Читать книгу Henker und Bluthunde: Wichita Western Sammelband 7 Romane - Pete Hackett - Страница 8
Hyänen der Weide Western von Pete Hackett Über den Autor
ОглавлениеUnter dem Pseudonym Pete Hackett verbirgt sich der Schriftsteller Peter Haberl. Er schreibt Romane über die Pionierzeit des amerikanischen Westens, denen eine archaische Kraft innewohnt, wie sie sonst nur dem jungen G.F.Unger eigen war – eisenhart und bleihaltig. Seit langem ist es nicht mehr gelungen, diese Epoche in ihrer epischen Breite so mitreißend und authentisch darzustellen.
Mit einer Gesamtauflage von über zwei Millionen Exemplaren ist Pete Hackett (alias Peter Haberl) einer der erfolgreichsten lebenden Western-Autoren. Für den Bastei-Verlag schrieb er unter dem Pseudonym William Scott die Serie "Texas-Marshal" und zahlreiche andere Romane. Ex-Bastei-Cheflektor Peter Thannisch: "Pete Hackett ist ein Phänomen, das ich gern mit dem jungen G.F. Unger vergleiche. Seine Western sind mannhaft und von edler Gesinnung."
Hackett ist auch Verfasser der neuen Serie "Der Kopfgeldjäger". Sie erscheint exklusiv als E-book bei CassiopeiaPress.
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EIN CASSIOPEIAPRESS E-Book
© by Author www.Haberl-Peter.de
© der Digitalausgabe 2013 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
»Ausschwärmen!«, befahl Sheriff Walt Danner. Mit einem Ruck repetierte er seine Winchester. Aus schmalen Augen starrte er auf die kleine Ranch in der Senke.
Er wartete, bis die Männer des Aufgebots ihre Posten eingenommen hatten, dann klemmte er sich das Gewehr zwischen die Beine, legte die Hände trichterförmig an den Mund und schrie: »Ergib dich, Toby Logan! Deine Ranch ist umstellt. Du hast keine Chance, wenn du jetzt nicht herauskommst ...«
Seine Stimme verhallte.
Unten rührte sich nichts. Walt Danner fluchte. Dann setzte er noch einmal an: »Ich garantiere dir auch einen fairen Prozess, Toby. Mein Wort darauf.«
Er ließ die Hände sinken und umklammerte die Winchester.
»Verdammt!«, rief Hilfssheriff Dave Corbett. »Was halten wir uns mit Reden auf? Wir wissen, dass er Floyd Miller eine Kugel zwischen die Schulterblätter gejagt hat. Und das reicht aus, um Logan in die Hölle zu schicken. Stürmen wir einfach den Bau und räuchern den Schuft aus.«
In diesem Moment ertönte es zwischen den Ranchgebäuden: »Ihr Schurken wisst ganz genau, dass ich Miller nicht umgebracht habe. Also verschwindet und lasst mich in Ruhe! Und was dein Wort angeht, Danner, so pfeife ich darauf, denn du bist Steward Carters Marionette, und wer nach Carters Pfeife tanzt, dessen Wort ist nichts wert.«
»Mit mir sind ein Dutzend Männer aus Prescott hergekommen. Wenn du mir schon nicht traust, dann kannst du ihnen Vertrauen schenken.«
»Vertrauen ist gut, Vorsicht ist besser. Frag doch mal Carter oder seinen Schießhund Mortimer, wer Floyd Miller die Kugel aus dem Hinterhalt servierte, Danner. Carter schlägt damit zwei Fliegen mit einer Klappe. Millers Small Ranch war schon seit langer Zeit – ebenso wie die Logan-Ranch – Carter ein Dorn im Auge, denn durch unsere Weiden war ihm der Zugang zum Creek versperrt. Also musste Carter mich und Miller auf die Seite räumen, um in den Besitz unserer Ranches zu kommen.«
»Du behauptest, dass Carter Floyd Miller ermorden ließ und den Verdacht auf dich lenkte?«
»Genau. Wenn das in dein Spatzenhirn hineingeht.«
Der Sheriff biss die Zähne zusammen. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer gehässigen Grimasse. »Okay, Logan, du willst es nicht anders. Wir stürmen jetzt deine Ranch. Und rechne nicht damit, dass wir dich schonen.«
»Das wäre Carter auch gar nicht recht, Danner«, klang es sarkastisch zurück.
»Vorwärts, Leute!«, rief der Sheriff den Männern seines Aufgebots zu.
*
TOBY LOGAN HATTE SICH in der Küche des Ranchhauses verschanzt. Er blickte hangaufwärts, von wo die Stimme des Sheriffs gekommen war. Toby konnte gut die huschenden Schemen durch die Dunkelheit wahrnehmen. Unaufhaltsam kamen sie heran.
Toby war noch jung, fünfundzwanzig Jahre. Er hatte das Rudel über den Rand des Hügels kommen sehen und war zunächst der Meinung gewesen, dass es sich um Carters Revolvermannschaft handelte, die ihm bereits vor drei Wochen einen Besuch abgestattet und ihm nahe gelegt hatte, von dem Land zu verschwinden, auf das Carter scharf war wie der Teufel auf die arme Seele.
Vor drei Wochen konnten sie Toby überraschen.
An diesem Abend aber knallte er ihren Pferden einige Unzen Blei vor die Hufe und schrie, dass sie verschwinden sollten, weil er sonst auf ihre Köpfe zielen würde.
Da hatte Sheriff Walt Danner gerufen: »Wir haben Floyd Miller gefunden, Toby Logan. Er hat eine Kugel zwischen den Schulterblättern. Wir wissen, dass du ihn ermordet hast, denn du hattest Streit mit ihm wegen einiger Rinder, und du hast gedroht, ihm das Fell über die Ohren zu ziehen.«
Toby hatte einige Zeit benötigt, um das zu verarbeiten, dann hatte er geantwortet: »Das ist Irrsinn, Danner. Du kennst mich und musst wissen, dass ich wegen einiger streunender Rinder keinen Mann in den Rücken schieße. Suche den Mörder, wo du willst, aber nicht auf der Logan-Ranch.«
Jetzt saßen oben auf dem Hügel die Reiter ab. Er sah sie ihre Gewehre aus den Scabbards ziehen und geduckt nach den Seiten davonhuschen.
Und nun kamen sie ...
Die Angst stieg in Toby Logan hoch und drohte ihm die Kehle zuzuschnüren. Mit brennenden Augen starrte er in die Dunkelheit, versuchte sie mit seinen Blicken zu durchdringen.
Zäh verrannen die Sekunden, wurden zu Minuten.
Die Luft knisterte vor Spannung, als wäre sie mit Elektrizität aufgeladen. Die Anspannung brachte Toby Logans Nerven zum Vibrieren und bereitete ihm körperliches Unbehagen.
Er vernahm das Knirschen von Staub unter Stiefelsohlen und das leise Klingeln von Sporen!
Toby riss den Kolben der Winchester an die Schulter, jagte einen Schuss hinaus, repetierte, schoss erneut.
Die Angreifer erwiderten schlagartig das Feuer. Sie waren schon sehr nahe. Das verrieten die Mündungsblitze, die wie glühende Speere in die Finsternis stießen. Die Kugeln klatschten gegen die Hauswand, bohrten sich knirschend in Holz, jaulten als Querschläger davon. Krachen erfüllte die Nacht, die Detonationen verschmolzen ineinander und stießen auseinander wie ein höllischer Gesang.
Toby zog den Kopf zwischen die Schultern. Kalte Ruhe ergriff von ihm Besitz. Kugel um Kugel jagte er hinaus, jeweils in das Aufblitzen ihrer Schüsse hinein. Ein Mann schrie auf.
Unvermittelt brach das Schießen ab. Toby wischte sich mit dem Handrücken über die Augen.
Angestrengt lauschte er nach draußen. Unheimliche Stille lag über der Ranch. Hart umklammerten seine Hände Kolbenhals und Schaft der Winchester. Gepresst atmete er. Vom Hügelkamm drang das Wiehern eines Pferdes herunter.
Plötzlich wirbelte Toby herum. War da nicht draußen auf dem Flur ein Geräusch gewesen? Oder narrten ihn schon seine Sinne? Sein Herz hämmerte in wildem Rhythmus. Er schluckte unwillkürlich, hob das Gewehr und brachte es in Hüftanschlag.
Auf dem Flur aber blieb es still.
Dafür wurde im Hof wieder das Feuer eröffnet. Toby warf sich herum, nahm wieder seinen Platz neben dem hochgeschobenen Fenster ein. Projektile sirrten an ihm vorbei in den Raum, zersplitterten Möbel und Wände. Um Toby herum war nur noch ein höllisches Spektakel, das seine Trommelfelle regelrecht betäubte. Die Männer des Sheriffs hielten ihn mit ihren Schüssen in Deckung, und er konnte nicht wagen, auch nur seine Nasenspitze zu zeigen.
Pulverrauch wogte über den Ranchhof, gierig leckten die Mündungszungen aus den Läufen.
Und wieder brach das Schießen abrupt ab. Das Echo der Schüsse verhallte in der Ferne.
Da flog hinter Toby die Tür auf. Der Mann auf der Schwelle schoss in rasender Folge. Toby, der noch herumgewirbelt war, spürte die Einschläge in seinem Körper, ächzte und taumelte. Krampfhaft versuchte er, die Winchester abzudrücken. Aber aus seinem Körper floh bereits das Leben. Seine Waffe fiel zu Boden. Wie durch Nebel nahm Toby den großen Mann in der Tür wahr, dunkel und drohend. Und dann hauchte Toby sein Leben aus. Er sank zu Boden, streckte sich, seine Gestalt erschlaffte.
Sheriff Walt Danner senkte das Gewehr. Mitleidlos und ohne jede Regung starrte er auf die reglose Gestalt am Boden.
Steward Carter konnte zufrieden sein. Er hatte mit Toby Logan dem Rancher das letzte Hindernis aus dem Weg geräumt. Nun konnte Carter sich in den Besitz des gesamten Weidelandes im County bringen, und seine Herden hatten freien Zugang zum Fluss.
Walt Danner wandte sich um. Seine Arbeit war getan. Dabei konnte er nicht ahnen, wer in diesem tödlichen Spiel tatsächlich die Faden m der Hand hielt, wer auch jenen Faden hielt, der ihn, Danner, zur willenlosen Marionette machte.
*
DER MORD AN DEM SMALLRANCHER Floyd Miller war gesühnt. Beinahe ein Jahr war seit jenem grauen und verhängnisvollen Tag vergangen. Von Toby Logan sprach man schon lange nicht mehr. Die Logan-Ranch erwarb – ebenso wie die Miller-Ranch – Steward Carter. Niemand hatte sich bei der Versteigerung gefunden, der Carter überboten hätte, denn sie lebten alle im Schatten der Carter-Ranch. Prescott und das Umland waren abhängig von Carter und seiner großen Mannschaft.
Und so kassierte er sozusagen für ein Butterbrot die beiden Ranches samt den Wasserrechten an dem Creek, zu dem bis zu diesem Zeitpunkt seine Rinder keinen Zugang hatten.
Steward Carter war der Mächtige im County. Er beherrschte es, beherrschte Prescott, bestimmte das Leben in der Stadt und im Land. Und sein Revolvermann John Mortimer sorgte dafür, dass es an Carters Vormachtstellung nichts zu rütteln gab. Mortimers schnelle Hände und seine Skrupellosigkeit waren gefürchtet. Auf seine Art und Weise hielt er alle Widerstände von Carter fern, räumte Schwierigkeiten aus dem Weg.
Der Gunman hatte völlig freie Hand. Und das machte John Mortimer sicher.
*
DER EINSAME REITER blickte zum Himmel. Die Sonne stand im Zenit und mutete an wie eine glühende Scheibe aus Weißgold. Ihre Ränder waren im gleißenden Licht nicht zu erkennen.
Sosehr der Mann auch den Eindruck vermittelte, vor sich hinzudösen, das Gegenteil war der Fall. Alles in ihm war hellwach, auf blitzschnelle Reaktion eingestellt.
Er hatte gelernt, immer auf der Hut zu sein, überall Gefahren zu wittern, und das abzulegen gelang ihm selbst dort nicht, wo es überhaupt keine Gefahren für ihn geben konnte, wie hier, wo das Land auf viele hundert Yards zu überblicken war.
Das war Jack Logan.
Seinen kleinen Bruder Toby hatte vor einem Jahr das Aufgebot aus Prescott mit Sheriff Walt Danner an der Spitze getötet. Das aber konnte Jack Logan nicht einmal ahnen.
Hinter Jack lag eine raue und rauchige Zeit. Vor mehr als fünf Jahren hatte er die kleine Ranch bei Prescott verlassen. Das war, nachdem seine Mutter beerdigt worden war. Sein Vater war ein Jahr vor ihr gestorben. Jack hatte Toby allein auf der Ranch zurückgelassen und ihm sein Erbteil abgetreten. Denn Toby war der geborene Rancher, Jack hingegen fühlte sich nicht zum Viehzüchter berufen.
Er war als Marshal in den verschiedenen Städten und Ansiedlungen tätig, kehrte mit eisernem Besen, und wenn er eine Town zur Ruhe gebracht hatte, ritt er weiter.
Seine Unrast trieb ihn von Ort zu Ort, von einem Kampf in den anderen. Er sah Männer sterben, und manch einer starb durch seine Hand im Namen des Gesetzes.
Dann hatte er wieder einmal in einer Stadt die Ruhe hergestellt, wieder klebte Blut an seinen Händen. Und plötzlich war ihm dieses Leben über, in dem es nur blutigen Kampf gab. Er begann es zu verabscheuen, legte den Stern ab, sattelte seinen Rotfuchs und lenkte ihn nach Arizona, nach Hause. Mit jedem Schritt, den sein Pferd tat, freute er sich mehr auf das Wiedersehen mit Toby.
Sattelleder knarrte, die Gebisskette klirrte, dürres Gras raschelte unter den Pferdehufen, dumpf pochte der monotone Hufschlag. Und mit jedem Yard, den sie an Boden gewannen, näherten sie sich der kleinen Ranch bei Prescott.
Ein selten gekanntes Gefühl der Freude und frohen Erwartung war in Jack. Selbst ein hartgesottener Bursche wie er kannte solcherlei Empfindungen. Auch er hatte Gefühle in seiner Brust, doch blieben sie zumeist im Verborgenen.
*
DIE UNTERGEHENDE SONNE tauchte das Land in glutroten Schein und ließ alles bizarre Formen annehmen.
Gegen dieses unwirkliche Licht zeichneten sich klar die Konturen des Reiters ab, der sich im Schritt den Gebäuden der ehemaligen Logan-Ranch näherte.
Nat Flint sah den Mann zuerst. Flint saß in einem alten Korbsessel auf der Veranda. Seine Beine lagen auf dem rissigen Querbalken des Geländers. Jetzt nahm er sie herunter und setzte sich aufrecht.
»He, Wyatt«, sagte er mit heiserer Stimme zu Dodson, der zwei Schritte weiter auf dem Verandageländer saß, mit dem Rücken gegen einen Stützbalken des Vorbaudachs gelehnt, und rauchte.
Dodson sah zu Nat Flint hin, und der sagte: »Da kommt jemand auf die Ranch zu.« Sein ausgestreckter Arm wies in die Richtung, aus der der Reiter kam.
Wyatt Dodson blickte hinüber, sprang auf die Füße, beschattete seine Augen mit der linken Hand und erwiderte nach einer Weile: »Ja, Nat, der kommt hierher, kein Zweifel. Was der Hombre wohl will? Scheint ein Fremder zu sein. Oder hast du ihn schon mal in der Gegend gesehen?«
»Das kann ich auf diese Entfernung und bei diesen Lichtverhältnissen schlecht sagen«, antwortete Flint. »Lassen wir ihn herankommen, und dann werden wir ja feststellen, ob er auf dieser Weide etwas zu suchen hat. Wenn nicht ...«
Nat Flint unterbrach sich und schnippte mit den Fingern. Diese Geste war vielsagender als jedes Wort.
»Hol Rube raus! Der faule Knochen liegt schon wieder auf dem Sofa in der Küche und schläft.«
Wyatt Dodson wandte sich um und ging in das Haus. Gleich darauf ertönte aus dem Innern mürrisches Stimmengemurmel, und dann kam Rube Bascom auf die Veranda. Sein Blick war finster. Unter seinem Gewicht ächzten die Bohlen. Dodson folgte ihm. Der blassgesichtige Bursche grinste schief über Bascoms linke Schulter hinweg.
»Was ist los?«, fragte Bascom wütend. »Wegen eines einzelnen Typs holt ihr mich aus dem tiefsten Schlaf? Das kann doch nicht wahr sein.«
Nat Flint lächelte und winkte ab. »Du wirst noch mal deinen eigenen Tod verschlafen, Rube«, bemerkte er spöttisch. »Und dann musst du ewig leben.«
Inzwischen hatte sich der Reiter genähert. Die Männer auf der Veranda konnten Einzelheiten erkennen.
Der Mann, der auf die Ranch zuritt, war wie ein Cowboy gekleidet.
»Kennt ihr den?«, fragte Nat Flint.
»Nein, noch nie gesehen«, brummelte Dodson.
Und Bascom sagte: »Vielleicht sucht er einen Job.«
»Der sieht nicht aus wie einer, der sein Leben damit verbringt, hinter Kuhschwänzen herzureiten«, wandte Flint ein.
»Es muss ja auch nicht Sattelarbeit sein, die er sucht.« Bascom spuckte in hohem Bogen in den Hof.
Gespannt und misstrauisch starrten sie dem Reiter entgegen. Auf dem Ranchhof zügelte der Fremde sein Pferd, saß ab und ging auf das Haupthaus zu. Vor der Veranda blieb er stehen. Er musterte nacheinander die drei Männer auf der Veranda und verspürte dabei eine seltsame Beklemmung.
Diese Sorte gab es vor fünf Jahren nicht auf der Logan-Ranch.
Einige Sekunden des bleiernen Schweigens vergingen, dann sagte Nat Flint: »Okay, Mister, wir haben uns nun lange genug angestarrt, denke ich. Was wollen Sie, und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Jack Logan.«
Die drei Burschen auf der Veranda horchten auf. »Sagtest du – Logan?«, stieß Wyatt Dodson hervor.
»Ja, Logan. Und ich war darauf eingestellt, hier meinen Bruder Toby vorzufinden. Als ich von hier fortging, gehörte ihm diese Ranch.«
Nat Flint und Wyatt Dodson wechselten einen schnellen Blick. Und wie auf ein geheimes Kommando legten sich ihre Hände auf die Kolben ihrer Revolver.
Flint wandte sich wieder dem Reiter zu. Gedehnt sagte er: »Du bist also Jack Logan, Mister. Und du suchst deinen Bruder Toby, wie?«
»So ist es, mein Freund«, erwiderte Jack sanft. »Ich bin Jack Logan und suche hier meinen Bruder Toby. Wie mir aber scheint, treffe ich ihn nicht an.«
Jack spürte ganz deutlich, dass hier nichts mehr stimmte. Die drei Burschen auf der Veranda erinnerten ihn an jene Kerle, mit denen er im Laufe seiner Zeit als Marshal immer wieder zusammengestoßen war. Ihre Galgenvogelgesichter waren typisch, auch die Art, wie sie die Hände auf den Knäufen liegen hatten. Nun ja, Jack kannte sich aus. Nahezu körperlich spürte er das Misstrauen und die Feindseligkeit, die ihm entgegenschlugen.
Jede Faser seines Körpers war zum Zerreißen gespannt. Sein Handballen berührte den Revolverkolben am rechten Oberschenkel.
»Well, wenn du Jack Logan bist«, ließ sich Nat Flint wieder vernehmen, »dann hast du hier nichts zu suchen. Diese Ranch gehört nämlich nicht mehr euch Logans, sondern Steward Carter. Deinen Bruder findest du auf dem Boothill, Logan, zumindest sein Grab oder was daran erinnert.«
Schlagartig ergriff eine bodenlose Leere von Jack Besitz, einen Moment drehte sich alles vor seinen Augen. Er hielt sekundenlang die Luft an, dann stieß er sie scharf durch den Mund aus.
Toby tot!
So hämmerte es hinter seiner Stirn. »Was war hier los?«, fragte er mit lauerndem Blick.
Die drei Burschen erkannten nicht die Gefahr, die unvermittelt von Logan ausging, nicht seine eiserne Entschlossenheit. Sie hielten sich selbst für ausgesprochen gefährlich, und außerdem waren sie dem anderen zahlenmäßig überlegen. Möglicherweise fehlte ihnen auch jenes letzte Quäntchen Menschenkenntnis, das ihnen gesagt hätte, dass Logan eine ganze Klasse besser war, als sie es jemals sein konnten.
»Siehst du die Einschüsse in der Wand hinter mir, Logan?«, fragte Nat Flint und deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Da hat eine Posse aus Prescott dieses Nest gestürmt und deinen Bruder hochgenommen.« Flints aufgeworfene Lippen verzogen sich zu einem hämischen Grinsen und gaben einen Teil seines gelben Pferdegebisses frei. »Ja, ja, der Name Logan sorgte vor einem Jahr für Schlagzeilen«, fuhr er dann mit spotttriefender Stimme fort. »Aber dein Bruder hatte Glück, Logan. Denn wenn er nicht an ein paar schnellen Kugeln gestorben wäre, dann hätten sie ihn mit Sicherheit aufgehängt.«
»Weshalb?«, fragte Jack voller Grimm. Es wollte nicht in seinen Kopf. Toby tot – erschossen! Was hatte es mit den seltsamen Andeutungen des Burschen auf sich? Warum hätten sie Toby gehängt, wenn er nicht vorher an ihren Kugeln gestorben wäre? Was war der Grund? »Ich warte auf Antwort!«, stieß er scharf zwischen den Zähnen hervor.
»Er hat Floyd Miller getötet. Auf ganz besonders niederträchtige Weise hat er seinen Nachbarn umgebracht. Darum.«
Die Tonlage, in der Nat Flint gesprochen hatte, brachte Jacks Inneres zum Sieden. Er erkannte deutlich die wilde Freude, die der Kerl im Nachhinein verspürte.
Jack war nahe daran, seinen Colt aus dem Holster zu reißen und diesem pferdegesichtigen Burschen auf der Veranda mit heißem Blei zu antworten. Doch er zwang sich zur Ruhe. Beherrscht sagte er:
»Mein Bruder lebt also nicht mehr. Er soll einen Mann in den Rücken geschossen haben, eine Posse jagte und tötete ihn. Doch das gibt keinem das Recht, sich auf dieser Ranch einzunisten, auch einem Steward Carter nicht. Denn ich lebe noch. Und ich bin Tobys Bruder — und sein Erbe. Ihr hört schon richtig, Freunde. Sein Erbe! Auch hierfür bestehen Gesetze. Die Logan-Ranch gibt es also ab sofort wieder. Berichtet das Carter, wenn ihr bei ihm ankommt.«
»Was heißt das?«, fragte Flint mit schmalen Augen.
»Dass ihr jetzt euren Kram zusammenpackt und verschwindet. Ihr habt hier nichts verloren. Und richtet eurem sauberen Boss noch aus, dass – falls er Wert auf ein Gespräch mit mir legt – er mich in Prescott finden wird. Andernfalls werde ich ihn aufsuchen. Und an meinem Besuch wird er wenig Freude haben. Sagt ihm das.«
Die Gesichter der drei verzerrten sich, wurden zu Grimassen. Jack erkannte, dass sie sich nicht so ohne weiteres vertreiben lassen würden. Also musste er wieder zum Colt greifen. Hier, an dem Ort, wo er nach fünf langen Jahren Ruhe zu finden hoffte, wo er seine rauchige Vergangenheit abschütteln wollte. Bitter stieg es in ihm hoch. Aber nach außen hin zeigte er Gelassenheit.
»Er ist verrückt, Nat«, sagte Rube Bascom grollend. »Total verrückt. Vielleicht ist er sogar der Meinung, gegen eure Eisen etwas auszurichten. So etwas soll es geben. Schade, dass ich meinen Colt nicht umgeschnallt habe. Es wäre mir eine riesige Freude, ihm ...«
Er lachte hohl, sprach aber nicht aus, was er mit Logan anzustellen gedachte. Das heißt, er kam gar nicht mehr dazu, es auszusprechen, denn in sein schepperndes Lachen mischte sich das hämmernde Stakkato von Revolverschüssen.
Heißes Blei raste über den Ranchhof, Pulverrauch zerflatterte im Abendwind.
In dem Augenblick, als Rube Bascom zu lachen anfing, hatten Flint und Dodson zu den Waffen gegriffen.
Und dann war alles blitzschnell gegangen.
Und als das Echo der Schüsse noch über den Hügeln ringsum verrollte, lagen Wyatt Dodson und Nat Flint leblos auf der Veranda.
Jack hatte zweimal geschossen, und jede seiner Kugeln hatte einen Mann getötet.
Breitbeinig stand Jack im Hof, den Revolver hielt er auf Bascom gerichtet. Aus der Mündung kräuselte blaugrauer Rauch.
Rube Bascom starrte einen Moment auf die Waffe in Logans Faust, dann schweifte sein Blick zur Seite und saugte sich an den beiden Toten fest. Würgend schluckte der grobschlächtige Bursche.
Jack Logan sagte: »Well, Dicker, das war es wohl. Pack diese beiden Narren auf ihre Gäule und bringe sie Steward Carter! Bestelle ihm, was ich vorhin sagte. Und ich meine es ernst. Nun beweg dich, Mister!«
*
NACH EINER VIERTELSTUNDE ritt Bascom von der Ranch. Er führte die Pferde Flints und Dodsons mit sich. Über ihren Rücken lagen die beiden Toten. Bascom drehte sich nicht mehr um. Bald war er aus Jacks Blickfeld verschwunden.
Jack stand noch eine ganze Weile auf der Veranda. Gedankenverloren starrte er auf unbestimmten Punkt in der Ferne, als müsste er um einen Entschluss ringen.
Und immer wieder hämmerte es hinter seiner Stirn: Toby ist tot! Sie haben ihn gejagt wie einen Verbrecher und getötet. Niemals hat er Floyd Miller eine Kugel in den Rücken geschossen. Zu einem hinterhältigen Mord war Toby nicht fähig, dazu war er nicht der Mann.
Aber trotzdem ließen sie ihn für den Mord an Miller büßen. Und niemand war da, der ihm hatte helfen können.
Jacks Gesicht war ernst und verkniffen, in seinen Mundwinkeln zuckte es. Der Gedanke an seinen Bruder ließ ihn nicht los. Wenn Toby es nicht war, dann muss es ein anderer getan haben. Und dieser andere hat es verstanden, den Verdacht auf Toby zu lenken.
Wer?
Jack nickte. Yeah, dachte er, schon immer wollte dieser alte Schuft diese Ranch – und auch die Floyd Millers. Schon als Vater und Mutter noch lebten, setzte Carter ihnen zu und versuchte sie zum Kauf zu überreden. Denn mit dem Land der Logan- und der Miller-Ranch wollte er sein Imperium in diesem County ausbauen.
Er verspürte plötzlich einen schalen Geschmack auf der Zunge und spuckte aus. Dann strafften sich seine Schultern. Er gab sich einen Ruck und ging ins Haus. Wie gut er sich noch hier zurechtfand. Die erste Tür rechts führte in die Küche. Er stieß sie auf.
Als seine Mutter noch lebte, herrschten hier Ordnung und Sauberkeit. Die Tischplatte war stets gescheuert, die Herdplatte nie rostig. Um den Tisch herum standen vier solide Stühle.
Doch was er nun sah ...
Überall Staub und Schmutz. Der Tisch war verkrustet von den Essensresten des letzten Jahres. Auf dem Herd hatte sich eine dicke Schicht Rost angesetzt. Es gab nur noch drei brüchige Stühle. Der vierte Stuhl lag unbrauchbar in einer Ecke des Raumes. Das grüne Glas im Aufsatz des Küchenschranks war herausgeschlagen. Die Scherben lagen auf dem vor Schmutz und Unrat starrenden Boden.
Es sah aus, als wenn hier Schweine gehaust hätten.
Jack Logan fühlte sich mit einem Mal sehr einsam.
Er erhob sich und ging nach draußen. Der Rotfuchs stand noch immer dort, wo Jack ihn stehengelassen hatte, nachdem er abgesessen war. Das Tier schnaubte und blickte seinem Reiter entgegen. Jack strich ihm mit der flachen Hand über die Nüstern.
»So ist das, Alter«, murmelte er. »Dies hier soll unsere Heimat sein. Eine Heimat, die in Wirklichkeit keine mehr ist. Sicher habe ich mir alles viel zu schön vorgestellt, als dass es sich so erfüllen konnte. Aus unserer Ruhe wird nichts. Wir haben ein Erbe anzutreten, eine gefährliche Erbschaft, das Erbe Tobys. Es wird Kampf geben, doch soll es unser letzter sein, so oder so. Komm, mein Junge, ich will nur noch nach den Gräbern meiner Eltern sehen, dann reiten wir. Ich schätze, dass man mir in Prescott einige Fragen beantworten muss.«
*
ES WAR ZEHN UHR, ALS Jack in Prescott einritt. Durch eine enge, dunkle Gasse gelangte er auf die Main Street. Sie war ziemlich gut beleuchtet. An den Vorbaudächern hingen Lampen. Sie warfen ihren gelben Schein auf die breite, staubige Straße. Aus den Fenstern der Saloons, der Häuser und Hütten fiel das Licht in breiten Bahnen und vermischte sich mit dem der Karbid- und Kerosinlampen unter den Vorbaudächern.
Die Stadt lärmte, brodelte und summte. Gitarrenklänge waren zu hören. Männer hasteten über die Straße, ihre heiseren Stimmen erreichten Jacks Ohren. Frauen waren um diese Zeit nicht mehr draußen anzutreffen, höchstens solche vom horizontalen Gewerbe. Aber sie konnten in einer Town wie Prescott nur schwer Fuß fassen.
Dann erreichte Jack das Sheriff's Office. Vor dem Haltebalken glitt er aus dem Sattel, lose leinte er den Rotfuchs an, dann trat er auf den Bohlengehsteig. Dumpf hallten seine Schritte.
Aus den Fenstern zu beiden Seiten der Eingangstür fiel kein Licht. Die Tür war nicht verschlossen. Jack trat ein, tastete sich durch den dunklen Raum und stieß nach kurzer Zeit mit den Oberschenkeln gegen die Schreibtischplatte. Jack riss ein Streichholz an. Die kleine Flamme loderte auf, erhellte sekundenlang die nächste Umgebung. Jack sah die Lampe auf dem Schreibtisch. Er nahm den Glaszylinder ab, drehte den Docht ein wenig höher und hielt die Schwefelholzflamme dagegen. Als er brannte, stülpte er den Glaszylinder wieder darüber. Düsteres Licht leuchtete das Office notdürftig aus.
Jack blickte sich um. Es gab nichts, was seine Aufmerksamkeit erregt hätte. Es war ein Sheriff's Office wie tausend andere auch.
Er setzte sich hinter den Schreibtisch und legte die Füße auf die Tischplatte. Dann rollte er sich eine Zigarette und wartete.
Und wieder drangen quälende Fragen mit Macht auf ihn ein, füllten ihn aus und er spürte, dass seine Heimkehr unter einem ausgesprochen ungünstigen Stern zu stehen schien.
*
DUMPFER HUFSCHLAG IM Hof und raue Männerstimmen erregten die Aufmerksamkeit Steward Carters. Er stemmte sich aus dem wuchtigen Polsterstuhl hoch. Groß und schwer stapfte er zur Tür. Er verließ das Haus und trat auf die Veranda.
Einige Männer trugen Laternen, und so konnte der Rancher alles gut erkennen.
Unter seinen Stiefeln knirschte der Sand, als er in den Hof trat. Er blickte auf die beiden Pferde, auf die erschlafften Gestalten über ihren Rücken, und über seiner Nasenwurzel bildete sich eine steile Falte. Dann schaute er auf Rube Bascom und ihre Blicke kreuzten sich.
»Was war los?«, fragte der Rancher.
Rube befeuchtete mit der Zungenspitze die Lippen, dann antwortete er mit brüchiger Stimme: »Jack Logan ist heimgekehrt. Er ist zurückgekommen, um ...«
Bascom verstummte, als der die plötzliche Veränderung in Carters Gesicht wahrnahm. In dem Rancher hatte sich etwas versteift. Finster starrte er auf Bascom, so, als machte er ihn für Logans Rückkehr verantwortlich. »Was hat er vor?«, wollte Carter wissen.
»Er übernimmt wieder die Logan-Ranch, lässt er Ihnen ausrichten, Boss. Seine Kaltschnäuzigkeit passte Nat und Wyatt nicht, und sie griffen nach ihren Revolvern. Und dann ... So etwas habe ich noch nie erlebt. Wyatt und Nat hatten ihre Eisen schon halb aus den Futteralen, als Logan zog. Er schoss zweimal. Nat und Wyatt kamen nicht mal mehr zum Schuss. Er jagte jedem eine Kugel mitten ins Herz. Es – es grenzte an Zauberei, Boss, wahrhaftig an Zauberei.«
Steward Carters Mund verzog sich. »Und was sagte er sonst noch?«, fragte er lauernd.
»Er will die Ranch wieder übernehmen. Doch das sagte ich schon. Er will Sie sprechen, Boss. Sie würden ihn in Prescott treffen, wenn Sie Wert darauf legen. Andernfalls kommt er zu Ihnen.«
Steward Carter nickte.
Jack Logan ist zurückgekommen, dachte er, und will mir auf die Füße treten, weil er glaubt, dass ich ... Ach was, er hat zwei meiner besten Leute erschossen, und das nehme ich nicht hin.
Und laut sagte er: »Okay, Logan braucht sich nicht zu bemühen. Wir werden ...«
Er verstummte, als Hufschlag laut wurde und eine Reitersilhouette unter dem hohen Galgentor des Ranchhofes auftauchte. Im Schein der Laternen zügelte der Mann sein Pferd.
Sekundenlang blickte er auf die beiden Toten, dann verschränkte er seine Hände über dem Sattelknauf und hielt den Kopf ein wenig schief.
Im flackernden Licht wirkte dieser Mann gefährlich.
»Das sind doch Wyatt Dodson und Nat Flint«, stellte er mit unangenehm knarrender Stimme fest. »Hat man den beiden endlich ihr großes Mundwerk gestopft? Wer hat das getan?«
Aller Augen waren auf den Reiter gerichtet. Steward Carter antwortete mit gepresst klingender Stimme: »Das war Jack Logan. Er ist zurückgekehrt und hat mir den Krieg angesagt.«
»Ah, Toby Logans Bruder.« Der Reiter nickte. »Damit war irgendwann zu rechnen«, fuhr er dann fast gelassen fort. »Scheint ja ein mächtig harter Brocken zu sein, dieser Jack Logan. Aber er ist bestimmt nicht hart genug. Sie werden das doch nicht hinnehmen?« Er deutete auf die Toten.
»Mit Sicherheit nicht, Mortimer«, erwiderte Carter. »Das kann ich nicht schlucken. Logan hat mir den Krieg erklärt, also soll er ihn haben. Wir sind stärker als er. Und wir werden ihn hinwegfegen.«
John Mortimer straffte sich. Die Gefährlichkeit dieses Mannes war unverkennbar. Er war gekleidet wie ein Spieler: Schwarzer Anzug, weißes Rüschenhemd, dunkelrote Schnürsenkelkrawatte. Und er trug einen flachkronigen, breitrandigen Stetson. Die Hutschnur war aus getrockneter Schlangenhaut. Sie hob sich vom Schwarz des Hutes hell ab.
Wären nicht die beiden schweren Colts an seinen Oberschenkeln gewesen, so hätte Mortimer von der äußeren Erscheinung her kaum etwas von einem Stadtmenschen aus dem Osten unterschieden. Doch die beiden Sixshooter waren da, und Mortimer wusste höllisch schnell mit ihnen umzugehen.
»Well«, sagte er, »dann wird es also Kampf geben. Logan will es nicht anders. Er ist ein Narr.«
Er warf einen letzten Blick auf die Toten, dann ritt er ohne die Spur einer Gemütsregung an. Beim Pferdestall saß er ab und öffnete das Tor. Einer der Cowboys war ihm gefolgt. Mortimer reichte ihm die Zügel. »Versorge ihn gut«, sagte er und ging zurück in den Hof.
Niemand achtete auf die junge Frau, die im Schatten unter dem Vorbaudach gestanden und alles gehört hatte, was im Hof gesprochen worden war. Als der Name Jack Logan fiel, begann ihr Herz in wilder Erregung zu rasen, der Name klang in ihr nach.
»Jack«, murmelte sie, und dann noch einmal: »Jack.« Die Stimme ihres Vaters drang wie aus weiter Ferne an ihre Ohren, aber seine Worte erreichten nur ihr Unterbewusstsein.
»Legt die beiden in die Scheune!«, befahl Steward Carter. »Wir begraben sie morgen in aller Frühe. Danach werde ich mit Mortimer nach Prescott fahren. Du, Wolters«, so wandte er sich an seinen Vormann, »trägst während meiner Abwesenheit die Verantwortung hier. Klar?«
Wolters nickte. Der Rancher drehte sich um, wollte ins Haus gehen und nahm im selben Moment seine Tochter wahr. Er blieb stehen und fragte: »Was tust du hier, Barbara?« Seine Stimme klang gedämpft. Langsam ging er weiter, stieg die wenigen Treppen zur Veranda hinauf und verhielt erneut.
Barbara betrachtete ihn eine ganze Weile, dann antwortete sie: »Jack Logan ist zurückgekehrt, Dad, und er hat dir den Kampf angesagt. So ist es doch, nicht wahr?«
Carter nickte. »Ja, Barbara, so ist es. Er hat zwei meiner besten Männer erschossen. Das muss er büßen. Er will mir die Logan-Ranch wieder wegnehmen. Dabei habe ich den Besitz ordnungsgemäß erworben. Also werde ich auch darum kämpfen. Doch gehen wir ins Haus, Mädchen.« Er legte einen Arm um ihre Schultern. Mit sanftem Druck dirigierte er sie zur Haustür.
Barbara ging dem Rancher über alles. Für sie hatte er das hier aufgebaut. Sie war wie seine verstorbene Frau, die er über alle Maßen geliebt hatte. Indianer hatten sie umgebracht, als er auf der Weide gewesen war. Eine streunende Horde Mescaleros. Das war, kurz nachdem er zusammen mit dem alten Joshua Logan und Floyd Miller hier angekommen war und sie beschlossen hatten, zu bleiben und Ranches zu gründen.
Das war vor gut zwanzig Jahren gewesen.
Damals hatten sie alle ganz klein begonnen. Doch inzwischen war Steward Carter der mächtige Mann im County. Joshua Logan und Floyd Miller lebten nicht mehr.
Sie mussten damals gegen rotes und weißes Raubgesindel kämpfen und wussten nie, ob sie den nächsten Tag noch erlebten, aber sie behaupteten sich. Mit eiserner Hand säuberten sie das Land.
Eine der wenigen Erinnerungen Steward Carters an seine verstorbene Frau war Barbara. Eine lebendige Erinnerung, denn sie glich ihr sehr. Darum war dieser harte Mann auch wie umgewandelt, wenn Barbara in seine Nähe kam. Dann war ihm jedes Mal zumute, als hätte sich seine geliebte Frau bei ihm befunden.
Sie gingen ins Haus. In der Wohnstube empfing sie warmer Lichtschein. Auf dem schweren und kunstvoll geschnitzten Eichentisch lag eine angefangene Handarbeit Barbaras.
Sie setzten sich in die weichen Sessel. Aufmerksam betrachtete Barbara ihren Vater. Dessen hohe, von Wind und Sonne gegerbte Stirn war von unzähligen Furchen zerklüftet.
Diese Falten und Furchen waren ganz besonders deutlich, wenn Steward Carter irgendetwas nicht nach dem Sinn lief.
Und so sehr der Rancher sich auch Mühe gab, seine Miene so ausdruckslos wie möglich erscheinen zu lassen: Barbara kannte ihn viel zu gut, als dass sie ihm abgenommen hätte, dass ihn die Nachricht von Jack Logans Heimkehr nicht weiter berührte und ihm die bevorstehende Auseinandersetzung mit Jack egal war.
Er sagte: »Ich weiß, wie sehr du Jack Logan damals geliebt hast, Barbara. Und ich weiß auch, dass er dir gegenüber ebenfalls mehr empfand als nur Freundschaft. Doch dann ist er fortgeritten. Und er ließ fünf lange Jahre nichts von sich hören. Jetzt ist er zurückgekehrt und drauf und dran, mir vor die Füße zu springen. Er wird nicht begreifen, dass sein Bruder ein hinterhältiger Mörder war und er dafür zur Rechenschaft gezogen wurde.«
Während er sprach, hatte er Barbara nicht angeschaut. Er schluckte einmal, dann fuhr er fort: »Es war mir ganz recht so vor einem Jahr, wie sich die Dinge entwickelten. Wie dir bekannt ist, bin ich vor zwanzig Jahren mit dem alten Logan und Floyd Miller in dieses Land gekommen. Wir kämpften Rücken an Rücken und eroberten uns das Land. Doch ich wurde immer größer und größer, und die beiden anderen blieben hinter mir zurück. Es kam eines Tages zum Streit, und sie versperrten meinen Rindern den Weg zum Creek. Sie hatten die Wasserrechte schon Jahre zuvor erworben, und ich musste Brunnen graben lassen, damit meine Herden nicht verdursteten. Das Wasser aber, das die Brunnen lieferten, reichte nicht hinten und nicht vorne. Dann tötete Toby Logan Floyd Miller. Für mich eine Fügung des Schicksals, so makaber sich das auch anhören mag. Es ist jedenfalls so, denn ich konnte mit einem Schlag beide Ranches und zugleich die Wasserrechte an dem Fluss erwerben.«
Er sah Barbara an. Eine ganze Weile herrschte dumpfes Schweigen, dann sagte das hübsche Mädchen: »Sicher, Dad, du hast im guten Glauben gehandelt. Niemand rechnete damit, dass Jack Logan zurückkehren würde. Nie hat irgendjemand ein Lebenszeichen von ihm erhalten. Aber ich habe Jack nicht vergessen, die ganzen Jahre nicht. Es stimmt, ich liebte ihn. Doch ich war erst siebzehn, und er nahm es vielleicht gar nicht ernst. Er war ziemlich wild und wollte nichts anderes als fort von hier, hinaus in die Welt. Ja, Dad, ich konnte Jack all die langen Jahre nicht vergessen, und – ich habe ihn die ganze Zeit über geliebt. So ist das, Dad, und so wird es auch immer sein.«
Bedächtig nickte der Rancher. »Du bist wie deine Mutter, Barbara. Auch sie wäre für den Mann ihrer Liebe durch die Hölle gegangen. Doch du wirst dich entscheiden müssen. Jack will die Ranch seines Bruders zurück, ich aber habe sie mit allen Rechten ordnungsgemäß erworben und will sie behalten. Also musst du dich entscheiden, zwischen ihm und deinem Vater und dem, was ich für dich geschaffen habe. Es wird einen harten Kampf geben, denn ich werde Mortimer auf Logan loslassen, wenn er morgen nicht zur Vernunft zu bringen ist. Du ahnst sicher, was das bedeutet, Mädchen. Jack hat gegen Mortimer nicht die geringste Chance. Mortimer wird ihn töten. Ja, Barbara, du musst dich entscheiden. Und ich hoffe, die Entscheidung fällt dir nicht schwer.«
Barbara blickte den Mann an, der ihr Vater war. Sie fuhr sich mit der Hand über die Augen, so, als wollte sie mit dieser Geste einen bösen Traum verscheuchen. Leise sagte sie: »Dad, ich liebe Jack noch immer. Ich bin kein kleines dummes Mädchen mehr, wie ich es damals war. Ich bin in den fünf Jahren eine Frau geworden, ich fühle und empfinde wie eine Frau, und ich liebe Jack, wie eine Frau einen Mann nur lieben kann. Doch ich liebe auch dich, Dad.«
Steward Carter war wie versteinert. Und als Barbara merkte, dass er nicht bereit war, darauf etwas zu erwidern, sprach sie weiter: »Du verlangst von mir eine Entscheidung, Dad. Du solltest zuerst einmal in aller Ruhe mit Jack alles besprechen. Finde ihn ab, biete ihm einen guten Job, versuche den Kampf zu vermeiden. Und segne meine Liebe zu ihm. Jack ist mit Sicherheit nicht der Mann, der vernünftigen Argumenten nicht zugänglich wäre. Und wenn du ihm einen guten Preis für die Ranch bietest ...«
In Barbaras Augen begann es feucht zu schimmern.
»Du verlangst von mir, dass ich die Logan-Ranch zweimal erwerbe?«, fragte ihr Vater.
Da erhob Barbara sich schnell und lief aus dem Zimmer. Dumpf fiel die Tür hinter ihr ins Schloss.
Noch lange Zeit starrte Steward Carter auf die Tür. Hinter seiner Stirn wirbelten wenig erfreuliche Gedanken. Barbaras Reaktion war vollkommen unerwartet für ihn gekommen.
Die Gedanken des Ranchers wurden erst unterbrochen, als die Tür sich wieder öffnete und John Mortimer in die Stube kam.
Im Licht war deutlich zu erkennen, wie blass Mortimer war. Sein schwarzer Anzug betonte diese fahle Blässe nur noch. Seine Augen waren wasserhell und kalt wie die eines Fisches. Seine Hände waren feingliedrig und nervig. In der Linken hielt er ein Paar Handschuhe aus dünnem, geschmeidigem Leder,
Er war ein eiskalter Typ ohne Skrupel, dieser John Mortimer, brutal, unduldsam, kompromisslos und hart.
Er nahm Platz in dem Sessel, in dem vorher Barbara gesessen hatte. Weit streckte er die langen Beine von sich und sagte mit der für ihn typischen knarrenden Stimme: »Ich werde mir Jack Logan vor die Kanonen holen, Carter. Was dagegen?«
Mortimer hatte mit seinen Worten deutlich werden lassen, wie wenig ihm am Leben eines anderen lag. Zwingend fixierte er den Rancher, so als wusste er um die Unterhaltung zwischen diesem und Barbara und ahnte, dass in Carter die Gefühle einen heftigen Kampf ausfochten.
Aber Carter schüttelte den Kopf. »Das hat Zeit, Mortimer«, entgegnete er. »Zunächst will ich mit Logan sprechen. Und es wird dann auf seine Antwort ankommen. Entweder er nimmt mein Angebot an, oder ...«
Er sprach es nicht aus, aber sein Schweigen war vielsagender als alle Worte.
Mortimer grinste zynisch. »Mit Kerlen vom Schlage Logans verhandelt man nicht, Carter, höchstens auf der Basis heißen Bleis. Was für ein Angebot wollen Sie ihm denn unterbreiten?«, fragte er mit lauerndem Blick.
»Ich werde ihm eine Abfindung, über deren Höhe ich mir noch nicht im Klaren bin, vorschlagen. Ich verlange dafür von ihm eine Unterschrift unter einen Vertrag, wonach er mit Auszahlung der Abfindungssumme sämtliche Ansprüche auf die Logan-Ranch auf mich überträgt.«
»Geben Sie mir den Bruchteil von dem, was Sie Logan zu bieten gedenken, und ich lege Ihnen den Narren vor die Füße.« Das Grinsen um Mortimers Mund nahm hämische Züge an.
Carter betrachtete seine Fingernägel. Dann schüttelte er den Kopf. Barbaras Worte kamen ihm in den Sinn. Sie liebte Jack Logan. Doch darüber schwieg der Rancher sich aus.
»Nein, Mortimer, ich werde es auf die gütliche Art und Weise zu regeln versuchen. Wir beide werden uns morgen in die Stadt begeben. Und dort werde ich Logan treffen und mit ihm sprechen. Dann werden wir ja sehen.«
Mortimer erhob sich. Breitbeinig stand er da. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten. »Wie Sie wollen. Carter. Doch vergessen Sie nicht, dass meine Art, die Sache aus der Welt zu schaffen, die einfachste wäre – und die billigste.« Er klatschte mit der flachen Hand gegen das Holster an seiner rechten Seite. »Daran sollten Sie denken – morgen. Gute Nacht.«
Er ging. Der Rancher war wieder allein und hing seinen bohrenden Gedanken nach.
Auf irgendeine Art war dieser Mortimer ihm unheimlich.
*
UNTER SHERIFF WALT Danners Schritten wallte der Staub der Main Street auf. Der Sternträger sah das Licht durch die Fenster seines Büros, dachte sich allerdings nichts dabei. Vermutlich befand sich sein Deputy Dave Corbett im Raum.
Doch als er eintrat, saß ein Fremder auf dem Stuhl. Danner blieb abrupt an der Tür stehen, seine Hand fiel auf den Revolverkolben, umklammerte ihn.
Walt Danner sah ein schmales Gesicht im Schatten der Hutkrempe, erkannte es jedoch nicht. Er stieß die Tür mit dem Absatz zu, nachdem er einen Schritt nach vorn gemacht hatte.
Die beiden Männer tasteten sich gegenseitig mit Blicken ab, dann stieß der Sheriff ungehalten hervor: »Was haben Sie hier zu suchen, Mister, und wer sind Sie?«
»Dich suche ich, Walt Danner«, antwortete Jack.
Der Sheriff stutzte, glaubte sich verhört zu haben.
Da stieß sich Jack mit dem Daumen ruckartig den Stetson aus der Stirn. Sein Gesicht lag nun voll im Lichtschein. Jähes Erkennen blitzte in den Augen Danners auf. Er trat unwillkürlich einen weiteren Schritt vor, nahm dabei jedoch die Rechte nicht vom Colt. Mit der Linken deutete er auf den Mann.
»Jack Logan!« Es hörte sich an wie ein erschreckter Aufschrei. Danners Augen wurden ganz eng. Und dann stieß er noch einmal hervor: »Jack Logan, gütiger Gott!«
»Ja, Danner, ich bin es.« Er nahm seine Füße vom Schreibtisch und setzte sich gerade. »Der verlorene Sohn hat auf die Heimatweide zurückgefunden, nach fünf langen Jahren. Aber meine Ankunft scheint unter einem sehr schlechten Stern zu stehen. Mir begegnete bisher nichts Erfreuliches hier. Wie mir scheint, hat man die Logans von der Liste gestrichen. Du wirst mir auf eine Menge Fragen antworten müssen, Walt.«
Der Sheriff schluckte mühsam. Er fühlte sich plötzlich um ein Jahr zurückversetzt, sah sich im Feuerschutz des Aufgebots in das Ranchhaus der Logans schleichen, die Tür aufreißen und ein halbes Dutzend Kugeln in den Körper Toby Logans hineinjagen.
In Danners Augen flackerte es. Nervös zog er die Unterlippe zwischen die Zähne und kaute auf ihr herum.
»Was willst du wissen, Logan?«, fragte er nach einer ganzen Zeit mit gepresst klingender Stimme. »Was sind es für Fragen, die du beantwortet haben willst? Sicherlich weißt du schon eine Menge von dem, was vorgefallen ist.«
»Eine Menge – nein. Ich weiß recht wenig, Danner. Es waren nur Bruchteile, die ich am späten Nachmittag auf meiner Ranch erfahren habe. Ein paar üble Burschen rieben mir voll wilder Freude ein paar Dinge unter die Nase, die mir nicht so recht in den Kopf wollen. Ich versuchte einiges klarzustellen, da griffen sie nach den Schießeisen. Jetzt schmoren sie in der Hölle, Walt.«
Die Schultern Danners sanken nach vorn, sein Arm, mit dem er noch immer auf Jack wies, senkte sich. Er machte einen weiteren Schritt auf Jack zu und stand dann unmittelbar vor dem Schreibtisch. »Du hast zwei Männer erschossen«, stammelte er verwirrt, »nur weil sie ...«
»Sie griffen nach ihren Kanonen. Und diese Sorte tut das nicht zum Spaß. Also wehrte ich mich. Nun, Walt, wie war das nun vor einem Jahr? Was hatte mein Bruder mit dem Mord an Floyd Miller zu tun? Und was machte ihn dieses Mordes verdächtig? Wer gab Carter das Recht, die Logan-Ranch zu erwerben? Hinterließ mein Bruder etwa Schulden, die Carter übernahm?«
»Das ist doch alles nicht mehr von Interesse, Jack«, versuchte Danner einzulenken. »Es kam nur ein Mann für den Mord an Miller in Frage: dein Bruder. Also ritten wir hinaus zur Ranch, und ich riet Toby, sich zu ergeben, damit in einer Gerichtsverhandlung seine Schuld oder Unschuld hätte bewiesen werden können. Aber Toby eröffnete auf uns das Feuer. Da waren wir uns sicher, dass er ...« Der Sheriff brach ab und zuckte mit den Schultern. »Du kannst es nicht mehr rückgängig machen, Jack. Deshalb solltest du wieder fortreiten und alles vergessen. Es wäre das Beste.«
Jack schüttelte den Kopf. »Dass man mich lieber am Nordpol sähe als hier, habe ich schon herausgefunden. Aber ich bleibe. Wieso kam nur Toby für den Mord an Miller in Frage?«
Walt Danner starrte ihn verbissen an. Seine Rechte umklammerte den Coltknauf derart, dass die Knöchel hell durch die Haut schimmerten.
»Warum antwortest du nicht?« Jacks Stimme klang hart und zwingend.
»Nun gut. Dein Bruder und Floyd Miller gerieten wegen einiger Rinder, die sich von der Logan-Weide auf die Miller-Weide verlaufen hatten, in Streit. Es waren Mavericks darunter, und Miller drückte ihnen einfach seinen Brand auf. In der folgenden Gerichtsverhandlung bekam dein Bruder recht. Er ritt auf Millers Weide und holte sein Vieh zurück. Die beiden Cowboys von Miller beobachteten ihn dabei. Dann ritten sie zur Ranch, um Miller zu berichten, dass Toby die Rinder abgetrieben habe. Da fanden sie Miller tot, in den Rücken geschossen. Natürlich fiel der Verdacht sofort auf Toby. Ich ritt mit einem Aufgebot hinaus zur Logan-Ranch, um ihn zu verhaften. Toby aber widersetzte sich und verwundete sogar einen Mann des Aufgebots. Den Rest kennst du, Jack.«
»Ist das alles?«
»Ja. Der Doc schnitt die Kugel aus Millers Körper. Es war von jenem Kaliber, wie es in den Colt deines Bruders passte.«
»Was für ein Kaliber?«
»Vierundvierzig.«
»Vierundvierzig also. Ich kann mir nicht vorstellen, dass vor einem Jahr Toby der einzige Mann in der Umgebung war, der einen Colt Kaliber 44 trug«, entgegnete Jack grimmig.
Walt Danner zuckte mit den Achseln. »Natürlich nicht«, räumte er ein. »Ich selber trage eine Waffe mit diesem Kaliber. Und nicht nur ich. Aber gegen deinen Bruder sprach alles. Nur er hatte Streit mit Miller, nur er hatte einen Grund ...«
»Nachdem er vor Gericht recht bekam, was? Mach dich nicht lächerlich, Walt. Kein Mann erschießt einen anderen, wenn er gegen ihn eine gerichtliche Verfügung in der Tasche hat. Und das mit dem Kaliber, das ist an den Haaren herbeigezogen. Wie ist das mit Carter? Er war schon seit langem scharf auf die Miller-Weide, wie auch auf die Weidegründe der Logans. Indem man den Mord an Miller meinem Bruder in die Schuhe schob und Toby dafür zur Rechenschaft zog, öffnete man seinem Drang Tür und Tor. Miller hatte keine Erben. Und bei Toby vergaß man sicher, einen solchen in seine höllischen Pläne einzubeziehen.«
In diesem Augenblick musste Jack an ein schwarzhaariges Mädchen denken. Siebzehn Jahre war es, als er fortritt, und schon verteufelt hübsch. Zweiundzwanzig war Barbara Carter inzwischen, eine Frau also. Ob sie noch so aussah wie vor fünf Jahren?
Jack verwarf diese Gedanken. Nun galt es, an Wichtigeres zu denken.
Jack sah den Sheriff an, und der fragte: »Was willst du damit zum Ausdruck bringen, Logan? Soll das heißen, dass du Steward Carter den Mord an Miller anhängen willst?« Keuchend atmete er aus. »Ich will dir etwas sagen, Logan: Dein Bruder war ein Mörder und büßte entsprechend. Rühre du jetzt nicht den alten Dreck auf, denn du kommst damit nicht durch und wirst auf Granit beißen. Carter hat beide Ranches ordnungsgemäß erworben. Und wenn du nach fünf Jahren hier auftauchst und irgendwelche Ansprüche anmeldest, dann fällst du auf die Nase. Ich empfehle es dir also noch einmal: Steig auf deinen Klepper und kehre diesem Land den Rücken!«
Jack erhob sich ruckartig. Langsam umrundete er den Schreibtisch. Einen halben Schritt vor Danner blieb er stehen. Sein Atem streifte das Gesicht des Sheriffs. »Ich bleibe. Und ich werde einiges herausfinden. Und es wird etlichen Leuten nicht in ihren Kram passen. Du hast mir übrigens noch nicht gesagt, ob mein Bruder Schulden hinterließ.«
Der Sheriff wich Jacks Blick aus. »Er hatte keine Schulden. Die Ranch warf so viel ab, dass er davon leben konnte.«
»So konnte die Ranch also nicht aufgrund irgendwelcher Schuldverschreibungen unter den Hammer kommen. Das heißt, sie ist noch im rechtmäßigen Besitz der Logans, des Erben Tobys, in meinem Besitz also. Wie viele Rinder gehörten zur Ranch, als mein Bruder starb?«
»Mit dem Erwerb der Ranch sind auch sie in Carters Besitz übergegangen. Es waren so um die achthundert, schätze ich.«
Jacks Brust hob sich unter einem tiefen Atemzug. »Okay«, sagte er grimmig. »Dann weiß ich ja jetzt Bescheid.« Er ging an Danner vorbei zum Ausgang.
Der Sheriff war wie erstarrt. Er lauschte nach draußen, vernahm zwei, drei dumpfe, hallende Tritte auf dem Gehsteig, dann pochenden Hufschlag, der sich langsam entfernte.
*
JACK LOGAN ÜBERNACHTETE im Hotel. Sein Pferd wusste er im Mietstall versorgt. Er frühstückte gut und ausgiebig und trank dazu heißen Kaffee, dann rauchte er. Er spürte die verstohlenen Blicke des Keepers. Auch ihn kannte er von früher. Doch Bat Connors schien sich seiner nicht mehr zu erinnern.
Jack Logan war sich darüber im Klaren, dass es den Bürgern nicht lange verborgen blieb, dass er zurückgekehrt war. Dafür würde schon Walt Danner sorgen. Es war Jack egal. Seine Ruhelosigkeit hatte ihn nach Hause getrieben, und er wollte bleiben. Hier war der Platz, an dem er Ruhe und Frieden finden wollte.
Er drückte den Zigarettenrest im Ascher aus, warf ein paar Münzen auf den Tisch, erhob sich und verließ den Saloon.
Als Jack den Mietstall betrat, schnaubte sein Rotfuchs freudig.
Das Tier war gut versorgt, und Jack schenkte dem Stallburschen einen Quarter Dollar.
Als er aus dem Stall kam, schloss Jack sekundenlang die Augen. Das Sonnenlicht blendete ihn. Da näherten sich ihm Schritte von rechts. Er achtete nicht weiter darauf, als aber auch links gleiche Geräusche laut wurden, war er mit einem Schlag hellwach. Unwillkürlich spannten sich seine Muskeln, seine Sinne stellten sich auf eine unmittelbare Gefahr ein. Er duckte sich, seine Rechte zuckte zum Coltkolben, mit zwei schnellen Blicken erfasste Jack die Situation.
Von der einen Seite kam Danner auf ihn zu, von der anderen der Deputy Dave Corbett. Beide hielten ihre Colts in den Händen. Der Ausdruck in ihren Gesichtern war feindselig. Jack nahm die Hand von der Waffe.
»Was wollt ihr?«, fragte er beherrscht.
»In meinem Büro warten zwei Gentleman auf dich, Jack«, erwiderte der Sternträger, und es klang ein wenig höhnisch. »Sie haben Anzeige gegen dich erstattet, wegen Landfriedensbruchs und Totschlags. Du hast auf dem Land des einen zwei seiner Reiter getötet.« Der hämische Ausdruck in Danners Zügen verschwand plötzlich, als er hervorstieß: »Du bist verhaftet, Logan. Die Anklage kennst du!«
Er hob den Colt an, als Jack instinktiv nach dem Eisen greifen wollte. »Nur weiter, Logan, zieh deine Kanone!«, stieß er hervor, ein böses, um nicht zu sagten tückisches Schillern in den Augen. »Damit würdest du es mir und den Gentlemen in meinem Office einfach machen.«
Jack drohte der heiße Zorn zu übermannen. Nur mit Mühe konnte er sich im Zaum halten.
»Steward Carter, der ungekrönte König im County, nicht wahr?«, knurrte er.
Der Sheriff grinste.
»So wird es wohl sein, Jack. Wer sonst sollte dich anzeigen? Es waren zwei Männer aus seiner Mannschaft, die du erschossen hast. Und es geschah auf seinem Land, wo du nichts zu suchen hattest. Es wird eine feine Anklage, schätze ich.«
»Nein, ein übles Spiel, Walt. Und es erinnert mich sehr an die Sache mit Toby. Ergeht es dir nicht ähnlich? Okay, ich komme mit euch, aber aus freien Stücken, denn ich habe ausgesprochenes Interesse an einem Gespräch mit Carter. Der alte Halunke soll ruhig wissen, woran er mit mir ist. Ihr könnt eure Knarren wegstecken, denn ich bin nicht euer Gefangener.«
»Das bestimmst nicht du, Logan«, mischte sich Dave Corbett ein. Aber Jack beachtete ihn überhaupt nicht. Mit einem Ruck setzte er sich in Bewegung. Danner und Corbett wechselten verdutzte Blicke. Der Sheriff zerquetschte einen Fluch zwischen den Zähnen, stieß seinen Colt ins Holster und folgte Jack. Auch der Deputy rammte seine Waffe ins Leder.
Carter hat sich also nicht gescheut zu kommen, dachte Jack, während er die breite Main Street überquerte. Und seinen ersten Trumpf hat der alte Fuchs auch schon ausgespielt, wenn auch einen schlechten. Landfriedensbruch und Totschlag! Das ist lachhaft. Aber warte nur, alter Gauner. Ganz so einfach werde ich es dir nicht machen.
Eine seltsame Unrast war plötzlich in Jack. Er konnte es kaum mehr erwarten, Carter gegenüberzustehen. Jack wollte ihm seine Forderungen und Anklagen ins Gesicht schleudern.
Der Gedanke daran trieb Jack vorwärts. Bald darauf stieß er die Tür zum Office auf und trat ein.
Am Schreibtisch saß Steward Carter. Hinter ihm, lässig an die Wand gelehnt, stand John Mortimer. Jack blieb breitbeinig stehen. Der Sheriff drängte sich an ihm vorbei und bezog an der Längswand des Büros Stellung.
Während der Großrancher Jack aufmerksam musterte, betrachtete Mortimer wie gelangweilt seine Fingernägel.
Drückendes Schweigen herrschte sekundenlang im Raum. Die Stille wurde unterbrochen, als Corbett hinzukam. Der Deputy blieb hinter Jack an der Tür stehen. Niemand achtete auf ihn.
Logan und Carter belauerten sich wie zwei hungrige Wölfe.
Das monotone Ticken der Wanduhr drang überlaut in die herrschende Stille hinein.
»Das also ist der großmäulige Mister, der die Logan-Ranch für sich beansprucht«, sagte Mortimer mit krächzender Stimme.
Jack strafte den Revolvermann mit Missachtung. Er hatte nur Augen für Steward Carter und stellte fest, dass der Rancher sich in den vergangenen Jahren kaum verändert hatte. Lediglich die Haare auf seinem mächtigen Schädel waren um einige Töne grauer geworden.
John Mortimer vollführte blitzschnell eine halbe Drehung und nahm Front zu Logan ein. Seine Hände schwebten wie Adlerkrallen über den abgegriffenen Coltgriffen. Sein Gesicht schien noch eine Nuance kalkiger als sonst zu sein. Sein Mund klaffte auf. »Mister!«, zischelte er aufgebracht, »ich sprach mit dir.«
Eine ungeduldige Handbewegung Carters ließ ihn unterbrechen. Der Rancher sagte: »Nun, Logan, ich weiß, was dich nach Hause getrieben hat. In der Zwischenzeit hast du ja erfahren, wie das mit Toby war. Und nun willst du sein Erbe antreten. Wie ernst es dir damit ist, hast du ja bereits unter Beweis gestellt.«
»Ja, Carter, höllisch ernst«, erklärte Jack hart. »Und Ihre Anklage wegen Totschlags und Landfriedensbruch wird mich nicht davon abhalten.«
Carter grinste, erwiderte aber zunächst nichts. Erst nach einer ganzen Weile sagte er: »Ich habe nach dem Tod deines Bruders die Logan-Ranch rechtmäßig erworben. Sie ist in meinen Besitz übergegangen, und ich habe sie zu einem Vorwerk meiner Ranch gemacht. Von dir wusste kein Mensch, wo du gerade warst, was du getrieben hast, ob du überhaupt noch lebtest. Du hast nie etwas von dir hören lassen.«
»Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass die Logan-Ranch mein Eigentum ist. Lassen Sie sich Ihr Geld zurückgeben, Carter. Wenden Sie sich an den Mann, dem Sie die Ranch bezahlt haben. Aber versuchen Sie nicht, mir meinen Besitz streitig zu machen.«
Carter stemmte sich aus dem Lehnstuhl hoch und stützte beide Arme auf den Schreibtisch. In seinen Augen loderte es verhalten, pfeifend atmete er aus. »Verdammt, Logan, du beißt um dich wie ein tollwütiger Hund. Ich bin hergekommen, um dir ein gutes Angebot zu unterbreiten. Ich biete dir zehntausend Dollar für die Ranch. Damit kannst du irgendwo ganz neu anfangen. Wir setzen einen Vertrag auf, wonach du mit Auszahlung der Abfindungssumme auf alle Besitzansprüche an der Logan-Ranch verzichtest. Das ist ein faires Angebot, Logan. Du solltest es dir gut überlegen.«
Erwartungsvoll musterte er Jack Logan.
Der aber schüttelte den Kopf. »Niemals, Carter«, entgegnete er gedehnt. »Ich werde die Logan-Ranch wieder mit allen eingetragenen Rechten übernehmen. Selbst hunderttausend Dollar könnten mich davon nicht abbringen. Ich brauche Ihr dreckiges Geld nicht. Außerdem geht es um mehr als nur um die Ranch. Ich warne Sie, Carter: Halten Sie ihre Leute zurück! Dann haben Sie in mir den friedlichsten Nachbarn. Lassen Sie sie jedoch von der Leine, dann werde ich mich wehren.«
Der Revolvermann lachte kehlig. »Ich sagte es Ihnen, Carter«, zischelte er. »Die einzige Sprache, die diese Sorte versteht, ist die der Colts. Überlassen Sie ihn mir. Es kostet mich nicht mehr als ein müdes Lächeln, mit einem einzigen Schuss alle Probleme, die sich durch ihn ergeben, aus der Welt zu schaffen.«
Da erst richtete Jack seinen Blick auf den blassgesichtigen Coltschwinger. »Sie sollten sich raushalten, Mister«, sagte er ruhig. »Denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie das irgendetwas angeht. Halten Sie also den Mund.«
Mortimer stieß seinen Kopf wie ein Geier vor. So mit ihm zu sprechen hatte noch selten jemand gewagt. Und wenn, dann lebte derjenige nicht mehr. Sein Mund klappte auf, in seinen Augen tanzten plötzlich kalte Lichter.
Doch Jack beachtete Mortimer nicht mehr. Er hatte seine Aufmerksamkeit wieder auf den Großrancher gerichtet und sagte: »Sie haben es gehört, Carter. Richten Sie sich danach. Ein zweites Mal werde ich Sie nicht warnen.«
Damit wollte er sich abwenden, doch da fiel ihm noch etwas ein.
»Dass ich es nicht vergesse. Mein Bruder hatte um die achthundert Rinder auf der Weide stehen. Natürlich beanspruche ich auch die. Im letzten Jahr werden wohl so an die fünfhundert Rinder dazugekommen sein. Mir gehören also dreizehnhundert Rinder, Carter. Sollten sich mehr auf der Logan-Weide befinden, so empfehle ich Ihnen, sie von Ihren Cowboys abtreiben zu lassen. Ich werde jedenfalls den Teil, der mir gehört, aussortieren.«
Damit wandte er sich ab und verließ das Office.
Das scheppernde Lachen Mortimers folgte ihm.
Jack Logan kannte Mortimers Sorte. Sie war eiskalt, skrupellos und unberechenbar.
Jack fiel auf, dass von Totschlag und Landfriedensbruch kein Wort mehr gesprochen worden war. Das war wohl nur ein billiger Vorwand gewesen, um ihn zu veranlassen, auf jeden Fall zu Carter ins Sheriff's Office zu kommen. Jack dachte nicht weiter darüber nach.
»Er ist stur wie ein Longhorn«, maulte Steward Carter. »Er ist ein verdammter Dickschädel. Zur Hölle mit ihm! Er hat die raue Tour gewählt. Also soll er es auch rau bekommen.«
»Ich kann ihm ja folgen und ihn zwingen, zum Colt zu greifen«, schlug Mortimer vor. Aber der Rancher winkte ab. Barbara liebte Jack Logan. Und das hielt ihn auf irgendeine Art zurück.
Aber auch in Mortimers Denken nahm Barbara einen der vordersten Plätze ein. Über sie konnte er an die Ranch herankommen. Und das war die Nummer eins in seinen Gedanken.
Und nun kam dieser verdammte Jack Logan daher und drohte sich ihm als Stolperstein in den Weg zu stellen. Wenn es dabei auch nur um die Logan-Ranch ging, um einen kleinen Teil von dem, was zu Carters Ranch gehörte, so gab es für den Gunman keinen Zweifel, dass Logan trotzdem beseitigt werden musste.
»Nein«, entschied Carter. »Vielleicht findet sich ein anderer Weg. Im Moment ist Logan noch verbittert, und darum reagiert er entsprechend.«
»Ich könnte ihn tatsächlich verhaften«, mischte sich der Sheriff ein, »und ihn festsetzen, Rube Bascom könnte vor Gericht gegen ihn aussagen und dann ...«
Steward Carter hob sein Gesicht und starrte mit funkelnden Augen auf Danner. »Mit solchen Tricks lege ich keinen Mann aufs Kreuz«, stieß er hervor. »Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass Logan sich auf eine so plumpe Tour in die Suppe spucken lässt. Schon gar nicht von dir, Danner.« Der letzte Satz hatte ausgesprochen verächtlich geklungen.
Der Sheriff beugte sich vor. Seine Kiefer mahlten. »Es ist nicht Ihre Art, einen Mann mit faulen Tricks aufs Kreuz zu legen, Carter, wie? Wie war das denn mit Toby Logan? Warum wohl haben wir dieses Kesseltreiben gegen ihn veranstaltet? Ich kann es Ihnen sagen. Es war, weil ...«
John Mortimer war mit zwei langen Sätzen bei Danner. Der brach erschrocken ab. Die nervigen Hände des Revolvermannes verkrallten sich im Hemd des Sheriffs. »Kein Wort mehr, Danner!«, zischte Mortimer, »sonst schluckst du deine Zähne!«
Ein Blick in die hellen Fischaugen Mortimers ließ Danner frösteln. Ein eisiger Schauer lief seinen Rücken hinunter.
Er konnte diesem Blick keine zehn Sekunden standhalten, senkte den Kopf und murmelte: »Schon gut, Mortimer, schon gut. Ich habe verstanden.«
Der Gunman stieß ihn zurück, blickte über die Schulter auf Carter, und der sagte: »Gehen wir.«
Sie verließen das Office. Der Sheriff sah hinter ihnen her. Von seinen Zügen war deutlich abzulesen, wie sehr es hinter seiner Stirn arbeitete. Das nahm ihn so sehr in Anspruch, dass er nicht wahrnahm, wie seltsam ihn sein Gehilfe musterte.
Dave Corbett wurde aus dem Verhalten Carters nicht mehr klug, ebenso wenig aus dem Gebaren Mortimers. Irgendwie ahnte er, dass eine Menge ganz anders zu sein schien, als er sich das bisher gedacht hatte.
Warum war Mortimer dem Sheriff so hart ins Wort gefallen?, fragte er sich. Und warum hinderte Carter seinen Gunman, gegen Jack Logan vorzugehen? Carter musste doch in erster Linie ein Interesse daran haben, dass Logan aus dem Weg gepustet wurde.
*
JACK LOGANS WEG FÜHRTE direkt zum Boothill. Er fand die Stelle, wo sie seinen Bruder begraben hatten, schnell. Der Stiefelhügel von Prescott war nicht groß. Er lag etwas außerhalb der Stadt und war von einem mannshohen Bretterzaun umgeben. Unmittelbar neben dem Zaun hatten sie Toby beerdigt.
Jack stand vor dem verwilderten kleinen Hügel. Kein Mensch hatte sich jemals um das Grab gekümmert. Das war deutlich. Am Kopfende des Grabes hatte jemand einen Pflock in die Erde geschlagen, ein Brett darauf genagelt und Tobys Namen darauf geschrieben.
Jacks Kehle wurde eng. Zum Leben kann ich dich nicht mehr erwecken, Toby, dachte er. Doch ich werde herausfinden, wer Floyd Miller in den Rücken schoss. Und dann werde ich den oder die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen.
Er starrte noch eine ganze Weile mit brennenden Augen auf das Grab, machte sich Vorwürfe, weil er nicht da gewesen war, als Toby ihn ganz besonders notwendig gebraucht hatte. Dann stülpte er sich seinen Stetson auf den Kopf, wandte sich um und – erstarrte.
Auf Anhieb erkannte er die Frau, die wenige Yards vor ihm stand. Ernst sah sie ihn an.
Barbara!
Sie hatte am Morgen kurz nach ihrem Vater und dem Gunman die Ranch verlassen. Und während die beiden sich Zeit gelassen hatten, war sie schnell geritten und hatte sie in einem weiten Bogen überholt. Sie wollte Jack treffen. Und sie hatte bei einer Freundin gewartet, bis sie ihm auf der Main Street gefolgt war.
Und nun standen sie sich gegenüber. Er musterte sie unverhohlen, und ihr ebenmäßiges Gesicht rötete sich.
Barbara war mittelgroß, schlank und schwarzhaarig. Aus tiefblauen Augen blickte sie Jack an.
Himmel, ist sie schön geworden, durchzuckte es den Mann. Und was er dachte, schien sich in seiner Miene widerzuspiegeln.
Barbara senkte den Blick. »Hallo, Jack!«, sagte sie. Ihre Stimme klang belegt. »Du hast also wieder nach Hause gefunden. Wie ist es dir ergangen in den vergangenen fünf Jahren?«
Er trat zwei Schritte auf sie zu und ergriff ihre Hände. »Barbara«, murmelte er, und in seinen Augen war nichts als ungläubiges Staunen. Ihre Blicke versanken ineinander. Er drückte ihre Hände stärker.
Ein zaghaftes Lächeln stahl sich um ihren Mund. »Fünf Jahre sind eine lange Zeit.«
»Sie haben aus dir eine wunderschöne Frau gemacht, Barbara«, ließ er sie wissen. »Ich habe oft an dich denken müssen. Und ich stellte mir vor, dass du ...«
Er verstummte. Denn in diesem Moment machte er sich bewusst, dass sie eine Carter war. Abrupt ließ er ihre Hände los. Seine Züge wurden hart und kantig.
Etwas in Barbara versteifte sich. Sie erkannte die jähe Veränderung in seinem Gesicht und begriff. »Jack«, flüsterte sie mit zuckenden Lippen, »es ist schlimm. Und ich denke, dass vor einem Jahr ein großes Unrecht geschehen ist. Ja, es ist schlimm – für dich und für mich. Du bist vor fünf Jahren fortgeritten. Ich liebte dich, obwohl ich erst siebzehn war. Ich liebe dich noch immer, Jack. Du musst mir das glauben, bitte.«
»Es ist niemals etwas zwischen uns gewesen, Barbara«, erwiderte er, »und es wird niemals etwas zwischen uns sein. Ich bin ein Logan, du bist eine Carter. Hast du schon mit deinem Vater gesprochen? Wenn ja, dann weißt du gewiss von dem Angebot, das er mir unterbreitet hat. Ich habe es ausgeschlagen, denn ich werde bleiben und kämpfen – für mein Recht, gegen deinen Vater. Und ich werde herausfinden, wer in dem mörderischen Spiel vor einem Jahr Regie führte. Und wenn es dein Vater war, Barbara, dann ... Zwischen uns kann es niemals etwas geben, Barbara, außer vielleicht Hass, wenn ich deinen Vater töten muss.«
Sie drehte sich um und lief davon. Er sollte ihre Tränen nicht sehen. Tränen der Verzweiflung.
Versonnen schaute er hinter ihr her. Er bereute bereits seine schroffen Worte. Aber sie waren gesprochen und nicht mehr zurückzunehmen.
»Es darf nicht sein«, murmelte er voller Bitterkeit.
Vor ihm lag eine Zukunft, die düster aussah. Jack hatte aus der Erfahrung gelernt. Er wusste, dass er einen rauen Weg beschritten hatte und es kein Zurück mehr gab.
Er musste diesen schweren Weg gehen. Wenn es sein musste, bis zum bitteren Ende.
*
JACK LOGANS SCHRITTE dröhnten auf dem Gehsteig, als er dem Mietstall zustrebte.
Fünf Yards vor ihm wurde der Gehsteig durch eine in die Main Street mündende Gasse unterbrochen. In dem Augenblick, als Jack seinen Fuß in den Staub dieser Gasse setzte, wurde er aus dem Schatten heraus angesprochen.
»He, Logan! Alter Feuerfresser! Du ...«
Jack wirbelte geduckt halb um die Achse, seine Rechte schnappte nach dem Revolver. Es knackte metallisch, als er mit dem Daumen den Hahn zurückzog.
Das alles ging höllisch schnell vor sich, und nur ein in ungezählten Kämpfen erprobter Mann konnte eine solche Reaktion vorweisen.
Zwei Gestalten lösten sich aus dem in die Gasse fallenden Schatten eines Hauses. Weiße Zahnreihen blitzten in ihren von Wind und Sonne gegerbten Gesichtern.
»Nur nicht so hastig, mein Freund!«, rief der eine der beiden, ohne dass sich das Grinsen aus seinen Zügen verlor. »Bist ja eine mächtig fixe Nummer geworden. Halt nur den Hammer fest, sonst erschießt du am Ende zwei prächtige Burschen, um die es ewig schade wäre.«
Jacks Brust hob sich unter einem befreienden Atemzug. Die Angespanntheit fiel von ihm ab, denn er hatte die beiden wiedererkannt. Und er fing an, ebenso breit zu grinsen wie sie. Er entspannte den Colt und holsterte ihn. Erfreut rief er: »Bei allen Heiligen. Guy, Larry! Der Teufel soll mich holen, wenn ihr nicht ...«
»Wir sind es, Jack Logan«, unterbrach ihn Guy Warren mit seinem unverkennbaren Bass. »Ja, wir sind noch hier, sind nicht fortgeritten nach der Sache mit Toby vor einem Jahr. Denn wir haben die ganze Zeit über an deine Rückkehr geglaubt. Und nun ist unser sehnlichster Wunsch in Erfüllung gegangen. Nicht wahr, Larry?«
»Dem Himmel sei dafür gedankt«, sagte Larry Short. »Endlich ist der Tag gekommen, an dem wir wieder in den Logan-Sattel steigen können. Du hast dich ja gleich ziemlich klangvoll eingeführt, Jack. Wir haben es schon gehört. Du hast Steward Carter und seinem Schießhund Mortimer die erste Schlappe verpasst, als die zwei noch nicht einmal ahnten, dass du im Anmarsch warst. Du hättest den dicken Rube Bascom sehen sollen, als er Carter von der Himmelfahrt Flints und Dodsons berichtete. Der arme Junge war vor lauter Staunen ganz aus dem Häuschen.«
Unvermittelt wurde Jack ernst. »Wart ihr denn dabei?«, fragte er, und plötzliches Misstrauen klang in seiner Stimme mit.
»Gewiss, mein Sohn.« Guy Warren räusperte sich. »Wir haben auf Carters Lohnliste gestanden, nachdem ... Nun, du weißt Bescheid. Wir wollten die Gegend nicht verlassen, und andere Arbeit als mit dem Lasso und dem Brandeisen verstehen wir nicht. Carter war der einzige, der uns diese Arbeit hier bieten konnte. Außerdem warteten wir, wie schon gesagt, auf deine Heimkehr. Und als wir gestern hörten, dass du zurückgekommen bist, da haben wir sofort unsere Bündel geschnürt und sind heute Morgen in die Stadt geritten.«
Die beiden Cowboys waren ernst geworden, während Guy Warren Jack aufklärte. Und seine Worte hatten wie eine Entschuldigung dafür geklungen, dass sie Carters Sattel gequetscht hatten.
Jack nickte und sagte: »Ihr wollt also wieder in den Logan-Sattel steigen, wenn ich euch richtig verstanden habe.«
»So ist es, es sei denn, es gibt keinen Logan-Sattel mehr«, erwiderte Larry Short.
»O doch, es gibt ihn wieder. Und ihr könnt ihn drücken.« Jack streckte Larry Short seine Rechte hin. »Ihr seid okay, Jungs, ihr seid es wirklich.«
Larry Short ergriff die dargebotene Hand und drückte sie fest. Dann schüttelten sich Jack und Guy Warren die Hände.
Ja, sie waren zwei prächtige Burschen, die Oldtimer. Hart, zäh und hager wie Wüstenwölfe, verwittert und krummbeinig. Jack hatte mit den beiden nicht gerechnet. Er hatte sie nicht eine Sekunde lang, seit er wieder zu Hause und über die Verhältnisse aufgeklärt war, in seine Überlegungen einbezogen. Aber nun waren sie da. Und Jack war froh darüber, denn er wusste, dass er nicht allein war in seinem Kampf um die Logan-Ranch.
Warren und Short waren an die fünfzig Jahre alt, wenn nicht schon darüber. Das aber wussten sie selbst nicht so genau zu sagen. Es war ihnen auch egal, solange sie sich auf dem Rücken eines Pferdes halten konnten.
»Okay«, sagte Jack. »Ihr werdet es schon ahnen. Wir haben eine mächtig raue Zeit vor uns. Ich habe Carter den Krieg angesagt, und er hat den Fehdehandschuh aufgenommen, den ich ihm hinwarf.«
»Darauf sollten wir einen trinken«, schlug Larry Short vor.
»Ja, eine gute Idee.« Jack hieb Short die flache Hand auf die Schulter. »Weiß der Teufel, Larry, aber dass ich euch hier treffe ... Was bin ich froh, endlich einmal jemandem zu begegnen, der mich nicht feindselig anstarrt.«
Larry grinste und puffte Jack mit der Faust leicht in die Rippen. »Unsere Freude ist nicht geringer, Jack. Komm, lass uns jetzt in den Saloon gehen und einen darauf trinken, dass du es Carter und seinem Gunslinger zeigst.«
Minuten später betraten sie den Saloon. Er war um diese Tageszeit nur mäßig besucht. Die Anwesenden waren mit einem einzigen Blick zu erfassen. Zwei Männer standen an der Theke, die die gesamte Längsseite des Schankraums einnahm. Sie wandten den Eintretenden die Rücken zu. Guy Warren und Larry Short stockten, doch Jack ging unbeirrt weiter. Die beiden Cowboys wechselten einen bezeichnenden Blick und folgten ihm. Sie starrten auf die beiden Männer am Tresen.
Es waren Steward Carter und John Mortimer.
Sie hatten sich nicht umgedreht, als die Pendeltür aufgestoßen worden war und die Schritte Logans und der beiden Cowboys über die Fußbodenbretter dröhnten.
In dieser Stadt brauchten sie nichts und niemanden zu beachten, denn sie hatten hier nichts zu befürchten.
Die Dielen ächzten unter dem Gewicht der drei Männer, als sie einen Tisch im Hintergrund des Raums ansteuerten. Jack achtete nicht auf Carter und Mortimer. Er nahm Platz, und dann streifte sein nichtssagender Blick ihre Gestalten. Guy Warren und Larry Short rückten sich Stühle zurecht. Die beiden fühlten sich nicht besonders wohl in ihrer Haut. Das drückten ihre Mienen nur zu deutlich aus.
»Eine Flasche Brandy und drei Gläser!«, bestellte Jack mit lauter Stimme. Es war auch am Tresen zu hören.
Steward Carter drehte sich um und starrte verblüfft auf die drei Männer.
Mortimer zeigte keinerlei Reaktion. Doch auch er hatte die Stimme Jack Logans erkannt. Seine Linke verkrampfte sich um das Schnapsglas, seine Lippen bildeten nur noch einen dünnen Strich, so sehr presste er sie zusammen. Seine Rechte stahl sich in die Nähe des Revolverkolbens.
Es verging nahezu eine Minute lastenden Schweigens. Carter nahm Warren und Short kurz unter die Lupe, dann richtete er seinen Blick auf Jack Logan. Ein keuchender, abgerissener Ton entrang sich seiner Brust, und laut sagte er: »Hast du es dir überlegt, Logan? Willst du auf mein Angebot eingehen und für alle Zeiten aus dem Land verschwinden?«
Jack lehnte sich auf dem Stuhl zurück, schüttelte den Kopf und entgegnete: »Darüber haben wir uns bereits eingehend genug unterhalten, denke ich. Meine Antwort kennen Sie, Carter. Sie ist nach wie vor dieselbe: Schreiben Sie die Logan-Ranch ab und lassen Sie mich künftig mit irgendwelchen Angeboten in Ruhe.«
»Du bist ein Narr, Logan!«, giftete Carter. Die Zornesader auf seiner Stirn war angeschwollen. »Du stehst allein gegen eine Ranch, deren Mannschaft dem Teufel in den Rachen spuckt. Willst du lassoschwingend hinter Kuhschwänzen herjagen und zugleich einen Kampf gegen die Carter-Ranch führen? Es wird sich im ganzen County kein Mann finden, der in deinen Sattel steigt. Deine Lage ist aussichtslos. Du bewegst dich auf einem Seil, Jack Logan, hoch über der Erde, obwohl du kein Seiltänzer bist.«
»Sie irren sich, Carter«, mischte sich Larry Short ein. Seine Stimme hatte einen rauen und heiseren Klang. »Guy Warren und ich sind wieder in den Logan-Sattel gestiegen. Schon lange haben wir den Tag herbeigesehnt, an dem Jack zurückkehren würde. Der Tag ist gekommen, und jetzt gibt es für uns keinen anderen Sattel mehr als den der Logans.«
Carter glaubte nicht richtig zu hören. Der heiße Zorn brachte das Blut des Ranchers zur Wallung und verdunkelte sein Gesicht. Tief sog er die Luft in seine Lungen. »Ihr steht auf meiner Lohnliste!«, brüllte er mit sich überschlagender Stimme. »Und ihr ...«
»Das mag schon richtig sein, Carter«, unterbrach Guy Warren ihn gelassen. »Doch du kannst uns von ihr streichen. Begreifst du jetzt?«
Der Rancher war nahe daran zu explodieren. Nur mühsam gelang es ihm, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
»Dann kippt ihr sehr schnell aus den Stiefeln«, drohte er ungeniert.
»Sie sollten meine Männer nicht bedrohen, Carter!«, fuhr Jack eisig dazwischen. »Sie ritten schon für meinen Vater, dann für Toby. Und nun wollen sie mir helfen, mein Recht zu behaupten. Diese beiden gehören zur Logan-Ranch wie das Salz in die Suppe. Halten Sie also Ihren Mund, Carter, und lassen Sie sie in Frieden! – Zum Teufel, ich habe Brandy bestellt!« Mit diesen Worten wandte er sich von Steward Carter ab. Für ihn schien dieses Thema beendet.
Bat Connors, der Barkeeper, zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Mechanisch griff er nach einer vollen Flasche, doch da erhob Mortimer seine Stimme. Sie hatte den Klang zerspringenden Glases.
»Halt!«
Connors erstarrte in der Bewegung.
Betont langsam drehte der Gunslinger sich um. Zuvor hatte er sein Glas mit einem harten Ruck abgestellt. Er hatte nun beide Hände auf den Revolverknäufen liegen.
»Hier gibt es keinen Brandy für dich, Logan!«, rief er, jedes einzelne Wort betonend. »Du hast schlechte Luft hereingebracht. Es stinkt! Es wäre besser, wenn du sofort wieder verschwinden würdest. Und nimm diese beiden Kuhtreiber mit.«
Irgendwie hatte Jack diese Entwicklung geahnt. Sein Blick kreuzte sich mit dem Mortimers.
»Es wird dein eigener Geruch sein, den du in der Nase hast, Fischauge. Er ist mir schon im Sheriff's Office aufgefallen. Ja, es stinkt hier, aber es hat schon gestunken, als wir durch die Tür kamen. Ich werde mich daran gewöhnen und – bleiben.«
Aus Mortimers Gesicht schien der letzte Blutstropfen gewichen zu sein. Sein Mund verzerrte sich, weiß traten die Knöchel seiner Hände unter der Haut hervor, so hart umklammerte er die Revolvergriffe.
»Steh auf, Logan!«, zischelte er. »Steh auf und zieh!«
Er knickte in der Mitte leicht ein, spreizte kurz die Finger, schloss sie wieder um die Kolben.
Steward Carter legte ihm eine Hand auf den Unterarm. »Keine Schießerei, Mortimer!«, befahl er. »Es muss nicht sein, noch nicht. Lassen wir Logan den ersten Schritt tun. Lassen wir ihn uns einen Grund geben, ihn hinwegzufegen.«
»Den haben wir, seit er Nat Flint und Wyatt Dodson erschoss«, entgegnete Mortimer krächzend.
Carter zuckte mit den Achseln. »Kommen Sie, wir gehen«, sagte er.
Er warf ein paar Münzen auf die Theke und setzte sich in Richtung Tür in Bewegung. John Mortimer stand wie angewurzelt. Sein glitzernder Blick war hasserfüllt auf Logan gerichtet.
Carter bemerkte, dass der Revolvermann ihm nicht folgte. Über die Schulter rief er: »Nun kommen Sie schon, Mortimer, verdammt! Ich will keine Schießerei.«
Da ging der Gunman. Die Schwingtür pendelte hinter ihm und seinem Boss knarrend und quietschend aus.
*
JACK HÄTTE JEDEN BETRAG darauf verwettet, dass Mortimer nicht so einfach gehen würde, nachdem er, Jack, ihm dem Marsch geblasen hatte.
Seltsam, dachte Jack, er gehorcht Carter wie ein Hund. Dabei ist er von jener Sorte, die sich gewiss nicht gängeln lässt. Was ist es, was den weißgesichtigen Burschen so gefügig macht? Sicher, Carter ist eine Führernatur, und er versteht es, diese Rolle zu spielen wie kein anderer. Aber wirkte diese Ausstrahlung tatsächlich so sehr auf Mortimer, dass der seinen Willen dem des Ranchers bedingungslos unterordnete? Kaum vorstellbar.
Jack verwarf diese Gedanken, denn Bat Connors brachte die Flasche und drei Gläser. Abwartend blieb der Keeper neben dem Tisch stehen, und als Jack ihn fragend anblickte, streckte er die rechte Hand aus.
»Willkommen zu Hause, Jack«, sagte er mit geheuchelter Freundlichkeit.
Jack erkannte es augenblicklich. Was ging in diesem Burschen vor? Jäh begriff Jack. Er übersah Connors' Hand und sagte: »Sicher hast du zum Aufgebot gehört, Bat, das meinen Bruder verfolgte und tötete. Du hattest doch schon immer deine Nase vorn, wenn es darum ging, über irgendjemand den Stab zu brechen. Deinen Charakter kenne ich noch von früher her zur Genüge. Wie oft hast du denn auf Toby geschossen, he? Kannst du seither überhaupt noch ruhig schlafen? Oder hast du nie einen Gedanken daran verschwendet, dass Toby unschuldig gewesen sein könnte?«
Bats Schultern sanken nach vorn. Er zog seine Hand zurück. Eine Welle heißen Blutes färbte sein Gesicht dunkel. Jacks Worte ließen sein Herz schneller schlagen.
»Ich – ich ...« Er schluckte mühsam, brachte kein weiteres Wort hervor und wich Jacks Blick aus.
»Okay, Connors, du brauchst mir keine Antwort auf meine Fragen zu geben. Vielleicht wolltest du Carter einen Gefallen erweisen, als du mitgeritten bist, vielleicht aber warst du wirklich von Tobys Schuld überzeugt. Dann tue ich dir Unrecht, und du kannst meine Worte vergessen. Vergiss sie aber nicht, wenn du nur aus Gefälligkeit mitgeritten bist.«
Der Keeper ging hinter den Schanktisch. In seinem Gesicht hatte sich ein nachdenklicher Zug eingeprägt. Er war sich selbst nicht mehr sicher, was ihn damals veranlasst hatte, sich zum Hilfssheriff vereidigen zu lassen und mitzureiten, um Toby Logan für einen unbewiesenen Mord zur Rechenschaft zu ziehen.
»Cheerio«, sagte Guy Warren und hob sein gefülltes Glas.
Die Gläser klirrten leise, als sie sie zusammenstießen.
»Trinken wir darauf, dass uns nach der rauen eine geruhsame Zeit erwartet«, sagte Larry Short zu seinem Freund.
*
DIE TREIBERPEITSCHEN knallten wie Revolverschüsse und übertönten die schrillen Schreie der Männer. Muhend und brüllend formierte sich die Longhornherde. Wilde, zähe, dunkle Rinder mit mächtig ausladenden Hörnern. Achthundert Hufe wühlten die Weide auf, eine Wolke von Staub wurde hochgewirbelt. Horn klapperte. Die achthundert Hufe trommelten dumpf auf der ausgedörrten Erde.
Dazwischen knallten die Bullpeitschen und erklang das schrille Schreien der Treiber.
Jack Logan hatte die linke Flanke der Herde übernommen, Guy Warren und Larry Short die rechte. Es waren zweihundert Rinder. Stiere, Kühe und Mavericks.
Immer wieder versuchten Rinder auszubrechen.
Die drei Männer leisteten härteste Weidearbeit. Ihre Körper waren nass vom Schweiß, eine dicke Staubschicht hatte sich auf ihre Gesichter gelegt, rötete ihre Augen und trocknete ihre Kehlen aus.
Sie nahmen es hin, wurden es kaum gewahr. Es gehörte dazu. Sie waren Männer der Weide. Guy Warren und Larry Short kannten es nicht anders. Das Leben auf der Ranch und im Sattel hatte sie geformt.
Jack trieben Ehrgeiz und der Wille, es Steward Carter zu zeigen. Die nötige Härte, um bei dieser Arbeit nicht schlappzumachen, besaß er. Und an Erfahrung mangelte es ihm ebenfalls nicht, denn bis vor fünf Jahren war er selbst Cowboy gewesen. Cowboy auf der Logan-Ranch.
»Treibt sie zum Fluss!«, brüllte Jack durch den Lärm. »Treibt sie zum Fluss hinunter!«
Seine Stimme vermochte das brodelnde Inferno nicht zu übertönen.
Die Herde hatte sich zu einem Keil formiert. Ein mächtiger und zottiger Leitstier trottete an der Spitze. Wie schwarze Schemen zogen die Tierleiber durch den wallenden Staub.
Es war die letzte Herde, die sich auf dem Gebiet der Logan-Ranch befand. All die anderen Herden und Rudel hatten Jack und seine beiden Cowboys in den vergangenen Tagen zu dem schmalen Creek getrieben, der das Land der Logan-Ranch gegen das der ehemaligen Miller-Ranch abgrenzte. An diesem Fluss besaßen einstmals Logan und Miller die Wasserrechte, Carters Gebiet wurde von ihm nicht berührt. Irgendwann vor Jahren war es zum Streit gekommen, und Logan und Miller hatten Carter den Weg zum Creek verwehrt. Zu diesem, wie auch zu jenem Bach, der weiter westlich verlief und der tiefer im Süden in den Creek mündete.
Jack Logan und den beiden Cowboys war klar, dass Steward Carter nicht tatenlos zusehen würde, wie sie die Logan-Ranch wieder in Besitz nahmen. Sein fischäugiger Revolvermann ölte sicherlich bereits seine Sixshooter.
Der Weidekrieg war unausbleiblich.
Das war für Jack so sicher wie das Amen am Ende vom Gebet. Seit zwanzig Jahren kannte er Steward Carter. Der Starrsinn des Ranchers war sprichwörtlich ...
Bald graste die Herde friedlich. Jack sprang aus dem Sattel. Guy Warren und Larry Short ritten heran und saßen ebenfalls ab. Gemeinsam führten sie ihre Tiere zur Tränke, etwa hundert Yards von der Herde entfernt. Sie wuschen sich Staub und Schweiß aus den brennenden Gesichtern, klopften ihre Kleidung aus und tranken aus dem Fluss.
»Der Anfang wäre gemacht, Jungs«, sagte Jack. »Wir werden jetzt eine Stunde rasten. Auch unsere Pferde haben Ruhe nötig. Vor allem mein Pferd ist diese Arbeit nicht gewohnt. Aber es hat sich doch prächtig gehalten, wie? Wir werden nachher die Rinder zählen. Ich glaube nicht, dass wir schon dreizehnhundert Tiere zusammen haben. Morgen fangen wir damit an, ihnen den Logan-Brand aufzudrücken. Wir werden darüber hinaus jedes einzelne Rind am Ohr markieren. Macht es euch jetzt bequem, Freunde, denn eine Stunde währt nicht ewig.«
»Zum Teufel, Jack, wenn es keine dreizehnhundert Rinder sind, dann holen wir uns den Rest von der Carter-Weide. Und dann soll uns der alte Querkopf nur seinen Anhang schicken. Wir werden diesen Burschen die heilige Mannesfurcht einjagen.« Guy Warren hatte es voll Grimm hervorgestoßen.
Jack nickte.
Die Sonne hatte ihren höchsten Stand überschritten. Mit alles verzehrender Kraft warf sie ihre Gluthitze über das Land. Die Männer aßen schweigsam. Die Geräusche der weidenden Herde drangen an ihre Ohren. Sie aßen Dörrfleisch, trockenes Brot und Trockenobst und tranken dazu das Wasser, das sie in ihren Weißblechflaschen hatten.
Der Anblick der grasenden Herde berührte Jack seltsam. Sie gehörte ihm, wenn sie auch zum größten Teil den Carter-Brand trug. Sie war ein Teil der Erbschaft, die er angetreten hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte diese Herde nur Schweiß gekostet. Wann würde sie den ersten Blutzoll fordern?
Die Stunde war um, und die Männer erhoben sich. Sie spürten nun erst recht die Müdigkeit in ihren Gliedern.
Guy grinste verkniffen und sagte: »Ich spüre jeden einzelnen Knochen. Seit fünfunddreißig Jahren jage ich hinter Kuhschwänzen her, war zigmal auf dem Trail nach Norden, fraß Staub und durchschwamm reißende Flüsse, gegen die das hier ein Rinnsal ist. Doch ich fühlte mich nie so zerschlagen wie nach diesen wenigen Tagen. Hölle, ich habe das Gefühl, mein Gaul bewegt sich nicht mehr wie ein solcher, sondern eher wie ein knochiger Ziegenbock.« Guy reckte sich. »Ich glaube, ich werde alt«, fügte er dann hinzu, zog sein Pferd herum und lenkte es zur Herde.
»Mir geht es nicht viel anders«, knurrte Larry nickend und ritt hinter Guy her.
Jacks Blick folgte den beiden. Und er dachte sich, dass er sie in den vergangenen Tagen tatsächlich hatte kaum zur Ruhe kommen lassen, und dass auch er sich wie gerädert fühlte. Aber der Gedanke, auf der Logan-Weide so schnell wie möglich klare Verhältnisse zu schaffen, ließ ihn nicht mehr los, bestimmte sein Handeln, gab ihm immer wieder neuen Antrieb.
Sie begannen mit der Zählung. Warren und Short trieben Rudel zu zehn Rindern an Jack vorbei, und der machte bei jedem Pulk, der ihn passierte, einen Strich in ein Notizbuch.
Der Standort der Herde veränderte sich, und als die Sonne weit im Westen stand, war das letzte Rudel in dem Notizblock erfasst. Jack zählte die Striche und multiplizierte sie mit zehn. Dann sah er unter halb gesenkten Lidern hervor auf Guy Warren und Larry Short. Er erkannte den erwartungsvollen Ausdruck in ihren Augen.
»Es sind elfhundertachtundfünfzig, Jungs«, sagte er dumpf. Er rechnete kurz nach. »Also fehlen noch hundertzweiundvierzig. Wir werden sie uns holen, gleich morgen.«
*
»DIESER NARR!« STEWARD Carters Stimme erinnerte an grollenden Donner. Er blickte weder auf Barbara, noch auf John Mortimer, die sich mit ihm in der Wohnstube befanden. Und so bemerkte er auch nicht die gierigen, verzehrenden Blicke, die der Revolvermann dem Mädchen zuwarf. Barbara jedoch nahm sie wahr. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich, und ihre Beklemmung wuchs.
Sie konnte den kalkgesichtigen Gunslinger nicht ausstehen. Alles in ihr sträubte sich gegen diesen Mann. Schon lange war ihr aufgefallen, dass er ihre Nähe suchte, und sich bemühte, ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Er konnte nicht ahnen, wie sie zu Jack Logan stand.
»Er hat es also wahrgemacht und all die kleinen Herden auf der ehemaligen Logan-Weide zusammengetrieben«, fuhr der Rancher wütend fort. »Damit hat er sich offen gegen mich gestellt und den Kampf eröffnet. Nun gut, wir werden den Schwanz nicht einziehen wie die geprügelten Hunde. Mortimer«, er fixierte den Gunman, »Sie reiten mit zehn Männern auf die Logan-Weide und zerstreuen die Herde, die Logan am Fluss stehen hat. Treiben Sie sie auseinander, verteilen Sie sie von mir aus über das halbe County. Logan muss die Lust vergehen, sie wieder zu sammeln. Am besten, Sie teilen sie in drei kleinere Herden auf, die Sie zu den entferntesten Punkten meines Landes treiben lassen. Jede dieser Herden sollen ein paar Mann bewachen. Sicher ist sicher. Und falls Sie Logan oder einem seiner Männer begegnen sollten, dann jagen Sie sie von mir aus in die Hölle.«
Er hatte es hart und gepresst hervorgestoßen. Nahezu körperlich spürte er Barbaras brennenden Blick, und unwillkürlich zog er seinen kantigen Schädel zwischen die Schultern. Unsicher sah er seine Tochter an. In seinen Zügen arbeitete es.
Doch Barbara sagte nichts.
Ein eisiges Lächeln kerbte sich in die Mundwinkel John Mortimers. »Sie können sich darauf verlassen, Carter.«
Seine Lippen gaben einen Teil seines Gebisses frei, seine Züge nahmen einen bösen Ausdruck an. Er erinnerte an einen Wolf, der die Zähne fletscht.
Mortimer nahm Handschuhe und Stetson vom Tisch und erhob sich. Sein Blick kreuzte sich mit dem des Ranchers. »Warren und Short sind nur Statisten und zählen nicht«, sagte er, »nur Logan. Und ihn wird es bald nicht mehr geben.«
Er verließ die Wohnstube, seine Schritte verloren sich auf dem Flur.
Barbara legte ihre Handarbeit zur Seite, lehnte sich im Sessel zurück und verschränkte ihre gebräunten Hände im Schoß. Leise sagte sie: »Dad, wenn du Mortimer gegen Jack Logan von der Leine lässt, wird Blut fließen. Bist du darauf scharf? Mortimer ist ein eiskalter Killer, der keine Skrupel kennt. Er will Jack tot sehen. Und er wird ganz gewiss nicht fair sein, wenn er auf Jack trifft. Dabei fühle ich, dass Jack im Recht ist. Ja, Jack hat das Recht auf seiner Seite, und du bist im Unrecht. Mortimer ist das egal. Ist dir denn noch nie aufgefallen, dass er ...«
Steward Carter hieb mit der flachen Hand durch die Luft, und Barbara hielt inne. Er legte seine klobigen, knochigen Fäuste auf den Tisch.
»Du magst sogar recht haben«, sagte er, und es hörte sich ungeduldig an. »Gewiss, Mortimer ist ein eiskalter Brocken, er ist skrupellos und sicher nicht fair, wenn es darum geht, Jack Logan von dieser Erde zu fegen. Und es wird Blut fließen, wenn Mortimer auf Logan trifft. Ich habe Mortimer zweimal zurückgehalten, habe versucht, Jack eine Chance zu geben. Er aber hat beide Chancen ungenutzt verstreichen lassen. Und eine dritte gebe ich ihm nicht. Logan ist stur und bockig, er hat mein faires Angebot ausgeschlagen. Meine Geduld mit ihm ist zu Ende. Er konnte sich denken, dass ich nicht tatenlos zusehen würde, wenn er mir auf die Zehen tritt. Ich habe ein Anrecht auf die Logan-Ranch, und zwar mit allem Drum und Dran. Und das lasse ich mir nicht streitig machen, verstehst du? Jack hat es vorgezogen, zu bleiben und zu kämpfen und hat nun die Konsequenzen zu tragen.«
Seine Fäuste verkrampften sich. Er biss die Zähne zusammen, scharf traten seine Wangenknochen hervor. Gepresst fuhr er fort: »Ich weiß, wie wenig du Mortimer ausstehen kannst und wie gering deine Meinung über ihn ist. Doch eine Ranch wie diese braucht einen Mann von seiner Sorte. Mortimer ist jung und dynamisch, und er hält, was er verspricht. Du solltest einmal darüber nachdenken, Barbara.«
In ihren Augen blitzte es zornig auf. Sie hatte eine scharfe Erwiderung auf der Zunge. Doch sie verkniff sie sich und sagte stattdessen: »Denke doch einmal ein Jahr zurück, Dad. Man erschoss Toby Logan als den Mörder Floyd Millers. Es ging alles nach Recht und Gesetz zu. Man gab Toby die Chance, sich zu ergeben, versprach ihm einen fairen Prozess, und dann tötete man ihn.« Barbara beugte sich ein wenig vor, ihr Blick bohrte sich in den ihres Vaters. »Toby Logan war kein Mörder«, fuhr sie dann fort, jedes Wort betonend. »Man hat einen Unschuldigen gejagt und für den Mord an Miller zur Rechenschaft gezogen.«
Carter blickte seine Tochter verdutzt an. »Du sagst das, als wenn du davon überzeugt wärst. Verdammt, Toby war schuldig. Kein anderer hatte an Millers Tod ein Interesse. Toby aber hatte einen ziemlich schlimmen Streit mit ihm. Kein Mensch hier im Land hat jemals an Toby Logans Schuld gezweifelt.«
»Doch, Dad, ich. Und lange Zeit hatte ich den Verdacht, dass du ...« Sie unterbrach sich, starrte sekundenlang auf den Fußboden und sprach dann weiter: »Du wolltest die Logan-Ranch schon immer haben, Dad. Schon zu Lebzeiten des alten Logan sprachst du davon, dass der Logan-Besitz den deinen abrunden würde. Das gleiche galt für Floyd Millers Ranch. Ich ...«
Carters Miene hatte sich verändert. Seine Gesichtshaut hatte eine fahle Färbung angenommen. Er wirkte plötzlich alt und müde. »Du – du dachtest ...« Er keuchte heftig. »O Gott, wie konntest du mir noch in die Augen sehen, Mädel? Und ich ahnte von all diesen Gedanken, die dich bewegten, nichts. Alle Heiligen, du hieltest deinen eigenen Vater für einen Mörder?«
»Verzeih mir, Dad«, entgegnete Barbara. »Aber ich konnte nicht anders. Toby Logan war kein Mörder. Und dein Interesse am Logan- und am Miller-Besitz war übergroß. Zwischenzeitlich ist mir jedoch klar geworden, dass deine Hände sauber sind. Und ich bedaure es wirklich, dass ich diesen schlimmen Verdacht gegen dich hegte.«
»Und wer ist in deinen Augen die Ratte?«
»Halte Mortimer zurück, Dad«, sagte sie ausweichend. »Er darf nicht auf Jack treffen, denn der ist im Recht. Du aber stellst dich gegen Recht und Gesetz, wenn du zulässt, dass Mortimer mit der Waffe auf ihn losgeht.«
»Das heißt also, dass du dich entschieden hast, Barbara.« Schwer kamen diese Worte über des Ranchers Lippen. Seine Stimme klang hohl. Er nickte. In seinen Mundwinkeln zuckte es. »Du hast gewählt. Und du hast dich für Jack Logan entschieden, nicht wahr? So sehr liebst du ihn, dass du dich gegen deinen Vater stellst?«
Sie hob ihren Blick und sah ihm voll in die Augen. »Ja, so sehr liebe ich Jack«, stieß sie leidenschaftlich hervor. »Ich habe mit Jack gesprochen, doch er wies mich ab. Es kann nichts geben zwischen einem Logan und einer Carter, schleuderte er mir ins Gesicht. Ich kann Jack verstehen, Dad, sehr gut sogar. Er muss ja denken, dass du die Fäden in der Hand hältst, dass du der Drahtzieher bist – sowohl am Tod Floyd Millers, als auch am Tod Tobys. Deine Interessen und dein Gebaren, nachdem er heimkam. Du hast nichts, aber auch gar nichts getan, um Jack vom Gegenteil zu überzeugen. Und darum ...«
»Ist das dein letztes Wort?« unterbrach er sie schroff.
»Du – du bist mein Vater. Als solchen verehre, schätze und respektiere ich dich. Aber Jack gehört meine Liebe.«
Carters Gesicht nahm wieder eine gesunde Färbung an. Seine breite Brust hob sich unter einem pfeifenden Atemzug. In ihm stritten sich die Gefühle und Empfindungen, fochten einen heftigen Kampf aus. Dann sagte er ruhig, beinahe zu ruhig: »Verlasse mein Haus, Barbara! Hier ist kein Platz mehr für dich, nachdem du dich gegen mich entschieden hast. Du trägst den Namen Carter, und vielleicht bist du sogar von meinem Schlage, doch ich kann nicht dulden, dass du dich gegen mich stellst. Geh – für immer! Denn wer nicht für mich ist, ist gegen mich und mein Feind. Geh, Barbara!«
Er erhob sich abrupt und ging stampfend zur Tür. Krachend flog sie hinter ihm ins Schloss. Er vernahm nicht mehr Barbaras verzweifeltes Schluchzen. Vielleicht wollte er es auch gar nicht hören.
*
STEWARD CARTER TRAT in den Schatten des Vorbaudachs. Er sah seine Männer ihre Pferde aus dem Stall führen. Mortimer stand unterhalb des Vorbaus im Hof und wartete darauf, dass man sein gesatteltes und gezäumtes Tier brachte.
Fest umspannten die großen Hände des Ranchers das Geländer. Er verfolgte das Treiben im Hof eine Weile, dann rief er grollend: »Ich reite mit! Sattelt also auch mein Pferd!«
Er machte auf dem Absatz kehrt und stapfte zurück ins Haus. So entging ihm John Mortimers spöttisches Grinsen. Als Carter in die Wohnstube trat, saß Barbara noch so im Sessel, wie er sie vor einer Minute verlassen hatte. Sie weinte. Aus tränenumflorten Augen sah sie zu ihm auf, doch er beachtete sie nicht. Er nahm aus der geschnitzten Truhe den zusammengerollten Patronengurt. Aus dem Holster ragte der abgenutzte Griff des 45ers. Er schnallte sich den Gurt um, prüfte den Sitz des Colts, rückte das Holster zurecht und band es mit den dünnen Lederschnüren an seinem Oberschenkel fest. Dann nahm er aus dem Gewehrschrank eine Winchester, Modell 73.
»Dad!«, tönte es verzweifelt hinter ihm her. Er jedoch verließ ohne sich umzuwenden die Stube.
Ein Cowboy legte gerade einem langbeinigen, muskulösen Pinto den Sattel auf. Steward Carter wartete. Dann schwang er sich geschmeidig in den Sattel. Mortimer und die Cowboys saßen bereits auf ihren Pferden. Der Mann, der des Ranchers Pferd gesattelt und gezäumt hatte, trat zurück.
Carter setzte sich an die Spitze der Kavalkade, Mortimer folgte ihm dichtauf. Eine lange Staubfahne hinter sich her ziehend, ritten sie von der Ranch.
Barbara stand am Fenster und schaute voller wehmütiger und bitterer Gedanken hinter ihnen her. Sie wusste, dass sie ihren Vater verloren hatte. Gram, Verzweiflung und Resignation drückten sich in ihren ebenmäßigen Zügen aus. Dumpf vernahm sie den Schlag ihres Herzens. Bald entschwanden die Reiter ihrem Blick.
Sie ging hinauf in ihr Zimmer und packte das Notwendigste zusammen.
Fünfzehn Minuten später verließ auch sie die Ranch. Sie ritt jenes Pferd, das sie im vorigen Jahr von ihrem Vater zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Den Packen hatte sie hinter sich am Sattel festgeschnallt.
Sie wusste nicht, wie ihre Zukunft aussehen würde. Doch machte sie sich darüber auch keine Gedanken. Sie dachte nur an Jack Logan, gegen den ein Dutzend Männer mit ihrem Dad an der Spitze ritten. Ihre Liebe zu ihm war stärker als die Bindung an den Vater. Diese Liebe war übermächtig und ließ ihr keine andere Wahl.
Sie lenkte das Pferd in Richtung Prescott. Dort wollte sie zunächst einmal Zuflucht bei ihrer Freundin Katy suchen.
*
GERÄUSCHLOS ARBEITETEN sich die drei Männer durch den dichten Buschgürtel an die vier Cowboys heran, die um ein kleines Campfeuer herum saßen und ihr Frühstück zubereiteten. Zweihundert Yards entfernt stand die Herde in einer flachen Senke. Es waren an die fünfhundert Rinder.
Die Burschen am Feuer waren vollkommen arglos. Sie unterhielten sich und lachten. Doch ihre Unterhaltung fand ein abruptes Ende, als scharf eine Stimme aus den Büschen ertönte und sie in ihren Bewegungen erstarren ließ: »Okay, Freunde, auf euch sind drei Kanonen gerichtet. Also macht keine Dummheiten. Wenn ihr klug seid, dann geschieht euch nichts.«
Die vier Cowboys wechselten schnelle Blicke und rührten sich nicht. In den Büschen raschelte und knackte es, dann traten Jack Logan, Guy Warren und Larry Short heraus. Sie hielten ihre Revolver in den Fäusten. Die Hähne waren gespannt, und die Mündungen wiesen unverrückbar und unmissverständlich auf die vier Weidereiter.
»Mein Name ist Jack Logan.« Er deutete mit dem Colt zur Herde hinüber. »Ich werde mir hundertzweiundvierzig Rinder holen. Keines mehr und keines weniger. Und versucht nicht, uns aufzuhalten. Solltet ihr jedoch wider Erwarten verrückt genug sein, dann wird es höllisch rau für euch werden.«
Die Cowboys starrten ihn verunsichert und zugleich misstrauisch an. Nach einer Weile fragte einer von ihnen: »Sind Sie unter die Viehdiebe gegangen, Logan? Sie wissen, was man in diesem Land mit solchen Leuten macht. Man hängt sie an den nächsten Baum.« Der Mann richtete seinen Blick auf Warren. »Was hat das zu bedeuten, Guy?«
Jack enthob Guy Warren einer Antwort, indem er antwortete: »Was wir hier tun, hat mit Viehdiebstahl nicht das Geringste zu tun, Mister. Ich hole mir nur, was mir zusteht. Und das sind genau hundertzweiundvierzig Kuhschwänze. Darüber ließ ich auch euren Boss nicht im Unklaren. Also spielt jetzt nicht die Helden, denn für Carter zu sterben lohnt sich nicht.«
»Carter ist informiert?« Der Cowboy legte den Kopf ein wenig schief und musterte Jack von oben bis unten. »Und was meinte er dazu, he?«
Jack zuckte mit den Achseln. »Seine Antwort interessierte mich kaum. Sie könnte an der Tatsache, dass ich jetzt hier bin, um mir zu holen, was mir gehört, auch nichts ändern. Well, Jungs, ihr habt zwei Möglichkeiten: Entweder ihr verhaltet euch ruhig und versucht nicht, uns aufzuhalten, oder wir werden euch zusammenschnüren.«
Sie wechselten unsichere Blicke. Doch dann erkannten sie die Ausweglosigkeit ihrer Situation, und der Sprecher sagte: »Okay, Logan, wir werden uns euch nicht in den Weg stellen. Das überlassen wir Carter und Mortimer. Die allerdings werden das nicht hinnehmen.«
»Gut, dann legt eure Waffen ab. Bringt sie her und ...«
Der Cowboy hob beschwichtigend die Hände und zeigte Jack die Handflächen. »Sicher«, sagte er, als Jack verstummt war. »Wir sind Cowboys und keine Revolverschwinger.«
Sie öffneten die Schnallen ihrer Gurte und legten ab. Dann setzten sie sich wieder um das niedrige Feuer. In ihren Gesichtern spiegelte sich all das wider, was sie dachten. Doch sie schwiegen sich aus.
Jack stieß seinen Colt ins Holster und bedeutete Warren und Short, es ihm gleichzutun. Er schätzte die vier Weidereiter als ehrliche, faire Burschen ein, die begriffen hatten, dass er, Jack Logan, die besseren Trümpfe in der Hand hielt.
Und dieses Wissen würde sie von irgendwelchen Dummheiten abhalten.
Guy Warren sammelte die Revolvergürtel ein und schleuderte sie in die Büsche. Dann sagte er: »Ich hole jetzt unsere Pferde, Jack. Je eher wir anfangen, umso früher sind wir fertig. Und wir wollen es doch hinter uns bringen, nicht wahr?«
Er entfernte sich.
Sie begannen mit der Arbeit, nachdem er mit den Pferden zurückgekommen war. Die Cowboys am Feuer verfolgten alles untätig. Gewiss machten sie sich ihre Gedanken. Sie hatten von Logans Heimkehr gehört, und sie kannten die Geschichte der Logan-Ranch.
Jack und seine Gefährten arbeiteten schnell und geschickt. Und bald stand die kleine Herde zum Abtrieb bereit. Während Guy Warren und Larry Short sie umrundeten, ritt Jack zu den vier Weidereitern. Er sagte kühl: »Ich will euch einen guten Rat geben: Setzt euch auf eure Gäule und verlasst das Land. Denn hier werden bald die Kugeln fliegen, und sehr leicht könnt ihr der einen oder anderen im Wege stehen.«
Er nickte ihnen zu, zog sein Pferd herum und ritt zur wartenden Herde.
Ein dumpfes Brodeln erfüllte die Luft, als sie sie forttrieben.
*
STEWARD CARTERS MÄNNER hatten die Logan-Herde in drei große Rudel gespalten. Der Rancher und John Mortimer beobachteten alles von einem flachen Hügel aus, wie zwei Feldherren, die dem wogenden Getümmel einer Schlacht mit Blicken folgten.
Sie verharrten in mürrischem Schweigen, wobei sie beide eine tiefe Genugtuung erfüllte.
Immer wieder äugte Mortimer zur Seite auf den Rancher. Unten warteten die Cowboys auf ein Zeichen.
Steward Carter gab es, indem er die Faust in die Höhe stieß und mit dem Arm eine kreisende Bewegung vollführte. »Treibt sie vorwärts, Männer!«, rief er ihnen zu. »Treibt sie nach Osten, Westen und Norden! Treibt sie auf die Carter-Weide, denn es sind Carter-Rinder!«
Um Mortimers schmallippigen Mund stahl sich ein böses Grinsen.
Bei den Herden wurde es laut. Es waren die typischen Geräusche eines Herdentriebs: Peitschenknallen, schrilles Geschrei, dumpfes, rumorendes Brodeln.
Die Rinder setzten sich in Bewegung. Langsam entfernten sie sich voneinander. Steward Carter wandte den Kopf und sagte zu John Mortimer: »Diese Rinder kehren allesamt auf ihre Heimatweide zurück. Wir versetzen Logan damit den ersten Gegenschlag, und dann geht's weiter, bis er mit der Nase im Dreck liegt. Und dann geben Sie ihm den Rest. Reiten wir.«
Mortimer folgte Carter, der schon fünf Pferdelängen geritten war, und setzte sich neben ihn.
Der Rancher sagte: »Ich habe Barbara aus dem Haus gewiesen, Mortimer.«
Der parierte sein Pferd und stieß hervor: »Was haben Sie? Sind Sie verrückt geworden?«
Carter war weitergeritten. Nichts deutete darauf hin, dass er die Absicht hatte, sich weiter darüber auszulassen. Er hatte Mortimer in Kenntnis gesetzt, und das genügte. Der Gunman drückte seinem Pferd die Sporen in die Weichen und holte auf. »Los, Carter, sagen Sie, dass das eben ein übler Scherz war!«
»Sie hat sich für Logan entschieden«, antwortete der Rancher, »Barbara liebt ihn. Sie hat ihn immer geliebt, und als er nach Hause zurückkehrte, kam es mit Macht über sie. Nach ihrer Meinung ist Logan im Recht und ich bin derjenige, der gegen Gesetz und Ordnung verstößt, weil ich mich ihm in den Weg stelle.«
Mortimer zerbiss einen Fluch. »Sie Narr! Sie gottverdammter Narr! Dafür ...«
Der kantige Kopf Steward Carters ruckte herum. Finster starrte der Rancher seinen Revolvermann an. »Wie reden Sie denn mit mir, Mortimer? Noch bin ich Ihr Boss, noch stehen Sie auf meiner Lohnliste. Und das heißt, dass ich den nötigen Respekt erwarten kann, wie von allen meinen Angestellten. Schreiben Sie sich das hinter die Ohren, sonst ...«
»Was ist sonst?« fuhr Mortimer ihm schroff in die Parade. Er hielt sein Pferd zurück, und auch Steward Carter zügelte sein Pferd. Ihre Blicke kreuzten sich wie Degenklingen. Der Steward Carters war ungeduldig und wütend, der des Revolvermannes eisig.
Der Rancher schwieg. Zynisch sagte John Mortimer: »Ich werde Barbara zurückholen, und keine Macht dieser Erde wird mich daran hindern. Sie alter Narr. Sie erwarten Respekt. Ihre Zeit ist abgelaufen, ja. Aber eines sollen Sie noch wissen, Carter: Sie waren nur ein Spielball in meinen Händen, eine Marionette, deren Schnüre ich führte und deren Bewegungen ich bestimmte. Sie haben es nicht bemerkt. Sie sind ein Dummkopf.«
Die Brauen Carters bildeten nur mehr einen geraden, durchgehenden Strich, über der Nasenwurzel des Ranchers hatten sich zwei steile Falten eingekerbt. Die aufsteigende Wut entrang seiner Brust ein abgerissenes Stöhnen. »Wie soll ich das verstehen?«, knirschte er.
»Wie ich es sagte«, erwiderte Mortimer kalt. »Seit Jahren schon, genau gesagt seit ich bei Ihnen bin, habe ich es nur auf die Ranch abgesehen. Denn ich habe ein Alter erreicht, in dem ein Mann wie ich sesshaft werden muss. Ich habe mich immer Ihren Anordnungen und Befehlen gebeugt und verachtete mich manchmal selbst, weil ich wie ein Hund gehorchte. Denn ich gehöre nicht zu der Sorte der Befehlsempfänger. Sie haben das nicht erkannt, und darum sind Sie ein Narr und Dummkopf. Sie sind auf mich hereingefallen, und ich war meinem Ziel immer näher gekommen. Ich brauchte nur noch Barbara für mich zu gewinnen. Nur über sie konnte ich Herr der Carter-Ranch, des Carter-Imperiums werden. Aber nun haben Sie Barbara fortgejagt, und das wirft mich in all meinen Plänen gewaltig zurück.«
»Yeah«, entgegnete Steward Carter. »Sie haben recht, Mortimer. Ich bin ein Narr, denn ich hätte es längst erkennen müssen. Jetzt wird mir einiges klar.« Der Rancher presste die Lippen so sehr aufeinander, dass sie nur noch einen dünnen, blutleeren Strich bildeten. »Sie haben sich für die Carter-Ranch aufgeopfert, Mortimer. Sie räumten alles aus dem Weg, was zum Stolperstein hätte werden können. Und deshalb waren Sie auch so scharf darauf, sich Jack Logan vor die Colts zu holen. Es waren Ihre Interessen, für die er sterben sollte. Denn er tauchte völlig überraschend für Sie auf und durfte aus Ihrer Sicht hier erst gar nicht mehr Fuß fassen, weil er nicht in Ihre verbrecherischen Pläne passte.«
»Gewiss.« Mortimers Stimme triefte vor beißendem Hohn. »Auch Floyd Miller und Toby Logan waren zwei Hindernisse auf meinem Weg. Also musste Miller sterben und der Verdacht auf Toby Logan fallen. Ich habe das doch prächtig eingefädelt, Carter, finden Sie nicht?«
»Sie – Sie Mörder! Sie hundsgemeiner Bandit!«
Mortimer lachte hämisch. »O nein, Carter. Mit Mord habe ich mich nicht abgegeben. Millers Blut klebt an den Händen eines anderen Mannes. Er erschoss ihn aus dem Hinterhalt und glaubte, in Ihrem Auftrag zu handeln.«
»Wer?« fragte Carter.
»Uninteressant. Der Name würde Ihnen auch nicht mehr viel nützen, denn jetzt bin ich am Drücker. Und Ihre Zeit ist, wie ich schon sagte, abgelaufen. Wir befinden uns auf der Logan-Weide. Man wird Sie hier finden, und der Verdacht wird auf Logan fallen. Man wird ihn für den Mord an Ihnen lynchen. Und ich werde Barbara über den unersetzlichen Verlust hinwegtrösten. Sie wird es mir danken, meinen Sie nicht?«
Er lachte gemein. Das teuflische Lachen gellte in des Ranchers Ohren nach. »Sie sind ein Schuft, Mortimer«, kam es gepresst über seine Lippen. »Ich habe Fehler über Fehler gemacht, weil ich Ihnen vertraute. Ich hätte Sie zum Teufel jagen sollen, als Sie mich vor drei Jahren um den Job baten. Mit der Bullenpeitsche hatte ich Sie ...«
»Sie haben mich eingestellt, Carter. Und das war Ihr Pech.«
In Mortimers Augen trat ein Glimmen. Es war ein tödlicher Funke, und er sprang auf Steward Carter über. Es war, als legte sich eine eisige Hand um sein Herz und drückte es zusammen.
Mortimer zog aufreizend langsam seinen linken Colt, zielte auf Carters Brust. Es knackte, als er den Hammer zurückzog. »Sie werden jetzt in die Hölle fahren, Carter«, sagte er ohne Gemütsregung. »Und dann hole ich Barbara zurück und mache sie mir gefügig. Sie wird meine Frau werden, und damit fällt mir die Ranch in den Schoß.«
»Barbara kann Sie nicht ausstehen, und darum ...«
Die übrigen Worte des Ranchers gingen im Krachen der Detonation unter. Pulverrauch hüllte Mortimers Gesicht ein.
Steward Carter wurde im Sattel zurückgestoßen. Seine Augen wurden groß und weit, ein abgrundtiefes Ächzen entrang sich seiner Brust. Eine Weile noch hielt er sich schwankend auf dem Pferderücken. Der dunkle, feuchte Fleck auf seiner linken Brustseite vergrößerte sich zusehends. Sein Mund öffnete sich, als wenn er noch etwas sagen wollte, aber der Tod war schneller. Schwer stürzte der Rancher aus dem Sattel auf die Erde. Sein Pferd tänzelte nervös zur Seite und warf den Kopf hoch.
Mortimer ersetzte gelassen die abgefeuerte Patrone durch eine scharfe aus seinem Gurt, dann stieß er den Colt ins Holster, rückte ihn zurecht und trieb sein Pferd an. Er lenkte es hinter der Herde her, die in Richtung Norden in Marsch gesetzt worden war. Seine Abwesenheit bei der Herde sollte sein Alibi sein.
Der wichtigste Schritt, um in den Besitz der Carter-Ranch zu kommen, war getan.
Der Rancher war tot.
Der Verdacht musste auf Jack Logan fallen. Ihn würde man für diesen Mord zur Rechenschaft ziehen – ebenso, wie man Toby Logan für den Mord an Floyd Miller zur Rechenschaft gezogen hatte.
Barbara würde Logan von dem Augenblick an hassen, in dem sie erfuhr, dass ihr Vater tot war und Jack Logan dies zu verantworten hatte. Und er, Mortimer, rechnete sich dann bei Barbara ein leichtes Spiel aus.
Das waren die Gedanken des Mörders, während er sein Pferd schonungslos über die Weide trieb.
*
JACK LOGAN RITT AN der rechten Flanke der Herde entlang, überholte sie und schälte sich wie aus dem Nichts aus der wogenden Staubglocke.
Hart fiel er seinem Pferd in die Zügel. »Heavens!«, entfuhr es ihm, als er erkannte, dass die große Herde, die sie in den vergangenen Tagen zusammengetrieben hatten, nicht mehr am Fluss stand.
Hinter ihm war das Dröhnen der nahenden Rinder.
Er riss sein Pferd herum und preschte an der rechten Flanke der Herde zurück. Zuerst traf er auf Guy Warren. »Die ganze Herde ist verschwunden!«, brüllte er mit sich überschlagender Stimme.
Er galoppierte an Guy Warren vorbei, und der fluchte bitterlich. Er hatte Jacks Worte genau verstanden.
Vor Larry Short nahm Jack hart den Rotfuchs zurück. Sekunden später wusste der kleine Cowboy, dass Carter zurückgeschlagen hatte. Er riss sich den Hut vom Kopf und schmetterte ihn zornig auf die Erde. Seine Lippen formten böse Worte, die der Lärm ringsum jedoch schluckte.
An der Seite Jacks überholte er die Herde, Guy Warren schloss sich ihnen an. Ein ganzes Stück vor den heranwogenden Longhorns zügelten sie ihre Pferde.
Kein einziger Kuhschwanz stand mehr am Creek. Deutlich erkannten sie jedoch die breiten Fährten, die nach Norden, Osten und Westen führten.
Die Flut von schwarzen Tierleibern hinter ihnen kam von selbst zum Stehen. Nicht lange allerdings, denn die Rinder hatten die Witterung des nahen Wassers aufgenommen und trotteten nun zum Fluss.
»Das war Carters Werk«, bemerkte Jack überflüssigerweise, denn jeder von ihnen wusste das. »Er hat die Herde aufteilen und in drei verschiedene Richtungen davontreiben lassen. Bei Gott, ich werde sie mir wiederholen, jede einzelne dieser drei Herden.« Er wies nacheinander auf die deutlichen Spuren. »Ich hole sie mir wieder.«
»Wir holen sie uns wieder«, verbesserte Guy Warren.
Und Larry Short fügte hinzu: »Vergiss niemals, dass wir im selben rauen Sattel sitzen, Amigo.«
Die Männer waren verschwitzt, müde, hungrig und durstig. Feiner Staub rieb unter ihrer Kleidung auf ihrer Haut und knirschte zwischen ihren Zähnen. Ihre Kehlen waren ausgetrocknet, aber sie ließen sich nicht aufhalten.
Unbändige Wut und mörderischer Grimm trieben sie auf der Fährte voran, die nach Osten führte. Ihre Mienen drückten alles das aus, was sich an Empfindungen und Gefühlen in ihnen abspielte.
Vor ihnen war die Grasnarbe aufgerissen. Hier und dort lagen frische Kuhfladen.
Der scharfe Reitwind kühlte ihre erhitzten Gesichter.
Sie ritten in Intervallen. Eine halbe Stunde scharfen Galopp, eine halbe Stunde Schritt. Denn die Pferde Warrens und Shorts waren ziemlich am Ende.
Nach zwei Stunden hatten sie die Herde vor sich. Drei Reiter trieben sie. Eine wallende Staubwolke hüllte sie ein.
Jack trieb den Rotfuchs an. »Wartet hier!« rief er über die Schulter. »Haltet mir gegebenenfalls den Rückzug frei! Hüh, vorwärts!« Das Pferd unter ihm streckte sich.
In einem engen Bogen überholte Jack die Herde. Die Treiber achteten nicht weiter auf ihn, vermuteten sie ihn doch am allerwenigsten hier, und erkennen konnten sie ihn nicht. Also mussten sie annehmen, er wäre einer von ihnen. Jack konnte ihre Schemen durch den dichten Staubvorhang ausmachen. Er erreichte die Spitze der Herde. Ein mächtiges Leittier trottete neben ihm. Er versuchte, es abzudrängen. Nach einiger Mühe gelang ihm dies. Die Rinder folgten dem Stier. Jack vernahm die gellenden Rufe der Weidereiter und ahnte, dass sie bald kommen würden, um nachzusehen, was es war, das die Herde aus der Richtung brachte.
Jack zog seinen Colt und schoss in rasender Folge die Trommel halb leer. Die Projektile rissen vor den Hufen des Stieres die Erde auf.
Das Tier stieß ein wütendes Brüllen aus und warf den massigen Schädel mit den weit ausladenden Hörnern in die Höhe. Seine blutunterlaufenen Augen starrten sekundenlang tückisch zu Jack in die Höhe. Der Stier war drauf und dran anzugreifen. Jack gab noch einen Schuss ab. Die Kugel riss einen nicht sehr stark blutenden Streifen über den knochigen Kopf des Rindes. Es brüllte erschrocken auf, warf sich herum und begann zu rennen.
Und dann war das Chaos perfekt. Die gesamte Herde brach nach rechts aus, folgte dem Stier. Der schlug einen Bogen und raste dann in die Richtung zurück, aus der die Herde gekommen war.
Jack hatte erreicht, was er wollte.
Die Masse der dunklen Leiber wurde schneller und schneller, der Lärm artete zum höllischen Inferno aus.
Stampede!
Das war das Wort, das jedem Cowboy des Westens einen kalten Schauer den Rücken hinunterjagte.
Jack hatte die Herde in Stampede versetzt. Die Rinder würden laufen, bis sie nicht mehr konnten. Dann würden sie irgendwo zu grasen beginnen.
Die Staubwolke war kaum mehr mit Blicken zu durchdringen. Die Kontur eines Reiters schälte sich vor Jack aus der Staubwand. Es war einer der Treiber. Er erkannte Jack im selben Augenblick und hob seine Hand mit dem Colt. Aber Jack war schon neben ihm. Sein wuchtiger Faustschlag warf den Mann aus dem Sattel. Er verschwand im wogenden Staub.
Dann war die Herde vorbei. Jack folgte ihr. Er schluckte Unmengen von Staub. Seine Augen tränten, und er konnte fast nichts mehr erkennen. Aber unbeirrt trieb er den Rotfuchs voran. Da fuhr es ihm glühendheiß über den Rücken. Ein kurzer, stechender Schmerz. Er blickte nach links, erkannte schemenhaft die Silhouette eines Reiters und feuerte zurück. Jedoch mit dem Krachen des Schusses wusste er, dass er nicht getroffen hatte.
Der Mann war nicht mehr zu sehen. Jack holsterte den Colt, beugte seinen Oberkörper vor und lag nahezu auf dem Hals seines Pferdes.
Unter den vielen hundert Hufen erbebte die Erde. Wieder tauchte ein Reiter auf, und Jacks Rechte zuckte instinktiv zum Colt. Er erkannte jedoch rechtzeitig Guy Warren. Der brüllte irgendetwas, doch ging es im infernalischen Lärm unter.
Die Herde rannte eine Stunde, dann war sie erschöpft. Sie wurde langsamer und kam endlich zum Stehen. Die Staubschleier senkten sich. Jack blickte in die Runde. Von Guy Warren und Larry Short war nirgends etwas zu sehen. Doch ahnte Jack, dass sie bald irgendwo über den Hügeln auftauchen würden. Ihre Pferde hatten eben das höllische Tempo der Rinder nicht mithalten können.
Ein seltsamer, ja trügerischer Friede lag über der grasenden Herde.
Jack ließ sich aus dem Sattel gleiten, knüpfte seine Wasserflasche vom Sattel, schraubte den Verschluss auf und nahm einen Schluck von dem lauen Wasser. Er schluckte es nicht, sondern spülte sich nur den Staub und die Trockenheit aus dem Mund und spuckte es wieder aus. Den zweiten Schluck trank er. Mit dem Rest des Wassers versorgte er sein Pferd, so gut es eben ging. Dann wartete er.
Guy Warren und Larry Short brauchten über eine Viertelstunde. Sie saßen ab und ließen sich neben Jack ins Gras sinken. Sie betrachteten ihn stumm von der Seite, dann krächzte Larry Short wie ein alter Rabe: »Das war das Verrückteste, das ich jemals gesehen habe. Und es gibt kaum etwas an Verrücktheiten, die ich nicht erlebt hätte.« Er kratzte sich am Kinn. »Das war doch verrückt, Guy, oder nicht?«
»Ja. Und wenn du nicht ein ausgewachsener Mann wärst, Jack, dann würde ich dir jetzt für deinen verdammten Leichtsinn den Hintern versohlen, so wahr ich Guy Warren heiße.«
Er nickte Jack zu, dann erhob er sich ächzend. »Komm, Larry, wir müssen unsere Pferde versorgen, sonst können wir den Rest des Weges laufen.«
Larry Short folgte ihm.
Die Pferde waren ausgepumpt. Und der Arbeitstag war noch nicht zu Ende.
Seit fünf Uhr morgens waren die Männer nun im Sattel, über zehn Stunden. Und fünf, sechs, vielleicht sogar sieben Stunden lagen noch vor ihnen.
Guy Warren und Larry Short nahmen es hin, denn sie wussten, dass es um mehr ging als nur um eine Herde Longhorns.
Sie versorgten die Pferde und ruhten anschließend etwas über eine Stunde. Die Sonne stand schon weit im Westen, als sie sich wieder in die Sättel zogen. Die Pferde hatten sich ein wenig erholt.
Die Männer ließen die Herde dort zurück, wo sie gerade stand, denn sie befand sich bereits auf Logan-Weide. Am folgenden Tag wollten sie die Rinder zurück zum kleinen Creek treiben.
Eine weitere Stunde später folgten sie der Fährte, die nach Westen geführt hatte. Sie war nach ungefähr zwei Meilen scharf nach Norden abgebogen.
Sie kamen auf Carter-Land.
Vereinzelte Rinderrudel kreuzten ihren Weg. Sie interessierten sich nicht dafür. Sie wollten nur jene Herde wiederhaben, die Carter hatte davontreiben lassen. Und dann sahen sie die Tiere von der Wasserscheide eines Hügels aus. Die Rinder weideten in einem weitläufigen Tal. Vier Cowboys bewachten sie.
»Okay«, sagte Jack grimmig. »Holen wir sie uns.«
Sie trieben ihre Pferde den sanft abfallenden Hang hinunter. Ihre Gesichter wirkten starr und ausdruckslos, doch in ihren Augen glühte ein leidenschaftliches Feuer. Warren und Short flankierten Jack.
Die Herdenwachen wurden auf sie aufmerksam. Sie riefen sich irgendetwas zu und sammelten sich am Fuß des Hügels. Ihre von der harten Weidearbeit narbigen Hände lagen auf den Revolvergriffen. Reglos verharrten sie auf ihren Pferden.
Zehn Yards vor ihnen zügelten Jack und seine Männer ihre Pferde. Jack gab den beiden anderen ein Zeichen, worauf sie auseinander ritten, und ehe die Herdenwache sich versah, war sie von drei Seiten in die Zange genommen. Die Blicke der Cowboys wurden unsicher. Deutlich erkannten die Männer, dass sie im Nachteil waren, wenn sie auch einen Mann mehr zählten.
Jack legte seine Hände auf das Sattelhorn. Hart musterte er jeden einzelnen der Weidereiter, dann sagte er gedehnt: »Der Spaß ist vorbei, Jungs. Ihr werdet die Herde dorthin zurücktreiben, wo ihr sie hergeholt habt. Und reißt jetzt bloß nicht deswegen die Mäuler auf, sonst müssten wir euch eins draufgeben. Aber wir haben gegen euch persönlich keinen Groll, denn ihr habt nichts weiter als eurem Boss gehorcht. Doch jetzt gehorcht ihr mir. Also los! In einer Viertelstunde marschiert die Herde. Klar?«
»Sie sind Jack Logan, nicht wahr?«, fragte ein alter, sehniger Cowboy.
»So ist es, Oldman«, antwortete Jack eisig, dann deutete er auf die Herde. »Und das ist mein Eigentum, Mister. Allerdings steht es auf der verkehrten Weide. Ihr werdet es also auf die richtige zurückbringen.«
Der alte Cowboy schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, Logan, das werden wir nicht tun. Diese Rinder tragen nahezu alle den Carter-Brand, und die wenigen, die noch den Logan-Brand im Fell haben, hat Carter ordnungsgemäß gekauft. Die Herde ist also nicht Ihr Eigentum, sondern Carters. Die Tiere stehen schon auf der richtigen Weide, Logan.«
Jack lächelte grimmig. Seine Lippen gaben kräftige weiße Zähne frei. Er sagte: »Ich war fast fünf Jahre fort, Oldman. Und seit ungefähr einem Jahr gibt es hier keine Logan-Weide und keinen Logan-Brand mehr. Doch jetzt bin ich wieder zu Hause. Somit gibt es wieder eine Logan-Weide und einen Logan-Brand.«
Das hatte gefährlich sanft geklungen. In einem solchen Ton sprach nur ein Mann, der wusste, dass er seinen Willen durchzusetzen vermochte.
Doch der Oldtimer blieb stur. Achselzuckend entgegnete er: »Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass wir den Auftrag haben, diese Herde zu bewachen. Es ist schon richtig. Wir haben sie von dem kleinen Creek weggetrieben, den Sie als Ihr Eigentum bezeichnen. Es geschah auf Anweisung Carters. Erzählen Sie uns also, was Sie wollen. Wir werden nur das tun, was uns Carter aufgetragen hat. Und an diese Herde kommen Sie somit nur über unsere Leichen ran.«
»Du sprichst große Worte ziemlich gelassen aus, Oldman«, konterte Jack. »Aber das habe ich mir beinahe gedacht.«
Mit dem letzten Wort zog er. Es war eine blitzschnelle, mit den Augen kaum wahrzunehmende Bewegung von Arm und Schulter. Er richtete die Mündung auf den Oldtimer.
Auch Guy Warren und Larry Short zogen ihre Colts und hielten damit die anderen Weidereiter in Schach.
Die Carter-Leute waren ohne jede Chance.
»Ich kann euch nicht helfen, Männer«, sagte Jack. »Aber wenn ihr nicht Vernunft annehmt, werden wir höllisch ungemütlich. Also?« Er sah sie der Reihe nach an.
Ein junger Cowboy mischte sich ein. »Wir sollten tun, was er von uns verlangt, denn die Herde bekommen sie so oder so. Warum sollen wir uns wegen einiger hundert Longhorns Löcher in die Figuren schießen lassen?« Er hieb mit der flachen Hand durch die Luft und wandte sich dann den anderen zu. »Treiben wir sie also zurück. Wenn die Herde erst wieder am Creek steht, können wir uns noch immer überlegen, wie es weitergehen soll.«
Er nickte Jack Logan zu, zog sein Pferd herum und ritt zur Herde. Die beiden anderen folgten ihm. Hasserfüllt starrte der Oldtimer hinter ihnen her. Erst nach einer Weile gab er seinem Pferd die Sporen. In wilder Karriere preschte er nach Osten davon. Bald tauchten Pferd und Reiter in eine Bodenmulde und entschwanden aus Jacks Blickfeld.
Der entspannte seinen Colt und schob ihn langsam ins Holster. Guy Warren und Larry Short folgten seinem Beispiel. Dann trieben sie ihre Pferde hinüber zur Herde.
Sie halfen den Carter-Cowboys, die Rinder auf den Trail zu bringen. Bald marschierten sie. Die Nase des Leittieres war nach Südosten gerichtet.
»Treibt sie wieder zum Creek!«, rief Jack den Treibern zu, »Ihr stoßt unterwegs auf eine zweite Herde. Nehmt sie mit!«
Einer der Weidereiter bedeutete Jack mit einer Handbewegung, dass er ihn verstanden hatte.
Jack, Guy Warren und Larry Short blieben zurück. »Nach Osten«, stieß Jack hervor. »Wir holen uns Herde Nummer drei!«
Die Abenddämmerung senkte sich über das Land. Die drei Männer saßen seit mehr als dreizehn Stunden in den Sätteln. Doch ihr Tag sollte erst dann beendet sein, wenn die dritte Herde wieder am Fluss stand.
*
ES WAR NACHT. SCHAUERLICH übertönte das Heulen eines Kojoten die Geräusche der nahen Herde. Die Rinder waren unruhig, sie brüllten und schnaubten. Wieder heulte der Kojote. Das Heulen endete in einem kläglichen Winseln.
Ein Reiter umrundete ohne jede Eile die Herde. Mit rauer, aber ruhiger Stimme sang er das Lied von Pecos-Bill, der mit einem Lasso einen Zyklon eingefangen und ihn zugeritten haben sollte. So behauptete es jedenfalls die Legende.
Seine Stimme wirkte beruhigend auf die Longhorns. Das dumpfe Getöse wurde schwächer.
Das Campfeuer glühte nur noch. Es glomm zwischen den beiden Männern, die langgestreckt unter ihren Decken lagen und schnarchten. Einmal wälzte sich der eine unruhig auf die andere Seite, sein lautes Schnarchen wurde sekundenlang unterbrochen.
Es war Mitternacht. Der Mond hing als bleiche Sichel am Himmel. Unzählige Sterne warfen ihr kaltes Licht auf die Erde herunter. Von Westen her zog eine dunkle, schwefelgelb geränderte Wolke heran. Ein kühler Wind ging ihr voraus. Die Wolken schoben sich vor Mond und Sterne. Der Nachthimmel wurde dunkel und drohend.
Frischer Geruch von Regen wehte heran. Und dann fielen die ersten Tropfen. Schwer trafen sie die schlafenden Cowboys und holten sie aus tiefem Schlaf.
Der Regen prasselte und rauschte.
Die Cowboys hatten kein Campzeug bei sich. Ihre wasserundurchlässigen Planen und die dazugehörigen zusammensetzbaren Zeltstangen befanden sich im Bunkhouse der Carter-Ranch.
Bald waren die Männer bis auf die Haut durchnässt. Der kühle Wind ließ sie frösteln. Fest zogen sie sich die Decken um die Schultern, doch nutzte das so gut wie gar nichts, denn die Decken saugten sich schnell voll, wurden schwer und kalt. Das Feuer war erloschen. Innerhalb weniger Sekunden hatte der Regen es gelöscht. Beißender Rauch brannte in den Augen der Männer. Wy Mallory fluchte unterdrückt. Dann war auch der Rauch weg. Das monotone Rauschen des Regens wurde übertönt von der Stimme Bob Turners, der noch immer das Lied von Pecos-Bill sang.
Dann fing auch Rich Harper an zu fluchen. Es war eine ganze Serie leidenschaftlicher Flüche. Abrupt brach er ab. Er lauschte in die Nacht hinein und fragte dann: »Hörst du auch, was ich höre, Wy? Es klingt wie eine heranziehende Herde.«
Tatsächlich. Dumpf und rumorend drang es an ihre Ohren. Wy Mallory legte sich auf den Bauch und horchte an der Erde. Da wurde ihm die Vermutung zur Gewissheit. Er richtete sich auf und sagte: »Das ist bestimmt Logan, und er kommt mit dem Rest seiner Herde. Sie werden gleich hier sein.«
Eine halbe Stunde später trailten einige hundert Longhorns an ihnen vorbei. Die Tiere hatten ihre Artgenossen gewittert und drängten sich zwischen sie. Die Geräusche, die die sich ineinander schiebenden Herden verursachten, vermischten sich mit dem Rauschen des Regens.
Wy Mallory rief laut: »Wir sind hier, Logan, hierher!«
Jack, Guy Warren und Larry Short folgten dem Klang der Stimme. Bei den Weidereitern angelangt, glitten sie aus den Sätteln. Es war so finster, dass die Männer sich gegenseitig kaum erkennen konnten. Ihre Gestalten wirkten wie schwarze Schemen, wie hellere Flecken ihre Gesichter.
»Wie kommt es, dass ihr noch hier seid?«, fragte Jack, während er sich mit dem Handrücken das Regenwasser aus den Augen wischte.
»Das ist ganz einfach«, erwiderte Rich Harper. »Auf die Carter-Ranch können wir uns nicht mehr wagen, nachdem wir die Rinder für Sie zum Creek zurückgetrieben haben. Und einfach zu verschwinden, ist nicht unsere Art. Also dachten wir uns, dass Sie möglicherweise ein paar gute Leute gebrauchen können. Wenn Sie einverstanden sind, dann reiten wir für Sie, Logan.«
Jack brauchte nicht lange zu überlegen. »Ihr seid mir willkommen, Jungs«, sagte er. »Ich kann tatsächlich gute Männer gebrauchen. Well, sagt Jack zu mir, einfach Jack. Und diese beiden Amigos hier brauche ich euch ja nicht vorzustellen. Mit ihnen seid ihr ja ein Jahr lang Steigbügel an Steigbügel geritten.«
»Du wirst mit uns zufrieden sein, Jack.«
Nacheinander reichten sie Jack die Hand und der schüttelte sie. Dazu nannten sie ihre Namen. Als sie fertig waren, sagte Rich Harper: »Ich gehe jetzt Bob ablösen. Auch er wird dich begrüßen wollen, Jack, als seinen neuen Boss.«
Er ging davon, die Finsternis nahm seine Gestalt auf.
»Okay«, sagte Jack, »die Logan-Herde steht. Und sechs Reiter werden aufpassen, dass dies so bleibt. Eine kleine Streitmacht, möchte ich sagen.«
*
JACK LOGAN, WY MALLORY und Larry Short ritten noch in derselben Nacht zur Ranch. Guy Warren, Bob Turner und Rich Harper blieben als Herdenwache zurück. Sie hatten sich freiwillig gemeldet. Am folgenden Tag sollten sie abgewechselt werden.
Jack und die beiden anderen erreichten die Logan-Ranch nach etwas über einer Stunde. Sie waren nicht sehr schnell geritten, und so brauchten sie verhältnismäßig lange. Die Männer waren müde und abgespannt. Sie brachten ihre Pferde in den Stall, versorgten sie mit Hafer und Stroh, dann gingen sie über den Hof zum Bunkhouse. Unter ihren Schritten schmatzte und gurgelte es. Der Schlamm war fast knöcheltief. Der Regen hatte den Hof in eine Morastfläche verwandelt.
Es regnete mit unverminderter Heftigkeit. Monoton trommelte es auf die Dächer der Gebäude.
Jack zündete eine Petroleumlampe an. Spärlicher gelber Lichtschein breitete sich im Raum aus. Es gab acht Bunks, drei davon waren belegt. Einige persönliche Dinge Jacks, Guy Warrens und Larry Shorts lagen auf ihnen herum.
»Du hast die freie Auswahl«, sagte Jack zu Wy Mallory, während er den nassen Hut vom Kopf nahm und ihn kräftig ausschüttelte.
Der Cowboy schnallte seinen Revolvergürtel ab und hängte ihn über den Pfosten am Fußende eines der Betten. Damit hatte er sich seine Bunk gewählt. Er grinste zu Jack und Larry Short hin, und die erwiderten sein Grinsen.
Bald wurde es still auf der Logan-Ranch. Nur gleichmäßige, tiefe Atemzüge im Bunkhouse verrieten, dass die Männer fest und traumlos schliefen.
*
MORTIMER WAR NACH DEM Mord an Steward Carter der Herde gefolgt, die vom Creek aus nach Norden auf die Carter-Weide getrieben worden war. Er hatte sie bald eingeholt. Den Cowboys erklärte er, dass ihn Carter hinterhergeschickt hätte, damit er sie verstärkte.
So ritt er also mit der Herde, bis die ihren Standplatz erreicht hatte. Der Revolvermann strengte sich bei dem Trieb nicht übermäßig an. Stets achtete er darauf, außerhalb der wallenden Staubglocke zu reiten, denn er legte großen Wert auf sein sauberes Äußeres.
Er gab den Cowboys noch einige Anweisungen, verließ die Herde und kehrte zur Carter-Ranch zurück. Dort wartete er zwei Stunden ab, dann ging er in die Mannschaftsunterkunft. Sechs Weidereiter lagen auf ihren Betten und schliefen. Sie waren erst am späten Vormittag heimgekehrt und hatten eine Woche Herdenwache auf der Nordweide hinter sich.
Der Gunslinger zog einen Colt und knallte zwei Kugeln in die Decke des Raums. Mit dem Donnerhall der Schüsse fuhren die Cowboys hoch. Aus verschlafenen Augen starrten sie erschrocken auf die dunkle Gestalt in der Tür.
»Was – was ist?«, rief einer gähnend und rieb sich die Augen.
»Ich habe mich vor ungefähr fünf Stunden vom Boss getrennt und eine Herde nach Norden begleitet. Der Boss müsste längst zurück sein, denn er wollte unverzüglich zur Ranch reiten. Etwas stimmt nicht. Wir werden also nachsehen. Seit Logan wieder zurück ist, ist Carter seines Lebens nicht mehr sicher. Ich habe so ein seltsames Gefühl.«
Er machte kehrt und ging nach draußen.
Sie brauchten nicht allzu lange zu suchen, dann fanden sie Steward Carter – tot. Das Blut auf seiner Brust war schon eingetrocknet. Ein Sturm der Entrüstung und Empörung brach bei den Weidereitern los. Mortimer blieb gelassen. Tiefe Befriedigung erfüllte ihn. Er vernahm ihr Schreien nach Rache und erkannte, dass für sie nur ein Mann für den gemeinen Mord in Frage kam: Jack Logan.
John Mortimer sah sich seinem Ziel ganz nahe.
Er befand sich auf der richtigen Fährte. Denn ebenso, wie die Cowboys hier ohne jede Überlegung in Jack Logan den Mörder Carters sahen, würden auch die ganze Stadt und Barbara ihn für den Mörder des Ranchers halten.
Und das bedeutete das Aus für Jack Logan. Eine Kugel oder der Strick waren ihm sicher.
Der Outlaw musste an sich halten, um nicht zu grinsen. Ernst sagte er: »Hört her, Leute! Wir werden es dem Gesetz überlassen. Denn erst dann, wenn das Gericht die Schuld Logans festgestellt hat, kann er zur Rechenschaft gezogen werden. Wir bringen den Boss auf die Ranch. Und dann reite ich in die Stadt, um Barbara und den Sheriff zu verständigen.«
Finster blickten die Cowboys auf den Toten. Sie wären auf der Stelle bereit gewesen, loszureiten und Jack Logan zu suchen, um ihn büßen zu lassen. Doch Mortimer wollte es nicht selbst in die Hand nehmen, sondern es dem Gesetz überlassen. Sie legten den Leichnam auf den Pferderücken. Der Pinto schnaubte unwillig. Dann ritten sie zur Ranch zurück.
Ihre Gedanken waren bei Jack Logan, der – das stand für diese Männer fest – ihren Boss erschossen hatte. Ihr ganzes Denken und Fühlen hatte sich darauf eingestellt, und es gab für sie keinerlei Zweifel. Alles in ihnen verlangte danach, Logan büßen zu lassen.
Nur Mortimer kannte die Wahrheit. Aber auch seine Gedanken bewegten sich um Logan. Carters Cowboys würden nicht den Bruchteil einer Sekunde zögern, wenn Logan ihnen vor die Läufe ritt. Und dann war die gesamte Weide frei. Er – John Mortimer – brauchte sie nur zu nehmen.
Sie bahrten Carter auf der Ranch in der Wohnstube auf. Zwei Cowboys blieben bei dem Toten. Mortimer ritt sofort weiter nach Prescott.
Er erreichte die Town in der Dämmerung. Die ersten Laternen wurden angezündet. Vor dem Sheriff's Office saß der Gunman ab, leinte sein Pferd an den Hitchrack und ging hinein.
Walt Danner war nicht im Office. Sein Deputy Dave Corbett stand bei dem kleinen Kanonenofen und kochte Kaffee. Er schaute über die Schulter auf Mortimer und drehte sich dann langsam um, nahm Front zu dem Revolvermann ein. Der Bandit hatte die behandschuhte Rechte vor seinem Bauch flach hinter den Revolvergurt geschoben.
»Wo ist Danner?«, wollte er wissen.
Der Deputy zuckte mit den Achseln. Sein Mund verzog sich. »Möglicherweise im Saloon. Dort ist er meistens um diese Zeit.«
»In welchem?«, hakte der Gunman nach.
Wieder zuckte Corbett mit den Achseln, »Beginnen Sie am besten Ihre Suche im Crazy Horse«, erwiderte er. »Dort gefällt es ihm sehr gut, glaube ich.«
Mortimer verließ das Office.
Er fand Walt Danner tatsächlich im Crazy Horse Saloon. Er saß mit einigen Geschäftsleuten an einem grünbezogenen Tisch. Sie pokerten.
Ihre Blicke trafen Mortimer, als er hinter dem Sheriff stehen blieb und sagte: »Kommen Sie mit, Danner! Steward Carter wurde ermordet. Wir fanden ihn auf der Logan-Weide.«
Seine Worte waren bis in den verstecktesten Winkel des Saloons gedrungen. Jeder der Anwesenden hatte sie hören und verstehen können. Schlagartig wurde es still.
Danner ruckte in die Höhe, sein Stuhl kippte nach hinten um. »Carter – tot?«, stieß er fassungslos hervor. »Auf Logan-Land gefunden? Hölle, war es Logan?«
»Das herauszufinden ist Ihre Aufgabe, Sheriff«, gab Mortimer zurück. »Wer hatte sonst Interesse am Tod Carters? Niemand außer Jack Logan. Für mich steht fest, dass er Carter ermordet hat. Ja, ermordet. Denn des Ranchers Colt steckte noch im Holster. Logan ließ ihm keine Chance.«
Wie giftige Stachel setzten sich seine Worte in den Hirnen der Anwesenden fest, und der Hass fraß sich in die Herzen aller.
Mortimer hatte jedes seiner Worte ganz besonders betont und seiner Anklage damit besonderes Gewicht verliehen. Dieser Bursche ging mit einer Unverfrorenheit ohnegleichen vor. Mortimers Aussage erschien ihnen glaubwürdig. Der Mörder hatte Steward Carter keine Chance gelassen.
Im Schankraum wurde es laut. Man hatte die Nachricht von Carters Ermordung verarbeitet. Und wieder konnte Mortimer mit Genugtuung feststellen, dass der Name Jack Logan in einem Atemzug mit dem Mörder genannt wurde. Er sagte zu Walt Danner: »Sie müssen Logan jagen und festnehmen. Alles spricht gegen ihn. Worauf warten Sie noch, Sheriff?«
Der nickte. »Klar, ich werde Logan verhaften und alle Beweise für seine Schuld zusammentragen. Haben Sie – weiß Barbara Bescheid? Sie kam heute Vormittag in die Stadt.«
»Sie weiß es noch nicht. Aber ich werde diese wenig dankbare Aufgabe übernehmen, Sheriff. Sie sollten sich auf Logans Fährte setzen.«
»Sicher. Sie finden Barbara bei ihrer Freundin Katy. Sie wissen ja Bescheid, Mortimer, wie?«
Der Gunman nickte.
Es war in der Zwischenzeit ziemlich dunkel geworden. Katy Johnsons Haus befand sich am Ende der Main Street. Hinter den Fenstern im Untergeschoss war Licht. Hart pochte Mortimer mit der Faust gegen die Haustür. Vorher hatte er versucht, durch eines der erleuchteten Fenster ins Innere zu blicken, aber die Vorhänge waren zugezogen.
Im Hausflur ertönten schnelle, leichte Schritte, dann wurde die Tür einen Spalt aufgezogen. Ein schmaler Lichtstreifen fiel auf den Gehweg.
»Wer ist da?« Das war eine dunkle Frauenstimme.
»John Mortimer. Ich muss Barbara sprechen. Es ist sehr wichtig.«
Die Tür wurde weiter geöffnet, der Lichtschein traf den Gunman voll. Zwei, drei Lidschläge lang war er geblendet. Katy Johnson ließ ihn an sich vorbei in den Flur treten, dann wies sie ihm den Weg zur Wohnstube.
Da saß Barbara in einem gepolsterten Lehnstuhl. Ängstlich, aber auch misstrauisch, blickte sie Mortimer entgegen. Ihre Miene drückte kühle Ablehnung aus.
Mortimer übersah das. Es war ihm egal, was sie von ihm dachte und was sie von ihm hielt. Er war fest davon überzeugt, dass er sie sich gefügig machen konnte, auf diese oder jene Art.
Sein Gesichtsausdruck verriet nichts von dem, was er gerade dachte. Ernst blickte er auf Barbara, dann sagte er mit vorgetäuschter Trauer: »Es ist keine gute Nachricht, die ich Ihnen überbringe, Miss Carter. Wir – wir fanden heute Ihren Vater. Er – er ist ...«
Barbara hatte ein Gefühl, als wenn ihr das Blut in den Adern gefror. Sie sprang auf und trat einen halben Schritt auf Mortimer zu. Jäh veränderte sich ihr Gesicht, es wurde bleich, ihre Lippen zuckten. »Was ist mit meinem Vater?«, fragte sie mit vibrierender Stimme. »Reden Sie, Mortimer! Ist meinem Vater etwas ...«
Die Stimme versagte ihr den Dienst. Es war, als ahnte Barbara die Ungeheuerlichkeit, die auf sie zukam.
Mortimer wich Barbaras Blick aus, starrte zu Boden. Er war ein ausgezeichneter Schauspieler, der Gunman. Leise entgegnete er: »Es ist etwas Schreckliches geschehen, Barbara. Ihr Vater ist – tot. Er wurde erschossen. Wir haben ihn auf der Logan-Weide gefunden. Der Gedanke, dass Jack Logan es war, der ihn ermordete, ist nicht von der Hand zu weisen. Aber Danner wird die Wahrheit schon herausfinden. Und dann ...«
Barbaras Aufweinen ließ ihn verstummen. Sie konnte es nicht fassen. Katy Johnson trat neben sie und legte ihr einen Arm um die bebenden Schultern. »Barbara«, flüsterte die junge Frau, »Barbara!« Sie führte das Mädchen zum Stuhl und drückte es sanft darauf nieder. Aus tränenumflorten Augen blickte Katy zu Mortimer auf. »Gehen Sie jetzt – bitte!«
Mortimer stülpte sich den Stetson, den er bei seinem Eintritt abgenommen hatte, auf den Kopf, dann verließ er die beiden jungen Frauen.
*
DER GUNMAN BEGAB SICH ins Sheriff's Office. Danner war da. Er schob gerade Patronen in den Ladeschlitz einer Winchester. Mortimer fragte: »Wollen Sie allein reiten, Danner?«
»Nein. Jeder Mann in Prescott, der eine Waffe halten kann, ist wild darauf, Jack Logan zu jagen und zu fangen oder zu töten. Es ist wie vor einem Jahr, als Floyd Miller – hm, sagen wir, starb.« Er grinste hämisch.
»Wir lassen die Bürgerschaft aus dem Spiel!«, bestimmte der Outlaw. »Es eilt auch gar nicht so sehr, Logan zu packen. Er läuft uns nicht weg. Wir müssen auf Nummer Sicher gehen. Und darum schlage ich vor, dass ich Ihnen Männer zur Verfügung stelle. Mit denen können Sie Logan stellen – tot oder lebendig.« Bedeutungsvoll blickte er auf Walt Danner, und der äugte zu seinem Gehilfen hin, der mit überkreuzten Beinen lässig an der Wand lehnte und aufmerksam dem Gespräch gefolgt war.
»Okay, Mortimer, das ist vielleicht besser. Gegen Logan brauche ich erfahrene Leute, die ein persönliches Interesse daran haben, dass er mit der Nase in den Dreck kippt.«
Der Deputy hatte deutlich den seltsamen Unterton aus der Stimme des Sheriffs heraushören können. Corbetts Mundwinkel zogen sich nach unten, sonst ließ er sich nichts anmerken. Doch er machte sich allerlei Gedanken, denn es war ihm vieles unklar geworden. Und auf die meisten seiner Fragen fand er keine Antwort.
Er stieß sich von der Wand ab. »Ich mache den ersten Rundgang«, erklärte er und verließ das Office.
Danner wartete, bis die Tür hinter Corbett ins Schloss fiel, dann sagte er: »Sie wollen Logan auf jeden Fall tot sehen, denke ich.«
»Ja. Darauf verstehen Sie sich ja, Danner, nicht wahr?«
»Ich werde es einzurichten wissen.« Der Sternträger nickte. Lauernd fügte er hinzu: »Der einzige Unterschied gegenüber damals besteht darin, dass nicht Carter, sondern Sie dahinterstecken, und dass diesmal wohl tatsächlich ein Logan einen Mord begangen hat.«
Mortimer schürzte die Lippen, erwiderte aber nichts.
*
DAVE CORBETTS GEDANKEN kamen nicht zur Ruhe. Er beendete seinen Rundgang, kehrte zurück ins Office und stellte fest, dass Sheriff Danner nicht da war.
Was steckte hinter allem? Und was gab es für eine Verbindung zwischen Mortimer und dem Sheriff?
Der Deputy ahnte, dass hier eine ganze Menge zum Himmel stank. Er fasste den Entschluss, der Sache auf den Grund zu gehen.
Aber vorher war noch der zweite Rundgang fällig. Er beendete ihn ungefähr eine Stunde nach Mitternacht. Dann begab er sich unverzüglich zum Mietstall, sattelte und zäumte sein Pferd und ritt wenig später aus der Stadt. Auf der offenen Weide angelangt, trieb er das Pferd an. Bald tropften Tier und Reiter vor Nässe. Dave achtete nicht darauf.
Zwei Stunden später erreichte er die Logan-Ranch. Vor dem Haupthaus saß er ab. Er versank bis an die Knöchel im Morast. Auch das ignorierte er.
Corbett zog seinen Colt, auf steifen Beinen ging er ins Haus. Im stockfinsteren Flur riss er ein Streichholz an, sah eine Laterne, und bald hatte er genügend Licht. Er durchsuchte das Haus, den schussbereiten Colt in der Faust, von oben bis unten.
Nichts!
Von Logan oder einem seiner Männer keine Spur. Corbett begab sich wieder in den Hof - und erstarrte. Denn vom Bunkhouse her ertönte es gellend: »Stopp! Keinen Schritt mehr, Deputy! Was willst du hier?«
Corbett wusste, dass er sich wie auf einem Präsentierteller darbot. Das Licht der Laterne umfloss seine Gestalt, und dem Mann in der Finsternis vor ihm war es ein Leichtes, auf ihn zu zielen. Aber der Deputy hatte seinen Schreck schnell überwunden. Er rief: »Steward Carter wurde ermordet, Logan. Ich bin gekommen, um aus deinem Mund zu hören, ob du es warst.«
Aus dem Bunkhouse drang ein Fluch, gleich darauf flog die Tür auf, und drei Männer stürmten heraus. Deutlich waren die Waffen in ihren Händen zu erkennen. Sie schwärmten auseinander. Jack rief: »Bist du alleine hier, Corbett?«
»Ja. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet, Logan. Bist du Carters Mörder?«
Jack, der nur kurze Zeit benötigte, um die Nachricht vom Tod Carters zu verarbeiten, antwortete: »Nein, Corbett, ich war es nicht, so wahr ich hier vor dir stehe. Jemand anderes hat Carter umgebracht. Als ich ihn das letzte Mal sah, war er lebendig wie du und ich. Es war im Sheriff's Office in Prescott. Aber das weißt du ja, Corbett.«
»Man hat Carter auf deinem Land gefunden. Er trug den Colt im Holster. Sein Mörder ließ ihm keine Chance.«
Corbett entspannte seinen Colt und stieß ihn ins Holster. Dann setzte er sich in Bewegung und überquerte den Hof. Jack und seine beiden Männer standen wie Statuen im Schatten des Schlafhauses. Der Lichtschein geisterte über sie hinweg, ihre Gesichter wirkten hart und kantig und verschlossen.
»Gehen wir hinein, Logan«, sagte Corbett. »Und nehmt die Mündungen runter. Ihr habt nichts zu befürchten, denn ich bin davon überzeugt, dass nicht du Carters Mörder bist, Jack.«
Er stellte drinnen die Laterne auf dem Tisch in der Raummitte ab. »Mortimer brachte die Nachricht von dem Mord in die Stadt. Und er gab sich alle Mühe, die Bürger gegen dich einzunehmen und Danner auf deine Spur zu locken. Mir ist das alles so seltsam vorgekommen. Morgen will Danner mit der Carter-Crew Jagd auf dich machen, Jack. Die Parole lautet: tot oder lebendig. Und wenn du mich fragst, dann legt Mortimer auf >tot< mehr Wert. Und nicht nur er, auch Danner.«
»Warum sagst du mir das alles, Dave?« Jacks Misstrauen war noch nicht gewichen.
»Weil ich befürchte, dass hier eine große Schweinerei im Gange ist, und dass du zwischen zwei Mühlsteine geschoben werden sollst, die dich zermalmen. Das alles erinnert mich auffallend an die Sache mit Floyd Miller und deinem Bruder. Damals hielt auch ich Toby für Millers Mörder. Aber jetzt ... Mortimer und Danner kamen mir am Abend vor wie zwei, die unter einer Decke stecken. Woher dieses Gefühl kommt, weiß ich selber nicht, aber es ist da, und meine Gefühle trügen mich selten.«
»Gut, Dave. Ich glaube, du bist in Ordnung. Sicher habe ich dich bisher immer falsch eingeschätzt, als ich dich für eine Marionette Carters hielt. Ich bin dir zu Dank verpflichtet, denn du hast mich gewarnt, und ich kann mich jetzt besser auf diese Schufte einstellen.«
Corbett winkte ab. »Schon gut, Logan, du kannst dich eines Tages bei mir revanchieren. Vielleicht bei der nächsten Sheriffwahl.«
*
DIE JAGD DES AUFGEBOTS nach Jack Logan und seiner Mannschaft blieb erfolglos. Der Sheriff und die Posse stießen lediglich auf die große Herde am Creek. Sie war nicht bewacht. Danner löste das Aufgebot auf, und die Carter-Leute ritten zur Ranch zurück.
Müde, hungrig und ausgepumpt traf am späten Nachmittag Walt Danner in Prescott ein. Er brachte sein Pferd in den Mietstall und suchte dann sein Office auf. Deputy Corbett trat gerade durch die Tür, die in den Zellentrakt führte. Er schloss sie nicht hinter sich, sondern lehnte sie nur an. So blieb sie eine Handbreit offen.
Grinsend sah Corbett auf Danner. Irgendwie wirkte das Grinsen anzüglich, hämisch. »Keinen Erfolg gehabt, wie?« Seine Stimme triefte vor beißendem Spott. »Der Vogel ist dir davongeflogen.«
Danner warf seinem Gehilfen einen bitterbösen Blick zu und erwiderte mürrisch: »Logan muss Wind davon bekommen haben, dass ich ihn wegen des Mordes an Carter verhaften wollte. Seine Schuld ist zwar nicht erwiesen, aber doch offensichtlich. Er ist schlauer als sein Bruder, der sich uns auf der Ranch stellte. Weder von Jack Logan noch von einem seiner Leute war auch nur eine Nasenspitze zu sehen.«
»Vielleicht stellte Toby sich vor einem Jahr gar nicht auf der Ranch, Walt«, sagte Dave Corbett. »Vielleicht war er ganz einfach nur zu Hause, und er wusste gar nichts von dem Mord an Miller.«
Danner ging um den Schreibtisch herum und setzte sich auf den Stuhl, der unter seinem Gewicht ächzte. »Was redest du da für einen Unsinn?«, knurrte er. »Ich werde Logan fangen und vor den Richter bringen. Und dann wird sich seine Schuld schon herausstellen. Und wenn er schuldig ist, wird er hängen.«
»Und wenn Jack Logan nicht Carters Mörder ist?«, fragte der Deputy.
»Dann wird er ...«
»... trotzdem in die Hölle sausen, weil er Mortimer im Weg ist, nicht wahr?«, fauchte Corbett. »Ebenso wie Toby aus dem Weg geräumt wurde, soll es auch mit Jack geschehen. Jeder glaubte damals an Tobys Schuld. Auch ich war damals verbohrt genug, daran zu glauben. Aber dann geschahen einige Dinge, die mich zum Nachdenken veranlassten. Es musste ja einer für den Mord an Miller zur Rechenschaft gezogen werden. Und keiner eignete sich hierfür besser als Toby.«
Danners Blick wurde unstet. Mit den Fingerkuppen trommelte der Sheriff nervös auf der Schreibtischplatte.
Dave Corbett sprach unbeirrt weiter: »Als ich an der Schuld Toby Logans zu zweifeln begann, fiel zunächst mein Verdacht auf Steward Carter. Ihn brachte ich mit dem Mord an Miller in Verbindung. Denn dadurch, dass Miller ermordet und Logan dafür getötet wurde, fielen ihm die Ranches der beiden zu. Doch zwischenzeitlich bin ich davon überzeugt, dass Carters Hände in diesem dreckigen Spiel sauber waren. Irgendeiner im Hintergrund hat all diese Niederträchtigkeiten angezettelt. Gestern nun fand Mortimer den Rancher auf Logan-Land. Carter hatte eine Kugel in der Brust, und sein Colt steckte noch im Holster. Ein glatter Mord also, und der Verdacht sollte auf Jack Logan gelenkt werden. Er sollte für diesen Mord büßen, und es gäbe keinen Menschen mehr, der sich dem feinen Mister im Hintergrund in den Weg stellen könnte. Denn dadurch, dass Carter und Jack Logan für alle Zeiten weg vom Fenster wären, hätte jener Bursche wiederum zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ganz schön clever, Walt, was? Die einzelnen Stationen dieses nahezu todsicheren Plans sind doch an einer Hand abzuzählen.«
Verstört starrte Danner seinen Deputy an. »Und wenn es so wäre, Dave, mit Jack Logans Heimkehr konnte doch niemand rechnen. Also konnte jener Mister ihn auch nicht von vornherein in seine Pläne einbeziehen.«
Corbett spitzte den Mund, geringschätzig musterte er Danner, dann erwiderte er: »Der Mister ist klug, und er dachte blitzschnell um, ordnete seinen Plan neu, und was dabei herauskam, das zählte ich dir ja eben auf.«
»Die Phantasie geht mit dir durch, Dave«, knurrte Danner, ohne seinen Trommelwirbel auf der Tischplatte zu beenden. »Da ist schließlich auch noch Barbara, und sie ist Steward Carters Alleinerbin. Das bedeutet, dass jener geheimnisvolle Mister auch sie auf die Seite räumen müsste.«
»Oder er sieht sie als nette Dreingabe. Barbara ist eine Frau, eine ausgesprochen hübsche dazu. Und sie steht jetzt ganz allein auf der Welt. Sie wird nicht in der Lage sein, einen Besitz wie die Carter-Ranch zu leiten. Also muss sie heiraten. Und sie wird sich nicht einen x-beliebigen Weidereiter anlachen, sondern den Mann nehmen, der für die Ranch der beste ist. Und wer kommt im Moment hierfür in Frage außer ...«
»Außer?«, unterbrach ihn Danner gereizt und ungeduldig.
»Außer John Mortimer!«, stieß der Deputy hart hervor.
In Danners Augen war plötzlich ein seltsames Glimmen. Der Sheriff hatte zu trommeln aufgehört. Seine Hand lag flach auf dem Tisch. Eine ganze Weile. Unvermittelt zog er sie zurück. Wo sie gelegen hatte, zeigte ein dunkler Fleck an, dass Danners Handflächen schwitzten. Tückisch starrte Danner auf Dave Corbett. Seine Kiefer mahlten.
»Und du steckst mit Mortimer unter einer Decke!«, kam es anklagend über Corbetts Lippen.
Der Sheriff zuckte zusammen. Seine Augen wurden eng.
Unbeirrt fuhr Corbett fort: »Mortimer hat all diese unglaublichen Niederträchtigkeiten ausgeheckt und du ...«
Danners Kopf ruckte vor. »Ja«, zischelte er, »es ist, wie du es sagst. Ich frage mich nur, woher du das weißt. Egal. Du wirst keine Gelegenheit haben, es hinauszuposaunen.« Er riss seinen Colt aus dem Holster, richtete ihn auf Corbetts Bauch. »Ich werde dich jetzt erschießen, Dave«, drohte er. »Es ist richtig. Ich stecke mit Mortimer unter einer Decke. Zuerst war ich der Meinung, ich handelte im Auftrag Carters, und Mortimer wäre der Mittelsmann zwischen mir und dem Rancher. Seit jedoch Carter einer heimtückischen Kugel zum Opfer fiel, bin ich eines Besseren belehrt worden. Doch für mich ist es zu spät, um auszusteigen. Also behalte ich meine Rolle in diesem Spiel bei.«
»Die Leute werden dir Fragen stellen, wenn du mich hier niederschießt.« Es klang leidenschaftslos und ohne jede Aufregung.
»Denen werde ich schon das Richtige erzählen, keine Angst.« Danner lachte böse auf.
»Was denn? Das würde mich schon mächtig interessieren.« Diese Worte kamen nicht von Dave Corbett. Sie ertönten hinter Walt Danners Rücken, von dort, wo sich die Tür zum Zellentrakt befand.
Danner erstarrte, sein Gesicht verzerrte sich, in seine Augen trat ein gehetzter Ausdruck. Er kannte diese harte, klirrende Stimme.
Sie gehörte Jack Logan.
Als die Erstarrung von ihm abfiel, wandte der Sheriff langsam den Kopf. Er nahm den Colt in Jacks Faust wahr. Ein heiserer Laut entrang sich ihm, und seine Hand mit dem Revolver sank nach unten. Schlagartig war ihm klar geworden, dass er verspielt hatte. Sein Herz begann zu rasen. Ein Zittern ging durch seinen Körper. In seinem Blick war nur mehr der Ausdruck hündischer Angst.
»Und wer, zum Teufel, war nun wirklich der Mörder Floyd Millers?«, geißelte ihn Jacks Stimme.
»Ich habe Miller erschossen«, gestand Danner. »Ich ...«
Sekundenlang schloss Jack wie benommen die Augen. Jetzt kannte er die Wahrheit, und er war nahe daran, einfach abzudrücken und Danner wie einen räudigen Hund niederzuschießen. Aber er konnte dieses Gefühl des Hasses und der Rache bezwingen. »Lass den Colt fallen!«, stieß er mit belegter Stimme hervor.
Die Schultern Walt Danners sanken nach vorn, seine Züge erschlafften, seine Hand öffnete sich, und der Colt fiel polternd auf die Fußbodendielen.
»Okay, Dave«, sagte Jack, ohne seinen Blick von Danner zu nehmen. »Sperre diesen verdammten Schuft ein. Er kommt vor den Richter. Der Strick wartet auf ihn.« Bitterkeit und Grimm schwangen in seiner Stimme mit.
Dave Corbett zog seinen Colt und drückte ihn dem Sheriff zwischen die Schulterblätter. »Vorwärts, du Halunke, jetzt darfst du dir deine Zellen mal von innen ansehen. Beweg dich, Bandit!«
*
DER MANN, DER SEIT Danners Geständnis in Jacks Gedanken Platz Nummer eins einnahm, stand hinter Barbara. Er drehte den breitrandigen Stetson spielerisch in den Händen. Sein Blick war auf Barbaras Nacken geheftet.
Barbara trug die schwarzen Haare hochgesteckt, und so konnte er die Makellosigkeit ihres Nackens erkennen. Zusammengesunken saß sie vor der Bahre ihres Vaters.
Sie hatte die vergangene Nacht noch in Prescott verbracht. Im Laufe des Vormittags war sie dann auf die Ranch zurückgekehrt.
Sie hatte sich ausgeweint. Aus glanzlosen Augen starrte sie auf den Toten. Sie konnte es noch immer nicht fassen.
Einen Tag war es her, seit ihr Vater sie aus dem Haus gewiesen hatte. Er hatte sie verachtet – so hatte sie es zumindest empfunden – weil sie sich für Jack Logan entschieden hatte.
Auf Jacks Weide hatte man den Toten gefunden. Doch Barbara wollte nicht daran glauben, dass Jack sein Mörder war, obwohl alles gegen ihn sprach.
Eine Welt war für Barbara zusammengestürzt. In dumpfer Resignation brütete sie vor sich hin.
Der Outlaw räusperte sich. Sie sah nicht hoch. Als der Gunman sprach, klang seine Stimme ausgesprochen mitfühlend. Er sagte: »Nun, Barbara, es ist nicht mehr zu ändern. Das Imperium, das Steward Carter in jahrelanger, harter Arbeit aufgebaut hat, gehört jetzt Ihnen.« Er verstummte, so, als wartete er die Wirkung seiner Worte ab. Aber Barbara wandte sich ihm weder zu, noch gab sie irgendeine Antwort. Also fuhr er fort: »Sie werden nicht in der Lage sein, diese Ranch in seinem Sinne weiterzuführen. Sie sind dazu zu schwach, Miss. Aber solange ich an Ihrer Seite stehe und die Geschicke der Ranch in die Hand nehme, wird ...«
Sie wirbelte herum, ihre Augen blitzten zornig, sie fuhr ihn an: »Was versuchen Sie damit anzudeuten, Mortimer? Seien Sie sich nur nicht zu sicher. Im Übrigen mache ich mir wegen der Ranch im Augenblick überhaupt keine Gedanken. Lassen Sie mich allein! Gehen Sie!«
Sein Gesicht wirkte plötzlich wie aus Granit gemeißelt. »Hören Sie, Miss«, entgegnete er kalt. »Ihr Vater hat mir mal nahe gelegt, mich um Sie zu kümmern, falls ihm einmal etwas zustoßen sollte.«
Das war eine unverfrorene Lüge des Revolvermanns, doch niemand konnte ihm seine Worte widerlegen. »Gewiss ahnte Ihr Vater, dass nur ich in der Lage bin, das weiterzuführen und zu vollenden, was er begonnen hat. Ihr Vater ist tot. Und so bin jetzt ich an der Reihe.«
Von Mitgefühl war da nichts mehr herauszuhören.
Barbara hatte sich wieder abgewandt. Ein trockenes Schluchzen schüttelte ihren Körper. Sie barg ihr Gesicht in den Händen. Der Blick Mortimers ruhte auf ihr wie der einer Schlange – kalt und mitleidlos. Nicht die Spur einer Regung zeigte der Revolvermann.
Seit drei Jahren ritt er für die Carter-Ranch, und immer hatte er nur ein einziges Ziel vor Augen: Er wollte eines Tages Herr dieser Ranch sein. Nun stand er unmittelbar vor der Verwirklichung dieses Ziels. Aber Barbara lehnte ihn ab. Er erkannte das mit aller Deutlichkeit und er war enttäuscht.
»Nun, Miss, Sie können es sich überlegen«, sagte er. »Morgen nach der Beerdigung komme ich, um mir Ihre Antwort abzuholen. Und denken Sie daran: Jack Logan hat Ihren Vater auf dem Gewissen. Sie sollten Logan dafür hassen. Ich aber will nur Ihr Bestes. Und darum ist mein Angebot gut. Akzeptieren Sie es.«
Er ging. Dumpf fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
*
»WAS JETZT?« FRAGTE Deputy Dave Corbett und sah Jack an.
Der starrte auf einen unbestimmten Punkt an der Wand, und erst nach einer ganzen Weile erwiderte er leise: »Wir wissen jetzt mit letzter Sicherheit, wie sich alles zugetragen hat. Mein Bruder büßte einen Mord, den Danner im Auftrag Mortimers begangen hat. Steward Carter wurde ebenfalls ermordet. Das hat Mortimer selbst erledigt, da bin ich sicher. Wir werden uns den Dreckskerl vorknöpfen. Nein, ich werde ihn mir vorknöpfen. Allerdings werde ich warten, bis Carter beerdigt ist.«
»Warum holst du dir diesen Hundesohn nicht sofort vor die Kanone?«
»Es eilt nicht, Dave.«
»Aber ...«
»Carter hatte mit all den Niederträchtigkeiten nichts zu tun. Er war, wie auch mein Bruder und Floyd Miller, Mortimer im Weg. Von dem Schuft ist alles ausgegangen. Ich denke jetzt an Barbara, Dave. Vor einigen Tagen sagte sie mir, dass sie mich liebt. Ich aber habe sie zurückgestoßen, weil ich glaubte, dass es für mich, einen Logan, keinen Weg zu ihr geben konnte. Jetzt weiß ich, wie sehr ich mich geirrt habe. Für Barbara muss eine Welt zusammengebrochen sein, als man ihr den toten Vater brachte. Und sicher hat man ihr einzureden versucht, dass ich Steward Carter ermordet habe. Das alles ist bestimmt zu viel für sie. Deshalb soll wenigstens so lange Ruhe hier einkehren, bis Steward Carter begraben ist und sich die Wogen in Barbara ein wenig geglättet haben. Mortimer soll sich ruhig noch solange in Sicherheit wiegen.«
»Es wird sehr schnell publik werden, dass Danner hinter Schloss und Riegel sitzt«, wandte Corbett ein. »Auch Mortimer wird es erfahren und sich seinen Reim darauf machen. Und er ist nicht der Mann, der untätig herumsitzt und darauf wartet, dass du kommst und ihm auf die Zehen trittst.«
Jack überlegte kurz. Dann sagte er: »Wir werden Danner aus der Stadt schaffen. Du wirst das Gerücht in die Welt setzen, dass er wieder auf meiner Fährte reitet. Es wird dir ein Leichtes sein, die Leute hier zu überzeugen, dass Danner meine Ergreifung wichtiger ist als die Teilnahme an Carters Begräbnis. Ich werde Danner heute Abend, wenn es dunkel genug ist, aus Prescott bringen. Morgen, zum Begräbnis, werde ich dann wieder in der Stadt sein.«
*
UND SO GESCHAH ES AUCH.
Es war kurz vor Mitternacht. Jack packte Danner am Kragen der Lederweste und dirigierte ihn vor sich her zu den Pferden. Er wartete, bis Danner im Sattel saß, dann schwang auch er sich aufs Pferd.
Langsam ritten sie in die Nacht hinaus. Niemand bemerkte sie, und wenn, so achtete keiner auf sie.
Jack brachte Danner auf die Logan-Ranch und sperrte ihn dort in einen fensterlosen Kellerraum, der mit einer soliden Tür aus Eichenbohlen gesichert war. Danner war hier besser aufgehoben als im Gefängnis in Prescott.
Jack ritt weiter. Die Nase seines Pferdes wies nach Süden, also nicht in die Richtung, in der die Stadt lag. In dem dichten Buschwerk bei dem kleinen Creek hielten sich seit der vergangenen Nacht, seit Dave Corbett auf der Ranch war und sie gewarnt hatte, seine Reiter versteckt.
Auch Jack hatte sich dort verborgen, bis er gegen Mittag in die Stadt geritten war, um zusammen mit Dave Corbett ein Komplott gegen Danner zu schmieden, den sie beide in Verdacht hatten, dass er mit Mortimer zusammenarbeitete. Das Ergebnis war Danners Geständnis.
Jack erreichte das Versteck und klärte seine Männer mit wenigen Worten über den neuesten Stand der Dinge auf. »Ich warte ab«, schloss er, »bis Carter begraben ist. Und dann werde ich mir Mortimer holen, um einige Rechnungen mit ihm zu begleichen.«
Mürrisches Gemurmel kam auf. Damit waren sie nicht einverstanden. Doch Jack ging nicht darauf ein. Er schwang sich auf seinen Rotfuchs, aber ehe er anritt, rief er: »Ich habe schon meine guten Gründe, Männer. Und irgendwann in der nächsten Zeit werdet ihr sie kennenlernen und begreifen.«
Er sprach nicht zu Ende, trieb sein Pferd an. Die Dunkelheit nahm sie auf. Der dumpfe Hufschlag verlor sich.
Guy Warren sagte zu den anderen: »Gründe hin – Gründe her, Freunde, wir werden ihn nicht in sein Unglück stolpern lassen. Los, sattelt eure Gäule, wir folgen ihm! Vorwärts! Steht nicht dumm herum, sondern tut, was ich euch sage!«
Also sattelten sie, und bald verließen sie ihr Versteck. Ihr Ziel war Prescott.
*
AM DARAUFFOLGENDEN Vormittag wurde in Prescott Steward Carter zu Grabe getragen. Die gesamte Bürgerschaft folgte dem flachen, mit schwarzen Tüchern abgedeckten Wagen, auf dem der Eichensarg stand. Vier Pferde zogen den Wagen. Unmittelbar dahinter ging Barbara. Sie trug schwarze Kleidung. Ihr Gesicht war sehr blass und von unsagbarem Leid gezeichnet.
Doch gerade dies verlieh ihren Zügen den Ausdruck seltener Schönheit. Ja, Barbara Carter war trotz Leid, Gram und Verzweiflung eine ausgesprochen hübsche Frau.
Neben ihr schritt Mortimer. Er war gekleidet wie immer, trug seine weichen Lederhandschuhe, und bei jedem seiner Schritte streiften seine Handgelenke die abstehenden Revolverkolben. Seine Miene war ohne jede Regung, der Blick seiner Augen ausdruckslos. Verstohlen betrachtete er immer wieder Barbara von der Seite. Doch das Mädchen blickte starr geradeaus.
Ihnen folgte die Mannschaft, angeführt von Sim Wolters, dem Vormann, und von Rube Bascom, dem schwergewichtigen Schläger, der auf der Logan-Ranch Zeuge von Jacks Kompromisslosigkeit gewesen war.
Eine friedliche Ruhe lag über dem Trauerzug, lagerte über der ganzen Stadt. Nur das Hufgeräusch der vier Gespannpferde und das Mahlen und Knirschen des Straßenstaubs unter ungezählten Tritten war zu vernehmen.
Jack Logan beobachtete alles durch ein Fenster im Sheriff-Office. Er war allein. Dave Corbett hatte sich der Trauergemeinde angeschlossen.
Ein grimmiger Zug spielte um Jacks zusammengepresste Lippen. Sein Blick hatte sich an Mortimer festgesaugt.
Dann war der Zug vorüber.
Reverend Thomas hielt eine kurze Ansprache vor dem offenen Grab, dann wurde der Sarg von vier Carter-Cowboys in die Grube gesenkt. Barbara schluchzte trocken, mit einem weißen Tuch wischte sie sich über die Augen. Ihre Freundin Katy Johnson stand neben ihr und stützte sie.
Doch das war nicht notwendig. Denn Barbara war tapfer genug und wäre mit Sicherheit auch ohne Hilfe aufrecht stehengeblieben.
Der Totengräber warf die ersten Erdschollen auf den Sarg. Es polterte hohl. Die Menschen traten nacheinander an Barbara heran und bekundeten ihr Mitgefühl. Sie nahm es mit reglosem Gesicht und leidenschaftslosen Dankesworten entgegen.
Da ertönte dumpfer Hufschlag von der Stadt her. Mortimer blickte über die Schulter und erkannte fünf Reiter. In seinen Augen blitzte es verräterisch auf. Jeder dieser fünf Burschen hatte bis vor kurzem im Sattel, der Carter-Ranch gesessen. Jetzt drückten sie den Logan-Sattel.
Die fünf hatten noch in der Nacht Prescott erreicht und vor der Stadt campiert. Nun ritten sie direkt auf das Tor im Bretterzaun zu. Es stand weit offen, und so sah der Outlaw ganz deutlich den grimmigen und wenig verheißungsvollen Ausdruck in den Gesichtern der Männer.
Beim Tor angelangt zügelten sie ihre Pferde und saßen ab. Nacheinander kamen sie über den Friedhof auf das Grab zu. Aller Augen waren auf sie gerichtet. Auch Barbara hatte sie zwischenzeitlich wahrgenommen.
Der Totengräber hielt in seiner Arbeit inne.
Lastende Stille senkte sich über den Boothill.
Sie traten vor Barbara hin. Guy Warren sagte beinahe bedächtig: »Was geschehen ist, tut uns aufrichtig leid, Miss Carter. Wir sind bis vor wenigen Tagen für Ihren Vater geritten, und er war gewiss kein schlechter Boss.« Er verstummte und bedachte Mortimer mit einem kurzen, aber eiskalten Blick. Dann sah er wieder auf Barbara und fuhr fort: »Sicher sind auch Sie der Meinung, dass Jack Logan es getan hat. Das hat man Ihnen vermutlich sogar mit allem Nachdruck eingeimpft.« Wieder traf sein eisiger Blick den Revolvermann. »Daher ist es sehr wichtig, Miss, dass Ihnen jemand sagt, dass nicht Jack es war, der Ihren Vater tötete.«
Ehe Barbara etwas erwidern konnte, blaffte Mortimer böse: »Verschwindet, Warren! Haut bloß ab, sonst vergesse ich, dass wir uns am offenen Grab Steward Carters befinden!« Seine Hände fielen auf die Coltknäufe, in seinem Blick war ein mörderisches Glitzern.
Die verächtlichen Blicke der fünf Cowboys trafen ihn. Wy Mallory sagte: »Wir gehen schon, Mortimer. Aber freue dich nur nicht zu früh. Die Kugel für dich steckt bereits in Jack Logans Lauf, und wenn du tot bist, werden auch einige Morde – selbst jene, die ein Jahr zurückreichen – gesühnt sein.« Und an Barbara gewandt sagte der Cowboy: »Wirklich, Miss, Ihnen gehört unser tiefstes Mitgefühl. Und bitte, denken Sie daran: Nicht Jack Logan hat es getan. Das war ein anderer, einer, der ein ganz besonderes Interesse am Tod Ihres Vaters hatte.«
Sein verächtlicher Blick traf Mortimer. Dann wandten die fünf Cowboys sich um. Sporenklirrend strebten sie dem Tor zu. In Mortimer jagten sich die Gedanken.
Als die Begräbniszeremonie zu Ende war, ging Barbara mit Katy Johnson nach Hause. Mortimer ritt sofort zurück zur Ranch. Ein vorher nie gekanntes Gefühl der Unsicherheit erfüllte ihn seit dem Auftauchen der Logan-Mannschaft an Steward Carters Grab. Die Worte Wy Mallorys klangen immer wieder in ihm nach: »... das war ein anderer, einer, der ein ganz besonderes Interesse am Tod Ihres Vaters hatte.« Barbara hatte ihm, Mortimer, nach diesen Worten einen langen und seltsamen Blick zugeworfen.
War die Andeutung des Cowboys ein Zufall? Oder war in der Zwischenzeit etwas geschehen, von dem er noch keine Ahnung hatte? Wo war Walt Danner? Und wo hielt sich Jack Logan verborgen? Warum war er nicht mit seiner Mannschaft nach Prescott gekommen?
Diese Fragen beschäftigten den Banditen. Doch er fand keine Antwort darauf, und das steigerte seine Unsicherheit.
Die Carter-Mannschaft begab sich in den Crazy Horse Saloon. Barbara hatte den Männern für diesen Tag freigegeben. Nur noch einige Herdenwachen befanden sich draußen auf den Weiden. Das war so üblich, wenn der Boss einer großen Ranch beerdigt wurde.
Sie betraten den Saloon und erkannten die fünf Männer an dem Tisch in der Ecke sofort. Es war die Logan-Crew. Die Carter-Leute verharrten einige Herzschläge lang, starrten feindselig zu den fünf Burschen hinüber, dann gingen sie langsam weiter zum Schanktisch. Mit rauen Stimmen gaben sie ihre Bestellungen auf, und als die gefüllten Gläser vor ihnen auf dem Tresen standen, drehte Sim Wolters sich langsam um. Und als er zu sprechen begann, nahmen auch die anderen Weidereiter Front zu Jacks Mannschaft ein.
»Da sitzen die fünf Hombres, die für einen niederträchtigen Mörder den Sattel wetzen!«, rief Wolters grollend. »Und sie haben noch dazu die Unverfrorenheit, auf dem Friedhof zu erscheinen und die Beerdigung zu stören. Wo ist denn euer prächtiger Jack Logan, ihr verdammten Schufte? Wo denn, he? Wagt er sich nicht mehr heraus aus seinem Loch, der Feigling?«
Guy Warren entgegnete ruhig: »Nun hör mir mal gut zu, Wolters. Wenn du sagst, dass wir fünf feine Hombres sind, so ist das in Ordnung. Wenn du aber behauptest, dass wir für einen niederträchtigen Mörder den Sattel wetzen, dann schlage ich dir die Zähne in den Hals. Schreib dir das gut hinter deine großen Ohren, mein Freund. Denn wenn hier jemand für einen gemeinen Mörder reitet, so seid ihr das. Aber ihr werdet schon noch dahinterkommen. Es ist nur zu hoffen, dass es für euch dann nicht zu spät ist.«
Sims Gesicht war dunkel angelaufen, der Mann japste nach Luft wie ein Erstickender. Die Carter-Männer standen nach Guy Warrens Worten wie zu Säulen erstarrt am Tresen. In diese Erstarrung hinein, und ehe Wolters etwas erwidern konnte, sagte Guy Warren, während er sich erhob: »Ich werde jedem einzelnen von euch, wenn es sein muss, meine Worte von eben in seinen Quadratschädel hineinhämmern. Also äußert euch nicht noch einmal in irgendeiner Weise abfällig über die Logan-Ranch, ihren Boss und ihre Reiter. Ist das klar?«
Es dauerte eine ganze Weile, bis sich die Erstarrung von den Carter-Reitern löste. Wild schnaufend stieß sich Sim Wolters vom Schanktisch ab, um auf Guy Warren loszustürmen. Aber da packte ihn Rube Bascom hart am Oberarm und hielt ihn zurück. »Halt, Sim«, knurrte er böse und tückisch. »Überlass das mir. Auf eine Gelegenheit, es diesen großmäuligen Logan-Affen zu geben, warte ich schon, seit Logan Nat Flint und Wyatt Dodson erschossen hat.« Er atmete pfeifend aus, dann richtete er sich an Guy Warren: »Komm her, Cowpuncher, komm her! Du bist doch darauf aus. Und wenn du es noch einmal hören willst, dann sage ich es dir gern noch einmal: Ihr seid fünf feine Hombres, die für einen niederträchtigen Mörder den Sattel wetzen. Kommst du jetzt?« Zuletzt hatte eine wilde Vorfreude in seiner Stimme gelegen.
Er winkelte die Arme an, ballte seine Hände zu Fäusten und setzte sich wie ein Büffel in Bewegung.
In Guy Warren war eine grimmige Wut. Sie schaltete sein klares Denken aus. Er ging dem schwergewichtigen Schläger entgegen. Die Distanz zwischen den beiden Männern betrug nur noch zwei Schritte,
Im Saloon herrschte atemlose Stille.
Unvermutet schnellte sich Rube Bascom vom Boden ab. Eine derartige Gewandtheit war diesem Paket aus Fleisch, Muskeln und Knochen nicht zuzutrauen. Er flog regelrecht auf Warren zu, und der war viel zu sehr von diesem Blitzangriff überrascht worden, als dass er noch hätte reagieren können.
Bascoms Kopf knallte ihm ins Gesicht, die Fäuste des Riesen trafen ihn mit der Wucht von Dampfhämmern in den Magen und auf das Brustbein.
Die Schläge nahmen Warren die Luft, warfen ihn zurück. Er landete zwischen Tischen und Stühlen. Es polterte und krachte.
Der Cowboy war nach diesen beiden fürchterlichen Schlägen schon der Bewusstlosigkeit nahe. Mühsam schnappte er nach Luft und versuchte, seiner großen Not Herr zu werden. Seine Nase war aufgeschlagen, er spürte den süßlichen Geschmack seines Blutes im Mund.
Einer Dampfwalze gleich stampfte Rube Bascom auf ihn zu. Wie aus weiter Ferne drangen die schweren Schritte an Guy Warrens Ohren. Brutal wurde er in die Höhe gerissen. Durch einen Tränenschleier sah er das klobige, unförmige Gesicht Bascoms ganz nahe vor dem seinen. Er stieß seinen Kopf nach vorn. Bascom brüllte auf und taumelte einen Schritt zurück.
Aber zugleich mit Warrens Kopfstoß hatte er seine Linke fliegen lassen. Sie traf den Cowboy an der rechten Kopfseite. Hinter diesem Schlag steckte die Wucht eines Maultiertrittes.
Guy Warren wurde vom Fußboden gehoben, flog zur Seite und krachte hart auf die Dielen.
Rube Bascom betastete seine Nase, starrte aus unterlaufenen Augen auf Guy Warren, blickte auf seine Hand und sah das Blut.
Seiner breiten, gewölbten Brust entrang sich ein tiefer, abgerissener Grunzton. Sein Blick heftete sich wieder auf Guy Warren, der sich ächzend an einem Tisch in die Höhe zog und dann schwankend stand.
Bascom stürmte wieder vorwärts. Er fegte Guy Warren über drei Tische hinweg. Ein Stuhl zerbrach unter dem Gewicht des Cowboys. Bascom schleuderte Tische und Stühle zur Seite und stürzte hinterher.
Dann wurde es hart und bitter für Guy Warren. Rube Bascom stellte ihn wieder und wieder auf die Beine. Das Gesicht des Weidereiters war verschwollen, die Haut an vielen Stellen blutunterlaufen oder aufgeplatzt. Er war schon eine ganze Zeit nicht mehr bei Bewusstsein.
Endlich ließ Bascom von ihm ab. Sein Atem ging rasselnd. Warren lag reglos am Boden. Der Schläger spuckte aus, dann ging er langsam zurück zum Tresen. Dort leerte er sein Glas, dann wandte er sich um. Sein Blick traf die vier Logan-Reiter, die wie erstarrt am Tisch saßen.
Sie hatten sich nicht eingemischt, denn es war ein Kampf Mann gegen Mann. Also ein fairer Kampf. Und sie achteten die Gesetze der Fairness.
»Nehmt den Narren und verschwindet!«, befahl Rube Bascom. »Und lasst euch hier nie wieder blicken. Wir werden immer daran denken, dass ihr für den Mann reitet, der unseren Boss ermordete. Vorwärts, verdammt, verschwindet!«
Wie unter einem inneren Zwang erhoben sich die vier Weidereiter. Dabei ließen sie die Carter-Crew keinen Moment aus den Augen. Auch nicht, als sie zu Guy Warren hingingen und sich über ihn beugten.
Da wurde die Pendeltür aufgestoßen. Jack Logan kam herein. In seiner Faust lag der gespannte Colt. Die Mündung deutete auf die Männer am Schanktisch.
Er hatte keine Ahnung, dass seine Leute ihm in die Stadt gefolgt waren. Er erfuhr es erst durch Dave Corbett nach der Beerdigung. Und dann hörte er den Krach aus dem Crazy Horse Saloon. Er sagte laut: »Die Trauerfeier ist vorbei. Reitet nach Hause auf eure Ranch und meldet Mortimer, dass ich in der Stadt bin, um mich zu stellen! Ja, ihr hört schon richtig. Ich stelle mich dem Gesetz, obwohl ich Steward Carter nicht getötet habe. Aber es soll alles seine Ordnung haben. Und der Sheriff wird schon herausfinden, wer der wirkliche Mörder ist.« Und an seine Männer gewandt sagte er: »Ihr habt die Herde unbewacht am Creek zurückgelassen. Habt ihr denn vergessen, wie übel man uns schon einmal mitgespielt hat? Wollt ihr wieder die Herde aus drei verschiedenen Himmelsrichtungen zurückholen? Ihr reitet auf der Stelle hinaus zur Herde! Nehmt Guy mit!«
Die Carter-Leute starrten Jack an wie einen Geist. Dann rief Sim Wolters: »Okay, Logan, wenn du dich stellst, dann ist das in Ordnung. Danner wird mit Sicherheit herausfinden, ob du oder ein anderer Carters Mörder bist. – Reiten wir, Leute. Das wird Mortimer höllisch interessieren.«
Sie warfen Münzen auf den Schanktisch und verließen den Saloon. Jack wartete, bis sie draußen waren, dann entspannte er den Colt und holsterte ihn. Er warf seinen Männern einen wütenden Blick zu, drehte sich abrupt um und ging. Draußen ritten in diesem Augenblick die Carter-Reiter an.
Im Saloon kratzte sich Larry Short am Kopf. »Er ist mächtig sauer, Jungs«, sagte er gallig, »denn er wollte die Sache selbst in die Hände nehmen und zu Ende führen. Das sagte er uns auch. Und jetzt wären wir ihm um ein Haar in die Quere gekommen. Aber was es damit auf sich hat, dass er sich dem Gesetz stellen will, das verstehe ich nicht. Ich denke, es ist klar, wer der Mörder ist.«
*
SIM WOLTERS HATTE MORTIMER alles berichtet. Der Revolvermann saß in der Wohnstube der Carter-Ranch auf dem Sofa und dachte darüber nach. Instinktiv registrierte er, dass sich über seinem Kopf etwas Unheilvolles zusammenbraute.
Es war später Nachmittag. Vom Hof her drang das Knirschen und Ächzen von Wagenrädern in den Raum. Mortimer ging zum Fenster und blickte durch die staubgeränderte Scheibe hinaus.
Barbara kehrte auf die Ranch zurück. Katy Johnson und Dave Corbett begleiteten sie. Der Deputy half den beiden jungen Frauen vom Wagen.
Kurz darauf betraten sie die Wohnstube. Mortimer blickte ihnen vom Fenster aus entgegen. Während sich die beiden Mädchen setzten, blieb der Deputy bei der Tür stehen.
»Logan hat sich gestellt, Mortimer.«
Mehr sagte er nicht. Gespannt wartete er auf eine Reaktion des Gunmans. Dessen Gestalt straffte sich, er warf einen flüchtigen Seitenblick auf Barbara und sagte: »Das bestätigt Sims Worte. Doch irgendwie will es mir nicht in den Kopf. Hat Logan den Mord an ...« Er verstummte, bedachte erneut Barbara mit einem schnellen Blick. Aber die sah zu Boden und beachtete ihn nicht. »Hat er schon gestanden?«
Corbett schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil. Er bestreitet, auch nur das Geringste mit dem Mord zu tun zu haben.«
Wieder beschlich Mortimer das Gefühl nahen Unheils.
Die unerschütterliche Ruhe, mit der Dave Corbett gesprochen hatte, ging ihm auf die Nerven.
Es war dem Deputy nicht anzumerken, wie sehr er sich verstellte. Auch die beiden Mädchen, die in Jack Logans Plan eingeweiht worden waren, spielten ihre Rollen hervorragend. Mortimer fiel darauf herein. Der Hauch eines eisigen Grinsens huschte über sein fahles Gesicht. In seinen kalten Fischaugen leuchtete sekundenlang der Triumph.
»Danner lässt Ihnen ausrichten, Mortimer, dass Sie in die Stadt kommen sollen. Denn die aufgebrachte Bürgerschaft ist drauf und dran, Logan einen Strick um den Hals zu legen. Der Sheriff wird sie nicht mehr lange zurückhalten können. Er will den Mord an Carter aufklären. Und das liegt doch auch in Ihrem Interesse, Mortimer. Darum will er, dass Sie kommen und die Leute besänftigen.«
Die tiefe Genugtuung in Mortimer verdrängte alle anderen Gedanken. Und einige Herzschläge lang war er sogar stolz darauf, dass Danner der Meinung war, er könnte durch sein bloßes Erscheinen den wütenden Mob in Prescott zurückhalten.
Dieser Narr von einem Sheriff, durchzuckte es den Revolvermann. Es kann uns gar nichts Besseres passieren, als dass sie Logan am nächsten Baum aufknüpfen. Oder geht es Danner nur darum, den Schein zu wahren?
Eine satanische Freude erfüllte den Outlaw. Er war dabei, das letzte Hindernis auf seinem Weg nach oben zu nehmen. Er nickte bedächtig.
»Ich komme mit Ihnen, Corbett. Logan muss vor ein ordentliches Gericht. Es geht nicht an, dass ...« Er brach ab.
*
DER BANDIT MORTIMER tappte blind in die ihm gestellte Falle. Als er sich zu wundern begann, dass Prescott dem ganz normalen Alltagstrott zu unterliegen schien, waren sie schon vor der City Hall angelangt.
In Dave Corbetts Mundwinkel hatte sich ein grimmiges Lächeln eingekerbt. Verstohlen beobachtete er den Revolvermann. Es bereitete ihm eine grimmige Freude, mit anzusehen, wie dessen Züge sich von Sekunde zu Sekunde verdüsterten.
»Ich dachte ...«, begann Mortimer, doch Corbett unterbrach ihn: »Sie werden es gleich erleben, Mortimer. Gleich!«
Mortimer warf dem Deputy einen schrägen Blick zu, in dem sich Misstrauen und Wachsamkeit ausdrückten.
Erneut bemächtigte sich ein unbestimmtes Gefühl des Gunmans. Mit dem untrüglichen Instinkt des erprobten Kämpfers ahnte er, dass hier etwas nicht stimmte. Er war hellwach. Nichts entging ihm. Mit der Linken führte er die Zügel, die Rechte lag auf dem Revolvergriff.
Die Stadt war ruhig. Doch es war eine trügerische Ruhe.
Und dann sah der Outlaw den hochgewachsenen, hageren Mann aus einer Seitenstraße in die Main Street treten. Locker hing seine Rechte neben dem Colt. Sein Handgelenk berührte ihn. Der Mann hatte sich den breitrandigen Hut tief in die Stirn gedrückt.
Jack Logan!
Mortimer erkannte ihn sofort. Und plötzlich begriff er. Hart parierte er sein Pferd. Aus zusammengekniffenen Augen starrte er auf Logan, der breitbeinig und ein wenig vornüber geneigt auf der Straße stand. Ein kalter Hauch ging von ihm aus.
Dave Corbett beachtete den Revolvermann nicht mehr. Der Deputy lenkte sein Pferd zur Seite. Vor der Sattlerei saß er ab und lenkte das Tier an den Holm.
Mortimer hob sein linkes Bein über den Sattelknauf und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Dabei behielt er Logan im Auge. Er trat einige Schritte von seinem Pferd weg. Seine Hände steckten wie fast immer in den weichen Lederhandschuhen und schwebten neben den Revolverkolben. Seine Finger waren leicht gespreizt.
Die Distanz zwischen den beiden Männern betrug fünfzehn Yards.
Eine ganze Weile belauerten sie sich. Es war ein tödliches Schweigen, das von ihnen ausging.
»Du hast Steward Carter umgebracht, stimmt's?«, rief Jack nach einer Weile.
Ein abgehacktes Lachen drang über die blutleeren Lippen Mortimers. Es klang nicht echt.
»Du hast auch den Mord an Floyd Miller angestiftet, Mortimer. Jenen Mord, für den mein Bruder sterben musste.« In Jacks Stimme hatte Bitterkeit mitgeschwungen. »Ich werde dich für alles zur Rechenschaft ziehen, Mortimer!«
»Dann bist du ein Narr, Logan.«
Mortimer zog. Er war unwahrscheinlich schnell. Doch Jack war keine Spur langsamer. Ihre Schüsse krachten gleichzeitig und hörten sich an wie ein einziger.
Breitbeinig standen sie sich gegenüber. Aus den Mündungen ihrer Revolver kräuselte Pulverrauch. Sie hielten die Eisen noch aufeinander gerichtet.
Da begann Mortimer zu wanken. Sein Gesicht hatte eine schmutziggraue Färbung angenommen. Seine Hände sanken nach unten. Er wankte einen Schritt nach vorn. Auf seiner Brust zeichnete sich ein schnell größer werdender dunkler Fleck ab. Ein kurzes und abgerissenes Ächzen entrang sich ihm. Seine Hände öffneten sich, die schweren Colts entglitten ihnen und versanken im Schlamm. Dann kippte der Outlaw nach hinten und schlug lang hin.
Jack stieß den Colt ins Holster. Ruckartig setzte er sich in Bewegung, vier, fünf Schritte. Plötzlich verschwamm alles vor seinen Augen. Er spürte den stechenden Schmerz in seiner Brust. Feurige Lohen zuckten vor seinen Augen in die Höhe.
Und dann spürte er nichts mehr, sein Denken setzte aus. Zehn Yards von Mortimer entfernt stürzte er mit dem Gesicht nach unten in den Schlamm.
*
ALS JACK NACH DREI Tagen erwachte, fühlte er sich elend und schwach. In seiner Brust war ein ziehender Schmerz. Aber bald wurde sein Blick klar, und seine Gedanken fingen an zu arbeiten.
Über sich sah er die weißgekalkte Decke eines Raums. Es war hell hier, und frischer Duft erfüllte das Zimmer.
Wo war er?
Er kannte diesen Raum nicht.
Sein Kampf mit Mortimer fiel ihm ein.
Wie lange lag er hier schon?
In diesem Moment wurde vorsichtig die Tür geöffnet, und herein kam – Barbara.
Eine Weile betrachteten sich die beiden Menschen stumm. Plötzlich beugte sie sich über ihn und küsste ihn sanft auf den Mund.
Ein tiefes Gefühl der Geborgenheit war unvermittelt in Jack.
»O Jack«, flüsterte sie. »Nun wird alles gut werden. Mortimer ist tot. Jeder weiß jetzt, wie sich wirklich alles zugetragen hat. Mortimer war der Drahtzieher all der Verbrechen, die geschehen sind.«
Jack schloss die Augen.
Da erkannte Barbara, dass er wieder eingeschlafen war. Sie strich ihm sanft über die heiße Stirn. Dann küsste sie ihn wieder auf den Mund, lange und innig. Ein Gefühl von Liebe und Wärme durchrieselte sie.
Nun sollte alles gut werden. Alles ...
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E N D E