Читать книгу Die Revolverreiter von Dodge City: Western Bibliothek 10 Romane - Pete Hackett - Страница 7

Letzter Trail nach Dodge City ​John F. Beck

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IMPRESSUM

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books und BEKKERpublishing sind Imprints von Alfred Bekker

© Roman by Author/Titelbild: Werner Öckl, 2019

Korrektorat: Dr. Frank Roßnagel

© dieser Ausgabe 2019 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.

www.AlfredBekker.de

postmaster@alfredbekker.de

2.000 Dollar sind auf den Kopf von Greg Williams ausgesetzt und machen ihn zu einem Gejagten, der nirgendwo Ruhe findet. Weil Greg in Notwehr einen Mann erschossen hatte, bestach dessen Bruder Zeugen zu einer Falschaussage, um Williams zu einem Mörder und damit zu einer willkommenen Beute für Kopfgeldjäger zu machen. Zufällig wird er Herdentreiber für die junge Ranchertochter Mary Lockwood, die 3.000 Longhorns verkaufen muss, um die Ranch ihres Vaters vor dem Ruin zu retten – ein schier aussichtsloses Unterfangen für Greg: Er kämpft nicht nur gegen die Schatten seiner Vergangenheit, sondern gegen den teuflischen Plan von Marys Vormann und skalphungrige Comanchen auf dem letzten Trail nach Dodge City …

Das Pferd trabte langsam hinter der hohen Strauchreihe hervor, und Allan Lockwood sah den roten Schein des Campfeuers über das hochgewölbte Dach des Planwagens geistern.

Ein Zweig knackte ganz in der Nähe.

Allan Lockwoods hagere Gestalt spannte sich. Er straffte die Zügel.

Eine Stimme rief gedämpft: „Lockwood!“

Der Rancher hielt den Braunen an.

„Wer ist da?“

Blätter raschelten. Eine dunkle kräftige Gestalt brach aus dem Strauchwerk.

„Bist du das, Rick?“

„Nein, Lockwood!“

Die Stimme war von metallener Härte. Plötzlich sah Lockwood den Lauf des Gewehrs. Das Begreifen der tödlichen Gefahr durchfuhr ihn wie ein schmerzhafter Stich. Seine rechte Hand löste sich vom Zügel und langte zum Holster.

„Nein!“, keuchte er verzweifelt. „Ihr sollt mich nicht …“

Ein Feuerstrahl raste auf ihn zu. Das Krachen des Schusses dröhnte in Lockwoods Ohren.

Der Einschlag der Kugel riss seinen Oberkörper zurück, seine Füße glitten aus den Steigbügeln. Das Pferd wieherte schrill und stieg auf die Hinterhand.

*

Als Lockwoods Bewusstsein zurückkehrte, stellte er fest, dass er im zertrampelten Gras lag. Ein stechender Schmerz wühlte in seiner Brust. Mühsam drehte er den Kopf, um nach dem Mann zu sehen, der auf ihn gefeuert hatte. Aber da war nur Dunkelheit!

Vom Camp her trieb aufgeregtes Stimmengewirr heran. Schritte hasteten näher. Der Rancher wollte sich hochstemmen und rufen. Aber er war zu keiner Bewegung fähig. Kein Laut kam über seine blutleeren Lippen.

Er wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, als der gelbe Schimmer einer Sturmlaterne über ihn spülte. Schnelles Atmen drang an seine Ohren. Und dann sah er wie durch wogende Nebelschleier das schmale Gesicht seiner Tochter im Lampenlicht auftauchen – kreidebleich und vom Entsetzen gezeichnet.

„Vater!“, schluchzte sie auf. „Um Himmels willen! Vater!“

Er spürte, wie die Schwäche ihn zu übermannen drohte. Er bot seine ganze restliche Energie auf. Es dauerte eine Weile, bis er einen Ton hervorbrachte.

„Mary!“, flüsterte er brüchig. „Mary, du darfst … nicht aufgeben! Ich … wollte, ich könnte … dir das alles ersparen. Aber die Herde … die Ranch …“

Seine Stimme erstickte. Er hatte plötzlich den Eindruck, eine gewaltige schwarze Mauer komme mit rasender Geschwindigkeit auf ihn zu.

„Ja, Vater!“, hörte er undeutlich die Stimme seiner Tochter. „Ja! Du musst ganz ruhig liegen! Du musst …“

„Die Herde …“ brachte er nochmals keuchend hervor.

Dann war die unheimliche schwarze Mauer direkt vor ihm und schlug über ihm zusammen …

Die Männer standen stumm im Halbkreis und starrten auf das Mädchen, das neben der reglos ausgestreckten Gestalt kniete. Schließlich nahm der alte graubärtige Mike Tipstone mit einem tiefen Aufseufzen seinen verbeulten Stetson ab. Die anderen folgten seinem Beispiel.

Nach einer Weile räusperte sich Lee Torrence und machte einen Schritt vorwärts. „Miss Mary!“

Das Mädchen hörte nicht Sie kniete da, den Rücken den Cowboys zugewandt, und starrte in das fahle, hagere Gesicht des Mannes, der ihr Vater war.

Der alte Tipstone wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. Torrence wiederholte gedämpft: „Miss Mary!“

Sie zuckte zusammen. Es war, als würde sie aus einem Traum gerissen. Langsam drehte sie den Kopf. Der gelbe Laternenschein traf voll auf ihr Gesicht. Ihre roten ausdrucksvollen Lippen waren fest zusammengepresst. In ihren Augen lag ein seltsam benommener Ausdruck, als müsse sie sich erst besinnen, wo sie war und was sich ereignet hatte.

„Miss Mary“, sagte Lee Torrence mit heiserer Stimme, „es wäre besser, wir würden ihn in die Stadt hinüberbringen.“

Mary Lockwood nickte stumm. Langsam erhob sie sich. Ihre Arme hingen schlaff herab. Hoffnungslosigkeit beschattete ihre Miene.

Torrence drehte nervös seinen Stetson zwischen den kräftigen Fingern.

„Es … es tut mir leid, Miss! Einer von uns sollte den Boss in die Stadt begleitet haben, dann wäre das vielleicht nicht passiert.“

„Er wollte alleine reiten“, murmelte sie tonlos. „Lee, keinen von euch trifft irgendwelche Schuld!“

„Was werden Sie jetzt tun, Miss Mary? Meinen Sie nicht, es wäre besser, den Trail abzubrechen? Noch wäre Zeit dazu, noch befinden wir uns in besiedeltem Land.“

Das Mädchen blickte dem großen breitschultrigen Mann fest ins Gesicht. Eine Veränderung ging an ihrer Haltung vor. Ihre schmalen Schultern strafften sich. Sie hob den Kopf. Mit entschiedener Stimme antwortete sie: „Nein, Lee! Nein, wir geben nicht auf! Das ist ja, was diese Verbrecher bezwecken! Jetzt glauben sie sich wahrscheinlich bereits am Ziel. Aber wir werden sie enttäuschen. Wir treiben weiter – weiter bis Dodge City!“

„Der Chisholm Weg ist lang und gefährlich!“, gab Torrence zu bedenken.

„Ich weiß!“, erwiderte Mary Lockwood herb. „Aber ihr habt die letzten Worte meines Vaters gehört, nicht wahr?“ Ihre Blicke schweiften über die wettergegerbten Gesichter der Weidereiter. Sie zögerte.

„Es sei denn, ihr wollt dieses Risiko nicht mehr auf euch nehmen. Es wäre verständlich. Ich würde keinem von euch einen Vorwurf machen. Auch Ihnen nicht, Lee.“

„Miss Mary“, sagte Torrence schnell, „ich war nicht nur Vormann auf der Lockwood Ranch, ich war auch der Freund Ihres Vaters. Was auch geschieht – Sie werden sich auf mich verlassen können. Und ich bin überzeugt, dass das für jeden dieser Männer ebenfalls zutrifft.“

Er schaute in die Runde, und die Cowboys nickten stumm ihre Zustimmung.

„Bei der ganzen Sache denke ich nur an Sie, Miss Mary!“, redete Torrence weiter. „Vielleicht wäre es für Sie besser, wenn Sie in Austin zurückblieben. Wir werden die Herde auch ohne Sie nach Dodge City bringen.“

„Wir brauchen jede Kraft, Lee. Wir sind ohnehin fast zu wenig. Und ich verstehe genug vom Reiten und Lassowerfen, um mich wenigstens um die Pferderemuda kümmern zu können.“

„Sie wollen also mitkommen?“

„Ja, Lee! Ja, ich will dabei sein. Und nicht nur der Pferde wegen.“

Torrence hob die Schultern und sagte: „Der Trail stellt Anforderungen, denen eine Frau vielleicht nicht gewachsen ist, Miss Mary.“

Ihr Blick senkte sich wieder auf den Toten nieder, und Torrence glaubte schon, er würde keine Antwort erhalten. Da hob sie wieder den Kopf, und in ihren Augen lag ein verhaltenes Feuer. Von einer Minute zur anderen war sie plötzlich nicht mehr die junge sorglose Rancherstochter. Sie war entschlossen, eine schwere Aufgabe auf sich zu nehmen.

Sie sagte fest: „Ich will es herausfinden, Lee! In drei Tagen brechen wir auf!“

*

Pfeifend sperrte Greg Williams sein Zimmer im Obergeschoss des Rio Colorado Hotels ab und schob den Schlüssel in die Hosentasche. Den schweren Ledersattel mit den baumelnden Steigbügeln über der linken Schulter, ging er ohne Eile den Korridor entlang.

Greg Williams erreichte die Treppe, die in die Eingangshalle hinabführte. Unten war es still. Das Gästebuch an der Rezeption war aufgeschlagen, aber vom alten weißhaarigen Portier war nichts zu sehen. Die Tür zum Gehsteig stand einen Spalt offen. Ein Bündel goldener Sonnenstrahlen fiel schräg herein. Die Stufen knarrten leise unter Gregs Stiefelsohlen, als er langsam hinabstieg.

Als er die Mitte der Treppe erreichte, brach sein Pfeifen jäh ab. Aus dem schattigen Winkel neben der steilen Stiege hatte sich eine Gestalt gelöst – lautlos und mit katzenhafter Geschmeidigkeit.

Der Mann blieb unten vor der letzten Stufe stehen, schaute starr zu ihm empor und sagte mit einer leicht gedehnten höhnischen Stimme: „Hallo, Williams! Da bist du ja endlich!“

Gregs Schultern zogen sich etwas in die Höhe. Mit einem Schlag wurde sein Gesicht völlig ausdruckslos. Die Falten um seine Mundwinkel schienen sich tiefer zu kerben. Seine dunklen Augen verengten sich. Er stand ganz starr, und sein Blick schien jede Einzelheit des kantigen Gesichts des anderen genau in sich aufnehmen zu wollen.

„Hallo, Kinross“, sagte er schließlich ruhig. „Ich dachte, ich hätte dich längst abgeschüttelt!“

Sein Blick senkte sich kurz und entdeckte den Revolver in der Hand des Mannes unterhalb der Treppe. Der Hahn war bereits gespannt.

Jim Kinross lächelte dünn.

„Beinahe hättest du es geschafft, Williams. Aber nur beinahe!“

„Du bist wie ein Bluthund, Kinross!“

„Aus deinem Mund ist das ein Kompliment!“ Kinross’ Lächeln wurde breiter. Seine hellen Augen glitzerten kalt. Unverwandt zielte sein Revolverlauf auf Greg. „Aber weißt du, Williams, für zweitausend Dollar kann man schon etwas tun.“

„Eine hübsche Summe, ja!“, nickte Greg kühl, während er innerlich mit fieberhafter Spannung nach irgendeinem Ausweg suchte.

„Ich nehme aber an, du wirst die Kopfprämie teilen müssen, Kinross, was? Du bist doch nicht alleine gekommen, oder?“

„Da hast du recht! Aber darüber solltest du dir keine Gedanken mehr machen, Williams. Austin ist die letzte Station für dich, seit du damals aus dem Big Bend geflohen bist. Los, komm jetzt endlich die Treppe herab!“

Greg rührte sich nicht. Der Blick in die schwarze kreisrunde Mündung von Jim Kinross’ Waffe schnürte ihm die Kehle zusammen. Trotzdem brachte er es fertig, die Undurchdringlichkeit seiner Miene zu bewahren – diese Maske, hinter der er all seine Gedanken und Empfindungen zu verbergen gelernt hatte.

Er sagte kalt: „Kinross, du weißt genau, dass ich Don Brigg damals im Big Bend nicht ermordet habe. Du wirst kein Glück haben, wenn du mich jetzt zum Sheriff schleppst.“

„So? Meinst du? Wie willst du denn deine Unschuld beweisen, Freund Williams? Die Zeugenaussagen stehen gegen dich und …“

„Es sind falsche Aussagen! Die Zeugen wurden bestochen!“

Kinross verzog spöttisch die Mundwinkel.

„Beweis es doch! Es ist eben dein Pech, dass du mit deinem Colt ausgerechnet an den Bruder des reichsten Mannes im Big Bend geraten bist!“

„Hier sind wir in Austin, nicht in Glenn Briggs Machtbereich, Kinross. Der Sheriff …“

„Du redest immer vom Sheriff, Williams!“, unterbrach ihn Jim Kinross beißend. „Du scheinst die Situation noch nicht ganz zu begreifen, wie? Die zweitausend Dollar werden nicht nur ausgezahlt, wenn ich dich lebend bei einem Sternträger abliefere! Du weißt doch, wie es heißt: tot oder lebendig!“

Etwas in Greg Williams verkrampfte sich in diesem Augenblick: Er dachte an, die Tage und Wochen, die hinter ihm lagen. Eine Zeit voller Hitze, Staub und Strapazen – eine Zeit ständigen Gehetztseins. Alles war schlagartig wieder lebendig für ihn: die vielen harten Stunden im Sattel, die verborgenen Nachtlager im öden Land, der Hunger, die Angst und immer wieder der Anblick der gelben Staubwolke, die seiner Fährte folgte.

In diesen Sekunden war das Verlangen, einfach zum Colt zu greifen, fast übergroß. Greg bot alle Beherrschung auf, um ruhig zu bleiben. Das Glitzern in Kinross’ kalten hellen Augen zeigte ihm, dass der Mann nur darauf wartete, den Zeigefinger am Stecher krumm zu machen. Unwillkürlich fragte sich Greg, warum Kinross nicht längst gefeuert hatte. Vielleicht wollte er seinen Triumph auskosten. Es war ihm jedenfalls zuzutrauen. Oder er wartete noch immer darauf, dass Greg zur Waffe griff, um später behaupten zu können, in Notwehr geschossen zu haben.

Das höhnische Lächeln verlor sich aus Kinross’ Zügen. Seine Stimme war heiser, als er ungeduldig nochmals befahl: „Hast du vorhin nicht gehört? Du sollst endlich die verdammte Treppe herabkommen! Los, vorwärts!“

Greg atmete tief ein und setzte sich in Bewegung. Unten wich Kinross gleitend einige Schritte vom Treppenabsatz zurück – den Revolver noch immer auf Greg gerichtet.

Die Holster mit dem schweren 44er schabte gegen Gregs verwaschene Jeans. Der Sattel drückte schwer auf seine linke Schulter. Greg schaute in die eisigen Augen des Kopfgeldjägers und Mordbanditen. Und plötzlich wusste er, was er zu tun hatte.

Er langte am Fuß der Treppe an. Kinross stand nicht mehr als drei Schritte von ihm entfernt. Hinter ihm tanzten winzige Staubteilchen in dem gebündelten Licht, das durch den offenen Türspalt fiel.

Greg sagte leise: „Ich denke, du musst dich beeilen. Der Portier kann jeden Augenblick zurückkommen. Und für das, was du vorhast, kannst du keine Zeugen gebrauchen, oder?“

„Halt die Klappe!“, fuhr ihn Kinross an. Sein kantiges Gesicht war jetzt verkniffen – das Gesicht eines Mannes, der in den nächsten Sekunden einen anderen rücksichtslos ermorden will.

„Wirf den Sattel weg, Williams!“

„Soll es so aussehen, als hätte ich gekämpft?“, fragte Greg mit kaltem Spott. „Nun ja, ein Mann mit einem Sattel auf der Schulter kann schlecht kämpfen. Ich …“

„Du sollst still sein und tun, was ich verlange!“

„Meinetwegen!“

Greg griff mit beiden Händen nach dem Sattel. Es sah aus, als wolle er ihn einfach von der Schulter streifen und zu Boden fallen lassen. Doch dann ging alles blitzschnell!

Seine Finger krampften sich um die glattgescheuerte Lederpausche. Ein wilder Ruck – und schon flog der Sattel direkt auf Kinross zu. Gleichzeitig warf sich Greg mit einem kräftigen schnellen Sprung zur Seite.

Kinross’ Fluch vermischte sich mit dem dumpfen Aufbrüllen seines Revolvers.

Es gab ein klatschendes Geräusch, als sich die Kugel mit voller Wucht in den Sattel bohrte. Kinross machte eine halbe Drehung und feuerte nochmals.

Vom Boden aus stach ihm Greg Williams’ Mündungsflamme entgegen. Kinross’ Kugel riss einen Holzsplitter aus dem Rezeptionspult. Dann wurde Jim Kinross von Gregs Treffer rückwärts geschleudert. Sein Arm mit dem Revolver fiel kraftlos herab. Er krampfte eine Hand um das untere Treppengeländer und versuchte, die Waffe nochmals in die Höhe zu bringen.

Greg sprang vom Boden der Eingangshalle auf. Ein dünner Rauchfaden kräuselte vor der Mündung seines 44ers. Greg sah, wie sich ein dunkler Fleck an Kinross’ rechter Schulter ausbreitete.

Greg rief heiser: „Kinross, sei vernünftig! Gib auf!“

Kinross’ Faust mit dem Revolver war halb in die Höhe gekommen, als ihn die Kraft verließ. Seine Finger öffneten sich, die Waffe schlug hart auf den Boden.

„Zur Hölle mit dir, Williams!“, schnaufte er schwer. „Sie werden dich schon erwischen, du verwünschter …“

Die Beine knickten unter ihm weg. Seine klammernde Linke löste sich vom Treppengeländer. Er fiel zuerst auf die Knie, dann kippte er langsam zur Seite.

Sekundenlang blickte Greg Williams starr auf ihn nieder.

Erleichterung durchflutete ihn, als ihm bewusst wurde, wie nahe er dem Tod gewesen war. Dann erinnerte er sich daran, dass Jim Kinross nicht allein auf seiner Fährte nach Austin gekommen war. Und die Schüsse mussten weit gehört worden sein!

Er biss grimmig die Zähne zusammen. Er hatte gehofft, hier in Austin am Rio Colorado, fern vom Big Bend Land, in Sicherheit zu sein. Es war eine Täuschung gewesen! Noch war diese Sache nicht zu Ende. Wenn es ihm nicht gelang, unbemerkt die Stadt hinter sich zu lassen, ehe Kinross’ Freunde zur Stelle waren, sah es böse für ihn aus!

Seine Erstarrung zerfloss. Hastig bückte er sich nach dem Sattel, der Kinross’ erste Kugel aufgefangen hatte.

In diesem Augenblick wurde die Tür zur Hoteleingangshalle vollends aufgestoßen. Ein schnurrbärtiger Mann sprang über die Schwelle. In seiner kräftigen Rechten blinkte der lange Lauf eines 45er Colts …

*

Greg erkannte den Mann auf den ersten Blick. Er gehörte zu Jim Kinross und dessen Reitern, die ihm wie Bluthunde vom Big Bend Land herauf gefolgt waren – seit jenem schlimmen Tag, da Don Brigg, der Bruder des reichen Ranchers Glenn Brigg, unter seiner Kugel zusammengebrochen war.

Der Schnurrbärtige stand geduckt mitten im hereinflutenden Sonnenlicht. Sein Blick fiel auf Kinross, der bewusstlos am Boden lag, und für einen Moment stand er wie versteinert. Überraschung und Wut vermischten sich auf seinem breitflächigen Gesicht.

Für Greg war keine Sekunde zu verlieren!

Er ließ den Sattel liegen und sprang auf die Treppe zu. Draußen auf dem sonnenbestrahlten Gehsteig pochten eilige Stiefeltritte. Da kamen die übrigen Männer der Kinross Mannschaft heran.

Greg erreichte den Fuß der Treppe. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm den hochflirrenden Coltlauf des Mannes. Er feuerte um einen Sekundenbruchteil früher.

Durch den zerflatternden Pulverrauch sah er den Schnurrbärtigen ungläubig die Augen aufreißen. Der Mann machte zwei torkelnde Schritte auf die Stiege zu, dann fasste er mit beiden Händen an den linken Oberschenkel und setzte sich mitten auf den Boden.

Das helle Viereck der offenen Tür wurde verdunkelt. Sehnige Gestalten drängten über die Schwelle. Greg schaute in finstere wilde Gesichter. Eine vor Erregung kratzende Stimme schrie: „Da ist er! Er hat Jim und Stan erledigt! Los, drauf auf ihn!“

Greg feuerte zwei schnelle Kugeln ab. Holzteile splitterten aus dem Türrahmen. Die Männer auf der Schwelle prallten erschrocken zurück.

Greg fuhr herum und rannte, den glatten Kolben seines 44er Navy Colts krampfhaft umklammernd, die Stufen hinauf. Schweiß biss salzig auf seinen ausgedörrten Lippen. Sein Herz hämmerte wie rasend. Er wusste, dass er von keinem dieser Leute Schonung zu erwarten hatte. Glenn Brigg hatte eine Mannschaft hinter ihm hergeschickt, die nur an eines dachte: an die zweitausend Dollar, die auf seinen Kopf ausgesetzt waren!

Vom Hoteleingang her rasten Revolverschüsse auf.

Eine Kugel bohrte sich knirschend dicht unter Gregs Stiefelabsatz in eine Stufe, eine andere zischte haarscharf an seinem Kopf vorbei. Das Krachen übertönte alle Geräusche, die von der Straße kamen. Auf halber Treppenhöhe gab Greg, ohne anzuhalten, zwei weitere Schüsse nach unten ab. Der schrille Aufschrei eines Mannes lag in seinen Ohren. Pulverqualm vernebelte die Sicht. Und durch diese milchigen Schwaden stachen neue Mündungsfeuer.

Greg hetzte weiter.

Stiefel polterten auf der Treppe. Stimmen schrien durcheinander. Irgendwo auf der sonnengleißenden Straße vor dem Rio Colorado Hotel wieherte durchdringend ein Pferd.

Greg rannte von der Treppe fort den Korridor entlang. Eine Kugel schlug wuchtig in die Bretterwand, dann verstummte das Dröhnen der Waffen. Im Laufen zerrte Greg den Schlüssel aus der Hosentasche.

Keuchend blieb er vor seinem Zimmer stehen. Seine Finger zitterten, und er setzte zweimal vergeblich an, ehe er den Schlüssel ins Schloss brachte. Die Treppe ächzte unter dem Ansturm der Männer, von denen jeder zuerst oben sein wollte. Rostig knirschte der Schlüssel. Greg stieß die linke Fußspitze gegen die Tür. Sie schwang knarrend nach innen auf.

Er schaute über die Schulter und sah, dass die ersten Verfolger das obere Treppenende erreichten. Weiter unten brüllte ein Mann: „Schießt ihn ab, diesen Mörder!“

*

Die Lippen zu einem dünnen Strich zusammengepresst, schwang Greg den 44er empor und zog den Stecher durch. Es knackte nur metallen. Die Kammern waren leer!

Der Mann an der Spitze der Meute feuerte.

Greg schnellte ins Zimmer. Die Kugel klatschte wuchtig in das Holz des Türrahmens – genau dort, wo Greg eben noch gestanden hatte. Ein Stakkato von Schüssen dröhnte jetzt den Korridor entlang. Greg schlug die Tür zu und schob den Riegel vor.

Sein Atem ging schwer.

Mit schweißüberströmtem Gesicht lehnte er sich neben der Tür an die Zimmerwand. Sein Blick irrte gehetzt hin und her.

Der Raum war klein und einfach eingerichtet. Das schmale Bett, ein wurmstichiger Schrank, dessen Türen nicht mehr richtig schlossen, ein runder wackliger Tisch und ein Stuhl – das war alles. Eine Nacht und einen halben Tag hatte Greg Williams hier verbracht. Zum ersten Mal seit Wochen hatte er angefangen, sich wieder als Mensch unter Menschen zu fühlen – nicht wie ein gehetztes Tier. Und nun war alles wieder beim alten, vielleicht noch schlimmer als vorher!

Draußen im offenen sonnendurchglühten Land hatte er stets sein Pferd in Reichweite gehabt. Da draußen hatten ihm viele Wege zur Flucht offengestanden. Und hier? In diesem engen Zimmer fühlte er sich wie in einer tödlichen Falle!

Auf dem Korridor kamen die eiligen harten Schritte der Verfolger heran. Stimmen redeten gedämpft durcheinander. Sporen klirrten.

Greg erinnerte sich daran, dass sein Colt leergeschossen war. Hastig zerrte er Patronen aus den Schlaufen seines breiten Ledergurtes und füllte die Colttrommel nach. Die leeren Hülsen klickten auf die Bodenbretter. Draußen war das Stimmengewirr und Schrittepochen vor der Zimmertür angelangt. Ein Mann knurrte ungeduldig.

„Ach was! Den werden wir gleich haben! Vorsicht, macht mir Platz!“

Greg presste sich enger an die Wand. Die Mündung seiner Waffe richtete sich auf die verriegelte Tür.

Auf dem Gang peitschten drei schnelle Schüsse. Die Kugeln wummerten gegen das eiserne Schloss. Knirschen und Bersten waren zu hören. Greg biss sich auf die Unterlippe, als er sah, wie sich der Riegel aus der Halterung zu lösen begann. Jemand trat wuchtig von außen gegen die Tür.

Greg feuerte, und die Kugeln durchschlugen splitternd das Holz. Auf dem Korridor gellte ein Schmerzensschrei. Dann folgten die gestöhnten Worte: „Mein Arm! Verdammt, er hat mich direkt in den Arm getroffen!“

„Dieser Satan!“, knurrte eine andere Stimme. „Heh, Williams, gleich haben wir dich! Und dann wirst du allerhand zu bezahlen haben, du verdammter Revolverschwinger!“

Neue Kugeln schmetterten gegen das Schloss.

Ein Gedanke kam Greg. Er rannte quer durchs Zimmer zum offenen Fenster. Das Sonnenlicht blendete ihn. Draußen flimmerte die Luft über den Dächern von Austin. Am blauen Himmel war kein einziger Wolkenfetzen zu bemerken.

Greg spähte in die Tiefe. Da unten war das Dach der Hotelveranda. Die breite Straße – ein schnurgerades gelbes Band, das vom einen Ende der Stadt zum anderen verlief – war menschenleer. Gesattelte Pferde standen im Schatten an langen Haltegeländern.

Hinter sich hörte Greg das Zerbrechen des Schlosses. Die Tür bewegte sich knarrend. Auf dem Korridor schrie ein Mann in wildem Triumph: „Geschafft! Jetzt haben wir ihn!“

Mit dieser wilden Meute auf den Fersen waren Gregs Chancen gering. Aber alles in ihm bäumte sich dagegen auf, für ein Verbrechen zu sterben, das er nicht begangen hatte. In diesen Augenblicken saß nur ein Gedanke in seinem Gehirn fest: Flucht!

Er schwang die Beine übers Fensterbrett und ließ sich nach draußen gleiten. Sekundenlang hielt er sich noch am Sims fest, den Körper frei an der Hotelfassade baumelnd. Dann hörte er droben das einsetzende Wutgeheul und löste seinen Griff.

Er landete schwer auf dem schräg abfallenden Verandadach. Mit rudernden Armen suchte er das Gleichgewicht zu halten. Er fiel und glitt zum Dachrand hin abwärts. Nirgends bot sich ihm Halt.

Durch das Rauschen in seinen Ohren drang der wilde Lärm aus seinem Zimmer: Wütende Schüsse wurden in die Wände gejagt, Tisch und Stuhl zertrümmert, die Dielen erzitterten unter dem Gestampfe der Stiefel.

Dann war da schon die Dachkante! Seine Füße schossen ins Leere hinaus. Instinktiv krümmte er den Rücken, um die Wucht des Aufpralls zu mildern. Schon schlug er auf. Staub wolkte und brannte in seinen Augen.

Er rollte keuchend herum und stemmte sich auf die Knie. Seine Ellenbogen waren zerschrammt, das derbe Baumwollhemd an der linken Schulter aufgerissen. Der Colt war ihm entfallen. Er sah ihn einige Handbreit von sich entfernt im sonnen warmen Sand liegen. Sofort streckte er die Hand nach der schweren Waffe aus.

Da fiel ein Schatten über ihn.

*

Er riss den Kopf hoch. Sein Blick traf direkt in das angespannte Gesicht des Mannes, der über das Verandageländer auf ihn zuhechtete. Es war zu spät zum Ausweichen. Der Anprall traf ihn mit voller Wucht und schleuderte ihn hintenüber in den Straßenstaub. Finger krallten sich in seinem Hemdstoff fest. Heißer Atem traf ihn von der Seite.

Der andere holte aus, um ihm die Faust ins Gesicht zu schmettern. Blitzschnell zog Greg sein rechtes Knie hoch. Er stieß den Gegner aus dem Gleichgewicht. Der Hieb ging ins Leere. Und noch am Boden liegend, rammte Greg seine geballte Rechte in die Höhe.

Er erwischte den Kinross Reiter genau am Kinn. Der Kopf des Mannes ruckte nach hinten. Seine Arme fielen herab. Mit einer kräftigen Drehung kam Greg unter dem Feind hervor. Er sprang auf die Füße. Der andere klammerte sich an seinem Gürtel fest und wollte sich so hochziehen. Einen Moment zögerte Greg. Dann sagte er sich grimmig, dass ihm keine andere Wahl blieb, wenn er nicht weiter aufgehalten werden wollte. Er schmetterte dem anderen die Faust an die Schläfe. Der Kopfgeldjäger erschlaffte.

Flüchtig wischte sich Greg mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, während er sich abermals nach seinem 44er bückte. Die Berührung des Metalls verlieh ihm keine Beruhigung. Den Colt in der Hand, richtete er sich hoch.

Im nächsten Sekundenbruchteil prellte ihm ein wuchtiger Hieb mit einem Gewehrlauf die Waffe aus der Faust. Greg duckte sich und wich einen Schritt zurück. Vor ihm war ein bärtiges verkniffenes Gesicht, das von einem mexikanischen Sombrero beschattet wurde. Der Gewehrlauf wurde zu einem neuen Schlag hochgeschwungen.

Verzweifelt wollte Greg den Hieb unterlaufen und sich gegen den anderen werfen. Da mahlte direkt hinter ihm Sand unter Stiefelsohlen.

Ehe Greg noch reagieren konnte, wurden ihm die Arme auf den Rücken gerissen. Er bäumte sich keuchend gegen den stählernen Griff.

Da kam der Gewehrlauf bereits niedergesaust. Greg spürte noch den stechenden Schmerz an der linken Schädelseite, dann war stockdunkle Nacht um ihn …

*

Als er erwachte, schmeckte er Staub auf der Zunge. Jemand goss Wasser über ihn, und der kühle Schwall vertrieb Gregs Benommenheit. Spuckend setzte er sich auf. Das Wasser perlte über sein Gesicht und klebte das zerrissene Hemd an seiner Haut fest. Das schwarze gelockte Haar ringelte sich ihm wirr in die Stirn. Gleichzeitig mit dem einsetzenden Schmerz in seinem Kopf, begann sein Gehirn wieder klar zu arbeiten.

Die Erinnerung ließ ihn die Lippen zusammenpressen.

Jemand stieß ihn derb mit der Stiefelspitze an.

„Los, Williams! Hoch mit dir!“

Er schaute auf, und bei dieser Bewegung zuckte ein neuer Schmerzstoß durch seinen Kopf.

Schräg über ihm war das breite Gesicht des vollbärtigen Mannes, der ihn mit dem Gewehrlauf niedergestreckt hatte. Ein spöttisches Grinsen verzerrte die wulstigen Lippen. Der Mann hielt seine Winchester nachlässig unter den Arm geklemmt. Als Gregs Blick auf ihn traf, spie er geringschätzig in den Straßenstaub.

„Hast du nicht gehört, Williams? Du sollst aufstehen!“

Wieder wurde Greg von einem Stiefel gestoßen. Er drehte halb den Kopf und sah Jim Kinross neben sich. Kinross’ muskulöser Oberkörper war nackt und glänzte schweißnass in der Sonne. Ein dicker weißer Verband war um seine rechte Schulter geschlungen, wo ihn vorher Gregs Coltkugel getroffen hatte. In seinen hellen Augen brannte Hass.

Neben Kinross und dem Vollbärtigen drängten sich die anderen Mitglieder der Kinross Crew im Halbkreis um Greg. Sie befanden sich noch immer vor dem Rio Colorado Hotel – genau an der Stelle, an der Greg zu Boden geschlagen worden war. Als Greg sich langsam erhob, sah er auf dem gegenüberliegenden Gehsteig Bewohner der Stadt stehen. Aber niemand dachte daran, in dieses raue Geschehen einzugreifen.

Einen Moment hoffte Greg auf das Auftauchen des Sheriffs. Aber Austin war groß und das Sheriff’s Office weit vom Rio Colorado Hotel entfernt. Überdies würde eine Verhaftung nur einen Aufschub bedeuten, nichts anderes. Er galt als Mörder, und jeder Richter würde für ihn nur ein Todesurteil bereithaben: Tod durch den Strang.

Während Greg mit hängenden Schultern dastand und in die mitleidlosen Gesichter seiner Feinde schaute, wallte dumpfer Zorn in ihm auf. Plötzlich kam er sich vor wie ein in die Enge getriebener Wolf. Und wie ein solcher wollte er auch handeln: verbissen bis zum letzten Atemzug kämpfen!

Kinross und seine Horde wussten, dass er in Wirklichkeit unschuldig war. Und das machte sie zu einer Schar skrupelloser Banditen, gegen die Rücksichtnahme fehl am Platze war.

Greg spannte alle Muskeln. Er hätte jetzt viel dafür gegeben, den Colt in der Holster zu tragen. Seine ganzen Gedanken konzentrierten sich darauf, einem der Kopfgeldjäger eine Waffe zu entreißen. Dann wollte er sich wehren, bis er unter dem tödlichen Kugelhagel zusammenbrach. Das war alles, was ihm noch zu tun übrigblieb.

Er rückte einen Schritt näher an Kinross und den Vollbärtigen heran. Mit erzwungener Ruhe sagte er, während noch immer der Schmerz in seinem Schädel bohrte: „Vielleicht hast du einen Fehler gemacht, Kinross, der dir zum Verhängnis wird.“

Jim Kinross runzelte die Stirn. Sein Gesicht wirkte fahl. Der Blutverlust hatte ihn geschwächt. Er musste sich auf den Bärtigen stützen. Und Greg begriff plötzlich, dass es nur eine Waffe gab, die er tatsächlich erwischen konnte: die Winchester unter dem Arm des Bärtigen.

Kinross knurrte: „Fehler? Soll das ein Bluff sein, Williams? Ich sehe keinen Fehler!“

Greg schaute ihm kalt in die Augen.

„Du solltest mich gleich erschossen haben, Kinross. Jetzt sind eine Menge Leute da, die dir auf die Finger sehen werden. Auch wenn man mich als Verbrecher jagt, wirst du mich doch nicht einfach über den Haufen schießen können.“

Kinross’ finstere Miene hellte sich auf.

„Du solltest mich eigentlich besser kennen, Williams. Ein Mann wie ich findet immer eine richtige Lösung!“ Er lächelte tückisch und gab seinen Leuten einen Wink.

Die Schar schwärmte aus und nahm Greg hastig in die Mitte.

Das jähe Begreifen jagte einen Schauer über seinen Rücken.

Jetzt war es nicht nur unmöglich geworden, an die Winchester des Bärtigen heranzukommen – jetzt war es vor allem für jeden Außenstehenden unmöglich, zu sehen, was innerhalb des dichten Ringes aus Männergestalten vor ging.

Jim Kinross stand plötzlich dicht vor ihm – einen schussbereiten Revolver in der Faust.

„Siehst du, Williams, so wird das gemacht!“, zischte er.

Greg verkrampfte die Fäuste und starrte ihn mit brennenden Augen an. Hass wühlte ihn plötzlich auf.

„Ich möchte nur wissen, ob du deiner Sache auch so sicher wärst, wenn wir uns nochmals alleine gegenüberstünden!“

Kinross holte aus und schlug ihm den linken Handrücken ins Gesicht. Gregs Kopf flog zur Seite. Er taumelte, aber sofort hielten ihn kräftige Fäuste fest.

Kinross fauchte einem seiner Leute zu: „Los, Jesse! Du weißt, was du zu tun hast!“

Sofort öffnete der Aufgeforderte seine Lippen und begann, heiser zu brüllen: „Verdammt, Williams, lass dein Eisen stecken! Ich warne dich!“

Und während sich die Fäuste noch eiserner um Gregs Handgelenke schlossen und ihn an jeglicher Gegenwehr hinderten, schrie der Mann noch lauter: „Vorsicht, Jim! Der Schuft will schießen!“

Jetzt war es so weit!

Kinross würde ihn ermorden und jeder würde es für Notwehr halten.

Aus aufgerissenen Augen starrte Greg in Jim Kinross’ hassverzerrtes Gesicht. Der rechte Zeigefinger des Banditen legte sich um den Abzugshebel …

*

In diesem Augenblick schallte eine Stimme über die Straße.

„Augenblick, Gentlemen! Wenn geschossen werden soll, werde ich mit von der Partie sein! Und ich wette, das würde gewaltig schlimm für euch alle ausfallen.“

Einen Moment stand Jim Kinross völlig reglos. Dann atmete er scharf ein und fuhr halb herum.

„Höllenfeuer! Wer ist dieser wildgewordene Büffel?“, schrie Kinross.

Heiße Hoffnung flammte in Greg Williams auf, als ihn die klammernden Fäuste losließen. Der enge Kreis der Banditen lichtete sich blitzschnell. Die Männer machten Front zu der Richtung, aus der die fremde Stimme gekommen war.

„So ist es recht! Aber lasst bloß eure hübschen Schießeisen stecken, Gentlemen! Ich stehe nämlich zu meinem Versprechen und würde bei einem Feuerwerk kräftig mithalten!“

An der Ecke des Rio Colorado Hotels war ein Mann aufgetaucht. Er war klein, alt und sein verwittertes Gesicht mit den wasserblauen Augen wurde von einem struppigen grauen Bart umrahmt. dass er mehr als ein halbes Dutzend hartgesottener Gestalten vor sich hatte, schien ihn nicht im geringsten zu kümmern. Seine Augen blickten furchtlos, fast vergnügt.

Er stand breitbeinig da, eine schwere Parker Schrotflinte unter den Arm geklemmt, deren Lauf er langsam kreisen ließ.

Sein Blick richtete sich auf Jim Kinross. Mit seiner krächzenden Stimme befahl er: „Heh, du Falkengesicht! Lass dein Knall Werkzeug fallen!“

Kinross’ Schultern verkrampften sich. Er beugte sich leicht vor. Eine Ader schwoll an seiner Stirn. Seine Stimme klang gepresst vor mühsam unterdrückter Wut.

„Höllenfeuer, was ist in dich gefahren, Mann! Bist du verrückt geworden? Du nimmst dir zu viel vor, wenn du allein gegen uns alle …“

„Mund halten, Mister!“, unterbrach ihn der Graubärtige ungerührt. „Ich brauche deine Belehrungen ganz und gar nicht! Siehst du denn nicht, dass ich da eine Schrotflinte in den Fäusten halte? Mit diesem Eisen blase ich euch alle in die Ewigen Jagdgründe, wenn ihr

nicht vernünftig seid. Also, weg mit deinem Revolver, Falkengesicht! Und ihr anderen bleibt nur schön ruhig stehen!“

Der Alte trat vorsichtig vom Gehsteig herab, die Schrotflinte weiterhin auf die Desperados gerichtet.

Greg staute den Atem. Die nächsten Sekunden würden alles entscheiden! Er konnte nicht verstehen, wieso dieser Graubärtige in diese Sache eingriff. Er hatte den Mann noch nie gesehen. Und Kinross hatte wirklich recht: Das Verhältnis war ungleich, auch wenn der Alte momentan den Finger am Drücker hielt. Wer sich Kinross und seine raue Horde zu Feinden machte, hatte nichts mehr zu lachen!

Greg war hastig zur Seite geglitten, zur Straßenmitte hin, um nicht in den gefährlichen Schussbereich des Schrotgewehrs zu kommen. Kein Bandit hatte versucht, ihn aufzuhalten. Ihre Aufmerksamkeit galt im Moment allein dem kleinen graubärtigen Fremden. Greg streifte Kinross mit einem Seitenblick. Er sah, dass der Anführer der Kopfgeldjäger wie gebannt auf das Schrotgewehr starrte. Dann zuckte Jim Kinross die Achseln und ließ seinen Revolver zähneknirschend in den Sand fallen.

Der dünne Mund des Alten verzog sich zu einem breiten Grinsen. „Ich wusste doch, Freund Falkengesicht, dass du vernünftig sein würdest!“

„Aber du bist ziemlich unvernünftig, Mann!“, stieß Kinross gepresst hervor. „Wenn du dich nicht schleunigst besinnst, wird dir diese Sache bald sehr leid tun.“

„Ach, weißt du“, brummte der Graubärtige schulterzuckend und spie lässig seitwärts in den Staub, „ich bin so einiges gewöhnt! Ich hab’ ein raues Leben hinter mir. Mich kann nichts mehr erschüttern!“ Er grinste wieder.

„Zur Hölle mit dir!“, schnaufte Kinross. „Bist du Williams’ Freund?“

„Williams? Wer ist Williams?“

„Der Kerl, dem du eben geholfen hast!“

Greg fürchtete, dass der Fremde jetzt in seine Richtung schauen würde. Und

einer der Bande würde diesen Augenblick bestimmt benutzen, um den Colt herauszureißen. Aber die Augen des Graubärtigen schweiften keinen Sekundenbruchteil von Kinross und seiner Crew ab.

„Nein, ich bin nicht sein Freund! Aber was nicht ist, kann ja noch werden!“

„Er ist tatsächlich verrückt!“, knurrte der vollbärtige Bandit mit dem großen mexikanischen Sombrero. „Menschenskind, du alter Kuhtreiber, weißt du denn nicht, dass dieser Bursche ein gesuchter Mörder ist? Wenn du ihm hilfst …“

„Ruhig, Freundchen, nur ganz ruhig! Es steht dir nicht, wenn du dich aufregst!“

„Tom hat recht!“, sagte Jim Kinross mit mühsamer Ruhe. „Du hilfst einem Verbrecher, und das …“

„Er sieht nicht danach aus!“, unterbrach ihn der Weidereiter. „Und wisst ihr, ich hab’ euch schon eine ganze Weile beobachtet. Es gefällt mir einfach nicht, dass eine ganze Meute einen Wehrlosen kaltblütig auf den langen Trail befördern will. Und noch etwas: Ein paar von euren Gesichtern kenne ich von früher her! Es sind keine angenehmen Erinnerungen. Das Thema Banditen klingt schlecht aus eurem Mund!“

„Na schön!“, knurrte Kinross zornig. „Dann mach nur zu, Großvater! Du wirst schon sehen, wohin dich das führt!“

„Natürlich werde ich das sehen!“, bestätigte der Alte grinsend. „Du, junger Mann, Williams oder wie du heißt, geh über die Straße. Neben dem Store stehen zwei Gäule, die mir gehören. Bring sie her!“

Greg räusperte sich. Sein Blick wanderte zwischen dem Alten und den Kinross Leuten hin und her.

„Na, was ist?“, krächzte der Graubart. „Jetzt fang du bloß nicht auch noch an, mir Schwierigkeiten zu machen.“

Gregs Stimme war heiser. „Mister, Sie sollten sich diese Sache wirklich überlegen. Diese Männer sind rücksichtslose Revolverschwinger. Sie werden …“

„Zum Kuckuck, Hombre! Willst du nun von diesen Burschen umgebracht werden oder willst du mit mir reiten?“

Ein Lächeln glitt über Gregs Gesicht. Wortlos setzte er sich in Bewegung und verschwand im Schatten neben dem Store. Wie der Alte gesagt hatte, standen dort zwei Gäule – zähe struppige Cowboypferde. Greg schwang sich in den Sattel des einen Pferdes und nahm die Zügel des anderen in die Linke. Mit der Rechten holte er einen Spencer Karabiner aus dem Scabbard, lud die Waffe durch und lenkte die Pferde aus dem Schatten ins gleißende Licht.

Sein Helfer hatte die Kinross Leute inzwischen gezwungen, die Hände zu heben. Die Gesichter der Banditen waren finster vor Wut. Als Greg die Pferde neben dem graubärtigen Cowboy zum Stehen brachte, zischte Kinross gehässig:

„So! Jetzt versucht mal, mit heiler Haut aus der Stadt zu kommen! In dem Moment, da ihr eure Gäule herumlenkt, wird euch ein Kugelhagel aus den Sätteln fegen!“

„Ein netter Wunsch! Nur wird er nicht in Erfüllung gehen!“, krächzte der Alte und trat neben sein Pferd. Er hob seine Stimme: „Miss Mary! Ich glaube, jetzt brauchen wir Sie!“

„In Ordnung, Mike!“, antwortete eine helle entschlossene Frauenstimme.

Greg zuckte unwillkürlich zusammen und wandte den Kopf.

Aus einem engen schattigen Häuserdurchlass trabte ein hochbeiniges rehbraunes Pferd. Im Sattel saß eine junge Frau, schlank, blond und mit hellgrauen klaren Augen, die furchtlos auf die Banditen gerichtet waren. Ihre Kleidung war einfach: eine helle Bluse, ein geteilter Rock, halbhohe zierliche Stiefel, und auf ihrem Rücken hing ein flachkroniger Hut an einer Windschnur. Sie hielt eine Winchester 73 in den schmalen Händen, die Mündung war auf die Desperado Schar gerichtet.

Greg warf dem Alten einen erstaunten Blick zu. Der Cowboy grinste. „Ein Prachtmädel!“, flüsterte er. „Wir werden uns völlig auf sie verlassen können.“

„Zum Teufel!“, grollte Kinross. „Was soll das ganze Theater! Madam, Sie sind doch nicht so närrisch, sich in dieses Spiel einzumischen?“

„Warum nicht?“ Die Stimme der Reiterin klang ruhig und fest. Sie hielt den Rehbraunen mitten auf der breiten Fahrbahn, kümmerte sich nicht um das Getuschel, das die Gehsteige entlanglief und zielte weiterhin mit dem Gewehr auf Kinross und seine Männer.

„Ich werde dafür sorgen, dass Mike und Williams ungehindert aus der Stadt kommen. Lasst euch also nicht einfallen, irgendwelche Dummheiten zu machen! Ich bin auf einer Ranch in Süd Texas aufgewachsen und verstehe, mit diesem Gewehr umzugehen. Und einer Frau werdet ihr ja nicht in den Rücken schießen, oder?“

Die Banditen tauschten wütende Blicke.

Die Reiterin sagte ruhig: „Mike, du kannst aufsteigen!“

Der Graubärtige schwang sich mit einer Geschmeidigkeit auf sein Pferd, die man seinem Alter nicht mehr zugetraut hätte. Er beugte sich zu Greg hinüber.

„Was habe ich gesagt? Ein prächtiges Girl!“

Er lenkte langsam sein Pferd herum. „Kommen Sie, Williams!“

„Aber wir können doch Ihre Begleiterin nicht alleine …“

„Doch, wir können! Haben Sie nicht gehört, was Mary vorher sagte? Oder glauben Sie wirklich, einer dieser Schufte würde es wagen, mitten in dieser Stadt, vor aller Augen auf eine Frau zu schießen? Nein, nein, junger Mann, seien Sie ganz unbesorgt!“

„Ihr könnt reiten, Mike!“, rief Mary, ohne den Blick von den wutbebenden Desperados zu nehmen. „Ich komme bald nach!“

„Okay, Miss Mary!“

Mike nickte Greg aufmunternd zu. „Eine zünftige Sache, was? Erinnert mich an meine jungen Tage in Missouri.

Damals ging es auch so lebendig zu!“ Seine kleinen wasserblauen Augen funkelten. Er drückte seinem Braunen die Sporen in die Flanken. „Hoh, vorwärts, mein Guter!“

Er winkte den Banditen mit der Schrotflinte zu. „Auf ein herzliches Nimmerwiedersehen, Gentlemen!“ Sein Pferd schnellte vorwärts, Staub wirbelte auf. Mit einem schrillen Cowboyruf sprengte der Reiter die Straße entlang.

Greg schaute das Mädchen zögernd an. Das Gewicht des Spencer Karabiners in seinen Fäusten schien sich zu verdoppeln.

„Madam, ich …“

„Sie sollten die Sache nicht unnötig verzögern, Williams“, unterbrach ihn Mary. Ihre Stimme war kühl und selbstsicher. Unwillkürlich fühlte Greg so etwas wie Ärger in sich.

„Nun reiten Sie schon!“, hörte er das Mädchen fordern.

Wortlos zog Greg das Pferd herum und jagte hinter dem alten Mike her, dessen geduckte Gestalt straßenabwärts von einer gelben Staubfahne verschleiert wurde.

*

Sie hatten die Stadt hinter sich gelassen. Gregs Begleiter trieb seinen Braunen hinter eine Gruppe hoher Cottonwood Büsche. Er rückte den alten verbeulten Stetson aus der Stirn, wischte sich den Schweiß vom Gesicht und rieb sich dann grinsend die Hände.

„Geschafft!“, krächzte er. „Wie damals in Missouri, als ich noch ein junger Hüpfer war!“

Erst jetzt schob Greg den Spencer Karabiner in den Scabbard zurück. Aus engen Augen spähte er über die Sträucher unruhig zur Stadt zurück.

„Machen Sie sich um Miss Mary keine Sorgen. Sie wird gleich kommen. Wir warten hier auf sie.“

Stirnrunzelnd stützte Greg die Hände aufs steile Sattelhorn.

„Ich verstehe das alles nicht! Warum habt ihr mir geholfen? Ihr kennt mich doch gar nicht.“

„Muss man jeden kennen, dem man hilft? Miss Mary und ich – wir haben nun mal was dagegen, wenn ein Haufen übler Burschen einem einzelnen Mann keine Chance lässt.“

„Ist das der einzige Grund?“, fragte Greg gedehnt.

Der alte Weidereiter blinzelte ihn an.

„Sie sind ein kluges Kind, wie?“

„Heraus mit der Sprache!“, forderte Greg schärfer als beabsichtigt.

Der Graubart zuckte die mageren Schultern. „Warten Sie, bis Miss Mary kommt!“

„Wer ist sie?“

„Sie heißt Mary Lockwood. Ihrem Vater gehört eine Ranch unten in der Nähe von San Antonio. Er wurde vorgestern aus dem Hinterhalt erschossen.“ Das lederhäutige Gesicht des Alten verdüsterte sich. „Jetzt gehört ihr die Herde.“

„Welche Herde?“

„Well, wir sind mit dreitausend Longhorns nach Dodge City unterwegs. Wir lagern nördlich von Austin auf der anderen Flussseite.“

„Ihr Vater wurde ermordet?“

„Yeah! Mary steckt in argen Schwierigkeiten!“ Der alte Cowboy seufzte. „Aber sie gibt nicht auf. Wenn die Herde nicht in Dodge verkauft wird, ist die Ranch verloren.“

„Ich verstehe dann noch weniger, warum sie sich dann eben neuen Kummer aufgeladen hat.“

„Das ist ein Preis, der sich hoffentlich lohnt!“ Der Oldtimer fand sein trockenes Grinsen wieder. „Übrigens, mein Name ist Tipstone, Mike Tipstone. Sie können mich Mike nennen.“

„Gerne! Mein Vorname ist Greg.“

„Schön, Greg!“ Tipstone streckte seine knochige Hand herüber, und Greg drückte sie.

Von der Stadt herüber wehte Hufschlag. Mike Tipstone stellte sich in den Steigbügeln auf und reckte den Kopf.

„Miss Mary – da kommt sie schon!“ Er lenkte seinen struppigen Braunen halb hinter dem Strauchwerk hervor und winkte. „Hallo! Hier sind wir!“

Das Hufgetrappel schwoll an. Das Mädchen kam im Galopp näher. Ihr anmutiger Körper passte sich schwingend den Bewegungen des Pferdes an. Ihre Wangen waren gerötet, als sie hinter den Cottonwoods anhielt. Sie nickte Greg kurz zu und wandte sich an Tipstone.

„Mike, reite sofort zur Herde und sage Lee, dass er gleich aufbrechen soll.“

„Wir wollten erst morgen mit dem Treiben anfangen, Miss Mary.“

„Wenn wir warten, haben wir in Kürze Kinross und seine Leute auf dem Hals.“

„Miss Lockwood“, mischte sich Greg ein, „ich möchte nicht, dass Sie und Ihre Leute meinetwegen …“

„Lassen Sie nur!“, winkte Mary ab. „Kinross ist bestimmt das bedeutend kleinere Übel.“

„Hoffentlich ist das kein Irrtum!“, murmelte Greg gepresst.

Mary Lockwood hörte nicht mehr auf ihn. Sie sagte zu Tipstone: „Mr. Williams und ich werden einen Bogen schlagen und Kinross auf unsere Fährte ziehen. Ihr treibt inzwischen nach Norden weiter, wie es geplant war. Wir holen euch gegen Abend ein.“

„Wie Sie meinen!“, nickte Tipstone, drückte seinem Braunen die Sporen in die Weichen und sprengte davon.

Mary nickte Greg zu. Der Blick ihrer hellgrauen Augen ruhte kühl auf ihm. Irgendwie hatte Greg den Eindruck, dass sie ihn abschätze, und obwohl er sich sagte, dass er ihr und dem alten Mike eine Menge zu verdanken hatte, spürte er wieder diesen leichten Ärger. „Kommen Sie, Williams!“

Sie wendete ihren Rehbraunen und ritt an. Greg folgte ihr. Ein schneller Blick über die Schulter zeigte ihm, dass Kinross und seine Leute die Stadt noch nicht verlassen hatten. Aber Greg machte sich keine Illusionen. Er kannte diese raue Rotte! Wochenlang hatten sie ihn gejagt. Jetzt da sie ihm so nahe gerückt waren, würden sie gewiss nicht aufgeben!

*

Als sein Gaul auf gleiche Höhe mit dem Mädchen gekommen war, wartete er darauf, dass sie zu sprechen beginne. Aber sie ließ ihr Pferd weiter im Galopp laufen, hielt den Blick starr geradeaus gerichtet und sprach kein Wort. Er musterte sie von der Seite. Ihr Gesicht war wohlgeformt, die roten vollen Lippen wirkten verlockend. Ihr langes Haar wurde im Nacken von einem Band zusammengehalten.

Plötzlich drehte sie den Kopf und schaute ihm mitten ins Gesicht. „Sie sollten mehr auf den Weg achten, Williams!“ Ihre Stimme war fest und kühl wie vorher.

Er presste die Lippen zusammen und trieb sein Pferd noch schneller an. Sie holte auf.

„Wenn wir einen Bogen schlagen wollen, müssen wir uns mehr nach Osten halten!“, erklärte sie.

Ohne seine Einwilligung abzuwarten, lenkte sie ihren Rehbraunen in diese Richtung. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihr wiederum zu folgen. Der Ärger in ihm regte sich stärker.

Nach einer halben Stunde durchfurteten sie den Colorado. Drüben dehnte sich endloses Grasland, flach wie eine riesige Tafel, nur gelegentlich durch eine Baum oder Buschgruppe aufgelockert.

Greg hielt sich jetzt hinter dem Mädchen. Gelegentlich schaute er zurück, und einmal glaubte er, weit hinter sich eine dünne Staubwolke zu entdecken. Er war sich seiner Sache jedoch nicht sicher und verlor kein Wort darüber. Mary Lockwood hatte jetzt das Tempo verlangsamt. Sie bog nun von Osten wieder nach Norden ab. Die Sonne stand bereits dicht über dem westlichen Horizont – ein glutroter Ball, der einen purpurnen Schimmer über das einsame Prärieland schickte.

Austin war viele Meilen im Süden zurückgeblieben, und was sich dort noch vor wenigen Stunden abgespielt hatte, wirkte jetzt fern und unwirklich.

Als sie einen schmalen Wasserlauf erreichten, zügelte Mary ihr Pferd. Gierig senkten die Tiere ihre Köpfe zum kühlen klaren Nass hinab. Marys Haltung entspannte sich. Die Hände auf dem Sattelhorn verschränkt, drehte sie sich Greg zu.

„Was hat Ihnen Mike bereits alles erzählt?“, fragte sie direkt.

Er hob die Schultern.

„Nicht viel! dass Sie mit dreitausend Rindern auf dem Chisholm Trail nach Dodge City unterwegs sind.“

„Was noch?“

„Dass Ihr Vater …“

„Ja, er ist ermordet worden! Wir haben ihn gestern in Austin begraben.“ Die Ausdruckslosigkeit ihres hübschen Gesichts wirkte beklemmend auf Greg. Sie blickte starr auf den spiegelnden Wasserlauf, während sie weiterredete: „Irgendwer will verhindern, dass wir die Herde nach Dodge City bringen. Schon unten auf unserer Ranch bei San Antonio hatten wir Schwierigkeiten. Ich will ganz offen zu Ihnen reden, Williams. Die Aufgabe, die vor uns liegt, ist alles andere als leicht.“

„Miss Lockwood …“

„Sie können mich ruhig Mary nennen, die anderen tun das auch.“ Er erwartete, dass sie bei diesen Worten lächeln würde. Doch das war ein Irrtum.

„Ich biete Ihnen fünfzig Dollar im Monat, Williams, das ist ein guter Lohn, nicht wahr?“

„Sie meinen, ich soll für Sie arbeiten?“

„Mike und ich haben in Austin gesehen, dass Sie ein mutiger und revolvergewandter Mann sind. Einen solchen Mann brauche ich für meine Crew.“

„Aber ich …“

„Wenn Ihnen der Lohn nicht hoch genug ist, können wir noch darüber reden.“

„Das ist es nicht! Aber wie können Sie nur annehmen, ich würde mich als Herdentreiber verdingen?“

Sie musterte ihn prüfend.

„Ich müsste mich doch sehr täuschen, wenn Sie nicht schon früher als Cowboy gearbeitet hätten.“

„Das stimmt! Trotzdem …“

„Also!“, unterbrach sie ihn entschieden. „Sie können mit Revolver und Lasso umgehen! Sie sind der richtige Mann für meine Crew!“

„Hören Sie, Miss Lockwood …“

„Mary!“, sagte sie und lächelte zum ersten Mal. „Sie sollen mich ruhig Mary nennen!“

Er schluckte, merkte, dass er rot wurde, und stieß heftig hervor: „Meinetwegen! Also, hören Sie zu, Miss Mary, ich habe bisher überhaupt nicht daran gedacht, in einer Herdentreibermannschaft zu arbeiten! Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie und Mike mich in der Stadt aus dieser Klemme holten – aber wenn Sie das nur taten, um einen neuen Reiter für Ihre Crew zu bekommen, dann muss ich Sie enttäuschen.“

„Ich bin anderer Meinung!“ Mary behielt ihre Ruhe. „Sehen Sie, Williams, ich gebe ehrlich zu, dass diese Sache ein Geschäft für mich ist …“

„Bei dem Sie mit meiner Dankbarkeit rechnen, wie?“

„Nein, Williams, nein, damit schätzen Sie mich verkehrt ein. Die Rechnung ist doch ganz einfach. Ich appelliere nicht an Ihre Dankbarkeit, sondern an Ihre Vernunft! Die Möglichkeit, für mich zu arbeiten, ist Ihre einzige Chance, Ihren Gegnern zu entkommen!“

„Kinross wird nicht aufgeben.“

„Hasst er Sie so sehr?“

Greg überlegte kurz, ob er dem Mädchen die Wahrheit sagen sollte. Er entschied sich dagegen. Er hatte schon zu oft die bittere Erfahrung gemacht, dass man nicht an seine Unschuld glaubte, sobald er die alte Geschichte von jenem Revolverkampf im Big Bend erzählte!

„Yeah!“, antwortete er. „Kinross wird alles tun, um mich zu erwischen.“

„Wenn Sie für mich reiten, wird meine Crew für Sie einstehen. Ich glaube nicht, dass sich Kinross dann so leicht an Sie heranwagt. Außerdem – der Trail nach Dodge City ist sehr lang. Ich zweifle daran, ob Kinross all diese Meilen zurücklegen wird, nur um Sie vor seinen Revolver zu bekommen.“

„Vielleicht!“, murmelte Greg.

„Das Wort vielleicht bedeutet immerhin eine Chance, nicht wahr?“, sagte Mary Lockwood. „Also?“

„Ehrlich gestanden“, gab Greg zu, „überrascht mich die Art, wie Sie Geschäfte abwickeln.“

Sie schaute ihm in die Augen. „Diese Art gefällt Ihnen nicht, wie?“ Zum ersten Mal fehlte ihrer Stimme die Kälte. Er glaubte einen bitteren Unterton aus ihren Worten zu hören. „Aber es bleibt mir nun mal keine andere Wahl. Diese Herde ist das ganze Besitztum der Lockwood Ranch. Wenn wir sie verlieren, ist auch die Ranch verloren, verstehen Sie? Und das will ich meinem Vater nicht antun. Er hat sein ganzes Leben dem Aufbau dieser Ranch gewidmet. Und als er starb …“

Sie brach ab. Ihre Schultern strafften sich, ihre Stimme wurde sachlich.

„Entschuldigen Sie, wenn ich vom Thema abkam. Ich wollte nur erklären, wie viel mir daran liegt, die Herde ans Ziel zu bringen. Ich kann mir keine Halbheiten leisten, Williams, das ist es. Und deshalb“ – sie zögerte – „deshalb muss ich Sie daran erinnern, dass Sie auf einem Gaul sitzen, der das Brandzeichen der Lockwood Ranch trägt.“

„Ich verstehe. Wenn ich auf Ihr Angebot nicht eingehe, würden Sie das Tier zurückverlangen, wie? Und zu Fuß hätte ich keine Chance, meinen Verfolgern zu entkommen. Sie sind wirklich eine ausgezeichnete Rechnerin!“ Sein Tonfall war beißend.

„Was Sie denken, muss mir gleichgültig sein. Wichtig ist für mich allein, dass Sie mitkommen. Obwohl“, fügte sie leise hinzu, „ich wünschte, dass Sie mich verstehen.“

„Was Sie einem allerdings gewiss nicht leichtmachen!“, erwiderte Greg trocken.

Sie hatte seine Worte nicht gehört und sich in den Steigbügeln aufgerichtet. Mit ausgestreckter Hand wies sie über den Wasserlauf in die Ebene hinein. In der Ferne zeichnete sich eine hohe Staubwolke ab, vom roten Licht der sinkenden Sonne durchtränkt.

„Die Herde! Wenn wir sie vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wollen, müssen wir losreiten. Haben Sie sich entschieden, Williams?“

„Entschieden?“, wiederholte er grimmig. „Ich denke, Sie haben mir die Entscheidung längst abgenommen. Reiten wir!“

Nebeneinander trieben sie ihre Pferde durch den Wasserlauf der Herde entgegen.

*

Der letzte rote Schimmer, der sich über dem westlichen Horizont hielt, verblasste. Die Dämmerung schlich grau von Osten heran. Am Firmament erschienen die ersten Sterne.

Die Longhorn Herde war zum Stehen gekommen. Rücken an Rücken hatten die Rinder müde zu grasen begonnen. Hörner klapperten gegeneinander. Gelegentlich war ein dumpfes schläfriges Muhen zu hören.

Greg und das Mädchen erreichten das Herdencamp, als die Cowboys bereits mit ihrer Abendmahlzeit fertig waren. Zwei Männer saßen am niedrig brennenden Feuer, ein langer knochendürrer Schwarzer räumte eben das Geschirr von einer umgestürzten Kiste, drüben beim planüberdachten Küchenwagen stand der alte Tipstone und sattelte eben ein frisches Pferd, das er sich aus der Remuda geholt hatte.

Er winkte erleichtert, als die beiden Reitergestalten in den Lichtkreis des Feuers kamen.

„Alles glattgegangen?“

„Man kann es so nennen!“, brummte Greg und warf Mary einen skeptischen Seitenblick zu.

„Ich wusste es ja!“, grinste Mike Tipstone. „Damals in Missouri habe ich auch die rauesten Sachen mit heiler Haut überstanden. Ich wette, Greg, dass Sie Kinross los sind!“

Greg zuckte stumm die Achseln. Mary schwang sich elastisch aus dem Sattel. Er folgte ihrem Beispiel. Die beiden Männer am Feuer erhoben sich und drehten sich ihm zu. Ihre forschenden Blicke tasteten ihn ab.

„Das ist Greg Williams“, erklärte Mary kurz, „er wird ab heute in unserer Mannschaft reiten. Williams, das sind Clay Dillon und Rick Carney.“

Die beiden Weidereiter nickten Greg wortlos zu. Dillon war ein kräftiger untersetzter Mann mit einem eckigen Gesicht und angegrauten Schläfen. Er besaß harte graue Augen und wirkte, als ob er niemals lächelte. Carney war ein junger Cowboy, schlank, drahtig und mit flachsblondem Haar.

Mit einer Kopfbewegung wies Mary auf den langen, dürren Schwarzen, der mit einem Arm voll Blechbecher und Teller dastand und Greg mit aufgerissenen Augen anstarrte. „Und das ist Noel, unser Koch. Der beste Koch im San Antonio County.“ Zum zweiten Mal, seit Greg Mary kannte, sah er sie lächeln – ein flüchtiges Lächeln, das ihre Miene warm und fraulich machte.

Der Schwarze rollte mit den Augen. „Danke, Miss Mary, danke!“ Seine Stimme schien aus einem tiefen Brunnenschacht zu kommen.

Er machte eifrig ein paar Schritte näher. „Wollen Sie gleich essen, Miss? Gute Pfannkuchen mit Ahornsirup! Sie schmecken Ihnen bestimmt.“ Er schnalzte mit der Zunge.

„In Ordnung, Noel. Zwei Portionen, für Mr. Williams und mich.“

„Sofort, Miss Mary! Sofort!“

Der Koch entfernte sich hastig, verschwand hinter dem Wagen, und Greg hörte Teller und Becher klappern. Der junge Carney hatte inzwischen die Zügel ihrer Gäule gefasst und führte die Tiere zum Seilkorral, wo die übrigen Pferde weideten. Die Dämmerung ging allmählich in Nacht über.

„Wo ist Lee?“, fragte Mary.

„Bei der Herde. Ich werde ihn ab lösen. Rick soll nachkommen.“ Tipstone hatte sein Pferd gesattelt und saß auf. Mit einem Schenkeldruck trieb er das Tier in die Dunkelheit hinein, aus der die verschwommenen Geräusche der ruhenden Herde drangen.

„Lee Torrence ist mein Vormann“, sagte das Mädchen erklärend zu Greg. „Sie werden ihn gleich kennenlernen.“

„Torrence? Sagten Sie – Torrence?“ Mary schaute Greg erstaunt an.

„Ja! Kennen Sie ihn?“

Eine Fülle von Erinnerungen bedrängte Greg. Und aus all diesen Bildern, die hastig an seinen Augen vorbeizogen, löste sich immer wieder deutlich ein Gesicht – ein kantiges Männergesicht mit stahlblauen Augen und scharfgekerbten Mundwinkeln. Er wurde sich des fragenden Blicks bewusst, den das Mädchen auf ihn gerichtet hatte. Er wollte antworten, da sagte eine harte Stimme hinter dem Küchenwagen hervor:

„Yeah, wir kennen einander. Es ist schon lange her, aber wir haben es beide nicht vergessen. Nicht wahr, Williams?“

*

Hufe pochten dumpf auf dem Grasboden. Ein Reiter lenkte sein Pferd hinter dem Planwagen hervor in den Lichtkreis des Lagerfeuers.

Greg schaute in das Gesicht, das er eben in seiner Erinnerung vor sich gesehen hatte. Torrence schien sich während der langen Jahre nicht verändert zu haben. Er saß wie damals locker und mit leicht vorgezogenen Schultern im Sattel, ein großer hagerer Mann mit kantigem Gesicht. Seine stahlblauen Augen waren durchdringend auf Greg gerichtet. Der flackernde Feuerschein geisterte unruhig über seine Miene.

„Das ist eine Überraschung, Williams, was?“

„Allerdings!“

Gregs Haltung war plötzlich gespannt. Mit Bedauern dachte er daran, dass sein Holster noch immer leer war. Torrence schien das ebenfalls zu bemerken. Ein dünnes Lächeln kräuselte seine Lippen. Er stieg vom Pferd und kam sporenklirrend näher ans Feuer heran.

„Dieser Mann ist wirklich Ihr Vormann, Miss Mary?“, fragte Greg heiser.

Ehe die Rancherstochter antworten konnte, sagte Torrence mit seiner harten Stimme: „Gewiss! Hast du etwas dagegen?“

„Torrence“, erwiderte Greg gedehnt, „du scheinst noch nicht zu wissen, dass mich Miss Mary als Treibercowboy angeworben hat.“

Lee Torrence blieb ruckartig stehen. Seine Miene verfinsterte sich.

„Ist das wahr, Miss Mary?“

„Yeah, Lee! Ich verstehe nicht …“

„Seit wann arbeitet Torrence für Sie?“, fragte Greg schnell.

Die Festigkeit war aus ihrem Gesicht verschwunden. Ihre Augen wirkten zum ersten Mal ratlos.

„Was soll diese Frage? Lee und mein Vater waren Freunde. Er ist seit zwei Jahren auf unserer Ranch und …“

„Miss Mary, Sie sind diesem Kerl keine Auskunft schuldig!“, rief Torrence scharf.

Der stämmige Clay Dillon stand schweigend daneben und rührte sich nicht.

Als der lange Koch mit Tellern, auf die Pfannkuchen gehäuft waren, und dampfenden Kaffeebechern herankommen wollte, winkte Dillon ihm zu abzuwarten.

Mary Lockwood fasste sich, ballte die Hände und sagte heftig: „Will mir endlich einer von euch eine Erklärung geben?“

„Die können Sie haben“, antwortete Greg sofort. „Ich kenne Torrence aus der Zeit, da ich noch als junger Cowboy in New Mexico arbeitete. Ich habe ihn nicht gerade in angenehmer Erinnerung. Damals hat er …“

„Williams!“, schrie ihn Torrence schneidend an. „Ich warne dich, Williams!“

„Was war damals?“, drängte Mary.

„Er hat …“

Greg kam nicht weiter. Torrence sprang wie ein Panther auf ihn zu. Greg sah zwar den Ansatz der Bewegung und wollte ausweichen. Doch seine Sporen verfingen sich im zertretenen Gras. Er stolperte.

Torrences Anprall traf ihn und warf ihn zu Boden.

„Du verwünschter Lump!“, keuchte der Vormann. „Dir werd’ ich es zeigen!“

Er erwischte Greg mit einem Hieb an der Schläfe. Den nächsten Schlag konnte Greg gerade noch abblocken, er kam mit einer schnellen ruckartigen Drehung unter Torrence hervor und sprang auf die Füße. Torrence war nicht langsamer als er. Mit funkelnden Augen wollte er sich erneut auf Greg stürzen.

Da hielt Clay Dillon ihn zurück.

„Langsam, Lee! Lass dich nicht hinreißen!“

„Lass los, Clay!“, schnaufte Torrence wütend. „Zum Teufel, lass mich sofort los!“

Dillons Faust klammerte sich härter um seine Schulter und zerrte ihn einen Schritt zurück.

„Ich sehe keinen Grund dafür, dass ihr euch wie dumme Jungens prügelt.“

„Meinst du, ich dulde, dass er irgendwelche Lügengeschichten über mich erzählt?“, stieß Torrence wild hervor.

„Warum sollte er das?“

„Weil er mich hasst! Wir sind alte Feinde, verstehst du denn nicht?“ Torrence drehte sein verzerrtes Gesicht Dillon zu. Er deutete mit ausgestrecktem Arm auf Greg und keuchte: „Damals in New Mexico waren wir in einen Weidekrieg verwickelt, eine ziemlich böse Angelegenheit. Und wir standen auf verschiedenen Seiten, wenn das mehr erklärt.“

„Das ist nicht wahr!“, sagte Greg rau. Er erinnerte sich nur zu gut daran, dass Lee Torrence damals mit einer Serie von Viehdiebstählen in Verbindung gebracht worden war und daraufhin die Gegend um Socorro in New Mexico fluchtartig verlassen hatte. Ein dumpfer Zorn wühlte in ihm, als er diesem Mann ins Gesicht schaute.

Torrence knurrte: „Ihr werdet diesem hergelaufenen Burschen doch nicht mehr glauben als mir! Miss Mary, Sie kennen mich doch!“

Das Mädchen zögerte.

Greg sagte heiser: „Es scheint, Miss Mary, Sie haben ein schlechtes Geschäft gemacht, als Sie mich dazu brachten, Ihr Angebot anzunehmen! Wenn dieser Mann Ihr Vormann und Vertrauter ist, well, dann wird es besser sein, ich verschwinde von hier.“

„Sehr richtig!“, nickte Torrence sofort. „Und beeil dich bloß dabei, Williams.“ Wieder musste Greg diesen bohrenden Grimm niederkämpfen. Er vermied es, Torrence nochmals anzusehen, und wandte sich zum Gehen.

*

„Moment!“, sagte Mary schnell.

„Jede Sekunde, die Sie noch an diesen Kerl vergeuden, ist nutzlos!“, knurrte Torrence unwillig.

„Lee, ich glaube, Sie sollten Ihr Vorurteil niederringen. Das gilt auch für Sie, Williams.“

„Ich sage Ihnen doch …“

„Die Sache von New Mexico liegt doch lange zurück“, unterbrach ihn Mary hastig. „Ihr solltet sie beide vergessen.“

„Sie wollen Williams also in der Crew behalten?“

„Ja, Lee! Denken Sie doch an die Herde! Wir müssen sie um jeden Preis nach Dodge City bringen! Und dazu brauchen wir jeden Mann!“

„Aber nicht diesen …“

„Lee!“, Marys Stimme war jetzt schärfer. „Williams hat in der Stadt bewiesen, dass er ein Kämpfer ist. Wenn wir gegen unsere Feinde bestehen wollen, brauchen wir solche Leute. Also, vergessen Sie die alte Sache – wenigstens für die Dauer dieses Trails.“

Torrence nagte an seiner Unterlippe. Er blickte Greg lauernd an.

„Das kommt auf ihn an!“, murmelte er schließlich. „Ein falsches Wort …“

„So weit wird es nicht kommen! Nicht wahr, Williams?“

Greg wich dem festen Blick des Mädchens aus. Er wusste, es war unmöglich, sie über Torrences Vergangenheit aufzuklären. Wenn dieser Mann tatsächlich der Freund ihres Vaters gewesen war, würde es ihm leichtfallen, ihn – Greg – als Lügner zu brandmarken. Und überdies – jene Viehdiebstähle in New Mexico lagen wirklich lange zurück. Vielleicht war Torrence inzwischen ein anderer geworden – obwohl Greg nicht so sehr daran glaubte.

„Williams“, ließ sich der stämmige Dillon mit seiner festen Stimme hören, „Sie sind Miss Mary eine Antwort schuldig!“

Gregs Mundwinkel kerbten sich scharf nach unten, als er achselzuckend erwiderte: „Euer Boss hat mein Wort. Es liegt nicht an mir, es zu lösen. Was gibt es also weiter zu reden?“

Mit verschlossener Miene wandte er sich ab und ließ sich am Feuer nieder. Er konnte den Gedanken nicht aus seinem Gehirn verbannen, dass die Wochen, die hinter ihm lagen, nur ein Kinderspiel zu dem waren, was in der nächsten Zeit auf ihn zukommen würde …

*

Mitten in der Nacht wachte Greg auf. Er blieb still liegen und lauschte mit angehaltenem Atem. Alles war wie sonst. Von der ruhenden Herde kamen undeutliche Geräusche. Irgendwo aus der Dunkelheit wehte die Stimme des jungen Rick Carney, der ein altes Cowboylied sang und dabei seine Wachrunden ritt. Es roch nach trockener Erde, Asche und Rindern. Im ersten Moment war nichts Auffälliges zu erkennen.

Vorsichtig hob Greg etwas den Kopf. Ganz in der Nähe lagen Dillon, Tipstone und der Koch in ihre Decken gerollt. Mary Lockwood hatte ihr Lager unter dem Küchenwagen aufgeschlagen. Auch dort rührte sich nichts. Dann spähte Greg behutsam zu der Stelle, wo Torrence sein musste – auf der anderen Seite der erloschenen Feuerstelle.

Im nächsten Sekundenbruchteil gab es Greg einen Stich. Torrences Decken waren leer!

Er richtete sich langsam auf die Ellenbogen. Das Gefunkel der Sterne reichte kaum aus, die Dunkelheit zu durchdringen. Trotzdem erkannte Greg den Schatten, der eben am Küchenwagen vorbei in die Finsternis hineinglitt.

Hastig schlug Greg die Decken zurück und richtete sich auf. Er schnallte seinen Revolvergurt um und überprüfte den richtigen Sitz des schweren 45ers, den der alte Tipstone ihm geschenkt hatte.

Greg dachte keinen Moment daran, einen der anderen zu wecken. Seit dem Vorfall mit Torrence empfanden alle, mit Ausnahme von Mike Tipstone, heftiges Misstrauen gegen ihn. Ein Verdacht allein reichte nicht aus, sie zu überzeugen.

Wie es auf jedem Rindertrail üblich war, hatte er in den Stiefeln geschlafen. Auf den Zehenspitzen schlich er nun sofort in die Richtung, in der Torrence verschwunden war.

Vor ihm in der Dunkelheit raschelte dürres Gras. Drüben im Seilkorral schnaubten Pferde. Dann glaubte Greg, die hohe hagere Gestalt Torrences in der Dunkelheit vor sich zu erkennen. Er duckte sich tiefer.

Torrence warf einen prüfenden Blick zum Camp zurück. Er schien Greg nicht zu bemerken. Und deutlich sah Greg, dass der Vormann die Hände trichterförmig vor den Mund legte. Gleich darauf tönte der hohle Ruf eines Nachtkauzes leise durch die Finsternis.

Mit einem Schlag war jede Faser in Greg Williams gespannt. Er erinnerte sich an alles, was Old Mike Tipstone und Mary Lockwood ihm erzählt hatten, und er dachte an jene Zeit in New Mexico zurück, die ihm Torrence in äußerst ungünstigem Licht gezeigt hatte. Eine beklemmende Ahnung breitete sich immer mehr in ihm aus.

Er wartete voller Spannung.

Nichts geschah!

Torrence machte einige Schritte tiefer in die Nacht hinein und wiederholte sein Signal. Drei, vier Sekunden verstrichen, in denen nur Hörnergeklapper und ein entferntes Rindergebrüll zu hören waren. Dann kam der dumpfe Käuzchenruf aus der Nacht zurück.

Greg nickte grimmig vor sich hin. Er ließ sich auf Hände und Knie nieder und kroch näher an die Stelle heran, wo Lee Torrence stand. Hinter hohen Salbeistauden kauerte er sich lautlos nieder.

Es dauerte nicht lange, und wieder war das Rascheln dürrer Grashalme zu hören.

„Lee!“, kam eine gedämpfte Stimme hastig durch die Dunkelheit. „Wo steckst du, Lee?“

„Hier drüben! Bist du es, Brod?“

Greg wagte kaum mehr zu atmen.

Nur wenige Yard seitlich von ihm löste sich eine dunkle Gestalt aus der Nachtschwärze. Die Schritte wurden vom weichen Grasboden gedämpft. Der Fremde ging an ihm vorbei und blieb dicht vor Torrence stehen.

„Alles in Ordnung, Lee?“

„Nicht ganz!“, murmelte der Vormann. „Das Girl hat einen Neuen in die Mannschaft aufgenommen.“

„Und?“

„Der Koyote kennt mich von früher.“

„Wer ist der Bursche?“

„Greg Williams.“

„Williams? Hm, Lee, dann glaub’ ich, dass ich was für dich habe.“ Die Stimme sank zu einem heiseren Raunen herab, und Greg konnte, obwohl er sich anstrengte, kein Wort mehr verstehen.

Die beiden Männer vor ihm standen so dicht beieinander, dass die schwarzen Umrisse ihrer Gestalten zu verschmelzen schienen. Schließlich wurde die Stimme des Fremden, den Torrence „Brod“ genannt hatte, wieder lauter.

„Ich denke, Lee, dass du ihn auf diese Weise im Zaum halten kannst. Und nun zur anderen Sache! Wann schlagen wir endlich zu?“

„Erst wenn wir den Red River überschritten haben und im Indianerland sind.“

„Meinst du, wir bekommen das Girl nicht früher weich?“

„Auf keinen Fall! Seit dem Tod des alten Lockwood ist sie noch entschlossener, den Trail fortzusetzen und die Herde in Dodge zu verkaufen.“

Torrences Stimme klang kalt. Greg kostete es Mühe, ruhig zu bleiben. Sein Verdacht gegen den Vormann hatte sich also auf Anhieb bestätigt. Dieser Mann, der Mary Lockwoods Vertrauter war und den sie als Freund ihres Vaters betrachtete, arbeitete mit den Leuten zusammen, die die dreitausend Longhorns der Lockwood Ranch erbeuten wollten.

Greg schob sich ein bisschen weiter vor, die Hand an den Coltkolben gelegt. Salbeistauden raschelten leise. Sofort hielt er inne.

Torrences Kumpan zuckte zusammen. „Was war das eben?“

Sie traten auseinander. Ihre Gesichter waren angespannt. Greg wollte schon die Waffe ziehen, da hörte er Torrence sagen: „Du musst dich getäuscht haben, Brod. Wir sind ganz allein.“

„Bist du sicher, dass dir niemand gefolgt ist, Lee?“

„Natürlich!“

Brod zögerte. Dann machte er ein paar Schritte von Torrence weg in Gregs Richtung. Nur drei Yard von Gregs Deckung entfernt blieb er stehen.

„Nun, Brod?“, fragte Torrence gedämpft.

„Du scheinst recht zu haben, Lee! Ich hab’ mich geirrt.“

Brod ging zu Torrence zurück. Greg atmete sachte aus. Sein verkrampfter Körper entspannte sich.

Brod sagte leise: „Well, Lee, ich habe bereits viel Zeit verloren. Die anderen warten auf mich. Mach es also kurz.“

„Es gibt nicht mehr viel zu besprechen“, murmelte der Vormann. „Es bleibt beim alten Plan. Aber wohlgemerkt: Wartet, bis wir mitten im Indianerland zwischen dem Red River und dem Canadian sind.“

„Okay, Lee!“

„Noch etwas! Ein paar von euch sollten stets in der Nähe der Herde sein, falls es irgendwelche unvorhergesehene Schwierigkeiten gibt.“

„Schwierigkeiten?“ Der andere lachte gedämpft. „Es gibt keine Schwierigkeiten, die wir nicht mit unseren Eisen aus dem Weg schaffen könnten! Du kannst dich auf uns verlassen, Lee!“

„Ich hoffe es! Denkt nur immer daran, was auf dem Spiel steht.“

„Natürlich! Keiner von uns will sich diese fette Beute entgehen lassen. Sonst noch was, Lee?“

„Nein, Brod!“

„Dann – so long, Hombre! Wir sehen uns hoffentlich bald als reiche Leute wieder.“ Brod lachte nochmals, dann glitt er lautlos und geduckt in die Dunkelheit hinein.

Torrence blickte ihm nach. Als er sich schließlich langsam umwandte, richtete sich Greg aus seiner Deckung hoch. Welche Schwierigkeiten jetzt immer auf ihn warten würden – er war entschlossen, das falsche Spiel Lee Torrences vor den anderen aufzudecken. Er schraubte die Hand um den glatten Kolben des 45ers und öffnete den Mund, um den verbrecherischen Vormann anzurufen.

Ehe er einen Ton über die Lippen brachte, hörte er hinter sich das dünne Streifen von Gras. Die Erkenntnis der Gefahr durchzuckte ihn wie ein Blitzschlag. Er wollte sich zur Seite schleudern, da bohrte sich ihm bereits ein harter Gegenstand in den Rücken.

Eine gepresste Stimme flüsterte an seinem Ohr: „Eine falsche Bewegung, Freundchen, und du bist eine Leiche!“

*

Torrence war ruckartig stehengeblieben. Seine Hand zuckte zur Holster.

„Brod?“, rief er leise und fragend.

„Yeah!“, antwortete der Mann, der Greg einen Coltlauf in den Rücken bohrte.

„Ich hab’ mich vorhin also doch nicht getäuscht! Da hat uns einer von diesen verwünschten Kuhtreibern belauscht! Siehst du, Lee, Vorsicht zahlt sich immer aus!“

Torrence kam mit langen Schritten schnell heran. Dicht vor Greg blieb er stehen. „Williams!“, knurrte er rau. Mit einer flüssigen Bewegung holte er seinen Revolver aus der Holster, richtete ihn auf Greg und spannte den Hahn.

Der Druck der Coltmündung in Gregs Rücken schwand. Brod trat neben den Vormann. Er war jetzt so nahe, dass Greg sein Gesicht einigermaßen in der Dunkelheit erkannte – ein breitflächiges stoppelbärtiges Gesicht mit einer gezackten Narbe an der rechten Wange.

Torrence schüttelte grimmig den Kopf.

„Du hast mir also nachspioniert, Williams! Dein Pech! Wie konntest du nur so neugierig sein!“

„Ich ahnte es, Torrence, dass du noch immer der alte Schuft bist! Ich …“

Lee Torrence machte einen schnellen Schritt vorwärts und rammte Greg den Revolverlauf in den Leib. Greg schnappte nach Luft und krümmte sich zusammen. Der Schmerz trieb ihm den Schweiß aus allen Poren. Ehe er sich noch fassen konnte, hieb ihm Torrence den Revolverlauf seitlich an den Kopf.

Der Boden schwankte unter Gregs Füßen. Die Gestalten der beiden Banditen verschwammen vor seinen Augen. Er stürzte auf die Knie. Torrences Stimme drang wie aus weiter Ferne durch seine Benommenheit.

„Du Narr! Hast du denn noch immer nicht begriffen, dass es dir nicht mehr zusteht, große Worte zu gebrauchen? Williams, du verdammter Kerl, auf diesen Augenblick habe ich nur gewartet! Los, steh auf!“

Greg wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Seine Arme zitterten. Er hatte kaum noch Kraft in den Gliedern. Mühsam hob er den Kopf und sah Torrences Revolvermündung haargenau auf seine Stirn gerichtet.

„Zum Teufel! Keine Müdigkeit vorschützen! Los, aufstehen!“

Der Gedanke, einfach zum Colt zu greifen und sich gegen Torrence zu werfen, durchfuhr Greg. Aber die Vernunft sagte ihm, dass er dabei nicht die geringste Chance besaß. Er dämmte seinen verzweifelten Zorn zurück. Mit zusammengebissenen Zähnen stemmte er sich hoch.

„Lee“, drängte Brod, „an deiner Stelle würde ich mit ihm nicht mehr viel Zeit verlieren!“

„Denkt nur ja nicht“, stieß Greg hervor, „dass für euch alles so klarliegt! Ein Schuss würde euch sofort die anderen auf den Hals hetzen! Torrence, dann würde es dir schwerfallen, deine hinterhältige Rolle weiterzuspielen.“

„Es gibt noch eine andere Möglichkeit als eine Kugel!“, brummte Torrences Kumpan.

Er steckte mit einer raschen Bewegung den Colt in die Holster und hielt dann plötzlich ein schweres Bowiemesser in der Faust. Sein narbiges Gesicht drückte wilde Grausamkeit aus.

„Lee, überlass ihn ruhig mir! Für einen alten Indianerkämpfer wie mich ist das ein Kinderspiel!“

Die Faust mit dem Messer hob sich. Da klang Hufschlag von der nahen Herde herüber.

Brod hielt mitten in der Bewegung inne. Er warf Torrence einen fragenden Blick zu.

„Der Herdenwächter!“, murmelte der Vormann stirnrunzeld. „Er muss uns gehört haben! Brod, es ist besser, du verschwindest gleich!“

„Erst wenn ich diesen …“

„Ich werde mit Williams schon fertig!“, knurrte Torrence. „Los, hau ab, Brod, ehe du entdeckt wirst!“

Die Hufschläge wurden lauter. Das Klirren einer Gebisskette vermischte sich mit dem dumpfen Pochen. Rick Carneys unsichere Stimme trieb heran. „Hallo! Wer ist da vorne?“

Noch zögerte der stoppelbärtige Bandit. Torrence drängte: „Wenn er dich sieht, fliegt alles auf. Beeil dich schon, Brod.“

„Und Williams …“

„Der ist keine Gefahr für uns!“

Brod warf Greg einen finsteren Blick zu, dann war er mit einigen schnellen Sätzen in der Finsternis verschwunden. Greg schaute auf den Revolver in Torrences Hand.

Greg fragte sich, was der Vormann jetzt tun würde. Schließlich durfte er nicht das Risiko eingehen, dass sein Plan verraten wurde!

Wieder kam Carneys helle Stimme durch das Stampfen der Hufe: „Wer ist da? Ich werde …“

„Kein Grund zur Aufregung!“, antwortete Torrence hastig.

„Bist du das, Lee?“

Die Hufschläge verstummten.

„Yeah!“, rief Torrence gedämpft. „Du kannst ruhig …“

Er stockte mitten im Satz.

*

Für eine Sekunde hatte er den Kopf in Carneys Richtung gedreht – und auf eine solche Gelegenheit hatte Greg Williams nur gewartet. Mit einem blitzschnellen wuchtigen Faustschlag prellte er Torrence den Revolver aus der Faust. Torrence fluchte erstickt und prallte einen Schritt zurück. Gregs Rechte zuckte zur Holster, und im nächsten Augenblick war sein 45er auf den Vormann angeschlagen.

„Lee!“, rief Carney mit einem besorgten Unterton. „Was ist los, Lee?“

„Kommen Sie ruhig näher, Carney!“, antwortete Greg an Torrences Stelle.

Der Vormann stand mit vorgezogenen Schultern da und funkelte Greg hasserfüllt an. Drüben am Rand der ruhenden Longhorn Herde setzte das Hufeklopfen wieder ein. Rick Carney kam zögernd näher – ein Zeichen, dass er wachsam und misstrauisch geworden war.

Greg ließ Torrence nicht aus den Augen.

„Well“, sagte er hart, „dein Spiel ist aus, ehe es richtig begonnen hat, Torrence!“

Lee Torrences Wangenmuskeln arbeiteten. Er flüsterte heiser: „Irrtum, Williams! Du wirst nichts verraten! Es wird ganz so sein, als hättest du nichts gehört!“

Die Sicherheit, mit der er das vorbrachte, beunruhigte Greg.

„Torrence, du meinst doch nicht im Ernst, dass ich jetzt noch schweigen werde! Du und deine Banditenfreunde – ihr wollt diese Herde kassieren. Und ich soll dabei tatenlos zusehen? Nein, mein Lieber, eigentlich solltest du mich ja besser kennen! Oder glaubst du, ich werde nicht reden, weil ich fürchte, dass man mir nicht glaubt?“

„Es gibt einen besseren Grund, dich am Reden zu hindern!“

Greg merkte, wie sein Herz härter zu pochen begann. Er erinnerte sich daran, dass Torrence und Brod vorher auch über ihn gesprochen hatten, nur hatte er ihr Geflüster nicht verstehen können.

„Mit einem Bluff kommst du nicht weiter!“, erwiderte er kalt.

Carneys Gestalt schälte sich bereits schwarz aus der Nacht. Er hielt die Zügel straff und hatte ein Gewehr vor sich auf den Sattel gelegt.

„Ich bluffe nicht!“, zischte Torrence. „Ich sage dir nur eines: Ich weiß über dich Bescheid!“

Für einen Moment drohte Gregs Herzschlag auszusetzen.

„Und?“, fragte er heiser.

„Was – und?“ Torrences Stimme besaß plötzlich einen höhnischen Unterton. „Brod war in Austin, Williams. Er weiß, warum Jim Kinross und seine Leute dich jagen. Du wirst als Mörder gesucht, Williams, als gemeiner, feiger Mörder!“

„Ich habe diesen Mord nicht begangen!“

„Welche Rolle spielt das denn? Williams, Brod sagte, dass er deinen Steckbrief gesehen hätte. Zweitausend Dollar – tot oder lebendig! Bald wird man in ganz Texas Jagd auf dich machen! Deshalb hast du dich uns doch angeschlossen, wie? Um aus Texas herauszukommen!“

Er verschränkte selbstsicher die Arme vor der Brust und achtete gar nicht mehr auf den schussbereiten Colt in Gregs Faust.

„Was denkst du, geschieht, wenn ich die anderen über dich aufkläre, he?“

Carney war nur noch wenige Yard entfernt.

„Lee, ist Williams bei dir?“

„Ja, Rick! Komm nur näher. Es ist alles in Ordnung!“ Und zu Greg gewandt: „Los, weg mit dem Schießeisen, Williams, oder ich garantiere dir dafür, dass man dir als Mörder einen Strick um den Hals legt.“

Greg begriff, dass in diesen Sekunden eine bedeutende Entscheidung fiel. Aber er hatte keine andere Wahl. Torrence hatte ihn in der Hand. Mary Lockwood und Mike Tipstone hatten ihm in Austin nur geholfen, weil sie in der Kinross Crew eine Horde skrupelloser Menschenjäger erkannt hatten. Wenn sie aber erfuhren, dass er ein steckbrieflich Gesuchter war, würden sie ihn nicht länger schützen und Wert darauf legen, dass er sich an dem Herdentrail beteiligte. Und dann waren da die zweitausend Dollar Kopfgeld! Er kannte die Cowboys der Lockwood Ranch noch nicht gut genug, um zu wissen, ob sich nicht der eine oder andere von ihnen diese Belohnung verdienen wollte!

Während Carney die letzte Strecke zurücklegte, schob Greg den Colt in das Holster zurück. Über Torrences kantiges Gesicht lief ein triumphierendes Lächeln.

Carney blickte argwöhnisch auf Greg nieder.

„Hat er dir Schwierigkeiten gemacht, Lee?“

„Dazu ist er nicht groß genug, Rick!“, lachte Torrence leise, und wieder hörte Greg diesen beißenden Hohn in seinem Tonfall.

„Nein, nein, Junge, sei ganz unbesorgt. Williams und ich haben uns eben geeinigt, verstehst du? Wir haben die Friedenspfeife miteinander geraucht, nicht wahr, Williams?“ Wieder dieses Lachen, das eine Welle des Zorns durch Greg trieb.

Torrence klopfte Greg jovial auf die Schulter.

„Übrigens, Rick“, sagte er zu dem jungen Cowboy, „es ist schon nach Mitternacht. Zeit, dass du abgelöst wirst. Williams wird deine Herdenwache übernehmen. Du kannst ihm deinen Gaul geben. Wir gehen ins Camp zurück.“

Carney schwang sich aus dem Sattel und warf Greg die Zügel zu. Torrence grinste Greg spöttisch an, dann schlenderte er zusammen mit Carney zum Camp hinüber. Mit einem Gesicht, das wie eine holzgeschnitzte Maske wirkte, schaute Greg Williams ihnen nach.

*

Wie eine große Walze bewegte sich die Herde nach Norden – dreitausend Rinder, eingehüllt in eine mächtige Wolke aus gelbem Staub. Die Erde schien unter dem Gestampfe der vielen Hufe zu erzittern. Tosender Lärm erfüllte die Luft: Hufgedröhn, Hörnerklappern, Rindergebrüll und Pferdewiehern, die heiseren Rufe der Treiber und gelegentliche Revolverschüsse, mit denen ausbrechende Stiere zurückgeschreckt wurden.

Voraus schaukelte der Küchenwagen, dessen Plane weiß im Sonnenglast leuchtete. Auf dem Bock schwang Noel, der Koch, die Peitsche, auf der Suche nach dem nächsten Lagerplatz, wo er schon mit den fertigen Mahlzeiten auf die abgehetzten Reiter warten würde.

In einem Abstand von einer halben Meile hinter der Herde, um nicht in den dichtesten Staub zu geraten, trieb die junge Mary Lockwood die Reservepferde. Die Arbeit mit der Remuda wurde üblicherweise stets dem jüngsten Mann einer Treiber Crew übertragen. Und da die Lockwood Mannschaft ohnehin nicht groß war, hatte das Mädchen diese Aufgabe übernommen.

Sie saß wie ein Mann im Sattel, in Jeans und derbem Reithemd, ein Halstuch vor die untere Gesichtshälfte gebunden, um die Atemwege vor dem lästigen Staub zu schützen. Aus der Ferne war sie nur an der goldenen Flut der lang herabwallenden Haare zu erkennen.

Lee Torrence hielt sich meistens neben dem Leitstier an der Herdenspitze. Die anderen Reiter – Dillon, Tipstone, Carney und Greg – waren auf die Flanken verteilt, unablässig damit beschäftigt, ausbrechende Rinderrudel zurückzuhalten und die Herde nicht langsamer werden zu lassen. In den langen Stunden, die sie im Sattel zubrachten, schien ihre ganze Welt nur aus der weiten hitzeflimmernden Ebene, der gewaltigen Walze aus hellbraunen Rinderleibern, dem Staub und dem tosenden Lärm zu bestehen.

Die Tage vergingen in harter Arbeit und bedrückender Monotonie. Sie ließen die Camps am Round Top, Bushy Creek, Cornhill und Noland Creek zurück. An einem besonders heißen Tag überquerten sie schweißgebadet den Loon River und am folgenden Tag den Bosque River.

Während dieser Zeit wurde zwischen Greg und Torrence kaum ein Wort gewechselt. Die übrigen Cowboys verhielten sich dem Neuen gegenüber abwartend und kühl. Nur der alte Tipstone machte dabei eine Ausnahme. Er war der Einzige, mit dem sich Greg während der nächtlichen Stunden am Lagerfeuer vor dem Schlafengehen angeregt unterhalten konnte.

Obwohl das harte Rindertreiben seinen ganzen Krafteinsatz erforderte, konnte Greg doch nicht vergessen, was er in jener denkwürdigen Nacht nördlich von Austin belauscht hatte. Sein einziger Trost bestand darin, dass Torrence und seine Komplicen ihren Coup erst ausführen würden, wenn der Red River hinter ihnen lag – und bis da hin war es noch weit.

Trotzdem schreckte Greg oft genug nachts mit dem Gedanken aus dem Schlaf, dass die Entscheidung unaufhaltsam näherrückte. Immer wieder stellte Greg sich die Frage, was er dann unternehmen sollte.

Er fand keine Antwort darauf.

„Hüüüüyaaah!“, schrie Rick Carney mit gellender Stimme und ließ das zusammengerollte Lasso auf den Rücken des ausbrechenden Stiers niederklatschen.

„Hüüüyaaah! Zurück mit dir, du dämliches Biest! Willst du wohl hören!“

Er drängte sein Pferd gegen die Flanke des Stiers und schlug nochmals mit dem Lasso zu. Das. Rind brüllte und stieß mit den langen spitzen Hörnern nach dem Reiter. Dieser wich mit einer geschickten schnellen Wendung dem Stoß aus.

Dann drückte er seinem struppigen Braunen die Sporen in die Seiten und ließ das Pferd gegen den Longhorn Stier prallen. Der Stier wurde zur Seite geworfen. Brüllend senkte er den schweren Schädel zu einem neuen Angriff. Aber da war der wendige Reiter schon neben ihm, drängte ihn weiter auf die Herde zu und ließ wieder das Lasso niedersausen.

Andere Rinder schoben sich heran – unaufhaltsam nach Norden trottend. Ihre Flut schloss den störrischen Stier ein und riss ihn mit. Er verschwand in einer Staubfahne – ein Bruchteil der großen dröhnenden Masse, die auf dem langen Weg nach Norden war.

Carney zog seinen Braunen herum und hielt ihn an. Staubbedeckte Rinderrücken wogten vor ihm. Gehörnte Schädel hoben und senkten sich im monotonen Rhythmus des Trotts – ein Anblick, der Tag für Tag, Stunde für Stunde gleichblieb!

Seufzend hakte der Cowboy die Wasserflasche vom Sattel los und nahm einen kräftigen Schluck. Aus dem gelben Wehen vor ihm löste sich die Gestalt eines Reiters.

Von dem Gesicht des Mannes war nur das funkelnde Augenpaar zwischen Hutkrempe und dem Rand des hochgezogenen Halstuches zu sehen.

„Hallo, Lee!“, sagte Carney und machte die filzüberzogene Wasserflasche wieder am Sattel fest. „Was Besonderes?“

„Nein!“ Torrence zog das Tuch vom Gesicht. Die Anspannung des harten Rindertreibens durch Staub und Hitze hatte seine Mundwinkel noch schärfer gekerbt.

„Wir müssen bald am Brazos sein, Rick. Reite voraus und suche eine günstige Stelle für den Übergang. Okay?“

„Okay!“, nickte Carney, froh bei dem Gedanken, für eine Weile den Staub und die Rinder hinter sich zu lassen.

„Beeil dich, Rick, und gib mir bald Bescheid.“

Torrence zog wieder sein Halstuch vors Gesicht, wendete seinen Gaul und galoppierte an die Herdenspitze zurück. Rick Carney rückte seinen Stetson tiefer in die Stirn, als er seinen Braunen ebenfalls zum Galopp anspornte.

Während er die Herde überholte, sah er Greg Williams mit geschwungenem Lasso neben den Rindern hin und her galoppieren. Dann blieb die mächtige Staubwolke hinter ihm, das Dröhnen der wandernden Herde wurde leiser, und schließlich war da nur noch das monotone Hufepochen seines eigenen Pferdes.

Sie hatten die Ebene hinter sich gelassen. Ringsum wölbten sich grasbewachsene Hügel, gelegentlich mit niedrigem Kreosot Gestrüpp überwuchert. Carney verlangsamte das Tempo seines Pferdes und entspannte sich.

Als er nach einer halben Stunde das breite Band des Brazos Rivers zwischen einer Hügellücke schimmern sah, hörte er plötzlich das rasche Stampfen von Pferdehufen.

Er ruckte an den Zügeln und riss den Kopf herum.

Vier Reiter brachen durch ein Dickicht dichtbelaubter Kreosotsträucher – vier schussbereite Revolver waren auf den jungen Cowboy gerichtet.

*

Aus Carneys schmalem Gesicht wich alle Farbe.

„Zum Teufel! Was soll das?“, brachte er mühsam hervor.

Er hatte die Rechte hinter den Revolverkolben gelegt, aber die vier auf ihn gerichteten Coltmündungen hielten ihn davon ab, die Waffe herauszuholen. Schweigend, mit finsteren Gesichtern ritten die vier Fremden langsam auf ihn zu.

Carney kämpfte den Impuls nieder, sein Pferd herumzureißen und zum Galopp anzuspornen. Er sagte sich verzweifelt, dass das seinen sicheren Tod bedeutet hätte. Seine blauen Augen flackerten.

„Was wollt ihr? Sagt doch endlich, was ihr wollt! Das muss ein Irrtum sein, Leute! Ich bin …“

„Wir wissen wer du bist!“, unterbrach ihn der Mann in der Mitte, ein sehniger hartgesichtiger Bursche mit hellen Augen. Der Wulst eines Verbandes zeichnete sich unter seinem verschwitzten Reithemd ab.

„Du gehörst zu dieser Mannschaft, die eine Rinderherde von Austin aus nach Norden treibt, nicht wahr?“

„Ja, aber …“

Der Helläugige lächelte kalt. „Wenn du vernünftig bist, wird dir nichts passieren, mein Junge. Wir haben nur ein paar Fragen an dich!“

„Fragen? Ich verstehe nicht!“ In Carneys jungem Gesicht arbeitete es.

„Vielleicht verstehst du mehr, wenn ich dir sage, dass mein Name Jim Kinross ist.“

Rick Carney erinnerte sich daran, was Old Mike Tipstone eines Abends am Lagerfeuer erzählt hatte. Alles war plötzlich glasklar für ihn.

„Du kennst diesen Namen, wie?“, lauerte Kinross.

„Yeah! Ich …“

„Das bedeutet also, dass dieser Greg Williams mit euch reitet, oder?“

Carney zögerte. Er wich Kinross’ durchdringendem Blick aus. Der Bandenführer beugte sich im Sattel vor.

„Hast du nicht gehört, Junge? Ich warte auf eine Antwort!“

Carney fingerte nervös an den Zügeln.

„Das muss ein Irrtum sein! Ich weiß nichts …“

Kinross lenkte sein Pferd ganz nahe an ihn heran. Die anderen drei Reiter bildeten einen Halbkreis vor dem jungen Cowboy.

„Du wirst uns doch keine Schwierigkeiten machen, Amigo!“, sagte Kinross mit falscher Freundlichkeit. „So dumm wirst du doch nicht sein! Weißt du, hier sind wir weitab von deinen Freunden – ganz allein in den Hügeln. Hier gibt es weit und breit keine Stadt, keinen Sheriff oder Marshal. Hier gilt nur ein Gesetz – das Gesetz des Stärkeren. Muss ich noch mehr sagen, Amigo?“

Er grinste tückisch und wog bedeutsam den Colt in der Faust.

Rick Carney schluckte. Er starrte vor sich aufs Sattelhorn und murmelte brüchig: „Ja, er ist in unserer Mannschaft.“

„Siehst du“, dehnte Kinross, „man kann ganz vernünftig mit dir reden. Du kennst doch den Grund, warum wir hier sind?“

Carney nickte stumm.

Kinross schob den Colt in das Holster zurück. Nachdenklich betastete er seine verbundene rechte Schulter. Sein scharfgeschnittenes Gesicht wurde verkniffen.

„Wir werden alles tun, um ihn zu erwischen!“, murmelte er gepresst. „Und deshalb wirst du uns sagen, wo ihr heute Abend lagern werdet!“

Carney zuckte zusammen. Er machte eine abwehrende Handbewegung.

„Ich habe keine Ahnung! Wirklich nicht!“

„Er lügt, Jim!“, knurrte einer von Kinross’ Begleitern, ein breitschultriger vollbärtiger Mann mit einem riesigen mexikanischen Sombrero auf dem Kopf. „Nur ein Wort, und ich hole alles aus ihm heraus, was du wissen willst!“

Er trieb von der anderen Seite sein Pferd an den jungen Cowboy heran. Sein Kinn war vorgeschoben, ein brutaler Zug lag um seinen wulstigen Mund.

„Warte, Tom!“, winkte Kinross ab. „Unser junger Freund wird schon zur Vernunft kommen. Nicht wahr, Cowboy? Oder hältst du uns für dumm? Das wäre ein gewaltiger Fehler von dir! Du bist doch vorausgeritten, um den Weg auszukundschaften. Also weißt du recht gut, wo heute Abend euer Camp auf geschlagen wird.“

Carney presste die Lippen zusammen und schwieg. Sein Gesicht glänzte vor Nässe.

„Er spielt den Hartgesottenen!“, grollte Tom Frazer. „Er weiß nur noch nicht, wie schlecht ihm diese Rolle steht! Ich werde es ihm gleich klarmachen …“

Er streckte die wuchtigen Fäuste nach Carney aus.

„Lasst mich in Ruhe!“, schrie der junge Reiter im jäher Panik und gab seinem Gaul die Sporen.

Der Braune schnellte vorwärts. Im nächsten Moment fegte Frazers blitzschneller Schwinger Carney aus dem Sattel. Der Cowboy überschlug sich am Boden und kam keuchend und torkelnd auf die Beine.

Ein feines Sirren war plötzlich über ihm. Carney wollte sich zur Seite werfen, da senkte sich die Lassoschlinge bereits nieder. Ein harter Ruck schnürte ihm die Arme am Oberkörper fest. Im nächsten Moment riss der Bandit mit dem Lasso seinen Gaul herum, und Carney lag am Boden.

Er hörte Hufestampfen neben sich und wandte den Kopf. Jim Kinross schaute aus eiskalten Augen auf ihn nieder. Er sagte mit unbewegter Miene: „Wenn ich Jack ein Zeichen gebe, wird er sein Pferd zum Galopp antreiben. Du weißt, was dir dann blüht. Willst du nicht doch lieber reden?“ Carney knirschte verzweifelt mit den Zähnen. „Zur Hölle mit euch!“, keuchte er.

„Jack!“, knurrte Tom Frazer zornig. „Schleif ihn! Schleif ihn, dass ihm Hören und Sehen vergeht!“

Der genannte Bandit wollte sein Pferd antreiben.

„Moment noch!“, winkte Kinross. Er beugte sich tiefer zu dem Gefangenen hinab. Sein Blick war stechend – der kalte Blick eines Raubvogels, der seine Beute bereits in den Krallen hält.

„Du wirst dich doch nicht eines Mörders wegen zugrunde richten lassen! Oder weißt du über Williams nicht Bescheid?“

„Mörder? Was soll das?“, schnaufte Carney am Boden liegend. „Auf den Trick falle ich nicht herein!“

„Lass ihn aufstehen, Jack!“, sagte Kinross zu dem Mann mit Lasso.

„Aber ich denke …“

„Du sollst ihn aufstehen lassen!“, wiederholte Kinross mit der scharfen Stimme eines Mannes, der nicht gewohnt ist, dass man ihm widerspricht.

Der Desperado sprang vom Pferd, streifte die Schlinge von Carney und half ihm auf die Beine. Das blonde Haar hing dem Jungen wirr in die schweißnasse Stirn. Unsicher starrte er zu Kinross hoch.

Dieser hatte seine linke Satteltasche aufgeschnallt und brachte einen zusammengefalteten Papierbogen hervor.

„Hier!“, sagte er knapp und gab ihn Carney.

Der Weidereiter faltete das Papier auseinander. Seine Brauen furchten sich.

„Lies nur!“, forderte Kinross in überlegenem Ton.

Carneys Hände zitterten, als er zu lesen begann. Mit blutleeren Lippen reichte er den Bogen an Kinross zurück, der ihn wieder in der Satteltasche verstaute. Carney schüttelte wie benommen den Kopf.

„Ein Steckbrief! Ein Steckbrief für Greg Williams!“

„Jetzt weißt du Bescheid! Willst du ihn noch immer schützen – einen steckbrieflich gesuchten Mörder, auf dessen Kopf zweitausend Bucks ausgesetzt sind?“

„Ich … ich …“

„Du brauchst uns nur zu sagen, wo ihr heute Abend lagert. Alles andere erledigen wir.“ Und als Kinross die anhaltende Ratlosigkeit auf Carneys Miene bemerkte, setzte er raunend hinzu: „Und denk an die Belohnung! Die Hälfte davon wird an dich gehen, das verspreche ich dir! Tausend Dollar, mein Junge, tausend!“

Tom Frazer wollte protestieren, aber Kinross warf ihm einen schnellen bedeutsamen Blick zu, und der vollbärtige Desperado verstand. Er hielt die Hand vor den Mund, um sein tückisches Grinsen zu verbergen.

Rick Carneys Atem ging schneller. Sein Blick glitt nervös über die angespannten Gesichter der Banditen.

„Du musst dich entscheiden!“, drängte Kinross kalt. „Wir bieten dir doch eine einmalige Chance, oder? Du wirst doch nicht das Lasso vorziehen!“

Carney zuckte zusammen. Ein Nerv bewegte sich unter seinem linken Auge.

„Nein, nein!“, schnaufte er hastig. „Ich bin schon einverstanden. Ihr sollt alles wissen, was ihr wollt.“

Kinross und seine Leute tauschten triumphierende Blicke.

*

Erschöpft und durchnässt von der Durchquerung des Brazos Rivers näherten sich die Herdentreiber dem Camp. Die Longhorns weideten friedlich am Ufer des Flusses, wo dichtes saftiges Gras wuchs. Carney hatte sich freiwillig erboten, die erste Herdenwache zu übernehmen.

Die Flammen des Lagerfeuers malten einen roten Kreis in die zunehmende Dämmerung. Den Reitern fiel auf, dass es beim Küchenwagen merkwürdig still war. Vergeblich warteten sie auf das Klappern von Geschirr, das ihnen sonst immer Black Noels Hantieren ankündigte.

„Heh, Noel!“, rief der alte Tipstone krächzend durch das Getrappel der Hufe. „Wo steckst du denn, alter Junge? Fehlt dir etwas?“

Es kam keine Antwort.

„Das verstehe ich nicht!“, schüttelte Tipstone bestürzt den Kopf und trieb als erster seinen knochigen Gaul in den Lichtkreis des Feuers.

„Hallo, Noel, da bist du ja!“, krächzte Tipstone erleichtert, als er den Koch am Planwagen lehnen sah. Als sich Tipstone aus dem Sattel schwang, trieben die anderen Reiter ihre Gäule ebenfalls ans Feuer. Hinter ihnen kam Mary Lockwood zu Fuß von der Remuda herüber.

„Was ist mit dem Essen?“, fragte Tipstone, während er begann, sein Pferd trockenzureiben. „Heute ist ja gar nichts zu riechen. Hast du etwa …“

Er hielt inne, als sich Noel nicht regte. Sein lederhäutiges Gesicht verzog sich.

„Was ist denn mit dir? Bist du krank, alter Pfannenschwinger?“

Der Schwarze breitete in einer hilflosen Gebärde die Hände aus. „Es tut mir leid!“, sagte er weinerlich mit seiner Bassstimme. „Es tut mir schrecklich leid!“

Und da schälten sich ringsum aus dem Schatten die Gestalten von Männern.

*

Jeder hielt einen Revolver schussbereit in der Faust.

„Wenn er euch gewarnt hätte“, sagte eine harte Stimme, „hätte er eine Kugel in den Kopf bekommen.“

„Kinross!“, keuchte Tipstone.

„Genau!“, lächelte der Anführer der Kopfgeldjäger kalt. „Und macht nur keine Dummheiten, Leute, sonst knallt es ganz gewaltig! ’runter von den Pferden, los, ’runter mit euch!“

Noel schnaufte verzweifelt: „Es ist meine Schuld, ganz allein meine Schuld!“

Torrence zerknirschte eine Verwünschung zwischen den Zähnen.

„Und das alles wegen Williams, was?“

„Richtig!“, bestätigte Kinross.

„Miss Mary“, wandte sich der hagere Vormann an das Mädchen, „sehen Sie jetzt ein, dass es ein Fehler war, diesen Kerl anzuheuern.“

„Halt den Mund, Cowboy!“, fuhr ihn Kinross an. „Ich habe gesagt, absteigen!“

Die Männer der Lockwood Crew gehorchten. Greg fühlte Lee Torrences hassvollen Blick auf sich ruhen. Einer von Kinross’ Leuten trieb schnell die Pferde aus dem Lichtbereich des Lagerfeuers. Greg machte ein paar Schritte auf Kinross zu.

„Warum die Umstände? Ihr wollt mich allein, oder? Lasst also die anderen in Frieden!“

„Du kommst freiwillig mit?“

„Ja! Hast du etwa erwartet, Kinross, ich würde mich hinter dem Rücken anderer Leute verstecken?“

„Nein!“, rief da Mary Lockwood hell. „Das kommt nicht in Frage, Williams! Sie bleiben!“

Greg drehte ihr überrascht das Gesicht zu. Ihre hellgrauen Augen blitzten. Grellrote Flecken brannten auf ihren Wangen. Ihre Brust hob und senkte sich, und der rote Feuerschein zeichnete scharf die weichen Konturen ihres schlanken Körpers nach.

„Madam“, sagte Kinross gepresst, „Sie haben schon einmal den Fehler gemacht, diesem Burschen zu helfen. Rechnen Sie nicht ein zweites Mal mit unserer Rücksichtnahme.“

„Hier sind wir nicht in der Stadt, was?“ krächzte Mike Tipstone wütend. „Hier sieht euch keiner! Hier würdet ihr glatt eine Frau über den Haufen schießen, was?“

„Das würden wir tun!“, nickte Kinross ungerührt.

Nach diesen Worten war es eine Weile totenstill. Nur die Flammen knisterten leise.

Dann spuckte Tipstone Kinross voller Verachtung vor die Füße. Tom Frazer sprang vor und schlug dem graubärtigen Weidereiter den Coltlauf über den Kopf. Tipstone brach lautlos zusammen.

Mary wollte auf ihn zulaufen. Kinross’ scharfer Ruf hielt sie zurück: „Keine Bewegung! Das gilt für euch alle!“ Revolverhähne wurden knackend gespannt. Im Seilkorral schnaubten unruhige Pferde.

Mit kratzender Stimme sagte Greg: „Kinross, wir sollten uns beeilen! Wenn man mir ein Pferd gibt, komme ich mit euch!“

„Langsam, langsam, mein Lieber! Du stirbst noch früh genug! Zuerst werden wir deine Freunde entwaffnen. Ich möchte nicht in den Rücken geschossen werden, wenn wir reiten!“

„Freunde?“, knurrte Torrence grimmig. „Er hat keine Freunde unter uns! Von mir aus könnt ihr ihm gleich eine Kugel durch den Kopf schießen.“

Kinross blickte den Vormann schräg und forschend an. Mary rief empört: „Lee, so sollten Sie nicht reden!“

„Ach was!“, murrte Torrence. „Was hat uns dieser Rumtreiber denn bisher anderes gebracht als Kummer?“

„Eine billige Gelegenheit, mich loszuwerden, wie?“, fragte Greg leise.

Torrence wich seinem Blick aus und schwieg. Mary stellte sich neben Greg, schaute Kinross furchtlos ins Gesicht und erklärte mit ihrer kühlen, entschiedenen Stimme: „Dieser Mann wird nicht mit euch reiten!“

„Miss Mary“, sagte Greg hastig, „halten Sie sich da heraus! Dies ist allein meine Angelegenheit!“

„Irrtum! Ich habe Sie als Herdentreiber angeworben, und ich denke nicht daran, auf Ihre Hilfe zu verzichten!“

Greg lächelte bitter.

„Ich hatte Sie schon als bessere Rechnerin kennengelernt!“

Kinross knurrte: „Meine Schöne, Sie wollen doch nicht sagen, dass Ihre Kuhtreiber für diesen Satteltramp da kämpfen werden!“

„Doch!“

Kinross lächelte verächtlich. „Dann schauen Sie sich doch Ihre Leute an! Fragen Sie sie doch, wie weit sie gehen wollen!“ Sein beißender Ton trieb eine Blutwelle in Mary Lockwoods schmales Gesicht.

Sie ließ ihren Blick über ihre Leute schweifen. Außer Greg waren da nur Torrence und Dillon. Noel, der schwarze Koch, zählte nicht. Er verstand es, ausgezeichnete Mahlzeiten zuzubereiten, aber ein Revolver wirkte in seiner Faust fehl am Platz.

Tipstone lag noch besinnungslos im zertretenen Gras, und Carney hielt sich bei der Herde auf. Mary presste die roten Lippen zusammen. Ein Schatten verdüsterte ihr Gesicht.

Torrence sagte rau: „Es hat keinen Sinn, Miss Mary! Ich denke nicht daran, für Williams mein Leben aufs Spiel zu setzen.“

„Und Sie, Dillon?“

Der schweigsame ernstblickende Cowboy schüttelte den Kopf.

„Ich stimme Lee zu.“

Mary ließ den Kopf sinken. „Es tut mir leid, Williams. Ich wollte, ich hätte Ihnen auch diesmal helfen können.“

Er schaute ihr in die betrübten Augen, und für einen Moment vergaß er die tödliche Gefahr.

„Schon gut, Miss Mary!“, murmelte er heiser. „Ich werde …“

„Kein Palaver mehr!“, unterbrach Kinross hart. „Wir wollen es kurz machen. Schnallt jetzt ab, dann werden wir mit Williams verschwinden! Los, macht schon.“

Torrence und Dillon lösten ihre Gürtelschnallen. Greg zögerte noch. Wenn erst einmal sein 45er am Boden lag, war er rettungslos verloren.

Aber da war das Mädchen!

Er konnte jetzt keinen verzweifelten Kampf heraufbeschwören, bei dem sie in den Kugelregen der Banditen geraten konnte! Seine Lippen wirkten wie ein messerscharfer Strich in seinem gestrafften sonnenbraunen Gesicht, als er den Revolvergurt mit der Waffe daran ins Gras klatschen ließ.

„Tom!“, sagte Kinross zu Frazer. „Nimm ihn mit!“

Die wulstigen Lippen zu einem breiten Grinsen verzogen, schob sich Frazer auf Greg zu.

Im nächsten Sekundenbruchteil riss der stämmige Clay Dillon blitzschnell einen 22er Sharps Derringer mit vier kurzen Läufen aus der Innentasche seiner ärmellosen, Lederweste.

Mit voller Lautstärke schrie er: „Zu Boden, Miss Mary!“

*

Gleichzeitig warf er sich auf die Knie, und die Kugeln, die Kinross und zwei seiner Leute abfeuerten, strichen über ihn hinweg in die hereinbrechende Nacht hinein. Noch in den Nachhall der Schüsse hinein peitschte Dillons Waffe.

Ein Bandit griff sich aufschreiend an die Brust und kippte zur Seite gegen Kinross, der dadurch am Schießen gehindert wurde.

Dillon schnellte schräg in die Höhe und feuerte nochmals. Wieder stürzte einer von Kinross’ Männern ins Gras. Die Hölle brach los!

Torrence hatte sich blitzschnell nach seinem Revolver gebückt und sprang aus dem Lichtkreis.

Greg warf sich gegen Frazer, der überrascht herumgewirbelt war. Ringend stürzten sie ins Gras. Der Koch hatte sich erschrocken unter den Küchenwagen geworfen und rief in wirrer Reihenfolge sämtliche Heiligen um Hilfe an.

Kugeln schlugen ins Lagerfeuer und wirbelten einen Funkenregen in die Dunkelheit hinein. Schreie gellten durcheinander. Schüsse rasten in donnernder Serie. Vom Seilkorral kam durchdringendes Pferdegewieher.

Tom Frazer bekam Gregs Kehle zu fassen und drückte mit aller Kraft zu. Der bärtige Bandit verfügte über wahre Riesenkräfte. Greg merkte verzweifelt, wie ihm die Luft wegblieb. Er stieß mit Fäusten und Füßen um sich, aber Frazers Griff lockerte sich nicht.

Der wilde Lärm verschwamm in Gregs Ohren. Dann hörte er wie aus weiter Ferne eine helle Stimme fordern: „Lassen Sie ihn sofort los, sonst drücke ich ab!“

Schlagartig lösten sich die klammernden Fäuste von seiner Kehle.

Greg schnappte hörbar nach Luft. Er rollte von Frazer fort und richtete sich mühsam auf. Er sah, dass Frazer wie versteinert am Boden kniete. Eine Revolvermündung war in sein Genick gedrückt.

Gregs Blick kroch weiter in die Höhe und traf auf Mary Lockwoods angespanntes Gesicht. Im Feuerschein, der sie von der Seite traf, schienen ihre Augen zu glühen.

„Donnerwetter!“, murmelte Greg heiser. „Ich gerate immer tiefer in Ihre Schuld!“

Dann wurde er sich bewusst, dass die Detonationen verstummt waren. Er schaute sich um. Zwei dunkle Gestalten lagen neben dem Feuer reglos am Boden. An ihrer steifen, seltsam verkrümmten Haltung erkannte er auf den ersten Blick, dass sie nie mehr aufstehen würden. Zwei weitere Banditen dauerten stöhnend nebeneinander und murmelten Verwünschungen vor sich hin. Kinross und zwei Männer standen mit erhobenen Händen vor dem Küchenwagen. Torrence nahm ihnen eben die Waffen ab, während Dillon sie mit dem Derringer in der. Rechten und einem 45er Colt in der Linken in Schach hielt.

Sekundenlang hatte Greg das Verlangen, sich einfach zu setzen und die Augen zu schließen. Er rang die Schwäche nieder, atmete tief und zwang sich, nicht mehr daran zu denken, wie knapp er diese Sache überstanden hatte. Wortlos nahm er Mary den Colt aus der Hand, entwaffnete Frazer und befahl ihm, zu den anderen Desperados hinüberzugehen.

Dillon schaute ihm ruhig entgegen.

„Zufrieden, Williams?“

Impulsiv streckte ihm Greg die Hand hin.

„Ich wette, Dillon, ohne Ihr Eingreifen wäre ich jetzt schon tot!“

„Diese Wette würden Sie haushoch gewinnen!“, erwiderte Dillon trocken. Der Anflug eines Lächelns geisterte über sein ernstes verschlossenes Gesicht.

Als er den Händedruck fest erwiderte, hatte Greg den Eindruck, einen neuen Freund gewonnen zu haben.

Später holte Torrence die Banditengäule aus einer versteckten Mulde in der Nähe des Herdencamps. Dann schickten sie Jim Kinross und seine restlichen Leute mit den Verwundeten und Toten zu Fuß in die Nacht hinaus, in der Hoffnung, dieses Desperadogesindel, das Menschenjäger spielte, für immer abgeschüttelt zu haben.

Schweigend schauten sie den schimpfend abziehenden Desperados nach. Plötzlich ließ eine laute krächzende Stimme die Cowboys herumfahren.

„Wie in Missouri! Genau wie damals in Missouri, als ich noch ein junger Hüpfer war!“

Old Mike Tipstone hatte sich auf der zertrampelten Grasfläche hochgesetzt. Er hielt beide Hände gegen den schmerzenden Kopf gepresst, aber sein ledernes Gesicht war in tausend Lachfalten zersprungen.

*

In dünnen Schnüren strömte der Regen aus der tintigen Schwärze, die sich über die Prärie gebreitet hatte. Der Boden hatte sich in Morast verwandelt. Bei jedem Huf tritt war ein schmatzendes Geräusch zu hören.

Müde, mit hochgezogenen Schultern saß Rick Carney im Sattel. Das Wasser sammelte sich in seiner Hutkrempe und tropfte monoton auf den Regenumhang herab. Die Herde, an deren Flanken er Wache ritt, war nur als pechschwarze Masse in der Nacht zu erkennen.

Carney blickte auf, als ein Reiter vom Camp herüber auf ihn zukam. „Wer ist da?“

„Ich bin es, Rick – Torrence!“, kam die gedämpfte Antwort durch das Platschen der Hufe.

Gleich darauf zügelte der Vormann neben ihm sein Pferd. Er wischte sich den Regen aus dem Gesicht. „Ich löse dich ab, Junge. Später kommt Dillon an die Reihe. Sag ihm Bescheid.“ Torrence wartete darauf, dass sich Carney entfernte. Der junge Cowboy zögerte. Torrence schaute ihn aufmerksam von der Seite an.

„Gibt es was, Rick?“

„Yeah!“, Carney räusperte sich und fingerte nervös an den Zügeln. „Ich muss mit dir reden, Lee. Wegen Williams.“

Torrences Schultern zogen sich noch mehr nach vorne. Sein kantiges Gesicht wurde ausdruckslos. Carney merkte nicht, dass der Vormann unter seinem Regenumhang zum Kolben des Revolvers tastete.

„Nur zu, Rick!“, murmelte Torrence leise.

„Ich kann mich doch auf dich verlassen, Lee, oder?“

„Natürlich, mein Junge!“

„Und außerdem ist Williams ein alter Feind von dir.“

„Ja, ja! Schieß los, Rick!“

Carney beugte sich im Sattel zu Torrence hinüber. Seine blauen Augen flackerten, als er heiser hervorstieß: „Williams ist ein Mörder, Lee! Er wird steckbrieflich in ganz Texas gesucht!“ Eine Weile saß Torrence ganz steif auf. seinem Pferd, den Blick unverwandt auf den jungen Reiter geheftet. Schließlich fragte er langsam: „Woher weißt du das?“

Carney schluckte, zögerte und brachte mit abgewandtem Kopf hervor: „Von Kinross!“

„Kinross?“ Torrence pfiff leise durch die Zähne. „Hast du ihm den Tipp gegeben, wie er Williams schnappen könnte?“

„Er zwang mich dazu. Ich hätte keine andere Wahl, Lee!“, erklärte Carney heftig. „Ich musste es …“

„Schon gut, schon gut, mein Junge! Ich hab’ dir keinen Vorwurf gemacht, oder? Und – du bist sicher, dass Kinross nicht gelogen hat?“

„Absolut sicher!“, nickte Carney schnell. „Ich hab’ den Steckbrief gesehen, Lee. Zweitausend Dollar – tot oder lebendig. Unten im Big Bend am Rio Grande hat er einen Mann erschossen, den Bruder eines reichen Ranchers.“

In Torrences Augen stand ein lauerndes Glitzern. Mit gespieltem Grimm erklärte er: „Das überrascht mich nicht! Dieser Halunke Williams war schon immer ein ganz durchtriebener Halunke!“ Dann legte er eine Hand auf Carneys Knie und schaute dem Cowboy durchbohrend ins.Gesicht.

„Warum hast du bisher geschwiegen, Rick? Die Sache mit Kinross liegt doch jetzt schon drei Tage zurück!“

Carney bewegte unbehaglich die Schultern.

„Wir waren bisher in offenem unbesiedeltem Land. Was sollte ich schon gegen Williams unternehmen? Jetzt aber sind wir nur noch ein paar Meilen von Fort Worth entfernt.“ Er deutete zu den gelben Lichtpunkten hin, die matt durch den Regenvorhang schimmerten.

„Es gibt dort einen Sheriff, Lee!“

„Und außerdem“, lächelte Torrence schief, „willst du die Belohnung gern allein einstreichen, wie?“

„Wir könnten teilen, Lee! Wir beide! Aber ich sehe nicht ein, auch den anderen noch etwas davon …“

Torrence lachte leise. Carney schaute ihn fragend an.

„Was denkst du, Lee? Machst du mit? Er ist doch dein Feind! Dies ist die beste Gelegenheit, um ihn …“

„Und was werden die anderen sagen? Miss Mary, Old Mike und Dillon? Sie halten eine ganze Menge von Williams, scheint mir.“

„Er ist ein Mörder, Lee!“, wiederholte Carney mit gefurchten Brauen.

„Und Fort Worth ist die letzte Niederlassung auf dem Trail nach Dodge City.“

„Wir könnten ja auch warten, bis wir in Dodge sind.“ Torrence blickte Carney lauernd an.

Der schüttelte, den Kopf. „Dodge? Bis dahin sind wir mindestens noch sieben Wochen unterwegs, Lee. Eine Zeit, in der viel passieren kann. Ich will kein Risiko eingehen, verstehst du? Zweitausend Dollar sind eine zu große Menge Geld, um sie leichtfertig aufs Spiel zu setzen.“

„Du willst also den Sheriff aus Fort Worth holen?“

„Genau!“

„Dazu brauchst du mich doch nicht. Warum hast du mich verständigt?“

„Williams könnte Verdacht schöpfen, wenn der Sheriff anrückt. Es ist gut, wenn ein Mann im Camp ist, der Bescheid weiß und ihn aufhält. Also, wie ist es, Lee?“

„Wenn ich nicht mitmache – würdest du dann alleine reiten?“

„Auf alle Fälle! Aber ich hoffe …“

„Schon gut, Rick! Du kannst dich auf mich verlassen! Sieh zu, dass du mit dem Sheriff vor meiner Wachablösung zur Stelle bist.“

„Darauf kannst du dich verlassen!“ Carney nickte dem Vormann mit blitzenden Augen zu, dann spornte er sein Pferd an und ritt in Richtung der gelben Lichtpunkte in die Prärienacht hinein.

Torrence spähte ihm aus engen Augen nach. Er rieb sich nachdenklich das kantige Kinn, dann straffte er in jäher Entschlossenheit die Schultern. Er trieb seinen Gaul von der ruhenden Herde weg tiefer in die Nacht hinein. Ein Blick zum Camp zurück bewies ihm, dass dort alles ruhig war.

Unter den ausladenden Ästen einer einzelnen alten Sykomore hielt er an. Der Regen rauschte auf das volle Blattwerk. Unter dem Baum war es verhältnismäßig trocken.

Torrence legte die Hände trichterförmig vor den Mund. Gleich darauf schallte ein klagender Käuzchenruf durch die Regennacht. Torrence wartete eine halbe Minute, dann wiederholte er das Signal. Erst nach dem dritten Mal kam die Antwort aus der Dunkelheit. Wenig später schälte sich die Gestalt eines Reiters aus der Finsternis.

„Zum Teufel, Lee! Bei diesem Hundewetter könntest du mir schon meine Ruhe lassen, verdammt noch mal!“

„Hör zu, Brod“, sagte Torrence hastig, „ich habe eine Aufgabe für dich.“

„Noch in dieser Nacht?“

„Ja, Brod!“

„Du freust mich!“, knurrte der Bandit. „Und ich war heilfroh, dass ich endlich ein trockenes Plätzchen zum Übernachten gefunden habe.“ Er schüttelte ärgerlich den Regen vom Hut. „Also, was gibt es?“

„Der junge Carney ist nach Fort Worth unterwegs, um den Sheriff zu holen!“

„Was? Hol mich der Satan! Ist die Sache aufgeflogen, Lee?“

„Nein, nein! Carney hat erfahren, dass Williams steckbrieflich gesucht wird. Jetzt will er sich die Kopfprämie verdienen!“

„Na und? Lass ihn doch! Auf diese Weise wirst du Williams billig los!“

„So einfach ist die Rechnung nicht, Brod! Ich kenne Dave Shaw, den Sheriff von Fort Worth. Ein harter und gerissener Bursche, sage ich dir! Wenn er Williams verhaftet, kannst du darauf rechnen, dass dieser ihm einiges über uns erzählen wird. Und Shaw ist gerade die richtige Schnüfflernatur, um dann …“

„Verstehe!“, brummte Brod. „Wir müssen in diesem Fall diesem verwünschten Williams also helfen?“

„So ist es! Brod, du musst dafür sorgen, dass Carney sein Vorhaben nicht ausführen kann.“

„All right! Wann ist er geritten?“

„Vor ungefähr fünf Minuten.“

„Well, ich werde mich beeilen!“ Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wendete Brod sein Pferd und fegte im Galopp in den Regen hinein.

*

Im einzigen Saloon von Fort Worth verlöschten eben die letzten Lichter, als Rick Carney die Häuser der kleinen Stadt erreichte. Obwohl sein Pferd schon ziemlich abgehetzt war, jagte er es im Galopp die schlammige Main Street entlang. Der Reitwind bog die Krempe seines Stetsons vorne steil in die flöhe, und der Regen traf ihn schräg ins Gesicht. Er fühlte es nicht.

Vor dem Sheriff's Office zügelte er den Gaul in hartem Cowboystopp und war mit einem Satz aus dem Sattel. Wasser spritzte unter seinen Stiefelabsätzen hoch. Das Pferd ließ müde den Kopf hängen, seine nassen Flanken zitterten. Carney rannte sporenklirrend die Verandastufen hinauf.

Die Officetür war geschlossen. Unter dem Vordach hing eine Sturmlaterne, die einen trüben Schein verbreitete und den Regen wie dichte Silberfäden wirken ließ. Carney schlug den Regenumhang zurück und rüttelte an der Klinke. Sie gab nicht nach. Keuchend schlug er die Fäuste gegen die Tür.

„Sheriff!“, rief er. „Sheriff, machen Sie auf!“

Drinnen im Haus blieb es still. Ungeduldig hämmerte Carney weiter gegen das Holz.

„Yeah, zum Kuckuck, was ist denn? Ich komm ja schon!“, kam von drinnen eine schläfrige Stimme. Eine Tür klappte, Schritte pochten auf den Dielen.

Aufatmend ließ Carney die Arme sinken. Hinter ihm wehte plötzlich ein gedämpfter Ruf über die regenverschleierte Main Street.

„Carney! Hallo, Carney, einen Augenblick mal!“

Überrascht drehte sich der junge Cowboy um. Drüben auf dem hölzernen Gehsteig, außerhalb des Lichtschimmers, den die Laterne verbreitete, erkannte er die Umrisse einer kräftigen Männergestalt. Der Mann stand breitbeinig da und schaute zu ihm herüber.

Während im Haus die Schritte des Sheriffs zur Tür kamen, fragte sich Carney verblüfft, wer ihn hier in Fort Worth wohl kennen mochte.

„Carney! Hast du nicht gehört?“, rief der Mann auf der anderen Straßenseite.

Rick Carney machte zwei Schritte bis an den Rand der Office Veranda und stemmte die Hände auf das glatte regennasse Geländer. Hinter ihm knirschte ein Riegel an der Officetür.

Carney beugte sich über das Geländer, voll im gelben Laternenschein, und versuchte den Mann auf dem gegenüberliegenden Gehsteig zu erkennen.

„Was ist?“, fragte er erstaunt. „Wer bist du? Ich …“

Er kam nicht weiter. Drüben blitzte es plötzlich auf. Das Krachen rollte dröhnend zwischen den stillen regenverhangenen Häuserfronten.

Entsetzt riss Carney die blauen Augen auf, als er den Einschlag der Kugel mitten in der Brust fühlte.

„Nein! Nein, ich …“

Er hatte plötzlich keine Kraft in den Beinen mehr. Verzweifelt krampfte er die Hände ums Verandageländer. Jenseits der Fahrbahn flammte es erneut auf.

Das Peitschen des Schusses in den Ohren, sank Rick Carney nach vorne, stürzte über die Verandabrüstung und schlug schwer in den Schlamm der Straße. Auf dem Rücken blieb er liegen, die Augen weit aufgerissen. Der Regen trommelte auf sein junges schmales Gesicht …

*

Mary Lockwood kam vom Küchenwagen zum Lagerfeuer herüber, wo die Cowboys saßen und ihren brühheißen Kaffee schlürften. Es hatte zu regnen aufgehört. Überall glänzte noch die Nässe. Der Morgen war grau und kühl, der Himmel von dunklen Wolken verhangen.

Marys Gesicht war blass. Im Hintergrund ihrer grauen kühlen Augen brannte die Sorge. Black Noel reichte ihr stumm einen randvollen Kaffeebecher. Sie nahm ihn mit einem Kopfnicken und blieb stehen.

„Ist Rick noch immer nicht zurück?“

„Nein!“, murmelte Tipstone finster. „Ist wohl besser, ich reite in die Stadt hinüber und sehe nach ihm.“ Er erhob sich und warf seinen leeren Becher dem Koch zu, der ihn geschickt auffing.

„Ich verstehe das nicht!“, schüttelte Torrence in gespielter Ratlosigkeit den Kopf. „Er sagte, als ich ihn ablöste, dass er sich nur ein paar Flaschen Brandy für den langen Trail besorgen wollte. Er war doch bisher kein Trinker – aber jetzt muss ich annehmen, dass er irgendwo in Fort Worth seinen Rausch ausschläft. Mike, du solltest wirklich nach ihm sehen.“

Hufschlag kam durch das Grau der Morgendämmerung. Ein Reiter näherte sich aus der Richtung, wo die Stadt in der grasbewachsenen Ebene lag.

Mary Lockwood atmete tief aus.

„Das wird er sein!“

Die Männer standen auf. Noel schüttete einen Eimer Wasser über die Feuerstelle und machte sich dann daran, die rauchenden Überreste mit Erde zu bedecken. Die anderen starrten in das Dämmergrau, wo die schmatzenden Hufgeräusche deutlicher wurden. Die Umrisse einer hohen hageren Reitergestalt tauchten auf.

„Oha!“, stieß Tipstone hervor und langte sich bestürzt an seinen struppigen grauen Bart. „Wenn das Rick Carney ist, will ich von jetzt an Adam heißen!“

Greg Williams schaute schnell zu Torrence hin. In der Miene des Vormannes war nichts zu lesen. Der fremde Reiter kam langsam näher. Ein unbehagliches Gefühl beschlich Greg. Niemand beachtete ihn. Er zog sich unauffällig zum Küchenwagen zurück.

Torrence rief dem Fremden entgegen: „Hallo, Mister! Haben Sie sich in der Richtung geirrt? Hier ist das Herdencamp der Lockwood Crew.“

„Dann bin ich genau richtig!“ Die Stimme war von metallener Härte.

„Wer sind Sie, Mann?“, fragte Torrence schnell.

„Dave Shaw, der Sheriff von Fort Worth!“

Der Reiter kam ins Camp getrabt, ein großer grauhaariger Mann mit scharfgeschnittenem Gesicht und einem matt blinkenden Stern an der Jacke.

Etwas Heißes strömte in Gregs Kehle. Er war überzeugt, dass sein Steckbrief längst auch im Sheriff’s Office in Fort Worth vorlag. Welchen Grund konnte Sheriff Shaw besitzen, hierher zu kommen? Trotz der Morgenkühle begann Greg, zu schwitzen.

Er sah, dass Shaw den Blick seiner wachsamen Augen prüfend über die kleine Schar schweifen ließ – als suche er eine bestimmte Person. Ihn hatte er noch nicht entdeckt. Hastig schob sich Greg hinter den Küchenwagen. Der alte gehetzte Ausdruck wurde wieder in seinen dunklen Augen lebendig.

Sollte denn dieses Leben in ständiger Furcht niemals ein Ende nehmen? Einen Augenblick dachte er daran, hinter dem Planwagen hervorzutreten und sich freiwillig zu stellen. Irgendwie musste doch seine Unschuld aufzuklären sein! Gleich darauf sagte er sich jedoch, dass dies eine gefährliche Illusion war. Es war wirklich ein Schicksalsschlag, dass gerade der Bruder des einflussreichsten Mannes im Big Bend ihm einen Revolverkampf aufgezwungen hatte – einen Kampf, in dem ihm nichts anderes übriggeblieben war, als in Notwehr zu töten.

Und seit jener Stunde wollte ihn der reiche Rancher Glenn Brigg tot sehen! Er hatte sich nicht damit begnügt, die raue Kinross Mannschaft anzuwerben und auf seine Fährte zu hetzen. Er hatte die Zeugen des Revolverduells zu falschen Aussagen bestochen und ihn – Greg Williams – offiziell zum Mörder gestempelt!

Und wie es aussah, konnte er dieses Brandmal niemals mehr abstreifen!

Es war sinnlos, sich gegen einen Mann zu stellen, der das Gesetz vertrat und in gutem Glauben handelte! Es blieb nur eines: Flucht!

Sein Blick fiel auf den Seilkorral, in dem die Pferde standen. Bemüht, den Planwagen zwischen sich und der Gruppe an der erloschenen Feuerstelle zu halten, bewegte Greg sich geschmeidig auf die Gäule zu.

Jenseits des Wagens hörte er das Hufstampfen von Dave Shaws Pferd verstummen. Mary Lockwood fragte: „Was führt Sie zu uns, Sheriff?“

„Ein Mord!“

*

Greg zuckte unwillkürlich zusammen. Er musste sich zwingen, nicht einfach loszurennen, um auf den Rücken eines Pferdes zu kommen.

Sheriff Shaw sagte mit seiner harten Stimme: „Ein Mann Ihrer Crew ist doch gestern in die Stadt geritten, nicht wahr?“

„Sie meinen Rick? Rick Carney?“

„Ja, das war sein Name. Er wurde in der vergangenen Nacht vor meinem Office erschossen.“

Eine Weile war es totenstill. Greg blieb stehen, die Lippen zusammengepresst, Überraschung und Erschrecken in den Augen. Trotz der Entfernung hörte er Mary flüstern: „Mein Gott! Das ist doch nicht wahr!“

„Tut mir leid!“, sagte der Sheriff dumpf.

„Rick wollte zu Ihnen?“, fragte Torrence schnell.

Der Sheriff bestätigte es. Greg lauschte mit angehaltenem Atem.

Torrence fragte: „War er gleich tot? Oder konnte er Ihnen noch sagen, warum?“

Greg hörte die verhaltene Anspannung aus Torrences Tonfall heraus. Er spürte ein seltsames Kribbeln im Nacken.

„Er war nicht gleich tot!“, antwortete Shaw. „Er war in die Stadt gekommen, um mir etwas mitzuteilen.“

„Und zwar?“, drängte Torrence heiser.

„Er erwähnte etwas von einem steckbrieflich gesuchten Mörder!“

Greg schluckte schwer. Er schaute auf seine Hände hinab und stellte fest, dass sie plötzlich zitterten. Hastig wandte er sich wieder dem Seilkorral zu. Zwischen ihm und der Remuda stand auf einmal ein Mann: Clay Dillon. Sein eckiges Gesicht war unbewegt. Er schaute Greg ausdruckslos an und fragte leise: „Wohin wollen Sie, Williams?“

Greg stand wie versteinert. Die Gedanken rasten in seinem Gehirn. Er hatte nicht bemerkt, dass sich Dillon von der übrigen Gruppe im Camp gelöst hatte. Einen Moment dachte er daran, einfach auf den stämmigen Weidereiter loszuspringen. Dann sah er Dillons Rechte hinter dem Revolverkolben liegen. Es sah wie ein Zufall aus. Aber Greg begriff, dass er bei einem Angriff keine Chance mehr besaß.

„Die Pferde!“, brachte er heiser hervor. „Einer muss schließlich die Pferde satteln.“

Dillon verzog skeptisch die Mundwinkel. Auf der anderen Seite des Küchenwagens fragte Lee Torrence den Sheriff: „Den Namen, Shaw! Nannte Rick Ihnen den Namen?“

Greg glaubte zu fühlen, dass alle Farbe aus seinem Gesicht wich. Er dachte nicht darüber nach, wie Rick Carney hinter sein Geheimnis gekommen war und wer Rick erschossen hatte. Für ihn existierten in diesen Sekunden nur Sheriff Dave Shaw aus Fort Worth und Clay Dillon, der starr, die Hand hinter den Revolverkolben geschoben, vor ihm stand.

Er hörte Shaws Antwort wie durch eine dicke Wand: „Nein, er kam nicht mehr dazu. Er war tot, ehe er alles sagen konnte.“

Dillon fragte gedehnt: „Ist Ihnen nicht gut, Williams? Sie sehen ganz grün aus.“

Greg erwiderte nichts. Er spürte das Pochen seines Herzens bis in die Kehle.

Drüben sagte Torrence: „Wahrscheinlich hat Rick etwas über die Halunken herausbekommen, die uns am Trail nach Dodge City hindern wollen, Sheriff. Einer von den Burschen hat ihn bestimmt ermordet.“

Gregs Gedanken wirbelten. Er verstand nicht, warum Lee Torrence ihn mit dieser Aussage deckte. Aber eines stand für ihn fest: In dieser schmutzigen Sache hatte der Lockwood Ranch Vormann ebenfalls seine Hände im Spiel!

„Ich habe die halbe Nacht nach dem Schuft gesucht“, erklärte der Sheriff. „Vergeblich! Der Regen hat alle Spuren verwischt. Ich fürchte, ich kann euch nur wenig helfen. Wann werdet ihr weiterziehen?“

„Heute!“, entgegnete Torrence rasch. „Wir können es uns nicht leisten, wegen dieser Angelegenheit Zeit zu verlieren. Sheriff, Sie werden doch veranlassen, dass der arme Rick gut unter die Erde kommt, nicht?“

„Das ist das Mindeste, das ich für euch tun werde.“

Es wurden noch einige formelle Worte gewechselt, dann wendete Dave Shaw sein Pferd und ritt nach Fort Worth zurück.

Greg wurde sich bewusst, dass Dillon noch immer den Blick auf ihn gerichtet hatte. Er wollte etwas sagen, aber der schweigsame Cowboy mit dem verschlossenen Gesicht kam ihm zuvor. Mit einem seltsamen Unterton in den Worten fragte er: „Wollten Sie nicht die Pferde satteln, Williams?“

Die Zähne zusammengebissen, ging Greg an ihm vorbei zum Seilkorral. An seinen Füßen schienen Bleigewichte zu hängen.

*

Das gischtende Wasser des Red River umsprühte Greg. Schreiend und lassoschwingend trieb er die Longhorns dem nördlichen Ufer des Flusses zu, der die Grenze zwischen Texas und dem Indianerland Oklahoma bildete. Die Herde zog sich wie ein brauner, hörnerbewehrter, brüllender Damm quer durch das Wasser, schräg zur Strömung, um ein weites Abtreiben zu verhindern.

Wasser und Schweiß klebten Greg Williams’ Kleidung am Körper fest. Der Himmel war wolkenlos. Unbarmherzig brannte die Sonne herab. Die Flussoberfläche gleißte wie flüssiges Silber im grellen Licht.

Greg sah die braune Flut der Rinder in den trockenen, mit gelbem Gras bestandenen Hügeln am nördlichen Ufer verschwinden. Der Gedanke, dass der Flussübergang bald geschafft war, erfüllte ihn mit Erleichterung. Wogende Rücken schoben sich an ihm vorbei. Wasser spritzte ihm ins Gesicht. Er wendete seinen Braunen und trieb ihn durch die Furt zum rückwärtigen Ufer.

Oben auf dem Hügelkamm tauchten die letzten Herdennachzügler auf. Greg ließ sein Lasso über dem Kopf kreisen.

„Hüüüüyaaaah!“, brüllte er mit einer Stimme, die heiser vor Staub und Anstrengung war. „Hüüüyaaaah! Hinab mit euch, ihr lahmen Tanten! Los, los, immer vorwärts!“

Er jagte das Rudel den Hang hinab. Unten gischtete wieder das Wasser auf und hüllte ihn in einen feinen Sprühregen. Verschnaufend brachte er sein Pferd im seichten Wasser zum Stehen.

Drüben in den öden Hügeln nördlich des Flusses dröhnten die zwölftausend Rinderhufe. Eine hohe gelbe Staubwolke wehte vor dem Blau des Firmaments. Dann glaubte Greg plötzlich das Krachen von Schüssen zu hören. Mit angespannter Miene beugte sich Greg im Sattel vor und lauschte.

Es waren keine Revolverschüsse, mit denen die Weidereiter ausbrechende Stiere zurückschreckten – es war unverkennbar das Krachen von Gewehren.

Fast gleichzeitig stellte Greg fest, dass sich das Donnern der Hufe steigerte. Die letzten Longhorns verschwanden in der breiten Lücke in den Hügeln. Eine Staubfahne trieb schräg über den gleißenden Fluss.

„Vorwärts!“, knurrte Greg und spornte, seinen Gaul an.

Das Wasser spritzte hoch auf. In der Flussmitte musste das Pferd schwimmen. Dann fand es wieder festen Grund unter den Hufen und näherte sich schnaubend dem Nordufer. Gregs Gedanken waren bei Lee Torrence und dessen Komplizen.

War dies der Überfall, von dem der Vormann und Brod in jener lange zurückliegenden Nacht bei Austin gesprochen hatten? Heiße Erregung durchpulste Greg.

Als er sein Pferd aus dem Wasser trieb, merkte er, dass sich das Tempo der Herde verdreifacht hatte. Die Rinder standen dicht vor einer Stampede! Und noch immer war das Peitschen von Gewehren durch das dumpfe Hufegrollen zu vernehmen!

Greg machte sein Lasso am Sattelhorn fest und langte nach dem Spencer Karabiner, dessen glatter Kolben aus dem staubüberpuderten Scabbard ragte.

Von der Seite preschte ein Reiter aus dem stickigen gelben Staubwehen heraus.

„Greg!“, krächzte er. „Höllenfeuer, da bist du ja, Greg! Ich dachte schon, sie hätten dich erwischt!“

„Mike! Was ist los?“

Der alte graubärtige Cowboy zog schon wieder seinen Gaul herum. Über die Schulter zurück brüllte er: „Indianer, Greg! Comanchen! Sie wollen die Herde in Stampede jagen, diese rothäutigen Halunken!“

Dann verschluckte ihn bereits wieder die Wolke aus Staub, die zwischen den Hügeln quirlte.

Greg galoppierte hinter ihm her. Neben ihm waren brüllende Rinder, die mit gesenkten Schädeln und hochgereckten Schwänzen nach Norden donnerten. Sie rannten so schnell, dass es Gregs Braunen Mühe kostete, Schritt zu halten. Die Erde schien unter den Tausenden von stampfenden Hufen zu zittern.

Die Comanchen hatten erreicht, was sie wollten: Die Herde war in Stampede gefallen! Dreitausend Longhorns, die nicht mehr zu halten waren, die in wilder, mörderischer Panik dahinstürmten – eine tödliche Walze für jedes Hindernis, das sich ihnen in den Weg stellen sollte.

Durch den dichten Staub sah Greg plötzlich das Flammen von Schüssen. Die Detonationen gingen im Gedröhn der dahinstürmenden Herde unter.

Schattenhafte Reitergestalten jagten hin und her. Greg holte den Karabiner aus dem Scabbard. Im vollsten Galopp riegelte er eine Patrone in den Lauf. Rechts von ihm brachen auf einmal zwei geduckte Reiter aus den Hügeln hervor. Der Staubschleier zerfetzte.

Sekundenlang sah Greg zwei braune verzerrte Gesichter über flatternden Mustangmähnen. Die Münder waren aufgerissen, aber das gellende Geschrei versank ebenfalls im tosenden Lärm der Stampede.

Im nächsten Moment klatschte etwas wuchtig neben seinem Oberschenkel in den schweren McClellan Sattel. Aus den Augenwinkeln sah Greg den gefiederten Schaft eines vibrierenden Pfeils, riss das Gewehr hoch und feuerte.

Ein Indianermustang brach nach vorne ein, überschlug sich, und sein Reiter verschwand im dichten Staub. Der zweite Comanche riss seinen Gaul herum. Ein Feuerstrahl raste auf Greg zu. Er hörte das Pfeifen der Kugel über sich, repetierte blitzschnell und zog nochmals den Abzugshebel durch.

Mit hochgeworfenen Armen kippte der Indianer seitlich vom jagenden Pferd.

„Gut gemacht, Amigo!“, schrie jemand dicht neben Greg durch den brandenden Lärm.

Er riss den Kopf herum und sah Old Mike Tipstones ledernes Gesicht durch den Staubschleier schimmern. Die hellen Augen des Alten blitzten scharf. Er schwang eine langläufige Volcanic Rifle über seinem Kopf und preschte Steigbügel an Steigbügel neben Greg an der Herde entlang.

„Weißt du“, drang seine krächzende Stimme verschwommen an Gregs Ohr, „woran mich das erinnert? Es ist genau wie damals …“

Greg nickte grimmig.

„Wie damals in Missouri, als du noch ein junger Hüpfer warst!“

Tipstone starrte ihn entgeistert an.

„Menschenskind, Junge, kannst du Gedanken lesen?“

Greg wurde einer Antwort enthoben. Von vorne sprengte ein Reiter in gerader Richtung auf sie zu. Gregs Lippen wurden schmal, als er abermals den Karabiner hob und den Kolben an die Schulter presste.

Im letzten Moment erkannte er Black Noel. Der lange Negerkoch hing schief im Sattel einer hochbeinigen Stute. Sein ebenholzschwarzes Gesicht war mit gelbem Staub gepudert. Aufgeregt rollte er die Augen.

„Alle guten Geister!“, krächzte Tipstone. „Noel, solltest du nicht auf dem Küchenwagen sein?“

Der Koch lenkte keuchend neben ihnen die Stute herum. Er zitterte am ganzen Körper und starrte Greg, der ihm am nächsten war, verzweifelt an.

„Massa Williams!“, brachte er mühsam hervor. „Schnell, Massa Williams, schnell – ich fleh’ Sie an, Massa Williams!“

„Angst vor den Indsmen, Noel! Sie werden nicht …"

„Nicht das! Nicht das!“, Noel fuchtelte verzweifelt mit einer Hand durch die Luft.

„Es geht um Miss Mary!“

Mit einem Schlag wurde Gregs Gesicht steinhart. Er griff der Stute des Kochs hart in die Zügel.

„Miss Mary? Was ist mir ihr?“ Gregs Herz klopfte wie rasend.

Noel deutete schwitzend und keuchend nach vorne, wo die Herdenspitze vom Staub verhüllt wurde.

„Auf dem Küchenwagen! Sie hat mich auf dem Wagen abgelöst, Massa Williams, damit ich mich um die Remuda kümmern sollte. Und jetzt …“ Der Schwarze schluchzte es fast, „… jetzt kann der Wagen jeden Augenblick von der Herde überrannt werden. Die Stampede …“

Greg hörte schon nicht mehr. Er warf Old Mike einen flammenden Blick zu.

„Oldtimer, bleib hier bei der Herde und gib auf die Comanchen acht!“

Er wartete keine Entgegnung ab, gab seinem Braunen die Sporen und legte sich weit nach vorne auf den Pferdehals. Er konnte an nichts anderes mehr denken als an das Mädchen, das da vorne in den Hügeln jede Minute unter die tödlichen Hufe der erschreckten Longhorns geraten konnte!

*

Mary Lockwood saß mit kreidebleichem Gesicht auf dem Sitzbrett des Planwagens und hielt die langen Zügel krampfhaft in den schmalen Händen. Vor ihren Augen waren die staubbedeckten Rücken der vier Gespannpferde, die in wildem Galopp nordwärts in die Hügel hineinstoben. Hinter ihr tobte der Lärm der näherrückenden Herde.

Der Wagen schaukelte und ächzte. Hinten unter dem Planendach polterten Kisten, Töpfe und Pfannen klirrten durcheinander.

„Schneller!“, schrie Mary verzweifelt. „Um Himmels willen, schneller!“

Schaum flockte vor den Nüstern der Pferde. Links und rechts gab es keine Möglichkeit zum Ausweichen. Da waren steile Hügelhänge mit verfilztem dürren Büffelgras. Die Pferde rannten mit flatternden Mähnen dahin. Die Sielen waren zum Zerreißen gestrafft. Knirschend mahlten die hohen Räder durch Sand und dürres Gras.

Mary wagte nicht mehr, nach hinten zu schauen. Das anchwellende Donnern sagte ihr genug! Die Stampede holte auf! Hinter ihr rollte eine vernichtende Flut unaufhaltsam näher. Die Last des Wagens war zu groß, dass ihr die Zugpferde entkommen konnten.

Nur noch wenige Minuten, dann würden die ersten Rinder links und rechts vom Fahrzeug auftauchen, dann würden die schweren stampfenden Leiber gegen den Wagen drücken – wie eine tödliche Zange. Sie wagte kaum zu denken, was dann passieren würde. Alles in ihr bäumte sich dagegen auf, dieses schreckliche Ende zu finden!

„Weiter!“, gellte sie den Pferden zu. „Immer weiter, ihr Braven, schnell!“

Sie sah die Peitsche neben sich auf dem Sitzbrett liegen. Eine Hand löste sich von den Zügeln und langte nach dem kurzen Stiel.

Das linke Vorderrad geriet in eine grasverdeckte Mulde. Mit einem heftigen Ruck wurde die Achse herumgeschleudert. Mary schrie unwillkürlich auf. Einen Moment schien es, der Wagen würde das Gleichgewicht verlieren. Eine unsichtbare Riesenfaust schien dem Mädchen die Zügel aus der Hand zu reißen.

Dann jagte das Gefährt auf vier Rädern weiter dahin. Mary streckte eine Hand aus, um die davonwirbelnden Zügel zu fassen, musste sich jedoch im nächsten Moment am Sitzbrett festklammern, um nicht vom schlingernden Wagen geworfen zu werden. Mit geweiteten Augen starrte sie auf die vier Gäule, die jetzt ohne Kontrolle vor der donnernden Herde herjagten.

Das Schlingern nahm an Heftigkeit zu. Mary hatte das schreckliche Gefühl, eine riesige Faust kralle sich um ihre Kehle. Jeden Augenblick konnte das Fahrzeug umkippen!

Die gelben Hügel flogen vorbei. Das Dröhnen der Hufe füllte schmerzhaft ihre Ohren. Dann hörte sie rechts am Wagen ein lautes Schaben. Mühsam wandte sie den Kopf.

Und da sah sie einen schweren Stierschädel mit weitgeschwungenen Hörnern neben dem Planendach auftauchen. Die Herde hatte sie eingeholt!

In dem Augenblick, da sich Mary Lockwood verloren gab, drang eine heisere wilde Männerstimme durch den ohrenbetäubenden Lärm.

„Halten Sie sich fest! Festhalten! Ich helfe Ihnen!“

Sie glaubte, nicht recht zu hören. Automatisch kam sie der Aufforderung nach und krampfte die Hände noch fester um das Sitzbrett des heftig schwankenden Gefährts. Schräg von der Seite kam ein Reiter auf sie zugefegt. Der Staub war zu dicht, dass sie ihn erkennen konnte.

Ein Gewehrschuss peitschte. Der Stier, der sich neben den Wagen geschoben hatte, brach zusammen. Wieder blitzte es über dem Pferdehals auf, und wieder sackte ein Rind aufbrüllend zusammen. Die gestürzten Körper behinderten für etliche Augenblicke die Flut der nachstürmenden Rinder.

*

Diese Zeitspanne benutzte der Reiter, um dicht neben den Planwagen zu kommen.

„Nur ruhig, Miss Mary, ganz ruhig!“

Der entsetzte Blick des Mädchens traf in Greg Williams’ staub und schweißverschmiertes Gesicht. Sie sah, wie er im vollsten Galopp die Füße aus den Steigbügeln zog und die Hände aufs Sattelhorn stützte.

Sie ahnte, was er plante, und öffnete die Lippen zu einem warnenden Schrei. Sie brachte jedoch keinen Ton hervor.

Und schon schnellte Greg durch die Luft – vom Pferderücken auf den Bock des wild dahinrasenden Küchenwagens zu. Erschrocken schloss Mary die Augen.

Dann merkte sie eine Bewegung neben sich, blickte auf und sah den Cowboy neben sich stehen, eine Faust am Stützrahmen des Planendaches festklammernd, die andere nach der Seitenlehne des Sitzbrettes tastend. Gregs braunes Pferd preschte mit schlingernden Steigbügeln neben dem Fahrzeug her.

Gregs Faust löste sich jetzt vom Planendach. Er hielt sich nur am Sitzbrett fest und neigte den Oberkörper tief hinab, um die schleppenden Zügel zu fassen. Mary sah eine Bodenvertiefung heranfliegen – das rechte Vorderrad sauste genau darauf zu.

„Vorsicht!“, gellte sie entsetzt.

Der Ruck kam, die Pferde rannten weiter, und für eine entsetzliche Sekunde hingen alle vier Wagenräder in der Luft.

Mary presste sich gegen die Rückenlehne und erwartete, Greg unter den Hufen und Rädern verschwinden zu sehen.

Er kam hoch, hielt die Zügel in die Rechte gekrampft und setzte sich neben sie.

„Irgendwie schaffen wir es schon!“, keuchte er heiser. Der Schweiß zeichnete Rinnen in die Staubschicht auf seinem Gesicht.

Die Rinder hatten wieder aufgeholt. Gehörnte Schädel tauchten links und rechts auf. Eine Hornspitze schlitzte die Segeltuchplane auf. Ein schwerer Körper drückte gegen die Bordwand des Wagens. Yard um Yard schoben sich die Rinder vor, der Halbkreis um das Fahrzeug schloss sich enger, dann waren schließlich die vordersten Rinderrücken auf gleicher Höhe mit den dahinstiebenden Zugpferden.

Greg zerrte an den Zügeln, um die Gäule unter Kontrolle zu bringen. Es hing jetzt alles davon ab, das Tempo genau der Herdenstampede anzupassen. Aber das war keine Dauerlösung! Die Pferde hielten nicht mehr lange durch. Vielleicht noch zwei oder drei Minuten, dann würden sie zurückfallen. Und unweigerlich prallten dann die nachstürmenden Rinder gegen das Fahrzeug, würden es zu Fall bringen und dann …

Greg führte den Gedanken nicht zu Ende. Den Blick starr geradeaus gerichtet, sagte er gepresst zu Mary: „Holen Sie die Zündhölzer aus meiner Hemdtasche hervor!“

„Ich verstehe nicht …“

„Tun Sie, was ich sage!“, befahl er knurrend.

Ihre grauen Augen waren in einer Mischung aus Besorgnis und Erstaunen auf ihn geheftet, als sie die Schwefelhölzer aus der Tasche zog. Mit einer Hand hielt sie sich noch immer am Sitzbrett fest. Jetzt, da Greg die Pferde wieder in der Gewalt hatte, schlingerte der Planwagen nicht mehr so gefährlich. Dafür nahm der malmende Druck der Rinderleiber zu. Wieder war das Ratschen des zerfetzenden Segeltuchs zu hören. Ein Horn riss Holzsplitter aus der Bordwand.

Gepresst befahl Greg: „Zünden Sie die Wagenplane an, Mary!“

Sie fuhr zurück.

„Aber das ist doch …“

Er schaute sie mit einem wilden Ausdruck in den dunklen Augen an.

„Wollen Sie nun überleben oder nicht?“

Sie presste die Lippen zusammen und riss ein Schwefelholz an. Erst beim dritten fing die Wagenplane Feuer. Knisternd lohten die gelben Flammen auf. Der Fahrtwind trieb sie in rasender Eile rückwärts über das Planendach. Funken flogen durch die Luft.

Mary hatte entsetzt den Kopf gedreht. Mit einer Hand klammerte sie sich an Gregs Schulter fest, die Finger krallten sich tief ins Fleisch. Sein Gesicht war merkwürdig grau, von dunklen Linien durchfurcht.

„Sehen Sie nicht hin!“, sagte er heiser.

Sie spürten den wabernden Anprall der Hitze. Das Wagendach brannte lichterloh.

Links und rechts drängten die Rinder vom Wagen weg, stießen gegeneinander und brüllten wild. Einige Tiere stürzten und wurden von ihren Artgenossen gnadenlos niedergetrampelt.

Greg hatte beide Füße fest gegen das Trittbrett gestemmt.

Er entdeckte einen sanftanschwingenden Hang und lenkte das Gespann mit hartem Zügeldruck und heiseren Zurufen darauf zu.

Vor dem brennenden Wagen wich die Masse der Rinder auseinander. Durch die enge Gasse erreichte das Fahrzeug den Hang. Die Herde blieb dahinter zurück, und schreiend jagte Greg die Gäule den Hügel hinauf.

Mit dröhnenden Hufen fegten die Pferde auf der anderen Seite hinab, dann brachte sie Greg in einer grasbewachsenen Senke zum Halten.

Er ließ die Zügel fallen, riss Mary in die Höhe und schnellte mit ihr vom Bock. Sie stolperte und stürzte ins dürre Büffelgras.

Greg hatte sich schon wieder abgewandt und zerrte mit bloßen Fäusten die Überreste der brennenden Plane von den Gerüstrahmen.

Die Flammen hatten bereits auf die linke Bordwand übergegriffen. In fieberhafter Hast holte Greg eine dicke Wolldecke aus dem Wagenkasten und schlug schwitzend und keuchend das Feuer aus. Dann ließ er erschöpft die Decke zu Boden fallen, stand mit hängenden Schultern schweratmend da und starrte auf den Wagen, dessen Inhalt mit verkohlten Planenresten überstreut war.

Das Skelett des Wagendaches hob sich angeschwärzt vor dem Hintergrund des blauen Himmels ab. Die Gäule standen mit hängenden Köpfen und rührten sich nicht. Schaum tropfte von ihren Nüstern.

„Eine knappe Sache!“, murmelte Greg und wandte sich dem Mädchen zu.

Sie kauerte noch immer im Gras. Der Nachglanz des Entsetzens lag in ihren grauen Augen. Nichts mehr von ihrer alten kühlen Selbstsicherheit war zu bemerken. Das blonde Haar hing ihr zerzaust ins Gesicht.

Mit steifen Schritten ging er zu ihr und half ihr auf die Füße. Plötzlich begann sie am ganzen Körper zu zittern. Ihre Lippen bewegten sich tonlos.

Er zog sie sachte an sich. Ihr Kopf ruhte an seiner Brust. Er streichelte ihr zart über das seidige Haar. „Nur ruhig, ganz ruhig! Wir haben es ja überstanden!“

Jenseits des Hügels donnerte noch immer die Stampede, der sie mit knapper Mühe entkommen waren. Das Geräusch wurde leiser. Staubgeruch trieb über den Hang.

Mary wurde ruhiger. Sie hob den Kopf und schaute Greg ins Gesicht. Ihr Körper war weich und nachgiebig an ihn geschmiegt. Heiße Erregung durchflutete ihn jäh. Er presste sie fester an sich. Ihr Gesicht mit den klaren Augen und den vollen fruchtroten Lippen war ihm ganz nahe.

Er beugte sich nieder und küsste sie.

Ihre Lippen erwiderten warm den Druck seines Mundes. Dann versteifte sich plötzlich ihre Haltung. Sie bog heftig den Kopf zurück und riss sich von ihm los. Zorn blitzte in ihren Augen auf.

„Was fällt Ihnen ein, Williams!“

Die Überraschung lähmte ihn einen Augenblick. Sie holte blitzschnell aus und schlug ihm die flache Hand ins Gesicht. Ihr schmales Gesicht war glutrot. Ihre Brust wogte unter der dünnen Bluse.

Sie schien ihm noch schöner als vorher. Er machte einen Schritt auf sie zu.

„Mary!“ Seine Stimme war rau.

„Rühren Sie mich nicht an, Williams!“, rief sie schrill.

In seinen Schläfen hämmerte es. Er streckte die Hände aus, um sachte ihre Arme zu fassen.

Da wurde er von hinten an der Schulter gepackt und herumgerissen. Ehe er noch irgendwie reagieren konnte, erwischte ihn eine Faust unterm Kinn …

*

Er hatte den Eindruck, eine Pulverladung explodiere vor seinem Gesicht. Er sah einen Kreis wirbelnder Funken. Dann merkte er, dass er im Büffelgras lag. Sein Kinn schmerzte. Die Zähne zusammengebissen, stützte er sich auf die Ellenbogen und starrte hoch.

Vor dem Hintergrund des schwarzen Planendachgerüstes und des gelben Hangs sah er Clay Dillons eckiges grimmiges Gesicht. Der stämmige Cowboy stand breitbeinig vor ihm, die Fäuste leicht angewinkelt, und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf ihn nieder.

„Los, steh auf, Williams!“

Greg erhob sich. In seinem Kopf brummte es.

„Dillon, bist du verrückt geworden?“, keuchte er heiser.

„Verrückt?“, knurrte Dillon wütend. „Dir werd’ ich es schon zeigen, wie sich ein Mann zu benehmen hat, wenn …“

„Aber …“

Da war Clay Dillon schon wieder bei ihm. Greg sah die schwere Faust heransausen und duckte sich blitzschnell. Der Hieb radierte über seine linke Schulter weg. Greg warf sich nach vorne, rammte seine Schulter gegen Dillons Brust, und als der Weidereiter zurücktorkelte, zog er einen kurzen schnellen Haken hoch.

Dillon stolperte und prallte hart gegen die Bordwand des Küchenwagens. Zornig setzte Greg nach. Doch Dillon hatte sich schon wieder gefasst, blockte Gregs Schwinger ab und kam mit einer Behendigkeit, die man seiner schweren Figur nicht zugetraut hätte, an Gregs rechte Seite.

Greg wirbelte herum – mitten in Dillons Gerade hinein.

Er hatte das Gefühl, der Boden würde ihm unter den Füßen weggezogen. Er landete auf dem Rücken, schmeckte Blut auf den Lippen und schnellte wieder hoch.

„Aufhören!“, schrie Mary Lockwood. „Schluss damit, hört endlich auf!“

Aber jetzt hatten beide alles andere vergessen. Die Erregung des Kampfes hatte sie wie ein schlimmes Fieber gepackt.

Greg täuschte einen Angriff vor, und als Dillon wie erwartet zur Seite wich, traf ihn Greg zweimal kurz hintereinander. Dillons Einsteckungsvermögen war groß. Der Mann war ein abgebrühter Kämpfer. Er schüttelte sich, zog den Kopf tiefer zwischen die breiten Schultern und rammte Greg die geballte Rechte gegen den Leib.

Greg schnappte nach Luft und warf sich zur Seite. Um Haaresbreite verfehlte ihn Dillons Haken. Greg taumelte gegen seinen Gegner und klammerte sich an seiner Schulter fest. Mit einer halben Drehung riss sich Dillon los. Gregs Griff zerrte ihm halb die ärmellose Jacke von der Schulter. Etwas Helles klirrte zu Boden.

Dillon schlug nach Greg und wich zwei Schritte zurück. Greg hatte sich wieder gefangen und wollte nachsetzen. Da fiel sein Blick auf den blinkenden Gegenstand, der aus der Innentasche von Clay Dillons Weste gefallen war.

Er blieb wie erstarrt stehen.

Da lag ein fünfzackiger Marshalstern im Sand zwischen den geknickten dürren Halmen!

*

Es kostete Greg Mühe, den Blick von dem Abzeichen loszureißen. Seine und Dillons Augen begegneten sich. Keiner sagte ein Wort. Beide starrten einander nur an. Dillons Gesicht war verschlossen, seine grauen Augen blickten steinhart.

Greg glaubte, eine stählerne Klammer legte sich plötzlich um seine Brust. Das Atmen wurde ihm schwer. Er vergaß die Schmerzen an den Stellen, wo Dillons harte Fäuste ihn getroffen hatten. Unwillkürlich dachte er an jenen trüben grauen Morgen bei Fort Worth zurück, als Sheriff Shaw mit der Nachricht von Rick Carneys Tod ins Camp gekommen war.

Dillon machte eine Bewegung, und Gregs Rechte zuckte, um zum Colt zu greifen. Doch Dillon hatte den Blick von ihm abgewandt, bückte sich stumm nach dem Marshalabzeichen und verstaute es wieder in der Westeninnentasche.

Das Schnauben eines Pferdes ließ sie beide herumfahren.

Lee Torrence war unbemerkt in die Senke gekommen. Er saß mit vorgezogenen Schultern im Sattel, und in seinen Augen glühte es wild.

Für Greg gab es keinen Zweifel, dass Torrence den Marshalstern ebenfalls gesehen hatte. Der Vormann verlor jedoch kein Wort darüber. Sein hageres Gesicht wurde ausdruckslos, als Greg und Dillon ihn anschauten.

Er sagte trocken: „Wenn ihr mit eurer Unterhaltung fertig seid, dann nehmt eure Pferde und kommt mit. Die Arbeit wartet.“

„Was ist mit der Herde, Lee?“, fragte Mary schnell.

Greg musterte sie von der Seite. Sie tat, als sei nichts geschehen. Ihre anmutige Gestalt war gestrafft. Nichts mehr von der Wärme und Sanftheit, die sie vorhin für etliche Sekunden gezeigt hatte, war mehr an ihr.

Torrence schnippte mit Daumen und Mittelfinger. „Wir hatten Glück, Miss Mary. Die Herde ist zum Stehen gekommen.“

Die Rancherstochter sog scharf den Atem ein. Jetzt schien sie nur noch an ihre Aufgabe zu denken, die dreitausend Longhorns sicher nach Dodge City zu bringen. Sie fragte: „Wie habt ihr das nur geschafft, Lee?“

Der Vormann lächelte dünn.

„Allein hätten wir das kaum fertiggebracht, Miss Mary. Wir sind zu wenig Leute dafür.“

„Jemand hat euch geholfen?“

„Yeah! Eine Schar Büffeljäger ist aufgetaucht – ein glücklicher Zufall! Wer weiß, wie es jetzt ohne diese Männer aussehen würde.“

„Kennen Sie die Leute, Lee?“

„Nein! Aber sie scheinen recht zuverlässig. Ihr Anführer ist ein gewisser Brod Slakeson.“

Als Torrence den Vornamen „Brod“ nannte, schrillte in Gregs Gehirn ein Alarmsignal. Alles in ihm verkrampfte sich jäh.

Torrence warf ihm einen scharfen Blick zu. Es sah wie Zufall aus, dass seine rechte Hand auf den Kolben seines Revolvers gestützt war. Aber Greg war überzeugt, dass Torrence ihn sofort niederschießen würde, wenn er jetzt nur ein einziges verkehrtes Wort äußerte.

Torrence redete schnell weiter: „Wir müssen jetzt nur noch eines tun: die versprengten Rinder zusammenholen.“

„Also gut, machen wir uns an die Arbeit!“, nickte Mary entschlossen. Dann fiel ihr noch etwas ein: „Und die Comanchen?“

„Die sind verschwunden. Das Auftauchen der Büffeljäger wird sie abgehalten haben, sich den Großteil der Herde zu schnappen. Es wäre allerdings gut, wenn wir ein wenig Ausschau nach ihnen hielten.“ Er drehte sich Greg zu.

„Nimm dir einstweilen ein Wagenpferd, Williams. Einen Sattel findest du auf dem Fahrzeug. Du kommst mit mir. Dillon, Sie bringen Miss Mary zu den anderen und kümmern sich dann zusammen mit Old Mike um die Herde. Noel soll den Wagen holen.“

Greg wartete darauf, was Dillon tun würde. Der Gedanke, dass dieser Mann in Wirklichkeit ein Marshal war, erfüllte ihn mit wachsender Unruhe.

Wusste Dillon über ihn vielleicht längst Bescheid und wartete nur, bis sie in Dodge City ankamen, um ihn dann zu verhaften? Damals am Brazos hatte Dillon ihm zweifellos das Leben gerettet, als die Kinross Crew im Camp gelauert hatte. Aber jetzt brachte es Greg nicht mehr fertig, darüber Dankbarkeit zu empfinden.

Dillon kam wortlos Torrences Befehl nach. Er führte sein Pferd heran und half Mary schweigend in den Sattel. Torrences verkniffener Blick folgte ihm. Greg fragte sich unbehaglich, was jetzt wohl im Gehirn des Vormannes vorging.

Dann trieb Torrence langsam seinen Gaul auf Greg zu.

„Hast du nicht gehört, Mann, was ich vorhin sagte? Wir werden zusammen Ausschau nach den Indsmen halten. Beeil dich also!“

Seine Stimme war ungeduldig, seine Rechte noch immer auf den Revolver gestützt.

Greg begriff, dass jetzt nur noch ein winziger Schritt bis zur großen Entscheidung war. Wortlos ging er zu den Wagenpferden, das Hufestampfen von Lee Torrences Pferd dicht hinter sich.

*

Im Schatten eines hohen Dogwood Gestrüpps zügelte Torrence sein Pferd und wartete, bis Greg Williams auf gleicher Höhe mit ihm war. Das Sattelleder jankte, als er sich bequem auf dem Gaul zurechtsetzte. Er griff in die Brusttasche seines Hemdes, holte sein Rauchzeug hervor und drehte sich mit flinken Fingern eine Zigarette.

Mit zusammengepressten Lippen starrte ihn Greg an. Das selbstsichere Auftreten des Vormanns erfüllte ihn mit dumpfem Groll. Schieflächelnd blickte Torrence auf.

„Nun, Williams, du hast doch die Sache durchschaut, oder?“

„Dieser Slakeson und seine angeblichen Büffeljäger sind deine Kumpane, wie?“, fragte Greg heiser.

Torrence nickte grinsend und schob die Zigarette in den Mundwinkel.

„So ist es, Williams! Ich bin froh, dass du vernünftig bist und vorhin geschwiegen hast.“

„Ich fürchte, Torrence“, erklärte Greg rau, „damit ist es vorbei!“

„Rede keinen Unsinn, Mann! Ich hab’ dich mitgenommen, um dir ein Geschäft vorzuschlagen. Um die Comanchen brauchen wir uns nicht mehr zu kümmern. Die haben sich längst aus dem Staub gemacht.“

Er holte Streichhölzer hervor und zündete seine Zigarette an. Genießerisch sog er den Rauch ein.

„Also, hör zu, Williams! Bis jetzt stehst du zwischen den Fronten. Wir können aber einen zusätzlichen Mann zum Herdentreiben nach Dodge brauchen. Ich …“

„Ein solches Angebot kannst du dir sparen, Torrence!“, unterbrach ihn Greg kalt.

„Nicht so eilig, Amigo! Für dich würde ein schöner Gewinn dabei herausspringen. Zur Zeit werden gute Preise in Dodge City gezahlt. Zwanzig Dollar pro Rind. Bei dreitausend Tieren sind das sechzigtausend Bucks!“

„Eine fette Beute, das gebe ich zu.“

Torrence stieß eine blaue Rauchwolke zwischen den Zähnen hervor.

„Für mich geht es um noch viel mehr!“, sagte er großspurig. „Wenn dieser Coup vorbei ist, werde ich der Besitzer der Lockwood Ranch sein.“ Er grinste breit. „Verstehst du, Williams? Deshalb habe ich das alles eingefädelt. Deshalb habe ich mich mit dem alten Allan Lockwood angefreundet und zwei Jahre als Vormann für ihn gearbeitet. Jetzt werde ich den Lohn für zwei Jahre biederen Lebens kassieren!“

Er schnippte lässig die Asche von seiner Zigarette.

„Wenn Mary die Herde verliert, ist sie erledigt. Dann bleibt ihr nichts anderes übrig, als die Ranch zu verkaufen. Und zwar an mich – gegen einen Bruchteil der Sechzigtausend, die wir für die Rinder bekommen.“

„Eine Rechnung, die typisch für dich ist, Torrence!“, knurrte Greg grimmig. „Aber hast du auch daran gedacht, dass Mary dir einen Sheriff auf den Hals hetzen kann?“

„Dazu werde ich ihr keine Gelegenheit geben! Wenn sie mit dem Leben davonkommen will, wird sie alles schön schriftlich festlegen müssen – damit offiziell alles seine Ordnung hat. Auch die Übereignung der Herde!“ Er lachte leise.

„Und du meinst wirklich, dabei mache ich mit?“, stieß Greg wild hervor. „Du irrst dich, Torrence!“

„Wenn dich der Gewinn nicht lockt, muss ich dich an deinen Steckbrief erinnern, Williams!“

Greg biss sich auf die Unterlippe.

Da war es wieder! Jener Revolverkampf im Big Bend lastete wie ein Fluch auf ihm!

„Nun?“, grinste Torrence lauernd. „Damit sind dir die Hände gebunden, wie? Mein Junge, sei vernünftig, du hast in keiner Beziehung eine Chance gegen uns!“

In Gregs Gesicht arbeitete es.

„Wir werden jetzt zu den anderen reiten“, bestimmte Torrence und warf die halbgerauchte Zigarette fort, nachdem er sie am Sattelknauf ausgedrückt hatte.

„Und was auch geschieht, du wirst dich nicht einmischen! Mehr verlange ich gar nicht von dir!“

„Du verlangst damit schon zu viel!“

Lee Torrences Miene wurde eiskalt.

„Ist es dir lieber, wenn ich dafür sorge, dass du als Mörder am Galgen landest? Williams, sei kein Dummkopf! Du kannst Mary Lockwood nicht mehr helfen. Du hast bereits zu lange geschwiegen!“

Die Worte gaben Greg einen Stich. Torrence hatte recht! Er hatte zu lange geschwiegen! Und damit traf ein Teil der Schuld auch ihn. Dumpfe Verzweiflung erfüllte ihn jäh. Er drängte den Gedanken an die zweitausend Dollar, die auf seinen Kopf ausgesetzt waren, zurück.

*

„Noch ist es Zeit, etwas dagegen zu tun!“, stieß er scharf hervor, riss sein Pferd herum und langte gleichzeitig zum 45er Colt.

Da fuhr Torrences Faust in die Höhe. Ein Revolver lag wie hingezaubert in seinen Fingern – Torrence musste ihn schon die ganze Zeit über versteckt vor sich auf dem Sattel gehalten haben.

Gregs Waffe war erst halb aus dem Holster, als ihm Torrences Mündungsfeuer entgegenstach.

Die rasche Bewegung des struppigen Rinderpferdes rettete Greg. Torrences Kugel fuhr dem Tier mitten in den Schädel. Der Gaul knickte in die Vorderbeine und stürzte zur Seite.

Greg bekam gerade noch die Stiefel aus den Steigbügeln. Er flog durch die Luft, überschlug sich am Boden, rollte noch ein Stück und blieb benommen liegen, Hufe stampften auf ihn zu.

Das Gesicht zerschrammt und staubverschmiert, warf er sich auf die Seite. Seine Hand zuckte zur Holster. Sie war leer! Der 45er war ihm während des harten Sturzes herausgerutscht und lag irgendwo im Gras – unerreichbar für ihn.

Nur vier Schritte von Greg entfernt hielt der Verbrecher sein Pferd an. Aus eiskalten Augen schaute er auf den Cowboy nieder. Sein Revolver zielte genau auf Gregs Stirn. Seine verkniffenen Mundwinkel verzogen sich zu einem bösen Lächeln.

„Well, Williams, du hattest zwei Möglichkeiten. Nur ein Narr wie du konnte die schlechtere wählen!“

Der Revolver ruckte in seiner Faust.

Greg gab sich verloren.

Das Krachen des Schusses hallte in seinen Ohren. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf Torrences Rechte. Der Revolver war plötzlich aus ihr verschwunden und wirbelte durch die Luft. Torrence stieß einen heiseren Schrei aus. Während er noch die geprellte Hand schlenkerte, riss er mit der Linken an den Zügeln.

Sein Pferd drehte sich. Torrence wollte ihm die Sporen in die Weichen drücken, da sagte eine harte Stimme hinter den Dogwood Sträuchern hervor: „Glauben Sie nur nicht, Torrence, dass die Kugel nur zufällig Ihr Schießeisen erwischt hat! Wenn Sie es darauf an legen, sitzt Ihnen mein nächster Schuss mitten zwischen den Augen!“

Torrence fluchte und erstarrte. Hinter den Büschen kam ein Reiter hervor, einen langläufigen Navy Colt auf den Banditen gerichtet. Es war Clay Dillon.

*

Greg richtete sich auf. Er wollte nach seinem Colt suchen, doch Dillon befahl energisch: „Keine Bewegung, Williams! Bleiben Sie, wo Sie sind!“

„Aber ich …“

„Rühren Sie sich nicht! Sie haben gesehen, wie schnell und sicher ich mit dem Eisen bin!“

Greg schluckte trocken.

„Ich dachte, Dillon, Sie hätten gehört, was eben gesprochen wurde.“

„Natürlich! Aber das bedeutet noch lange nicht, dass Sie ein sauberes Gewissen haben, Williams. Ich erinnere mich nur zu gut an Ihr Verhalten, das Sie zeigten, als Sheriff Shaw aus Fort Worth damals in unser Camp kam.“

Greg biss die Zähne zusammen und schwieg. Er sah, dass Dillon seinen Stern jetzt offen an der Jacke trug, und die alte Bitterkeit wurde wieder in ihm lebendig.

Torrence hatte die Hände auf dem Sattelhorn verschränkt und schaute Dillon verkniffen an. Er murmelte gepresst: „Dich hatte ich vergessen, Mann! Der Teufel soll dich holen!“

„Ihr Pech, Torrence, dass ich es auf Williams abgesehen hatte!“, sagte Dillon.

„Nachdem ich mich von ihm als Gesetzesreiter erkannt sah, wollte ich seine Flucht verhindern. Ich ahnte nicht, dass ich Sie dabei als Verbrecher entlarven würde, Torrence! Nehmen Sie die Hände hoch!“

Torrence gehorchte widerwillig.

„Ich verstehe das nicht ganz!“, murrte er. „Warum hast du dich als Cowboy getarnt dieser Crew angeschlossen?“

„Allan Lockwood war ein alter Bekannter von mir“, erklärte Clay Dillon.

„Die Schwierigkeiten, die ihr ihm machtet, begannen schon unten auf seiner Ranch bei San Antonio, nicht wahr? Well, Lockwood ahnte, dass es auf dem Chisholm Trail noch schlimmer werden würde. Er rief mich deshalb um Hilfe. Und solange wir nicht wussten, wer seine Feinde eigentlich waren, beschlossen wir, meine Identität geheimzuhalten.“

„Weiß Mary davon?“

„Nein, aber sie wird es gleich erfahren!“

„Wenn es dann nur nicht zu spät ist“, dehnte Torrence lauernd.

„Überlassen Sie das ruhig mir!“

„Natürlich, Marshal!“, knurrte Torrence spöttisch. „Nur zu!“

Dillon lenkte sein Pferd näher. Er befahl: „Steigen Sie vom Pferd, Torrence!“

„Wieso? Ich …“

„Steigen Sie ab! Sie werden zu Fuß vor mir hergehen! Sie und Williams!“

„Zum Geier! Dillon, ich sage dir, es wird dir bald sehr leid tun, dich auf diese Sache eingelassen zu haben!“

„Keine Reden! Herunter vom Gaul!“ Torrence zog einen Fuß aus dem Steigbügel und hielt sich am Sattelknauf fest. Er tat, als wolle er sich vom Pferd gleiten lassen. Plötzlich stockte er.

„Vorsicht, Dillon!“, brüllte er. „Williams schießt!“

*

Der Ruf kam so überraschend, dass der Marshal unwillkürlich den Revolver auf Greg herumschwenkte.

„Nicht, Dillon!“, gellte dieser.

Blitzartig warf sich Torrence auf der anderen Seite vom Pferd. Das Tier wollte schrill wiehernd ausbrechen, doch Torrence bekam mit der Linken die Zügel zu fassen. Die andere Hand schloss sich um den Kolben des Winchester Gewehrs, der aus dem Scabbard ragte.

Greg konnte seinen Colt nirgend in der Nähe entdecken. Ohne zu zögern, rannte er los. Clay Dillon spornte inzwischen seinen Gaul an und versuchte, Torrence in die Flanke zu kommen. Er jagte einen Warnschuss aus seinem Colt. Torrences Gaul bäumte sich erschreckt auf. Der Vormann ließ die Zügel nicht los und zerrte das Pferd herum, so dass es wieder zwischen ihn und den Marshal kam.

Greg erschien die Entfernung zwischen ihm und dem Verbrecher noch schrecklich weit. Während er wie ein Tiger vorwärtsschnellte, schrie er heiser: „Das Pferd, Dillon! Schießen Sie sein Pferd nieder!“

Da hatte Torrence seine Winchester aus dem Scabbard bekommen!

Clay Dillons Navy Colt spie einen neuen Feuerstrahl. Doch der Bandit hatte seinen Gaul losgelassen, und das Tier fegte schnaubend davon. Dillons Kugel fetzte an Torrence vorbei in das dunkelgrüne Blattwerk der Dogwood Sträucher.

Zur gleichen Zeit flog Torrences Gewehr an die Schulter.

Greg war nur noch wenige Schritte von ihm entfernt.

„Nein, Torrence!“, brüllte er verzweifelt und stieß sich mit beiden Füßen vom Boden ab.

Er prallte in dem Moment, da die Mündungsflamme aus Torrences Gewehrlauf raste, gegen den Verbrecher. Sie stürzten beide zu Boden.

Greg konnte nicht feststellen, ob Torrence getroffen hatte. Er glaubte noch immer den Hall des Schusses in den Ohren zu hören. Wie besessen, versuchte er Torrence zu fassen. Dieser schlug mit dem Gewehr nach ihm. Der Kolben traf Gregs Schulter und warf ihn auf den Rücken.

Er rollte herum und sah Dillon noch im Sattel sitzen.

„Schnell, Marshal, kommen Sie!“, keuchte er. Im nächsten Moment bemerkte er entsetzt den großen dunklen Fleck auf Clay Dillons Hemdbrust. Das eckige Gesicht des Reiters hatte sich aschgrau gefärbt. Er versuchte, die Faust mit dem Colt nochmals in die Hände zu bekommen. Da verließ ihn die Kraft. Er kippte seitwärts vom Pferd.

Greg entdeckte aus den Augenwinkeln einen Schatten über sich. Geistesgegenwärtig schnellte er sich zur Seite. Torrences Gewehrkolben sauste mit voller Wucht an ihm vorbei und trieb eine Staubwolke aus der trockenen Erde.

Scharf einatmend rammte Greg seine Stiefel gegen Torrences Beine. Eine Wildheit, wie er sie noch nie gespürt hatte, loderte in ihm auf.

Torrence verlor das Gleichgewicht, stürzte, und die Winchester rutschte über die zertrampelte Grasfläche. Torrence fluchte krächzend und holte, noch am Boden liegend, ein Messer aus seinem Hemdausschnitt hervor. Die Klinge blitzte gefährlich im grellen Sonnenlicht.

Torrences Faust holte zum Wurf aus.

Da bekam Gregs Rechte einen harten Gegenstand zu fassen: den Kolben seines 45ers.

Er schwang die Waffe hoch, während er sich blitzschnell auf die Knie stemmte, und Torrence erstarrte mitten in der Bewegung. Zum erstenmal sah Greg Furcht in den Augen des Verbrechers.

Torrence ließ das Messer fallen. Er streckte abwehrend beide Hände aus.

„Nein, Williams, nein!“, schnaufte er. Sein Gesicht verfärbte sich. Sein Blick hing wie gebannt an Gregs schussbereitem Colt.

Greg erhob sich vollends. Aus den Augenwinkeln sah er Dillon mit dem Gesicht nach unten im halbverdorrten Büffelgras liegen, reglos und verkrümmt. Gregs Augen glühten. Langsam ging er auf den Mörder zu.

Torrence, noch immer am Boden, schüttelte verzweifelt den Kopf. „Nein! Tu es nicht, Williams! Nicht!“

Drei Schritte vor ihm blieb Greg stehen.

Seine eigene Stimme kam ihm fremd und tonlos vor. „Steh auf, Torrence!“

Lee Torrence stand auf. Er atmete flach und stoßweise. „Williams, du wirst doch nicht schießen. Mann, das wirst du doch nicht tun!“

Allmählich glättete sich Gregs Gesicht. Er spie verächtlich aus.

„Jetzt zeigst du deine wahre Natur, Torrence! Ich wusste ja schon immer, dass du ein ganz elender Lump bist! – Los, hol mir Dillons Pferd! Wir machen uns auf den Weg zu den anderen!“

Die Schultern verkrampft, ein Flackern in den Augen, gehorchte der Verbrecher.

*

Kurze Zeit später kamen sie aus den gelben Hügeln heraus und hatten eine endlose sonnenverbrannte Grasebene vor sich. Die Herde hatte sich über die riesige Fläche hin verstreut. Eine rötliche Staubwolke wölbte sich unter dem tiefblauen Firmament. Überall waren grasende Rinderrudel zu sehen. Vereinzelte dunkle Flecken huschten davor hin und her und brachten die Longhorns in Bewegung: die Reiter, die die Herde sammeln wollten.

Eine halbe Meile entfernt stand der angekohlte Küchenwagen. Black Noel war eben dabei, ein neues Planendach über das Gerüst zu ziehen.

Greg zwang Torrence, der zu Fuß vor ihm herging, auf den Wagen zuzuhalten. Aus der mächtigen Staubfahne, die schwerelos über der Steppe lagerte, lösten sich drei Reitergestalten. Sie erreichten den Wagen, hielten an und stiegen aus den Sätteln.

Dann vernahmen sie den Hufschlag von Gregs Pferd und drehten sich wie auf ein geheimes Kommando gleichzeitig um. Greg schaute in stoppelbärtige finstere Gesichter. Eines davon erkannte er sofort – ein Gesicht mit einer gezackten Narbe auf der rechten Wange. Das war Brod Slakeson!

Slakeson knurrte seinen Begleitern etwas zu. Sie sprangen von den Gäulen weg und senkten ihre Hände auf die Kolben der tiefgeschnallten Colts.

Greg zielte mit dem 45er auf Torrences Genick und rief scharf: „Lasst eure Eisen nur stecken, sonst geht es eurem Freund schlecht!“

Torrence wollte anhalten, aber Greg befahl ihm weiterzugehen. Die drei Banditen tauschten funkelnde Blicke. Slakeson sagte leise wieder etwas, was Greg nicht verstand. Erst als sie auf gleicher Höhe mit dem Küchenwagen waren, befahl Greg seinem Gefangenen stehenzubleiben.

„Schnallt eure Gurte ab!“, befahl er den Desperados.

Slakeson bewegte seine kräftigen Schultern. Gegen das grelle Sonnenlicht blinzelte er Greg lauernd an.

„Dir hat wohl die Sonne das Gehirn ausgedörrt, was? Komm, mein Junge, steig schön brav vom Pferd und lass dir ein paar kalte Umschläge machen!“

„Das hat Zeit bis nachher!“, erwiderte Greg trocken. „Zuerst schnallt ihr ab – oder es knallt!“

In diesem Augenblick trat Mary Lockwood hinter dem Küchenwagen hervor. Sie hielt ein Gewehr in den Händen, und die Mündung zielte auf Greg.

*

„Es ist genug, Williams!“, sagte sie kalt. „Werfen Sie Ihren Colt weg.“

Gregs Lippen wurden ganz schmal. Eine Falte erschien zwischen seinen Augenbrauen.

„Miss Mary! Lassen Sie mich erklären …“

„Das ist nicht notwendig, Williams! Ich weiß Bescheid!“

Slakeson grinste seinen Komplizen heimlich zu. Torrence ließ die erhobenen Arme sinken.

Er keuchte hastig: „Was Ihnen dieser Schuft auch erzählen will, Miss Mary – glauben Sie ihm kein Wort.“

„Wo ist Dillon, Lee?“

„Dillon?“, schnaufte der Vormann. „Williams hat ihn erschossen – heimtückisch über den Haufen geschossen, dieser verwünschte Schurke!“

Mary Lockwood wurde blass. Das Gewehr in ihren Händen zitterte leicht.

„Darüber werden Sie Rechenschaft geben müssen, Williams!“, sagte sie tonlos.

„Ich hab’ ihn nicht mehr daran hindern können!“, redete Torrence überstürzt weiter. „Und jetzt will er mir diese Schuld in die Schuhe schieben! Deshalb …“

„Torrence!“, unterbrach ihn Greg gepresst. „Noch ein Wort …“

Mary rief heftig: „Schluss mit Ihren Drohungen. Williams! Glauben Sie nur nicht, dass ich nur bluffe! Sie sollten mich inzwischen besser kennen!“

Die Minute, da er sie in seinen Armen gehalten und geküsst hatte, war wieder ganz deutlich für ihn. Er schaute in ihre vor Empörung und Entschlossenheit blitzenden Augen, und ein bleierner Druck breitete sich in seiner Magengrube aus.

Er versuchte es nochmals. „Miss Mary, Torrence lügt! Ich habe nicht …“

Sie schüttelte den Kopf.

„Es hat keinen Sinn mehr für Sie, Williams!“, erklärte sie leise. Im Hintergrund ihrer Stimme schwang ein Hauch bitterer Enttäuschung.

„Dillon hat mir, bevor er euch folgte, seinen Verdacht gegen Sie mitgeteilt! Sein Tod nützt Ihnen nichts mehr, Williams! Ich werde dafür sorgen, dass Sie kein Unheil mehr stiften! Und jetzt werfen Sie endlich Ihre Waffe fort!“

Sein Herz klopfte in harten Stößen. Fieberhaft suchte er nach einer Möglichkeit, dem Mädchen kurz alles klarzumachen. Es war sinnlos. Während er nochmals zum Sprechen ansetzte, peitschte Marys Gewehr.

Die Kugel pfiff dicht an Gregs Kopf vorbei. Blitzschnell repetierte das Mädchen, und schon zielte der Gewehrlauf wieder auf Greg.

„Wollen Sie mich wirklich dazu zwingen, Sie vom Pferd zu schießen?“

Aufseufzend ließ Greg seinen 45er ins Gras klatschen. Brod Slakeson grinste jetzt übers ganze Gesicht. Seine beiden Kumpane holten ihre Revolver heraus. Torrence machte, dass er schnell aus Gregs Nähe kam. Droben auf dem Bock des Küchenwagens stand Black Noel und beobachtete fassungslos und mit geöffnetem Mund die ganze Szene.

„Das haben Sie gut gemacht, Miss Mary“, sagte Torrence zu der Rancherstochter. „Williams, los, ’runter vom Gaul! Jetzt läuft das Spiel in umgekehrter …“

Er kam nicht weiter. Greg sah, dass Mary das Gewehr gesenkt hatte, und ließ sich geschmeidig auf ihrer Seite, die den Revolvern der Banditen abgewandt war, aus dem Sattel gleiten.

Nach Indianerart hing er seitlich am Pferd, eine Hand um den Sattelknauf gekrampft und nur einen Fuß im Steigbügel.

„Yaaaahuuuu!“, gellte er dem Pferd in die Ohren.

Der Gaul schnellte aus dem Stand in Galopp. Die trommelnden Hufe rissen Staubspiralen hoch.

Torrence schrie wild: „Schießt! Höllenfeuer, so schießt doch endlich!“

Das Pferd fegte an Mary Lockwood vorbei. Sie schwang das Gewehr hoch, der Schuss peitschte, aber die Kugel strich über den leeren Sattel weg. Dann bellten die Revolver der Banditen. Erschrocken merkte Greg, wie ein Zucken durch den gestreckten Pferdeleib ging, und erwartete, dass das Tier im nächsten Moment zusammenbrechen würde.

Das Pferd rannte jedoch weiter, und dann hatten sie bereits den Küchenwagen zwischen sich und den Gegnern. Durch das Stakkato der Hufe drang Slakesons Gebrüll: „Auf die Pferde, verflucht noch mal! Lasst den Kerl nicht entkommen! So beeilt euch doch!“

Greg nahm sich nicht die Zeit zurückzuschauen. Die rötliche Erde mit der dünnen verdorrten Grasnarbe schien unter ihm wegzufliegen. Staub hüllte ihn ein. Hinter ihm war das Krachen der Schüsse verstummt.

Ein merkwürdig schaler Geschmack füllte Gregs Mundhöhle. Er war wieder der Gehetzte, der Mörder, auf dessen Kopf zweitausend Dollar ausgesetzt waren! Er hatte im letzten Moment versucht, Torrences heimtückischen Plan zu durchkreuzen – aber es war zu spät gewesen.

Völlig ahnungslos musste er das Mädchen zurücklassen. Und wenn sie durch die Banditen ruiniert wurde, war er mitschuldig. Flüchtig dachte er daran umzukehren. Aber ohne Waffen war das glatter Selbstmord. Und überdies würde Mary Lockwood ihm nur mit der Waffe in der Hand gegenübertreten!

Zähneknirschend zog er sich in den Sattel und schaute über die Schulter. In dichtgeschlossener Kavalkade kamen die Verfolger herangefegt.

Als er sich wieder nach vorne wandte, stellte er fest, dass es kein Entrinnen mehr gab! Eine breite Reiterfront war aus dem wehenden Staub aufgetaucht und versperrte ihm den Weg: der Rest von Slakesons Banditencrew.

*

Entschlossen, auch die letzte Möglichkeit auszuschöpfen, riss Greg sein Pferd zur Seite und versuchte, aus der tödlichen Zange zu entwischen. Doch der Schuss, der den Gaul vorhin gestreift hatte, forderte jetzt seinen Zoll. Das Tier wurde langsamer und begann zu stolpern.

Und von zwei Seiten rückte das Hämmern der Hufe immer näher.

Greg konnte jetzt schon die angespannten Gesichter über den Pferdehälsen erkennen. raue Rufe drangen durch das Hufgetrappel. Revolverläufe richteten sich auf ihn.

Dann krachte der erste Schuss.

Nur wenige Handbreit vor seinem abgehetzten Gaul klatschte die Kugel in die Erde. Wiehernd prallte das Pferd zurück, knickte in die Hanken und wirbelte die Vorderhufe durch die Luft. Greg riss den Oberkörper nach vorne und umkrampfte fest die Zügel.

Ein dünnes Zischen war plötzlich über ihm. Er wollte sich flach auf den Pferdehals werfen, da ließ sich das Tier auf die Vorderhufe zurückfallen. Der heftige Ruck ging durch Gregs ganzen Körper.

Und dann hatte sich die Lassoschlinge bereits um seinen Oberkörper gelegt. Die Arme wurden ihm straff an den Leib gepresst. Das Pferd schnellte vorwärts, und das Lasso straffte sich. Greg ließ die Zügel los. Die Füße wurden ihm aus den Steigbügeln gerissen.

Er sauste durch die Luft. Dann kam der harte Aufprall. Stechender Schmerz durchzuckte ihn. Wie aus weiter Ferne hörte er den rauen Triumphschrei eines Banditen. Ringsum war Staub und Hufgetrommel. Pferde schnaubten, Gebissketten klirrten und Sattelleder knarrte.

Er wollte sich herumrollen und die Schlinge abstreifen. Aber da war schon wieder der straffe Druck. Mit dem Rücken nach unten wurde er über den Boden gerissen. Seine Haut brannte. Das Hemd zerfetzte. Über ihm wurde das Himmelsblau von rötlichem Staub verschleiert.

Das Tempo wurde schneller. Geschrei und rasende Hufschläge dröhnten in seinen Ohren. Dann war da nur noch ein dumpfes Rauschen, das alle anderen Geräusche überdeckte. Er fühlte kaum noch den Schmerz. Sein Kopf prallte wuchtig gegen einen im Gras verborgenen Stein, und plötzlich wurde es schwarz vor seinen Augen.

„Schießt doch! Worauf wartet ihr noch, ihr feigen Halunken! Na los, los schießt endlich!“

Die krächzende Stimme des alten Tipstone drang verschwommen durch Gregs Benommenheit. Er fühlte, dass er im Gras lag. Sein Körper schmerzte, aber der Druck der Lassoschlinge war nicht mehr vorhanden. Mühsam drehte er den Kopf und öffnete die Augen.

Gegen das grelle Sonnenlicht blinzelnd, sah er Mike Tipstone und Black Noel vor dem Küchenwagen stehen. Das knochige Gesicht des Kochs wirkte merkwürdig fahl, Schweiß perlte auf seiner Stirn. Tipstones wasserblaue Augen glitzerten in wildem Zorn. Sein struppiger grauer Bart zuckte. Er hatte den Oberkörper vorgebeugt, seine Hände waren geballt. Greg sah, dass der Revolver in seiner Holster fehlte.

„Habt ihr nicht gehört?“ schrie er heiser. „Macht es doch kurz, ihr Lumpenkerle!“

„Torrence“, hörte Greg Brod Slakesons Stimme, „warum sollen wir ihm den Wunsch nicht erfüllen?“

„Lass dich nicht herausfordern, Brod!“, sagte der Vormann kalt. „Fesselt die Kerle. Wir nehmen sie als Gefangene mit.“

„Ich finde, dass das eine unnötige Belastung ist. Wir …“

„Es sind noch viele Meilen bis Dodge City, Brod. Wer weiß, wer uns unterwegs noch begegnet. Es ist immer gut, wenn wir über Geiseln verfügen.“

Stiefel scharrten dicht neben Greg. Eine andere Stimme sagte: „Er ist wieder bei Bewusstsein.“

Kräftige Fäuste packten Greg und zerrten ihn halb in die Höhe. Als er saß, verschwamm wieder alles vor seinen Augen. Die Schmerzen wurden stärker. Jemand drückte ihm den Hals einer Wasserflasche an den Mund. Er trank in langen Zügen. Kühles Nass rann über sein Kinn.

Sein Blick wurde klarer. Mary Lockwoods blasses Gesicht war dicht vor ihm. Ihre Augen musterten ihn besorgt.

„Danke!“, würgte Greg hervor, als sie die Flasche absetzte.

„Williams“, sagte das Mädchen stockend. „Williams, es tut mir so leid. Ich … ich …“ Sie war völlig verstört. Ihre Lippen zuckten.

Hinter ihr tauchten Torrence und Slakeson auf. Die anderen Banditen legten Tipstone und Noel Fesseln an. Torrence knurrte finster: „Mary, es ist nicht notwendig, dass Sie diesen Burschen bedauern.“

Mary erhob sich. Ihr Blick wurde kalt, als sie den Vormann anschaute.

„Sie glauben, Lee, dass Sie bereits gewonnen haben. Vielleicht ist das ein Irrtum!“

Torrence grinste schief.

„Es ist alles zu gut eingefädelt. Machen Sie sich nur keine Hoffnungen mehr.“

Mühsam richtete sich Greg auf. Er wankte etwas. Sein Blick brannte sich an Torrences kantigem Gesicht fest.

„Es ist also so weit, wie? Sie haben aufgehört, Theater zu spielen!“

„Genau! Alles hat wie am Schnürchen geklappt. Jetzt gehört uns die Herde und bald auch die Lockwood Ranch.“

„Williams“, sagte Mary schnell. „Sie wussten davon?“

Greg wich ihrem flammenden Blick aus. „Ja!“, gestand er tonlos.

Mary atmete scharf ein.

„Wie hängt das alles zusammen? Und warum hat Dillon Sie verdächtigt, Williams? Sie haben ihn doch nicht erschossen, oder?“

„Nein, das war Torrence. Mary, ich werde steckbrieflich als Mörder gesucht. Torrence wusste das und konnte mich damit zum Schweigen erpressen. Ich wollte zuletzt versuchen, seinen Plan zu vereiteln. Es war zu spät.“

Das Mädchen schaute ihn unverwandt an. Torrence sagte höhnisch: „Es stehen zweitausend Dollar auf seinen Kopf! Die werden wir uns zusätzlich zum Herdenerlös verdienen.“

Greg merkte, dass sich Mary abdrehen wollte. Er rief schnell: „Warten Sie, Mary!“

„Was ist noch?“ Ihre Stimme klang müde.

Er schaute ihr fest in die hellgrauen Augen. „Mary“, murmelte er rau, „Sie sollen eines wissen: Ich habe den Mord, dessentwegen ich gejagt werde, nicht begangen!“

Torrence lachte hässlich.

Mary zögerte. Schließlich sagte sie leise und tonlos: „Ich glaube Ihnen!“

„Zu Ende?“, fragte Torrence kalt. „Dann können wir uns ja miteinander befassen, Williams, nicht wahr?“

„Was haben Sie mit ihm vor?“, rief Mary hell.

Torrence wandte den Blick nicht von Greg, als er gepresst erwiderte: „Zwischen uns steht seit meiner New Mexico Zeit noch eine Rechnung offen! Und diese Rechnung ist inzwischen noch angewachsen. Es wird Zeit, dass sie beglichen wird. – Williams, du verstehst mich doch?“

*

Er legte die Hand auf den Revolverkolben.

„Lee!“, rief Mary schrill. „Das dürfen Sie nicht tun, Lee!“

„Sie halten sich da heraus!“, bestimmte Torrence schroff.

Er zog langsam die Waffe aus dem Holster. Mary wollte auf ihn zulaufen.

„Brod!“, knurrte Torrence. „Kümmere dich um sie!“

Slakeson packte Mary brutal bei den Armen und hielt sie fest. Sie wehrte sich verzweifelt.

„Loslassen! Lassen Sie sofort los!“

Slakeson lachte gemein. Die gezackte Narbe an seiner rechten Wange glühte.

„Lee!“, keuchte das Mädchen. „Sie haben doch alles erreicht, was Sie wollten! Es ist doch nicht nötig, dass Sie …“

„Geben Sie sich keine Mühe!“, unterbrach Torrence sie kalt. Er richtete den Revolverlauf auf Greg und spannte den Hammer. „Nun, Williams, wie fühlst du dich?“

Kalter Schweiß sickerte zwischen Gregs Schulterblättern hinab. Er sagte dumpf: „Wenn du erwartest, dass ich um Gnade flehe, dann täuschst du dich, Torrence!“

„Ich erwarte es nicht! Denn es würde dir nichts helfen, Williams, gar nichts!“

„Lee!“, rief Mary. „Sie sind eine Bestie! Mein Gott, dass mein Vater und ich Ihnen nur jemals vertrauen konnten!“

Torrence hörte nicht auf sie. Er trat ganz dicht an Greg heran und presste ihm die Revolvermündung an die Brust.

In diesem Augenblick rief Slakeson hastig: „Lee, die Indianer! Die Comanchen! Lee!“

Greg wartete darauf, dass Torrence den Kopf wenden würde. Und er war entschlossen, dem Verbrecher dann den Revolver aus der Faust zu reißen. Doch Torrence beging den Fehler nicht. Gleitend wich er einige Schritte rückwärts. Erst dann spähte er in die Ebene hinein.

Greg folgte der Blickrichtung, die Slakeson mit ausgestreckter Hand wies.

Außerhalb Gewehrschussweite hielt ein Reiterrudel – halbnackte bronzehäutige Gestalten mit langem pechschwarzem Haar. Gefärbte Adlerfedern leuchteten im Sonnenschein. Gewehrläufe und Pfeilspitzen blinkten. Die Indianer sprachen miteinander und spähten zu den Weißen herüber.

Torrence runzelte die Stirn.

„Sie sind zu wenig, um uns anzugreifen, Brod.“

„Trotzdem sollten wir zusehen, dass wir davonkommen. Als sie die Herde in Stampede jagten, haben wir ein paar von ihnen mit unseren Kugeln erwischt. Indsmen, die auf Rache aus sind, dürfen nicht unterschätzt werden!“

„Du hast recht, Brod. Well, Amigos, treibt die Herde zusammen. Wir brechen auf! Luke, schaff die Gefangenen auf den Wagen. Mary, Sie steigen ebenfalls auf – und versuchen Sie keine Dummheiten, sonst muss ich Sie auch binden lassen. Los, Leute, beeilt euch!“

Er spähte wieder zu den Comanchen hinüber, die ihre Mustangs noch an derselben Stelle verhielten. Hinter ihnen verschwamm die Linie des Horizonts in bläulichem Dunst.

„Vergiss deinen Freund Williams nicht!“, brummte Slakeson.

„Keine Sorge, Brod! Aber weißt du, eine Revolverkugel ist zu einfach für ihn.“

Grausamkeit malte sich auf Torrences verkniffener Miene. Sein Blick wanderte zwischen Greg und der Comanchenhorde hin und her. In Greg stieg eine beklemmende Ahnung auf. Seine Handflächen wurden feucht.

Slakeson knurrte finster: „Lee, du wirst doch mit ihm kein Risiko eingehen!“

„Risiko?“, lachte Torrence. Seine Mundwinkel verzogen sich hämisch. „Keineswegs. Das wird eine todsichere Sache!“

Seine Augen richteten sich stechend auf den Gefangenen. Er erklärte mit schwerer Betonung: „Williams wird nicht nur sterben, er wird uns gleichzeitig für eine Weile die Rothäute vom Leibe halten. Verstehst du, Brod? Wir lassen ihn hier zu Fuß und ohne Waffen zurück! Ich denke, die Comanchen werden viel Spaß daran haben, ihre Rachegefühle an ihm abzureagieren.“

Er lachte wieder, heiser und mit gehässigem Triumph.

Greg Williams begriff, dass er nicht nur die letzten, sondern auch die schlimmsten Minuten seines Lebens vor sich hatte.

*

Die Slakeson Banditen hatten die Herde in Bewegung gesetzt. In eine mächtige rote Staubwolke gehüllt, zogen die dreitausend Longhorns, von schnellen Reitern flankiert, in die endlose Ebene nördlich des Red Rivers hinein.

Mit hängenden Schultern, müde und zerschlagen stand Greg da und schaute dem mit einer neuen Plane überzogenen Küchenwagen nach, der in das dichte Wehen hineinrollte. Das dumpfe Getöse der stampfenden Rinderhufe verschluckte alle anderen Geräusche. Verschwommen bemerkte Greg eine heftige Bewegung auf dem Wagen. Eine schmale Gestalt war hochgeschnellt und versuchte, vom Bock abzuspringen. Am golden schimmernden Haar erkannte Greg Mary. Sie wurde brutal zurückgerissen.

Dann legten sich Staubschleier vor das Fahrzeug. Das weiße Planendach leuchtete noch einige Sekunden, schließlich war nichts mehr zu sehen. Das Grollen der Hufe wurde leiser wie ein abziehendes Gewitter.

Vor Gregs Augen stand noch immer die Szene, wie einer der Banditen Mary rücksichtslos auf den Wagen gezerrt hatte. Ihr Gesicht schien nahe vor ihm – ein Gesicht, dem Furcht und Sorge nichts von seiner natürlichen Schönheit nehmen konnten.

Plötzlich wurde Greg eines klar: Mary war nicht die kühle herrische Frau, als die sie sich meistens gegeben hatte. Sie hatte diese Rolle nur gespielt, um die Aufgabe zu meistern, die ihr nach dem Tod ihres Vaters zugefallen war. Sie war gescheitert. Und mit pochendem Herzen fragte sich Greg, welches Schicksal auf sie warten mochte.

Das harte Hämmern von Hufen machte den Sekunden seiner trüben Versunkenheit ein Ende. Er wandte hastig den Kopf.

Die Comanchen hatten ihre Mustangs vorangetrieben. Ohne Eile ritten sie näher, sich völlig ihrer absoluten Überlegenheit bewusst. Gewehrläufe blinkten über zottigen Pferdemähnen, Pfeile waren schussbereit auf Bogensehnen gelegt.

Gregs Schultern verkrampften sich. Das Getrappel der unbeschlagenen Hufe füllte schmerzhaft seine Ohren. Fieberhaft ließ er den Blick über die Grasfläche schweifen, in der verzweifelten Hoffnung, irgendwo eine achtlos zurückgelassene Waffe zu entdecken. Vergeblich!

Die Herde mit dem Planwagen war schon mehr als zwei Meilen entfernt, und die Indianer kamen in dicht geschlossener Gruppe unaufhaltsam näher. Sekundenlang dachte er daran, hier reglos auf sie zu warten, um alles schnell hinter sich zu bringen: Ein einsamer weißer Mann, waffenlos und in zerfetzter Kleidung, der keine Chance gegen die Übermacht der roten Reiter besaß.

Doch noch immer brannte der Wille zum Überleben in ihm. Ein wildes Gefühl, gegen das der klare Verstand unterlag. Nach all den höllischen Tagen, die seit jenem bitteren Revolverkampf im Big Bend hinter ihm lagen, bäumte sich alles in ihm dagegen auf, dieses Ende zu finden!

Während das Tappen der Hufe lauter wurde, warf er sich mit zusammengebissenen Zähnen herum und begann, zu rennen. Hinter ihm zitterte ein schriller Schrei durch das Klopfen der Hufe. Die Indianerpferde wurden schneller. Der Kriegsruf wurde aus den Kehlen der anderen Comanchen wiederholt.

Greg schaute schnell über die Schulter. Die Indianer waren ausgeschwärmt. Waffenschwingend sprengten sie in breiter Front heran.

Er hetzte keuchend weiter. Mit den hochhackigen Reitstiefeln fiel ihm das Laufen schwer. Sein Atem ging rasselnd. Das schwarze Haar klebte schweißnass an seinem Kopf. Vor seinen Augen schien sich die hitzeflimmernde Ebene zu heben und zu senken.

Nirgends gab es Deckung. Da war nur weites flaches Land, rötliche Erde mit verdorrtem Gras bewachsen, und darüber die blaue Kuppel des Firmaments mit dem riesigen Feuerball der Sonne. Und hinter ihm schwoll das Trommeln der Mustanghufe immer mehr an, das Geschrei der Indianer gellte schriller in seinen Ohren.

Jeden Augenblick war er auf das Peitschen des tödlichen Schusses gefasst. Und obwohl er genau wusste, wie sinnlos es war, rannte er noch immer – ein wehrloses Wild vor der Linie der erbarmungslosen Jäger.

Ein Schatten fiel über ihn.

Keuchend wandte Greg erneut den Kopf. Aus geweiteten Augen sah er den großen breitschultrigen Comanchen, der sich aus der Reihe der übrigen Reiter gelöst hatte und nur noch eine Pferdelänge hinter ihm war. Das breitflächige braune Gesicht mit den wildglitzernden schwarzen Augen prägte sich Greg überdeutlich ein.

Die rechte Faust des Indianers schwang einen Tomahawk empor.

Instinktiv warf sich Greg mitten im vollsten Lauf einfach zu Boden. Der Aufprall war hart, sein zerschundener Körper schmerzte. Schräg über ihm zerschnitt ein blitzender Gegenstand zischend die Luft.

Der Tomahawk verfehlte ihn. Die wirbelnden Mustanghufe waren zum Greifen nahe. Staub wolkte vor seinem Gesicht. Durch den zerflatternden Staub sah er den großen Comanchen nur wenige Yard vor sich.

Der Indianer bremste seinen Gaul so hart, dass das Tier in die Hanken knickte. Der Reiter wollte den Mustang mit hartem Ruck herumreißen, um den Weißen erneut anzugreifen.

Da handelte Greg bereits! Ehe das Pferd die Bewegung ausführen konnte, war Greg hinter ihm. Ein wilder, verzweifelter Satz – und er landete hinter dem Indianer auf dem Mustangrücken.

Der Comanche ließ die Zügel fallen, wirbelte herum, und da war wieder die blitzende Schneide seines Kriegsbeils schräg über Greg Williams’ Kopf!

Gregs geballte Rechte stieß wuchtig nach oben und erwischte den Indianer genau am Kinn. Die schwarzen Augen des Reiters wurden plötzlich starr. Lautlos kippte er seitlich vom Pferd ins verdorrte Gras.

Das Tier wollte zur Seite ausbrechen. Greg packte blitzschnell die Zügel und presste seine Schenkel eisern gegen den drahtigen Leib des Mustangs.

Gregs Schläfen brannten in heißer Erregung, als er merkte, dass der Gaul ihm gehorchte. Dann wurde er sich des brandenden Kriegsgeheuls bewusst, das dicht hinter ihm war. Er duckte sich tief auf den Mustanghals und schlug dem Tier die Stiefelabsätze in die Weichen.

Im nächsten Moment fuhr ihm ein Pfeil in die linke Schulter.

*

In zähflüssiger Langsamkeit bewegte sich die Longhorn Herde nordwärts durch das trockene Land – eine brüllende, dröhnende Flut aus Rinderleibern. Die Slakeson Crew hatte alle Hände voll zu tun, die Tiere beieinanderzuhalten. Von Tag zu Tag wurde die Herde unruhiger. Wasserläufe und Tümpel waren ausgetrocknet. Die Rinder waren durstig, und immer wieder, versuchten einzelne Rudel aus der großen Gemeinschaft auszubrechen.

Obwohl während dieser Tage die Bewachung der Gefangenen stark nachgelassen hatte, fanden Mary Lockwood, Mike Tipstone und Black Noel keine Gelegenheit zur Flucht. Ohne Pferde, Waffen und Proviant würden sie in der Weite des Indianerlandes verloren sein, und so war es besser, bei den Banditen zu bleiben – auch wenn sie ahnten, welches Schicksal diese skrupellosen Reiter am Ende des Trails für sie bereithielten.

Am Wolf Creek endlich fand die Herde Wasser, und die Gefahr einer neuen Stampede war vorerst gebannt. In flotterem Tempo ging es jetzt weiter – achtzehn bis zwanzig Meilen am Tag. Sie durchquerten den Canadian River und ließen Camp Supply hinter sich.

Am Rabbit Ear Creek gerieten sie in ein Gewitter, und diesmal war die Stampede nicht mehr aufzuhalten. Zwei Tage hatten sie anschließend zu arbeiten, um die verstreuten Tiere wieder zu sammeln.

Nach der Durchquerung des Cimarron war das Ziel schon verhältnismäßig nahe gerückt. Erregung bemächtigte sich der Gefangenen. Die Banditen wirkten aufgeräumter. Sie trieben die Longhorns noch rascher voran. Das Land war nun mit saftigem Gras bewachsen, überall blinkten Wasserläufe im satten Grün. Trotz des schnelleren Tempos setzten die Rinder Fleisch an.

Nachdem sie die Nachtlager am Snake Creek, Salt Creek, Bear Creek und Bluff Creek hinter sich gelassen hatten, erreichten sie den Mulberry Creek, von dem aus die Häuser von Dodge City im hitzeflimmernden Grasland zu sehen waren.

Lee Torrence ließ den Küchenwagen in den Schatten einer Gruppe Pecan Nut Bäume fahren und ein Camp aufschlagen. Nach all den zermürbenden Tagen und Wochen der Ungewissheit begriffen die Gefangenen, dass an diesem Ort die Entscheidung fallen würde.

*

Torrence lenkte sein Pferd dicht an Mary Lockwood heran, verschränkte die Hände auf dem Sattelhorn und blickte aus kalten Augen auf sie hinab. Hinter ihm, am Mulberry Creek, weideten friedlich die Rinder. Die ganze Bande war im Camp versammelt. Trotzdem war es totenstill.

Torrence deutete lässig zum Küchenwagen hinüber. Mike Tipstone und der Koch waren dort an den hohen Rädern festgebunden. Einige Schritte vor ihnen hatten ein paar Banditen Aufstellung genommen, jeder ein Gewehr oder einen Colt in der Faust.

Torrence sagte hart: „Well, Mary, die Entscheidung liegt bei Ihnen! Wenn Sie unterschreiben, ist alles in Ordnung, und wir lassen euch ziehen! Tun Sie es nicht, dann gebe ich meinen Leuten den Befehl, auf Mike und Noel zu schießen!“

Der Papierbogen in Marys Händen zitterte leicht. Die Rancherstochter schaute langsam zu den beiden letzten Männern ihrer Crew hinüber. Noel ließ den Kopf auf die Brust hängen. Der alte Tipstone starrte mit funkelnden Augen die Verbrecher an.

„Miss Mary“, fragte er mit seiner krächzenden Stimme, „was sollen Sie da unterschreiben?“

Torrence antwortete kalt an der Stelle des Mädchens: „Eine Urkunde, die mir den Besitz dieser Herde und der Lockwood Ranch garantiert!“

Tipstone spie zornig aus.

„Das sieht Ihnen ähnlich, Torrence! Ich wünsche nur, Sie müssen eines Tages dafür zahlen!“

„Du wirst es jedenfalls nicht mehr erleben, Alter!“, lächelte der Verbrecher höhnisch.

Tipstone zerrte grimmig an den Fesseln. Sie lockerten sich nicht. Er keuchte: „Miss Mary, tun Sie es nicht! Lassen Sie sich von diesem elenden Schurken nicht weichbekommen!“

„Tipstone, bist du wirklich so verrückt, dafür dein Leben zu opfern?“, knurrte Slakeson rau.

„Du kannst denken, was du willst, verdammter Bandit!“, zischte der graubärtige Cowboy. „Aber ich würde alles auf mich nehmen, um eure schmutzigen Pläne zu durchkreuzen! Miss Mary, denken Sie daran, dass Sie vor dem Nichts stehen, wenn Sie auf die Forderung dieses Verbrechers eingehen! Sie sollen nicht …“

„Lee, ein Wort, und ich bringe ihn zum Schweigen!“, rief Brod Slakeson scharf.

Torrence winkte kaltlächelnd ab.

„Vielleicht ist Tipstone schon zu alt, um noch den Tod zu fürchten. Aber wollen Sie wirklich schuld an seinem Tod sein, Mary? Und da ist auch noch Black Noel, nicht wahr? Der arme Kerl stirbt fast schon vor Angst!“ Torrence lachte leise.

„Wie kann ein Mann nur so gemein sein!“, flüsterte Mary.

Torrence zuckte die Achseln. „Das ist alles ein Geschäft für mich, nicht mehr. Mary, ich gebe Ihnen noch zehn Sekunden Zeit zum Nachdenken! Wenn Sie dann nicht unterschreiben, werden Mike und Noel sterben. Also?“

„Bringen Sie mir Feder und Tinte!“, antwortete das Mädchen tonlos.

„Nein!“, rief Tipstone. „Nein, tun Sie es nicht!“

„Luke!“, winkte Torrence zum Wagen hinüber.

Ein Desperado kam mit einem glatten Brett heran, auf dem eine Schreibfeder in einem Tintenglas steckte. „Wir haben für alles gesorgt!“, grinste er schief und blieb vor dem Mädchen stehen.

Einen flüchtigen Moment noch zögerte Mary, dann unterschrieb sie die Urkunde.

*

Hastig beugte sich Torrence vom Sattel herab und riss ihr das Papier aus den Fingern. Seine Augen leuchteten triumphierend.

„Brod, du kannst ihr Fesseln anlegen!“

Mary wich einen Schritt zurück.

„Was soll das? Ich dachte …“

Slakeson war schon hinter ihr und riss ihr rau lachend die Arme auf den Rücken.

Torrence wendete sein Pferd. Er sagte trocken: „Ich reite in die Stadt, Brod, und regle den Verkauf. Du weißt, was ihr inzwischen zu tun habt.“

„Okay, Lee!“ Mit schnellen geschickten Bewegungen schlang der narbige Bandit Lederriemen um Marys Handgelenke.

„Es muss wie ein Unfall aussehen, Brod!“

„Ich weiß, Lee, ich weiß!“

Das Begreifen trieb alle Farbe aus dem schmalen Gesicht Marys.

„Lee!“, gellte sie in aufflammendem Entsetzen. „Sie Teufel, das dürfen Sie nicht tun!“

Torrence verhielt sein Pferd. Sein Blick bohrte sich eisig in Marys Augen.

„Dachten Sie wirklich, ich würde euch lebend davonkommen lassen? Sie sollten doch inzwischen erkannt haben, dass ein Mann wie ich stets ganze Arbeit leistet!“

Sie brachte kein Wort mehr hervor. Zungenschnalzend trieb Torrence sein Pferd davon. Slakeson zerrte das Mädchen zum Küchenwagen hinüber.

Old Mike Tipstone murmelte: „Ich habe es geahnt! Von Anfang an habe ich das geahnt!“

Zum ersten Mal lag tiefe Hoffnungslosigkeit in seinem Tonfall.

*

Als Mary ebenfalls am Wagen festgebunden war, schleppte Slakeson ein kleines dickbauchiges Fass heran und rollte es unter das Fahrzeug. Die Augen der drei Gefangenen folgten seinen Bewegungen, und als sie die Zündschnur sahen, die vom Fass aus unter dem Wagen hervorlief, wussten sie, was auf sie wartete.

Slakeson grinste gemein.

„Pulver!“, sagte er rau. „Ein Trost bleibt euch: Ihr werdet nichts mehr spüren! Und für den Marshal von Dodge City wird es wie ein bedauerlicher Unfall aussehen!“

Er holte Streichhölzer hervor, riss eines an und hielt das Flämmchen an die Lunte. Ein roter Funken glühte auf. Er fraß sich langsam auf das Fass zu.

Slakeson drehte sich schnell den anderen Desperados zu.

„In die Sättel, Jungs! Wir treiben die Herde auf die andere Seite des Creeks! Beeilt euch, gleich wird es …“

Mitten im Satz verstummte er.

Sein Blick war auf den Reiter gefallen, der sein struppiges Pferd hinter den Stämmen der dichtstehenden Pecannuts hervorlenkte. Es war ein großer sehniger Mann in zerschlissener Kleidung. Ein notdürftiger Verband war um seine linke Schulter geschlungen. Das Gesicht des Mannes war staub und schweißverschmiert und von einem schwarzen Bart umrahmt. In seinen dunklen Augen brannte ein wildes Feuer.

Er hielt ein Gewehr an der Hüfte. Der Lauf wanderte langsam hin und her, so dass keiner der Banditen wusste, wen ein hervorbrechender Schuss treffen würde.

Slakeson schnappte hörbar nach Luft. Sein Gesicht färbte sich grau.

„Williams!“, keuchte er. „Williams! Nein, das gibt es nicht!“

„Doch“, sagte Greg mit einer vor Anstrengung heiseren Stimme. „Doch, ich bin es! Ihr werdet nicht auf eure Gäule steigen. Ihr bleibt!“

Ein Bandit ächzte: „Wie hat er es nur geschafft, den Comanchen zu entkommen!“

Greg lächelte mühsam. „Glück, Amigo! Glück und das Verlangen, euch einen Strich durch die Rechnung zu machen! So habe ich es sogar geschafft, mit einem Pfeil in der Schulter, den Roten zu entkommen. Eine Gruppe Büffeljäger hat mich wieder auf die Beine gebracht – zu eurem Bedauern, nicht wahr?“ Slakeson schielte schwer atmend nach der Lunte. Der Zündfunke war bereits in den Schatten des Planwagens eingetaucht.

Slakeson stieß wild hervor: „Menschenskind, Williams, sei vernünftig! Gleich fliegt hier ein Fass Schießpulver in die Luft! Wir werden alle …“

„Angst, Slakeson?“

Greg saß ganz ruhig auf dem Pferd. In der starren Maske aus Schweiß und dichtem Staub wirkte das Feuer in seinen dunklen Augen unheimlich.

Slakeson bewegte nervös die Schultern. „Es wird dich genauso erwischen, Williams! Dich und …“

„Ich habe verlernt, den Tod zu fürchten!“, erklärte Greg hart. „Und euch lasse ich nur eine Möglichkeit: Legt eure Schießeisen ab und ergebt euch!“

„Mann. Bist du verrückt? Wir sind zu acht, und du bist allein!“

„Wollt ihr kämpfen?“, fragte Greg mit beißender Kälte. „Dann müsst ihr euch beeilen! Die Zündschnur ist bald abgebrannt …“

Auf Slakesons Stirn erschienen dicke Schweißtropfen. Er schaute seine Komplizen an. Sie standen steif da, und in ihren Augen flackerte Angst. Keiner dachte daran, zur Waffe zu greifen. Greg Williams’ Gewehrlauf bewegte sich noch immer bedrohlich hin und her.

„Nun, Slakeson?“, fragte Greg mit unheimlicher Ruhe.

Der rote Funken hatte die Zündschnur über die Hälfte aufgefressen. Nur noch wenige Sekunden, dann musste er das pulvergefüllte Fass erreichen!

„Nein!“, schüttelte Slakeson wild den Kopf. „Williams, das kannst du doch nicht riskieren! So verrückt kannst du nicht sein!“

„Vielleicht bin ich es aber doch! Wenn du es herausfinden willst, wird es zu spät für dich sein, Slakeson!“

„Brod!“, schnaufte der Bandit neben Slakeson. „Brod, der Kerl macht ernst! Der ist zu allem fähig!“ Mit zitternder Hand zerrte er seinen Colt aus der Holster und schleuderte ihn ins Gras.

Die anderen folgten in panischer Furcht seinem Beispiel. Schließlich ließ Slakeson seine Schultern nach vorne fallen und warf seinen Revolver ebenfalls fort.

In Gregs bärtigem Gesicht bewegte sich kein Muskel.

„Jetzt zwölf Schritte nach rechts!“, befahl er hart.

„Williams!“, schnaufte Slakeson. „Die Zündschnur …“

„Zwölf Schritte, habe ich gesagt!“

Mit schweißüberströmtem Gesicht setzte sich Slakeson eilig in Bewegung. Die anderen Desperados kamen stolpernd und hastend ebenfalls Gregs Befehl nach.

Als sie außer Reichweite ihrer Waffen waren, jagte Greg sein Pferd auf den Planwagen zu. Die Hufe hämmerten dumpf. Nur noch wenige Handbreit war der Zündfunke vom Pulverfass entfernt.

Vor dem Wagen riss Greg das Pferd hart herum. Das Tier stolperte und wieherte schrill. Mit einem Panthersprung schnellte Greg aus dem Sattel, das Gewehr mit der Rechten umklammernd. Er landete federnd auf beiden Füßen. In seiner linken Faust tauchte plötzlich ein Messer auf.

Während das Pferd schnaubend sein Gleichgewicht fing und die Banditen erschrocken zu ihm herüberstarrten, warf sich Greg blitzschnell auf die Knie.

Der rote Funke war bis auf vier Zoll an das Pulverfass herangekommen. Gregs Arm schoss unter den Wagenkasten, die Messerklinge flirrte. Dann durchtrennte sie die Lunte, und der Zündfunke verglomm im Sand.

Sofort war Greg wieder auf den Beinen, und ehe die Verbrecher noch irgendeine Bewegung machen konnten, war sein Gewehrlauf wieder auf sie gerichtet. Mit einem gleitenden Seitenschritt kam er neben den alten Tipstone und schnitt seine Fesseln durch.

Der alte Cowboy massierte schnaufend seine Handgelenke. Er starrte Greg kopfschüttelnd an.

„So etwas habe ich noch nie erlebt, mein Junge! Auch nicht damals in Missouri!“

Die Starre war von Gregs Gesicht gewichen. Die Linien der Erschöpfung waren unverkennbar. Mit vor Anspannung zitternder Stimme fragte er schnell: „Wo ist Torrence?“

„Eben in die Stadt geritten!“, krächzte Old Mike. „Er hat …“

Greg drückte ihm hastig das Gewehr und das Messer in die Hände. Mit einer Kopfbewegung wies er auf die waffenlosen Banditen.

„Mit denen werdet ihr jetzt auch ohne mich fertig!“, sagte er und lief zu seinem Pferd.

„Greg!“, rief Tipstone. „Warte doch, Greg! Du kannst doch nicht alleine …“ Da saß Greg Williams bereits im Sattel und trieb sein Pferd zum Galopp an.

*

Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt, als Greg die ersten Häuser von Dodge City erreichte. Hitze flimmerte über der breiten Straße. Die Gehsteige und Veranden zu beiden Seiten lagen leer. Während dieser einen heißen Mittagsstunde ruhte das geschäftige Treiben, das Dodge City sonst während des ganzes Tages erfüllte.

Greg spürte die Erschöpfung wie mit Bleigewichten an seinen Gliedern. Schmerzwellen strahlten von der Pfeilwunde in seiner linken Schulter durch seinen ganzen Körper. Er hatte das Gefühl, jeden Augenblick vom Pferd zu stürzen. Doch er biss die Zähne zusammen und trieb seinen Gaul die Straße entlang. Erst wenn er Lee Torrence gestellt hatte, würde alles zu Ende sein. Erst dann konnte er sich Ruhe gönnen. Der Gedanke, dass er diese Aufgabe anderen Leuten überlassen konnte, kam ihm gar nicht.

Straßenabwärts sah er einen Reiter vor der hohen bemalten Fassade eines Saloons anhalten. Ein Strom neuer Energie durchflutete ihn, als er den ehemaligen Vormann der Lockwood Crew erkannte. Er trieb sein Pferd noch schneller voran.

Torrence stieg ruhig aus dem Sattel und schlang die Zügel um den glattgescheuerten Haltebalken. Er musste die

Hufschläge des näherkommenden Reiters zwar hören, achtete aber nicht darauf. Er war sich seiner Sache zu sicher! Ohne den Kopf zu wenden, stieg er die Verandastufen zum Salooneingang hinauf.

Greg war auf zehn Yard an den Saloon herangekommen. Er richtete sich in den Steigbügeln auf und schrie heiser durch das Pochen der Pferdehufe: „Torrence!“

Der Verbrecher stockte auf der obersten Stufe. Sein Oberkörper machte eine schnelle halbe Drehung. Als sein Blick auf den heranfegenden Reiter fiel, erstarrte er.

„Torrence“, rief Greg, „bevor du dir einen Drink genehmigst, musst du dich mit mir befassen!“

Er drosselte das Tempo des schweißbedeckten Pferdes und wartete darauf, dass der Bandit den Revolver ziehen würde.

Ein Zucken durchlief Torrences hagere Gestalt. Mit einem hastigen Sprung schnellte er auf die halbhohen Pendeltüren des Saloons zu. Greg zögerte, nach dem Colt zu greifen. Und schon war Torrence im Lokal verschwunden.

Greg hielt sein Pferd an und ließ sich aus dem Sattel gleiten. Wieder spürte er diese mächtige Müdigkeit. Der Gedanke, dass er sich vielleicht zu viel vorgenommen hatte, schoss ihm durch den Kopf. Aber er drängte diese Überlegung zurück.

Er trat von seinem Pferd weg in die Straßenmitte. Gleißendes Sonnenlicht umspülte ihn. Zerlumpt, verstaubt und bärtig stand er da, die Beine gespreizt, die Rechte niedrig über dem tiefgeschnallten Colt und die Augen funkelnd auf den Eingang des Saloons gerichtet.

„Komm heraus, Torrence! Du kennst mich doch gut genug, um zu wissen, dass du mich nicht abschütteln kannst!“

Drinnen blieb es still. Und die Schwäche in Greg breitete sich immer mehr aus. Das Verlangen nach Ruhe, Schatten und Stille steigerte sich von Sekunde zu Sekunde. Es kostete ihn Mühe, die Wachsamkeit nicht zu verlieren.

„Torrence!“, rief er nochmals. „Was du auch unternimmst – dein Spiel ist aus! Von der ganzen Bande bist nur du noch übrig. Also, komm endlich!“

Die Schwingtüren knarrten. Langsam schob sich die hagere Gestalt des Verbrechers in den Schatten unter dem Verandadach. Torrences Faust lag zum Ziehen bereit hinter dem Revolverkolben. Prickelnde Spannung hing in der Luft.

Eine Weile starrten die beiden Männer einander schweigend an.

Dann murmelte Torrence heiser: „Du hast allerhand erreicht, Williams, wie? Aber nun wirst du dafür bezahlen – mit deinem Leben!“

Greg sagte leise: „Wir sind gleich schnell, Torrence! Du solltest dir nicht zu sicher sein! Hör zu, Torrence, ich will deinen Tod nicht! Wenn du deinen Gurt abschnallst, werde ich dich zum Marshal bringen. Dann soll ein ordentliches Gericht über dein Schicksal entscheiden!“

Torrences verkniffene Mundwinkel verzogen sich hämisch.

„Du Narr!“, keuchte er wild. „Meinst du, ich würde dir gegenübertreten, wenn ich mir nicht absolut sicher wäre?“

Er hatte kaum zu Ende gesprochen, da sprangen hinter ihm zwei Männer aus dem Saloon. Und als Greg sie erkannte, glaubte er sekundenlang, keine Luft mehr zu bekommen.

*

Da droben auf der Saloonveranda standen Jim Kinross und der bärtige Tom Frazer neben Torrence. Kinross’ helle Augen glitzerten in heißem Triumph.

„Es hat sich also doch gelohnt, dass Tom und ich nicht aufgaben!“, rief er gepresst. „Torrence hatte Glück, dass er gerade in diesen Saloon kam, in dem wir uns aufhielten! Williams, glaubst du immer noch, dass diese Sache gut für dich enden wird?“

Greg wollte etwas sagen. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Ehe er ein Wort hervorbrachte, schrie Torrence wild: „Genug gesprochen! Williams, da hast du es!“

Greg sah die Waffe des Verbrechers aus dem Holster fliegen und zog ebenfalls.

Das Krachen der Schüsse rollte die leere sonnenbestrahlte Straße entlang. Einen Sekundenbruchteil hatte Greg früher geschossen. Torrence kippte vornüber die Verandastufen hinab.

Dann sah Greg, dass die Revolver von Kinross und Frazer auf ihn angeschlagen waren. Er warf sich auf die Knie. Über ihm sirrte es scharf. Pulverrauch wehte über der Saloonveranda.

Greg feuerte wie rasend, hörte einen rauen Schrei, sah wehenden Staub und Pulverrauch, sprang hoch und wurde sich plötzlich bewusst, dass auf der Saloonveranda kein Schuss mehr fiel.

Er wollte auf das Gebäude zugehen, doch in seinen Beinen war plötzlich keine Kraft mehr. Der Boden unter seinen Stiefeln schien zu wanken. Langsam und bedrohlich neigte sich die hohe Saloonfassade nach vorne – direkt auf ihn zu. Dann lag er ausgestreckt im Sand und wusste von nichts mehr.

*

Als Greg langsam aus seiner Benommenheit erwachte, spürte er den Druck einer schmalen kühlen Hand an den Schläfen. Er schlug die Augen auf, und über ihm, vor dem klaren Blau des Sommerhimmels und den Dächern von Dodge City, war Mary Lockwoods Gesicht.

„Bleiben Sie ganz ruhig liegen, Williams. Mike holt den Doc. Er wird gleich hier sein.“

„Was ist …“

„Es ist nur Ihre Pfeilwunde. Sie ist aufgebrochen. Keine Kugel hat Sie getroffen.“

„Die Banditen?“, murmelte Greg schwach.

„Sie haben sie besiegt, ganz allein! Torrence ist tot. Kinross und Frazer wurden eben verhaftet. Sie sind beide nur leicht verwundet.“

„Mary!“, keuchte Greg, und sein Gesicht verzerrte sich vor Anstrengung. „Sie müssen mich sofort aus der Stadt bringen! Ich bin …“

„Sie denken an Ihren Steckbrief? Keine Sorge mehr, Williams. Kinross und Frazer haben dem Marshal bereits gestanden, dass Sie in Wirklichkeit unschuldig sind, dass unten in Big Bend falsche Zeugenaussagen Sie auf die Flucht trieben. Williams, hören Sie, Sie sind kein Gehetzter mehr.“

Greg horchte ihren Worten nach, und eine wohlige Wärme breitete sich in ihm aus. Er schloss die Augen. Da hörte er Mary stockend sagen: „Es gibt da noch etwas …“

Er blickte rasch hoch. „Was denn?“ Zarte Röte übergoss Marys Wangen. Ihre grauen Augen glänzten.

„Erinnern Sie sich an jene Stampede am Red River, Greg? Ich glaube, ich habe seit damals etwas gutzumachen!“ Und im nächsten Moment spürte er ihre weichen süßen Lippen auf seinem Mund.

ENDE

Die Revolverreiter von Dodge City: Western Bibliothek 10 Romane

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