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Bogota, einen Tag später.

Dr. Ramon Estralda klopfte dem kleinen, braunhäutigen Jungen kameradschaftlich auf die Schulter. An die Mutter des Knaben gewandt sagte er: „Es ist nur ein Husten, eine Erkältung, Señora. Ich gebe Ihnen ein Medikament, einen Saft, von dem Sie dem kleinen Kerl dreimal täglich jeweils zehn Tropfen verabreichen. In drei Tagen wird er wieder quietschvergnügt mit seinen Altersgenossen herumtollen können.“

Der Arzt ließ das Stethoskop fallen, so dass es vor seiner Brust baumelte, ging zu einem Medikamentenschrank, öffnete ihn und nahm eine kleine braune Flasche heraus. Er reichte sie der verhärmten Frau, die noch keine 30 war, die aber um einiges älter aussah. Sie gehörte zu den Armen des Landes, den Hoffnungslosen, deren Dasein ein einziger, fortwährender Überlebenskampf war.

„Danke, Doktor, vielen Dank.“ Die Frau nahm das Fläschchen und steckte es in die Tasche ihrer abgerissenen Jacke. „Sie sind so gut zu uns, Doktor. Sie sind ein Samariter. Wenn ich Sie bezahlen könnte, dann ...“

Der Arzt unterbrach sie lächelnd: „Keine Sorge, Señora. Die Behandlungskosten trägt die Stadtverwaltung. Ja, unser Land ist sehr sozial eingestellt. Keiner soll krank sein und leiden, nur weil er arm ist.“

„Der Himmel wird es Ihnen eines Tages vergelten, Doktor. Ich werde für Sie beten. Sie sind ein gütiger Mann.“

„Damit soll sich der Himmel nur noch etwas Zeit lassen“, lachte der Arzt. Er war um die 50, grauhaarig, und hatte freundliche, braune Augen.

Die Frau zog dem Knirps das Hemd über.

Dann bedankte sie sich noch einmal überschwänglich und verließ schließlich mit dem Knaben an der Hand die Praxis.

Der Arzt schaute die junge Frau an, die ihm bei seiner täglichen Arbeit zur Hand ging. Sie war schwarzhaarig, rassig, und sogar der formlose, weiße Kittel, in dem sie steckte, betonte ihre weiblichen Proportionen. „Wie viele noch?“, fragte er.

„Sieben“, antwortete Conchita. So hieß die rassige Lady.

Dr. Estralda drehte die Augen zur Decke. „Dann wird‘s wieder spät“, gab er zu verstehen und schaute zum Fenster hinaus.

Es wurde schon düster. Am Himmel trieben graue Regenwolken. Das Wetter in Bogota war eigentlich immer hässlich. Die Sonne schien hier, je nach Jahreszeit, zwischen drei und sechs Stunden am Tag.

Im Wartezimmer wurde es laut. Die dunkle Stimme eines Mannes war durch die geschlossene Tür zu vernehmen: „Ich muss den Doktor auf der Stelle sprechen, Señorita. Es ist ...“

Der Sprecher verstummte, als der Arzt die Tür öffnete. Da stand seine Sprechstundenhilfe mitten im Wartezimmer, vor ihr stand ein dunkelgesichtiger Mann mit straff nach hinten gekämmten, gelglänzenden Haaren und dichten Koteletten bis zu den Kinnwinkeln.

„Ah, Doktor“, rief der Bursche. „Ich muss Sie sprechen. Es dauert nur ein paar Minuten.“

Der Arzt nickte. „Kommen Sie herein, Señor.“ Er drehte den Kopf zu Conchita herum. „Nehmen Sie sich der einfachen Fälle an, Conchita? Ich muss mit dem Señor einige Dinge besprechen. Ich werde gleich wieder zur Verfügung stehen.“

Er lächelte sie an.

„Gewiss, Doktor“, nickte Conchita und verließ das Behandlungszimmer.

Die Sprechstundenhilfe gab den Weg frei.

Dr. Estralda schloss die Tür, als Pepe Herrero eingetreten war. „Was ist es diesmal?“, stieß er hervor.

„Ein Herz. Wir brauchen einen gesunden Burschen, ungefähr eins-fünfundachtzig groß, neunzig Kilo schwer, Blutgruppe A, positiv.“

Dr. Estralda zog den linken Mundwinkel in die Höhe. „Eins-fünfundachtzig vielleicht, neunzig Kilo auf keinen Fall, bei den ausgemergelten Burschen, die ich betreue. A, positiv ist kein Problem.“

Er ging zum Computer und griff nach der Maus. Einige Klicks, und das Suchfenster seiner Datenbank wurde geöffnet. Er gab in die verschiedenen Textfelder die entsprechenden Kriterien ein. Das Suchergebnis war Null.

„Hab ich Ihnen doch gesagt“, murmelte der Arzt. Er klickte wieder das Suchfenster her. Er gab als Kriterien dieses Mal die Größe mit eins-fünfundsiebzig an, das Gewicht mit 65 Kilo.

Dann klickte er Ok.

Der Computer zeigte fünf Treffer an.

Dr. Ramon Estralda druckte die Personendaten aus. Er reichte die Liste Pepe Herrero. Der überflog sie mit den Augen, nickte und grinste: „Sehr gut, Doktor. Einen der Kerle werden Sie in vier Tagen aus Ihrer Datenbank löschen können.“

„Langsam nimmt es einen Umfang an, Herrero“, knurrte der Arzt, „der die Polizei zwingt, der Sache auf den Grund zu gehen. Da nützt es auch nichts, dass ...“

„Es gibt eben viele reiche Americanos, die kaputte Herzen, Nieren und Lungen haben. Wir leben doch gut davon. Und nach den Hungerleidern, die wir zu Organspendern machen, kräht kein Hahn. Sie kriegen es doch nicht mit der Angst, Doktor?“

„Was heißt hier Angst? Sorgen werde ich mir wohl machen dürfen?“

„Bleiben Sie nur schön bei der Stange. Sie stecken genauso tief drin wie wir.“

„Ich weiß.“

„Bueno. Also dann, bis zum nächsten Mal. Spielen Sie jetzt weiter den Engel der Armen und Entrechteten, Doktor.“

Pepe Herrero verließ die Praxis.

Von einer Telefonzelle aus rief er einen seiner Komplicen an. Er studierte die Liste der Kandidaten, die ihm der Arzt ausgehändigt hatte, während das Freizeichen tutete. Dann hatte er seinen Mann an der Strippe.

„Pass auf, Paco. Der Name ist Benito LaVega. Er wohnt in der Barackensiedlung San Louise.“

„Ich kenne das Elendsviertel. Alles klar. Wann?“

„Am siebten.“

„In Ordnung. Übergabe wie immer?“

„Si.“

Trevellian und die Organ-Mafia: Action Krimi

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