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1 Gostenhof
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Mord nach W.E.G.
Ein Nürnberger Krimi mit Herz, Hirn und Härte
von Peter Jokiel
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1 Gostenhof
Kapitel 2 Lorenz
Kapitel 3 Stadtpark
Kapitel 4 Heroldsberg
Kapitel 5 St. Johannis
Kapitel 6 Langwasser
Kapitel 7 Erlenstegen
Kapitel 8 Schoppershof
So ein scheiß Tag, denk ich mir gerade. Ich sitze im Auto mit meinem Kollegen Kriminaloberkommissar Bachmeier und wir observieren seit Stunden die Tür eines Wohnhauses. Meine Laune ist im Keller, ich hab Hunger und muss schon seit einer gefühlten Ewigkeit pinkeln. Außerdem bin ich unterzuckert und das ist mal so richtig scheiße. Von der zusammengekniffenen Blase mal ganz abgesehen.
Auf jeden Fall warten wir nun schon seit 4 Stunden darauf, dass unser Verdächtiger mal auftaucht. Wir sind nicht gerade in einem Vorzeigeviertel von Nürnberg. Ja, wir sind in Gostenhof, oder wie manche Nürnberger sagen würden "Klein Istanbul". Zwar wird das Viertel langsam besser und nach und nach auch modernisiert, so dass es mittlerweile sogar als chic gilt hier zu wohnen, zumindest an ein oder zwei Ecken. Aber dennoch ist es nicht ratsam sich hier nachts blicken zu lassen. Nirgends gibt es mehr internationale Mitbürger und eben auch die eine oder andere Straßenbande. Wir sind aber tagsüber hier und es ist alles ruhig. Also eigentlich keine große Sache. Wir warten auf einen stadtbekannten Hehler der alles aufkauft was man ihm anbietet und dem wir wegen einer Einbruchserie mal auf den Zahn fühlen wollen.
Leider wurde in den letzten zwei Monaten in sechs Einfamilienhäusern eingebrochen und unter anderem auch Schmuck sowie kleinere Antiquitäten und wertvolle Dekoartikel gestohlen. Aber eben immer nur Sachen die handlich sind und leicht zu transportieren. Also alles was so in einen Rucksack passt. Dementsprechend blieben Fernseher oder größere Bilder an Ort und Stelle. Die Vorgehensweise war bei allen Einbrüchen die gleiche. Mit einem Stemmeisen wurde die Terrassentür aufgehebelt und ruckzuck das Haus nach Wertsachen durchsucht. Die Besitzer der Häuser waren zu dem jeweiligen Zeitpunkt nie in ihren Häusern und machten dies durch heruntergelassen Rollos und überfüllten Briefkasten jedem Beobachter auch sehr deutlich. Laut Zeugenaussagen wurden bei drei Häusern immer drei Personen beobachtet, die sich dort „ irgendwie rumdrückten „. Eben durch die Art und Weise wie in die Häuser eingebrochen wurde, ließ den Schluss zu, dass es sich hier jeweils immer um die gleichen Täter handeln muss. Da wir eben davon ausgehen, dass die Täter eventuell die Beute gleich wieder verticken, überprüfen wir mal die „ üblichen Verdächtigen „. Und da gehört unser gesuchter Hehler auf jeden Fall mit dazu.
Natürlich rechnen wir nicht damit, einen der gestohlenen Gegenstände auf Anhieb bei unserem Hehler zu finden. Aber irgendwo muss man ja schließlich anfangen.
Das Haus auf das wir seit Stunden starren ist ein ziemlich heruntergekommener Altbau in der Austraße, der weiß Gott schon bessere Zeiten gesehen hat. Nicht nur die alten Holzfenster haben keine Farbe mehr, der Putz bröckelt an allen Ecken und Enden und wird von Graffiti überdeckt. Alles an dem Haus schreit geradezu, dass es ein Rattenloch ist. Die ganze Zeit über frage ich mich, ob die Geschäfte bei dem Hehler so schlecht laufen, dass er hier wohnt oder ob er denkt, hier würde ihn niemand finden.
Ich bin Kriminalkommissar Bosch und noch ziemlich neu beim Kommissariat 34, Abteilung Diebstahl und Einbruch. Eigentlich will ich mir keine Blöße geben, aber irgendwann kann ich nicht mehr sitzen. „Also da unser Verdächtiger sich nicht zeigt und ich unser Dienstfahrzeug nicht ruinieren möchte, gehe ich mal schnell rüber in das Café. Soll ich Ihnen was mitbringen?“, frage ich meinen Partner.
„Na ja, wenn Sie schon fragen, ein Kaffee und ein Croissant wäre schon nicht schlecht.“ kriege ich als Antwort.
„Kein Problem, ich beeile mich„ und schon reiße ich die Beifahrertür auf.
So steige ich ziemlich stocksteif aus unserem Opel und muss mich erst mal dehnen damit die eingeschlafenen Füße mich überhaupt rüber zur Bäckerei tragen können, die eine Straße weiter an der Ecke ist.
Nach einem kurzen Stopp auf der Toilette bestelle ich zwei „Coffee to go“, zwei Croissants und noch zwei Donuts. Ja ein bisschen Klischee muss schon sein.
Als ich mich wieder auf den Weg zu unserem Wagen mache, sehe ich schon von weitem, dass unser Auto leer ist. Na klasse, wo in drei Teufels Namen ist mein Kollege hin? Im Stechschritt eile ich zu unserem Auto, knalle den Kaffee und das Gebäck auf das Dach nehme mir aber noch schnell einen Donut und stopfe ihn mir gleich in den Mund, wegen dem Unterzucker. Sofort mache ich mich auf die Socken und versuche meinen Kollegen zu finden.
Also nichts wie rüber zu dem Haus in dem unser Hehler wohnt. Irgendwo da muss mein Kollege ja sein. Als ich vor dem Haus bin und diese scheiß Haustür natürlich verschlossen ist, werde ich schon etwas nervös. Da höre ich laute Stimmen die aus dem Hof zu kommen scheinen. Also nichts wie rum um die Ecke und zum Hinterhof gerannt.
Zum Glück ist es ein Eckhaus und der Hinterhof offen. Ehrlich gesagt ist da nur eine Mannshohe Mauer und das Tor ist eine verrottete Holztür die nur noch halb in den Angeln hängt.
Da sehe ich meinen Kollegen wie er unserem Verdächtigen gerade Handschellen anlegen will, was aber nicht so recht klappen will. Beide stehen an einer Kellertreppe und Herr Bachmeier versucht dem renitenten Hehler Einhalt zu gebieten. Was dieser allerdings nicht so richtig einzusehen scheint.
Der schreit nämlich das ganze Haus zusammen und ist alles andere als kooperativ.
„Ihr Scheißbullen, ihr glaubt wohl auch, ihr seid die größten? Kommt nur her ich hau Euch in die Fresse.“ So nett begrüßt wird man doch immer wieder gern, denk ich mir noch. Obwohl der Kerl mich noch nicht bemerkt hat, sprach er trotzdem im Plural. Aber diesen Sprachgebrauch hörten wir öfter von solchen Intelligenzbestien. Da wird es meinem Kollegen langsam zu bunt und er packt unseren Hehler etwas härter an und schubst ihn gegen die Hauswand.
Zwar hat unser Verdächtiger die Figur eines Sumo Ringers, aber mit Sport hat er mal so gar nichts am Hut. Er bringt mit Sicherheit 150 kg auf die Waage, aber nicht ein Gramm davon sind Muskeln.
Außerdem ist er ebenso kurzatmig wie unfreundlich und japst nach Luft, wie ein Fisch auf dem Trockenen. Obwohl wir Mitte Januar haben und die Temperaturen alles andere als warm sind, schwitzt der Kerl wie ein Schwein in der Sauna.
Um seinen Hals, wenn man davon überhaupt sprechen kann, hängt eine Goldkette mit einem Kreuz um das ihn Mister T, der Typ vom A Team, beneidet hätte. Ebenso hat er an fast jedem seiner Wurstfinger einen fetten Goldring.
Wenn die ganzen Sachen echt sind, trägt der Kerl ein kleines Vermögen mit sich herum. Also eine Überprüfung der Schmuckstücke ist auf jeden Fall angesagt.
„So, Freundchen. Jetzt habe ich aber mal die Schnauze voll. Hände an die Wand, Beine auseinander und mach jetzt keinen Scheiß sonst reißt mir echt der Geduldsfaden“. Spätestens jetzt sollte man mit Schaulustigen rechnen, die aus ihren Fenstern sehen. Aber hier bleibt alles ruhig. Niemand lässt sich blicken, was mir zwar ganz recht ist aber dennoch ungewöhnlich. Entweder ist in dem ganzen Haus wirklich niemand zu Hause, oder hier ist man solche Szenen gewohnt und keiner steckt hier seine Nase in Sachen die ihn nichts angehen.
Durch die klare Ansage meines Kollegen und wahrscheinlich weil er auch mich jetzt wahrgenommen hat, fährt unser Hehler nun einen Gang runter und dreht sich bereits langsam zur Wand hin.
O.K. ich sehe schon, mein Herr Bachmeier hat die Lage im Griff.
In diesem Moment kommt ein Zombie aus einem Keller auf den Hof. Er stakst die gegenüberliegende Kellertreppe hoch und murmelt irgendwas vor sich her, was ich allerdings nicht verstehen kann da er noch zu weit weg ist. Also der musste sich nicht mehr schminken, der Typ könnte so wie er war in jedem Horrorfilm mitspielen. Diese Hackfresse hätte kein Maskenbildner so hingekriegt.
Junger Kerl, Anfang 20, zerrissene Jeans, speckiges T – Shirt, Turnschuhe die vor Jahren vielleicht mal weiß waren, grüne Armee-Jacke. Die Kälte schien er offensichtlich nicht zu spüren, was bei Menschen die unter Drogen stehen meistens der Fall war. Haare sind auch nur noch an einzelnen Stellen vorhanden, genauso wie seine Zähne, dafür aber reichlich eitrige Pusteln im Gesicht. Der Gesichtsfarbe nach, schien er kein großer Sonnenanbeter zu sein. Anscheinend vermied er jegliches Tageslicht. Alles an diesem Kerl schreit eben schon von weitem nach Junkie. Wahrscheinlich nimmt er Chrystal Meth. Das alles ist schon erschreckend genug, jedenfalls für so einen jungen Kerl. Was mich aber nervös macht, ist das Messer in seiner Hand. Ich ziehe meine Dienstwaffe aus dem Holster und schrei ihn an, „Polizei, halt stehenbleiben. Werfen Sie das Messer weg“.
Aber entweder hat sich sein Hörvermögen schon von ihm verabschiedet oder es ist ihm schlichtweg egal. Jedenfalls murmelt er irgendwas von „All Cops are Bastards„ und kommt direkt auf mich zu. Wie er das Messer hält verrät mir dass er alles andere als ein Profi ist, was ihn deswegen aber nicht weniger gefährlich macht. In dem Moment bekommt unser Hehler so was wie Oberwasser und feuert seinen Kumpel noch an „Ja Ritchie, gib‘s den Drecksbullen“.
Sofort hat mein Kollege die Situation zwar ebenso erkannt, ist aber noch mit unserem renitenten Verdächtigen beschäftigt. Erst als er auch seine Dienstwaffe aus dem Schulterhalfter holt, wird unser Mann auf einmal blass und viel ruhiger. Aber Handschellen hat er immer noch nicht dran, und deswegen bleibt Herr Bachmeier hinter seinem Rücken stehen und schüchtert ihn mit seiner Waffe ein.
Der Junkie kommt weiter auf mich zu, und das in einer Seelenruhe und vollkommen entspannt. So hat es jedenfalls den Anschein. In Wirklichkeit ist er mit Sicherheit zu gedröhnt bis unter seine restlichen Haarspitzen.
Also schieße ich erstmal in die Luft. Warnschuss, streng nach Vorschrift.
„Werfen Sie sofort das Messer weg und halten die Hände über den Kopf. Letzte Warnung mein Freund, sonst trifft die nächste Kugel Dich.“
Durch die Mischung aus Adrenalin und Anspannung, verfiel ich in der Ansprache vom Sie zum Du. Sollte man zwar immer vermeiden, aber ich habe jetzt andere Sorgen. Es ist sowieso egal was ich sage oder wie ich den Typ anrede, interessiert ihn offensichtlich eh nicht. Ein Blick in seine glasigen Augen verrät mir dass er in diesem Zustand sowieso nicht aufnahmefähig ist. Jedenfalls reagiert er kein Stück auf meine Warnung.
Ich glaube, ich hätte meinen Vortrag auch den Ratten, die sich hinter den überfüllten Mülltonnen hier im Hinterhof tummeln, erzählen können. Hätte wahrscheinlich die gleiche Wirkung gehabt. Jedenfalls kommt der Typ immer weiter auf mich zu und aus dem Augenwinkel sehe ich noch, dass mein Kollege irgendwie genauso geschockt ist, wie unser Hehler.
So ein Schuss aus einer Heckler und Koch ist eben schon sehr eindrucksvoll und auch sehr laut. Da klingen einem schon mal die Ohren.
Also ein Eingreifen von dieser Seite brauchte ich wohl nicht zu befürchten. Als mein Messerheld weiter auf mich zu läuft, richte ich meine Waffe auf ihn und schrei ihn nochmal an „Mach keinen Scheiß, zwing mich nicht auf Dich zu schießen“. Hat ihn nicht die Bohne interessiert und als er noch drei Meter von mir entfernt ist, schieße ich ihm einfach in das linke Bein. Kurz und knapp.
So cool wie er gerade eben noch getan hat, so jämmerlich schreit er jetzt rum. Er knickt sofort ein und hält sich sein blutendes Bein. Jetzt kniet er am Boden, schreit und sieht mich hasserfüllt an. Sein Messer liegt neben ihm und ich kick es mit dem Fuß noch ein bisschen weiter weg, nur zur Sicherheit.
Ein kurzer Blick zu meinem Kollegen und unserem Verdächtigen sagt mir, dass beide irgendwie paralysiert sind und kreidebleich noch dazu. Jedenfalls bewegt sich von den beiden keiner auch nur ein Stück.
Irgendwie glaube ich, dass die beiden gleich kotzen werden und muss ein wenig schmunzeln. Jedenfalls hätte ich von Kriminaloberkommissar Bachmeier schon etwas mehr erwartet.
Da augenscheinlich keine weitere Gefahr droht und ich die Lage unter Kontrolle wähne, stecke ich meine Waffe wieder weg. Weder von dem Hehler noch von meinem Junkie geht noch eine Gefahr aus.
Ich bin jetzt direkt vor meinem Messerjunkie und will ihm gerade Handschellen anlegen und natürlich auch nach seinem Bein sehen, als irgendwie wieder Leben in ihn kommt.
Aus dem sprichwörtlichen Nichts hat er plötzlich ein zweites Messer und rammt es mir in mein rechtes Bein. Der Schmerz schießt mir bis ins Hirn und ich reiße meine Waffe wieder aus dem Holster. Jetzt lasse ich meinen Junkie direkt in die Mündung blicken und schrei ihn an „Du Drecksau, bei der kleinsten Bewegung schieß ich Dich über den Haufen. Hast Du Arschloch noch ein drittes Messer?“.
Er schüttelt nur den Kopf, kippt zur Seite und ist bewusstlos.
Wahrscheinlich hat er einen Schock und war mit seinen Kräften einfach am Ende. Er liegt jetzt mitten im Hinterhof und sieht aus wie ein Häufchen Elend. Ich glaube jedoch nicht, dass er ernsthaft verletzt ist. Die Kugel in seinem Oberschenkel ist jedenfalls nicht lebensgefährlich. Da ich genug Zeit hatte um zu zielen, traf ich die Außenseite seines Oberschenkels und somit keine Arterie.
Ich steh zwar selber sehr wacklig da und drohe gleich einzuknicken, aber ich stehe noch. Als ich zu meinem Bein herabsehe, bemerke ich erst jetzt, dass das Messer noch in meinem Oberschenkel steckt. Um keinen größeren Blutverlust zu riskieren, lasse ich es lieber im Bein stecken.
Aus Sicht des Junkies sind wir wohl jetzt quitt, denke ich so bei mir. Jetzt höre ich auch schon, wie jemand wirklich das Kotzen anfängt und ich schau rüber zu meinen beiden Helden. O.K., es ist der Hehler der sich übergibt und ich glaube mein Kollege ist nicht mehr ganz weit weg davon, sich dem anzuschließen. Zur Verteidigung von Herrn Bachmeier muss ich aber sagen, dass er jetzt endlich die Gelegenheit nutzt und ihm Handschellen anlegt. Hat auch lange genug gedauert. Er holt auch noch sein Funkgerät aus der Tasche und gibt einen Notruf ab.
Obwohl nach drei Minuten 5 Streifenwagen und auch zwei Ambulanzwagen eintreffen, fühlt es sich an als dauert es eine Ewigkeit.
Nachdem die Sanitäter sowohl mich als auch den Junkie behandelt haben, werden wir auch schon in das Nordklinikum gefahren. Liegt einfach am nächsten. Obwohl das Krankenhaus das älteste der Stadt ist und nicht unbedingt meine erste Wahl gewesen wäre, ist es mir in diesem Moment vollkommen egal. Erstens weiß ich, dass es seit Jahren renoviert wird und somit gar nicht mehr so übel ist wie früher. Ganz im Gegenteil, das Krankenhaus entwickelte sich immer besser und hat mittlerweile ganz renommierte Ärzte. Und zweitens kann man bei einer Messerwunde nicht so viel falsch machen. Noch dazu hat mich sowieso keiner gefragt wo ich hin will.
Jetzt beginnt bei unserem Tatort natürlich ein Zirkus vom Allerfeinsten, allerdings eben ohne mich. Alles wird durchsucht und alle Bewohner des Hauses werden natürlich vernommen. Die Spurensicherung läuft zur Hochform auf und bei der Durchsuchung der Kellerräume finden Kollegen ein Meth Labor mit einem halben Kilo Stoff und unter einer Bodendiele noch 50.000 €. Sehr schnell gerät unser eigentlicher Einsatz, nämlich die Einbruchserie wegen der wir eigentlich hier aufkreuzten, ins Hintertreffen.
Da ich aber schon im Krankenhaus bin und verarztet werde, bekomme ich das im Moment noch gar nicht mit.
Erst als mein Kollege Herr Bachmeier ins Krankenhaus kommt um nach mir zu sehen, erfahre ich die Neuigkeiten und den aktuellen Stand der Dinge.
Ich liege mittlerweile schon in einem Zweibettzimmer auf der normalen Station und meinen Oberschenkel ziert nun eine 4 cm lange Wunde, die mit 12 Stichen zusammengenäht wurde. Mein Bettnachbar ist ein älterer Herr, der sofort ein Gespräch mit mir anfangen will. Zu seinem Leidwesen bin ich gerade nicht in der Lage, und schon gar nicht in der Stimmung, irgendwelche Gespräche zu führen.
Da meine Frau ebenfalls gerade total aufgelöst zu mir ins Zimmer kommt, beruhige ich Gaby zwar, kann aber jetzt auch mit ihr keine lange Unterhaltung führen. Nicht dass ich nicht wollte, aber bei mir ist jetzt einfach die Luft raus.
Abgesehen davon habe ich eine Elefantendosis Schmerzmittel eingeflößt bekommen und bin dementsprechend etwas müde. Nachdem meine Frau sowie mein Kollege vom zuständigen Arzt informiert wurden, dass mein Zustand nicht ernst ist und ich sehr bald wieder auf den Beinen sein werde, sind alle zutiefst erleichtert.
Der Arzt kann es sich aber nicht verkneifen zu erwähnen, dass er zwar schon einige Messerstiche behandelt hat, ich aber der Erste bin bei dem das Messer noch im Bein steckt.
Er meint aber, dass es besser so war, da ich sonst zu stark geblutet hätte und es sonst eventuell zu einem Kreislaufschock hätte kommen können. Aber alles O.K., der Arzt ist zufrieden und gibt allgemeine Entwarnung. Ich habe aber jetzt erst mal genug und schlafe den Schlaf des Gerechten. Sogar das Abendessen verschlafe ich.
Der nächste Tag hat es dann aber Wirklich in sich. Direkt nach dem Frühstück kommen alle mögliche Kollegen, auch Herr Bachmeier. Natürlich ebenso unser Chef, Erster Kriminalhauptkommisar Hohendorf, unser Staatsanwalt Herr Kirchner, und natürlich Kollegen von der inneren Abteilung.
Bei Schusswaffengebrauch ist das alles kein Spaß mehr und es müssen alle möglichen Fragen beantwortet werden.
Zwar ist der Einsatz von Schusswaffen durch die Polizei im „Gesetz über die Anwendung von unmittelbarem Zwang bei der Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte„ geregelt, aber in so einem Fall will man trotzdem immer auf Nummer sicher gehen.
Da dies in einem Mehrbettzimmer zu ziemlichen Störungen für andere Patienten führen würde, auch wenn es sich bei mir nur um einen neugierigen Rentner handelt, bekomme ich ein Einzelzimmer. Mein Kollege, Herr Bachmeier war gestern schon etwas kleinlaut und nicht sehr redselig. Heute will er sich bei mir entschuldigen für seine fehlende Unterstützung und dass er die Vorschriften nicht eingehalten hat, wegen anfänglichem Alleingang und so. Er stammelt so vor sich hin und ich merke dass ihm die ganze Geschichte mehr als peinlich ist.
Natürlich habe ich mir schon vorher ein Bild von meinem Kollegen gemacht und ich kam zu dem Schluss dass er bestimmt kein schlechter Kriminalbeamter ist, wenngleich er bestimmt nicht oft in solche Situationen kommt, wie wir sie gestern erlebt haben.
Außerdem bin ich nicht der Typ der andere Menschen nur aufgrund eines Fehlers sofort abstempelt oder vorverurteilt.
Ich schaue ihn nur an und erzähle ihm meine Version, die ich dann auch dem Chef, dem Staatsanwalt und den Kollegen erzählen werde.
„Also Herr Kollege, hier gibt es gar nichts zu entschuldigen. Wir observierten unseren mutmaßlichen Hehler und sind ihm in den Hinterhof seines Hauses gefolgt. Bei der Befragung wurde unser Verdächtiger renitent und leistete Widerstand. Daraufhin haben Sie ihm Handschellen angelegt.
Als unser Messerheld auf der Bildfläche erschien, haben Sie mir sofort Rückendeckung gegeben und haben mit mir zusammen den Junkie gewarnt und aufgefordert das Messer fallen zu lassen. Da er dieser Aufforderung nicht nachkam, habe ich einen Warnschuss abgegeben.
Erst als er unvermittelt auf mich zuging und mich weiterhin bedrohte, habe ich ihm ins Bein geschossen. Sie haben das Messer gesichert und ich habe fälschlicherweise meine Waffe wieder weggesteckt.
Danach haben Sie sofort den Notruf abgesetzt und ich wollte unserem Junkie die Handschellen anlegen sowie mich um seine Verletzung kümmern, als er mich mit einem zweiten Messer angriff und mir dies in den Oberschenkel rammte.
Genauso wird es in meinem Bericht stehen und es gibt keinen Grund, etwas anderes zu schreiben. Alles geschah streng nach Vorschrift."
Ich merke natürlich wie erleichtert mein Kollege auf einmal ist und er erzählt mir, was die Durchsuchung der Kellerräume und die Vernehmung unserer Verdächtigen so ergeben hat.
„Da haben wir wirklich einen Volltreffer gelandet. In dem Keller aus dem unser Messerheld kam, war das Meth Labor mit ziemlich genau 580 Gramm Chrystal Meth sowie 50.000 € Bargeld unter einer Fußbodendiele versteckt. Ebenso diverse Waffen. Das übliche eben: zwei Schnappmesser, eine Stahlrute, zwei Schreckschusspistolen und ein Revolver Kaliber 38. Die Waffe wird gerade von der Ballistik untersucht. Unser kleiner Junkie ist plötzlich viel redseliger als gestern und verrät uns die Namen seiner Komplizen. Wir werden heute noch alle Dealer verhaften und der Drogenszene in Nürnberg einen empfindlichen Dämpfer verpassen.
Auch unser Hehler ist gestern Nacht noch im Verhör zusammengebrochen und hat alles zugegeben, was die Einbruchserie betrifft. Er hat uns die Schmuckstücke übergeben, die er von drei Typen gekauft hat. Natürlich hat er nicht gewusst, dass der Schmuck gestohlen ist. War ja klar. Aber er hat uns einen Tipp gegeben, wo wir die drei finden können. Nachdem wir ihm mit einer Anklage wegen Anstiftung eines Angriffes auf einen Polizeibeamten mit einer tödlichen Waffe, gedroht haben, war er plötzlich lammfromm. Da er ja noch auf Bewährung draußen ist, weiß er ganz genau, dass ihn jeder Richter ganz locker für die nächsten fünf Jahre wegsperren wird. Dass hat ihm unser Staatsanwalt auch sehr deutlich gesagt und plötzlich war er unglaublich auskunftsfreudig.
Wir konnten unser Einbrechertrio auch schon verhaften und haben bei der Durchsuchung der Wohnung eines Verdächtigen ebenfalls einige als gestohlen gemeldete Schmuckstücke gefunden. Somit haben wir auch diese Typen alle im Sack.
Alle sind begeistert, der Chef, der Staatsanwalt und die Kollegen von der Internen werden Sie wohl auch nicht länger nerven. Die Spurensicherung hat den Tathergang bestätigen können und ich habe auch schon meine Aussage gemacht.
Soweit, so gut. Alle sind begeistert und freuen sich dass die Presse uns mal richtig lobt und nicht wie sonst nur in den Dreck zieht“.
Nun wird mein Kollege aber auf einmal wieder etwas ernster und sagt:
„Hr. Bosch, also ich weiß natürlich sehr zu schätzen was Sie geleistet haben und dass Sie nicht nur ein toller Partner sind sondern auch ein klasse Kriminalbeamter. Dass mein Blackout unter uns bleibt ist wirklich sehr nobel von Ihnen. Gerne würde ich mich bei Ihnen revanchieren, und wie es der Zufall will, habe ich von einer Planstelle gehört, die zu besetzen ist. Also es ist ja so, Sie sind noch nicht so lange bei uns im Dezernat. Das bedeutet, eine Beförderung würde noch etwas dauern bis bei uns hier wieder Planstellen frei werden.
Jetzt ist es aber so, dass ich unsere Pressesprecherin Kriminalrätin Frau Wachter sehr gut kenne und in der Abteilung der Pressestelle wäre eine Stelle zu vergeben, als Kriminaloberkommisar. Das würde bedeuten, es handelt sich um eine Stabsstelle mit sofortiger Beförderung. Ich dachte mir, vielleicht ist das interessant für Sie. Denken Sie einfach mal darüber nach, ich komme morgen wieder vorbei.“
Das muss ich jetzt erst mal sacken lassen. Eigentlich bin ich ja nicht zur Polizei gegangen, um jeden Tag der Presse zu sagen wie toll wir arbeiten und dem Polizeipräsidenten in den Arsch zu kriechen. Aber eine Beförderung hat schon auch was für sich. Wenn gleich ich wusste dass die Beförderung zum Oberkommissar automatisch passiert, allerdings würde ich mit Sicherheit noch zwei oder drei Jahre darauf warten müssen. Also darüber muss ich auf jeden Fall noch eine Nacht lang schlafen.
Jetzt freue ich mich erst mal, dass meine Frau Gaby in der Tür steht und mir ganz aufgeregt etwas zu erzählen hat. So erfahre ich die Neuigkeit, dass ich bald Vater werde. So gefreut wie an diesem Tag habe ich mich noch nie in meinem Leben, außer vielleicht bei meiner Hochzeit. Es ist unbeschreiblich. Dann erzähle ich meiner Frau von der Möglichkeit zur Pressestelle zu wechseln. Meine Frau ist natürlich sofort Feuer und Flamme für diesen Job. Na ja, was soll ich sagen, Beförderung, mehr Gehalt und regelmäßige Arbeitszeiten haben natürlich gepunktet. Zwar bin ich nicht zur Polizei gegangen, weil man da so wahnsinnig viel verdient, dann wäre ich wohl besser Psychologe geblieben. Aber mit rund 3500 Euro netto, kommt man schon gut über die Runden.
Ebenso die Tatsache dass sich das Risiko im Dienst erschossen oder erstochen zu werden, doch dann deutlich reduziert.
Jetzt ist es zwar so, dass meine Frau ganz genau weiß dass sie einen Kriminalkommissar geheiratet hat und keinen Postboten. Das heißt, dass es auch nicht sofort an den Nerven hat wenn ich das Haus verlasse. Da kenne ich genug Kollegen die mit ihren Ehefrauen jedes Mal in Streit geraten, wenn es mal später wird, oder mal wieder Sonderschichten anfallen. Nein, also da kann ich mich wirklich nicht beschweren.
Da wir uns beide ja schon seit dem Studium kennen, wusste ich auch wie Gaby tickt.
Zwar haben wir damals beide sehr unterschiedliche Richtungen eingeschlagen, haben aber sehr bald gemerkt, wie sehr wir uns beide ergänzen. Während ich Psychologie studierte und mich mehr mit den Menschen und dem Wieso und Warum beschäftigte, studierte Gaby BWL und Informatik. Also Zahlen und Bilanzen.
Obwohl ich mit dem Thema nie so viel anfangen konnte, war ich schon immer beeindruckt wie zielstrebig und sicher Gaby die Semester meisterte. So war es auch kein Wunder dass ihr noch vor ihrer Masterarbeit ein Job nach dem anderen angeboten wurde.
Schon während des Studiums hatte sie einen exzellenten Ruf in der Finanzbranche.
Während sie sich wirklich aussuchen konnte für welche Firma sie arbeiten wollte, hatte ich immer mehr die Idee, mich nach meinem Abschluss bei der Polizei zu bewerben. Obwohl ich mit einem Psychologiestudium ebenfalls in ganz vielen Bereichen tätig werden kann, reizte mich die Vorstellung schon immer, Polizist zu werden. Nachdem ich Gaby von meinem Plan Polizist zu werden erzählte, war sie Feuer und Flamme, obwohl sie sich für mich eine Beamtenlaufbahn nur schwer vorstellen konnte.
Gaby ist eben alles andere als ein stilles Mäuschen. Im Gegenteil, sie war von jeher die taffe und starke Frau, die wirklich immer hinter mir steht und mir auch ihre Meinung sagt. Sie nimmt da kein Blatt vor den Mund.
Das alles ist jetzt allerdings fünf Jahre her. Gaby arbeitet mittlerweile bei einer Bank und geht in ihrem Job auf und ich stehe jetzt vor der Entscheidung zwischen der Jagd auf Verbrecher und der Position um darüber zu berichten. Also entweder Action, oder Schreibtisch.
Aber ganz ehrlich, ein Kind verändert doch schlagartig die Situation und den Blickwinkel auf die wirklich wichtigen Sachen im Leben. Außerdem konnte ich mir es ja erst mal ansehen und mir noch in Ruhe überlegen, ob ich das wirklich wollte. Dachte ich zumindest.
Aber wie heißt es so treffend: Der Mann denkt und seine Frau lenkt.