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Pferd und Mensch

kurze Geschichte einer langen Beziehung


Im steilen Gelände, wo Maschinen nicht eingesetzt werden können, ist das Pferd noch immer der Partner bei der Arbeit, so wie hier beim Holzrücken.

„ Der Atem ist das Pferd, der Gedanke der Reiter.

(Sprichwort aus Tibet)

Es ist eine ganz besondere Beziehung, die zwischen uns und dem Pferd besteht. Dabei kann es nicht mal in Anspruch nehmen, dass es der erste tierische Begleiter des Menschen war. Diese Ehre gebührt dem Hund: Der gezähmte Wolf steht dem Menschen seit mindestens 14.000 Jahren zur Seite, wie Grabungsfunde1 beweisen.

Auch die nächsten Plätze in der Hitliste der gezähmten Haustiere besetzen andere Arten: Ziegen und Schafe wurden vor etwa 11.000 Jahren domestiziert, in kurzem Abstand folgten Schweine und Rinder (vor etwa 10.500 beziehungsweise 10.000 Jahren). Selbst der Esel begleitet den Menschen schon länger als das Pferd, nämlich seit etwa 6000 Jahren. Er machte den Menschen in bisher unbekanntem Ausmaß mobil. Zwar nutzte der Mensch schon vorher Rinder als Zug- und Lasttiere. Doch diese haben zwei Nachteile gegenüber dem Esel: Sie sind vergleichsweise langsam und müssen als Wiederkäuer lange Pausen einlegen, um ihre Nahrung zu verdauen. Der aus der Wüste stammende Esel ist überaus zäh und ausdauernd, kommt mit wenig Nahrung und Wasser aus. Durch diese Eigenschaften ermöglichte er frühen Kulturen erstmals den Warentransport über lange Strecken. Vor leichte Kriegswagen gespannt und teilweise auch als Reittier genutzt, konnten zudem Soldaten über große Entfernungen über Land transportiert werden. Verbunden mit dem Geschwindigkeitsgewinn revolutionierte der Esel auch das Geschehen auf dem Schlachtfeld. Kein Zweifel: Für eine kurze Zeit war der Esel der Superstar unter den Haustieren2.

Auftritt Pferd. Seit es als Nachzügler vor rund 5000 Jahren in den Kreis der gezähmten Haustiere eintrat, ist nichts mehr, wie es war. Es hat die Menschheitsgeschichte umgekrempelt und beschleunigt wie kein anderes Haustier. Dabei entstand eine Mensch-Tier-Beziehung, die so eng war, dass sie der Literaturwissenschaftler Ulrich Raulff sogar als „kentaurischen Pakt“ bezeichnete3, benannt nach dem Zentauren aus der antiken Mythologie, jenem Zwitterwesen zwischen Mensch und Tier, dem Rossmann.

Diese Beziehung prägte die Lebenswelt des Menschen noch bis vor wenigen Generationen, ja teilweise bis vor wenigen Jahrzehnten. Das Pferd war in vielerlei Hinsicht das Maß aller Dinge.

Pferd und Mensch waren seit der Domestizierung des Pferdes eng miteinander verbunden. Es diente dem Menschen von der Funktion als Zug- und Lasttier bis zur Versorgung mit Pferdefleisch als wertvoller Begleiter. Erst im vorigen Jahrhundert rückte die Bedeutung des Pferdes als Freizeitpartner in den Vordergrund.

Es versorgte die Menschen:

1. mit Energie in Form von Arbeitskraft (als Zug- und Lasttier)4 und – auch das gehört zu dieser bemerkenswerten Beziehung zwischen dem Jäger Mensch und dem Fluchttier Pferd – in Form von Pferdefleisch;

2. mit Geschwindigkeit. Als „Tempomaschine“, so Raulff, war es unübertroffen, bis die Eisenbahn es im 19. Jahrhundert Stück für Stück überrundete.

Das Pferd als Lieferant von Mobilität und Geschwindigkeit änderte den gesamten Verlauf der Menschheitsgeschichte. Es machte aus Fußgängern Reiter, und wer einer war, stand lange Zeit als Krieger über allen anderen an der Spitze einer Gesellschaftspyramide, die es so vorher gar nicht gegeben hatte. Die mittelalterliche Feudalordnung mit ihren gepanzerten Rittern an der Spitze und der Masse der Bauern, wer wen versorgen musste, wäre ohne das Pferd gar nicht denkbar. Ebenso wenig der Aufstieg nomadischer Völker aus den zentralasiatischen Steppen zu bestimmenden Faktoren der Weltgeschichte: Seit der Antike brachen sie als hochmobile Reitervölker in immer neuen Wellen über lange bestehende Staaten sesshafter Völker in Asien, Indien und Europa herein. Manche wurden selbst sesshaft wie die Ungarn. Andere klaubten Riesenreiche zusammen, die noch Jahrhunderte später bestehen sollten, wie die Mongolen, wieder andere verschwanden so schnell im Dunkel der Geschichte, wie sie gekommen waren, wie etwa die Hunnen.

Seinen letzten großen Auftritt hatte das Pferd merkwürdigerweise in einer Zeit, als ihm Dampfmaschine und Verbrennungsmotor längst Konkurrenz machten. Lag der Pferdebestand in Frankreich zu Beginn der Französischen Revolution noch bei zwei Millionen Pferden, stieg er bis 1850 auf knapp drei Millionen5. Ohne den Verlust von Elsass und Lothringen an das Deutsche Reich 1871 wäre die Zahl der Pferde in Frankreich bis 1914 wohl auf 3,8 Millionen gewachsen. Freilich wuchs auch die französische Bevölkerung gewaltig, nämlich von 36,5 Millionen um 1850 auf 41 Millionen 1906 – dank der Industrialisierung, die immer mehr Lebensbereiche erfasste. Gerade das machte paradoxerweise immer mehr Pferde nötig. Um die Versorgung der Städte mit Nahrungsmitteln zu gewährleisten, stieg die Nachfrage nach Zug- und Arbeitskraft in der Landwirtschaft beständig. In den expandierenden Städten sorgten Pferdeomnibusse und Trambahnen für eine funktionierende Infrastruktur. Pferdefuhrwerke waren die Verbinder zwischen den Häfen, in den moderne Dampfschiffe Waren und Rohstoffe anlieferten, und den Bahnhöfen, von wo aus sie weitertransportiert wurden. Und zu guter Letzt hatten die Massenarmeen Europas einen immensen Bedarf an Zugtieren, um ihre hochmodernen Geschütze zu ziehen und die Versorgung der Soldaten mit Lebensmitteln und Kriegsgütern aufrechtzuerhalten.

Den beiden Weltkriegen fielen daher nicht nur Millionen Menschen zum Opfer, sondern auch Millionen Pferde. Es ist der unrühmliche Tiefpunkt des kentaurischen Pakts, der Mensch und Tier in bisher unbekanntem Maß zu Leidensgenossen machte. In der Not rückten beide noch einmal aufs Engste zusammen.

Und dann war alles vorbei in sehr kurzer Zeit. Nach 1945 setzte in Europa und weiten Teilen der westlichen Welt eine bisher nie für möglich gehaltene Mechanisierung sämtlicher Lebensbereiche ein. Auf der Straße lösten Lastwagen das Pferd ab, auf den Bauernhöfen traten die Traktoren ihren Siegeszug an – und das große Pferdesterben setzte ein. Eben noch praktisch untrennbar mit dem Menschen verbunden, durchschnitt oft genug der Pferdemetzger das einende Band. Mit dramatischen Folgen für den Pferdebestand: Betrug dieser im Deutschen Reich 1914 noch 4,7 Millionen Tiere, so sank ihre Zahl in Westdeutschland bis 1970 auf 250.000. Mancher fürchtete, Pferde demnächst nur noch im Zoo bewundern zu können. Oder als Reiterstandbild, Gemälde oder in einer der zahlreichen Geschichten und Filme, in denen das Pferd und sein Mensch, der Reiter, bis heute glorifiziert werden.

In dieser Situation vollzog sich ein folgenschwerer Wandel. Nachdem das Pferd den Menschen jahrtausendelang als Arbeits-, Lasten- und Zugtier begleitet hatte, als Motor für seine kriegerischen Ambitionen und oft genug auch als Nahrungsquelle in schlechten Zeiten diente, wurde es plötzlich zum Freizeitpartner.

1Der bisher älteste erhaltene Beleg ist das sogenannte Oberkasseler Doppelgrab bei Bonn, das 1914 in einem Steinbruch entdeckt wurde. Das Grab enthielt neben den Skelettknochen eines etwa 50-jährigen Manns und einer circa 25-jährigen Frau auch die Unterkieferreste eines Haushunds. Genetische Untersuchungen haben inzwischen ergeben, dass der Wolf vermutlich schon vor 18.000 bis 32.000 Jahren zum Hund wurde.

22003 untersuchten Archäologen die 5000 Jahre alte Ruhestätte des frühägyptischen Pharaos Abydos und fanden in gesonderten Grabkammern die Überreste von zehn Hauseseln. Wie groß die Wertschätzung alter Kulturen für das Grautier war, zeigt sich nicht zuletzt an der Geburtsgeschichte von Jesus: An seiner Krippe steht neben dem friedlich wiederkäuenden Ochsen der Esel und nicht etwa das aus heutiger Sicht deutlich prestigeträchtigere Pferd.

3Ulrich Raulff: Das letzte Jahrhundert der Pferde. Geschichte einer Trennung. München 2015.

4Es ist daher auch kein Zufall, dass die Einheit, mit der die Leistungsfähigkeit von Dampfmaschinen bemessen wurde, zunächst in Pferdestärken gemessen wurde.

5Raulff, S. 36

Die Kraft der Pferd-Mensch-Beziehung

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