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Verlorene Kindheit und die Suche nach einer neuen Heimat
ОглавлениеDie Not Anderer kann niemals voll erfasst werden,
außer man erleidet sie selber. (pk)
Mein Vater war rumänischer Volksdeutscher und meine Mutter Russin, geheiratet haben beide in Rumänien. Durch die Ansiedlungsprogramme des Hitlerregimes wurden viele volksdeutsche Rumänenfamilien nach Ostdeutschland umgesiedelt und flüchteten dann 1944 wieder von dort, als die Russen den deutschen Osten eroberten. Ich selber wurde im letzten Kriegsjahr im Sauerland geboren. Nach der Kapitulation des Hitlerregimes verstarb meine Mutter bei ihrer Rückkehr nach Rumänien und ich selber kam mit einem der vielen Kindertransporte nach Bayern, wo mich mein Vater nach seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft durch das Rote Kreuz fand, als ich drei Jahre alt war. Da er selbst nicht für mich sorgen konnte, wurde ich vom Jugendamt verschiedenen Pflegeeltern zugewiesen.
Die schlimmste Zeit in meinem Leben war dann die Zeit von meinem achten bis vierzehnten Lebensjahr, die ich bei einer rechtsradikalen, perversen Pflegefamilie verbringen musste. Dieser Familie war natürlich bekannt, dass ich kein reinrassiger Deutscher war und behandelte mich dementsprechend. So durfte ich nie gemeinsam mit der Familie am Tisch essen, sondern nur an einem kleinen Tisch mit dem Gesicht zur Wand und dem Rücken zur Familie. Der Teller wurde dann immer mit folgenden Worten zu mir hin gestoßen: „Da friss, du russischer Bastard, verdient hast du es ja nicht“. Viel zu essen bekam ich ohnehin nicht und war deshalb froh, dass mir amerikanische Besatzungssoldaten immer Schokolade und Gebäck zusteckten, wenn ich sie auf der Straße darum anbettelte. Meinen Geburtstag hatte ich erst nach meinem 14. Lebensjahr erfahren, denn er wurde von der Pflegefamilie und meinem Vater immer ignoriert und Weihnachten war für mich eher ein Fest der Trauer, denn es gab nie irgendwelche Geschenke für mich.
Wegen kleinster Vergehen, beispielsweise wenn ich beim Holzhacken nicht meinen Tagessoll erfüllte oder zu spät von der Schule zurückkam, wurde ich brutal mit einem Holzprügel geschlagen, bis ich dann nur noch wimmernd in einer Ecke lag. Dass ich oft nicht pünktlich von der Schule zurückkam lag auch daran, dass ich nach der Schule immer wieder von einigen Schülern meiner Klasse verfolgt wurde (ich vermeide das Wort Klassenkameraden), die mir „Russenschwein“ nach schrien und mir Prügel androhten. Wenn die Klasse einen Ausflug machte, wollte keiner der anderen Schüler an meiner Seite laufen und auch während des Unterrichts saß ich ganz alleine hinten auf der letzten Bank. Gebessert hatte sich das erst in den letzten zwei Jahren der Volksschule, als meine Klassennachbarn während der Klassenarbeiten in Rechnen und Deutsch von mir abschreiben konnten.
Von meinem Vater, der im engen Kontakt zu meinen Pflegeeltern stand, hatte ich nie irgendwelche Hilfe zu erwarten. Im Gegenteil, er begrüßte die Prügelorgien dieser Pflegefamilie und beteiligte sich auch daran. Seine brutalen Fußtritte ins Gesicht und langandauernden Schläge mit einem schweren Ledergürtel, bis ihm die Luft ausging, werde ich nie vergessen. Jedes mal, wenn es an der Wohnungstüre dieser Pflegefamilie klingelte, bin ich zu Tode erschrocken, denn mein Vater kam ja immer nur, um auf mich einzuprügeln. Mein Vater war im letzten Kriegsjahr bei der Waffen-SS und er selbst betonte mir gegenüber immer wieder, er bedauere es sehr, dass er meine russische Mutter geheiratet hat und er jetzt einen Bastard wie mich zum Sohn habe. Er verwendete den Begriff Bastard als menschlich abwertendes Schimpfwort für mich, da ich für ihn als Nazi eben eine Hybridperson, also ein minderwertiges Lebewesen aus zwei unterschiedlichen Rassen war (deutsch - gut und russisch - schlecht). Ein Bastard, der sich immer wieder beharrlich weigerte, das reine und wahre deutsche Nazi-Gedankengut anzunehmen, das er als Vater und die Pflegefamilie versuchten, in mich einzuprügeln. Als ich ihm dann einmal vorhielt, warum er, bei seiner Einstellung zu mir, nach mir gesucht und er überhaupt meine Mutter geheiratet hatte, bekam ich keine Antwort. Wahrscheinlich war es die außerordentliche Schönheit meiner russischen Mutter, die ihn zu diesem „Fehltritt“ verführte (ich hatte ein Bild von ihr, das ich immer bei mir trug) und seine Suche nach mir vermutlich ein kurzer Anflug an Mitgefühl für seinen Sohn.
Nie in meiner Kindheit hat mir Irgendjemand über das Haar gestrichen oder gar einen Kuss gegeben. Meine einzige Freude war eine Katze in dieser Pflegefamilie, die nachts immer unter meine Bettdecke kroch und der ich oft weinend mein Leid klagte und die dann beruhigend schnurrte, bis ich einschlief.
Ich bin mehrmals von dieser Pflegefamilie ausgerissen und wollte sogar im Winter lieber irgendwo draußen sterben, als weiter bei dieser Familie zu leben. Leider hatte mich die Polizei immer wieder aufgespürt und zu dieser Familie zurückgebracht. Meine Hilferufe an meine Betreuerin vom Jugendamt verhallten ungehört und meine Schilderungen wurden als Hirngespinste abgetan. Ich selber wurde zunächst als schwer erziehbar und letztendlich als nicht erziehbar eingestuft.
Im Laufe der Jahre meiner Kindheit wurde ich deshalb immer verschlossener und depressiver. Ich dachte sehr oft an Selbstmord und nur mein kindlicher Glaube an einen strafenden Gott hielt mich davon ab. Als ich mich dann trotzdem einmal im Sommer in den gefährlichen Strudel unter einem Flusswehr warf und auf eine Befreiung von meinen Qualen hoffte, wurde ich von der Wasserwacht wieder an Land gezogen.
Mit vierzehn Jahren kam ich dann in ein Lehrlingsheim, was geradezu eine Erlösung für mich war, denn ich hatte keine Prügelorgien mehr zu befürchten und ich bekam auch nicht mehr dauernd zu hören, dass ich, ähnlich den Negern (ein verächtlich abwertendes Schimpfwort meiner Pflegeeltern bezüglich der dunkelhäutigen amerikanischen Soldaten), ein widerlicher Untermensch mit Negerlippen sei. In dieser Zeit begann ich auch viel zu lesen und die Stadtbibliothek wurde zu meiner zweiten Heimat. Trotz dieser Verbesserungen meiner Situation blieb ich weiterhin depressiv, wobei die Depressionen gegen Ende meiner Lehrzeit so stark zunahmen, dass ich die Lehre als Elektriker abbrach und tagsüber nur noch stumm vor mich hinstarrte.
Das alles war auch teilweise dadurch bedingt, weil ich in dieser Zeit Bücher über den Holocaust las, was mich in meiner Seele zutiefst aufwühlte. Als ich dann eines Tages meinen Vater deswegen zur Rede stellte und auch seine Meinung über die Juden wissen wollte, waren seine hasserfüllten Antworten so schockierend für mich, dass ich sofort jede Verbindung zu ihm abbrach. Für mich waren der Charakter und die Ansichten meines Vaters geradezu unerträglich und mir wurde auch klar, warum ich so viel Leid vom ihm und dieser Pflegefamilie ertragen musste. Ich war eben ein Bastard ohne reines Deutschblut und hatte kein Recht von diesen Herrenmenschen als gleichwertig angesehen zu werden.
Meine Hilflosigkeit und persönliche Isolation in dieser Situation führte dann letztendlich zu einem psychischen Zusammenbruch. Ich hasste mich selbst, da ich mich nicht aus dem Würgegriff dieser Depressionen befreien konnte und ich verachtete alle rechtsradikalen Deutschen, die letztendlich durch diesen unseligen Krieg und ihren Glauben als reinrassige Herrenmenschen meine Situation und auch den Tod meiner Mutter verursacht hatten. Meine ganze Not schrie ich dann eines Tages in das Telefon der christlichen Telefonfürsorge, die daraufhin sofort reagierte und mich an ihren Psychotherapeuten verwies. Schon nach der dritten Sitzung offenbarte mir der Psychotherapeut, dass wegen meiner grauenhaften Kindheitserfahrungen keine Heilung meiner Depressionen möglich sei. Zu tief wären die Verwundungen meiner Seele und es gäbe nur eine Möglichkeit diese Depressionen zu unterdrücken damit sie nicht letztendlich zum Selbstmord führten: Ich müsste mich durch extreme geistige Arbeit von meinen Kindheitserinnerungen ablenken und das für einige Jahre. Nur dann bestehe die Hoffnung, dass mit der Zeit diese Kindheitserfahrungen zumindest etwas verblassen. Dann fügte er noch mit ernster Miene hinzu: „Wenn es irgendwie möglich ist, dann verlassen sie auch Deutschland und versuchen in einer anderen Kultur zu leben, denn zu den Deutschen werden sie für immer ein ambivalentes Verhältnis haben.“
Irgendwie fühlte ich innerlich, dass er recht hatte und dass seine Ratschläge die einzige Alternative für mich waren. Also machte ich bei der Handwerkskammer als Externer zuerst noch meinen Lehrabschluss, zog dann nach Düsseldorf und besuchte dort eine zweijährige Abendmittelschule. Der Tagesablauf war dann jeden Tag von 7.30 bis 16.30 Uhr Arbeit in einem elektrotechnischen Betrieb und von 18.00 - 21.30/22.00 Uhr die Abendschule. Danach noch bis Mitternacht Hausaufgaben. Nach den zwei Jahren Abendmittelschule mit Abschluss zog ich nach Stuttgart und besuchte dort für drei Jahre das Abendgymnasium, das einem humanistischen Elitegymnasium angegliedert war. Der Tagesablauf war dort derselbe wie vorher und somit blieb mir keine Zeit, über meine Jugend nachzudenken. Die Lehrer des Gymnasiums waren hochprofessionell und durch sie lernte ich im Deutschunterricht die Schönheit der deutschen Literatur und Dichtkunst kennen. Besonders fasziniert war ich von unserem Geschichtslehrer, der mir die Weltgeschichte mit all ihrer politischen Komplexität und ihren Intrigen sehr lebendig vermitteln konnte. Was aber das barbarische Verhalten vieler Deutschen während des Hitlerregimes betraf, das im vollkommenen Widerspruch zu dem deutschen humanistischen und dem christlichen Gedankengut stand, so konnten auch diese Lehrer keine befriedigende Antwort darauf geben. Die Ursachen dieser Diskrepanz zwischen Humanität und Brutalität, die anscheinend in jedem Menschen vorhanden ist, haben mich aufgrund meiner Kindheitserfahrungen Zeit meines Lebens beschäftigt.
Um es jetzt an dieser Stelle nochmals ganz klar und deutlich zu betonen: Ich habe meine grauenvolle Kindheit nicht deshalb so ausführlich beschrieben, um beim Leser Mitleid oder Mitgefühl zu erwecken, sondern um dem Leser das Gefühl zu vermitteln, was Hass, Bedrohung und Ausgrenzung bei den betroffenen Menschen psychologisch verursacht. Deshalb ist für mich auch jede Art von Rechtsradikalismus oder Fremdenfeindlichkeit abzulehnen. Ich bin keineswegs für eine grenzenlose und auch nicht für eine wahllose Aufnahme von Asylsuchenden. Wer aber als Asylsuchender letztendlich einen Aufenthaltsstatus in Deutschland erhalten hat, der sollte zumindest mit Respekt behandelt werden. Es ist absolut unfair und inhuman, diese Menschen durch Ausgrenzung oder Bedrohung für das Fehlverhalten der Politiker büßen zu lassen.
Der Leser wird sich auch fragen, ob ich durch diese Kindheit nicht für den Rest meines Lebens alle Deutschen hassen werde. Nun, ich bin intelligent genug, um zu wissen, dass Deutschland nicht nur aus Nazis besteht und dass jeder Deutsche (wie auch alle anderen Menschen dieser Welt) individuell beurteilt werden muss. Wogegen ich aber für immer eine Abneigung haben werde, das sind die abgestumpften Angestellten der Jugendämter und ignoranten Lehrer der Grundschulen, etc., weil diese meine Hilferufe nicht zur Kenntnis nahmen und mich in meiner Not vollkommen alleine ließen. Dass sich in dieser Hinsicht für viele Kinder auch Jahrzehnte nach meinen Erlebnissen nichts geändert hat, wurde durch einem Bericht des gmx-Nachrichtenportals im Juni 2016 deutlich, in dem zu lesen war, dass in Deutschland pro Woche bis zu drei Kinder von ihren Eltern totgeschlagen werden (Quelle: www.n-tv.de/panorama), wobei die Dunkelziffer ein Vielfaches davon beträgt. Von den Prügelorgien, die viele Kinder jahrelang in derartigen Familien aushalten müssen (wo die Eltern zwar keine Nazis, aber ähnlich abnormal in ihrem Verhalten sind) und deren Leid auch heutzutage weitgehend unentdeckt oder ungeahndet bleibt, will ich erst gar nicht reden. Es ist eben diese unsägliche Kultur des Wegschauens und eine allgemein verbreitete Geht-Mich-Nichts-An-Einstellung, die derartige Exzesse perverser Menschen an hilflosen Kindern ermöglichen. Auch für diese Kinder habe ich meine eigene Kindheit beschrieben. Deshalb mein dringender Appell an alle Leser: Mischen sie sich bitte aktiv ein, wenn Ihnen in ihrem Umfeld derartige Zustände auffallen.
Aber weiter in eigener Sache:
Nach dem regulären Abitur begann ich in Tübingen Physik und Geografie für das höhere Lehramt an Gymnasien zu studieren und für mich war es wie ein Schicksalswink Gottes, dass ich sofort nach Abschluss meines Studiums einen dreijährigen Vertrag für den Aufbau und Betrieb von technischen Oberschulen im Irak angeboten bekam. Aus den drei wurden dann zwölf Jahre, die ich durchgehend im arabischen Raum verbrachte, und zwar zeitlich ziemlich gleichmäßig verteilt im Irak, Libyen und dem Oman.
Die Arbeit in diesen Ländern war für mich hochinteressant, da ich als Projektleiter bei dem Aufbau und Betrieb von Musterschulen, für jeweils ca. 800-1000 Schüler im Irak und Libyen, bedeutend mehr Freiheiten hatte, als es jemals an deutschen Schulen möglich gewesen wäre. Insbesondere bei der Ausbildung der irakischen, libyschen und omanischen Lehrer konnte ich sehr viel über arabische Denkweisen, Lernverhalten und Auffassungsgabe in Erfahrung bringen. Des Weiteren schrieb ich einige Lehrbücher in Elektrotechnik, Messtechnik und Elektronik, die ich den Schulen kostenlos zur Verfügung stellte.
Neben meiner beruflichen Tätigkeit bereiste ich in meiner Freizeit und auch während der Ferien das gesamte Land, in dem ich gerade arbeitete und knüpfte eine Vielzahl an engen Kontakten mit der einheimischen Bevölkerung. Ich wollte die arabische Kultur und Lebensweise in all seinen Facetten kennenlernen, denn für mich war es persönlich sehr wichtig, eine neue Heimat zu finden. Die Aufnahme in den arabischen Familien war in allen Ländern ohne Ausnahme herzlich und überaus gastfreundlich.
Weiterhin beschäftigte ich mich sehr eingehend mit der Religion des Islams, die in muslimischen Ländern durchwegs von großer Bedeutung ist, auch im sozialen und familiären Bereich. Je länger ich mich aber mit dem Islam beschäftigte, umso mehr irritierte mich die gnadenlose Bestimmtheit dieser Religion. Auch die unzähligen Gespräche mit gläubigen Moslems konnten meine Zweifel nicht beheben und eine zunehmende Distanziertheit gegenüber dem Islam nicht verhindern.
Nach zwölf Jahren Leben und Arbeit in arabischen Staaten, zuletzt als Studiendirektor und Berater in schulischen Angelegenheiten, hätte ich im Oman meinen Vertrag noch um weitere Jahre verlängern können. Entsprechend meiner langjährigen Erfahrung waren aber islamische Länder hinsichtlich dem harmonischen Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Rasse, Religion und Lebensauffassung nicht geeignet und deshalb ging ich erneut auf die Suche nach einer neuen Heimat. Diesmal nach Asien, wo ich sechs Jahre lebte und mich dort intensiv mit dem Buddhismus und der Mentalität der Asiaten beschäftigte. Es war die glücklichste Zeit in meinem Leben. Aber das ist eine andere Geschichte, die ich hier nicht weiter ausführen will, denn in diesem Buch geht es um den Islam im Allgemeinen und den islamischen Asylanten im Besonderen.