und ich kommen morgen zum Fort und geben unsere Waffen ab. Ich vertraue deinem Wort, Nantan. Du weißt, was geschieht, wenn du es brichst.«

»Du kannst dich auf mein Wort verlassen, Victorio.«

Die Apachen stiegen auf ihre Pferde und ritten davon. Sie waren Geschlagene. Doch man hatte sie respektvoll behandelt und sie brauchten sich nicht in ihrer Ehre verletzt zu fühlen.

McIntosh und seine Abordnung kehrten ins Fort zurück.

Am Morgen des folgenden Tages kam Victorio mit vierunddreißig Kriegern nach Fort Wingate, wo sie sich entwaffnen ließen. Die Krieger misstrauten den Weißen. Zu oft waren schon Verträge gebrochen und Versprechungen nicht eingehalten worden.

»Der Große Geist war nicht mit uns«, sagte Victorio, nachdem sie ihre Waffen abgegeben hatten. »Er hat uns einen strengen Winter geschickt und uns dadurch gezwungen, aufzugeben. Der Große Geist muss weiß sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass er es zulässt, dass dem roten Mann soviel Unrecht widerfährt.«

Sie bekamen Decken und man wies ihnen Prärieschoner als Unterkünfte zu. Die Apachen froren erbärmlich. Niemand hatte Mitleid mit ihnen. Die Offiziere beruhigten ihr Gewissen damit, dass es den Indianern in den Bergen noch dreckiger gegangen war. Hier wurden sie zumindest regelmäßig mit warmem Essen versorgt.

*


»Wir haben diesen Untersuchungsausschuss einberufen, Lieutenant Whitlock, um eine Feststellung zu treffen, ob gegen Sie Anklage vor dem Militärgericht erhoben wird oder nicht. Colonel McIntosh hat diese Untersuchung beantragt. Nicht jeder Offizier, dem Insubordination zur Last gelegt wird und den man für den Tod von mehr als zwei Dutzend Soldaten verantwortlich macht, erhält eine derartige Chance.«

General Fred Bronson fixierte Tyler Whitlock scharf. Zwei Wachsoldaten flankierten diesen. Der General hatte weiße Haare und einen weißen Backenbart. Er war von Santa Fe angereist, um dem Ausschuss vorzusitzen, der darüber entscheiden sollte, ob Whitlocks Handeln vorwerfbar war und der Fall vor das Militärgericht gebracht werden musste.

»Ich weiß Colonel McIntosh' Einsatz für mich zu schätzen, General«, sagte Whitlock. Er saß auf einem Stuhl vor dem Tisch, an dem General Bronson und die anderen Mitglieder des Ausschusses Platz genommen hatten. Es waren insgesamt sieben Männer. Alle gehörten dem Offiziersstand an. In ihren Händen lag das Schicksal des Lieutenants.

»Was sagen Sie zu den Vorwürfen?«

»Es ist richtig. Ich habe die Patrouille verlassen, um auf eigene Faust die Männer zu jagen, die eine Gruppe von Apachen ermordet und skalpiert hatten.«

»Was hat Sie geleitet? Rachsucht? Wollten Sie das Gesetz selbst in die Hand nehmen?«

»Nein, Sir. Ich wollte die Mörder dem Gesetz überantworten. Allerdings kam es zu einem Kampf, bei dem vier der Killer starben. Die anderen drei entkamen.«

»Es starben auch Soldaten.«

»Parker McAllister wurde bei dem Kampf getötet«, räumte Whitlock ein. »Jesse Cameron und Price Mahoney töteten die Skalpjäger aus dem Hinterhalt. Um zu verhindern, dass sie weiter den Hass und die Unruhe bei den Apachen schüren, sind Corporal Patty und ich den Mördern nach El Paso gefolgt. Das Kommando über die Patrouille übergab ich Sergeant Tom Billinger. Er war ein erfahrener, in vielen Kämpfen mit den Apachen erprobter Mann.«

»Sie stellten diesen Wilburn und seine Komplizen in El Paso?«, fragte einer der Offiziere.

»Ja. Und wieder gab es einen Kampf. Einer der Banditen starb, ein anderer wurde verwundet. Scott Wilburn nahmen wir fest und gaben ihn sowie den verwundeten Banditen in die Obhut des Kommandanten von Fort Bliss, der mir zusicherte, die beiden Banditen nach New Mexiko auszuliefern.«

»Hielten Sie es für derart wichtig, die Skalpjäger zu stellen und der Bestrafung zuzuführen, dass Sie, um ihrem Willen Geltung zu verschaffen, die Patrouille sich selbst überließen?«, kam es von einem der anderen Offiziere, einem Captain, dessen narbiges Gesicht von vielen Kämpfen zeugte.

»Einen Apachen zu töten, ohne ihm eine Chance zu lassen, ist nach dem Buchstaben des Gesetzes Mord, Sir«, antwortete Whitlock. »Es waren über ein Dutzend Apachen, die diese Männer aus dem Hinterhalt ermordeten. Von Fort Wingate aus wird das Apachenland überwacht. Die Besatzung des Forts hat für Ruhe und Frieden in der Apacheria zu sorgen. Ich gehöre zur Besatzung. Sollte ich zulassen, dass Wilburn und seine Killer weitermorden? Gewalt zieht immer neue Gewalt nach sich. Ich fühlte mich verpflichtet, den Banditen das blutige Handwerk zu legen. Was ich getan habe, kann ich vor Gott und vor meinem Gewissen verantworten. Ich hätte keinen Schlaf mehr gefunden, wenn ich zugelassen hätte, dass weiterhin ein Rudel zweibeiniger Wölfe mordend durchs Land zieht.«

»Sie handelten also in der hehren Absicht, den Frieden im Land zu wahren?«

»Das war mein Sinnen und Trachten, Sir. Ich fühlte mich weder als Richter noch als Henker. Doch es gab niemand außer mir und den Männern, die mit mir ritten, die den gesetzeswidrigen, blutigen Machenschaften der Banditen in den Weg getreten wären.«

»Ihre Vorgesetzten haben Sie immer vorzüglich beurteilt, Lieutenant«, meinte ein Major. »Auch Colonel McIntosh hat Sie uns als einen integeren, herausragenden Mann dargestellt.«

»Ich habe immer mein Bestes gegeben, Sir.«

»Sie sind seit dreizehn Jahren bei der Armee.«

»Ja, seit meinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr. Die Armee ist meine Heimat, Sir.«

Der Major lächelte.

Auch der General schmunzelte.

»Haben Sie Ihr Handeln auch nur für einen Augenblick in Zweifel gezogen, Lieutenant?«, fragte wieder der Major.

»Ich machte mir Sorgen wegen meiner Leute. Doch ich war mir auch sicher, dass sie bei Sergeant Billinger in den besten Händen waren. Außerdem wies ich den Sergeanten an, die Apachen auf keinen Fall herauszufordern. Bei Feindkontakt sollte sich die Patrouille zurückziehen.«

»Dies zu bestimmen lag nicht in der Macht des Sergeanten«, wandte der General ein. »Aus den Protokollen, die aufgrund Ihrer Einvernahmen gefertigt wurden, ist zu entnehmen, dass er sich dem feindlichen Zugriff nicht entziehen konnte. Die Patrouille war gezwungen, sich zu verteidigen. Ein Rückzug war nach Ihren eigenen Erkenntnissen nicht möglich, Lieutenant.«

»Ich habe nur wiedergegeben, was ich den Spuren entnehmen konnte, Sir. Man hat die Patrouille in einen Hinterhalt gelockt. Die Männer hatten keine Chance. Es war vermessen, mit nur zwei Dutzend Männern in die Mimbres Mountains zu reiten und zu glauben, Victorio zur Aufgabe überreden oder zwingen zu können.«

»Sie stellen die ganze Aktion in Frage, Lieutenant?«, blaffte ein Lieutenant Colonel.

»Jawohl, Sir. Die Mission war von vorneherein zum Scheitern verurteilt.» Whitlock schien kurz nachzudenken und seine weiteren Worte im Kopf zu formulieren. Dann erhob er wieder das Wort: »Es war blinder Aktionismus, der dazu führte, dass zwei Dutzend Soldaten in die Mimbres Mountains geschickt wurden, eine Alibiaktion, um zum einen der Öffentlichkeit vor Augen zu führen, dass sich die Armee von einer Hand voll Apachen nicht auf der Nase herumtanzen lässt, und zum anderen dem Vorwurf der Tatenlosigkeit zu entgehen.« Wieder machte der Lieutenant eine Pause. »Man hat die Männer verheizt. Ihr Tod war sinnlos und schürte im Lande nur den Hass auf die Apachen. Nicht die Aktionen der Armee haben Victorio bewogen, aufzugeben. Es war der strenge Winter, der ihn veranlasste, die Kapitulation anzubieten. Er war sogar noch in der Lage, Bedingungen geltend zu machen.«

»Sie sind sehr mutig, Lieutenant«, sagte der General versonnen. »Wissen Sie, dass Sie damit einige Leute ziemlich vor den Kopf stoßen?«

»Ich kann es nicht ändern, Sir. Ich halte das alles für eine Farce. Am Schicksal der Patrouille hätte sich nichts geändert, auch wenn ich sie geführt hätte. Ich will nicht einmal ausschließen, dass der Verlust der Patrouille einkalkuliert war und akzeptiert wurde, nur um einigen Leuten, die ein scharfes Durchgreifen der Armee fordern, den Mund zu stopfen und anderen, die die Apachen als wilde Tiere hinstellen, Munition für ihre These zu liefern. Ich weiß nicht, welche Ziele die Indianerpolitik, die Washington betreibt, verfolgt. Aber ich habe Augen im Kopf und ich kann denken. Und ich bin in einer Situation, in der ich nicht mehr schweigen kann und auch nicht mehr schweigen will.«

Betroffenheit prägte die Gesichter. Der General hatte die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen und kaute darauf herum. Er wirkte nachdenklich. Die Mienen einiger der Offiziere hatten sich verdüstert. Einer stieß hervor: »Sie reden sich um Kopf und Kragen, Lieutenant.«

Whitlock schwieg.

»Haben Sie uns sonst noch etwas zu sagen, Lieutenant?«, fragte der General.

»Ja, Sir. Ich fühle mich unschuldig und ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass ich richtig gehandelt habe, als ich mich mit einigen Soldaten auf die Fährte der Skalpjäger setzte, um ihnen das Handwerk zu legen.«

»Wir werden über Ihr weiteres Schicksal beraten, Lieutenant. Sie wissen, was Ihnen blüht, für den Fall, dass ein Verfahren vor dem Militärgericht gegen Sie eröffnet wird?«

Whitlock nickte. »Ihre Entscheidung kommt einer Vorverurteilung gleich, Sir. Ja, ich weiß, was mir blüht. Man wird mir die Schulterklappen herunterreißen und mich mit Schimpf und Schande aus der Armee jagen.«

»Das ist das Mindeste«, murmelte der General, dann gab er den beiden Wachsoldaten einen Wink.

Tyler Whitlock wurde abgeführt. Nachdem sich die Tür hinter ihm und seinen Wächtern geschlossen hatte, räusperte sich der General, dann sagte er: »Die Armee steht durch die Unruhen im Apachenland im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Wenn wir gegen Whitlock Anklage erheben, werden sich die Reporter sämtlicher namhafter Zeitungen im Land wie die Aasgeier draufstürzen. Es werden Dinge zur Sprache kommen, die kein besonders gutes Licht auf die Verantwortlichen werfen werden. Grundsätzlich hat Whitlock Recht. Es war blinder Aktionismus, als nacheinander drei Patrouillen in die Mimbres Mountains geschickt wurden, um Victorio und seine Renegaten zur Räson zu bringen.« Der General atmete tief durch. »Whitlock ist der falsche Mann, der auf dem Altar einer mangelhaften Indianerpolitik geopfert werden soll. Ihn vor Gericht zu stellen dürfte der Armee mehr schaden als nutzen. Schon im Hinblick darauf, dass ihr ein erfahrener und bewährter Offizier verloren geht.«

Die anderen Offiziere diskutierten nicht lange. Und schon nach wenigen Minuten stand fest, dass keine Anklage gegen Tyler Whitlock erhoben werden würde. Der Ausschuss kam zu dem Ergebnis, dass der Lieutenant unverzüglich auf freien Fuß zu setzen war und seinen Dienst anzutreten hatte.

Der Kommandant von Fort Wingate wurde in Kenntnis gesetzt.

*


Der Schnee schmolz. Der Frühling hielt nach einer langen Kälteperiode Einzug ins Land. Zartes Grün begann die Sträucher und Bäume zu verfärben. Der wilde Ginster blühte goldgelb. Bienen summten in den Sträuchern auf der Suche nach Nektar.

Lieutenant Whitlock war zu Colonel McIntosh befohlen worden. Er meldete sich unverzüglich. Der Colonel forderte ihn auf, sich zu setzen, dann sagte er: »Ich habe einen Sonderauftrag für Sie, Lieutenant.«

»Sir!«

»Victorio und seine Krieger müssen nach Tularosa gebracht werden. Für diese Aufgabe habe ich Sie ausersehen. Mit Victorio sind es fünfunddreißig Apachen.«

»Wann sollen wir aufbrechen, Sir?«

»Sie stellen keine Fragen?«

»Sicher haben Sie bereits alles organisiert, Sir.«

Ein angedeutetes Lächeln umspielte die Lippen des Colonels. Er nickte. »Sie haben Recht. Sie reisen mit vier Wagen und einer Eskorte von zwanzig Mann. Nachdem zugesagt wurde, dass auch die Familien der Krieger das White Mountain Reservat verlassen dürfen, geht von Victorio und seinen Männern keine Gefahr aus.«

Der Colonel erhob sich, ging zum Fenster, schaute hinaus und sprach weiter: »Ich denke, Sie sind der richtige Mann für diese Aufgabe, Lieutenant. Sie bekommen damit Gelegenheit, Ihren guten Ruf zu festigen. General Bronson war im Übrigen sehr angetan von Ihnen.«

»Danke, Sir.«

»Sie brechen übermorgen früh auf, Lieutenant. Über zweihundertzwanzig Meilen durch menschenfeindliche Wildnis. Es wird sicher nicht leicht, denn es gibt weder Weg noch Steg. Aber ich bin überzeugt davon, dass Sie es schaffen.«

»Ich werde mein Möglichstes tun, Sir.«

»Das ist mir klar.«

Am übernächsten Tag, es war noch dunkel, brach der Zug auf. Die Apachen saßen auf drei Schlutterwagen, die von jeweils vier Maultieren gezogen wurden. Das vierte Fuhrwerk beförderte Proviant. Zwei Scouts ritten voraus, um den Weg zu erkunden. Sergeant James Burmester war wieder mit von der Partie, jener Unteroffizier, der schon die erste Patrouille in die Mimbres Mountains unter dem Kommando Major Garretsons begleitet hatte.

Die Eskorte ritt in Dreierreihe. Whitlock und Burmester ritten neben dem Zug. Die Fuhrwerke rumpelten, die Aufbauten ächzten, die Achsen quietschten in den Naben. In die Geräusche mischte sich das Stampfen der Hufe, vereinzeltes Wiehern, Husten, Räuspern, das Klirren der Gebissketten und das Knarren von brüchigem Sattelleder.

Sie wandten sich nach Südwesten. Die Wildnis nahm sie auf. Es hatte in der Nacht noch einmal leicht gefroren. Tagsüber hatte die Sonne schon an Kraft gewonnen. Sie leckte mit ihrer Wärme den Schnee von den Kämmen und Abhängen, und nur die Nordseiten der Hügel waren noch mit Schnee bedeckt.

Der Himmel war wolkenverhangen. Alles mutete grau in grau an, obwohl es längst Tag geworden war. Die Berge lagen im Dunst. Der Boden war feucht und die Räder sanken tief ein, von den Maultieren wurde das Doppelte an Kraft und Zähigkeit verlangt. Die Indianer auf den Ladeflächen der Wagen wurden durch und durch geschüttelt. Der harte Bohlenboden war nur mit einer dünnen Lage Stroh ausgepolstert worden.

Das Land war ihr Feind. Sie kamen nur langsam voran, denn sie mussten weite Umwege in Kauf nehmen, Höhenzüge überwinden und Creeks durchqueren. Die Zuni Mountains stellten sich als ein nahezu unüberwindliches Hindernis dar. Es war ein natürlicher Pfad, der sich in Windungen nach oben schwang. Die Zugtiere legten sich in die Gespanne. Die Apachen waren abgesessen und stemmten sich mit aller Kraft gegen die Speichen der großen Räder, um die Maultiere, in ihrem Bemühen, die schweren Wagen nach oben zu befördern, zu unterstützen.

Mit heiserem Gebrüll trieben die Männer auf den Böcken die Maultiere an. Die Räder drehten sich kaum schneller. Kleine Steine wurden knirschend unter den Eisenreifen zermalmt. Die Tiere legten sich in die Geschirre, stemmten die Hinterbeine wie Säulen gegen das Gefälle, Peitschenschnüre klatschten auf ihre Rücken, die Leinen waren zum Zerreißen gespannt und knarrten bedenklich.

»Vorwärts! Nicht nachlassen! Treibt sie an! Sie dürfen nicht stehen bleiben!« Whitlock schrie sich fast die Seele aus dem Leib.

Unerbittlich wurden die Tiere vorwärtsgepeitscht. Schaum trat aus ihren Nüstern und tropfte zu Boden.

Dann erreichte das erste Fuhrwerk den Kamm der Anhöhe. Es polterte darüber hinweg und wurde auf dem sich anschließenden Plateau sofort zur Seite gelenkt, um Platz für das nächste zu machen.

Schließlich war auch der letzte Wagen oben. Trotz der Kälte schwitzten Menschen und Tiere. Die Maultiere röchelten und röhrten. Und nach einer Stunde Pause ging es weiter. Sie zogen, bis die Nacht kam. Dann fuhren sie die Gefährte in einem Hochtal zu einem Karree zusammen.

Die Nacht verlief ruhig und ohne Zwischenfälle. Indianer und Kavalleristen lagen in einem totenähnlichen Schlaf. Sie waren erschöpft. Die Strapazen des zurückliegenden Tages hatten von jedem das Letzte verlangt und waren an die Substanz gegangen.

Am übernächsten Tag schwenkte der Zug in die Schlucht des Rio San Jose ein. Der Fluss hatte seinen Ursprung in den östlichen Ausläufern des Zuni Plateaus und seine schmutzigbraunen Fluten strömten dem Rio Puerco entgegen.

An den Wänden der tiefen Spalte waren noch die Schlammspuren zu sehen, die verrieten, wie hoch die Schmelzwasser im Februar noch die Schlucht überschwemmt hatten. Von den Bergen heruntergespültes Geröll lag überall herum und musste oftmals erst mühsam zur Seite geräumt werden, damit die schwerfälligen, kaum zu manövrierenden Gefährte passieren konnten. Sie zogen auf dem natürlichen Weg neben dem tosenden und gischtenden Fluss entlang.

Noch war die Schlucht ziemlich breit. Dann machte der Creek eine Krümmung. Eine Felswand schob sich bis an den Fluss heran. Nach rechts öffnete sich eine Schlucht. Die Scouts trieben ihre Pferde hinein. Der Zug folgte. Die Schlucht endete und sie folgten den Windungen zwischen den Felsen und Hügeln. Irgendwann schwenkten sie wieder nach Südosten ein und zogen die Route parallel zum Creek, von dem den Wagenzug gigantische Felsmonumente trennten.

Der Abend nahte. Die Konturen wurden unscharf, grauer Dunst verzerrte die Umrisse der Felsen, die den Trail säumten. Dahinter erhob sich fast bedrohlich die schweigende Bergwelt.

Als die Dunkelheit kam und eine Weiterfahrt unmöglich machte, lagerten sie. Feuer wurden angezündet.

»Wie lange werden wir benötigen, um Tularosa zu erreichen?«, fragte Burmester.

»Knapp einen Monat«, versetzte Whitlock. »Vorausgesetzt, wir schaffen jeden Tag acht Meilen.«

Der Sergeant verzog das Gesicht. Fast dreißig Tage Hölle ...

Am darauf folgenden Tag ging es weiter. Jeder neue Tag bedeutete eine Steigerung der Strapazen, schürte Lustlosigkeit und Unzufriedenheit und zermürbte Soldaten und Apachen gleichermaßen. Mal schneite es, dann fiel Regen, dann brannte wieder die heiße Märzsonne gnadenlos vom Himmel. Der Marsch forderte das Letzte von Mensch und Tier.

*


Die Bande erreichte Fort Wingate. Wallace, Baker, Cramer und Connor wagten nicht, das Fort zu betreten. Sie trugen noch immer ihre heruntergekommenen Uniformen und man würde sie sofort als Deserteure erkannt haben. Vielleicht war auch die Kunde von ihrem Ausbruch schon nach Fort Wingate gelangt.

Nach ihrer Flucht aus Fort Bliss hatten sie Colonel Miles laufen lassen, nachdem sie in den Organ Mountains untergetaucht waren und ihre Spur verwischt hatten. Sie hatten tagelang eine Zickzack-Fährte durchs Land gezogen, um etwaige Verfolger abzuschütteln. Als sie sicher sein konnten, nicht mehr verfolgt zu werden, hatten sie sich auf den Weg nach Norden gemacht.

Die Deserteure kampierten außerhalb des Forts. Glenn Farley blieb bei ihnen. Auch er fürchtete, erkannt zu werden. Die beiden Wilburn-Brüder und die Männer, die mit Lester Wilburn nach El Paso gekommen waren, begaben sich in das Fort.

Um Fort Wingate herum hatte sich eine kleine Ansiedlung gebildet. Hier lebten Handwerker, es gab einen Store, einen Saloon, ein Hotel und einen Mietstall. Sogar eine kleine Kirche mit einem Glockenturm hatten die Menschen, die hier lebten, errichtet.

Es war ein sonniger Tag im März. Nach der Schneeschmelze begann der Boden zu trocknen. In der kleinen Ortschaft, die ebenfalls Fort Wingate genannt wurde, herrschte Alltag. Einige Indianer drückten sich herum. Sie hatten sich Decken über die Schultern gehängt und frönten dem Nichtstun. In den Schatten lagen Hunde. Das Tor des Forts stand offen. Eine Gruppe Soldaten marschierte im Gleichschritt über den Exerzierplatz. Befehle erschallten. Bei einem der Magazine wurde ein flacher Wagen mit Kisten beladen. Das Sternenbanner hing am hohen Fahnenmast und bewegte sich träge im lauen Wind. Irgendwo ertönte Hämmern. Ein Kind schrie ...

Die Wilburns und ihr Anhang ritten zum Mietstall, saßen im Wagen- und Abstellhof ab und führten ihre Pferde in den Stall. Der Stallmann verließ den Verschlag, der ihm als Aufenthaltsraum und Stall Office diente. »Guten Tag, Gentlemen. Woher des Wegs? Es kommen selten Fremde nach Fort Wingate. Hier oben liegt der Hund begraben. Werden Sie länger bleiben?«

»Wir suchen einen Mann namens Whitlock«, sagte Scott Wilburn. »Er ist Lieutenant bei unserer glorreichen Armee und in Fort Wingate stationiert.«

»Tyler Whitlock.« Der Stallmann nickte. »Eine ziemlich schillernde Figur. Bekannt wie ein bunter Hund. Hat eine ganze Patrouille verloren und sollte vor das Militärgericht gestellt werden. Aber dann hat man davon abgesehen und ihm sogar das Kommando über die Deportation Victorios und seiner Renegaten nach Tularosa übertragen.«

Scott Wilburns Stirn legte sich in Falten. »Heißt das, dass Whitlock gar nicht in Fort Wingate anzutreffen ist?«

»Das heißt es. Der Zug ist vor vier Tagen aufgebrochen. Eine Eskorte von zwanzig Soldaten begleitet die Apachen.» Der Stallmann hob die Schultern an. »Ist schon verwunderlich, dass Victorio Straffreiheit zugesichert wurde, nach allem, was er verbrochen hat. Er ist ein verdammter Mörder. Jeden Weißen, der soviel Dreck am Stecken hat wie er, würde man kurzerhand aufknüpfen.«

»Das ist eben die Gerechtigkeit in unserem Lande«, stieß Lester Wilburn hervor. »Vor vier Tagen sind sie aufgebrochen, sagst du.«

Der Stallmann nickte. »Mit den Fuhrwerken kommen sie sicher nicht schnell vorwärts. Ich denke, sie sind dreißig bis fünfunddreißig Meilen vom Fort entfernt.«

»Wir könnten sie innerhalb von zwei Tagen einholen«, knurrte Scott Wilburn.

Lester Wilburn schüttelte den Kopf. »Und hätten zwanzig Kavalleristen gegen uns. Viele Hunde sind des Hasen Tod. Nein. Wir kehren in etwa einem Monat wieder hierher zurück. Und dann warten wir auf Whitlock.«

»Und was tun wir einen ganzen Monat lang?«

»Wir gehen nach Gallup.« Lester Wilburn reichte dem Stallmann die Zügel seines Pferdes. »Diese Nacht jedoch bleiben wir in Fort Wingate. Gibt es in diesem Nest ein Gesetz?«

»Nein. Die Bürgerschaft steht unter dem Schutz der Armee. Sie sorgt hier für Ruhe und Ordnung. Warum suchen Sie denn Whitlock? Haben Sie eine Rechnung mit ihm zu begleichen?«

»Sei nicht so neugierig, mein Freund«, knurrte Scott Wilburn.

Der Stallmann zuckte mit den Schultern und schwieg.

Die Kerle zogen ihre Gewehre aus den Scabbards, dann verließen sie den Stall. Mit gemischten Gefühlen blickte der Stallmann hinter ihnen her. Er ahnte, dass ein Rudel zweibeiniger Wölfe nach Fort Wingate gekommen war.

Es ging auf den Abend zu. Immer wieder verschwand die Sonne hinter Wolken und die Schatten lösten sich auf. Hier und dort war durch ein Loch in der Wolkendecke der blaue Himmel zu sehen. Es war warm.

Der Stallmann versorgte die Tiere der Banditen. Wie jeder im Fort und in der Ansiedlung kannte er die Geschichte Tyler Whitlocks. Und er ahnte, wer die Kerle waren, die ins Fort gekommen waren. Der Name Scott Wilburn, der eine gewichtige Rolle in Whitlocks Geschichte gespielt hatte, war hier kein Unbekannter. Und der Stallmann war davon überzeugt, dass es sich bei einem der Kerle um diesen Banditen handelte. Er fühlte sich verpflichtet, dem Kommandanten des Forts in Kenntnis zu setzen.

Und zwanzig Minuten später wusste Colonel McIntosh Bescheid. Er berief sofort seine Kompanieführer zu einer Beratung ein. »Das würde bedeuten«, sagte der Colonel, »dass dieser Wilburn in Fort Bliss aus dem Gefängnis ausgebrochen ist oder befreit wurde. Der Schuft hat eine Reihe von Verbrechen gegen die Armee und die Apachen begangen.«

»Setzen wir die Kerle fest und benachrichtigen wir den U.S. Marshal in Albuquerque«, schlug einer der Offiziere, die sich eingefunden hatten, vor. »Damit wäre das Problem gelöst.«

»Deswegen habe ich Sie zu mir gebeten, Gentlemen. Wer übernimmt es, die Kerle festzunehmen?«

»Ich werde First Sergeant Howard beauftragen«, sagte ein Lieutenant Colonel. »Er ist Führer der zweiten Gruppe des dritten Zuges. Ein Mann aus Eisen. Er kämpfte schon gegen Cochise.«

»Melden Sie mir Vollzug, wenn die Kerle auf Nummer sicher sind, Lieutenant Colonel«, gebot McIntosh. Dann lachte er gallig auf. »Woher nehmen Männer wie dieser Wilburn nur die Stirn, sich mit der Armee anzulegen. Ist es Dummheit, oder Arroganz, oder liegt es ganz einfach im Naturell dieser Spezies, gegen die Strömung zu schwimmen, egal, wie reißend sie ist.«

»Wilburn treibt nach allem, was wir wissen, der Hass«, antwortete der Lieutenant Colonel. »Hass aber macht bekanntlich blind und führt in die Hölle. Wilburn und seine Kumpane werden es zu spüren kriegen.«

*


Es war finster. Im Saloon brannten die Laternen. Einige Soldaten aus dem Fort saßen an den Tischen. Es waren aber auch einige Männer aus der Ansiedlung anwesend. Niemand kümmerte sich um die sechs abgerissenen Kerle, die es sich an zwei der kleinen, runden Tische bequem gemacht hatten.

Zunächst hatten sie Aufmerksamkeit erregt. Jeder, der sie sah, wusste, dass es sich um ein Rudel von Sattelstrolchen oder Banditen handelte. Aber sie verhielten sich ruhig und so verlor man schnell das Interesse an ihnen.

Sie tranken Bier und Whisky und rauchten. Um sie herum war Stimmengewirr, Gelächter, das Scharren von Stuhlbeinen, Geflüster und Geraune.

Der Saloon verfügte über eine Hintertür, durch die man in einen kleinen Hof gelangte, auf dem ein Pferdestall und das Toilettenhäuschen errichtet worden waren. Durch diese Hintertür traten jetzt nacheinander fünf Soldaten. Sie hielten die Gewehre an den Hüften im Anschlag und verteilten sich am Tresen sowie an der Längswand.

»Verdammt!«, zischte Scott Wilburn und seine Hand zuckte wie automatisch zum Gewehr, das am Tisch lehnte.

Da kamen auch durch die Vordertür einige Soldaten herein, ebenfalls die Karabiner im Anschlag, mit verkniffenen Gesichtern und kalter Entschlossenheit in den Augen.

Wilburn sprang auf. »Das gilt uns!«, knirschte er.

Lester Wilburn kam ebenfalls hoch. Er riss das Gewehr an sich, repetierte und begann sofort zu feuern. Es bedurfte keiner Fragen. Die Banditen handelten wie in die Enge gedrängte Raubtiere und bissen rücksichtslos um sich. Aber auch die Soldaten zögerten nicht. Das Krachen der Gewehre verschmolz ineinander und betäubte die Ohren.

John Hooker schien zu wachsen, stand sekundenlang auf den Zehenspitzen, dann brach er zusammen und fiel mit dem Oberkörper auf den Tisch. Glas klirrte. Die Flasche Whisky rollte über den Boden.

Rich Kemble drehte sich halb um seine Achse, sein Kinn sank auf die Brust, er ließ den Revolver, den er gezogen hatte, fallen und verkrampfte beide Hände vor der Brust. Dann brach auch er zusammen.

Die Soldaten mussten Rücksicht auf die unbeteiligten Männer im Saloon nehmen. Die Banditen jedoch gingen rücksichtslos vor. Sie feuerten blindlings in die Runde und rannten zum Ausgang. Das Frontfenster zerbarst unter den Einschlägen von Kugeln. Scherben regneten auf den Boden. Soldaten sanken getroffen zusammen. Raues Geschrei, das Krachen der Schüsse und das Trampeln der Schritte erfüllten den Saloon.

Lester Wilburn warf sich mit seinem Körper gegen die Flügel der Schwingtür und sie flogen auf. Er sprang hinaus auf die Straße. Ihm folgte Kirby Logan. Scott Wilburn sprang durch das zerschossene Frontfenster. Ron Webster erwischte es im Sprung, als er Scott Wilburn folgen wollte. Er schien einen Augenblick lang schräg in der Luft zu hängen, dann krachte er der Länge nach auf den Boden.

»Nichts wie weg!«, schrie Scott Wilburn. Er hetzte am Straßenrand entlang in die Richtung des Mietstalles. Sein Bruder und Kirby Logan folgten ihm, immer wieder hinter sich feuernd und so die Soldaten zwingend, in der Deckung des Saloons zu bleiben.

»Haltet sie auf!«, keuchte Scott Wilburn. »Ich hole die Pferde.«

Ein Soldat kam geduckt aus der Tür des Saloons. Ein zweiter folgte. Die beiden Schüsse, die sie fällten, klangen wie ein einziger. Zwei weitere Soldaten, die ins Freie drängten, sahen zu, in den Schutz des Saloons zurückzugelangen. Eine heisere Stimme brüllte Befehle.

Scott Wilburn war zum Mietstall gelaufen. Eine Laterne neben dem Stalltor warf einen Lichtkreis in den Hof. Auch im Stall brannte eine Laterne. Sie hing an einem Nagel, der in einen der Tragebalken getrieben worden war. Der Stallmann stand wie sprungbereit aber unentschlossen auf dem Mittelgang. Er starrte den Banditen an wie eine übernatürliche Erscheinung.

»Hilf mir, drei Pferde zu satteln!«, blaffte Wilburn. »Mach schon!«

»Was ist geschehen?« Die Stimme des Stallburschen klang abgehackt und brüchig.

Wilburn gab keine Antwort. Er rannte zu dem Balken, auf dem einige Sättel lagen, und raffte den erstbesten an sich. Damit begab er sich zu einer der Boxen, in der ein Brauner stand. In die Gestalt des Stallmannes geriet Leben.

Auf der Straße donnerten Schüsse. Ein Querschläger jaulte. Etwas klirrte. Immer wieder krachte es. Innerhalb von zehn Minuten hatten Scott Wilburn und der Stallbursche drei Pferde gesattelt und gezäumt, zehn Minuten, die den Banditen wie eine kleine Ewigkeit wähnten. Er schwang sich auf eines der Tiere und zog den Revolver, richtete ihn auf den Stallmann und stieß hervor: »Woher wussten die Blaubäuche von unserer Anwesenheit in der Town? Hast du es ihnen gesteckt?«

»Ich – ich...« Der Stallmann trat von einem Bein auf das andere. Seine Stimmbänder versagten ihm den Dienst. Eine unsichtbare Faust schien ihn zu würgen.

»Dreckiger Bastard!« Wilburn schoss ohne mit der Wimper zu zucken. Der Stallmann kippte über seine Absätze nach hinten. Ein unkontrolliertes Zucken seiner Beine, dann erschlaffte seine Gestalt.

Wilburn zerrte das Pferd herum und trieb es an. Die beiden anderen Tiere führte er an den langen Zügeln. Im Hof kam ihm sein Bruder entgegen und warf sich auf eines der Tiere. »Kirby hat es erwischt! Verschwinden wir!«

Scott Wilburn ließ den Zügel des dritten Pferdes sausen. Tief über die Hälse der Pferde gebeugt stoben die beiden Banditen hinaus auf die Straße, rissen die Vierbeiner nach links herum und verschwanden wenig später in einer Passage zwischen zwei Häusern. Der prasselnde Hufschlag entfernte sich mit rasender Geschwindigkeit, wurde leiser und leiser. Die Nacht hatte Scott und Lester Wilburn verschluckt.

Sie ritten zu dem Platz, an dem die Deserteure und Glenn Farley lagerten. Es war ein Felskessel, in den nur ein schmaler Durchlass führte. Ein ideales Versteck. Aus der Dunkelheit wurden sie angerufen. »Wir sind es, Scott und Lester«, rief Letzterer. »Möglicherweise werden wir verfolgt. Gib Acht. Solltest du etwas hören, dann komm sofort und melde es.«

»Wo sind die anderen?«

»Wahrscheinlich in der Hölle«, kam es ohne die Spur einer Gemütsregung von Scott Wilburn.

Sie ritten weiter. Etwa hundert Yards ging es zwischen den Felsen hindurch, dann öffnete sich der Felskessel. Während es in dem Spalt finster war wie im Schlund der Hölle, wurde der Platz zwischen den Felsen, auf dem die Deserteure lagerten, vom Mond- und Sternenlicht etwas aufgehellt.

»Ihr?«, kam es fragend und überrascht zugleich von Ross Wallace, dem desertierten Corporal.

»Die Blaubäuche wollten uns den höllischen Marsch blasen«, versetzte Scott Wilburn. »John, Rich, Kirby und Ron sind vor die Hunde gegangen. Whitlock befindet sich nicht im Fort. Er ist auf dem Weg nach Tularosa ins Mescalero Reservat.« Er schaute seinen Bruder an. »Mit Gallup wird es wohl nichts. Wir haben eine Reihe von Soldaten in die Hölle geschickt. Man wird uns jagen wie ein paar tollwütige Hunde.«

»Verschwinden wir nach Arizona!«, schlug Ross Wallace vor.

»Erst, wenn Whitlock tot vor mir liegt!«, knirschte Scott Wilburn. »Wir tun, was sie am wenigsten von uns erwarten.«

»Und das wäre?«

»Wir reiten nach Tularosa und warten dort auf Whitlock.«

»Begrabe deinen Hass, Bruder«, murmelte Lester Wilburn. »Lass uns aus diesem Landstrich verschwinden. Hier steht am Ende unseres Weges entweder der Strick oder eine Kugel. Bald wird an jedem Sheriff's Office und in jedem Militärposten unser Steckbrief aushängen.«

»Whitlock muss sterben!«, stieß Scott Wilburn wild hervor. »Ich habe geschworen, ihn zu töten. Und ich bin nicht bereit, diesen Schwur zu brechen.«

»Dann lass uns wenigstens für einige Zeit untertauchen. Ich denke, dass in den nächsten Tagen eine Reihe von Suchtrupps unterwegs sein werden. Es war schon dumm, nach Fort Wingate zu reiten. Lass uns jetzt wenigstens vernünftig handeln.«

Scott Wilburn schien nachzudenken. Schließlich knurrte er: »In Ordnung. Bis Arizona sind es nur fünfundzwanzig Meilen. Westlich des Canyon de Chelly gibt es einen kleinen Ort namens Maito Spring. Dort verkriechen wir uns für einige Zeit und lassen Gras über die Geschichte hier wachsen. In einem Monat aber kehren wir hierher zurück. Und dann...«

Wilburn schnippte mit Daumen und Mittelfinger seiner Linken. Diese Geste brachte alles zum Ausdruck, was er mit Worten nicht aussprach. Sie beinhaltete ein höllisches Versprechen.

»Sattelt eure Pferde«, drängte Lester Wilburn. »Bald wird es von Soldaten, die uns suchen, nur so wimmeln.«

Sie verließen eine halbe Stunde später den Felskessel. Die Nasen ihrer Pferde wiesen nach Westen. In New Mexiko wurde ihnen der Boden zu heiß. Sicher waren bei dem Kampf im Saloon ein paar Soldaten gestorben. Scott Wilburn wurde außerdem steckbrieflich gesucht in diesem Staat.

Er ritt mit dem festen Vorsatz im Herzen, zurückzukehren und Tyler Whitlock zu töten. Sein abgestumpftes Gemüt verlangte nach Rache.

*


Der Bote aus Fort Wingate holte den Zug ein und übergab Lieutenant Whitlock einen Brief von Colonel McIntosh. Der Lieutenant brach das Siegel, faltete das Blatt Papier auseinander und las. Seine Brauen schoben sich zusammen. Schließlich senkte er die Hand mit dem Schreiben. Hart traten seine Backenknochen hervor.

Sergeant Burmester musterte ihn aufmerksam und fragend, mit einer Mischung aus stummer Erwartung und unverhohlener Neugier. »Eine neue Order?«

Whitlock schüttelte den Kopf. »Scott Wilburn ist aus dem Gefängnis in Fort Bliss ausgebrochen und nach Fort Wingate gekommen. Er sucht mich. Bei einer Schießerei mit einigen unserer Leute wurden zwei seiner Kumpane getötet, zwei andere verwundet. Wilburn und ein weiterer seiner Komplizen sind entkommen.«

»Und sie reiten jetzt auf unserer Fährte, wie?«

»Das weiß ich nicht. Ich habe vom Colonel die Order erhalten, in Tularosa zu bleiben. Er hat mich auf unbestimmte Zeit dorthin abgeordnet. Wahrscheinlich geht der Colonel davon aus, dass Wilburn in der Nähe von Fort Wingate lauert und wartet, bis ich zurückkehre.«

»Es gefällt Ihnen nicht, Lieutenant«, kam es von Burmester. »Ich kann es Ihnen von der Nasenspitze ablesen.« Der Sergeant verschluckte sich fast. »Sorry, Sir, ich weiß, das eben war respektlos. Aber...«

»Schon gut.« Whitlock winkte ab. Ein nachsichtiges Lächeln umspielte seine Lippen. »Sie haben recht, Sergeant. Es gefällt mir in der Tat nicht. Wenn Wilburn nach Fort Wingate, sozusagen in die Höhle des Löwen geritten ist, um mir seine Rechnung zu präsentieren, dann wird er auch den Weg nach Tularosa nicht scheuen. Nein, es gefällt mir ganz und gar nicht. Denn nicht ich werde Ort und Zeitpunkt der Abrechnung bestimmen, sondern er. Und das ist für ihn ein großer Vorteil, vielleicht sogar der halbe Sieg.«

»Sie werden sich doch an den Befehl halten, Lieutenant?«, kam es fast entsetzt von Burmester.

»Natürlich.«

Whitlock und der Sergeant hatten angehalten. Bei ihnen verhielt der Bote auf seinem abgetriebenen Pferd. Der Lieutenant hatte befohlen, weiterzumarschieren. Die Fuhrwerke und die sie begleitenden Soldaten zogen über eine weitläufige Ebene. Noch eine knappe Woche, dann würden sie den Rio Grande erreichen und die Hälfte des Weges nach Tularosa hinter sich haben.

In den vergangenen Tagen war es trocken gewesen. Staub wirbelte zwischen den Hufen der Pferde und den Rädern der Fuhrwerke. Rundherum waren Berge. Schweigend und majestätisch erhoben sie sich.

Whitlock faltete den Brief zusammen und schob ihn in die Brusttasche seines Uniformmantels. »Bestellen Sie dem Colonel«, sagte er zu dem Boten, »dass ich mich an seine Weisung halten werde. Ich bleibe in Tularosa, bis er meine Abordnung aufhebt. Seinen Brief werde ich dem Kommandanten des Stützpunktes Tularosa zur Kenntnis geben. Es wird sich zeigen müssen, ob er der Abordnung meiner Person in seinen Stützpunkt zustimmt.«

Der Reiter salutierte. »Ich werde es dem Colonel bestellen, Lieutenant. Viel Glück auf ihrem Weg! Gott sei mit Ihnen.« Er riss mit dem letzten Wort das Pferd herum und setzte ihm die Sporen ein. Das Tier streckte sich.

Auch Whitlock und Burmester trieben ihre Pferde an und folgten der Kolonne, von der ein Rumoren ausging, das sich aus den unterschiedlichsten Geräuschen zusammensetzte.

Sie zogen über die Ebene hinweg. Whitlock war in seine nagenden Gedanken versunken. Er war überzeugt davon, dass Wilburn nicht aufgab, nachdem er ihn in Fort Wingate nicht angetroffen hatte. Der Lieutenant erinnerte sich der Worte Wilburns, die er ihm durch das Fenster des Gefängnisses zugerufen hatte: Wir werden uns wiedersehen, Whitlock. Und dann werde ich dich töten. Das ist ein Versprechen. Ich werde dich in die Hölle schicken, Whitlock!

Sie klangen in Whitlock nach und der Lieutenant wusste, dass Wilburn alles daransetzen würde, sein höllisches Versprechen einzulösen.

Der Lieutenant wurde abgelenkt. Am südöstlichen Rand der Ebene erschien ein Reiter. Es war einer der Scouts. Er winkte mit beiden Armen, dann drehte er sein Pferd herum und verschwand wieder.

»Weiter!«, rief Whitlock. »Der Kundschafter hat einen Weg zwischen die Felsen gefunden!«

Die Gedanken des Lieutenant begannen sich wieder um Scott Wilburn zu drehen. Und er hoffte plötzlich, dass der Scalpjäger nach Tularosa kommen würde. Er wollte klare Verhältnisse schaffen. Solange sie es nicht ausgekämpft hatten, würde er, Tyler Whitlock, keine Ruhe finden. Er hatte keine Angst vor dem Banditen, und er wollte der Sache ein Ende bereiten. Es war nicht gut, abends mit dem Gedanken an Wilburn zu Bett gehen zu müssen und am Morgen mit dem Gedanken an ihn wieder aufzustehen.

Sie zogen zwischen die Felsen. Die Geräusche veränderten sich, wurden dröhnender und melodiöser. Das Land begann anzusteigen und der Boden wurde felsig. Die Fuhrwerke holperten über die Unebenheiten hinweg. Dann brach ein Rad. Auf dem vierten Wagen, auf dem der Proviant befördert wurde, befanden sich auch zwei Ersatzräder. Das gebrochene Rad wurde ausgewechselt. Die Apachen mussten absitzen und zu Fuß weitergehen. Auch viele der Soldaten stiegen von den Pferden und führten die Tiere.

Der Weg zum Pass wurde schmaler und steiler, soweit man überhaupt von Weg sprechen konnte. Er wand sich in weiten Windungen empor, bohrte sich zwischen die Felsen, und niemand wusste, ob ihn hinter der nächsten Krümmung nicht herabgestürztes Geröll versperrte.

Sie zogen an gähnenden Abgründen vorbei, dann hatten sie wieder das Gefühl, die eng zusammenstehenden Felswände erdrückten sie. Hier oben war es kalt und zugig. Weite Flächen glitzernden Firns in den Schattenfeldern der Felsen blendeten die Augen, und der Wind trieb feine, aber scharfe Eiskristalle wie stählerne Nadelspitzen in die Gesichter.

Tyler Whitlock ritt zusammen mit Sergeant Burmester etwa hundert Yard vor dem Zug. Sie erreichten einen Bergsattel zwischen den abflachenden Felsen. Der Lieutenant drehte seinen Oberkörper und blickte hinunter zu der Kolonne, die nun vor einem steilen Abhang zum Stehen kam. Es war das schwierigste Stück des Passes. Der Soldat auf dem Bock des vordersten Fuhrwerks sprang ab, legte kopfgroße Steine unter die Hinterräder, um ein Zurückrollen zu verhindern, und stieg zu Whitlock hinauf.

»Wie sollen wir diesen Steilhang heraufkommen, Sir?«, fragte er, als er ziemlich außer Atem oben anlangte, den Lieutenant.

»Indem wir vor jeden Schoner die doppelte Anzahl Zugtiere spannen«, erwiderte Whitlock. »Und die Männer müssen in die Speichen greifen. Anders geht es nicht.«

Whitlock zog sein Pferd um die linke Hand und ritt über den Bergsattel, der nach etwa hundert Yards endete und an dessen Ende das Terrain wieder steil abfiel. Der Abstieg würde wohl ebenso beschwerlich werden wie der Aufstieg.

Vor eines der Fuhrwerke wurden acht Maultiere gespannt. Ein Soldat ging zwischen den beiden vordersten und führte sie an den Kopfgeschirren. Der Kutscher auf dem Wagenbock trieb die Tiere mit der Peitsche an. Mahlend setzten sich die großen Räder in Bewegung. Ein Ächzen ging durch das Gefährt, die Seile strafften sich wie die Saiten einer Gitarre.

Das Wagengespann bewegte sich schwerfällig bergaufwärts. Je steiler der Abhang wurde, desto mehr verlor es an Tempo. Die Maultiere stemmten sich in die Geschirre. Immer wieder glitten ihre Hufe aus. Einige Soldaten griffen in die Speichen der Räder. In schweißtreibender, mühevoller Arbeit wurde das Fuhrwerk Stück für Stück den Hang hinaufgebracht, oben rollte es ein ganzes Stück über den Bergsattel und das Gespann wurde schließlich angehalten.

Die Tiere waren feucht vom Schweiß, prusteten und keuchten, und auch den Männern lief der Schweiß über die Gesichter. Sie ließen sich erschöpft und atemlos zu Boden fallen und ruhten aus.

Dann wurden vier Maultiere ausgespannt und den Abhang hinuntergeführt. Vier Tiere standen unruhig in den Geschirren des nächsten Wagens, der den Hang hinaufgebracht werden sollte, als ahnten sie, dass ihnen eine der größten Strapazen des Trails bevorstand. Die Maultiere wurden mit vor den Wagen gespannt ...

Die Indianer erklommen den Anstieg. Einige der Soldaten führten ihre Pferde hinauf. Dann kam das zweite Fuhrwerk. Es handelte sich zwar um keine schweren Conestoga-Schoner, aber das Gefälle war steil, und die Bodenunebenheiten, die tiefen Risse und Furchen im felsigen Untergrund, das lose Geröll und der teilweise glatte Felsboden taten ein Übriges, um den Aufstieg zu einer Tortur werden zu lassen, zu einer Anstrengung, die den absoluten Durchhaltewillen eines jeden Soldaten erforderte.

Schließlich waren die vier Fuhrwerke oben. Whitlock ordnete zwei Stunden Pause an. Einer der Scouts kam. »Wie sieht der Weg ins Tal hinunter aus?«, wollte der Lieutenant wissen.

»Er ist nicht ganz so steil, wie herauf«, antwortete der Kundschafter. »Wir werden Stangen oder die Gewehrkolben in die Speichen klemmen müssen, damit die Räder blockieren. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Fuhrwerke die Zugtiere überrollen und in die Tiefe reißen.«

Nach zwei Stunden ging es weiter. Die Soldaten arbeiteten mit stummer Verbissenheit. Am späten Nachmittag waren sie unten. Der Weg wurde besser. Sie fuhren in das Tal des Rio Puerco hinein und hier wechselte sich felsigen Gebiet mit weiten Ebenen wogenden Büffelgrases ab, über die die Fuhrwerke ungehindert rollen konnten.

*


Anfang April waren sie am Ziel. Im Laufe des Monats trafen auch die Familien der Mimbres aus San Carlos ein. Den Indianern wurde Land zur Verfügung gestellt, man gab ihnen Bauholz und die bereits seit längerem in der Reservation lebenden Mescaleros unterwiesen sie im Bau von Hütten und der Anlage von Feldern und Äckern.

Victorios Farm lag am Fuß eines hohen Berges, der Sierra Blanca genannt wurde, an der Quelle des Rio Ruidoso. Bei dem Häuptling waren seine Frau und seine beiden halbwüchsigen Söhne. In zwei Pferchen standen eine Milchkuh sowie insgesamt zehn Schafe und Ziegen. Ein schwerer Kaltblüter weidete hinter dem halbfertigen Wohnhaus auf einem Flecken Grasland. Einige Hühner pickten in den Staub auf der Suche nach Fressbarem.

Es war ein sonniger Apriltag, als Tyler Whitlock mit einer Patrouille auf der im Aufbau begriffenen Farm ankam. Er gebot seinen Männern am Fluss zu kampieren. Die Pferde wurden getränkt, dann versorgten sich die Soldaten.

Victorio erwartete den Lieutenant im Farmhof. Sie reichten sich die Hand. »Ich freue mich, dich zu sehen, Whitlock«, sagte Victorio. »Was mir nicht gefällt, ist, dass Soldaten durch das uns zugewiesene Land reiten und uns überwachen.«

»Irgendwie müssen wir ja beschäftigt werden«, versetzte Whitlock lächelnd. »Wobei ich dich beruhigen kann, Häuptling. Es herrscht absoluter Friede. Wie geht es dir? Ich sehe, deine Farm macht Fortschritte. Du wirst sehen, eines Tages wirst du hier ein sorgloses Leben in Frieden und Beschaulichkeit führen. Ich denke, dieses Land ist auf einem guten Weg.«

»Ich will es hoffen, Whitlock. Meine Familie hat mir von einem Mann namens Eskiminzin berichtet. Er ist Häuptling der Aravaipas und lebt in White Mountain. Auch er kämpfte gegen die Weißen. Nun lebt er seit vielen Jahren mit ihnen in Frieden. Er hat sich am Gila River eine Farm aufgebaut, versorgt sich und seine Familie mit dem, was das Land ihm gibt und verkauft seine Erzeugnisse sogar an die Armee.«

»Ein vernünftiger Mann. Ihn müssen sich Männer wie du als Beispiel nehmen. Dann wird der Friede in unserem Land dauerhaft sein.«

Die beiden Söhne Victorios brachten zwei Stühle.

»Setz dich, Whitlock«, forderte der Häuptling den Lieutenant auf. »Und erzähle mir, was es Neues im Lande gibt.«

»Es herrscht Frieden«, sagte Whitlock und ließ sich nieder. Auch der Häuptling setzte sich. Er forderte seine Frau auf, ihm Pfeife und Tabak zu bringen. Als die Pfeife brannte, brachte die Squaw noch einen ausgehöhlten Kürbis mit Mescal und zwei verbeulte Blechtassen aus Armeebeständen, schenkte etwas von dem selbstgebrannten Schnaps in die Trinkgefäße und reichte eines Whitlock, das andere dem Häuptling.

»Ich kann es noch immer nicht glauben, dass mich die Verantwortlichen bei der Armee ungeschoren lassen«, erklärte Victorio, nachdem er einen Schluck von dem Schnaps getrunken hatte. Versonnen schaute er Whitlock an. »Ich habe viele weiße Männer getötet und gegen die Gesetze der Weißen verstoßen. Manchmal habe ich das Gefühl, man will mich und mein Volk nur in Sicherheit wiegen.«

»Du machst dir unnütze Sorgen, mein Freund«, knurrte Whitlock. »Sieh dir diesen Eskiminzin an, von dem du mir eben erzählt hast. Auch er kämpfte gegen uns Weiße, tötete wahrscheinlich viele von uns, und nun lebt er als Farmer am Gila River und beliefert die Armee mit seinen Erzeugnissen. Männer wie er sind die Wegbereiter in eine friedliche Zukunft, in der Rot und Weiß in Eintracht miteinander leben werden. Warum solltest du nicht auch ein Wegbereiter sein, Victorio. Du hast für Aufsehen gesorgt. Die Öffentlichkeit nahm an deinem und dem Schicksal deiner Krieger Anteil. Du hast nicht nur Feinde unter den Weißen. Es gibt viele Männer, die sich für die Indianer einsetzen, denen das Schicksal des roten Mannes ausgesprochen am Herzen liegt. Auch in der Politik. Diese Männer haben Verständnis für eure Probleme, und sie weisen die Schuld an den blutigen Ereignissen der Vergangenheit vor allem der mangelhaften Indianerpolitik Washingtons zu. Man wird dich in Ruhe lassen, Häuptling. Denn deine Geschichte lässt die Armee in keinem besonders guten Licht erscheinen. Fehler und Versäumnisse würden aufgedeckt werden...«

»Ich habe ein schlechtes Gefühl, Whitlock.«

»Das rührt daher, weil du den Weißen misstraust, Häuptling. Colonel Randall, der den Stützpunkt Tularosa leitet, ist ein guter Offizier, der in Frieden mit Mescaleros und Mimbres leben möchte. Der Frieden aber wäre gefährdet, wenn man dich nicht in Ruhe deine Farm aufbauen ließe. Darum wird der Colonel nicht zulassen, dass gegen dich agiert wird – wer immer es auch sein sollte, der etwas im Schilde führt. Du stehst unter dem Schutz des Colonels.«

Whitlock nippte noch einmal an dem scharfen Mescal, stellte die Tasse auf den Boden und erhob sich. »Alles wird gut, Victorio«, versprach er. »Du wirst es sehen. Auch du wirst eines Tages deine Erzeugnisse an die Armee verkaufen, du wirst von der Viehzucht und vom Handel leben, und deine Söhne werden in Frieden aufwachsen. Ich denke, wir erleben den Beginn einer guten Zeit.«

Er verabschiedete sich von dem Häuptling und war überzeugt von dem, was er gesagt hatte.

Der Gedanke an Scott Wilburn war an den Rand von Whitlocks Bewusstsein gerückt. Er befand sich nun seit fast einem Monat in Tularosa und hatte sich eingelebt. Man hatte ihn freundlich aufgenommen. Der Ruf, der ihm vorausgeeilt war, sorgte dafür, dass er von seinen Vorgesetzten mit Respekt behandelt wurde. Es hatten sich auch schon erste Freundschaften mit anderen Offizieren angebahnt.

Tyler Whitlock machte die Arbeit im Mescalero-Reservat Spaß. Hier zeigte sich Fortschritt. Es bereitete ihm Freude, zu beobachten, wie aus nichtsesshaften, nomadisierenden Apachen, die seit Jahren die Armee in Atem gehalten hatten mit ihrem Kampf um Freiheit und angestammte Plätze, ein Volk von Farmern und Viehzüchtern wurde.

Whitlock begann auch seinen eigenen, inneren Frieden zu finden. Ein tiefschürfendes Gefühl der Sicherheit hatte sich seiner bemächtigt. Es war so etwas wie die Gewissheit, dass man sich besonnen, alte Vorwürfe ad acta gelegt und einer neuen Art der Indianerpolitik zugewandt hatte, die nicht nur darin bestand, die rote Rasse aus dem Weg zu räumen und zum Schweigen zu bringen, sondern die auf ein gleichberechtigtes Nebeneinander ausgelegt war, die Achtung, nicht Ächtung des roten Mannes zum Ziel hatte, die ihn in seinen Rechten und in seinem freien Handeln nicht mehr beschränkte und die ihm eine eigene Meinung gab.

Ein Trugschluss, wie sich herausstellen sollte.

*


Ein Mann kam nach Fort Wingate. Ein wild wuchernder Bart verdeckte den Großteil seines hohlwangigen Gesichtes. Er war mit einem langen Staubmantel bekleidet, über den er den Revolvergurt geschnallt hatte. Er brachte das Pferd in den Mietstall. Staub rieselte von seinen Schultern und der Krempe seines flachkronigen Stetsons, als er im Hof absaß.

Der Stallmann erschien im Stalltor. Es war ein junger Mann in einem blauen Overall, der auf einem Strohholm herumkaute und den Fremden neugierig musterte. Dieser sagte: »Ich möchte mein Pferd für zwei oder drei Tage bei Ihnen unterstellen.«

»Sicher, Mister. Dafür ist der Mietstall da. Sind Sie auf der Durchreise?«

»Zunächst mal will ich einige Tage in diesem Nest ausruhen. Ich komme von Arizona herüber.« Der Sprecher zog sein Gewehr aus dem Scabbard.

»Es kommen hin und wieder Reiter nach Fort Wingate«, sagte der Stallbursche. »Oft sind es Männer, denen das Gesetz auf den Fersen sitzt. Fort Wingate ist so etwas wie eine Oase in der Wildnis. Fünfzehn Meilen nordöstlich von hier ist eine kleine Stadt im Entstehen. Man hat ihr den Namen Gallup gegeben. Aber das ist im Umkreis von mehreren hundert Meilen auch schon alles. Ansonsten gibt es nur Steine, Staub, Hitze, Klapperschlangen und Skorpione.«

Der Fremde lachte. »Wie ist es mit Indianern?«

»Victorio hat sich im Februar ergeben. Man hat ihn und seine Leute nach Tularosa geschickt. Sie sollen im Mescalero-Reservat angesiedelt werden und jeder im Land hofft, dass die Rothäute endlich Ruhe geben und den Frieden wahren.«

»Ich hörte davon. In diesem Zusammenhang gab es doch auch die Geschichte von diesem Lieutenant, der in den Mimbres Mountains seine Patrouille verloren hat.« Ein verborgenes Lauern zeigte sich im Blick des Fremden. Er knüpfte seine Satteltaschen los und legte sie sich über die Schulter.

»Das ist die Geschichte von Lieutenant Tyler Whitlock.« Die Worte sprudelten nur so über die Lippen des Stallburschen. »Es wurde keine Anklage gegen ihn erhoben. Die Sache verlief sich im Sande. Die Armee fürchtete wohl, dass zu viele Versäumnisse und unlautere Machenschaften aufgedeckt werden würden. Man übertrug Whitlock sogar das Kommando über die Eskorte, die Victorio und seine Krieger nach Tularosa geleitete.«

»Sicher ein interessanter Mann. Ist er wieder in Fort Wingate?«

»Nein. Colonel McIntosh hat Whitlock nach Tularosa abgeordnet, nachdem einige der Skalpjäger im Fort aufgetaucht sind, die Whitlock in den Mimbres Mountains jagte. Diese Schufte haben hier ziemlich für Furore gesorgt. Bei einer Schießerei wurden vier Soldaten getötet, drei verwundet, außerdem wurden einige Zivilisten in Mitleidenschaft gezogen. Meinen Vorgänger hier im Mietstall hat einer kaltblütig niedergeknallt. Nun ja, auch die Banditen mussten Federn lassen. Zwei von ihnen starben, zwei wurden festgenommen. Man hat sie zwischenzeitlich zum Tod verurteilt. Am kommenden Montag sollen sie auf dem Exerzierplatz im Fort gehängt werden. Es ist sicher nicht schade um diese Halunken.«

Der Stallmann nahm das Pferd an der Trense.

»Wie heißen die beiden?«

»Kemble und Webster. Sie sind mit einem Skalpjäger namens Scott Wilburn geritten. Dessen Mannschaft hat Tyler Whitlock ziemlich dezimiert.«

»Ich habe es mir anders überlegt«, sagte der Fremde und griff nach dem Kopfgeschirr seines Pferdes. »Ich reite weiter. Vielleicht schaffe ich es noch bis Gallup.«

»Wieso dieser plötzliche Gesinnungswandel, Mister?«

»Es ist noch zwei Stunden hell, und bis zur Dunkelheit kann ich die fünfzehn Meilen schaffen. Ich will keine Zeit vergeuden.«

Er zog das Pferd herum, saß auf und setzte es in Bewegung.

Verdutzt blickte ihm der Stallbursche hinterher. Er konnte sich aus dem seltsamen Verhalten des Fremden keinen Reim machen.

Dieser verließ die Stadt. Zwei Meilen außerhalb des Ortes, in einem Versteck zwischen den Felsen, warteten seine Kumpane. Scott und Lester Wilburn, Glenn Farley, Ross Wallace, Shane Baker und Ken Cramer. Sie hockten auf ihren Sätteln, zwischen ihnen lag eine zusammengelegte Decke am Boden, sie vertrieben sich die Zeit mit pokern und benutzten die Decke wie einen Tisch.

Jetzt erhob sich Scott Wilburn. Auch er hatte sich einen Bart wachsen lassen und war kaum noch zu erkennen. Seine Schultern strafften sich, er stemmte die Arme in die Seiten. »Warum kommst du schon zurück, Dan? Du solltest ohne aufzufallen Erkundigungen über Whitlock einziehen?«

»Ich bin nicht aufgefallen. Der Stallbursche hört sich gern reden. Ohne dass ich groß danach fragte, erzählte er mir, dass Whitlock nach Tularosa abgeordnet ist. Außerdem sollen Rich und Ron am Montag im Fort aufgehängt werden. Man hat sie nach unserer Vorstellung im März zum Tod verurteilt.«

In den Zügen Scott Wilburns arbeitete es.

Lester Wilburn war ebenfalls aufgestanden. Seine Zähne knirschten übereinander. »Rich und Ron waren also nicht tot. Zur Hölle, es sind meine Freunde. Ich kann nicht zulassen, dass sie gehängt werden. Wir müssen etwas dagegen unternehmen.«

»Wir hielten sie für tot«, knurrte Scott Wilburn. »Die beiden spielen keine Rolle mehr. Darum werden wir den Dingen ihren Lauf lassen, Lester. Ich will Whitlock. Er befindet sich in Tularosa. Also reiten wir dorthin und holen wir ihn uns vor die Mündungen.«

»Ich kann Rich und Ron nicht einfach im Stich lassen. Whitlock läuft uns nicht davon. Er...«

»Wenn wir versuchen, deine beiden Freunde dem Henker zu entreißen, stellen wir das Gelingen meines Planes in Frage. Man wird wissen, dass wir zurückgekommen sind und Whitlock ist gewarnt. Ich will den Hurensohn endlich tot sehen. Mit Kemble und Webster haben wir nicht mehr gerechnet. Also werden sie uns auch nicht fehlen...«

Die Brutalität, mit der er es sprach, war erschreckend.

»Ich lasse meine Freunde nicht im Stich, Bruder«, keuchte Lester Wilburn. »Okay, dann trennen sich eben hier unsere Wege. Ich...«

»Sei vernünftig, Lester«, unterbrach ihn Ross Wallace. »Wenn wir versuchen, Kemble und Webster vor dem Strick zu bewahren, laufen wir Gefahr, selbst geschnappt zu werden. Das Risiko ist einfach viel zu groß. Wenn sie uns erwischen, landen wir ebenfalls am Galgen. Um gehängt zu werden sind wir aber gewiss nicht in diesen Landstrich zurückgekehrt.«

Lester Wilburn schwieg. Seine Kiefer mahlten. Düster starrte er seinen Bruder an. Sein Gesicht war Spiegelbild seiner Empfindungen.

»Morgen früh brechen wir auf«, gab Scott Wilburn ungerührt zu verstehen. »Wir werden eine Woche lang unterwegs sein. Ich kann es kaum erwarten, Whitlock endlich heißes Blei zu servieren. Ich will auf den Kadaver dieses Bastards spucken.«

*


Der Militärstützpunkt war außerhalb von Tularosa eingerichtet worden. Es war kein Fort mit Palisadenwänden und Wehren, sondern lediglich eine Reihe von Baracken, Schuppen und Stallungen, die um einen tafelflachen, großen, rechteckigen Platz errichtet worden waren, auf dessen Nordseite ein hoher Fahnenmast aufgestellt war, an dem schlaff das Sternenbanner hing. Es gab auch Magazine, eine Remise mit unterschiedlichen Fuhrwerken, Corrals für die Pferde und Zugtiere, eine Schmiede und eine Werkstatt, in der die Fuhrwerke in Stand gehalten wurden.

Der Wind wirbelte kleine Staubfontänen auf und trug sie mit sich.

Colonel Ernest Randall, der Kommandant des Stürzpunkts, starrte auf das Papier, das ihm Sheriff Josh Baker auf den Schreibtisch gelegt hatte. Es war ein Haftbefehl, ausgestellt auf den Namen Victorio, dem das Bezirksgericht in Albuquerque Pferdediebstahl vorwarf. Der Sheriff hatte den Auftrag, den Haftbefehl zu vollziehen.

»Das kann doch nicht wahr sein«, murmelte Randall und blinzelte nervös. »Der Diebstahl fällt in eine Zeit vor dem Aufstand Victorios. Man hat dem Häuptling Straffreiheit zugesichert. Will man allen Ernstes jetzt mit einer solchen Lappalie den Frieden, der mühsam genug erkämpft wurde, gefährden?«

Der Colonel saß hinter seinem Schreibtisch. An der Wand hinter ihm waren die Standarte des 4. Kavallerieregiments im Department New Mexiko an der Wand befestigt, daneben eine Karte des Reservats, das von Tularosa und Fort Stanton in der Nähe von Lincoln betreut wurde. Auch einige alte Musketen waren an der Wand aufgehängt. Am verstaubten Fenster tanzten Fliegen auf und ab. Einige tote Insekten lagen auf der Fensterbank. Das Pendel des Regulators an der Wand schlug rhythmisch hin und her – Zeuge dafür, dass die Zeit nicht still stand, dass sie gnadenlos fortschritt. Das leise Ticken erfüllte das Büro.

»Ich muss den Haftbefehl vollziehen, Colonel«, versetzte der Sheriff achselzuckend. Betont fügte er hinzu: »Und ich werde ihn vollziehen. Sie wollte ich nur in Kenntnis setzen, Colonel, dass ich morgen früh ins Reservat reiten und Victorio festnehmen werde. Ihrer Zustimmung bedarf es nicht.«

»Geben Sie mir zwei Wochen Zeit, Sheriff, ehe sie vollstrecken. Ich will mit Richter Grinnell in Albuquerque sprechen. Kein Mensch im Land wird Verständnis dafür aufbringen, wenn wegen einer alten Sache, die längst vergessen ist, der Friede in Frage gestellt wird.« Zitternd sog Randall die Luft in seine Lungen. Er war zornig, er war aber auch tief besorgt. Und er verlieh seinen Gedanken Ausdruck, indem er hervorstieß: »Das ist doch nur ein billiger Vorwand, um Victorio aus dem Verkehr zu ziehen! Hier soll bei Gott nicht Recht praktiziert werden – man will sich an Victorio rächen. Das ist schäbig! - Sheriff, Sie dürfen diesen Haftbefehl auf keinen Fall vollziehen. Wenn doch, werden die Apachen wieder auf die Barrikaden gehen.«

»Darüber nachzudenken ist nicht mein Job, Colonel. Ich habe einen Auftrag auszuführen. Da Sie für Ruhe und Ordnung im Reservat verantwortlich sind, wollte ich Sie nicht im Unklaren darüber lassen, dass ich mir Victorio hole und ihn nach Albuquerque schaffe.«

Der Sheriff nahm das Blatt Papier, faltete es sorgfältig zusammen und ließ es in der Innentasche seiner Weste verschwinden. »Morgen früh reite ich ins Reservat...« Er schwang herum und verließ die Kommandantur.

Nachdem ihn der Colonel durch das Fenster auf sein Pferd steigen sah, erhob er sich, öffnete die Tür zu seinem Sekretariat und trug einer der Ordonnanzen auf, Lieutenant Whitlock zu ihm zu schicken. Der Lieutenant erschien zehn Minuten später. Er meldete sich militärisch zackig, der Kommandant forderte ihn auf, sich zu setzen, und als sich Whitlock niedergelassen hatte, sagte Randall grollend: »Schlechte Nachricht, Lieutenant.«

»Was gibt es, Sir?«

»Victorio soll aus einem fadenscheinigen Grund verhaftet werden. Man hat eine alte Anklage wegen Pferdediebstahls gegen ihn ausgegraben. Das Distriktgericht in Albuquerque hat Sheriff Baker angewiesen, Victorio festzunehmen und nach Albuquerque zu schaffen.«

»Das darf nicht wahr sein!«, entfuhr es Whitlock. »Will man einen neuen Indianeraufstand riskieren?«

»Victorio soll ganz offensichtlich aus dem Verkehr gezogen werden«, antwortete der Colonel mit grollender Stimme. »Man fürchtet ihn als Unruhefaktor. Vielleicht nicht einmal völlig unbegründet. Der Häuptling ist schwer einzuschätzen. Er hat bereits einmal bewiesen, dass er sich nicht auf der Nase herumtanzen lässt. Wenn man ihn festsetzt, hofft man, auch die anderen Apachen bei der Stange bleiben.«

»Das Gegenteil wird der Fall sein. Und der Aufschrei der Entrüstung wird nicht nur durchs Mescalero-Reservat gehen. Er wird sich bis nach San Carlos und in all die anderen Reservate fortpflanzen. Wieder einmal soll ein gegebenes Wort gebrochen werden. Wieder einmal will man von den Versprechen, die gegeben wurden, nichts mehr wissen. Was für eine gottverdammte Niedertracht.«

Whitlock hatte sich in Rage geredet. Sein Gesicht hatte sich gerötet. Seine Hände öffneten und schlossen sich wie in hilfloser Ohnmacht.

»Wir können nichts tun«, erklärte Colonel Randall. »Es handelt sich um eine zivile Anklage. Wohlweislich hält man die Armee heraus. Sie haben Recht, Lieutenant. Es ist ein schäbiges Spiel, das man aufzuziehen gedenkt.«

»Ein Spiel mit dem Feuer«, ergänzte Whitlock. »Man sollte Victorio warnen.«

Randall prallte regelrecht zurück. »Das dürfen wir nicht, Lieutenant. Wir können uns nicht gegen das Gesetz stellen.«

»Aber wir können doch nicht tatenlos zusehen, wie alles zunichte gemacht wird, was mit Blut und Tränen aufgebaut wurde. Wir haben erreicht, dass im Land Friede herrscht.«

»Wie es aussieht, will man gar keinen Frieden. Der Sheriff wird morgen früh ins Reservat reiten, um Victorio zu verhaften. Es ist nicht aufzuhalten. Wir können nur versuchen, den Schaden zu begrenzen, indem wir auf die Getreuen des Häuptlings einwirken und sie dazu bringen, still zu halten.«

»Diese Mühe werden wir uns sparen können, Sir. So ganz haben die Mimbres uns nie getraut. Und jetzt liefert man ihnen den Beweis, wie wenig ernst gemeint die Versprechungen und Zusagen waren, die man ihnen gemacht hat. Ich denke, wir gehen düsteren Zeiten entgegen.«

»Sie malen den Teufel an die Wand, Lieutenant«, presste der Colonel hervor. »Aber es ist wohl so. Sollten die Apachen den Aufstand proben, werden wir gefordert sein, ihn niederzuschlagen. Wenn es sein muss, auch unter Einsatz von Gewalt.«

Es klang wie eine düstere Prophezeiung.

*


Der Sheriff verhielt sein Pferd und ließ den Blick über die Baustelle gleiten. Hier entstand ein kleines Farmhaus. Zwei Schuppen waren schon fertig. Der Gesetzeshüter sah die Pferche mit den Ziegen und Schafen, die Milchkuh, den Corral mit dem Pferd. Bretter und Balken stapelten sich.

Josh Baker war ein Mann um die fünfzig. Er trug einen dicken Schnurrbart unter der geröteten Nase, der seinen Mund fast gänzlich verbarg. Bekleidet war er mit einem grauen Anzug und einem weißen Hemd. Über seinen Bauch spannte sich eine Uhrkette aus silbernen Dollarstücken. An der rechten Seite des Sheriffs steckte der schwere, langläufige Coltrevolver im Holster. An seiner linken Brustseite glänzte der Stern. Sheriff, Otero County, war eingestanzt.

Einige Apachen waren bei der Arbeit. Hammerschläge waren zu hören. Einige Stimmen klangen durcheinander. Jemand sah den Sheriff und machte die anderen auf ihn aufmerksam. Die Apachen stellten die Arbeit ein und schoben sich in einem Pulk auf den Gesetzeshüter zu. Düstere Blicke trafen ihn.

Bakers Miene verkniff sich. Er bereute es plötzlich, ohne Aufgebot geritten zu sein. Aber er zwang sich zur Ruhe, legte beide Hände übereinander auf den Sattelknauf und rief: »Ich suche Victorio. Gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor. Es ist eine alte Anklage wegen Pferdediebstahls.«

Victorio kam hinter einem der fertigen Schuppen hervor. Breitbeinig blieb er stehen. Ruhig verschränkte er die Arme vor der Brust. »Willst du mich verhaften, Mann des Gesetzes?«

Der Sheriff senkte den Kopf. »Ich muss dich nach Albuquerque bringen. Dort wird man dich vor Gericht stellen. Was dann aus dir wird, weiß ich nicht. Ich rate dir, dich der Verhaftung nicht zu widersetzen. Zwinge mich nicht, von der Schusswaffe Gebrauch zu machen.«

Die Apachen, die Victorio beim Aufbau seiner Farm halfen, nahmen eine drohende Haltung ein. Der Sheriff fühlte sich nicht wohl in seiner Haut.

Sekunden des Schweigens verstrichen, Sekunden, in denen sich die Atmosphäre unheilvoll schwängerte und regelrecht vor Spannung knisterte. Dann ließ Victorio seine Stimme erklingen: »Soviel also zu den Versprechungen, die mir gemacht wurden. Man hat mir Straffreiheit zugesichert. Und jetzt ...«

»Straffreiheit hat dir die Armee zugesichert, Victorio. Aber es liegt die Anzeige eines Ranchers vor, dem du vor vielen Monaten ein Dutzend Pferde gestohlen hast. Eine zivilrechtliche Sache, für die du zur Verantwortung zu ziehen bist wie jeder andere Pferdedieb auch.« Der Sheriff zog seinen Revolver und spannte den Hahn. Klickend bewegte sich die Trommel um eine Kammer weiter. Matt schimmerten die Bleiköpfe der Patronen in der Trommel. Kreisrund und schwarzgähnend, wie das Auge in einem Totenschädel, starrte die Mündung auf Victorio.

»Ich werde nicht mit dir gehen, Mann des Gesetzes«, kam es ruhig, fast gelassen von dem Häuptling. »Man hat mich hierher gebracht mit dem Versprechen, dass ich hier eine Farm gründen und in Ruhe leben kann. Auf dieses Versprechen berufe ich mich. Sag das den Leuten, die mich im Gefängnis sehen wollen.«

»Ich werde wiederkommen und viele Männer mitbringen«, versicherte Baker. Seine Augen flackerten. In seinen Mundwinkeln zuckte es. Die Apachen nahmen eine gefährliche Haltung ein. Von ihnen ging etwas aus, das ihn eindringlich warnte. Sie erinnerten ihn an ein Rudel Wölfe.

Victorio schwieg.

Sekundenlang starrten sich die beiden Männer an. Ein stummes Duell. Dann irrte der Blick des Sheriffs ab und er sagte mit belegter Stimme: »Ich will das selbst nicht, Victorio. Aber ich bin nun einmal Vollzugsbeamter des Distriktgerichts, und so muss ich diesen Haftbefehl vollziehen. Ich komme mit einem Aufgebot zurück.«

Er versenkte den Revolver im Holster, zog das Pferd um die linke Hand, setzte die Sporen ein und gab dem Tier den Kopf frei. Es verfiel aus dem Stand in einen raumgreifenden Trab.

»Ich werde das Reservat verlassen«, stieß Victorio mit bebender Stimme hervor. »Die Bleichgesichter haben wieder einmal ihr Wort gebrochen. Es geht ihnen nicht um Ruhe und Frieden, es geht ihnen darum, uns zu unterjochen und zu entrechten. Die Weißen sprechen mit gespaltener Zunge. Nie wieder werde ich mich in einem Reservat niederlassen. Wer mit mir kommt, mag alles, was er mitnehmen kann, zusammenpacken. Wir treffen uns am Abend hier und ziehen nach Süden, über die Grenze, nach Mexiko. Dort leben schon viele unserer Brüder und Vettern. Zu ihnen gehen wir.«

Die Apachen warfen ihre Werkzeuge fort. Die Würfel waren wieder einmal gefallen. Victorio hatte sich entschieden.

Als am folgenden Morgen Sheriff Baker mit einem Aufgebot aus Tularosa erschien, fand er nur noch Brandschutt vor. Die Pferche und Corrals waren leer, Victorio und seine Familie waren weg. Die Spur der Apachen führte nach Süden. Das Aufgebot folgte ihr. Als sich der Tag seinem Ende zuneigte, zog das Aufgebot in eine Enge Schlucht. Längst war klar geworden, dass sich Victorio viele Krieger und deren Familien angeschlossen hatten. Bis Mexiko waren es nur hundert Meilen. In wenigen Tagen konnten die Apachen die rettende Grenze erreicht haben.

An einer Stelle, an der die Schlucht eng war und einem Reiter keine Ausweichmanöver gestattete, lagen die Apachen im Hinterhalt. Zuerst schmetterten sie bis zu kopfgroße Steine auf die Männer des Aufgebotes hinunter und töteten einige von ihnen. Dann warfen sich aus Felsnischen und Spalten die Krieger auf die Reiter und rissen sie von den Pferden. Die Weißen kamen kaum dazu, ihre Waffen zu ziehen. Mit Steinen, die die Apachen wie Faustkeile benutzten, wurden sie erbarmungslos niedergemacht. Als der Kampf zu Ende war, hatten Victorio und seine Leute zehn Pferde, zwölf Winchestergewehre und vierzehn Revolver erbeutet. Dazu eine Menge Munition, die die Reiter des Aufgebotes mit sich geführt hatten.

Der Tod zog wieder durchs Land. Er führte Regie in dem Drama, das der Teufel inszenierte. Das Massaker an den Männern des Aufgebots aus Tularosa war der Auftakt gewesen.

*


Die Apachen durchquerten das Tularosa Valley. Es waren mehr als dreißig Krieger mit ihren Angehörigen. Die Pferde zogen Schleppbahren, auf denen das Hab und Gut der Familien untergebracht war. Victorio und vier Krieger ritten dem Zug voraus. Die Alkali Flats und die White Sands Mountains hatten sie hinter sich gelassen. Zwei Späher erkundeten das Terrain nach Süden zu. Einige bewaffnete Apachen waren zurückgeblieben, um etwaige Verfolger mit Pulver und Blei von ihrer Fährte zu fegen. Wie eine einsame Insel in der Weite des Ozeans erhoben sich aus der Ebene die Jarilla Mountains. Seit zwei Tagen waren die Mimbres und Mescaleros, die sich ihnen angeschlossen hatten, unterwegs.

Weit im Westen buckelten die Höhenzüge der Organ Mountains. Dahinter lag Las Cruses. Im Osten erhoben sich die Sacramento Mountains. Nach Süden zog sich wellige Steppe.

Rudel von Rindern begegneten den Apachen. Das Brandzeichen bestand aus einem R und einem D. Es waren Longhorns. Die Apachen schlachteten einige Rinder. Und als sich der Abend ins Land stahl, kam einer der Späher zurück, die dem Zug vorausritten. Er meldete Victorio, dass sie in den Ausläufern der Berge auf eine Ranch gestoßen waren.

Victorio war voll Hass. »Die Bewohner der Ranch werden büßen müssen für das, was mir die Weißen angetan haben. Ich war bereit, in der Mescalero-Reservation in Frieden zu leben, eine Farm zu gründen und mein Land zu bebauen. Sie wollten es nicht und schickten diesen Gesetzesmann mit einem Haftbefehl zu mir. Ich will Rache. Victorio lässt sich nicht belügen und betrügen.«

Der Häuptling ließ die Gruppe in den südlichen Ausläufern der Jarilla Mountains lagern. Die Sonne ging unter, das grelle Rot am westlichen Horizont verfärbte sich zu violett, von Osten zog die Abenddämmerung ins Land, die Schatten hatten sich aufgelöst.

Dann kam die Nacht. Victorio und seine neun berittenen Begleiter verließen das Lager. Sie ritten in die Nähe der Ranch und verbargen sich zwischen den Hügeln. Im Haupthaus und in der Mannschaftsunterkunft brannte Licht. Die Pferde in den Corrals hatten sich zur Ruhe begeben. Am Himmel glitzerten die ersten Sterne. Der Mond war noch hinter den Bergen im Osten verborgen.

Die Apachen hüllten sich in Geduld. Zuerst verlosch das Licht im Ranchhaus, etwas später im Bunkhouse.

Zwei – drei schemenhafte Gestalten huschten zum Corral. Das Gatter wurde lautlos geöffnet. Pferde erwachten, schnaubten, und erhoben sich. Hufestampfen wurde laut, eines der Tiere wieherte. Das Windrad beim Brunnen bewegte sich im Nachtwind und knarrte. Der Schrei eines Kauzes trieb gespenstisch durch die Finsternis.

Ein Krieger huschte in den Corral und nahm eines der Pferde bei der Mähne, ein zweiter Krieger erschien, ein dritter. Die Pferde prusteten, stampften und peitschten nervös mit den Schweifen.

Holz knirschte in der Führung, als beim Haupthaus ein Fenster hochgeschoben wurde. »He, was ist da los? Verdammt!« Die Stimme überschlug sich plötzlich. »Wir werden überfallen! Jemand ist beim Corral!«

Im panischen Schrecken wurden die Worte hinausgebrüllt und der Wind nahm sie mit sich. Die Krieger warfen sich auf die Pferde, die sie führten und hämmerten ihnen die Fersen in die Seiten. Mit hellen, abgehackten Schreien trieben sie die anderen Tiere an. Das Rudel Pferde setzte sich in Bewegung. Staub erhob sich und wallte dicht. Hufe trappelten.

Die Tür der Mannschaftsunterkunft flog auf. Einige Männer mit Gewehren in den Händen rannten in den Hof. Sie begannen auf die dahinjagenden Schemen zu feuern. Die Mündungsblitze zerstießen die Dunkelheit und rissen die Schützen für Bruchteile von Sekunden aus der Nacht. Das Krachen der Schüsse mischte sich in den trommelnden Hufschlag, Geschrei wurde laut.

Auch aus dem Ranchhaus rannten zwei Männer mit Gewehren.

Und dann kamen die Apachen. Die Finsternis schien sie auszuspucken. Ihr Kriegsgeheul ging durch Mark und Bein. Handlange Feuerblitze zuckten aus den Mündungen ihrer Gewehre. Die Männer auf dem Hof wurden geschüttelt und umgerissen. Die Apachen griffen nach den Tomahawks und stürmten in das Haupthaus sowie die Mannschaftsunterkunft.

Nur wenige der Weißen entkamen. Sie flohen in die Nacht hinein. Wieder hatten die Apachen Pferde, Gewehre und Revolver sowie Munition erbeutet.

Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit brannten sie die Gebäude nicht nieder. Der Feuerschein wäre in der Nacht weit zu sehen gewesen und hätte vielleicht Weiße mit Gewehren und Revolvern angelockt. Victorio wollte nichts herausfordern.

Sie zogen noch in der Nacht weiter. Drei Tage marschierten sie ungeschoren nach Süden, erreichten Texas und zogen mitten durch die Franklin Mountains. Auf der Spur der Mimbres ritt ein Aufgebot aus Las Cruses. Die Späher Victorios, die die Kolonne nach hinten sicherten, bemerkten die Verfolger. Eine Spur wurde gelegt, die in einen Sackcanyon führte. Das Aufgebot ritt hinein. Und dann griff der bleierne Tod von vier Seiten nach den Männern. Sie hatten keine Chance. Pferde stiegen, bockten, stürzten und keilten wild aus. Männer starben. Pulverdampf und Staub wogten nebelhaft. Die Felswände warfen die Detonationen zurück, der Lärm staute sich in dem Canyon. Und dann war alles vorbei. Die Mimbres zogen weiter und verschwanden nach Mexiko.

*


Ein einsamer Reiter zog auf der Spur des Todes. Colonel Ernest Randall hatte ihn in Marsch gesetzt. »Ihnen vertraut, Victorio, Lieutenant«, hatte der Colonel gesagt. »Finden Sie ihn, reden Sie mit ihm und bringen Sie ihn zur Vernunft.«

Der Lieutenant hatte sich auf sein Pferd geschwungen. Er führte ein zweites Tier mit sich, das seinen Proviant trug. Whitlock zog am Westrand der Sacramento Mountains nach Süden. In Alamogordo hatte er erfahren, dass weitere Krieger das Reservat verlassen hatten. Whitlock ritt nach Las Cruses. Dort berichtete man ihm, dass Kunde aus San Carlos eingetroffen sei, wonach auch bei den Chiricahuas Unruhen ausgebrochen waren und dass viele Krieger das Reservat verlassen hatten und nach Mexiko geflohen waren.

Im Land gärte und brodelte es. Whitlock ritt den Rio Grande entlang nach Süden und erreichte El Paso. Er brachte seine Pferde in einen Mietstall und begab sich in einen Saloon. Am Tresen stand ein Mann. Eine Horde Männer drängte sich um ihn herum. Whitlock hörte den Burschen sagen:

»Sie kamen bei Columbus über die Grenze. Es waren mindestens sechzig Krieger, die im Morgengrauen in die Stadt einfielen wie die Heuschrecken. Männer, Frauen und Kinder wurden niedergemetzelt. Die halbe Stadt brannte nieder. Dann verschwanden die verdammten Rothäute wieder nach Süden. Eine Posse jagte sie, ritt aber in einen Hinterhalt. Die Bastarde machten das Aufgebot bis auf den letzten Mann nieder.«

»Wie kann Gott so etwas zulassen?«, rief ein Mann voll Entsetzen.

»Er ist eben nicht einmal halb so gut wie ihn unser Reverend immer hinzustellen versucht«, schrie einer wild. »Andernfalls würde er Feuer vom Himmel schicken und die roten Parasiten vom Angesicht der Erde tilgen.«

»Es war fürchterlich«, so ließ der Mann, der von dem Überfall auf Columbus erzählt hatte, seine Stimme wieder erklingen. »Das sind keine Menschen mehr, das sind blutrünstige Teufel. Ihnen ist nichts heilig. Die Bewohner wurden in geradezu viehischer Art und Weise niedergemetzelt.«

»Woher wissen Sie das?«, fragte Whitlock laut. »Hat man es Ihnen erzählt, oder waren sie selbst in Columbus?« Jeder Zug seines Gesichts drückte Skepsis aus.

Die Aufmerksamkeit richtete sich auf den Lieutenant. Es wurde still. Whitlock wurde angestarrt.

»Warum fragen Sie?«, kam es von dem Mann, der die Geschichte von den Gräueln in Columbus zum Besten gegeben hatte. »Glauben Sie mir etwa nicht? Gehören Sie auch zu jenen Zeitgenossen, die die Brutalität der Rothäute mit gebrochenen Verträgen und nicht eingehaltenen Versprechungen verteidigen, die in den roten Bastarden noch immer eine unterdrückte Minderheit sehen?«

Gehässig fixierte der Mann den Lieutenant.

»Es ist sicher nicht der Augenblick, um über Meinungen und Einstellungen zu diskutieren«, wehrte Whitlock ab. »Ich reite auf der Fährte Victorios. Ich war der Offizier, der ihn und seine Krieger von Fort Wingate nach Tularosa geleitete.«

»Wo ist ihre Einheit, Lieutenant?«, rief einer. »Es ist kein größerer Verbund von Soldaten in El Paso angekommen. Sie werden uns doch nicht erzählen wollen, dass sie alleine auf der Fährte dieses Mörders reiten.«

»Das ist so.« Whitlock richtete wieder seinen Blick auf den Mann, der von dem Überfall auf Columbus berichtet hatte. »Reden Sie schon. Waren Sie selbst in Columbus?«

»Ja. Ich habe geholfen, die Indsmen aus der Stadt hinauszujagen. Ich kam von Bisbee herüber und wollte einige Tage in der Stadt ausruhen.» Der Mann holte Luft, als musste er die Eindrücke, die in ihm lebten, aufs Neue verarbeiten, ehe er weitersprechen konnte. Er räusperte sich, schluckte, dann fuhr er fort: »Sie kamen mit dem Morgengrauen. Der Mietstall, die Kirche, die Hälfte aller Wohnhäuser, Scheunen und Schuppen – alles wurde ein Raub der Flammen. Sie wüteten wie die Teufel. Ein Aufgebot, das ihnen folgte, wurde niedergemacht. Kein einziger Mann kehrte zurück. Ich ritt mit den Männern, die die Toten fanden. Alle skalpiert. Es war ein Albtraum.«

»Wie weit ist Columbus von hier entfernt?«, fragte Whitlock.

»Etwa achtzig Meilen. Wollen Sie dorthin reiten, um sich von meinen Worten zu überzeugen?«

Ein Mann lachte schallend auf. Ein giftiger Laut, ein zynisches, bösartiges Lachen. Dann rief er: »Ein einzelner Mann. Das ist ja geradezu lächerlich. Glaubst du denn im Ernst, Lieutenant, du kannst Victorio mit Worten besänftigen? Er wird dir die Haut streifenweise abziehen und deinen Kadaver den Wölfen und Aasgeiern zum Fraß vorwerfen. Wenn die Armee nicht mehr zu bieten hat ...«

Whitlock ging nicht darauf ein. Er sagte: »Ich muss eine Spur aufnehmen. Warum nicht in Columbus?«

»Reiten Sie zum Tepee Butte, Lieutenant!«, rief ein anderer Mann. »Dort haben die roten Banditen eine Ranch überfallen. Eine Patrouille aus Fort Bliss hat sich dorthin begeben. Bis zum Tepee Butte haben Sie nur die Hälfte der Strecke wie bis nach Columbus zurückzulegen. Egal, welcher Spur Sie folgen. Sie führen schätzungsweise alle in die Felswüste Mexikos.«

»Reite nach Hause, Lieutenant«, so ließ wieder der Bursche die Stimme erklingen, der sich eben in ziemlich spöttischer Weise über Whitlocks Mission ausgelassen hatte. »Geredet wurde genug. Es hat sich herausgestellt, dass die roten Schufte Worten nicht zugänglich sind. Man muss sie ausrotten. Mit Stumpf und Stiel. Ein intelligenter Mann prägte mal den Spruch, dass nur ein toter Indianer ein guter Indianer ist. Friede werden wir erst bekommen, wenn der letzte dieser rothäutigen Teufel in der Hölle schmort.«

»Männer wie Sie tragen die Verantwortung an dem Dilemma, das im Land herrscht. Parolen wie die, die Sie eben von sich gegeben haben, sind schuld daran, dass immer wieder neuer Hass entsteht. Kerle wie Sie sehen in den Indianern Untermenschen, eine Spezies, die auf der Stufe mit wilden Tieren steht. Daran krankt es. Und solange Kerle wie Sie den Mund aufmachen dürfen, wird dieses völlig falsche Bild von den Indianern am Leben gehalten.«

Whitlocks Stimme sank herab, es war fast nur noch ein heiseres Geflüster, das über seine Lippen brach.

»Nicht allein die Roten sind verantwortlich für die blutigen Unruhen im Land – es sind Männer mit Ihrer Einstellung, Mister, die leider oftmals an exponierten Stellen sitzen und auf Grund ihres Einflusses in der Lage sind, die Richtlinien einer Politik zu bestimmen, deren Ergebnis nur Unfrieden sein kann – gewollter Unfrieden, um einen Grund zu schaffen, mit aller Brutalität gegen die Indianer vorzugehen.«

»Du bist also ein verdammter Indianerfreund, Lieutenant!«, stieß der Bursche grimmig hervor. »Du verteidigst es, wenn die roten Parasiten weiße Menschen massakrieren und ihnen die Skalps abziehen. O verdammt! Kerle wie du sind schuld daran, dass man nicht längst kurzen Prozess mit den rothäutigen Stinktieren gemacht hat. Man sollte dich aus der Stadt hinausprügeln. Ja, Indianerfreund, man sollte dich zurechtstutzen, dass du auf allen vieren aus El Paso hinaus kriechst.«

Auch Whitlock war voll Zorn. »Willst du es übernehmen, mich zurechtzustutzen, Mister?«

»Ja«, schnappte der andere. »Ich werde dich verprügeln, dich in Stücke schlagen. Was ich von dir übrig lasse, Indianerfreund, können sie hinterher mit einer Kehrschaufel davontragen und an die Schweine verfüttern.

Der Bursche stieß sich vom Tresen ab. Der Männerpulk bildete eine Gasse, durch die er mit pendelnden Armen schritt. Seine Brauen hatten sich zusammengeschoben. Über seine Lippen platzte es: »Ich habe vernommen, wie die roten Bastarde in Columbus gewütet haben. Überhaupt ziehen Sie eine Blutspur des Schreckens durch das Land. Wer dafür Verständnis aufbringt, ist ein Verräter an der weißen Rasse. Man muss ihn in den Staub treten wie einen lästigen Wurm.«

Mit dem letzten Wort stürzte er sich auf Whitlock. Er ließ die rechte Faust fliegen. Whitlock nahm den Kopf zurück und der Schlag ging ins Leere. Der Bursche wurde halb herumgerissen. Whitlocks Hände schossen vor und erwischten ihn an der Weste. Mit einem Ruck riss er ihn dicht an sich heran. Sein Atem schlug in das Gesicht das Anderen, als er sagte: »Lass es gut sein, Mister. Du hast deine Meinung, ich habe meine. Wir leben in einem freien Land...«

Ein Aufschrei entrang sich Whitlock. Sein Gegner hatte das Knie hochgerissen und ihn empfindlich getroffen. Er ließ die Weste los und krümmte sich nach vorn, seine Augen traten weit aus den Höhlen. Der Schmerz lähmte ihn, Übelkeit stieg in ihm hoch, der Magen krampfte sich ihm zusammen. Und dann schien die Welt vor seinen Augen zu explodieren, als ihn eine kerzengerade Rechte mitten ins Gesicht traf. Blut schoss aus seiner Nase, sickerte aus seiner aufgeschlagenen Lippe, er war wie blind, und die Panik kam, weil er sich der brutalen Gewalt seines Kontrahenten ohnmächtig ausgeliefert sah.

»Gib es ihm!«, schrie jemand. »Schlag den Indianerfreund zu Klump.«

Whitlock hörte es wie aus weiter Ferne. Da traf ihn schon wieder ein brutaler Schwinger in den Magen. Er quittierte den Schlag mit einem verlöschenden Aufschrei. Sein Oberkörper schwang nach vorn und wurde von einem Aufwärtshaken abgefangen, der ihn wieder aufrichtete und auf die Zehenspitzen stellte. Die Benommenheit kam wie eine graue, alles verschlingende Flut. Sie brandete gegen sein Bewusstsein an und legte sein Denken lahm. Whitlock taumelte zurück, erhielt einen derben Stoß in den Rücken, wurde wieder nach vorne getrieben und rannte in einen weiteren Haken seines Gegners hinein. Sein Kopf wurde in den Nacken gerissen, er brach auf das linke Knie nieder, Schwäche rann durch seinen Körper und ließ keine Reaktion zu. Wie es aussah, war er den Fäusten des Schlägers auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Die Angst riss Whitlock hoch. Er schüttelte den Kopf, um die Benommenheit zu vertreiben. Sein Blick wurde wieder etwas klarer. Wie durch Nebel sah er seinen Gegner. In dessen Mundwinkel hatte sich ein brutaler Zug eingekerbt. Er hatte die Fäuste erhoben. Die Augen blickten hart wie Bachkiesel.

Es gelang Whitlock, seine Schwäche zu überwinden und er bot alle Willenskraft auf, um seine Gedanken zu formen und sich zu besinnen. Er vernahm ein Brausen, konnte es zunächst nicht deuten, schließlich aber wurde ihm bewusst, dass es sein eigenes Blut war, das in den Ohren rauschte.

Als sein Gegner nach ihm schlug, duckte er sich mehr instinktiv als von einem bewussten Willen geleitet. Die Faust radierte über seinen Kopf hinweg. Seinen Hut hatte er bereits verloren. Blindlings schlug er zu. Und er traf. Die Linke donnerte in das Gesicht des Anderen, die Rechte bohrte sich in seinen Magen. Ein japsender Ton erklang, der Bursche verneigte sich ungewollt, und ein Aufwärtshaken Whitlocks stellte ihn wieder gerade, ließ ihn zurücktaumeln und mit den Armen haltsuchend rudern.

Der Lieutenant atmete tief durch. Seine Lungen füllten sich mit frischem Sauerstoff. Etwas Energie schien in seinen Körper zurückzukehren. Und er verspürte Verbitterung. Nur weil er einem Indianerhasser nicht nach dem Mund gesprochen hatte, musste er sich herumschlagen. Er stieß hier nur auf Feindschaft und Unverständnis. Die Volksseele war am Kochen. Der Hass suchte ein Ventil. Und hier sollte er Opfer dieses Hasses werden, der sich gegen eine ganze Rasse richtete und jeden Sympathisanten einbezog.

Die Not seines Gegners nach den harten Treffern verschaffte Whitlock ein wenig Luft. Seine Hände öffneten und schlossen sich, um die Finger geschmeidig zu halten. Ein schneller Blick in die Runde ließ ihn erkennen, dass er nichts zu erwarten hatte. Er hatte Partei für die Apachen ergriffen, und das machte ihn automatisch zu einem Objekt der Feindseligkeit und Verachtung. Entgegenkommen gab es nicht. Und selbst wenn er den Schläger besiegte – am Ende musste er verlieren.

Resignation griff nach Whitlock. Er dachte an seine Mission. Sie war gefährdet, wenn er hier zerschlagen und vielleicht sogar zerbrochen wurde.

Jetzt griff sein Gegner wieder an. Seine Fäuste schwangen. Und dann kam seine Rechte. Es war ein weit aus der Hüfte gezogener Schwinger. Whitlock nahm den Kopf zurück, der Schlag ging ins Leere, der Lieutenant trat einen halben Schritt zur Seite und hämmerte seine Faust gegen die kurzen Rippen des Burschen. Und sofort ließ er die Linke fliegen. Sie traf seinen Gegner von der Seite gegen den Kopf.

Der Mann war angeschlagen.

Whitlock trat zurück und zog schnell den Revolver, richtete ihn auf seinen Gegner und spannte den Hahn. »Schluss jetzt.« Er schwang herum und schwenkte die Mündung der Waffe über die Schulter an Schulter stehenden Gaffer hinweg. »Macht Platz.« Seine Worte fielen wie Hammerschläge. Entschlossenheit prägte jeden Zug seines Gesichts.

Aber da warf sich der Bursche, der sich von den beiden Treffern wieder erholt hatte, von der Seite auf Whitlock. Er umklammerte ihn mit beiden Armen und riss ihn zu Boden. Der Revolver entfiel dem Lieutenant. Sie rollten über den Boden. Der Schläger kam auf Whitlock zu liegen, richtete den Oberkörper auf und kniete über ihm.

Der Lieutenant drosch dem Burschen die Faust von der Seite her gegen die Rippen. Ein abgerissener Ton entrang sich seinem Gegner. Sein Gesicht hatte sich verzerrt. Schweiß glitzerte auf seiner Stirn. Der hassvolle Ausdruck in seinen Augen war erschreckend. Whitlock erkannte darin Skrupellosigkeit und den unumstößlichen Willen, ihn im wahrsten Sinne des Wortes zu zertrümmern, ihn vielleicht sogar zu töten.

Der Lieutenant bäumte sich auf, wand sich, warf sich hin und her. Sein Gegner knallte ihm erst die linke, dann die rechte Faust gegen den Kopf. Whitlock sah Sterne. Nebel der Benommenheit schienen sich auf ihn zuzuschieben, die Ohnmacht brandete gegen sein Bewusstsein an, die Schwäche kroch wie flüssiges Blei durch seinen Körper.

Die Rechte seines Gegners knallte mitten in sein Gesicht. Hart krachte sein Hinterkopf auf die Fußbodendielen. Und dann legten sich die Hände des Schlägers wie Schraubstöcke um seinen Hals und pressten ihn zusammen. Whitlocks Mund klaffte auf, ein Ächzen entrang sich ihm, das in der Kehle erstickte, verzweifelt schnappte er nach Luft.

Da ging eine Bewegungen durch die Mauer aus Leibern, die sich um die beiden Kämpfenden aufgebaut hatte. Zwei Männer mit Sternen an den Westen drängten sich durch, einer packte den Burschen, der Whitlock würgte, am Kragen und riss ihn zurück. Der Kerl ließ los, flog auf den Hintern und brüllte eine lästerliche Verwünschung hinaus.

Whitlocks Lungen füllten sich derart vehement mit Sauerstoff, dass es ihm schwindlig wurde. Er drückte sich mit den Ellenbogen hoch und kam in eine sitzende Stellung. Seine Lungen pumpten, seine Bronchien pfiffen, sein Atem rasselte. Ein krampfhafter Husten schüttelte ihn. Dann half ihm einer der Deputys auf die Beine. »Was war los?«

»Er ist ein verdammter Indianerfreund!«, schrie einer wild. »Er hat ...«

»Ich suche Victorio«, sagte Whitlock zwischen keuchenden Atemzügen. »Meine Aufgabe ist es, mit ihm zu sprechen und zu versuchen, ihn zu neuen Verhandlungen zu bewegen. Ich kenne Victorio persönlich.«

»Woher kommen Sie, Lieutenant?«, fragte der Deputy.

»Tularosa, Mescalero-Reservat.« Whitlock wies mit einer knappen Geste auf den Mann, der von dem Überfall auf Columbus berichtet hatte und nun abwartend dastand. »Dieser Mann war in Columbus, als die Apachen die Stadt überfielen. Beim Tepee Butte war es eine Ranch, die ihnen zum Opfer fiel. Ich werde zum Tepee Butte reiten und versuchen, die Spur der Apachen aufzunehmen.«

»Ist es eine offizielle Mission, in der Sie unterwegs sind, Lieutenant, oder reiten Sie auf eigene Faust?«

Whitlock holte seinen Revolver und versenkte ihn im Holster. Dann hob er seinen Hut auf, stülpte ihn sich aber nicht auf den Kopf. »Ich reite im Auftrag Colonel Randalls. Also nehme ich an, dass meine Mission offiziell ist.«

»Sie wissen sicherlich, dass Victorios Kopf zwischenzeitlich 3.000 Dollar wert ist.«

»Das weiß ich nicht. Es interessiert mich auch nicht. Ich will mit dem Häuptling sprechen und ihm klar machen, dass er die gesamte Zukunft seines Volkes gefährdet, wenn er seinen blutigen Krieg gegen die Weißen nicht einstellt.«

»Wenn er aufgibt, bedeutet das für ihn, sich zu opfern. Ein zweites Mal wird man ihm keine Straffreiheit zusichern können. Das würde bei der breiten Masse der Öffentlichkeit auf wenig Verständnis stoßen.« Der Deputy zuckte mit den Schultern. »Aber das ist nicht mein Problem. Ich rate Ihnen, den Saloon zu verlassen, Lieutenant.«

Whitlock ging auf schwachen Beinen nach draußen. Bei einem Tränketrog kniete er nieder und steckte seinen Kopf in das Wasser. Er wusch sich Blut, Schweiß und Schmutz aus dem Gesicht. Das Schlucken bereitete ihm noch Mühe. Der Lieutenant setzte sich den Hut auf. Er fühlte sich einsam und überlegte, ob er in El Paso bleiben oder sofort weiterreiten sollte. Auf tauben Beinen ging er zum Mietstall. Der Stallbursche saß im Licht einer Laterne auf einer Futterkiste und schnitzte an einem Stück Holz herum. Der Geruch von Pferdeausdünstung und Leder stieg Tyler Whitlock in die Nase.

»Wie sehen Sie denn aus?«, fragte der Stallmann. Er hatte den Kopf gehoben und sein linkes Auge zugekniffen. »Sind sie unter die Stagecoach gekommen?«

»Wo finde ich den Tepee Butte?«, fragte Whitlock und setzte sich neben den Stallmann auf die Futterkiste.

»Etwa vierzig Meilen südöstlich von El Paso. Der Berg ist, soweit ich weiß, über 5.000 Fuß hoch und liegt nördlich der Poststraße zwischen El Paso und Pecos. Sie können ihn kaum verfehlen. Was wollen Sie denn dort? Hat dort nicht ein Überfall auf eine Ranch stattgefunden?«

»So ist es. Ich will die Spur der Apachen dort aufnehmen. Vielleicht führt sie mich zu Victorio.«

»Warum schießen Sie sich nicht gleich eine Kugel in den Kopf, Lieutenant?«, grollte der Stallmann. »Was Sie vorhaben ist selbstmörderisch. Die Apachen haben ihren Schlupfwinkel in Mexiko. Und es sind nicht nur sie, die Sie fürchten müssen. Mit den Rurales ist ebenso wenig zu spaßen. Wenn Sie über die Grenze gehen, wird das illegal sein, Lieutenant. Die Grenzreiter kennen da keinen Spaß.«

»Satteln Sie meine Pferde«, gebot Whitlock. »Ich reite weiter.«

Der Stallmann legte das Messer und das Stück Holz weg, das er bearbeitet hatte, spitzte die Lippen und sagte: »Sie opfern sich, Lieutenant. Weiß der Henker, was in Ihrem Kopf vorgeht. Sie werden am Ende verdammt enttäuscht sein, vorausgesetzt, man lässt Ihnen noch die Zeit, derartige Gedanken zu empfinden. Mit Worten lässt sich nicht mehr reparieren, was in der Beziehung zwischen Rot und Weiß zerstört wurde. Victorio wird erst Ruhe geben, wenn er tot ist. Ob Sie diesen Tag jedoch erleben, ist fraglich, Lieutenant. Sie opfern sich für eine verlorene Sache. Ein sinnloses Opfer, wenn Sie mich fragen.«

Die Worte hallten in Whitlock nach, als El Paso längst hinter ihm lag. Dunkelheit umgab ihn. Wie hingeduckte, schlafende Untiere aus grauer Vorzeit buckelten die Hügel um ihn herum. Fledermäuse zogen lautlose Bahnen durch die Finsternis. Der Mond hing groß und rund über den Graten im Südosten und schien höhnisch auf Whitlock herunterzugrinsen. Die Nacht verstärkte das Gefühl von Einsamkeit und Verlorenheit. Dazu kam die Skepsis, die Whitlock erfüllte, weil er begriffen hatte, dass seine Sache wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt war. Der Karren steckte tief im Dreck – und er war wohl zu schwach, um ihn da herauszuziehen. Er gab sich keinen falschen Illusionen hin.

*


Scott Wilburn und seine Kumpane zügelten die Pferde. Sie verhielten auf dem Kamm eines Hügels. Es war ein heißer Tag. Der Frühling hatte endgültig gesiegt. Die Sonne brannte das Land aus und ließ es unter der Hitze stöhnen.

Vor den Banditen lag Tularosa. Der Militärstützpunkt war nur durch Wälle, die um die Baracken, Magazine, Schuppen und Ställe aufgeschanzt waren, gesichert. Das Sternenbanner hing schlaff am Fahnenmast. Auf einem Turm aus Holz standen zwei Wachposten. Die Konturen verschwammen in der flirrenden Luft.

Am Fuß des Hügels war eine kleine Ortschaft entstanden. Der heiße Südwind wehte Staubfahnen über die Dächer. Einige Kinder spielten mit viel Geschrei mitten auf der Main Street. Unter einem Sonnendach aus Zweiggeflecht, das auf vier krummen Stangen lag, saßen drei bärtige Männer an einem Tisch und würfelten. Ein Gitternetz aus Licht und Schatten fiel auf sie. Am Rand der kleinen Ansiedlung waren Pferche errichtet, in denen Schafe, Ziegen und einige Milchkühe weideten.

Der Militärstützpunkt und die Ansiedlung vermittelten Ruhe und Frieden. Zwischen der Stadt und dem Armeecamp verlief der Rio Tularosa. Grünes Gebüsch säumte seine Ufer. Man hatte eine Furt aufgeschüttet. Bei der Furt hatte man auf beiden Seiten des Flusses eine Lücke ins Ufergebüsch geschlagen.

»Hier, scheint mir, liegt der Hund begraben«, verlieh Lester Wilburn seinem ersten Gedanken Ausdruck, der ihn beim Anblick des Ortes und des Camps durchfuhr.

»Wir werden nicht lange hier bleiben«, erwiderte sein Bruder. »Sobald wir Whitlock in die Hölle geschickt haben, verschwinden wir.« Scott Wilburn ruckte im Sattel und schnalzte mit der Zunge. Das Pferd setzte sich in Bewegung. Es schlug mit dem Schweif nach den blutsaugenden Bremsen an seinen Seiten. Das Fell des Tieres war staub- und schweißverklebt. Es ging mit hängendem Kopf und zog die Hufe erschöpft über den Boden.

Die Tiere der Banditen waren allesamt ziemlich am Ende. Der Ritt durch die Wildnis war aber auch bei den Banditen an die Substanz gegangen. Mehr als zweihundert Meilen Hitze, Staub und Unwegsamkeit hatten ihren Tribut von den Kerlen gefordert. Eine Schicht aus Schweiß und Staub verklebte ihre Poren, Staub knirschte zwischen ihren Zähnen, war unter ihre Kleidung gekrochen und hatte ihre Haut wundgescheuert, die Strapazen hatten tiefe Spuren in den Gesichtern eingegraben.

Sie passierten die ersten Häuser Tularosas. Ein Hund, der im Schatten gelegen hatte, erhob sich und streckte sich, dann gähnte er und trollte sich zwischen zwei Gebäude. Am Holm vor dem Saloon standen drei Pferde. Auf den Giebel eines hohen Holzgebäudes war mit großen Lettern gepinselt: J. W. Cunningham, Livery Stable.

Darauf ritten die Banditen zu. Auf ihre Pferde waren sie vielleicht noch angewiesen. Und darum dachten sie zuerst an die Tiere. Im Hof stiegen sie ab. Sporen klirrten, Staub knirschte unter ihren Sohlen. Ein Pferd warf den Kopf hoch und prustete. Hufe stampften.

Der Stallmann kam ins Freie. Er hielt mit beiden Händen eine Forke. Jetzt lehnte er die Mistgabel gegen die Stallwand, zog sich die Mütze tiefer in die Stirn und kam näher. »Ihr seht nicht aus, als hättet ihr einen Spazierritt hinter euch«, näselte er und kratzte sich am bärtigen Kinn. »Die Pferde bedürfen mindestens drei Tage der Ruhe. Und ihr seht nicht viel besser aus.«

Sie nahmen ihre Satteltaschen ab und zogen die Gewehre aus den Scabbards. »Wir werden etwa eine Woche bleiben«, knurrte Scott Wilburn. »In dieser Zeit werden Sie die Gäule wohl wieder hinkriegen, wie?«

Ein kantiges Grinsen hatte sich Bahn in das Gesicht des Banditen gebrochen. Seine entzündeten Augen glitzerten wässrig. Der Stallmann zog unwillkürlich den Kopf zwischen die Schultern.

Die Strolche verließen den Stall.

Scott Wilburn hatte tatsächlich vor, sich, seinen Gefährten und den Pferden eine Woche Erholungspause zu gönnen. In dieser Woche wollten sie nicht auffallen in dem Ort. Erst wenn sie und die Pferde wieder hundertprozentig fit waren, würde er sich Tyler Whitlock holen, ihn töten und aus Tularosa verschwinden. Für ihre Flucht brauchten sie ausgeruhte Tiere und auch sie selbst mussten vollwertig sein.

Es gab ein Hotel, in dem sie sich Zimmer mieteten. Nachdem sie ihre Satteltaschen auf die Zimmer gebracht hatten, begaben sie sich in den Barber Shop...

Es wurde Abend. Die Banditen hatten gebadet und sich mit den Örtlichkeiten vertraut gemacht. Jetzt befanden sie sich im Saloon. Sie hatten sich Steaks bestellt. Vor ihnen standen Krüge mit Bier. Lediglich Lester Wilburn fehlte. Der Bandit, den ein Leben außerhalb von Recht und Ordnung misstrauisch und wachsam gemacht hatte, schaute sich noch in der Stadt um.

Als der Keeper die Steaks servierte, kam auch Lester Wilburn in den Schankraum. Seine Schritte erzeugten auf den Dielen ein pochendes Echo. Die Türflügel schlugen knarrend aus. Lester Wilburn hielt ein zusammengefaltetes Blatt Papier in der Hand. Der Blick seiner Augen war düster. Nachdem er sich an den Tisch gesetzt hatte, schob er seinem Bruder wortlos das Papier zu.

»Was ist das?«

»Sieh es dir an.«

Scott Wilburn faltete den Bogen auseinander. Seine Augen verengten sich. In seinen Mundwinkel zuckte es. »Zur Hölle damit!«

Es war sein Steckbrief. Auf seinen Kopf waren tausend Dollar ausgesetzt. Tot oder lebendig. Es gab auch ein Bild von ihm. Eine Zeichnung, die wenig Ähnlichkeit mit ihm aufwies. Ein bartloses Gesicht. Die Beschreibung konnte auf jeden vierten Mann im Land zutreffen.

Scott Wilburn lachte verächtlich auf und knüllte den Steckbrief zusammen. Achtlos warf er ihn unter den Tisch. »Mach dir nicht in die Hosen, Bruder.«

»Das ist nicht alles, Scott«, knurrte Lester Wilson. »Ich habe mich ein wenig herumgehört. Das Wild, das wir jagen, befindet sich nicht in Tularosa.«

Scott Wilburns Kopf ruckte hoch. Er presste die Lippen zusammen. »Sag bloß.«

Lester Wilburn nickte. »Whitlock ist in einer besonderen Mission ins Grenzgebiet geritten. Es kann Wochen dauern, bis er wieder zurückkehrt.«

»Die Pest an den Hals dieses Hurensohnes!«, schnappte Scott Wilburn. »Er muss mit dem Satan im Bund sein.«

»Ich schlage vor, Tularosa so schnell wie möglich wieder zu verlassen«, sagte Lester Wilburn eindringlich. »So nahe an einem Armeestützpunkt fühle ich mich nicht wohl. Ross, Shane, Ken und Dan sind Deserteure. Die Armee sucht sie. Auch nach uns wird gefahndet. Der Steckbrief von dir spricht eine deutliche Sprache. Wir sollten nicht leichtsinnig werden.«

»Erst müssen unsere Pferde wieder hergestellt sein«, versetzte Scott Wilburn. »Und auch wir bedürfen einiger Tage der Ruhe.«

Sie machten sich über ihre Steaks her. Auch Lester Wilburn bestellte sich etwas zu essen und ein Bier. Später tranken sie noch eine Flasche Whisky, dann verließen sie den Saloon. Der Keeper hob den zusammengeknüllten Steckbrief auf und strich ihn glatt, las, was da stand und nickte zufrieden. Er würde sich die tausend Dollar verdienen.

Am folgenden Morgen begab er sich ins Camp zu Colonel Ernest Randall. Der Colonel mobilisierte sofort ein Dutzend Soldaten unter der Führung des Offiziers der Wache. Der Trupp begab sich in die Ansiedlung und umstellte das Hotel. Dann ließ First Sergeant Doug Norton seine Stimme erklingen: »Scott Wilburn! Wir wissen, dass Sie sich im Hotel befinden. Kommen Sie waffenlos und mit erhobenen Armen auf die Straße. Ich gebe Ihnen fünf Minuten Zeit. Wenn Sie sich dann nicht ergeben haben, holen wir Sie.«

Scott Wilburn stand in seinem Zimmer neben dem Fenster. Er war nur mit Unterwäsche bekleidet. Sie war von einem ausgewaschenen Rot und ziemlich zerschlissen. Im bärtigen Gesicht des Banditen arbeitete es.

Auf dem Flur erklangen Schritte. Dann krachte ein Schuss, ein zweiter. Die Detonationen drohten das Gebäude aus allen Fugen zu sprengen. Wilburn war klar, dass einige Soldaten bereits ins Hotel eingedrungen waren. Einer seiner Kumpane, der zur Treppe geschlichen war, musste geschossen haben. Vor der Zimmertür waren hastige Schritte zu vernehmen, dann wurde die Tür aufgerissen. Es war Ross Wallace. »Die Hölle verschlinge diese Aasgeier. Sie sind bereits in der Halle. Wir haben keine Chance, aus dem Hotel hinauszukommen.«

»Komm hierher, Ross!«, knurrte Scott Wilburn. »Wenn sich auf der Straße etwas bewegt, halte drauf. Hier oben können wir uns eine ganze Weile halten.«

»Wir sollten uns ergeben. Es ist aussichtslos.«

»Damit würden wir freiwillig den Kopf in die Schlinge stecken.«

»Was hast du vor?«

»Ich suche nach einem Ausweg für uns. Wie mögen diese Schufte darauf gekommen sein, dass ich Scott Wilburn bin?«

»Wahrscheinlich durch den Steckbrief, den du achtlos unter den Tisch im Saloon geworfen hast. Aber darüber jetzt nachzudenken ist überflüssig. Lass dir was einfallen. Wie du schon richtig bemerkt hast: Auf uns fällt der Schatten des Galgens.«

Scott Wilburns Gesicht verhärtete sich. Sein Kinn wurde eckig. Er zog sich schnell an, schnallte sich den Revolvergurt um und nahm sein Gewehr, dann verließ er das Zimmer und schloss die Tür. Er lief vor zur Treppe und äugte nach unten. Zu sehen war nichts, doch er war davon überzeugt, dass hinter der Rezeption und den Polstersesseln, die da unten um einen kleinen Tisch gruppiert warten, Soldaten lauerten. Die Linien, die sich von seinen Nasenflügeln bis zu seinen Mundwinkeln zogen, vertieften sich.

Auf der Straße ertönte es: »Sie haben noch drei Minuten, Wilburn. Lassen Sie es nicht darauf ankommen.«

Ein grimmig-entschlossener Ausdruck setzte sich in Wilburns Zügen fest. »Mich kriegt ihr nicht«, hechelte er, schwang herum und lief zurück in den Korridor, öffnete eine Tür zu seiner Linken und betrat das Zimmer. Es war leer. Wilburn ging zum Fenster und schob es hoch. Unter ihm war der Hof. Der Bandit beugte sich hinaus und blickte nach oben. Einen Yard über dem Fenster war die Dachkante. Wilburn wusste, dass der Saloon eine falsche Fassade besaß und er auf dem Dach von der Straße aus nicht gesehen werden konnte.

Er stieg auf die Fensterbank, legte sein Gewehr auf das Dach und kletterte hinterher. Das Dach war leicht schräg und fiel zum Hof hin ab. Die falsche Fassade überragte es um etwa anderthalb Yards.

Die Häuser waren zum Teil aneinander gebaut oder der Abstand zwischen ihnen betrug nur einen oder zwei Yards. Wilburn lief über die Dächer, bis eine Gasse seinem Weg ein Ende setzte. Er hatte an die fünfzig Yards hinter sich gebracht, ohne dass seine Flucht bemerkt worden wäre.

Er sprang auf das Dach eines niedrigen Schuppens und von dort aus in einen Hinterhof. Beim Hotel begann es zu krachen. Wilburn verließ den Hof und rannte vor bis zur Main Street, äugte um die Ecke des Hauses herum, das ihm Deckung bot, und sah einige Blauuniformierte schießend und hakenschlagend über die Straße laufen. Die fünf Minuten waren um, und die Soldaten fackelten nicht länger.

Scott Wilburn verschwendete im Moment keinen Gedanken daran, dass er seinen Bruder und seine Kumpane schmählich im Stich gelassen hatte. In diesem Fall war jeder sich selbst der Nächste. Es galt, das eigene Fell in Sicherheit zu bringen. Gedanken über seine Kumpane konnte er sich machen, wenn er seine Haut in Sicherheit gebracht hatte.

Die Bürger befanden sich in ihren Häusern. Ihre Herzen schlugen höher. So hautnah waren sie noch nie mit brutaler Gewalt konfrontiert worden. Die Häuser waren nur aus Holz gebaut und wie leicht konnte eine verirrte Kugel eine Wand durchschlagen. Der Ort stand im Banne des Schreckens und der Angst.

Die Banditen setzten sich zur Wehr.

Scott Wilburn rannte hinter den Häusern entlang, dann überquerte er die Main Street und erreichte den Mietstall. Der Stallbursche war nicht zu sehen. Auf der Straße herrschte jetzt Ruhe. Der Kampf schien vorbei zu sein. Mit fliegenden Fingern sattelte Wilburn sein Pferd, zäumte es, rammte die Winchester in den Scabbard und saß auf. Dann verließ er den Mietstall, ritt aber nicht auf die Straße sondern an einem Corral entlang hinaus in die Wildnis und verschwand zwischen den Hügeln...

*


Dan Connor war tot.

Ken Cramer war verwundet.

Shane Baker, Ross Wallace, Glenn Farley und Lester Wilburn wurden festgenommen.

Auf Seiten der Soldaten hatte es zwei Tote und drei Verwundete gegeben.

Die Gefangenen wurden eingesperrt. Sehr schnell wurde die Identität der Deserteure geklärt. Ihr Vergehen fiel unter die Militärgerichtsbarkeit. Für die Verbrechen Lester Wilburns und Glenn Farleys aber war der U.S. Marshal zuständig. Colonel Randall schickte einen Boten nach Albuquerque, damit die Gefangenen abgeholt wurden.

*


Tyler Whitlock ritt durch felsiges Land. Parallel zur Poststraße bewegte er sich zwischen den Hügeln. Nur zwanzig Meilen weiter südlich begann Mexiko. Das Gesicht des Lieutenants war von Faustschlägen gezeichnet. Er fühlte sich wie gerädert. Die Nacht hatte er in einer Gruppe von Felsen verbracht. Er hatte schlecht geschlafen und die Müdigkeit steckte ihm noch in den Knochen.

Die Tiere gingen im Schritt. Es war um die Mitte des Vormittags. Die Sonne stand im Südosten und schickte ihre glühende Hitze über das Land. Mücken, vom Schweißgeruch angezogen, piesackten Pferd und Reiter. Das Land, das Whitlock umgab, war wie ausgestorben. Staubige Flächen wechselten sich ab mit Inseln braunverbrannten Grases, riesige Kakteen und dorniges Strauchwerk bildeten die Vegetation. Aus dem Boden ragten hier und dort von Wind, Sonne und Regen blank und rund geschliffene Felsen mit einer dicken Moosschicht auf der Wetterseite.

Bei einem kleinen Creek, der zum Rio Grande floss, hielt Whitlock an. Der Fluss führte kaum Wasser. Eingetrocknete, rissige Fladen zusammengebackenen Schlammes bildeten den Ufersaum. Aber nur die Oberfläche war fest. Tief sanken seine Füße und die Pferdehufe ein, als Whitlock die Tiere zu dem Rinnsal in der Flussmitte führte, um sie zu tränken.

Plötzlich lauschte der Mann. Der zerflatternde Klang von Schüssen war herangeweht. Er drehte das rechte Ohr nach Osten und hielt den Atem an. Da war wieder das ferne Dröhnen, das nur verschwommen zu vernehmen war. Whitlock war sich sicher, dass irgendwo zwischen den Hügeln östlich von ihm ein Kampf stattfand. Er schluckte trocken. Waren wieder Apachen über die Grenze gekommen, um zu morden, zu rauben und zu brandschatzen? Was würde er vorfinden, dort, wo jetzt die Schüsse krachten?

Er schwang sich in den Sattel, zog das Pferd herum und gab dem Tier die Sporen. Das Packpferd wurde mitgezerrt. Im stiebenden Galopp donnerte er in die Richtung, aus der der Kampflärm immer vehementer heransickerte. Hin und wieder hielt Whitlock an. Ja, der Lärm wurde mit jeder Pferdelänge, der er sich dem Ort der Auseinandersetzung näherte, deutlicher. Schließlich trieb Whitlock sein Pferd eine Hügelflanke hinauf. Auf der anderen Seite des Hügels wurde gekämpft. Es war ein donnerndes Stakkato, das sich aus Detonationen, schrillem Geschrei und Hufschlägen zusammensetzte. Es trieb heran wie eine Botschaft von Untergang und Verderben.

Unterhalb des Hügelkammes, ehe er von unten gesehen werden konnte, hielt Whitlock das Pferd an, sprang ab und zog den Karabiner aus dem Scabbard. Die Longe des Tieres, das den Proviant trug, schlang er um den Sattelknauf und verknotete sie. Er lief die letzten Yards geduckt nach oben, warf sich auf den Boden und kroch über den Kamm, bis er den Blick nach unten frei hatte.

In der Senke waren vier Schlutterwagen mit hellen Planen über den Transportflächen zu einem Karree zusammengefahren. Unter den Fuhrwerken, hinter den hohen Rädern und auf den Transportflächen hatten sich Soldaten verschanzt und feuerten wie wild auf die Horde Indianer, die auf ihren Mustangs in einem weiten Kreis um die Wagenburg herumjagten und im vollen Galopp feuerten. Staub und Pulverdampf wölkten.

Die Apachen hingen an den Flanken ihrer Pferde und feuerten unter den Hälsen der Tiere hervor. Tote Pferde lagen im Gras, ebenso reglose Körper von Kriegern, die ihren blindwütigen Hass mit dem Leben bezahlt hatten.

Soeben wankte zwischen zwei Fuhrwerken eine blauuniformierte Gestalt hervor, drehte sich halb um ihre Achse und ging zu Boden. Die Maultiere, die vor die Wagen gespannt waren, zerrten nervös in den Geschirren. Einige der Tiere hingen tot in den Leinen. Und ununterbrochen zuckten die Mündungsblitze aus der Wand aus Staub, die sich rund um die Fuhrwerke aufgebaut hatte.

Viele der Apachen, deren Pferde getötet worden waren, lagen im Gras und feuerten auf die Wagenburg. Einige schnellten hoch und versuchten, Tomahawks und Keulen schwingend, zwischen die Wagen zu gelangen. Die Geschosse der Verteidiger fegten sie von den Beinen. Unermüdlich schwang der Tod die Sense...

Whitlock griff ein, repetierte, zielte, feuerte - repetierte aufs Neue... Es war ein fließender, glatter Bewegungsablauf. Und mit jeder Kugel fegte er einen Pferderücken leer. Eine Gruppe von Kriegern scherte aus und jagte ihre Pferde den Hügel hinauf, auf dem Whitlock lag. Er feuerte in rasender Folge. Der Pulk drehte ab. Die Apachen, die sich plötzlich in die Zange genommen sahen, flohen. Es waren noch etwa fünfzehn Krieger, die entkamen. Einige schnellten aus dem Gras zu beiden Seiten der Poststraße in die Höhe und folgten zu Fuß ihren Stammesgefährten. Kugeln aus der Wagenburg holten sie ein. Es gab keinen Pardon...

Der Lieutenant schwang sich auf sein Pferd und ritt hinunter zu den Fuhrwerken. Soldaten mit Pulverschmauch geschwärzten Gesichtern zeigten sich. Die Augen der Männer glühten fiebrig. Die knöcherne Klaue des Todes hatte sie berührt. Das nachträgliche Entsetzen wütete noch in den Mienen.

Whitlock hielt das Pferd an und verschränkte seine Hände über dem Sattelhorn. Aus dem Pulk einiger Soldaten trat ein Captain. Er war um die vierzig Jahre alt und hatte ein knochiges Pferdegesicht. »Sie hat, so scheint es, der Himmel geschickt, Lieutenant«, gab er zu verstehen. »Wahrscheinlich dachten die Rothäute, dass ihnen eine ganze Patrouille den Arsch aufreißt.« Er schwenkte den Blick hin und her, ließ ihn über den Hügelkamm schweifen. »Sind Sie wirklich alleine, oder...«

»Mein Name ist Whitlock«, sagte dieser und saß ab. »Ich versuche, Kontakt mit Victorio aufzunehmen. Das Bestreben ist, ihn zu bewegen, neu zu verhandeln. Man will das sinnlose Blutvergießen beenden. Und wenn es mir gelingt, Victorio zur Vernunft zu bringen...«

Der Captain winkte ab. »Vergebliche Liebesmüh. Den besänftigt keiner mehr. Victorio soll geschworen haben, lieber zu sterben, als sich noch einmal in einem Reservat niederzulassen. Ich bin Captain John Curtis und habe den Auftrag, diesen Versorgungstreck heil nach Fort Bliss zu bringen. Mit uns reist Jane Randall, die Tochter des Kommandanten des Stützpunktes in Tularosa. Von El Paso aus soll sie eine Eskorte nach Norden bringen.«

Da sah Whitlock auch schon die Frau. Sie kletterte aus einem Wagen und sprang von der Deichsel aus auf den Boden. Ihr Alter mochte bei fünfundzwanzig Jahren liegen, die dunklen Haare hatte sie hochgesteckt. Bekleidet war sie mit einem hellen Kleid, das allerdings ziemlich verschmutzt war, und dessen Saum bis zu den Knöcheln reichte. Auf ihrem Kopf saß ein kleiner Hut.

Sie kam näher und musterte Whitlock unverhohlen.

Der Lieutenant griff an die Krempe seines Hutes. »Ma'am«, sagte er, »Sie haben sich keine gute Zeit ausgesucht, um den Colonel zu besuchen.«

Sie hatte angehalten. »Kennen Sie meinen Vater?«

»Er ist mein direkter Vorgesetzter. Ich komme von Tularosa herunter. Erwartet Ihr Vater Sie?«

»Keine Ahnung. Ich habe bei einer Tante in Savannah gelebt. Vor vier Wochen ist sie gestorben. Ich habe Dad zwar einen Brief geschrieben und ihm mein Kommen angekündigt, aber ich weiß nicht, ob er den Brief erhalten hat.«

»Mir gegenüber hat er ihr Kommen mit keinem Wort angedeutet, Ma'am. Aber ich bin auch schon einige Zeit unterwegs. Vielleicht ist der Brief zwischenzeitlich angelangt.« Whitlock lächelte. »Willkommen im Lande, Ma'am. Es wäre mir eine Ehre, Sie nach Tularosa begleiten zu dürfen. Leider...«

»Die Apachen kommen zurück!«, gellte eine erregte Stimme.

Rastlosigkeit griff um sich. Die Männer liefen auseinander. Der Captain führte Jane Randall schnell zu einem der Wagen und half ihr hinauf. Ihre Miene drückte Schrecken aus. Die Schlagader an ihrem Hals pochte erregt. In ihren Augen irrlichterte die Angst.

Whitlock zerrte seine Pferde zwischen die Fuhrwerke, band sein Reittier an einem Rad fest und ging in Deckung. Eine Kugel befand sich in der Kammer seines Karabiners. Mit kalter Ruhe blickte er den Apachen entgegen, die aus einer Hügellücke donnerten und mit schrillem, abgehacktem Geschrei heranfegten. Die Hufe ihrer Pferde schienen kaum den Boden zu berühren. Die Krieger lagen fast auf den vorgestreckten Hälsen der Tiere. Wie die wilde Jagd stoben sie heran, eine dichte Staubfahne hinter sich herziehend.

Schüsse krachten. Pferde gingen nieder. Krieger flogen durch die Luft. Der Pulk riss auseinander und die beiden Gruppen jagten an der Wagenburg vorbei, hatten sie zwischen sich, Krieger warfen sich von den Pferden und sprangen, Gewehre und Tomahawks schwingend, über die Deichseln, drangen in die Wagenburg ein und wurden von den Soldaten empfangen. Ein Kampf – Mann gegen Mann -, entbrannte. Raues Geschrei stieg zum Himmel, Revolver krachten. Rote und Weiße sanken sterbend zu Boden. Todesschreie verhallten.

Ein Indianer hatte Whitlock angesprungen. Er trug Kriegsbemalung. Sein verzerrtes Gesicht erinnerte an eine dämonische Maske. Die Faust mit dem Kriegsbeil sauste nach unten. Der Lieutenant riss mit beiden Händen den Karabiner hoch und fing den Schlag ab. Sein Knie zuckte hoch und traf den Apachen in den Leib. Er krümmte sich nach vorn. Whitlock wirbelte das Gewehr herum und schlug den Gegner nieder. Und sofort wandte er sich dem nächsten zu, der mit langen Sätzen herankam und dessen Gesicht ebenfalls zu einer teuflischen Fratze verzerrt war...

Schließlich erkannten die Indianer, dass sie die Soldaten nicht besiegen konnten. Es waren genau vier, denen die Flucht gelang. Sie warfen sich auf herumstehende Mustangs und flohen wie von Furien gehetzt.

Der Kampf war vorbei. Das Blut der Toten und Verwundeten versickerte im hartgebackenen Boden. Sieben Soldaten waren der tödlichen Leidenschaft zum Opfer gefallen. Vier waren verwundet. Whitlock blutete aus einer Wunde an der Wange.

Tote Maultiere wurden ausgeschirrt. Der Captain kam zu Whitlock, der sein Gewehr auflud. »Es scheint vorbei zu sein. Werden Sie versuchen, den vier geflohenen Rothäuten zu folgen, Lieutenant.«

Whitlock nickte. »Ich muss jede Chance wahrnehmen, die sich mir bietet, um Victorio zu finden.« Er wischte sich über die Augen. »Was für ein Irrsinn. Es herrschte Frieden. Victorio war damit beschäftigt, sich eine Farm aufzubauen und war bereit, sein Leben den Wünschen der Verantwortlichen bei der Armee entsprechend einzurichten. Und dann kam ein Sheriff mit diesem lächerlichen Haftbefehl. Es mutet an wie ein Hohn.« Bitter lachte Whitlock auf.

Der Captain wollte Genaueres wissen. Zwischenzeitlich war auch Jane Randall wieder hinzugetreten. Sie und der Captain lauschten schweigend dem, was Whitlock von sich gab.

»Kleine Ursache, große Wirkung«, murmelte der Captain, als der Lieutenant geendet hatte. »Dieser Richter, der Victorios Verhaftung verfügte, sollte sich sein Lehrgeld zurückzahlen lassen. Wegen seines Irrsinns sterben Menschen.«

»Es ist ein Himmelfahrtskommando, auf das mein Vater Sie geschickt hat, Lieutenant«, meinte Jane Randall mitfühlend.

Whitlock war von ihr fasziniert. Er konnte sich ihrem Bann kaum entziehen. Ihr Gesicht bestach nicht so sehr durch seine Regelmäßigkeit, sondern durch seine Wärme und Fraulichkeit. Ihr Hals war weiß und schlank, die Linie des feingeformten Kinns makellos. Ihre Lippen waren voll und rot, der Mund war klassisch geschnitten, die Nase klein und gerade. Der Blick ihrer graugrünen Augen schien in den verborgensten Winkel seines Gehirns zu dringen.

Er nickte. »Mag sein, Miss Randall. Aber für den Frieden ist kein Einsatz zu hoch. Und wenn meine Mission von Erfolg gekrönt sein sollte, war es das, was ich auf mich zu nehmen gezwungen bin, wert. Ihr Vater ist ein Mann mit Weitblick. Für ihn ist ein Indianer keine mordende Bestie, sondern ein Mensch mit Stärken, Fehlern und Schwächen. Ihr Vater will Blutvergießen vermeiden und im Land den Weg für ein friedliches Nebeneinander ebnen.«

Der Captain verzog das Gesicht. »Der Keil zwischen Rot und Weiß sitzt derart tief, dass nur Gewalt den Frieden erzwingen kann. Glauben Sie mir, Lieutenant. Wir werden noch durch Blut waten. Dümmliche Arroganz, falscher Stolz, Sturheit und Ignoranz sind die Grundpfeiler der Politik in diesem Land. Leute wie sie und ich und die armen Schweine, die hier verblutet sind, haben die Suppe auszulöffeln.«

Der Captain spuckte zur Seite aus. Er war ein Mann, der mit beiden Beinen auf der Erde stand, ein Mann mit Verstand, der aus seinem Herzen keine Mördergrube machte. In Offizierskreisen wurden solche Leute gemieden. Bei den Unteroffizieren und Mannschaftsdienstgraden jedoch waren sie beliebt. Es waren Männer, die weder nach oben buckelten noch nach unten traten, die das Kind beim Namen nannten und Dummheit anprangerten. Das war sicher auch der Grund, weshalb man John Curtis trotz seines fortgeschrittenen Alters noch nicht zum Major befördert hatte.

Whitlock verabschiedete sich. Curtis wandte sich ab, um den Treck wieder auf den Weg zu bringen. Jane Randall sagte: »Ich hoffe, wir begegnen uns in Tularosa wieder, Lieutenant. Ich werde meinem Vater von ihrem heldenhaften Einsatz hier berichten. Ich denke, Sie sind ein Mann ganz nach dem Geschmack Dads.«

»Kann schon sein«, erwiderte Whitlock lächelnd. »Unsere Ansichten zumindest sind sich ziemlich ähnlich. Auch ich würde mich freuen, wenn wir uns in Tularosa wieder begegnen würden, Ma'am.«

»Viel Glück, Lieutenant. Geben Sie auf sich Acht.«

Whitlocks Herz schlug höher. Zwischen ihm und ihr war etwas, eine geheimnisvolle Allianz, ein Strom aus stummer Zuneigung und Verständnis, etwas, das nicht zu merken, wohl aber zu spüren war. Ihre Gesichtszüge wirkten in diesen Minuten besonders weich und gelöst, ein erregender Hauch von Fraulichkeit strahlte von ihr aus. Sie reichte Whitlock die Hand. Ein Strahlen entstand auf dem Grund ihrer Augen. »Ich freue mich auf Sie, Lieutenant.«

»Wir sehen uns wieder, Miss...«

»Sagen Sie Jane zu mir.«

»Wir sehen uns wieder, Jane.« Er löste seine Hand aus der ihren, schwang sich aufs Pferd, nahm die Zügel auf, winkte ihr noch einmal zu, dann zog er das Pferd herum und trieb es an.

Jane Randall blickte ihm nach, bis er über einer Bodenwelle aus ihrem Blickfeld verschwunden war.

*


Sie warteten zwischen den Felsen und Hügeln auf Tyler Whitlock. Von zwei Seiten fielen sie über ihn her. Die vier Krieger waren voll Hass und wollten ihn massakrieren. Eine schnelle Kugel schien ihnen zu gnädig für den verhassten Reitersoldaten.

Whitlock gab seinem Pferd unerbittlich die Sporen. Das Pferd, das er an der Longe führte, wurde mitgerissen. Er zog das Gewehr aus dem Sattelholster und schlug einen der Krieger vom Pferderücken. Der Bursche überschlug sich am Boden und rührte sich nicht mehr. Dann war der Lieutenant durch. Er stob zwischen die Felsen, saß ab und band die Pferde an den Ast eines Strauches. Das Gewehr hielt er mit beiden Händen. Er vernahm Hufschläge.

Whitlock verbarg sich. Das Hufepochen nahm an Lautstärke zu. Ein Pferd schnaubte prustend. Vorsichtig hebelte Whitlock eine Patrone in den Gewehrlauf. Unvermittelt trat Stille ein. Wieder wehte das scharfe Prusten eines Pferdes heran. Ein dumpfer Laut, als das Tier noch einmal mit dem Huf aufstampfte...

Ein Geröllhang verbarg den Reiter vor Whitlocks Blick. Von den beiden anderen Kriegern war nichts zu hören. Wahrscheinlich pirschten sie wie jagende Pumas durch die Schluchten und Einschnitte.

Whitlock war kalt wie ein Stück Eis.

Und dann sah er den Apachen. Der Krieger schob sich um einen Felsblock herum, blieb geduckt im Schatten stehen und sicherte nach vorn und zur Seite. In seinen Händen lag das Gewehr.

Whitlock trat er aus seiner Deckung. Im selben Sekundenbruchteil nahm ihn der Krieger wahr. Er riss das Gewehr hoch und schlug die Waffe auf Whitlock an. Dieser kniete gedankenschnell links ab und schoss gleichzeitig mit dem Apachen. Dessen Geschoss ging fehl, Whitlocks Blei hingegen riss den Krieger von den Beinen.

Die Schüsse klangen wie einer und dröhnten durch die Bergwelt, die Wände und Hänge schienen die Detonationen festzuhalten und immer wieder aufs Neue zum Leben zu erwecken. Schließlich verhallte das letzte Echo.

Whitlock hetzte zwischen die Felsen. Die anderen Apachen konnten nicht weit sein. Das Röcheln des Kriegers, dem er sein Blei verpasst hatte, erreichte sein Gehör, als er kurz verhielt, um hinter sich zu lauschen. Er vernahm schleichende Schritte. Ein Stein klackerte. An einer anderen Stelle über Whitlock löste sich ein faustgroßer Stein unter einem Tritt und polterte in die Tiefe. Einer der Krieger befand sich also über ihm auf dem Felsen, der die Höhe eines Hauses hatte. Whitlock presste sich eng an die raue Wand und zog sich zurück.

Ein Apache schlich um einen Felsen herum und sah seinen lang gestreckt daliegenden und leise wimmernden Gefährten. Er drückte sich in einen Spalt und sicherte um sich. In seinem Gesicht zuckte kein Muskel. Aber in seinen Augen glomm der Funke einer ungezügelten Wildheit.

Auf dem Kamm eines Geröllhanges erschien ein Krieger. Mehr auf den Fersen seiner Mokassins schlitternd als laufend und verzweifelt mit den Armen rudernd, um das Gleichgewicht zu bewahren, kam er den Abhang herunter. Loser Untergrund kam unter ihm ins Rutschen, Steine sprangen vor ihm her in die Tiefe, und er musste alle Geschicklichkeit aufbieten, um nicht zu stürzen und von einer Gerölllawine mitgerissen zu werden.

Keuchend kam er unten an. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und aus den Augenhöhlen. Gehetzt schaute er sich um.

Er konnte Whitlock nirgends entdecken. Dieser war im Gewirr aus Fels und Dornengestrüpp verschwunden, als hätte es ihn nie gegeben.

Sein Gefährte pirschte um einen Fels. Der Krieger erschrak und richtete das Gewehr auf ihn. Im letzten Moment erkannte er seinen Verbündeten. Er bedeutete ihm, sich nach rechts zwischen die Felsen zu schlagen und verschwand nach links. Geduckt glitt er, jeden Schutz ausnutzend und unablässig um sich sichernd, im Schattenfeld eines der steinernen Riesen dahin. Es gab Spalten und Risse, an die er sich vorsichtig heranschob, in denen aber keine Gefahr für ihn lauerte.

Ein Schuss brüllte auf. Der Krieger blieb wie angenagelt stehen und drehte das Ohr in die Richtung, aus der er erklungen war. Die Echos antworteten, und in sie hinein peitschte hell eine Winchester.

Während der Apache sich wieder bewegte und an der rauen Wand entlangpirschte, kauerte Whitlock tief geduckt und flach atmend in einem klaffenden Riss.

Leise, huschende Schritte kamen näher. Whitlock sah den Gegner nicht, aber er wusste, aus welcher Richtung er heranpirschte. Der Lieutenant hielt das Gewehr fest gepackt. Vorsichtig spähte er über den Rand des Spalts, in dem er sich verkrochen hatte. Schweiß rann ihm in die Augen. Staub verklebte seine Poren. Seine Beinmuskulatur begann sich zu verspannen. Mit aller Macht spürte er die Erschöpfung nach den Strapazen der vergangenen Tage.

Als er den Krieger auftauchen sah, wartete er ab. Er wusste nicht, ob der andere in der Nähe steckte und er sich mit einem Schuss auf den Burschen, den er vor sich hatte, verriet. Whitlock entging nicht das Zögern des Apachen. Der Bursche war sich nicht sicher, ob er noch einen Schritt wagen konnte. Zwischen ihm und der Deckung eines wie von Riesenhand hingelegten Findlings auf der Sohle zwischen den Steilhängen betrug die Entfernung gut fünfzehn Schritte.

Whitlock verlor schließlich die Geduld. Er nahm einen Stein und schleuderte ihn über den Rand des Risses zwischen die Felsen. Der Indianer fiel prompt auf den plumpen Trick herein und reagierte ansatzlos. Er schnellte halb herum, duckte sich, um ein möglichst kleines Ziel zu bieten, und feuerte. Und jetzt ließ auch Whitlock seine Winchester sprechen. Er sah den Krieger hochtaumeln, registrierte sein Aufbrüllen, und kroch schnell in dem Spalt davon. Er hatte dem Apachen die Schulter zerschossen.

Atemlos erreichte einer der Krieger sein Pferd. Er leinte es los und warf sich in den Sattel. Plötzlich hatte er es höllisch eilig. Sein unsteter Blick sprang hin und her. Er war bereit, auf alles zu feuern, was sich bewegte. Wild hämmerte er dem Tier die Fersen in die Seiten. Das Pferd sprang mit einem harten Ruck an. Als es die Bodenbeschaffenheit zuließ, ließ der Krieger die Zügel schießen.

Der Hufschlag war weithin vernehmbar. Der Apache mit der zerschossenen Schulter tastete sich an einem Felsen entlang, presste seine Hand auf die stark blutende Wunde und der glühende Schmerz raubte ihm fast die Besinnung.

Auch Whitlock vernahm das sich schnell entfernende Hufgetrappel. Er presste die Lippen zusammen, sodass sie nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. Das Pferd wurde nach Süden gejagt, in Richtung Grenze also. Whitlock richtete sich auf und rannte zurück. Plötzlich hatte er den verwundeten Apachen vor sich. Der Krieger klebte regelrecht mit dem Rücken an einem Felsen, die linke Hand auf die Schulterwunde pressend. Das Gewehr hielt er in der Rechten.

Sofort verhielt Whitlock, krümmte sich nach vorn und riss den Karabiner an die Hüfte.

»Nicht schießen!«, schrie der Krieger mit kippender Stimme und ließ das Gewehr fallen. Er hatte es im Mimbres-Dialekt hervorgestoßen, aber Whitlock verstand ihn dennoch. Der Apache rutschte langsam am Felsen zu Boden und stöhnte gequält.

Whitlock näherte sich dem Krieger mit der gebührenden Vorsicht. Die Heimtücke im Blick des Apachen war nicht zu übersehen. Er konnte Whitlock nicht täuschen, auch wenn er sich gab wie ein vom Schmerz ausgehöhlter und vom Blutverlust geschwächter Haufen Elend.

»Du gehörst zu Victorio, nicht wahr?«, presste Whitlock hervor und stieß den Krieger mit dem Gewehrlauf an. Er drückte ihm die Mündung gegen die Brust. Blut quoll zwischen den Fingern des Apachen hervor. Unter seinem linken Auge zuckte ein Muskel.

»Wir werden euch alle töten!«, zischte der Apache in schlechtem Englisch.

»Man hat Victorio Unrecht getan«, sagte Whitlock geduldig. »Ich will mit dem Häuptling sprechen. Mein Name ist Whitlock. Warst du dabei, als ich euch von Fort Wingate nach Tularosa brachte?«

»Nein. Du bist weiß und mein Feind.«

»Bring mich ins Lager Victorios, mein Freund. Wie ist dein Name?«

»Low Dog. Geredet ist genug geworden. Ihr Weißen habt mit gespaltener Zunge gesprochen. Jetzt herrscht Krieg.«

In den Augen des Kriegers blitzte es auf. Wie eine Warnung vor drohendem Unheil registrierte Whitlock es, und er vernahm hinter sich ein Geräusch. Er benötigte nicht den Sekundenbruchteil zwischen Erkennen und Reagieren. Und das rettete ihm das Leben. Ansatzlos wirbelte er herum und warf sich zur Seite. Ein Gewehrkolben pfiff an seinem Kopf vorbei, streifte ihn schmerzhaft an der Schulter, und er schaute in das verzerrte Gesicht des Apachen, der den Schlag geführt hatte. Der Schlag hätte ihm den Schädel zertrümmern sollen.

Whitlocks Bein schnellte hoch und sein Fuß knallte in den Leib des Kriegers. Er brüllte auf, brach auf die Knie nieder, riss instinktiv die Arme mit dem Gewehr hoch, aber da traf ihn Whitlock schon mit dem Gewehrkolben von der Seite gegen den Kopf. Er brach zusammen.

Der Krieger mit der Schulterwunde warf sich auf den Lieutenant, umklammerte ihn von hinten mit beiden Armen und stöhnte vor Schmerzen. Whitlock rammte den Ellenbogen zurück, traf den Krieger in den Leib und dieser löste seine Umklammerung. Der Lieutenant schleuderte sich herum. Da griff der Bursche, der am Boden lag, mit beiden Händen zu und erwischte ihn am rechten Knöchel. Whitlock versuchte sein Bein aus der Umklammerung zu zerren, rammte den Gewehrkolben auf den Krieger hinunter und traf ihn zwischen den Schulterblättern. Die Hände des Apachen öffneten sich, Whitlocks Bein war frei. Der Lieutenant schlug mit dem Gewehrlauf nach dem Apachen mit der Schulterwunde. Der Krieger brach zusammen.

Der Lieutenant hob die Waffen seiner Gegner auf und schleuderte sie weit fort. Dann verband er die Wunden der beiden Apachen und flößte er ihnen etwas Wasser zwischen die Lippen. Sie waren wach. Unter halb gesenkten Lidern hervor beobachteten sie ihn. In ihren dunklen Augen glomm das Feuer einer nicht zu unterdrückenden Leidenschaft, da waren aber auch Unsicherheit und Unverständnis.

»Warum tötest du uns nicht?«, fragte einer der Krieger kehlig. Es war der mit der Schulterverletzung. Der andere hatte nur eine stark blutende Platzwunde am Kinn, die er sich zuzog, als ihn Whitlock mit dem Gewehr aus dem Sattel schlug. Der dritte der Krieger war tot.

»Was hätte ich davon?«, fragte Whitlock.

»Zwei tote Feinde mehr...«

»Ihr seid nicht meine Feinde. Außerdem gibt es für mich keinen Grund, mich mit der Anzahl der von mir getöteten Feinde zu brüsten. Ich habe mich gegen euch lediglich zur Wehr gesetzt.« Er unterbrach sich und beugte sich über den Krieger. »Du wirst es nicht glauben, aber ich bin ein Freund des roten Mannes. Vor allen Dingen ein Freund Victorios, den ich sprechen muss. Er sollte mich anhören. Es wäre für ihn und das Volk der Mimbres von Nutzen.«

Der Krieger spuckte aus. »Worte sind Schall und Rauch, Nantan. Man hat dem roten Volk lange genug Sand in die Augen gestreut. Friede wird erst sein, wenn der letzte Weiße tot ist.«

Whitlock zog die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf herum. »Fürchtest du, dass ich in Victorios Lager reiten und ihn töten könnte?«

»Es wäre auch dein Tod.«

»Na siehst du. Sehe ich aus wie ein Selbstmörder?«

»Victorio wird dich töten lassen.«

»Darauf lasse ich es ankommen.«

»Mir scheint, du bist sehr mutig.«

»Ich will Frieden.«

»Enju, Nantan, ich glaube dir. Wir bringen dich zu Victorio. Sei dir klar, dass du offenen Auges in dein Verderben rennst.«

»Warten wir es ab. Victorio ist ein vernünftiger Mann. Er wird sich meinen Worten zugänglich erweisen.«

Whitlock verspürte eine Art von Triumph in sich. Er war Victorio so nahe wie nie zuvor seit seinem Aufbruch in Tularosa. Angst spürte er nicht. Tief in seinem Innersten war er davon überzeugt, dass Victorio kein blindwütiger Mörder war, dass dem Häuptling der herrschende Zustand ebenso wenig gefiel wie den vielen Menschen im Land, die sich nach Ruhe und Frieden sehnten.

*


Die mexikanischen Soldaten hatten sich zu beiden Seiten der Schlucht verborgen. Die beiden Ausgänge waren abgesperrt. Der Morgen graute.

Die Squaws im Lager der Apachen entzündeten Feuer. Sie holten Wasser von dem kleinen Creek, der sich durch die Schlucht sein Bett gegraben hatte. In Seilcorrals befanden sich die Reittiere der Krieger. Einige Schafe und Ziegen liefen frei in der Schlucht herum. Ein Hund bellte. Ein anderer stimmte ein.

Die Soldaten hatten in der Nacht Stellung bezogen. Die Apachen waren arglos. Erst am Vorabend war eine Gruppe Krieger zurückgekommen. Sie hatten eine Hazienda überfallen, die Bewohner getötet und einige Dutzend Rinder abgetrieben.

Ihrer Spur war die Patrouille gefolgt. Die Scouts hatten das Lager der Apachen gefunden. Es befand sich in der Sierra Amargosa. Im Schutz der Nacht hatten sie das Lager umzingelt.

Vögel begannen zu zwitschern. Die Krieger krochen aus ihren provisorischen Unterkünften und Tipis, von denen es allerdings nur wenige gab. Sie dehnten und reckten sich – und sie waren arglos.

Es wurde hell. Die Sonne stand im Osten. Kinder spielten. Hunde tollten durch das Lager. Die Kochfeuer brannten. Frauen versahen die tägliche Arbeit. Einige alte Männer hockten vor den behelfsmäßigen Unterkünften am Boden und rauchten Pfeife.

Und dann fiel ein Schuss.

Es war der Auftakt zu einer blutigen Tragödie. Die Soldaten rings um das Lager eröffneten das Feuer. Die beiden Gruppen, die die Zugänge zur Schlucht besetzt hielten, rückten vor. Squaws packten ihre Kinder und ergriffen die Flucht. Alte humpelten hinter ihnen her. Schreie der Angst, des Entsetzens und der Verzweiflung wurden laut. Kinder fingen zu weinen an. Die Krieger holten ihre Waffen, soweit sie nicht schon unter den ersten Salven zusammengebrochen waren.

Soldaten sprengten brüllend, schießend und säbelschwingend zur Mitte des Lagers und trieben die vom Grauen geschüttelten Menschen zusammen. Die ersten Zweighütten und Tipis gingen in Flammen auf. Die Soldaten trieben ihre Pferde hin und her, verfolgten Flüchtende und hieben und schossen sie nieder. Sie befanden sich in einem wahren Blutrausch und waren nur vom Willen zum Töten beseelt. Rauchschwaden zogen davon; dunkel, dichtgeballt, wie Signale von Untergang und Verderben. Staub wogte und vermischte sich mit dem Rauch.

Die Soldaten trieben die wenigen Überlebenden davon. Stille senkte sich in die Schlucht – die absolute Stille des Todes...

Als am späten Nachmittag eine Gruppe von Apachen in die Schlucht kam und vor dem Bild des Grauens stand, hatte der Wind die Spur der Soldaten verweht. Die Feuer, die die Tipis und anderen Unterkünfte vernichtet hatten, waren ausgegangen. Schwärme von Fliegen hatte der Blutgeruch angezogen. Es gab kaum Überlebende.

Victorio sprach mit einem verwundeten alten Mann. »Sie kamen, kurz nachdem es Tag geworden war«, sagte der Alte. Schweiß rann über sein zerfurchtes Gesicht. Seine Lippen zuckten. »Plötzlich krachten Schüsse. Sie haben auf alles geschossen, was sich bewegte. Die wenigen Überlebenden haben sie mitgenommen. Uns, die verwundet sind und sterben werden, ließen sie liegen. Es ist schlimm. Die Weißen führen sogar Krieg gegen Frauen und Kinder.«

Victorio richtete sich auf. Unter den Toten waren auch seine Squaw und sein jüngerer Sohn. Sein Mund war schmal, eine harte Linie in seinem asiatisch anmutenden Gesicht. In seinen Augen spiegelte sich der unversöhnliche Hass wider. »Reitet in die Reservate, Krieger, und berichtet unseren Brüdern und Vettern von dem Massaker, das die mexikanischen Bastarde hier angerichtet haben. Fordert unsere Brüder und Vettern in White Mountain und Tularosa auf, sich zu uns zu gesellen. Es kann keinen Frieden mehr geben zwischen Weiß und Rot. Wir werden unsere toten Frauen und Kinder furchtbar rächen.«

Victorios Herz war kalt und tot. Er kannte nur noch ein Ziel. Blutige Rache...

*


Die beiden Krieger brachten Whitlock in die Schlucht. Der Magen drehte sich dem Lieutenant um, als ihm das Bild von Tod und Untergang mit furchtbarer Intensität in die Augen sprang. Seine Kehle trocknete schlagartig aus. Ein Ton kämpfte sich in ihm hoch, ein zittriger Laut des Entsetzens, der im Ansatz erstickte. Das Grauen wob in seinen Augen.

Die Apachen hatten ihre Toten nicht beerdigt. Um sie zu verbrennen fehlte es am nötigen Holz. Also hatten sie sie liegen lassen.

Verwesungsgeruch erfüllte den Platz zwischen den Felswänden. Aasgeier und Coyoten hatten den Leichen teilweise schon das Fleisch von den Knochen gerissen. Einige der Geier saß am Boden und drehten die hässlichen Köpfe in die Richtung der drei Reiter, die am Rande des Schauplatzes dieses Irrsinns brutaler Gewalt verharrten. Zwei der großen Vögel stritten sich um ein Stück Beute. Mit den Flügeln schlagend gingen sie zornig krächzend aufeinander los.

»Großer Gott!«, entrang es sich Whitlock. Er war angewidert, erschüttert, ergriffen, das Grauen würgte ihn. Eine ganze Gefühlswelt in den Augen ließ er seinen Blick über die Stätte des Todes gleiten. Und er fragte sich, wozu Menschen noch fähig waren.

Auch die Mienen der beiden Krieger zeigten Entsetzen. Einer von ihnen saß ab und ging zwischen den Toten herum. Seine Lippen bewegten sich, doch drangen keine Worte über sie. Dann kam der Apache zurück. »Ich habe meinen Vater gesehen.« Seine Stimme klang dumpf. »Er ist tot. Sie haben ihn erschlagen wie einen räudigen Hund.«

»Hast du Victorio gefunden?«, fragte Whitlock. »Ist auch er tot?«

»Nein. Der Häuptling ist nicht unter den Toten. Vielleicht haben sie ihn gefangen genommen. Vielleicht befindet er sich auf der Flucht. Da siehst du es, Nantan. Den Frieden, von dem du träumst, kann es nicht mehr geben. Das hier schreit nach Vergeltung. Frauen, Kinder und Alte. Kehr in dein Land zurück, Pferdesoldat, und warte dort auf den Tod, den die Stämme der Apachen über die Bleichgesichter bringen werden. Frieden kann es nicht mehr geben.«

»Ihr seid frei«, sagte Whitlock. »Vielleicht befindet sich Victorio nicht in Gefangenschaft. Reitet und sucht ihn, und bestellt ihm von Tyler Whitlock, dass er den Krieg, den er führt, nicht gewinnen kann. Am Ende werden viele Apachen tot sein. Und der Schrei nach Vergeltung wird ungehört in der Wildnis verklingen.«

Die beiden Apachen trieben ihre Pferde an. Einer sagte: »Deine Worte sind in den Wind gesprochen, Nantan. Es gibt nur eine Antwort, und die lautet Krieg.«

Die beiden ritten an Whitlock vorbei tiefer in die Schlucht hinein. Langsam folgte er ihnen. Er blickte in die erstarrten Gesichter der Toten, die im letzten Entsetzen ihres Lebens und in Todesangst verzerrt waren, und er konnte den Anblick kaum ertragen. Etwas in ihm schien zu zerbrechen. Und es war nicht nur die Nähe des Todes, die ihm so sehr zusetzte. Es waren auch die Gedanken an die Zukunft. Die Apachen würden ihren Krieg noch brutaler, noch grausamer führen. Bilder zogen wie Visionen an Whitlocks geistigem Auge vorbei – Bilder der Gewalt, der Vernichtung, des Unterganges und des Todes. Es war wie ein Film, der in seinem Bewusstsein ablief. Er erschauerte. Der Eishauch des Todes schien ihn zu streifen.

Langsam folgte er den beiden Apachen. Sie drehten sich nicht um. Für sie ging von dem weißen Offizier keine Gefahr aus. Doch wenn er ihnen folgte, würden sie ihn töten und seinen Skalp nehmen.

*


Die Patrouille ritt über die Ebene. Ein staubiger Arroyo zerteilte sie in zwei Hälften. Geröll lag auf seinem Grund. Die Böschungen waren steil und sandig.

Unbarmherzig brannte die Sonne vom Himmel. Staub wehte zwischen den Pferdehufen. Zwei Scouts ritten vor der Patrouille. Ein Teniente und ein Sargento führten die Truppe. Die braunen Hemden der Soldaten waren durchschwitzt. Schweiß rann ihnen in Bächen unter den Mützen hervor über die Gesichter. Die Tiere zogen müde die Hufe durch den Staub und über das Geröll.

Whitlock ritt aus einer Hügellücke und zügelte sein Pferd. Seine blaue Uniform war vom Staub gelb gepudert.

Einer der Scouts rief etwas nach hinten. Wahrscheinlich hatte er den einsamen Reiter entdeckt. Der Teniente ließ die Patrouille anhalten. Der wirbelnde Staub legte sich.

Langsam ritt Whitlock auf die Truppe zu. Entbehrungen und Strapazen standen den Soldaten in die Gesichter geschrieben. Sie trockneten sich mit den Halstüchern die Gesichter ab. Mit entzündeten Augen musterten sie den US-Kavalleristen.

Vor dem Teniente und dem Sargento zügelte Whitlock das Pferd. »Ich bin Lieutenant Tyler Whitlock«, stellte er sich mit heiser krächzender Stimme vor.

»Ich bin Teniente Paco Montega. Wo haben Sie ihre Leute gelassen, Lieutenant?«

»Ich bin alleine unterwegs.«

»Dieses Land macht Victorio mit seinen Guerillas unsicher«, erklärte der Oberleutnant. »Wir durchkämmen es auf der Suche nach ihm. Was hat Sie alleine in diese Einöde getrieben, Lieutenant?«

»Ich soll Victorio finden und mit ihm verhandeln. Vor einer Woche bin ich auf sein Lager gestoßen. Es gab dort nur noch tote Männer, Frauen und Kinder.«

»Im Land wimmelt es von Patrouillen wie dieser«, sagte Montega. »Sie alle jagen Victorio und seine Renegaten. Es ist ein Kesseltreiben, das wir auf ihn veranstalten, und es ist sicher nur noch eine Frage der Zeit, bis wir seiner habhaft werden.«

»Mit ihm zu verhandeln wäre sicher weniger blutig.«

»Por Dios, Lieutenant, für Verhandlungen mit diesem Verbrecher gibt es keinen Platz mehr. Er gebärdet sich wie ein wildes Tier. In den Reservaten am Gila River und bei Tularosa laufen die Indianer davon, um sich ihm anzuschließen.«

»Unzufriedene Indianer, die den Versprechungen der Weißen nicht mehr vertrauen.«

Die Rechte des Teniente wischte ungeduldig durch die Luft. »Seit Neuestem gibt es ein bilaterales Abkommen, das es den Grenzpatrouillen der mexikanischen Armee und der US-Kavallerie ermöglicht, gemeinsame Aktionen zu beiden Seiten der Grenze zu unternehmen. Wir sind ermächtigt, auf der Jagd nach Victorio die Grenze zu überschreiten. Auf seinen Kopf sind 3.000 Dollar Prämie ausgesetzt.«

»Solange die Armeen Mexikos und Amerikas hilflose Frauen und Kinder niedermetzeln, ist an Frieden nicht zu denken«, sagte Whitlock. Er seufzte. »Meine Mission ist wohl wirklich nur noch eine Farce. Ich werde nach El Paso reiten, um Verbindung zu meinem Vorgesetzten aufzunehmen.«

»Tun Sie das, Señor. Für Gespräche mit Victorio gibt es keine Basis mehr. Die Regierungen beiden Länder wollen ihn tot sehen. Der Überfall auf das Lager der Apachen geschah, weil man den Häuptling in der Schlucht vermutete. Er muss vom Angesicht der Erde verschwinden. Weiße, die ihm in die Hände fallen, foltert er bestialisch. Das hat nichts mehr mit Krieg zu tun. Er hat sich zu einer den niedrigsten Trieben gehorchenden Bestie entwickelt.«

Whitlock legte die Hand an den Hut und ritt weiter.

Die Patrouille setzte sich wieder in Bewegung.

Als der Lieutenant den Rand der Ebene erreichte, drehte er sich um und schaute zurück. Aufgewirbelter Staub markierte den Weg, den die Soldaten zwischen die Hügel genommen hatten. Whitlock ließ seinen Blick schweifen. Er fühlte sich unbehaglich. Längst hatte er es aufgegeben, den beiden Apachen zu folgen. Er traute ihnen nicht und wollte nicht in einen Hinterhalt reiten. Dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, beobachtet zu werden. Sein Proviant war zur Neige gegangen. Er hatte am Nachmittag einen Präriehasen geschossen, dessen Hinterläufe er zusammengebunden hatte und der am Sattel des Packpferdes hing. Sobald der Abend kam, wollte Whitlock ihn braten.

Hügeliges Terrain nahm ihn auf. Er dachte über die Dinge nach, die er von dem Teniente erfahren hatte. Die USA und Mexiko hatten ein Abkommen getroffen, das ihre Grenztruppen zur Zusammenarbeit ermächtigte und ihnen erlaubte, bei der Verfolgung der Apachen jeweils das andere Land zu betreten und dort zu agieren. Man hetzte Victorio und seine Krieger wie tollwütige Wölfe. Whitlock begriff, dass sich Victorio gar nicht mehr ergeben konnte, denn auf ihn wartete der Galgen. Die Sinnlosigkeit seines Unternehmens wurde dem Lieutenant mehr und mehr bewusst.

Er schaute nach dem Stand der Sonne. Ihre Konturen verschwammen. Sie verwandelte das Land in einen Glutofen. Whitlock schüttete den Rest seines Wassers in die Krone seines Hutes und tränkte die Pferde. Er musste einen Fluss finden.

Reite nach El Paso!, mahnte ihn eine innere Stimme. Du kannst nichts mehr beeinflussen. Als du losgeritten bist, war Victorio nur ein gesuchter Pferdedieb. Jetzt wird er als vielfacher Mörder gejagt ...

Die Pferde gingen im Schritt. Die Hitze füllte beim Atmen die Lungen wie mit Feuer. Der Wind trieb Staubfahnen hoch und zerpflückte sie. In der flirrenden Luft verschwammen die Konturen der Hügel und Felsen wie hinter einer Wand aus Wasser. Eine Klapperschlange lag in der prallen Sonne. Sie hatte den Kopf erhoben. Die beweglichen Hornringe am Schwanz vibrierten. Das dabei entstehende Geräusch erinnerte mehr an ein zischelndes Schwirren als an Klappern. Die Pferde schnaubten erregt. Das Tier, das Whitlock mit sich führte, scheute zur Seite. Doch die Schlange wandte sich ab und kroch schnell zwischen das Geröll.

Whitlock lenkte die Pferde eine Hügelflanke hinauf. Hüfthohes Gebüsch wuchs hier. Der Boden war sandig. Auf dem Kamm hielt er an, holte das Fernglas aus der Satteltasche und blickte in die Runde. Nichts. Soweit das Auge reichte, nur totes, von der Sonne verbranntes, ausgestorbenes Land.

Whitlock ritt nach Westen. Er spürte Durst. Das Gefühl wurde nach und nach übermächtig. Und dann begann das Pferd zu lahmen, das er ritt. Whitlock saß ab und untersuchte den Huf. Das Tier hatte sich einen spitzen Stein in die Hornsohle eingetreten. Es schnaubte und setzte den Huf nicht auf den Boden. Whitlock holte den Stein heraus. Hoch über ihm schwebten Geier. Er führte das Tier. Aber schon bald brannten ihm die Füße. Er stieg auf das Reservepferd. Das Schlucken bereitete ihm Mühe. Seine Speicheldrüsen waren versiegt. Seine Mundhöhle war trocken, seine Lippen wurden rissig.

Es hatte alles keinen Sinn mehr. Der Lieutenant wandte sich nach Norden. Als das Pferd, auf dem er saß, von selbst anhielt, stieg er ab. Die Tiere wollten nicht mehr. Nirgendwo gab es Schatten. Whitlock hob das Gesicht und blickte zum ungetrübten Himmel hinauf. Die Geier waren ihm gefolgt. Vor ihm lag eine staubige Ebene mit riesigen Saguaro Kakteen. Whitlock führte die Pferde zu einem der riesigen, stacheligen Gewächse, holte sein Messer aus der Satteltasche und schnitt ein Stück Fruchtfleisch aus dem Stamm der Pflanze. Es war feucht. Der Mann nahm sein Halstuch ab, breitete es am Boden aus und presste den Saft aus dem Fleisch des Kaktus. Das Tuch fing ihn auf und saugte sich voll. Als der Stoff feucht genug war, rieb Whitlock damit die Nasen der Pferde ab. Es brachte den Tieren momentane Linderung, stillte aber ihren Durst nicht.

Whitlock kaute etwas von dem Fleisch des Kaktus. Es schmeckte bitter, die Feuchtigkeit vertrieb die Trockenheit in seinem Mund, er spuckte es aus und schon wenig später war der alte Zustand wieder hergestellt. Er schob sich einen kleinen Kiesel in den Mund, lutschte ihn wie ein Bonbon, und hoffte so die Tätigkeit seiner Speicheldrüsen wieder anzuregen.

Vergeblich.

Alles in ihm schrie nach Wasser.

Die Sonne stand im Südwesten. Weit vor sich sah Whitlock Staub, mehr Staub, als dass ihn nur der Wind aufgewirbelt haben konnte. Die Staubwolke näherte sich ihm. Er bog nach Osten ab, stellte seine Pferde zwischen den Hügeln ab und stieg auf eine der Anhöhen, legte sich flach auf den Bauch und harrte der Dinge, die kamen.

Es waren fünf berittene Indianer. Sie hatten sich farbige Tücher um die Köpfe gewunden. Ihre Kleidung bestand aus Leinenhosen und –hemden und kniehohen Mokassins, bewaffnet waren sie mit Gewehren. Sie bewegten sich nach Süden. Das Sonnenlicht brach sich auf den Stahlteilen ihrer Gewehre. Wahrscheinlich folgten sie der Fährte der Patrouille, die Whitlock vor einigen Stunden begegnet war. Der Lieutenant begriff, dass Victorios Späher überall im Land unterwegs waren.

Er ließ die Apachen vorüberziehen und folgte wieder der Nordroute. Irgendwo musste es doch Wasser geben in diesem verdammten Land.

Dann stand die Sonne wie ein Fanal über dem Horizont im Westen. Die Schatten waren lang. Unerschütterlich zog der Lieutenant nach Norden. Schließlich war die Sonne versunken. Sie färbte mit ihrem Widerschein den Himmel purpurn. Rötlicher Schein hatte sich auf das Land gelegt. Es war noch immer heiß. Der Boden strahlte die Hitze zurück. Die Luft schien zu kochen. Einige Wolken zogen am Westhimmel entlang. Nach Norden hin verfärbte sich das intensive Rot zu einem schwefligen Gelb. Die Schatten lösten sich auf.

Whitlock zog auf der Spur der Apachen, die er gesehen hatte, allerdings folgte er ihnen nicht, sondern er ritt in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

Und dann stieß Whitlock auf ein Wasserloch. Eine spiegelglatte Fläche Wassers, auf der sich ein feiner Staubfilm gebildet hatte. Felsen umgaben die Tinaja. Die Spuren von Kriechtieren waren auszumachen. Pferdespuren zeigten Whitlock an, dass sich die Krieger hier ebenfalls mit Wasser versorgt hatten. Das Wasser war also genießbar.

Der Weiße ließ sich vom Pferd gleiten. Seine Beine wollten ihn kaum noch tragen. Auf allen Vieren kroch er zum Wasser. Und er wollte seinen Augen nicht trauen, als er das tote Kalb sah, das in dem Wasserloch lag. Die Apachen mussten es hineingeworfen haben. Es war untergegangen und so hatte es der Lieutenant nicht sogleich wahrgenommen. Er zuckte zurück, kam hoch und zerrte die Pferde vom Wasser weg. Der Kadaver machte das Wasser ungenießbar. Ein Laut der Enttäuschung brach aus Whitlocks Kehle.

Der rötliche Schein auf dem Land löste sich auf, der westliche Horizont verfärbte sich grau. Nach wie vor schwebten hoch über ihm die Aasgeier.

Du kannst hier nicht bleiben!, durchfuhr es den Lieutenant. Du musst weiter und die Nacht durchmarschieren. Vielleicht schaffst du es zum Rio Grande. Hier gehst du kläglich vor die Hunde ...

Unter Einsatz seines letzten Willens machte er sich wieder auf den Weg. Er war wieder auf das Pferd gestiegen, das sich einen Stein eingetreten hatte. Das Tier lahmte nicht mehr. Aber es hatte auch unter dem Wassermangel zu leiden.

Da stieg Brandgeruch in Whitlocks Nase. Er kam mit dem Wind von Westen. Der Mann hielt an und schnupperte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Er zog das Pferd herum. Das Tier stapfte in die neue Richtung. Der Geruch intensivierte sich, und dann sah der Mann am Rand einer weitläufigen Mulde im letzten Licht des Tages die niedergebrannte Farm. Dahinter erhoben sich Büsche. Der Gedanke, dass sie einen Fluss oder Bach säumten, beflügelte Whitlock.

Das Bild, das sich ihm bot, war an Brutalität kaum zu überbieten. Drei Männer waren an die Querstangen eines Corrals gefesselt. Sie standen da wie gekreuzigt. Ihre Beine waren eingeknickt. Nur die Stricke, mit denen ihre Arme an die Gatter gefesselt waren, hielten sie aufrecht. Die Apachen hatten ihnen die Kehlen durchgeschnitten.

Im Hof lag eine tote Frau auf dem Gesicht. Ein Stück weiter ein Junge. Alle waren skalpiert. Ein Laut, der sich anhörte wie trockenes Schluchzen, entrang sich Whitlock. Vergessen war die eigene Not.

Aschefetzen wirbelten. Das Feuer war längst erloschen. Kreuz und quer lagen verkohlte Balken und Bretter. Es war wohl tatsächlich so, dass die Apachen nur noch den niedrigsten Trieben gehorchten. Sie hatten die Weißen regelrecht abgeschlachtet. Etwas kroch in Whitlock hoch, breitete sich in ihm aus, legte sich wie ein eiserner Ring um seine Brust und ließ ihn hart und stoßweise atmen.

Seine Pferde waren zum Fluss gelaufen und soffen. Schnell nahm die Dunkelheit zu. Auch Tyler Whitlock löschte seinen Durst und wusch sich Staub und Schweiß aus dem Gesicht. Dann füllte er seine Wasserflasche.

Er blieb nicht an diesem Ort des Grauens. Um die Toten zu begraben hatte er kein Werkzeug. Da er annahm, dass der kleine Fluss irgendwo weiter nördlich in den Rio Grande mündete, folgte er ihm. Und immer wieder erstand das Bild der Ermordeten Farmer vor seinem geistigen Auge. Es hatte sich ihm unauslöschlich eingeprägt. Unmenschlicher Hass regierte im Land, ein Hass, der betroffen machte.

Whitlock dachte daran, wie gut sich alles entwickelt hatte. Victorio und seine Mimbres waren bereit gewesen, im Reservat bei Tularosa sesshaft zu werden, das Land zu bebauen, in Frieden zu leben. Aber ein unerbittliches Schicksal wollte es anders. Hass und tödliche Leidenschaft eskalierten. Was hier zum Ausbruch gekommen war, war mit normalen Maßstäben nicht mehr zu messen. Das war kein Krieg mehr, in dem es darum ging, irgendein Recht zu verteidigen oder ein solches durchzusetzen. Das war nur noch ein gegenseitiges Abschlachten und Vernichten, bar jeder Menschlichkeit, nur noch einem kreatürlichen Instinkt gehorchend, der den Tod des Gegners zum Ziel hatte.

Der Lieutenant versuchte, die Gedanken, die ihn beschäftigten, aus seinem Bewusstsein zu verbannen, diese Gedanken, an deren Ende etwas Dunkles, Unheilvolles stand. Wie sollte sich das alles noch entwickeln? Gab es eine Steigerung?

Dem eisigen Wind seiner bohrenden und quälenden Gedanken ausgesetzt zog Tyler Whitlock dahin. Und erst gegen Mitternacht hielt er an. Er suchte sich einen Platz zum Kampieren. Als er in seine Decke gerollt am Boden lag, gelang es ihm, sein Denken in andere Bahnen zu lenken. Über ihm spannte sich der Sternenhimmel. Er dachte an Jane Randall. Ihr Bild schob sich aus den Nebeln der Vergangenheit in den Vordergrund. Sie lächelte. Ihre Zähne schimmerten weiß zwischen den vollen, roten Lippen, ihre Augen strahlten. Ein Gefühl beschlich den Mann, wie er es schon lange nicht mehr verspürt hatte. Der Gedanke an die Frau gab ihm neuen Mut. Er half ihm, wieder an die Zukunft zu glauben.

Dann aber holte ihn die raue Wirklichkeit wieder ein. Narr!, durchfuhr es ihn. Mach dir keine Hoffnungen. Sie ist die Tochter des Colonels und für dich tabu. Es sind Träume, die niemals Wirklichkeit werden können. Also vergiss es. Du würdest nur eine herbe Enttäuschung erleben.

Irgendwann übermannte ihn die Müdigkeit. Er schlief ein.

*


Das Fuhrwerk rumpelte und polterte. Es wurde von zwei Pferden gezogen. Auf dem Bock saß ein Mann. Immer wieder ließ er die Peitschenschnur in der Luft knallen.

Es handelte sich um einen Gefängniswagen. Er erinnerte an einen Raubtierkäfig. Man nannte diese Fahrzeuge auch Tumblewed-Wagen, weil darin menschliches Unkraut befördert wurde. Zwei Seiten des Aufbaus waren geschlossen, eine Längsseite und die Rückwand jedoch bestanden aus soliden Eisenstäben, durch die man ins Innere des Wagens blicken konnte. An den geschlossenen Wänden waren Bänke befestigt, an den Bohlen waren rostige Ketten festgeschraubt, an deren Enden Handschellen hingen. Lester Wilburn und Glenn Farley wurden mit diesem Gefährt befördert. Sie waren angekettet. Neben dem Fuhrwerk ritt ein Mann. Er trug den Stern eines U.S. Deputy Marshals. Sein Auftrag war es, die beiden Banditen nach Albuquerque zu bringen. Dort sollten sie vor Gericht gestellt und abgeurteilt werden.

Ein kaltes Auge ruhte über Kimme und Korn einer Winchester auf der Brust des Gesetzeshüters. Dann peitschte der Schuss. Der Deputy Marshal zuckte zusammen, seine Lippen sprangen auseinander, aber der Schrei, der sich in ihm hochkämpfte, erstarb in der Kehle. Er sank zusammen und stürzte vom Pferd.

Der Mann auf dem Wagenbock stemmte sich gegen die Zügel. Das Gespann stand, er griff nach dem Gewehr. Da peitschte es erneut. Er bäumte sich auf und stürzte kopfüber vom Bock.

Die Echos verhallten. Die Pferde, die den Wagen zogen, standen ruhig, spielten mit den Ohren und schnaubten mit geblähten Nüstern. Dann erklang pochender Hufschlag. Ein Reiter kam zwischen den Hügeln hervor. Er führte zwei gesattelte Pferde an der Longe. Bei dem rollenden Gefängnis zerrte er die Tiere in den Stand.

Es war Scott Wilburn. Er grinste. »Ihr habt wohl gedacht, ich hätte euch vergessen, wie?«

Er schwang sich aus dem Sattel und beugte sich über den Deputy Marshal, der auf dem Gesicht lag und sich nicht rührte. In der Westentasche wurde er fündig. Er holte den Schüssel für die Gittertür des Fuhrwerks heraus und auch den Schlüssel für die Handschellen.

»Ist auch Zeit geworden, Bruder«, knurrte Lester Wilburn, als ihn Scott Wilburn von den Handschellen befreite. »Dachte wirklich, du hättest das Weite gesucht.«

Dann waren die beiden Banditen frei. Sie sprangen aus dem Wagen und stiegen auf die Pferde. An den Sattelknäufen hingen Revolvergurte mit schweren Sechsschüssern in den Holstern und Patronen in den Schlaufen. In den Scabbards steckten Winchestergewehre. Lester Wilburn und Glenn Farley legten sich die Patronengurte um und schnallten sie zu. »Wohin Bruder?«, fragte Lester Wilburn. »Du hast doch sicher einen Plan.«

»Nach Süden. Im Grenzgebiet um El Paso soll sich Tyler Whitlock herumtreiben.«

»Du hast die verrückte Idee, ihn zur Hölle zu schicken, noch immer nicht sausen lassen?«

»Es geht nicht nur um Whitlock. Auf Victorio sind 3.000 Dollar Belohnung ausgesetzt. Außerdem wimmelt es dort unten von Rothäuten, für deren Skalps die Armee Prämien bezahlt. Ich denke, im Süden ist unser Platz.«

»Dann lass uns reiten«, knurrte Glenn Farley. »Es ist sicher nur eine Frage der Zeit, bis man entdeckt, dass wir geflohen sind. Und man wird Suchtrupps ausschicken, die das Land nach uns durchkämmen. Lasst uns also so schnell wie möglich so viele Meilen wie möglich zwischen sie und uns bringen.«

Sie gaben ihren Pferden die Sporen und stoben davon.

*


Nach drei Tagen erreichte Tyler Whitlock El Paso. Er begab sich nach Fort Bliss in der Nähe der Stadt. Der Kommandant kannte ihn bereits. Colonel Miles forderte den Lieutenant auf, Platz zu nehmen. Dann sagte er: »Sie sehen ja ziemlich fertig aus, Lieutenant. Wo sind Ihre Leute? In welcher Mission waren Sie unterwegs?«

»Ich bin alleine, Sir«, kam es staubheiser von Whitlock. »Meine Mission lautete, Victorio zu finden und ihn zu bewegen, sich zu ergeben und ins Reservat zurückzukehren. Leider war sie nicht von Erfolg gekrönt. Und nun dürfte es nach allem, was in der Zwischenzeit vorgefallen ist, keine Möglichkeit einer friedlichen Beilegung des Krieges mehr geben.«

»Die Apachen haben in Texas, New Mexiko und Mexiko eine Spur des Todes gezogen. Einer unserer Patrouillen ist es gelungen, nach einem Gefecht vier Krieger festzunehmen. Sie werden morgen früh öffentlich gehängt.«

Whitlock stieß die verbrauchte Atemluft scharf durch die Nase aus. »Das ist dem Frieden sicher nicht zuträglich, Sir.«

»Es ist die Sprache, die diese Barbaren verstehen. Es ist unumstößlich. Sie wurden zum Tode verurteilt und die Hinrichtung ist für morgen früh festgesetzt.«

Whitlock presste die Lippen zusammen.

»Wer ist auf die Idee gekommen, Sie alleine hinter Victorio herzuschicken, Lieutenant?«, so ergriff der Colonel wieder das Wort. »Oder sind Sie gar nicht mit einem offiziellen Auftrag unterwegs gewesen?« Scharf fixierte der Colonel den Lieutenant, in dessen Gesicht die Strapazen der vergangenen Wochen tiefe Spuren hinterlassen hatten. Es war von einem wild wuchernden Bart eingerahmt. Die Haare fielen dem Lieutenant unter dem verschwitzten Hut hervor bis in den Nacken. Er verströmte scharfen Schweißgeruch.

»Colonel Ernest Randall hat mich geschickt. Er war der Meinung, dass sich Victorio der Anklage wegen Pferdediebstahles stellen sollte.«

Der Colonel verzog den Mund.

»Ich bin immer noch davon überzeugt, dass es für den Frieden eine Chance gäbe, wenn Victorio sich stellen würde«, erklärte Tyler Whitlock.

»Daran glauben Sie doch wohl selbst nicht!«, blaffte Miles. »Auf ihn wartet der Strick.«

»Ihn aufzuhängen wäre wahrscheinlich falsch, Sir«, wandte Whitlock ein. »Man könnte ihn und seine Leute in ein Reservat weit weg von New Mexiko oder Arizona deportieren und sie dort unter strenge Bewachung stellen. Zum Beispiel Fort Marion in Florida. Ihn zu töten aber ist keine Lösung und wäre einem eventuellen Frieden sicher nicht dienlich.«

»Darüber zu befinden sind Sie sicher nicht kompetent, Lieutenant«, kam es scharf von Miles. Er wirkte plötzlich wie umgewandelt. Whitlock entging es nicht. Der Argwohn, der ihm von dem Colonel unvermittelt entgegenschlug, war fast körperlich zu spüren. »Nehmen Sie ein Bad, rasieren Sie sich und lassen Sie sich die Haare schneiden. Ich werde mit Ihrem Vorgesetzten Verbindung aufnehmen. Sie, Lieutenant, haben sich zur Verfügung zu halten.«

»Bin ich etwa arretiert?« Whitlocks Brauen hatten sich gehoben. Fragend musterte er den Colonel.

»Es fällt mir schwer, zu glauben, was Sie mir erzählt haben. Und darum will ich mir Gewissheit verschaffen. Sie haben schon einmal Befehle missachtet, Lieutenant.«

»Dagegen verwahre ich mich, Sir.«

Die Hand des Colonels pfiff durch die Luft. Eine geringschätzige Geste. »Männer wie Sie schlagen immer wieder über die Stränge. Die Zugehörigkeit zur Armee erfordert eiserne Disziplin und unbedingten Gehorsam. Männer, die auf eigene Faust tätig werden, sind fehl am Platz. Wir brauchen keine Helden, Lieutenant, sondern Männer, die ihren Job machen und die hinter ihrer Aufgabe stehen, die mit Herz und Seele die blaue Uniform tragen und die für dieses Land ihr Leben in die Waagschale werfen. Von Ihnen weiß ich nicht, was ich halten soll. Sie sind ehrgeizig und träumen von einer steilen Karriere, und Sie lassen sich zu sehr von Ihren persönlichen Gefühlen leiten, um mit spektakulären Aktionen die Aufmerksamkeit ihrer Vorgesetzten zu erregen. Als Sie damals die Banditen nach El Paso verfolgten und hier mit Ihnen kämpften, war das so eine Aktion.«

»Man hat mich von jeder Schuld freigesprochen, Sir. Der Untersuchungsausschuss, der einberufen wurde, kam zu dem Ergebnis, dass es keine Kompetenzüberschreitung war, als ich die Banditen verfolgte und sie aus dem Verkehr zog. Es war auch kein Geltungsbedürfnis, das mich auf die Fährte Victorios trieb. Ich wollte mich weder profilieren noch mich in den Vordergrund drängen oder mich selbst darstellen, als ich mich bereit erklärte, Victorio zu suchen und mit ihm zu verhandeln. Ich kenne ihn persönlich. Victorio und ich haben oft miteinander gesprochen. Er hat mir vertraut. Es war ein nahezu freundschaftliches Verhältnis.«

»Was haben Sie für ein Problem, Lieutenant? Sollte mir Colonel Randall telegrafieren, dass Ihre Geschichte der Wahrheit entspricht, ist alles in Ordnung.«

Whitlock erhob sich. »Kann ich gehen, Sir?«

»Ja. Ich will Sie morgen früh bei der Hinrichtung sehen, Lieutenant. Keine Widerrede. Ich unterstelle Sie hiermit meinem Befehl, bis ich Antwort aus Tularosa habe. Das kann ich, und das wissen Sie sicher. Ich könnte Sie auch vorübergehend festnehmen lassen, alleine aufgrund der Tatsache, dass mir Ihre Geschichte ziemlich suspekt erscheint.«

Whitlock verließ die Kommandantur. Er fühlte Enttäuschung und war frustriert bis in die Knochen. Seine Sympathie für Colonel Miles war umgeschlagen in Abneigung. Er fühlte sich ungerecht behandelt und reagierte entsprechend.

Der Lieutenant begab sich in die Stadt und suchte einen Barber Shop auf. Als er ihn eine Stunde später wieder verließ, war er gebadet, rasiert, seine Haare waren geschnitten und seine Uniform war ausgebürstet. Er ging nicht ins Fort, sondern nahm sich in einem Hotel ein Zimmer, dann begab er sich in einen Saloon und aß dort ein Steak mit Bratkartoffeln und Bohnen. Dazu trank er ein Bier.

Gesprächsthema Nummer eins war die bevorstehende Hinrichtung der vier Apachen am folgenden Morgen. Whitlock fand es nicht gut, dass sie behandelt wurden wie gemeine Mörder. Im Land sprach man von Krieg. Warum behandelte man die Krieger nicht wie Kriegsgefangene? Man könnte damit guten Willen beweisen und die andere Seite zum Einlenken bewegen.

Whitlock ging bald zu Bett. Seit Wochen hatte er nur unter freiem Himmel geschlafen. Er hatte das Gefühl, auf einer weichen Wolke davongetragen zu werden, als er in den weichen Kissen lag. Er schlief tief und traumlos. Als er die Augen aufschlug, hing vor dem Fenster das Morgengrauen.

Mit gemischten Gefühlen kleidete er sich an. Colonel Miles hatte ihn seinem Befehl unterstellt und er musste gehorchen. Alles in ihm sträubte sich dagegen, der Hinrichtung beiwohnen zu müssen. Er wollte nicht sehen, wie die vier Krieger, die für ein vermeintliches Recht gekämpft hatten, kläglich am Strick endeten.

Der Galgen war zwischen Fort und Stadt errichtet. Vier Schlingen baumelten von dem Querbalken. Drei Männer in Uniform standen auf der Plattform mit der Falltür, zu der dreizehn breite Stufen hinaufführten.

Alles, was zwei Beine hatte und laufen konnte, hatte sich eingefunden. Es war die Stunde des Sonnenaufganges. Der Morgendunst war ein Vorbote der kommenden Hitze. Doch noch war die Luft kühl und frisch. Über dem Rio Grande hingen Nebelbänke. Nebelfetzen umtanzten auch die Büsche und Baumkronen und verschleierten den Blick. Der kalte Hauch des Todes schien über das Land zu streichen.

Colonel Miles und fast ein Dutzend Offiziere saßen auf ihren Pferden. Kavalleristen drängten die Neugierigen zurück, die eine Wand aus Leibern um den Galgen bildeten. Gemurmel und Geraune erfüllte die morgendliche Atmosphäre. Jeder wollte das grausame Schauspiel des Sterbens der vier Krieger so hautnah wie möglich erleben.

Whitlock beobachtete den Colonel. Mit unbewegtem Gesicht saß er auf seinem schweren Braunen.

Ein Wagen holperte vom Fort heran. Zwei Soldaten saßen auf dem Wagenbock. Eine Eskorte begleitete ihn. Auf der Ladefläche hockten die vier Apachen. Ihre Hände waren auf den Rücken gefesselt. In den Gesichtern zuckte kein Muskel.

Erregung rann wie Fieber durch Whitlocks Blutbahnen. Man war dabei, noch mehr Gewalt zu provozieren. Er sah wieder das Bild mit den weißen Farmern, die an die Corralstangen gebunden und deren Kehlen aufgeschlitzt worden waren, die tote Frau, den getöteten Knaben. Und er sah die toten Männer, Frauen und Kinder der Apachen in der Schlucht, zu der ihn die beiden Krieger geführt hatten und in der er Victorio zu treffen gehofft hatte.

Gewalt und Tod. Schicksal und Vergeltung rasten. Der Lieutenant spürte das Unheil tief in der Seele. Keine Seite war zum Einlenken bereit. Und die Gewalt würde neue Gewalt nach sich ziehen. Das war zwangsläufig. Whitlock fragte sich, ob es der blaue Rock noch wert war, ihn zu tragen. Machte er sich nicht mitschuldig?

Es wurde still. Die Räder des Fuhrwerkes quietschten. Hufe pochten, die Leinen waren gespannt knarrten in den Sielen. Die Galgenstricke schaukelten leicht im Morgenwind. Die Apachen mussten absteigen und wurden die Stufen zur Plattform des Galgens hochbugsiert. Einer stolperte und stürzte. Er wurde wieder hochgezerrt. Dann standen sie vor den Schlingen. Die Zuschauer hielten den Atem an. In den Augen der Krieger irrlichterte die Panik. Nichts war schmählicher und schändlicher für einen Indianer als am Strick zu sterben. Den Tod im Kampf fürchteten diese Männer nicht. Den Tod des Erhängens vor Augen aber waren sie halb verrückt vor Angst. Man hatte ihnen die Medizinbeutel abgenommen...

Ein Captain verlas das Todesurteil. Denn wurden den Kriegern die Schlingen über die Köpfe gestreift und um die Hälse leicht zusammengezogen. Man stülpte den Delinquenten schwarze Kapuzen über. Einer der Soldaten griff nach dem Hebel, der die Falltüre öffnete. Er schaute fragend den Colonel an. Und dieser nickte.

Mit einem dumpfen Geräusch öffnete sich die Klappe. Die vier Körper fielen in die Tiefe, die Stricke strafften sich mit einem Ruck, ein Ächzen ging durch das Galgengerüst. Gemurmel durchlief die Reihen der Zuschauer. Sekundenlang starrte Colonel Miles auf die schlaffen Körper, die leicht an den Stricken schaukelten. Dann trieb er sein Pferd an, zog es um die rechte Hand und schlug die Richtung zum Fort ein. Die Offiziere folgten ihm.

Mit hängenden Schultern wandte sich Whitlock ab. Er verspürte einen gallenbitteren Geschmack in der Mundhöhle und Übelkeit, die in seinen Eingeweiden rumorte. Dieses Schauspiel hätte er sich gerne erspart.

Um ihn herum waren Menschen. Sie strömten in die Stadt. Sicher öffneten an diesem Morgen die Saloons vorzeitig. Es war wie ein Volksfest. Auch Tyler Whitlock hatte das Bedürfnis, sich zu betrinken. Aber er verwarf diesen Gedanken wieder. Er dachte auch nicht mehr daran, die blaue Uniform auszuziehen. Mit seiner Einstellung musste er sich ihrer nicht schämen. Sollte er sich vorwerfen, gekniffen zu haben?

Er ging ins Hotel und warf sich angezogen auf das Bett, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und starrte zur weißgekalkten Decke hinauf.

Die Zeit verrann. Irgendwann klopfte es gegen die Tür. Whitlock erhob sich und öffnete. Draußen stand der Clerk und sagte: »Unten ist ein Soldat. Er soll sie ins Fort zu Colonel Miles geleiten.«

Whitlock richtete seinen Patronengurt, nahm seinen Hut vom Haken und stülpte ihn sich auf den Kopf. Dann verließ er das Zimmer. Der Soldat bei der Rezeption nahm Haltung ein, als er die Treppe nach unten schritt.

»Sir, ich habe Order, Sie...«

Whitlock winkte ab. »Ich kenne Ihre Order, Soldat. Gehen wir.«

Eine Viertelstunde später stand er Colonel Miles gegenüber. Zwischen ihnen war der Schreibtisch. Der Colonel bot Whitlock keinen Platz an und vollführte mit den Fingerkuppen einen Trommelwirbel auf der Tischplatte. Prüfend und abschätzend fixierte er Whitlock, plötzlich sagte er: »Es war notwenig, ein Exempel zu statuieren. Anders als mit drakonischen Strafen ist den rebellischen Rothäuten nicht beizukommen.«

»Ich darf darüber sicher meine eigene Meinung haben, Sir«, murmelte Whitlock und es klang herb. Er wich dem Blick des Colonels nicht aus.

»Die Gedanken sind frei«, versetzte Miles gedehnt, mit schiefem Mund. »Ich habe nach Santa Fe telegrafieren lassen. Die Antwort wird einige Tage auf sich warten lassen. Da ich Sie meinem Befehl unterstellt habe, ordne ich an, dass Sie sich ins Fort begeben. Man wird Ihnen hier ein Quartier zuweisen. Bis Antwort aus Tularosa eingeht, sind Sie vom Dienst suspendiert. Sollten Sie versuchen, das Fort zu verlassen, werde ich Sie in Haft nehmen.«

»Warum, Sir?«

»Weil ich der Meinung bin, dass sie sich auf eigene Faust von ihrer Einheit entfernt und Victorio gesucht haben. Das kann Fahnenflucht sein, Lieutenant. Ich halte Sie für renitent und aufsässig. Disziplinlosigkeit aber kann die Armee in Zeiten wie diesen nicht hinnehmen.«

»Was haben Sie gegen mich, Sir?«

»Ich mag keine Helden, und schon gar keine selbst ernannten. Außerdem stellen Sie Entscheidungen kompetenter Leute in Frage. Ich werde Sie herunterholen von Ihrem hohen Ross, Lieutenant. Mein Wort drauf. Und jetzt holen Sie Ihre persönlichen Sachen aus der Stadt. Melden Sie sich beim Quartiermeister.«

Whitlock salutierte, schwang herum und ging zur Tür.

»Außerdem sind Sie ein Indianerfreund, Lieutenant«, holte ihn die Stimme Miles' ein. »Und diese Sorte mag ich schon zweimal nicht. Es hat sich herausgestellt, dass der Apache nicht fähig ist, sich einzufügen und ein Leben zu führen wie wir Weißen. Er vergilt Gutes mit Mord und Totschlag. Wer dies akzeptiert, ist nicht besser als der Apache. Und er ist in einer Gesellschaft wie der unsrigen fehl am Platze.«

Die gehässigen Worte trafen Whitlock bis ins Mark. Wortlos, mit zusammengekniffenen Lippen, klinkte er die Tür auf und betrat das Vorzimmer des Colonels. Hart zog er hinter sich die Tür ins Schloss. Er verspürte Erschütterung und Hilflosigkeit. Schwer trug er an seinen Gefühlen.

*


»Verdammt!«, fluchte Glenn Farley. »Der Gaul hat ein Eisen verloren. Er muss beschlagen werden.«

»Es gibt hier weit und breit keine Stadt«, versetzte Scott Wilburn. »Er muss es ohne das Eisen schaffen.«

»Wohin reiten wir überhaupt?« Farley spuckte aus. »Wir können doch nicht aufs Geratewohl ins Grenzgebiet reiten und hoffen, dass uns Whitlock über den Weg läuft.«

»Auch er wird hin und wieder eine Stadt anreiten. Und da es nicht allzu viele Ort gibt dort unten, tippe ich auf El Paso. Dort bekommt er alles, was er braucht, um wieder für einige Zeit in der Wildnis leben zu können.

Die Bande befand sich im Tularosa Valley. Es war eine riesige, grasbewachsene Ebene zwischen den Gebirgszügen im Osten und Westen.

»Wenn wir Glück haben, stoßen wir auf eine Ranch«, sagte Lester Wilburn. Er schaute seinen Bruder von der Seite an. »Vielleicht aber lässt du auch von deinem verrückten Gedanken los und wir verschwinden aus dem Land. In New Mexiko und Texas wird nach uns gefahndet. Sich im Grenzgebiet von Mexiko herumzutreiben ist gefährlich. Da ist unser Leben keinen rostigen Cent wert.«

»Wir reiten nach El Paso!«, beharrte Scott Wilburn stur auf seinem Entschluss. »Sicher ist Whitlock dort in Erscheinung getreten. Diesem Hurensohn habe ich mein ganzes Dilemma zu verdanken. Ich finde erst Ruhe, wenn er tot vor mir liegt.«

»Oder wenn man sechs Fuß Erdreich über dich schaufelt, Bruderherz.«

Sie ritten weiter. Das Pferd Farleys begann zu lahmen. Die Sonne schien heiß. Kein Windhauch regte sich. »Der Gaul schafft es nicht. Ich muss ihn führen.«

»Erschieß ihn und sitz bei einem von uns auf«, schlug Scott Wilburn vor. »Das Tier ist nur noch Ballast.«

Farley zog seinen Colt und hielt ihn dem Pferd an den Kopf. Der Schuss dröhnte. Wie vom Blitz getroffen brach das Tier zusammen. Farley nahm ihm Sattel und Zaumzeug ab und reichte es Scott Wilburn, der es vor sich auf den Widerrist seines Pferdes legte. Farley selbst saß hinter Lester Wilburn auf.

Das Gras reichte den Pferden bis zu den Bäuchen. Tief im Süden schien sich das Terrain mit dem ungetrübten blauen Himmel zu vereinen. Die Luft waberte vor Hitze, Luftspiegelungen täuschten weite Flächen von Wasser in der Weite des Valleys vor. Schmetterlinge flatterten durch die Luft.

Als der Abend nahte und der Himmel im Westen die ganze Skala seiner leuchtendsten Farben widerspiegelte, sahen die Banditen am Rand eines Buschgürtels eine Hütte. In einem Corral standen fünf Pferde. Aus dem gemauerten Schornstein der Hütte stieg weißer Rauch.

Scott und Lester Wilburn zügelten die Pferde. »Glaubst du an Wunder?«, fragte Scott Wilburn.

»Eine Fügung des Schicksals«, kam es von Farley.

Sie ritten weiter.

Aus der Hütte traten zwei Männer. Sie trugen Weidereiterkleidung und hielten Gewehre in den Händen. Misstrauisch beobachteten sie die Ankömmlinge. Der eine hielt die Winchester mit beiden Händen schräg vor seiner Brust, der andere hatte das Gewehr in den Hüftanschlag genommen.

»Wir sind auf dem Weg nach El Paso!«, rief Scott Wilburn. »Leider lahmte eines unserer Pferde und wir mussten es erschießen. Könnt ihr uns ein Pferd verkaufen?«

»Diese Pferde hier gehören der Red Desert Ranch«, antwortete einer der Cowboys. »Wir können keines der Tiere hergeben. Die Herde, die wir bewachen, steht weiter östlich zwischen den Hügeln. Zum Essen könnt ihr gerne bleiben. Aber mit einem Pferd können wir euch nicht aushelfen.«

»Schade.« Scott Wilburn warf den Sattel Farleys auf den Boden und saß ab. »Was Ihre Einladung zum Essen anbetrifft...«

Er zog den Colt. Seine Worte waren nur Ablenkungsmanöver gewesen. Es gelang ihm, die Cowboys zu überraschen. In dem Sekundenbruchteil, den sie benötigten, um zu reagieren, feuerte Wilburn. Die Schüsse donnerten, die letzte Wahrnehmung im Leben der beiden Cowboys waren die grellgelben Feuerzungen, die aus der Revolvermündung leckten.

Pulverdampf wölkte vor Wilburns Gesicht. Ein Rauchfaden kräuselte aus der Mündung des Revolvers. Er ließ die Waffe einmal um den Finger rotieren, dann stieß er ihn ins Holster. »Narren!«, knurrte er ohne die Spur einer Gemütsregung.

Während er in die Hütte ging, trug Farley seinen Sattel zum Corral, suchte sich ein Pferd aus und begann es zu satteln.

Scott Wilburn trat mit einer Pfanne voll Eier in der Hand in die Tür. In der Linken hielt er eine Gabel. »Wir sind gerade richtig zum Abendessen gekommen«, rief er lachend.

Da wehte Hufgetrappel heran.

»Das ist wahrscheinlich der dritte der Kerle, der sich bei den Rindern befand«, vermutete Scott Wilburn. »Na schön. Wir werden ihn seinen Gefährten hinterher in die Hölle schicken.«

Lester Wilburn zog die Winchester aus dem Scabbard und riegelte eine Patrone in den Lauf.

Das Hufgetrappel wurde deutlicher. Und dann trieb ein Reiter sein Pferd zwischen den Hügeln hervor.

Lester Wilburn zielte über den leeren Sattel. Über die Zieleinrichtung der Winchester starrte sein eisiges Auge auf den Reiter. Langsam zog der Bandit durch. Als der Abzug den Druckpunkt erreichte, staute er den Atem.

In dem Moment, als er abdrückte, trieb der Cowboy sein Pferd an. Und das rettete ihm das Leben. Die Kugel pfiff an ihm vorbei, der Knall wurde über ihn hinweggeschleudert. Er riss sein Pferd herum, setzte unerbittlich die Sporen ein und stob zwischen die Hügel.

»Verdammt!«, presste Lester Wilburn hervor.

»Er darf die Ranch nicht erreichen!«, schnappte Scott Wilburn und schleuderte die Pfanne und die Gabel von sich, rannte zu seinem Pferd und kam mit einem kraftvollen Satz in den Sattel. Das Tier unter ihm streckte sich. Lester Wilburn trieb sein Pferd an. Das rhythmische Zusammenspiel von Muskeln und Sehnen setzte ein. Stücke von Grassoden und Erdreich spritzten unter den wirbelnden Hufen davon.

Der Cowboy jagte zwischen den Hügeln dahin. Es war ein Wettlauf mit dem Tod. Die Gegend schien an ihm vorbeizufliegen. Weit über den Hals des Pferdes gebeugt ritt er. Dicht vor seinen Augen wehte die Mähne des Pferdes. Er schaute zurück. Die Hügel verbargen die Verfolger vor seinem Blick. Einen Moment lang fragte er sich, ob er überhaupt verfolgt wurde. Dann sah er einen Reiter hinter einem Hügel hervorkommen. Das Pferd schien regelrecht dahinzufliegen. Der Oberkörper des Burschen bewegte sich rhythmisch im rasenden Schritt des Tieres.

Yard um Yard zerfloss unter den trommelnden Hufen. Der Cowboy sah jetzt auch den zweiten der Verfolger. Tiefgeduckt saß er auf seinem Pferd. Besorgt fragte sich der Flüchtling, wie lange wohl sein Pferd dieses Tempo durchhalten konnte. Irgendwann würde sich der Hufewirbel verlangsamen. Zunächst nur unmerklich, dann immer rascher...

Felsen säumten seinen Weg. Im halsbrecherischen Galopp stob er zwischen sie, rücksichtslos trieb er das Pferd durch hüfthohe Comas, hinein in einen Einschnitt zwischen den haushohen Steinbarrieren. Das Pferd wurde langsamer. Der Cowboy feuerte es mit dem langen Zügel und schrillem Geschrei an. Und das Tier schien sich noch einmal zu einer Kraftprobe aufzuraffen. Als spürte das Tier, dass es an ihm lag, das Leben seines Reiters zu retten. Und es war, als steigerte diese letzte, verzweifelt anmutende Anstrengung sein Tempo.

Gehetzt schaute der Cowboy zurück. Die beiden Verfolger waren wieder aus seinem Blickfeld verschwunden. Er zerrte das Pferd in den Stand. Das Tier brach auf den Hanken ein. Seine Lungen pumpten. Schaum troff von seinen Nüstern.

Die Hufschläge der Verfolgerpferde brandeten heran wie ein Gruß aus der Hölle. Die Echos verstärkten sie.

Der Cowboy trieb sein Pferd wieder an. Unruhe und Rastlosigkeit bereiteten ihm körperliches Unbehagen. Er wusste die Schüsse, die gefallen waren, zwischenzeitlich zu deuten. Die Angst griff mit knöcherner Klaue nach ihm, krallte sich in ihm fest und ließ ihn nicht mehr los.

Das Pferd lief auf eine Einkerbung zwischen zwei Hügeln zu. Zu beiden Seiten schwangen sich die Abhänge nach oben, auf den Kuppen der Anhöhen ragten Felsen aus dem Boden. Der Cowboy umrundete einen der Hügel und wandte sich nach Süden. Immer wieder hielt er an. Seine Verfolger hatten noch nicht aufgegeben. Das Hufgetrappel schlug heran. Der Mann folgte den Windungen zwischen den Anhöhen. Ununterbrochen sicherte er um sich. Das Gewehr hielt er in der Hand, den Kolben hatte er auf seinem Oberschenkel abgestellt. Eine Kugel befand sich im Lauf.

Plötzlich trieb ein Reiter sein Pferd hinter einem Hügel hervor und ihm in den Weg. Ein niederträchtiges Grinsen kerbte die Mundwinkel des Burschen nach unten. Er hielt das Gewehr an der Hüfte im Anschlag.

Der Cowboy parierte sein Pferd. Unwillkürlich schaute er über die Schulter zurück. Der zweite seiner Verfolger lenkte sein Pferd über eine Anhöhe und ließ es langsam hangabwärts gehen. Er hielt den Sechsschüsser in der Rechten.

Sie hatten ihn zwischen sich.

Die Angst stieg wie ein Schrei in dem Cowboy auf.

Langsam näherten sich ihm die beiden. Der Cowboy schaute in das verwegene Gesicht Scott Wilburns, der ihm den Weg nach Süden verlegt hatte und der mit dem Gewehr auf ihn zielte. Ein Blick in die Augen des Banditen führte ihm dessen ganze Unberechenbarkeit und Skrupellosigkeit vor Augen. Die verbrauchte Luft entwich seinen Lungen, als er begriff, dass hier Endstation für ihn war.

Als ihn die Kugel traf, spürte er keinen Schmerz. Sein Denken riss. Dunkelheit schlug über ihm zusammen. Als er am Boden aufschlug, war er tot.

Lester Wilburn angelte sich den langen Zügel des Pferdes. Die beiden Banditen ritten zurück. Sie konnten ihren Trail der Rache fortsetzen. Leichen pflasterten ihren Weg.

*


»Ich habe Antwort aus Tularosa erhalten«, sagte Colonel Miles. »Ihre Geschichte scheint zu stimmen. Allerdings steht hier auch etwas, das ich nicht so recht begreife. Danach hat Scott Wilburn seinen Bruder und einen Komplizen befreit. Die Banditen sind Ihretwegen nach Tularosa gekommen. Colonel Randall nimmt an, dass die Schufte Sie an der Grenze suchen.«

Fragend und zugleich herausfordernd schaute der Colonel Tyler Whitlock an.

»Ich kann mir den Sinn dieser Mitteilung auch nur zusammenreimen, Sir. Nachdem Scott Wilburn aus dem Gefängnis hier geflohen war, begab er sich nach Fort Wingate. Dort traf er mich nicht an. Irgendwann, als er die Geduld verlor, machte er sich auf den Weg nach Tularosa. Er will mich töten. Wilburn will sich rächen, weil ich ihm ziemlich übel mitgespielt habe. Wahrscheinlich nahm man dort seinen Bruder und einen seiner Komplizen fest. Scott Wilburn gelang es, die beiden zu befreien.«

»Was werden Sie tun?«

»Stehe ich noch immer unter Ihrem Befehl, Sir?«

»Nein. Sie sind in einer besonderen Mission unterwegs, und ich akzeptiere das. Wenn ich auch der Meinung bin, dass sich Ihr Auftrag erledigt hat. Mit dem gesprochenen Wort ist nichts mehr auszurichten. Das letzte Wort in der Angelegenheit Victorio werden die Waffen haben.«

»Das sehe ich auch so, Sir. Der Sache mit Wilburn will ich allerdings ein Ende bereiten. Darum werde ich auf die Banditen in El Paso warten. Und dann ...« Whitlock zuckte mit den Schultern. »Nun, ich werde wohl nach Tularosa zurückkehren.« Er nickte mehrere Male, als wollte er damit seine Worte unterstreichen, und endete schließlich mit kratziger Stimme: »Der Krieg hat ein Ausmaß angenommen, das kein Entgegenkommen und keine Zugeständnisse mehr zulässt.«

Danach herrschte bedrücktes Schweigen.

Die Stunde der Apachen: 12 Romane einer großen Western-Saga

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