Читать книгу Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise, mit der Leidensgeschichte Abaelards - Peter Abelard - Страница 4

I. Brief.
Abaelard an einen Freund.

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Inhaltsverzeichnis

(Die Leidensgeschichte.)

Gewöhnlich sind es nicht Worte, sondern handgreifliche Vorbilder, die das menschliche Herz am meisten erregen oder aber zur Ruhe bringen. Darum habe ich mich entschlossen, dir zum Trost die Geschichte meiner Leiden niederzuschreiben, nachdem ich schon durch mündlichen Zuspruch dich aufzurichten versucht habe, als du das letzte Mal bei mir weiltest. Erkenne aus diesen Zeilen, daß das, was du Leiden nennst, im Vergleich mit den meinigen überhaupt keine sind oder doch nur geringfügige Heimsuchungen — und lerne sie geduldig tragen.

Ich bin geboren in der Stadt Palais, an der Grenze der Bretagne, ungefähr acht Stunden östlich von Nantes gelegen. Ein lebhaftes Temperament und ein leichtempfänglicher Sinn für die Wissenschaft war das Erbe meines heimatlichen Bodens oder des Blutes, das in meinen Adern rollte. Mein Vater hatte sich etwas mit Wissenschaft befaßt, ehe er den ritterlichen Waffenschmuck angelegt hatte, und später war er so sehr für das Studium eingenommen, daß er darauf sah, alle seine Söhne zuerst wissenschaftlich auszubilden, ehe sie sich im Waffenhandwerk übten. Und so geschah es auch. Ich war der Erstgeborene, und je mehr er mich als solchen ins Herz geschlossen hatte, desto mehr war er bei mir auf einen sorgfältigen Unterricht bedacht. Die Fortschritte, die ich in den Wissenschaften mit so leichter Mühe machte, spornten meinen Eifer nur an und schließlich war meine Neigung zu ihnen so stark geworden, daß ich allen kriegerischen Glanz samt meinem Erbe und den Vorrechten meiner Erstgeburt drangab und die Jüngerschaft des Mars verlassend mich ganz in den Dienst Minervas stellte. Und da ich allen Systemen der Philosophie die Rüstkammer der Dialektik vorzog, legte ich meine bisherige Waffenrüstung ab und erkor mir statt der Kriegstrophäen die Kämpfe des Geistes. Ich wurde eine Art Peripatetiker, indem ich disputierend die Gegenden durchwanderte, von denen es hieß, daß dort die Kunst der Dialektik besonders ausgebildet sei.

So kam ich denn auch nach Paris, wo von alters her diese Wissenschaft in höchster Blüte stand. Wilhelm von Champeaux, der in diesem Fache einen wohlverdienten Ruf genoß, wurde mein Lehrer. Ich besuchte eine Zeitlang seine Schule und war anfangs ganz wohl bei ihm gelitten; bald aber wurde ich ihm höchst unbequem, da ich von seinen Sätzen einige zu widerlegen versuchte und mir wiederholt herausnahm, ihn mit Gegengründen anzugreifen, wobei ich ihm einigemale sichtlich überlegen war. Auch die bedeutendsten meiner Mitschüler gerieten darüber höchlich in Entrüstung, um so mehr als ich der jüngste war und von allen die kürzeste Studienzeit hinter mir hatte. Und so begann die lange Kette meiner Leiden, die noch immer ihr Ende nicht erreicht haben, und je weiter mein Ruf sich verbreitete, desto heftiger entbrannte der Neid meiner Widersacher. Es geschah, daß ich meinen jugendlichen Kräften Übermäßiges zumutend im Vertrauen auf meine Geistesgaben noch als ganz junger Mann danach trachtete, eine eigene Schule zu gründen und schon faßte ich einen Schauplatz für meine künftigen Thaten in die Augen: nämlich Melun, einen Ort, der damals als königliche Residenz von ziemlicher Bedeutung war. Mein Lehrer merkte meine Absicht, und um meine Schule möglichst entfernt von der seinigen zu halten, bot er, so lange ich seine Schule noch besuchte, insgeheim alle Mittel auf, um die Einrichtung meiner eigenen zu verhindern und mir den Ort, den ich gewählt hatte, unmöglich zu machen. Allein er hatte sich mit einigen einflußreichen Herren des Landes verfeindet; mit ihrer Hilfe führte ich meinen Plan zum Ziel, und gerade seine offenkundige Mißgunst verschaffte mir das Vertrauen der Mehrzahl. Gleich durch die ersten Versuche, die ich im Unterrichten machte, bekam ich einen solchen Namen als Meister der Dialektik, daß der Ruhm meiner Mitschüler ja sogar der meines Lehrers selbst zu erbleichen anfing. So wuchs mein Selbstvertrauen immer mehr und ich ruhte nicht, bis ich meine Schule so schnell wie möglich nach Corbeil verlegt hatte, wo wegen der Nähe von Paris meinem Ungestüm zu dialektischen Kämpfen reichlichere Gelegenheit geboten war.

Es dauerte jedoch nicht lange, bis ich infolge von Überanstrengung erkrankte und in meine Heimat zurückkehren mußte. So war ich einige Jahre aus Frankreich sozusagen verbannt und wurde von denen, die sich der Dialektik befleißigten, lebhaft vermißt. Nach Verfluß einiger Jahre jedoch, als ich mich längst wieder erholt hatte, änderte Wilhelm von Champeaux, mein berühmter Lehrer und Archidiakon von Paris, plötzlich seine Lebensweise, indem er in den Orden der regulierten Chorherrn eintrat — man sagte mit der Absicht, auf diese Weise den Schein größerer Frömmigkeit zu erwecken und sich dadurch zu um so höherer Würde aufzuschwingen. Dies gelang ihm denn auch in kürzester Zeit: er wurde Bischof von Châlons, ohne sich jedoch durch diese Umgestaltung seines Lebens von Paris oder von der gewohnten Beschäftigung mit der Philosophie abhalten zu lassen; vielmehr hielt er eben in dem Kloster, in das er sich, um der Frömmigkeit zu pflegen, zurückgezogen hatte, öffentliche Vorlesungen wie früher. Damals kehrte ich zu ihm zurück, um Rhetorik bei ihm zu hören; abgesehen von mancherlei sonstigen wissenschaftlichen Kämpfen, in denen wir uns gegeneinander versuchten, brachte ich ihn durch unumstößliche Beweisgründe dahin, daß er seine von jeher vorgetragene Lehre von den Universalien (Allgemeinbegriffen) abänderte, ja gänzlich aufgab. Seine Lehre von der Gemeinsamkeit der Universalien bestand darin, daß er behauptete, ein und dieselbe Wesensbeschaffenheit liege allen Einzeldingen zu Grunde, so daß diesen nach seiner Meinung keine eigentliche Wesensverschiedenheit zukomme, sondern nur eine Mannigfaltigkeit, die von der Menge der hinzutretenden Accidentien herrühre. Nun änderte er seine Lehre insofern, daß er nicht mehr die Identität der Wesensbeschaffenheit behauptete, sondern nur ihre Indifferenz. Dieser Punkt galt aber bei den Dialektikern von jeher als einer der wichtigsten in der Lehre von den Universalien, so daß selbst Porphyrius in seinen Isagogen bei Gelegenheit der Besprechung der Universalien hierüber keine Entscheidung zu treffen wagt, sondern sich damit begnügt zu sagen: „dies ist ein sehr heikler Punkt“. Da nun Wilhelm von Champeaux in diesem Punkt seine Lehre geändert, oder vielmehr unfreiwillig aufgegeben hatte, kamen seine Vorlesungen dermaßen in Mißkredit, daß man ihm kaum noch gestattete, überhaupt Dialektik zu lesen, als ob diese ganze Wissenschaft ihren Kernpunkt in der Frage von den Universalien hätte.

Unter diesen Umständen wuchs das Ansehen meiner eigenen Schule nur immermehr. Die eifrigsten Anhänger Wilhelms, die meine Lehre früher am heftigsten bekämpft hatten, kamen nunmehr zu mir; ja, der Nachfolger Wilhelms an der Schule zu Paris bot mir seinen Lehrstuhl an, um sich mit den andern zu meinen Füßen zu setzen, da wo einst unser gemeinsamer Lehrer geglänzt hatte. Und so war ich denn dort nach kurzer Zeit unbeschränkter Herrscher auf dem Gebiete der Dialektik und als solcher ein Gegenstand unsäglichen Neides und Schmerzes für meinen früheren Lehrer. Außer stande, das Mißgeschick, das ihn betroffen hatte, länger zu tragen, griff er zu unlauteren Mitteln, um mich auch jetzt wieder zu verdrängen. Da er im offenen Kampfe nichts gegen mich vermochte, setzte er auf Grund von allerhand ehrenrührigen Beschuldigungen die Entfernung des Mannes durch, welcher mir seinen Lehrstuhl überlassen hatte, worauf einer meiner Gegner an seine Stelle rückte. Daraufhin kehrte ich nach Melun zurück und begann daselbst zu lehren wie früher, und je unverhüllter sich die Mißgunst Wilhelms gegen mich zeigte, desto mehr trug sie zum Wachstum meines Ruhmes bei — nach dem Dichterwort:

„Die Größe macht der Neid zu seinem Ziel,

Am schärfsten weht der Sturmwind auf den Höhn.“

Bald darauf merkte Wilhelm, daß die Mehrzahl seiner Schüler an der Aufrichtigkeit seiner Frömmigkeit zu zweifeln begann und sich allerhand über seine Bekehrung zuraunte, da er sich nicht im geringsten veranlaßt gesehen hatte, sich aus der Hauptstadt zurückzuziehen. Nun siedelte er mit seinem Konventikel und mit seiner Schule an einen von der Stadt Paris ziemlich entfernten Ort über. Alsbald kehrte ich von Melun nach Paris zurück, in der Hoffnung, nun Ruhe vor ihm zu haben. Da jedoch, wie gesagt, mein Platz noch von meinem Gegner eingenommen war, so ließ ich mich mit meiner Schule außerhalb der Stadt auf dem Berg der heiligen Genoveva nieder, als wollte ich jenen Eindringling belagern. Auf die Kunde davon war Wilhelm unverfroren genug, alsbald nach Paris zurückzukehren; was er noch an Schülern hatte, brachte er samt seiner kleinen Bruderschaft in seinem alten Kloster unter; es sah aus, als wollte er den Posten, den er allein im Feld gelassen hatte, von unsrer Belagerung befreien. Allein während er ihm nützen wollte, schadete er ihm nur. Vorher nämlich hatte der gute Mann noch etliche Schüler gehabt, hauptsächlich wegen seiner Vorlesungen über Priscianus, für die ihm ein gewisser Ruf zur Seite stand. Nach der Ankunft des Meisters jedoch verlor er vollends alle und war so genötigt, sein Lehramt aufzugeben, und es dauerte nicht lange, bis auch er, dem Ruhme dieser Welt völlig entsagend, ins Kloster ging. Welche Schlachten auf dem Felde der Wissenschaft meine Schüler nach der Rückkehr Wilhelms mit ihm selbst wie mit seinen Anhängern ausgefochten haben und wie die Gunst des Schicksals in diesen Kämpfen mit mir und den meinigen war, das hat dir längst der weitere Verlauf der Ereignisse gezeigt. Kühnlich, wenn auch bescheidnern Sinnes, darf ich jenes Wort des Aiax auf mich anwenden:

„Und fragst du nach dem Ende dieses Kampfs,

So sag ich stolz: er hat mich nicht besiegt.“

Wollte ich darüber schweigen, die Thaten würden für sich selbst sprechen und der schließliche Erfolg würde laut genug für mich zeugen.

Während dieser Vorgänge drang meine geliebte Mutter Lucia in mich, nach Hause zu kommen. Mein Vater Berengar war nämlich ins Kloster gegangen, und meine Mutter hatte das Gleiche im Sinn. Nach Erledigung dieser Angelegenheit kehrte ich nach Frankreich zurück, hauptsächlich mit der Absicht, Theologie zu studieren. In diesem Fache genoß Wilhelm von Champeaux innerhalb seines Bistums Châlons eines ziemlichen Rufes. Die größte Autorität auf diesem Gebiete war jedoch seit lange sein Lehrer Anselm von Laon.

Ich besuchte also die Schule dieses ehrwürdigen Mannes, der freilich seinen Namen mehr einer langjährigen Thätigkeit zu danken hatte als seinem Geist und seiner Bedeutung. Wer über irgend eine Frage im Zweifel war und an seine Thür pochte, um sich Rats zu erholen, der wußte nachher gewiß weniger als vorher. Der Masse der Zuhörer wußte er zu imponieren, wenn man aber unter vier Augen mit ihm sprach, machte er einen sehr dürftigen Eindruck. Er verfügte über eine ungewöhnliche Redegewandtheit, aber es steckte im Grunde wenig dahinter. Das Feuer, das er entzündete, füllte sein Haus nur mit Rauch, statt es zu erleuchten. Er glich einem Baum, der in seinem reichen Blätterschmuck von weitem vielversprechend aussah, und doch wenn man ihn aus der Nähe genauer betrachtete, keine Früchte aufzuweisen hatte. Daher als ich hinzutrat, um Früchte bei ihm zu finden, fand ich in ihm jenen Feigenbaum, den der Herr einst verfluchte, oder jene alte Eiche, mit der der Dichter Lucanus den Pompejus vergleicht, indem er sagt:

Briefwechsel zwischen Abaelard und Heloise, mit der Leidensgeschichte Abaelards

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