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1 . Kapitel Die Ankunft
ОглавлениеDie Tür zur Waffenkammer stand weit offen. Ago war erleichtert. Dietrich, der Waffenmeister, wird also da sein. Wo sollte er auch sonst sein, dachte er. Er betrat den Raum. Es dauerte einige Augenblicke, ehe er sich an das schlechte Licht gewöhnt hatte. Das Dreibein, das unter der Bank hervor lugte, sah er trotzdem nicht. Er blieb mit dem Fuß hängen, schlug der Länge nach hin. Dabei riss er die Schilde um, die an der Wand lehnten. Ago lag am Boden, strich sich mit einer fahrigen Geste ein paar rote Strähnen aus seinem Gesicht.
„Was ist da los, was soll das Gepolter,“ dröhnte die Stimme des Waffenmeisters aus dem Dunkel der Kammer. Während Ago sich aufrappelte und sich den Staub aus der Tunika klopfte, kam der Waffenmeister näher.
„Was treibst du hier, du Nichtsnutz. Wenn du dich mal wieder vor dem Unterricht drücken willst, musst du hier nicht gleich alles durcheinander bringen.“
Ago blickte in das zornige Gesicht des Alten. Er wusste, dass er nicht wirklich wütend war, denn Gottfried war der Meinung, dass ein alter Kämpe wie er, sein weiches Herz nicht zeigen durfte. Trotzdem ärgerte Ago sich über die grobe Abfuhr. Nachdem er beim Aufräumen der Waffenkammer geholfen hatte und den ersten Schritt vor die Tür machte, prallte er fast mit Arnulf, dem Hauptmann der Burgwache zusammen.
„Ago, was machst du für ein Gesicht?“
„Ich habe versehentlich ein wenig Unordnung in der Waffenkammer gemacht. Dietrich meinte mal wieder wütend sein zu müssen. Obwohl er genau weiß, dass ich nicht darauf herein falle,“ lachte Ago, wobei seine eisgrauen Augen blitzten.
„Ich fürchte, ich muss dir deine gute Laune verderben. Pater Bertram schickt mich. Er will sich bei deiner Mutter beschweren, wenn du seinen Unterricht weiterhin so oft versäumst.“
Ago bemerkte den leisen Spott in der Stimme des Hauptmannes. Noch ehe er zu einer Antwort ansetzen konnte, ertönte ein Signalhorn. Im nächsten Augenblick stand Ago allein im Innenhof. Aber er konnte Arnulf hören, der mit befehlsgewohnter Stimme seine Anweisungen gab.
„Bogenschützen auf die Zinnen, Wehrgänge besetzen. Fallgitter runter. Tor schließen, Öl heiß machen!“
Schwere Ketten rasselten. Die mit Eisen beschlagenen Torflügel schlossen sich mit einem dumpfen Schlag.
Ago rannte quer über den Hof, nahm die Treppe zum Wehrgang mit ein paar Sätzen, machte aber sofort Platz für die nachdrängenden Wachsoldaten. In Windeseile war die Burg verteidigungsbereit. Zwischen den Zinnen, die sich oberhalb des Tores befanden, blieb er stehen.
Er sah die Staubwolke, die Senkrecht in den Himmel stieg. Sie war noch weit, fast am Ende des Tales. Was sie verbarg, konnte er nicht sehen. Aber ihm schien, als würde in der Ferne Stahl blinken.
Drohte ein Angriff? Nein, sagte er zu sich selbst, dafür sind es zu wenig. Es müssen Kreuzfahrer sein, die auf dem Heimweg sind. Er hoffte, dass er die Gesichter der Menschen erkennen konnte, wenn sie erst einmal nahe genug heran gekommen waren. Er spürte eine Bewegung neben sich. Arnulf gesellte sich zu ihm.
„Das kann nur ein großer Heerhaufen sein “, hörte Ago ihn sagen. Allmählich konnte er mehr sehen. Schemenhafte Schatten tauchten in dem Dunst auf.
Der Heerhaufen kam näher und Ago konnte, wenn auch nur schemenhaft, einzelne Reiter erkennen.
Volker von Reims, der Herold, trat zu ihm.
„Volker, wirst du mir die Namen zu den Wappen auf den Schilden nennen können?“, fragte Ago.
Volker nickte, ohne den Blick von dem Geschehen zu nehmen. Endlich erkannte Ago einzelne Reiter, denen Fußtruppen folgten, dazwischen immer wieder schwere Ochsengespanne.
Die ersten Ritter bogen auf den Fahrweg ein, der sie in weiten Schwüngen hinauf zur Schauenburg führte. Jetzt konnte Ago die Wappen auf den Schilden, den Bannern und Wimpeln unterscheiden. Unübersehbar leuchtete das Zeichen der Kreuzfahrer auf den Waffenröcken. Aufgeregt lief er hin und her, denn die Kreuzfahrer kamen tatsächlich aus den Heiligen Land, so wie er es sich gewünscht hatte.
„Es sind Kreuzfahrer. Der Vater wird dabei sein. Er muss unter ihnen sein“, flüsterte er. Ago, der in der Betrachtung der Ankommenden versunken war, zuckte zusammen, als der Herold mit lauter Stimme die Namen der Ritter rief, die er erkannte.
“Herr Wate von Stürmen, Graf Adhemar von Monteil, Markgraf Albert von Aachen Markgraf Agilhardt von Praunfalk.“
Dazwischen erklang immer wieder die Stimme Arnulfs, der seine Befehle erteilte. „Die Waffen runter, das Tor hoch!“
Nun waren die Männer auf ihren Pferden so nahe, dass Ago sie gut erkennen konnte. Verzweifelt huschten seine Augen über die Gesichter der Reiter.
Vater, wo bist du? rief er in Gedanken. Händeringend suchte er nach dem Ritter mit der breiten Narbe quer über der Stirn, nach blonden Haaren, die unter dem Helmrand hervor schauten. Er hielt Ausschau nach dem Wappen mit den goldenen Sonnen im Schildhaupt und dem roten Eberkopf darunter. Aber er konnte es nicht finden. Ein Karren mit Verwundeten näherte sich. Das Stöhnen und Wimmern der schwer verletzten drang bis zu ihm herauf. Fieberglänzende, weit aufgerissene Augen starrten ihm entgegen, der Gestank fauliger Gliedmaßen stieg ihm in die Nase. Einer der Ritter, der direkt an der Karrenwand hinter dem Gespannführer saß, hob den mit Schwären bedeckten Arm, als wolle er Ago grüßen. Aus den leeren Augenhöhlen lief Eiter herunter. Ago ertrug den Anblick nicht länger und wandte den Blick auf das Ende des Zuges.
Längst war der ganze Tross im Inneren der Burg verschwunden. Ago stand noch immer auf dem Wehrgang.
Sehnsüchtig starrte er zwischen den Zinnen hindurch in die Ferne, wartete auf die Nachzügler, die vielleicht noch kommen würden. Der Weg, der sich durch das weite Tal schlängelte, blieb leer. Nur feiner, gelber Staub lag noch in der Luft. Wieder hatte er vergebens gehofft und gewartet.
Schlimmer noch: Bohrender Zweifel breitete sich in ihm aus, er konnte nicht mehr so recht an die Rückkehr das Vaters glauben. In seinem Kummer sah er den lange Vermissten irgendwo im blutgetränkten Wüstensand liegen. Der Gedanke daran trieb ihm die Tränen in die Augen.
Auch die Markgräfin Burghild von der Schauenburg, Agos Mutter, hatte die fremden Reiter voller Spannung an sich vorüber ziehen lassen. Die Kreuzfahrer hatten auch sie in
Aufregung versetzt, denn wenn sie auch ihren Gatten nicht unter ihnen fand, so hoffte sie doch inständig auf gute Nachrichten von ihm. Sie sah aber auch, dass einige von ihnen dringend Hilfe benötigten. Die fremden Ritter wurden
mit ihren Knappen und Knechten eingeladen, solange auf der Schauenburg zu verweilen, bis alle wieder bei Kräften waren und an die Weiterreise denken konnten.
Burghild selbst war es dann auch, die sich zusammen mit ihren Kammerfrauen um die Verletzten kümmerte, Wunden versorgte, Trost spendete, Betten mit frischem Linnen bezog, um darauf die Verwundeten zu betten.
Dabei vergaß die Burgherrin nicht, auch für die Gesunden zu sorgen. Sie konnten sich den Reisestaub abwaschen und sich an sauberer, ihrem jeweiligen Stand entsprechender Kleidung bedienen. Währenddessen ließ Burghild die Feuer in der Küche anfachen. Brot wurde gebacken, allerlei Wild verschwand in den Töpfen, Hühner ließen ihr Leben auf dem Spieß. Bald zog ein verlockender Duft durch die Räume der Burg.
Endlich hatten die Gäste ihre Plätze in dem großen Rittersaal gefunden und es konnte aufgetragen werden, was Keller und Küche hergaben. Die Kreuzfahre langten kräftig zu. Wein, Bier und Met mussten oft nachgeschenkt werden.
Ago war überhaupt nicht zum Feiern zumute. Er saß nur auf
Bitten der Mutter mit an der Tafel. Lieber hätte er sich irgendwo in der Burg verkrochen um seinen Tränen freien Lauf zu lassen. Die leichte Berührung der Mutter spürte er kaum. Dann blickte er aber doch auf, dankte ihr mit einem Nicken für den Teller voller Braten, den sie ihm zugeschoben hatte. Im gleichen Maße, in dem die Diener
Speisen und Getränke nachreichten, stieg auch die Stimmung der Kreuzfahrer, sie vergaßen ihre Strapazen, die Gespräche wurden lebhafter, ja ausgelassen und lustig. Ago fühlte sich nicht wohl an der Tafel. Ihm war es zu laut. Am Eingang zum Rittersaal wurde es turbulent, einer der Kreuzfahrer hatte sich etwas verspätet. Die entstehende Unruhe nutzte Ago, um den Rittersaal unbemerkt durch einen versteckten Nebenausgang zu verlassen. Der schmale Gang führte ihn auf den Innenhof. Er blieb stehen, lehnte sich an die Mauer. Was soll ich nur machen?
Dem Trubel im Rittersaal bin ich entkommen. In meine Kammer gehen? Sein Blick fiel auf die Fenster der Gesindestube. Das darin flackernde Kerzenlicht erinnerte ihn daran, dass dort die Knappen und Knechte der Kreuzfahrer saßen. Die könnte ich doch nach dem Vater fragen!
Mit schnellen Schritten näherte er sich seinem Ziel. Im nächsten Augenblick schallten ihm wilde Kreuzfahrergesänge entgegen.
Er schüttelte den Kopf, blieb abrupt stehen und wandte sich dem Ostturm zu, wo er seine Kammer hatte. Er wollte lieber am nächsten Morgen die Mutter fragen, ob sie vom Vater gehört hatte.
*
Leise knarrend wurde die Tür von innen geöffnet. Agos verschlafenes Gesicht kam zum Vorschein. Er rieb sich verwundert die Augen, denn die Kreuzfahrer erteilten den Knappen und den Männern der Burgwache eine Lehrstunde.
Ago beeilte sich den Innenhof der Burg zu überqueren. Er war zu müde zum Kampftraining. In den letzten beiden Nächten hatte er schlecht geschlafen und Lust verspürte er auch keine. Zum Glück drehte ihm der Waffenmeister den Rücken zu. So musste er nicht fürchten, angesprochen zu werden.
Er öffnete die hölzerne Pforte in der Mauer und drückte sie hinter sich zu. Augenblicklich wurde es still. Das Geschrei der Kreuzfahrer und das Geklirr der Waffen verstummten. Auf dem Grünfeld der Burg hatte Agos Mutter einen Kräutergarten angelegt. Hier wuchsen die Heilkräuter, die sie für ihre Tinkturen, Aufgüsse und Salben benötigte. Er saß gern hier, auf der Bank am Stamm des uralten Nussbaumes, der seine Äste weit über die Mauer der Schauenburg streckte. Aber seine Ruhe währte nicht lange. Wieder knarrte das Tor. Mit einem gequälten Gesichtsausdruck wandte er sich dem Ruhestörer zu und erkannte Arnulf.
„Hast du kein Verlangen danach, von den Rittern etwas zu
lernen? Dietrich vermisst dich dort unten!“
„Hat er dich wieder geschickt?“ fragte Ago.
„Nein, diesmal nicht. Er wunderte sich nur, denn von den Kreuzfahrern können wir alle viel lernen.“
„Mir ist heute nicht nach kämpfen, Arnulf. Außerdem bin ich müde. Ich helfe der Mutter bei der Pflege des Ritters Bertram von Schöpfingen. Er wurde einige Tage vor Erreichen der Schauenburg bei einem Überfall schwer verletzt! Mutter weiß nicht, ob er überleben wird, er wirkt jetzt schon mehr tot wie lebendig.“
„Wer ist denn so dumm, eine Schar heimkehrender Kreuzfahrer zu überfallen?“ wunderte sich Arnulf.
„Sie wurden nicht überfallen. Es war Bertram, der sehr leichtsinnig war. Von einem seiner Gefährten hörte ich, dass er zur Nachhut eingeteilt worden war. Er hat sich im Wald, an der finstersten Stelle, zu weit zurück fallen lassen. So kam es zu einem Überfall. Das Raubgesinde war scharf auf seine Ausrüstung“, erklärte Ago.
„Die Gefährten kamen ihm doch zur Hilfe?“ fragte Arnulf.
„Ja sicher taten sie das, sonst hätte er nicht überlebt“, erwiderte Ago erstaunt.
„Hast du etwas Neues von deinem Vatergehört gehört?“
„Nein Arnulf. Ich selbst habe die Knappen nach ihm gefragt, aber ohne Erfolg. Meine Mutter hat mit allen edlen Herren gesprochen, aber niemand konnte ihr etwas über den Verbleib des Vaters sagen. In den zwei Tagen, in denen wir die Heimkehrenden beherbergen, haben wir nichts über ihn
erfahren können Meine Mutter hofft darauf, dass Bertram mehr weiß. Wir wollen ihn fragen, wenn er überlebt.“
„Gib die Hoffnung nicht auf, Ago.“
„Nein, das werde ich nicht. Aber es fällt immer schwererer an seine Rückkehr zu glauben, schließlich haben wir seit mehr als vier Jahren nichts mehr von ihm gehört“, erwiderte Ago.
„Mir würde es auch schwer fallen. Trotzdem ist schon so mancher von einem Kreuzzug zurück gekommen, der nicht mehr erwartet wurde.“
Der Rand der glutroten Scheibe schien die fernen Berge zu berühren. Ago hockte zwischen den Zinnen, den Rücken an die sonnenwarmen Sandsteinquader gelehnt. Er musste an das Gespräch denken, das er vor einigen Stunden mit Arnulf führte. Seine Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf. Den Mann, der leise an ihn heran trat, bemerkte er erst, als er eine Hand auf seinem Arm spürte. Es war Fulcher von Chartres, der Priester, der mit den Kreuzfahrern zurück gekehrt war.
„Verzeih mir Ago, wenn ich dich störe. Ich mache mir Sorgen, ich sah dich oft nachdenklich, fern vom üblichen Betrieb der Burg in einer stillen Ecke sitzen. Gibt es da etwas, das du dir von der Seele reden möchtest?“
Ago brauchte einen Augenblick, ehe er in die Wirklichkeit
zurück fand. Er stand auf und begrüßte den Priester
freundlich.
„Ich habe euch nicht kommen hören“, sagte Ago entschuldigend.
„Habt Dank für euer Angebot, aber helfen könnt ihr mir nicht. Von meiner Mutter werdet Ihr gehört haben, dass auch mein Vater das Kreuz genommen hat und wir schon lange auf seine Rückkehr warten. Ich hänge sehr an meinem…“
Ago wurde von lautem Alarmgeschrei unterbrochen.
Sein Kopf zuckte herum, der Blick fixierte den nahen Waldrand, denn nur von dort konnte Gefahr drohen. Im gleichen Moment hörte er den Hauptmann rufen.
„Öffnet das Tor, es sind die Männer des Grafen von Praunfalk.“
Um Agos Lippen spielte ein Lächeln. Er kannte den Reiter, der da gerade in vollem Galopp auf den Fahrweg zur Burg einbog, gefolgt von einer kleinen Eskorte.
„Wer ist es, der da in einem Höllentempo dahin fliegt?“ fragte der Priester.
„Es ist Freya, die Tochter eines Nachbarn, die von unserem Besuch erfahren hat und nun sehen möchte, wer da gekommen ist“, entgegnete Ago.
„Da sitzt eine Frau im Sattel? Nun, ja, dass passt zu diesem heidnischen Namen“, entgegnete der Priester, wobei er missbilligend die Stirn runzelte.
„Ihre Mutter entstammt einem dänischen Könighaus. Sie wurde auf den Namen der heiligen Agnes getauft“, entgegnete Ago. „Aber sie hört nur auf Freya, dem Namen ihrer Urgroßmutter, die sie sehr geliebt hat.“
Ago, der Freya fast ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte, freute sich über den Besuch der Nachbarin.
Mit seiner Freude war es jedoch im nächsten Augenblick vorbei. Freya wandte sich im Sattel herum um nach ihrer Eskorte zu sehen. Sie kam zu weit nach links. In dem weichen Boden strauchelte ihr Pferd, schlug zu Boden. Freya wurde aus dem Sattel geworfen und prallte hart auf dem Fahrweg auf.
Ago stockte der Atem. Wie gelähmt blickte er auf Freya, die da unten, im Staub des Weges lag.
„Ruft nach meiner Mutter, sie ist verletzt!“
Er stürmte die Treppe des Wehrganges herab, gefolgt vom
Priester und Arnulf.
Kaum dass Ago Freya erreichte, kniete er nieder. Sie war
bewusstlos, blutete aus einer Stirnwunde. Er hörte die Mutter rufen.
„Was ist mit ihr Ago? Ist sie wach? Siehst du Verletzungen?“
Ehe Ago antworten konnte, war Burghild heran, ihr folgten zwei Männer der Burgwache mit einer Trage.
Mit geschickten Händen untersuchte sie die junge Frau.
„Bringt sie in meine Kemenate. Ago, sieh nach Hildegardis. sie soll mir helfen und gleich noch zwei Mägde mitbringen.“
Die Männer blieben mit ihrer Last vor dem Bett stehen, auf dem Burghild das Lager für die Verletzte vorbereitete. Behutsam wurde sie auf den frischen Leinentüchern abgelegt. Burghild tastete noch einmal vorsichtig Arme und Beine der Bewusstlosen ab, die während dessen leise stöhnte.
Ago betrat den Raum, gefolgt von Hildegardis und den Mägden.
„Gut dass du da bist, Hildegardis. Zieh Freya aus, lass dir von einem der Mädchen dabei helfen. Ich muss noch einiges vorbereiten“, sagte Burghild erleichtert.
Erst jetzt bemerkte sie Ago, der hilflos neben dem Bett stand.
„Was willst du noch hier? Raus mit dir! Du wirst hier nicht gebraucht.“
Sie öffnete den Schrank, der sich auf der anderen Seite ihrer Kammer befand. Auf den Regalen standen fein säuberlich
beschriftete irdene Krüge nebst anderen medizinischen Gerätschaften. Sie griff nach einer Schüssel und legte eines der Gefäße hinein. Ein Schlafschwamm kam noch dazu. Und die lederne Mappe mit den Instrumenten. Als letztes nahm sie noch ein Leinensäckchen, das sie einer der Mägde in die Hand drückte.
„Lauf in die Küche, nimm ein Quart kochendes Wasser, fülle es in einen Krug, gib den Beutel hinein, lass es abkühlen und bring ihn mir zurück.“
Ihre übrigen Gerätschaften stellte sie auf dem kleinen Tisch ab, der neben dem Bett stand. Aus einer Truhe holte sie hölzerne Stangen, Schafswolle zum Polstern und frische Leinenbinden, legte alles auf den Schemel am Fußende des Bettes, goss etwas Wasser in die Schüssel, feuchtete damit den Schlafschwamm an, drückte ihn aus und legte ihn mit sanftem Druck auf Freyas Gesicht.
„Atme tief ein, die Dämpfe nehmen dir den Schmerz!“
Nach wenigen Augenblicken verstummte Freyas stöhnen, ihr Atem wurde ruhiger, sie schlief ein.
Burghild tastete den rechten Arm noch einmal ab.
„Unten auf dem Fahrweg war ich mir nicht sicher. Es ist ein Bruch. Aber sie hat Glück gehabt, Hildegardis. Er ist glatt, ich kann ihn leicht schienen. Aber zuerst will ich mir noch einmal die Wunde ansehen. Doch dazu brauche ich mehr Licht.“
Während sich eine der Mägde darum kümmerte, schob sie Freyas blonde Strähnen aus der Stirn und wusch ihr das Blut aus dem Gesicht.
Burghild hielt die zu einer Schale geformten Hände über die Schüssel.
„Hilf mir Hildegardis“, bat Burghild ihre Schwester.
„Schütte ein wenig aus dem Krug auf meine Hände.“ Burghild verrieb eine ölige, grünschillernde Flüssigkeit auf ihren Händen.
„Jetzt öffne bitte das Lederne Etui und gib mir den blauschimmernden Stab mit dem Knopf an dem einen Ende. Und jetzt noch mal ein paar Tropfen.“
Nachdem die Substanz auch auf dem Stab verteilt war, schob sie das Instrument vorsichtig in den tiefen, fingerlangen Riss und tastete an verschiedenen Stellen.
„Da ist nichts gebrochen, ich kann nähen.“
Sie ließ sich die kleinste ihrer gebogenen Nadeln und die Rolle mit den neuen Seidenfäden geben. Hildegardis sah ihr aufmerksam zu, während Burghild die ersten Knoten setzte.
„Bei dem Knecht, dem du in der letzten Woche die Stirnwunde genäht hast, waren die Knoten nicht so dicht gesetzt“, wunderte sich Hildegardis.
„Freya ist mit ihrer schiefen Nase doch schon genug gestraft. Außerdem soll mein Sohn keine Frau heiraten, die eine hässliche Narbe auf der Stirn hat“, entgegnete Burghild lächelnd, ohne von ihrer Arbeit aufzublicken.
„Ach ja, ich vergaß, das ihr die beiden schon vor Jahren einander versprochen habt! Aber weiß Freya davon? Du weißt wie störrisch sie ist. In ihrem Alter sind die meisten Jungfrauen längst aus dem Haus“, erwiderte Hildegardis. Burghild unterbrach ihre Arbeit, warf einen Blick auf das blasse Gesicht Freyas, kontrollierte ihren Puls und nickte zufrieden.
„Das wäre sie auch“, entgegnete Burghild. „Ihr Vater musste Freyas Mutter auf dem Sterbebett versprechen, Freya nicht gegen ihren Willen zu verheiraten.“
„Ja, ja, die gute Almut. Sie war die heimliche Herrin auf der
Falkenburg.“
„Und jetzt ist es Freya“, entgegnete Burghild lachend. Sie machte den letzten Knoten, legte einen Verband an und tränkte ihn mit Rotwein.
Freya wurde unruhig, ihr Atem ging heftiger, sie wimmerte leise.
„Ich muss mich beeilen, sie wird wach. Halt durch Freya, ich bin gleich fertig“, sagte Burghild.
Sie fasste Freyas Handgelenk, während Hildegardis Freyas
Schulter runter drückte. In diesem Augenblick wurde Freya
wach und schrie auf. „Den Schwamm kannst du nicht mehr haben, es wäre zu gefährlich! Ich muss dir nun Schmerzen zufügen, aber ich bin gleich fertig!“ rief Burghild und zog und drehte weiter, während die Mägde halfen, Freya zu halten. Burghild störte sich weder an Freyas schreien, noch an dem Knirschen der Knochen.
„Fertig. Es ist vorbei. Gebt Freya von dem Sud.“ Sie strich Freya das Haar aus der Stirn.
„Trink nur, es wird dir gut tun.“
Sie wartete ab, bis sich Freyas Züge wieder glätteten. Mit der Hilfe ihrer Schwester polsterte sie den Arm ab. Halbrunde, hölzerne Stäbe wurden auf das Polster gelegt und mit Leinenbinden fixiert.
„Das wird halten und der Bruch kann heilen. Du hast es überstanden Freya!“
„Holt Ago wieder rein. Einen besseren Krankenwächter kann es für Freya nicht geben“, sagte sie lächelnd zu Hildegardis gewandt.
Ago lief unruhig auf und ab, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Noch immer hallten die Schreie in seinen Ohren. Er konnte sein Verhalten nicht verstehen. Es geschah nicht zum ersten Mal, das sich Freya bei einem Besuch auf der Schauenburg verletzte.
„Warum mache ich mir diesmal bloß so viele Gedanken…“ murmelte er vor sich. Die knarrende Tür in seinem Rücken hörte er nicht. Er reagierte erst, als er Hildegardis leises rufen hörte.
„Du kannst rein kommen, Freya ist versorgt und schläft.“
Zögernd betrat er den Raum.
„Ago, setz dich zu Freya“, hörte er die Mutter sagen. „Pass auf sie auf, du weißt ja, worauf du achten musst! Ich werde dich in zwei Stunden ablösen.“
Ago, der seiner Mutter oft und gern bei der Versorgung von Kranken und Verwundeten half, wusste was er zu tun hatte. Leise stellte er einen Scherenstuhl an das Kopfende des Bettes. Dann fasste er nach Freyas Handgelenk, um den Puls zu tasten.
Er betrachtete ihr Gesicht, das ihm trotz des weichen Kerzenlichtes sehr blass erschien. Und es kam ihm so vor, als ob es nicht mehr so rund war. Es war eckiger geworden, die Wangenknochen traten stärker hervor. Oder täusche ich mich da? Ich habe sie mehr als ein Jahr nicht gesehen. Nur der Mund ist so wie er war, mit diesen wunderschön geschwungenen, vollen Lippen. Er lachte leise auf und musste daran denken, dass er diesen Mund mit vielleicht fünf oder sechs Jahren schon einmal geküsst hatte. Sie hatten es bei Agos Eltern einmal gesehen und wollten unbedingt wissen, wie es sich anfühlt.
„Damals fanden wir es schrecklich, unsere Lippen waren so
feucht. Und wenn ich sie heute küssen würde…“ murmelte er
leise vor sich hin.
Im nächsten Augenblick wurde es ihm seltsam warm uns Herz, er fühlte sich unendlich leicht, er hätte tanzen können.
Eigentlich hatte Ago sich darauf gefreut sich mit Freya unterhalten zu können. Aber sie schlief nur. So war er froh, dass die Mutter ihn ablöste. Er ging in seine Kammer, zog sich aus und legte sich auf sein Bett. Aber der Schlaf wollte sich nicht einstellen. Mit seinen Gedanken war er immer noch bei Freya. Ihre Schreie klangen immer noch in seinen Ohren. Wie hatte er mit ihr gelitten. Aber jetzt geht es ihr ja wieder gut. Und dann waren da noch diese seltsamen Gefühle, ihr gegenüber.
Er konnte, das was er spürte, nicht einordnen. Ihm war bewusst, dass sich zwischen ihnen etwas geändert hatte, oder sich noch ändern würde. Auf jeden Fall war sie nicht mehr die Spielgefährtin früherer Tage. Er beschloss mit Dietrich darüber zu reden.
Erst gegen morgen fiel er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Das Geräusch, das ihn weckte, konnte er nicht sofort einordnen.
Er brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass an seine Tür geklopft wurde.
Er setzte sich auf die Bettkante, rieb seine Augen und versuchte, wach zu werden.
„Komm rein, die Tür ist auf“, rief er mit einem ärgerlichen Unterton in der Stimme.
Die Tür wurde geöffnet und ein Diener betrat den Raum.
„Verzeiht, Herr, die Herrin schickt mich. Es ist wegen Freya, sie verlangt nach Euch!“
„Ich werde mich beeilen, richte ihr das aus!“, sagte Ago. Langsamer als gewöhnlich zog er sich an. Was mochte Freya diesmal angestellt haben? Bei dem Gedanken an die manchmal sehr eigenwillige Freya musste er lachen. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie die Mutter zur Verzweiflung brachte.
Schon vor der Tür zur Kemenate der Mutter hörte er Freyas laute Stimme. Und immer wieder, wenn auch weniger laut, die der Mutter. Wiederholt meldete sich auch die Gräfin von Falkenberg, die Freya auf die Schauenburg begleitet hatte. Auf Agos Klopfen erfolgte keine Reaktion. Erst als er heftiger auf die Tür schlug, schallte ihm das „Herein“ der Mutter entgegen.
Kaum dass er den Raum betrat, redeten die Frauen so laut auf ihn ein, dass er am liebsten wieder gegangen wäre. „Mutter, warum hast du mich rufen lassen?“ fragte er betont leise.
Im nächsten Augenblick redeten wieder alle drei auf ihn ein, so dass er nicht ein Wort verstand. Es wurde ihm zu viel. Mit einer ärgerlichen Geste drehte er sich herum und griff nach der Türklinke. Im nächsten Augenblick spürte er die Hand seiner Mutter auf dem Arm.
„Bitte bleib Ago, es ist, wegen Freya…“. „Das weiß ich Mutter“, unterbrach er sie. „Ich kann mir denken, worum es geht. Sie soll liegen bleiben, aber sie will es nicht.“
„So ist es Ago. Sie ist mit dem Kopf aufgeschlagen, sie war bewusstlos. Meine Essenzen, der Schwamm mit seinen Inhaltsstoffen, all das wirkt nach“, erklärte Burghild.
„Auch das weiß ich. Wenn du dir Freyas Gezeter stundenlang anhören willst, binde sie doch am Bett an. Dann bleibt sie liegen!“ erwiderte Ago, worauf Freya laut protestierte.
„Ich weiß, dass du es nicht ernst meinst. Und deine Mutter es gut meint. Aber hier drin halte ich es nicht den ganzen Tag aus. Wenn ich nur ein paar Stunden raus könnte…“
„Mutter“, wandte sich Ago an Burghild, „sie kann sich doch auf die Bank in deinem Kräutergarten setzen. Zusammen mit der Gräfin Falkenstein kann ich auf sie aufpassen. Wenn sie sich nicht wohl fühlt, bringen wir sie sofort zurück in deine Kemenate.“
„Das wollte ich von dir hören Ago. Aber sie muss sich warm anziehen, auch wenn der Herbst noch fern ist. Und trotzdem kann es für sie zu kühl werden“, sagte Agos Mutter besorgt.
Ago hatte auf der Bank unter dem Nussbaum im Kräutergarten einige Felle und Kissen ausgebreitet. Kaum dass er fertig war, wurde die Pforte geöffnet und Freya betrat den Garten, gefolgt von der Gräfin von Falkenstein. Zu seiner Überraschung bemerkte Ago, das die Gräfin nach einem der Kissen auf der Bank griff und es sich damit auf der Mauer bequem machte, die den Kräutergarten vom Rest des Grünfeldes abtrennte. Mit einem Lächeln quittierte Ago, dass sie ihnen den Rücken zu wandte. So rutschte er näher an Freya heran als es sich eigentlich geziemte. Behutsam griff er nach Freyas Hand, die es lächelnd duldete, ja sogar mit leichtem Druck ihrer Finger reagierte.
„Du warst sehr lange nicht mehr bei uns Freya. Fast ein ganzes Jahr ist seit deinem letzten Besuch vergangen“, stellte Ago mit einem leichten Vorwurf in der Stimme fest.
„Du hast mich doch nicht etwa vermisst?“, erwiderte Freya lächelnd. „Du kennst die Winter, die wir in den Bergen haben. Es ist keine Reisezeit. Und du weißt von der schweren Wunde meines Vaters, die immer wieder aufbricht und ihm dann zu schaffen macht. Im letzten Jahr war es besonders schlimm. Vater hat fast das ganze Frühjahr in seiner Kammer zugebracht. Erst zum Ende des Sommers ging es ihm so gut, dass ich ihn allein lassen konnte.“
„Und da hat er dich nicht weg gelassen“, stellte Ago fest.
„Nun, ich hab ihn schon davon überzeugen können, dass ich dich und deine Mutter unbedingt besuchen muss. “
Ehe Ago darauf etwas erwidern konnte, wurde die schmale
Pforte erneut geöffnet und ein Ritter betrat den Garten. Es war einer der Kreuzfahrer. Auch er war verletzt, denn er trug den rechten Arm in einer Schlinge. Ago erkannte ihn sofort. Es war Kraft von Blankenstein. Ago erhob sich, und bot dem Ritter Platz auf der Bank an.
„Habt Dank, junger Herr, für eure Freundlichkeit. Eure Mutter sagte mir, wo ich euch und Freya finden konnte. Ich wollte mich nur nach dem Befinden der Freiin erkundigen!“
„Oh mir geht es wieder einigermaßen gut. Ich habe nur meinen Arm gebrochen“, entgegnete Freya.
„Ja gewiss, so ein Bruch ist schlimm, aber ein Medicus wie Agos Mutter bringt so etwas leicht in Ordnung“.
„Da kann ich euch nur recht geben.“, erwiderte Freya.
„Im Heiligen Land soll es auch sehr gute Ärzte geben“, beteiligte sich nun die Gräfin von Falkenstein an dem Gespräch.
„Oh ja. Einem dieser Hakims habe ich es zu verdanken, dass ich mein rechtes Bein noch habe. Es gibt aber auch ganz besondere Frauen im Heiligen Land. Frauen, die nicht nur reiten wie ihr, sondern die auch noch kämpfen!“
„Kämpfen?“ wiederholte Freya erstaunt.
„Ja, ihr habt richtig gehört. Ich würde es auch nicht glauben, wenn ich es nicht gesehen hätte!“ entgegnete der Ritter.
Ago hätte gern mehr gehört. Aber noch ehe er den Ritter darum bitten konnte, äußerte Freya selbst den Wunsch.
„Ich war mit meinen Männern auf einer längeren Patrouille. Eine Oase, vielleicht, einen Tagesritt weit von Akkon entfernt, lud zu einer Rast. Die Sonne würde bald untergehen, und als Lagerplatz für eine Nacht konnten wir nichts Besseres finden. Kaum dass unsere Zelte standen, näherte sich eine Gruppe von einem Dutzend Reiter. Natürlich machten wir uns bereit, die Neuankömmlinge gebührend zu empfangen und sie mit Speis und Trank zu versorgen. Aber sie wollten nichts anderes, als die Nacht auf der Oase zu verbringen, zu essen hätten sie wohl genug.“
„Was waren das für Leute?“ fragte Ago.
„Es war eine kleine Gruppe von Kreuzfahrern, die an einen Führer geraten waren, der sich nicht so recht auskannte. Der hatte sie einfach ihrem Schicksal überlassen, als sie sich darüber beschwerten.“
Diesmal war es Freya, die den Ritter unterbrach.
„Ihr sagtet eine kleine Gruppe von Kreuzfahrern? Ich dachte immer, das die nur zu hunderten oder gar zu tausenden unterwegs sind.“
„Ja, ihr habt recht. Aber es ist nicht immer so. Warum diese Gruppe so klein war, sollte ich am nächsten Morgen erfahren! Ich schlafe gern im Freien. So auch an dieser Nacht. Weil mir meine Gefährten zu laut waren und ich sehr müde war, legte ich mich direkt an den See, ein paar Dutzend Schritte von meinen Männern entfernt, wo ich meine Ruhe hatte. Ich wickelte mich in meine Decke und schlief sehr schnell ein, denn der Tag war sehr hart gewesen und die Wärme der Decke tat ihr übriges. Für gewöhnlich wurde ich von den ersten Sonnenstrahlen geweckt. An diesem Morgen waren es leise Stimmen, die meinen Schlaf beendeten. Ich nahm an, dass es die Reiter waren, die sich zu uns gesellt hatten. Sie konnten mich nicht sehen, denn ich verbarg mich hinter Mauerresten, die der Wüstenwind frei gelegt hatte. Es war noch dunkel, nur am Horizont wuchs ein heller Streifen langsam in die Breite. Es würde noch eine Weile vergehen, ehe meine Männer aus ihren Zelten kämen. Meine Neugier wuchs in dem Maße, wie die Schatten der Nacht verschwanden. Mittlerweile war es so hell, dass ich beschloss einen Blick über die Mauer zu riskieren. Die Männer zogen sich aus! Männer? Es waren Frauen, die sich da auszogen um sich zu waschen!“
„Frauen?“
Wie aus einem Mund kam der Ausruf der gespannt lauschenden.
„Ja, Frauen. Erst später habe ich sie zur Rede gestellt. Sie bezeichneten sich als Töchter aus adeligen Häusern, die die Vision hatten, als Kriegerinnen ins Heilige Land zu ziehen und dort zusammen mit den Kreuzfahrern zu kämpfen. Sie hatten eine Urkunde dabei, die das Siegel eines Bischofs trug. Darin wurde ihnen diese Visionen bestätigt, in der es hieß, dass sie im Namen der Kirche in den Kampf ziehen durften!“
„Habt ihr kämpfende Frauen gesehen?“, fragte Freya ganz aufgeregt.
„Und ob ich das habe. Nicht weit vom Karmelgebirge kam es immer wieder zu Überfällen von Pilgern und Kaufleuten. Die Banden versteckten sich stets in den Höhlen der Berge. Es wurde eine neue Einheit auf gestellt, um diesem Treiben Einhalt zu gebieten. In dem Dorf Yasur, das zu Füßen der Berge lag, trafen wir auf zwei dutzend Kämpfer, die keiner von uns kannte. Es waren Frauen. Und sie mussten Kampferfahrung haben, viele hatten Narben bedeckte Gesichter, einer Frau fehlte die linke Hand. Ich machte den Fehler, sie zu fragen, welche Aufgaben sie hatte, denn mit nur einer Hand ist schlecht zu kämpfen. Sie sah mich mit einem Blick an, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Wenn du noch heute sterben willst, kann ich dir zeigen, wie es geht.“
„Habt ihr sie dann doch kämpfen gesehen?“ fragte die Gräfin von Falkenstein.
„Ja, einige Tage später habe sie kämpfen gesehen, denn wir gerieten in einen Hinterhalt und wurden von den Sarazenen angegriffen. Sie trug nur ein leichtes Kettenhemd, dazu einen Normannischen Helm.“ „ Haltet ein, Herr Ritter!“ rief Freya. „Was ist denn ein Normannischer Helm?“
Der Ritter erhob sich und verneigte sich leicht vor der Gräfin.
„Verzeiht mir edle Herrin! Es ist ein Helm, der Gesicht und Nacken völlig frei lässt. Nur die Nase wird von einem starken Blechstreifen geschützt. So zog sie in den Kampf. Wäre ich der Kommandant gewesen, ich hätte die Frauen nicht haben wollen. Wenn ich einen Gegner im Kampf besiegt habe und er kampfunfähig ist, ist es gut. Dann lass ich von ihm ab. Diese Frauen haben ihre Gegner selbst dann getötet, wenn sie sich schon ergeben hatten.“
Ago mochte dem Erzähler nicht länger zuhören. Aber Freya schienen noch immer Gefallen an dem zu haben, was der Kreuzfahrer erzählte. Agos Mutter betrat den Garten, worüber Ago nicht sehr froh war. Sie will Freya ging es ihm durch den Kopf.
„Freya, du hattest mir versprochen, nicht zu lange zu bleiben. Es ist bald Mittag!“ Ago beschloss, zusammen mit Freya den Garten zu verlassen.
Ago saß auf dem Nähpferd in der Waffenkammer und reparierte eine lederne Scheide. Den alten Waffenmeister bemerkte er erst, als er ihm fast auf die Füße trat.
„Ich kenne dich Ago. Du suchst immer dann Arbeit für deine Hände, wenn dich etwas bedrückt. Also, raus mit der Sprache, was ist los!“ Ago legte seine Arbeit zur Seite.
„Ach Dietrich, du hast ja recht.“
Ago wusste, dass er dem väterlichen Freund nichts verheimlichen konnte.
„Es ist mehr wegen Freya. Es ist so anders mit ihr. Wie habe ich gelitten, als Mutter ihr den Bruch richtete und ich sie schreien hörte. Noch im letzten Jahr hätte es mich nicht daran gestört. Heute verwirrt mich ihre Nähe. Wenn ich ihre Hand berühre, rast mein Puls.“
„Ago“, lachte der Waffenmeister, „auch ich war einmal jung. Darum weiß ich genau, was in dir vorgeht. Du hast dich in Freya verliebt.“
„Ich verliebt? Nein Dietrich, das kann nicht sein,“ entgegnete Ago, wobei sein Gesicht einen immer dunkler werdenden Rotton annahm. „Du wirst schon sehen, dass ich gut damit zu recht komme, wenn sie uns verlassen muss. Und das wird schon morgen geschehen, Ihre Tante ist krank. Und es muss sehr schlecht um sie stehen, wenn ein Bote den weiten Weg auf sich nimmt. Er muss mehr als eine Woche unterwegs gewesen sein. Und sie kann froh sein, dass einige der Kreuzfahrer aus dem hohen Norden kommen. Unter ihrem Schutz kann sie gefahrlos reisen.“ „Ist ja gut mein Junge, glaub du nur, was du willst,“ lachte der Waffenmeister.
Ago saß, wie schon seit zwei Wochen, an der Lagerstatt des Ritters Bertram von Schöpfingen. Dessen schwere Hüftwunde war gut verheilt, der Kreuzfahrer war aber immer noch sehr schwach, konnte kaum sprechen, es fehlte ihm einfach die Kraft sich zu bewegen. Agos Mutter wusste, dass der Körper des Kreuzfahrers fast seine ganze Energie für den Heilungsprozess verbraucht hatte. Jetzt waren andere Rezepturen nötig. Sie würden dem Kreuzritter die alte Kraft zurück bringen. Sie mischte allerlei Krauter, Wurzeln, Blüten und Blätter wurden zerstoßen, das Ganze mit Wasser aufgekocht, um so einen heilenden Trank zu ergeben. Sollte das Elixier seine Wirkung voll entfalten können, musste es stündlich verabreicht werden. Burghild betraute ihren Sohn mit dieser wichtigen Aufgabe.
Auf ihn würde sie sich verlassen können. Gern übernahm der
junge Graf die weitere Pflege, hatte er doch so auch die Gelegenheit, als erster Bertram, sobald der in der Lage war zu sprechen, nach dem vermissten Vater zu fragen. Ago übernahm diese Aufgabe gern, obwohl sie ganz schön ermüdend war. so war er wirklich sehr erleichtert, dass die Mutter ihn so manches Mal ablöste, so dass er sich immer wieder mal ausschlafen konnte
*
Ein neuer Morgen. Stimmen wurden laut. Schritte, treppauf, treppab. Die alte Burg rüstete sich für den Tag. Nur Bertrams Krankenwärter bemerkte von alldem nichts. Ago schlief tief und fest in seinem Sessel.
Das Gesicht des Mannes, der auf der Bettstatt lag, war schmal und ausgezehrt. Unter der bleichen Haut trat spitz die Nase hervor. Die Wangenknochen bildeten scharfe Grate. Die in tiefen Höhlen liegenden Augen waren geschlossen. Ein schütterer, schwarzer Bart bedeckte Kinn und Wangen.
Schmale, vertrocknet wirkende Hände lagen auf der dünnen Leinendecke. Ihnen war anzusehen, dass keine Kraft mehr in ihnen steckte.
War es ein Knacken im Gebälk, das Scharren krallenbewährter Pfoten auf dem steinernen Boden? Oder war es gar der Schrei des Falken, der ihn aus seinem dämmern riss und ihn die Augen öffnen ließ?
Wie oft hatte er ihn gehört, in der Wüste, im Heiligen Land.
Auch dort hatte er ihn aus dem Schlaf gerissen, so wie es
selbst das leiseste Geräusch vermochte, ihn aus dem tiefsten Schlaf zu holen, denn nur wer wach war, konnte sich der tödlichen Bedrohung stellen.
Der Kreuzfahrer schaute sich um, so weit er in der Lage war, sich zu bewegen. Vier mal vier Schritte im Geviert, größer schien ihm der Raum nicht zu sein. Zwei kleine Fenster, mit Pergament verhangen, ließen das Licht herein. Nein, hier gab es nichts, dass eine Gefahr für ihn bedeuten konnte.
Mit aller Vorsicht versuchte er sich zu drehen, soweit, bis ihm der stechende Schmerz in der Hüfte Einhalt gebot. Ein leises Stöhnen konnte er nicht mehr unterdrücken. Aber das schien den Knaben, der dort im Sessel saß, nicht zu stören.
Eine heiße Welle von Dankbarkeit durchströmte den Körper
des Kreuzfahrers. Er war sich sicher, dass der Knabe dort an seinem Krankenbett gewacht hatte.
In diesem Augenblick wurde die Tür vorsichtig geöffnet und Burghild betrat die Kammer. Ein leiser Schrecken ließ ihn zusammen zucken, denn die Tür lag nicht in seinem Blickfeld und er wurde sich erst jetzt seiner Ohnmacht bewusst, ihm war klar, wie sehr er den Menschen hier ausgeliefert war. Aber ein Blick in das Gesicht der Gräfin ließ ihn all seine Ängste vergessen.
Überrascht, weil der Kreuzfahrer ihr entgegen sah, trat sie näher, wobei sie schmunzelnd einen Seitenblick auf ihren Sohn warf.
„ Es freut mich“, sprach sie leise zu dem Ritter, „ das Ihr mir mit offenen Augen entgegen seht. Ich fürchtete schon, dass Ihr in den ewigen Schlaf hinüber gleiten wolltet!“
Bertram von Schöpfingen bemühte sich verzweifelt nach der Hand der Gräfin zu greifen, musste aber bald einsehen, dass er zu schwach war. Auch die Zunge gehorchte ihm nicht, ein heiseres krächzen war alles, was er hervor brachte. Burghild bemerkte sein Vorhaben, fasste lächelnd die Hand des Kranken. Der leichte, kaum spürbare Druck seiner Finger, der Glanz in den Augen des Fremden verriet ihr auch so, was er ihr nicht sagen konnte.
„Ihr müsst mir nicht danken. Ich tue doch nur meine Christenpflicht.“ Bertram merkte erst jetzt, wie viel Kraft ihn der Besuch der Gräfin gekostet hatte. Und ihm wurde bewusst, dass es noch
lange dauern würde, ehe er wieder im Sattel sitzen könnte.
Bertram hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Waren es Wochen, oder gar schon Monate, die er auf der Schauenburg
verbracht hatte? Er wusste es nicht. Aber die Zeit hatte für
ihn gearbeitet. Seine alte Kraft kam langsam zurück. Endlich durfte er sein Lager verlassen. Es war ihm erlaubt, zumindest stundenweise, und in warme Decken verpackt, am offenen Fenster zu sitzen. Die Tür wurde aufgestoßen, so derb, das sie von der Mauer zurück schwang und dem jungen Schauenburger beinahe das Tablett aus der Hand schlug. Ago schaffte es gerade noch die Tür mit dem Fuß zu stoppen. Mit zwei, drei Schritten war der kleine Tisch neben Bertram erreicht und das Tablett abgestellt.
„Meine Mutter hat dir eine neue und sehr starke Kräutermischung angesetzt. Du wirst sie jetzt vertragen können. Sie wird dich sehr schnell wieder auf die Beine
bringen!“
„Gewiss schmeckt sie dann auch noch ekliger als das Gebräu, das du mir sonst immer bringst!“
Ago half dem Ritter, sich so weit aus seinen Decken zu befreien, dass er sein Elixier trinken konnte. Der junge Graf nahm den Deckel von der Kanne und goss die dunkelbraune
heiße Flüssigkeit in den bereit stehenden irdenen Becher. Augenblicklich erfüllte ein köstlicher, aromatischer Duft den kleinen Raum.
Der Kreuzfahrer nahm den Becher in beide Hände und nahm vorsichtige, kleine Schlucke von dem dampfenden Heiltrank.
Bertram setzte den Becher wieder ab.
„ Diesen Trank lass ich mir gerne schmecken. Woraus macht ihn deine Mutter? Oder verrät sie derlei Geheimnisse nicht?“
„Nicht ganz. Auch ich weiß nur, dass viele verschiedene Kräuter und Wurzeln hier ihre Wirkung entfalten. Allein, die
Mengen der einzelnen Pflanzen ändern sich ständig. Und
auch deren Zubereitungsart. Ein Geheimnis macht die Mutter aus der Herstellung nur deswegen, weil die Wirkung der Pflanzen nicht immer harmlos ist. Falsch angewendet,
können sie sogar schaden.“
„Auch unter den Sarazenen im fernen, Heiligen Land, gibt es Heilkundige. Einem solchen Medikus habe ich es zu danken, das mein rechter Arm noch vorhanden ist.“
„ Davon musst du der Mutter erzählen. Sie wird dir gewiss
eine sehr aufmerksame Zuhörerin sein. Auch ich würde gern
mehr über diese Heilkunst hören. Doch gibt es da noch etwas, was mir sehr viel mehr auf dem Herzen liegt!“
„Sprich nur, mein Freund. Ich werde dir gern zu Diensten sein, wenn ich es denn kann.“
„ Bertram“, begann Ago, „ Du weißt, dass auch mein Vater das Kreuz genommen hat, um das Grab Christi gegen die Heiden zu verteidigen?“
„Deine Mutter erwähnte es einmal kurz, als ich nach dem Burgherren fragte. “
„Dann will ich dir etwas mehr über meinen Vater erzählen. Er zog mit anderen Edlen unter der Führung des Markgrafen Roland von Bingen nach Jerusalem. Das ist nun mehr als vier Jahre her. Im ersten Jahr hörten wir noch durch heimkehrende Kreuzfahrer von ihm. Seitdem bekamen wir keine Nachricht mehr. Jeder Kreuzfahrer, dessen Weg an der Schauenburg vorbei führte, musste uns Rede und Antwort stehen. Soviel wir auch gefragt haben, niemand konnte uns etwas über den Verbleib des Vermissten mitteilen.“
„Und jetzt willst du von mir erfahren, ob ich ihn kenne, oder sonst etwas neues von ihm weiß? So gern ich dir helfen würde: Ich muss dich enttäuschen, weder euer
Wappen noch dein Name sind mir jemals im Heiligen Land unter gekommen. Vielleicht beschreibst du ihn einfach. Mag sein, dass ich ihn irgendwo gesehen habe.“
„Wenn es so wäre, du hättest ihn nicht vergessen können. Er hat das gleiche, bis auf die Schultern fallende blonde Haar wie ich. Er ist von sehr breiter, kraftvoller Statur und einen Kopf größer als ich. Unsere Gesichter sind uns sehr ähnlich. Unverkennbar ist die große Narbe, die seine Stirn in ganzer Breite überzieht. An seiner linken Hand fehlen der kleine Finger und der Ringfinger.“ Agos Gesicht war eine einzige, stumme Frage.„ Ich würde von Herzen gern sagen, dass ich deinen Vater gesehen habe. Doch ich kann es nicht. Lange Zeit war ich ohne Sinn und Verstand, dämmerte nur noch im Fieberwahn vor mich hin. An die Erlebnisse im Heiligen Land kann ich mich darum kaum erinnern, ich konnte es auch vor meiner Verwundung nicht so recht. Es wird wohl noch eine ganze Weile dauern, bis sich der Nebel löst, in den mir alles versunken scheint. Nun hab auch ich noch eine Bitte. Dich und deine Mutter kenn ich nun schon recht gut. Nur von deinem Vater weiß ich nichts. Erzähl mir etwas über ihn.
„Diesen Wunsch will ich dir gern erfüllen. Du darfst aber nicht vergessen, dass ich gerade einmal elf Sommer zählte, als er das Kreuz nahm. Aber da sind noch viele Dinge, an die ich mich erinnere und die ich niemals vergessen werde. Mein Vater war ein sehr milder, gütiger Mensch. Wild und gewaltig war er nur im Kampf. Niemals hat er die Hand gegen die Mutter oder mich erhoben. Er war zu jedem Menschen freundlich. Um mich hat er sich immer sehr viel gekümmert. Alles nur erdenkliche hölzerne Spielzeug hat er mir geschnitzt. Er hat mir gezeigt, wie ich mit Pfeil und Bogen umgehen muss. Ich werde fünf oder sechs Jahre gezählt haben, als er mich das erste Mal auf die Jagd mitnahm. Voller Stolz saß ich vor ihm auf dem Pferd, die Hände in die Mähne gekrallt, die Beine fest an den Leib des Tieres gepresst.“ Die Erinnerung an die Kindheit war zu viel für Ago. Er schwieg.
„Dass es für dich eine schöne Zeit war, die mit du deinem Vater verbracht hast, freut mich. Aber wie stehst du heute zu ihm?“
„Das weiß ich nicht so richtig. Damals war alles einfacher für mich, er war der Vater, den ich über alles liebte, er war mein Vorbild, ich wollte so sein wie er. Heute ist es anders. Ich weiß nicht, ob es richtig war, das er ins Heilige
Land gegangen ist. Er hat Mutter und mich einfach allein gelassen. Am Anfang war ich stolz auf ihn, weil er Kreuzfahrer war. Irgendwann habe ich ihn dann doch sehr vermisst. Mutter hat sich oft bei ihrem Beichtvater Trost geholt. Und heimlich geweint hat sie auch. Ich denke, dass ich ihn noch immer liebe, aber manchmal verspüre ich einen leisen Zorn auf ihn, weil er uns im Stich gelassen hat!“
„Hast du jemals mit deiner Mutter darüber gesprochen, warum der Vater das Kreuz genommen hat?“
„Nein, weil ich immer geglaubt hatte, er musste gehen, habe ich nie darüber nachgedacht. Aber jetzt, wo du mich danach fragst, erinnere ich mich an ein Erlebnis. Es mochte einige Monate vor der Abreise nach Jerusalem gewesen sein. Irgendein hoher geistlicher Herr war zu Besuch auf der Schauenburg. Vater hat sich mit ihm gestritten. Warum, weiß ich nicht mehr. Wenn ich auch damals gerade elf Jahre alt war, so bin ich mir doch sicher, dass er oft Zwistigkeiten mit einem geistlichen Herrn hatte. Vater war sicher genau so Christ wie du und auch ich, aber er war nicht immer mit dem was die Kirche wollte, einverstanden, so habe ich das jedenfalls in Erinnerung. Darum denke ich, dass er nur auf Befehl des Königs gegangen sein kann, der ja sein Lehnsherr ist und dem er zu Treue verpflichtet ist.
Jetzt weißt du einiges über mich, über meinen Vater und darüber, wie wir beide zueinander stehen. Du hast bisher nicht viel von deinen Abenteuern berichten können, weil dir die Erinnerung daran fehlt. Aber von deinem Vater, und von deiner Knabenzeit kannst du mir erzählen oder hat dich unser Gespräch sehr ermüdet?“
„Nein, das hat es nicht. Und das Elixier deiner Mutter lässt es auch nicht dazu kommen.
An meinen richtigen Vater kann ich mich kaum erinnern. Er starb, ehe ich drei Jahre alt war. Meine Mutter musste, auf Drängen ihres Bruders, einem rohen, ziemlich üblen Grafen mit Namen Baldur von Schöpfingen heiraten. Wir hatten sehr viel unter ihm zu leiden. Er hat uns oft geschlagen. Mutter war eigentlich ständig grün blau im Gesicht. Selbst die Arme hat er ihr gebrochen. Mit sechs Jahren hatte meine Qual ein Ende. Ich wurde als Page an den Hof des Grafen von Gelderland gegeben. Baldur war froh, dass er mich auf diese Art loswerden konnte. An diesem Hof ging es mir richtig gut, obwohl ich noch oft geschlagen wurde, aber das war nichts, im Vergleich zu vorher. Aber wirklich schönes gibt es aus dieser Zeit nicht zu berichten.“
„Hast du denn keine guten Erinnerungen an deine Kindheit?“
„Nein, Ago, die habe ich nicht. Aber in meinem vierzehnten Lebensjahr sollte eine bessere Zeit für mich anbrechen. Doch lass mich der Reihe nach erzählen. Zur Sommersonnenwende in besagtem Jahr kam ein Ritter mit an den Hof des Grafen. Wate von Stürmen war noch sehr jung an Jahren, er zählte damals erst dreiundzwanzig Sommer. Sein Vater, der König von Gotland und der Graf von Gelderland waren Jugendfreunde. Der junge Ritter sollte eigentlich nur eine Einladung des Vaters überbringen, denn es galt am Königshofe ein großes Fest zu feiern. Eine glückliche Fügung wollte es, dass er mir bei meinen Schwertkampfübungen zusah. Von uns Pagen war ich der Beste im Schwertkampf. Das sollte mein Glück sein: Wate von Stürmen suchte einen neuen Knappen. Sogleich wurde ein Schreiben an meinen Stiefvater aufgesetzt, in dem ihm der Graf mitteilte, dass ich als Knappe an den Hof des Königs von Gotland gehen würde. Der Graf kannte meinen Stiefvater, er wusste, dass es keine Einwände geben würde. Schließlich war er mich auf diese Art los.
Die Fahrt nach Gotland werde ich nicht vergessen. Wir haben viel gelacht. Nie zuvor fand ich es so schön im Sattel zu sitzen. Wate von Stürmen war sehr freundlich zu mir. Am Hof seines Vaters hatte ich eine wunderbare Zeit. Dann rief der König zum Kreuzzug auf. Mein Ritter und ich nahmen das Kreuz.
Noch vor der Erstürmung Akkons wurde ich während einer Schlacht zum Ritter geschlagen, weil ich den verletzt am Boden liegenden König mit dem eigenen Leib schützte.“
Die Tage waren merklich kürzer geworden. Laue Sommerabende wichen einer deutlich kühleren Dämmerung. Langsam färbte sich das Laub an Bäumen und Sträuchern herbstlich. Stürme fegten über das Land, rissen totes Geäst aus den Bäumen, jagten kreischende Vögel über den düsteren Himmel.
Bertram weilte noch immer als Gast auf der Schauenburg. Zuerst war es die schwere Verwundung gewesen, die ihn auf
der Burg hielt. Dann war es der drohende Wintereinbruch, der ihn dazu zwang, in den Mauern der alten Festung zu bleiben. Traurig war er deswegen gewiss nicht, denn Ago war ihm inzwischen zu einem guten Freund, ja beinahe Bruder geworden. Er hoffte inständig, dass ihm recht bald etwas einfiele, was Ago helfen könnte. Aber es war ihm nicht möglich. Da war eine Mauer, ein schwarzes nichts. Es gelang ihm einfach nicht, irgendwelche Erinnerungen aufzurufen.
Wie gern hätte gern hätte er Ago geholfen, aber die dunklen Wolken in seinem Kopf wichen nicht. Oft ritt er stundenlang umher, Sturm und Regen nicht achtend, oder er verkroch sich irgendwo in der Burg, kniete betend in der eiskalten Kapelle, immer auf der Suche nach seinen Erinnerungen. Bertram verstand sich selbst nicht mehr. Hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen, hätte er verstehen können, dass ihm die Erinnerung fehlte. Von manchem seiner Gefährten wusste er, das eine solche Verletzung dazu führen konnte, das viele Bilder aus dem Gedächtnis gelöscht wurden. Es mochte wirklich nur daran liegen, dass er sich nicht erinnern wollte. Traf ihn ein fragender Blick Agos, schüttelte er nur stumm den Kopf. Der Nebel in Bertrams Schädel war zäh. Nur langsam tauchten Bilder aus dem Kreuzfahrerlager auf. Kampfszenen lösten sich aus dem Dunkel des Vergessens, Gesichter, denen er sogar Namen zuordnen konnte, erschienen. Aber das konnte doch nicht alles sein.
Längst waren die Herbstwinde verweht. Mit ihnen auch die Farbenpracht des Laubes. Wo gestern noch bunte Blätter hingen, streckte sich heute schwarzes Geäst zum finsteren Himmel. Es war die dunkle, raue Jahreszeit die nun begann. Eisige Stürme fegten über das Land, ließen alles Lebendige erstarren. Es war der grimmige, kalte Winter, der seine baldige Herrschaft ankündigte. Die Schauenburger wussten,
was auf sie zukam und begannen mit ihren Wintervorbereitungen. Mit dicken Fellen und derben Lederhäuten wurden die Fensteröffnungen verschlossen.
Dem Wind wurde, wo es nur ging, der Weg versperrt. Jetzt
konnte der Schnee kommen und mit seinem weißen Linnen,
Burghof und Grünfeld bedecken.
Es war die Zeit, zu der die Feuer in den Kaminen nicht mehr erloschen. Die Zeit, in der sich die Menschen um die wärmende, lebensspendende Glut scharten. Der Lieblingsaufenthalt der meisten Schauenburger war jetzt die große Küche, die sich zu ebener Erde, direkt unter dem Rittersaal befand. Auch Ago und Bertram verbrachten viel Zeit an dem großen Herdfeuer. Die Mägde in der Küche wussten, dass es nicht nur die Wärme war, die die beiden Freunde in die Küche trieb. Und so landete manches saftige Bratenstück nicht auf gräflichen Tellern, sondern gleich in Agos Hand. Bertram hingegen bediente sich, manchmal zu reichlich, an Met und gewürztem Wein. Ago, der sich mit alkoholischen Getränken zurück hielt, musste dann seinen ritterlichen Freund öfter als es ihm lieb war, in dessen Kammer bringen.
Klappernde Hufe und laute Kommandos unterbrachen die eben begonnene Winterruhe der Burg. Alles, was Beine hatte, eilte zum Tor, selbst Burghild ließ es sich nicht nehmen, nach der Ursache des Geschreis zu sehen. Schnell war der Verursacher gefunden: Geldre war es, der königliche Herold, samt seinem Gefolge, der den Winterfrieden störte. Die Herrin rief nach Salz und Brot, um den Gast willkommen zu heißen. Geldre, der in seinen bunten Wappenrock gekleidet war, eilte der Gräfin entgegen, kniete
vor ihr nieder.
„Verzeiht den Überfall, edle Herrin, es drängt die Zeit und ich will zurück sein, bevor uns der Winter hier seine eisigen
Fesseln anlegt!“
Der Wohlklang seiner kräftigen, männlichen
Stimme ließ alle aufhorchen.
„ Ich bringe euch Grüße von meinem Herrn, König Guntram
von Nordland. Gern wäre er selber gekommen, wichtige Geschäfte hielten ihn jedoch zurück.“
Nachdem sich die Gäste in der Küche gestärkt hatten, saßen sie alle vor dem wärmenden Feuer des großen Kamins im Rittersaal. Die Glut taute nicht nur die steifgefrorenen Glieder der Gäste auf, sondern löste auch deren Zungen. Die Schauenburger bekamen die neusten Nachrichten aus dem Königreich, nebst den aktuellen Gerüchten zu hören.
„Bei all den lustigen Gesprächen sollte ich nicht den Anlass meiner Reise vergessen“, lachte Geldre, stand auf und verließ den Rittersaal. Seine kraftvolle Stimme war gewiss auf der ganzen Burg zu hören, während er draußen einige Befehle erteilte. Ein großes, in Leder gebundenes Buch in den Händen tragend, betrat er wieder den wärmenden Feuerkreis.
„Edle Burghild, wie ihr wisst, vollendete ich vor einiger Zeit die Wappensammlung mit den Feldzeichen aller Adeligen aus König Guntrams Reich. Und weil mein Herr nur zu genau
weiß, wie sehr euer Herz an der Wappenkunde hängt, bat er
mich, die gleiche Arbeit für euch noch einmal zu tun! Was ich für euch, edle Herrin, gern getan habe.“
Mit diesen Worten überreichte der Herold der Burgherrin das
kostbare Buch. Burghild freute sich unbändig über den kunstvoll in Leder gebundenen Folianten. Sie bedankte sich bei dem Herold dafür, das er die viele Arbeit auf sich genommen hatte, nur um ihr eine Freude zu bereiten. Ago und Bertram traten ebenfalls heran, um die kunstvolle
Handarbeit Geldres gebührend zu bewundern.
Voller staunen glitt Agos Blick über das Wappen seiner Mutter. Es war mit feiner Hand auf das braune Leder des Folianten aufgemalt. Es bestand aus zwei Teilen. Die linke Hälfte zeigte im oberen Bereich drei goldene Sonnen auf blauem Grund, die jedoch nicht aufgemalt waren, sondern aus Blattgold bestanden. Ein halbes Zoll unter den Sonnen wieder Blattgold, diesmal ein schmaler Streifen von einem halben Zoll. Den größten Teil des unteren Bereichs bedeckte ein golden umrahmter, roter Eberkopf auf schwarzem Grund. Die rechte Hälfte zeigte eine grüne Tanne auf gelbem Grund.
Ein Anblick, von dem sich Ago kaum lösen konnte.
Dank der fröhlichen Gespräche verging die Zeit wie im Flug.
Die nach Honig duftenden Kerzen waren fast ganz herunter gebrannt und so mancher Krug des dunklen, würzigen Bieres war geleert worden. Geldre, der von der langen Reise müde war, zog sich in die Kammer zurück, die ihm zugewiesen worden war. Weil nicht nur Reisen, sondern auch Met und dunkles Bier müde machen, verließen auch die Schauenburger den Rittersaal um ihre Gemächer aufzusuchen.
Geldre hatte seine Leute mit Recht zur Eile angetrieben. Kaum dass er die Burg verlassen hatte, brachte ein eisiger Wind grimmige Kälte aus dem Norden mit. Das stumpfe Grau der letzten Herbsttage wich einem silbrigem Glanz, der baldigen Schnee verhieß.
Das was Ago aus dem tiefsten Schlaf weckte, fühlte sich kalt und feucht an. Schon ahnend, was da geschehen sein könnte,
sprang er auf, ging im Dunkeln ein paar Schritte zum Fenster hin, riss das dicke Fell zur Seite, das die Öffnung verschlossen hatte. Grelles Weiß sprang ihn an, wie der Wolf seine Beute, blendete ihn, so dass er zunächst nichts mehr sehen konnte.
Seine Ahnung hatte ihn nicht getrogen: Es war wirklich Schnee den er da auf seiner Haut und an seinen Fußsohlen gespürt hatte. Durch den schmalen Spalt zwischen Fell und Mauerwerk war er eingedrungen, bedeckte hauchdünn den Boden der Kammer, die Schafsfelle, unter denen er geschlafen hatte. Über Nacht hatte der Winter Einzug gehalten. Sein Blick glitt über die weiße Pracht, die das Ganze, weite Land zugedeckt hatte. Trauer mischte sich unter seine Freude, weil sich wieder mal ein Jahr dem Ende zuneigte, ohne das er vom Vater hörte. Voller Wehmut dachte er an den vergangenen Sommer, sah unter dem Schnee längst verblühte Sommerwiesen, das goldene Korn, hörte die Stimmen und Klänge des Sommers, roch noch einmal den Duft der letzten Sonnentage. In seinen Gedanken saß er wieder auf der alten Esche, sah die Kreuzfahrer kommen und wieder im fernen Dunst verschwinden und mit ihnen alle Hoffnung auf ein Wiedersehen mit dem Vater. Tränen rannen über das Gesicht, tropften auf den dünnen Schnee, der die Fensterbrüstung bedeckte, bohrten schwarze Löcher in das blendende Weiß. Unter seinem tränenverschleiertem Blick verschwammen die schwarzen Punkte zu einem großen, dunklen Fleck, aus dem sich alsbald ein Gesicht herausschälte und es schien Ago, als würde er seinen Vater sehen. Die Lippen bewegten sich, Ago hatte das Gefühl, als würde der Vater nach ihm rufen. Erst als es
wieder zu schneien begann, konnte Ago sich von dem Anblick lösen.
Immer dichter wurde das Schneegestöber. Wohin das Auge sich auch wandte, überall war es weiß. Wehe dem Wanderer, der jetzt noch keine Herberge hatte, er würde sich verlaufen,
die gleißende Helligkeit würde ihn blenden, er würde den Abgrund nicht sehen können, der ihm den Tod brächte, oder einfach nur irgendwo hinfallen und erfrieren.
Auf der Burg kannten sie diese Schneefälle; sie konnten
tagelang andauern, bis der Schnee meterhoch lag. Dann führte kein Weg mehr aus dem Tal. Ja, die Schauenburg selbst wurde zur Falle: Ihre Tore ließen sich nicht mehr öffnen, weil der davor liegende Schnee zu schwer war, um ihn einfach mit den Torflügeln zur Seite schieben zu können. Darum gab es genug Vorräte, um auch den härtesten und längsten Winter zu überstehen. Es war für lebendigen Vorrat gesorgt: In den Ställen gab es genug Schweine und Rinder, in der großen Gesindeküche standen die Käfige mit Hühnern und Gänsen. Nein, hungern musste niemand auf der Schauenburg.
Es wurde einsam. Langeweile machte sich breit, die Menschen waren Gefangene der Burg.
Nein, schön waren die Winter nicht. Und wenn dann der eisige Nordwind dicke, schwarze Wolken über den Himmel jagte, konnte es geschehen, dass es nicht einmal tagsüber richtig hell wurde. Dann zogen sich die Winterabende noch mehr in die Länge.
Aus Ago und Bertram waren inzwischen die besten Freunde geworden. Schließlich war der Kreuzfahrer nur runde drei Jahre älter als der junge Graf. Allerdings hatten die Zeit im
Heiligen Land und die schwere Krankheit tiefe Spuren im Gesicht des Ritters hinterlassen, so dass er leicht für viel älter als der Knabe gehalten werden konnte. Sie verbrachten
sehr viel Zeit miteinander, was Burghild sehr erfreute, denn Bertram hatte einen guten Einfluss auf Ago, der längst nicht mehr so verträumt und in sich gekehrt war wie im Sommer.
Auch an diesem Abend waren sie zusammen. Mit Geldres Wappenbuch hatten sie es sich vor dem großen Kamin im Rittersaal bequem gemacht. Hier war es warm, das Feuer schien hell genug, um die bunten Wappen in dem dicken Lederbande zu beleuchten.
Burghild saß nahe bei ihnen, dicht an der wärmenden Glut,
kramte in einer Kiste mit irgendwelchen Erinnerungsstücken.
Ihr Blick wanderte hinüber zu den beiden jungen Adeligen, die völlig in ihr Bilderstudium vertieft waren.
Einmal mehr viel ihr die Ähnlichkeit des Sohnes mit ihrem schon so lange vermisstem Gemahl auf. Zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihren Mann kennen lernte, war dieser nur wenige Jahre älter gewesen wie Ago. Bei dem Gedanken, dass auch der geliebte Sohn bald heiraten könnte, musste sie lächeln. Sorgsam schloss sie den Deckel der kleinen Truhe, mit deren Inhalt sie sich so selbstvergessen beschäftigt hatte. Nur eine Gemme mit dem in Elfenbein geschnitzten Porträt ihres Gatten hielt sie noch in ihren schönen Händen. Beim Blick auf das Abbild des geliebten Menschen wurden die Bilder einer vergangenen, glücklicheren Zeit in ihr wach.
Die beiden Frauen saßen am Fuße eines hohen gotischen Fensters. Mit allerlei kostbarem Pelzwerk und vielen Decken war aus dem harten und kalten Sandstein eine bequeme Sitzbank geworden. Jede von ihnen hielt einen Stickrahmen in der Hand, auf dem, dank ihrer fleißigen Finger, Rankenmuster entstanden. Die Ältere trug ein langes, schmal geschnittenes Gewand von kräftiger, grüner Farbe.
Eine schneeweiße, mit feinster Stickerei verzierte Haube umschmeichelte das schöne, ebenmäßige Gesicht. Blaue, funkelnde Augen ließen ahnen, dass es gar nicht so lange her sein konnte, dass sie mit ihren Blicken so manch armes Ritterherz in lohende Glut versetzt hatte. Die andere, jüngere, trug ein Kleid nach der neusten Mode. Es war viel weiter geschnitten als das der Mutter, wenn auch von gleicher
Länge. Das kräftige Rot des Stoffes stand im Kontrast zu
ihrem goldblonden Haar, das sich bis auf ihre schmalen
Schultern herab wellte. Hier waren es zwei grüne Augen, die jeden in ihren Bann zu schlagen vermochten. Eine hohe Stirn, die dunklen Brauen, verliehen dem Gesicht etwas feierliches, ja Ernstes. Dieser Eindruck wurde gemildert, wenn ihre vollen, weichgerundeten Lippen lächelten und zwei Reihen strahlend weißer Zähne freigaben. Die Jungfrau ließ ihre Arbeit sinken. „ Mutter, sagt, habt ihr Vater gekannt , als ihr geheiratet habt?“
„ Aber Kind, du weißt doch das es nicht üblich ist, das sich Braut und Bräutigam schon vor der Hochzeit kennen lernen. Es soll sogar Unglück bringen. Dein Vater und ich waren einander versprochen, seit wir vier oder fünf Jahre alt waren. Und ich habe einen wunderbaren Mann bekommen, wie er nicht besser sein konnte.“
„Ich will gern glauben, dass ihr mir einen guten Ehegatten ausgesucht habt. Trotzdem habe ich Angst“ Gräfin von der Tann legte ihre Handarbeit zur Seite, stand auf nahm ihre Tochter liebevoll in die Arme, drückte sie wortlos an sich, strich ihr sanft übers Haar.
„Das kann ich verstehen. Es wird so viel neues auf dich zukommen. Du wirst die Herrin sein. Das zusammen leben mit deinem Gemahl wird dir sehr viel Neues bringen“
„Ich habe keine Furcht davor, die Herrin zu sein. Du hast mich so viel gelehrt und gezeigt, davor fürchte ich mich nicht. Was mich ängstigt, ist das Alleinsein mit ihm in unserem Ehegemach. “
„Ach Burghild, mein Kind! So Sorge dich nicht! Das, was dich da ängstigt, ist nicht so furchterregend, wie die Mägde es dir vielleicht erzählt haben!“ Bei diesen Worten lächelte die Mutter, während eine leichte Röte ihr Gesicht überzog.
„ Nein, fürchten musst du Bernried nicht. So kühn und wild
er in der Schlacht auch sein mag, so sanft wird er mit dir umgehen. Und niemals wird er die Hand gegen dich
erheben.“
„ Ach Mutter“, seufzte Burghild leise, sich aus der Umarmung lösend, „Jetzt fühle ich mich ein wenig wohler. So wie du Bernried schilderst, wird er sicher gut zu mir sein. Ist er denn auch hübsch?“
„ Kind, wenn du mich schon verlassen sollst, glaubst du etwa
ich würde dich mit einem hässlichen Galgenvogel ziehen lassen?“ tat die Mutter entrüstet. „Und du kannst von Glück
sagen, dass ich aus dem Alter raus bin, sonst würde ich ihm selbst schöne Augen machen.“ Lachend fielen sich die Frauen in die Arme, um bald darauf ihre Handarbeiten wieder aufzunehmen. Unter ihren Gesprächen, ihrem fröhlichen Lachen bemerkten sie nicht, wie rasch die Zeit verging und es zu dunkel wurde für die Stickerei.
An diesem Morgen wurde Burghild schon sehr früh wach. Noch lag sie mit geschlossenen Augen in ihrem Bett, genoss das Spiel der warmen Sonnenstrahlen auf ihrem Gesicht. Sie wusste: Heute war der große Tag, endlich würde sie ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen. Uta, ihre Kammerzofe, klopfte draußen an die Tür. Lachend rief Burghild sie herein. Die junge Magd, die das Zimmer betrat, war kaum älter als die Braut. Rasch stand die Gräfin auf, ließ sich ankleiden und für den Tag, der ihr soviel bedeutete, heraus putzen. Uta hatte für diesen Zweck allerlei bunten Zierrat in einem Weidenkorb mitgebracht.
Wie im Flug verging der Vormittag. Ein reitender Bote brachte die Nachricht, dass der junge Bernried auf der Burg eintreffen würde, noch bevor die Sonne ihren Höchststand
erreicht hätte. Burghild und Uta liefen zum Bergfried, stürmten die steile Treppe empor, um hoch oben, von den Zinnen den weitesten Blick ins Land zu haben. Die Geduld der zwei wurde noch auf eine harte Probe gestellt, bis endlich am fernen Horizont die aufwirbelnde Staubwolke eine Reiterschar ankündigte. Trotzdem sollte noch eine ganze Weile vergehen, ehe sich einzelne Gestalten aus dem fernen Dunst lösten. Die Jungfrauen eilten die Stufen herab, um einen Aussichtspunkt zu beziehen, der näher am Geschehen lag. Das Wachzimmer oberhalb des Tores war ideal für diesen Zweck, denn durch die Schießscharten hindurch hatten sie einen guten Blick auf den Weg, den die Reiter nehmen mussten. Einzelne Ritter lösten sich aus dem Dunst. Bunte Wimpel und Fahnen, die prächtigen Wappen auf den Schilden grüßten zu den Mädchen hinauf. Blanke Rüstungen funkelten in der Sonne, farbenfrohe Federbüsche auf den Helmen der stolzen Recken, tanzten im Rhythmus des leichten Galopps, zu dem die Reiter ihre Pferde angetrieben hatten. Auch die edlen Vierbeiner waren prunkvoll herausgeputzt, Zaumzeug und Sättel waren aus feinstem Leder, überaus kunstvoll verarbeitet, mit goldenen und silbernen Beschlägen reich verziert. Der Reiter, der an der Spitze des Zuges ritt, der alle anderen Ritter noch im sitzen auf dem Pferd um Haupteslänge überragte, konnte den Beschreibungen der Mutter nach, nur Bernried von der Schauenburg sein. Burghilds Herz geriet bei diesem Anblick ein wenig aus dem Takt, zarte röte überflog ihr Gesicht.
Einen Rapphengst ritt der junge Graf, so schwarz wie die Nacht. Bernried selbst hatte, dem Anlass entsprechend, sein Prunkgewand angelegt. Ein roter, mit goldenen Bordüren verzierter Mantel flatterte in der aufkommenden Brise, so dass sein weißer Waffenrock zum Vorschein kam, der die
Sonnengegerbte Haut des jungen Adeligen betonte. Der auffrischende Wind ließ die blonde Mähne des Grafen wie eine goldene Fahne flattern. Eine kräftige, gerade Nase teilte das markante Gesicht. Unter den dunklen Brauen funkelten eisgraue Augen. Volle, sinnliche Lippen ließen ahnen, welche Leidenschaft in dem Grafen steckte. Lässig hielt er die Zügel mit der linken Hand, während die rechte den bunt bewimpelten Speer umfasste.
Fanfaren ertönten, kaum dass der prächtige Zug in den Burghof einritt. Herolde sprangen von ihren Pferden meldeten den hohen Besuch. Graf und Gräfin von der Tann, inzwischen auch in ihre Festgewänder gekleidet, erschienen ebenfalls auf dem Innenhof. Hinter ihnen, einen großen Kreis bildend und ebenfalls festlich gewandet, die restlichen Burgbewohner.
Bernried ließ seinen Rappen halten, sprang ab und übergab das edle Tier einem herbeigeeilten Knappen. Würdevoll schritt er den Wartenden entgegen, die sich vor ihm verneigten.
Nur die Gräfin trat stolz und aufrecht vor ihn hin, ihm als Willkommensgruß ein Tablett mit Brot und Salz und einen
Krug voll Wasser reichend.
„Habt Dank, edle Herrin, für euer freundliches Willkommen! Nun weiß ich auch endlich, wie schön meine Braut sein muss, denn bei einer so liebreizenden Mutter kann die Tochter nur schön wie ein Engel sein!“
„Hört auf, meiner Gemahlin schöne Worte zu machen, hebt
sie lieber für eure Braut auf“, trat lachend der Graf von der
Tann hervor.
„Das würde ich gern tun. Allein, ich kenne meine Braut
nicht, ja ich weiß nicht einmal, wie sie aussieht. Mein Herr Vater hielt es nicht für angebracht, mir etwas über das Aussehen meiner künftigen Gemahlin zu erzählen. Immer, wenn ich nach ihr fragte, gab er mir nur zur Antwort, dass ich auf seinen guten Geschmack vertrauen solle.“
„ Euer Vater hatte Recht mit seinem Ratschlag. Doch sehe ich mein Kind hier selber nicht. Ich werde es holen lassen.“ Bei diesen Worten entstand ein Rumoren im Hintergrund. Alles drängte sich zusammen, um der jungen Herrin den Weg frei zugeben, die soeben den Torbogen durchschritt.
Lautes Poltern, Agos aufgeregtes rufen, riss die Schöne
Schauenburgerin aus ihren Träumen.
„Mutter, Mutter stell dir vor, Bertram ist endlich etwas eingefallen, das uns wieder hoffen lassen kann! Doch erzähl selbst, Bertram, woran du dich erinnert!“
Der Kreuzfahrer erhob sich von seinem Sitz, um das Wappenbuch, das auf dem Boden lag, wieder auf den Tisch
zurück zu legen.
Versonnen blickte er auf den aufgeschlagenen Folianten in seinen Händen herab.
„Wenn diese Wappensammlung nicht gewesen wäre, wäre mir wohl nie eingefallen, was euch, edle Herrin und dir, Ago so viel Freude bringt. Genau dieses Wappen hier, mit den zwei gekreuzten Äxten, war es, das mir die Erinnerung zurück gegeben hat. Doch will ich euch nicht länger auf die Folter spannen und mit meiner Erzählung beginnen.
Wie das Dorf genannt wurde, an dem wir in den Hinterhalt der Heiden gerieten, weiß ich nicht mehr. Ich erinnere mich dunkel, dass er ungefähr zwei Tagesmärsche von Akkon entfernt war. Eines muss ich noch vorweg erzählen: Es war ausgemacht, dass wir uns in der Nähe dieses Dorfes mit einer Gruppe von 150 Rittern und wohl an die 200 Fußknechten treffen sollten, um gemeinsam weiter zu marschieren. Diese Kämpfer wurden von deinem Vater angeführt. Weil die Zeit drängte, verzichteten wir auf die sonst übliche Vorstellung, ritten an den Kämpfern vorbei, die sich einfach hinten anschlossen. Die Sonne war schon ziemlich hoch gestiegen, so dass die Späher nach einem Rastplatz Ausschau hielten, auf dem wir die Mittagshitze verschlafen wollten. Ehe es jedoch so weit kam, gerieten wir in einen Hinterhalt der Araber. In dem Gefecht konnte ich nicht lange mithalten, denn ich war gerade erst von einer schweren Verwundung genesen und daher noch etwas schwach auf den Beinen. So konnte es nicht ausbleiben, dass ich mir recht schnell einige leichte Verletzungen zuzog, die ich sonst kaum beachtet hätte. An diesem Tag machten sie mir sehr zu schaffen. Dazu die übliche Gluthitze und ich lag am Boden, ohne das mich Feindeshand berührte. Mühsam rappelte ich mich auf, nur um gleich darauf wieder im Wüstensand zu liegen. Auf allen vieren kroch ich dann in den Schatten eines Hauses und lehnte mich dort mit dem Rücken an die Wand. Ich duckte mich hinter meinen Schild, so gut ich es vermochte, das Schwert verbarg ich unter dem Waffenrock. Die Augen hatte ich fast geschlossen, so dass ich für tot, oder zumindest für schwer verletzt gelten konnte. Ich sah jedenfalls ziemlich wehrlos aus. Sollte mich trotzdem einer der schwarzen Teufel durchschauen und mich angreifen wollen, würde ich ihm blitzschnell drei Fuß kalten Damaszener Stahl in den Bauch rammen. Wenn ich aber ehrlich sein soll, so betete ich inständig zu Gott, dass ich keinem der Sarazenen auffiele. Erleichtert stellte ich schnell fest, dass meine Leute die Oberhand gewannen. Schon waren die Araber auf dem Rückzug. Dann sah ich ihn, den Riesen: Er schleuderte gerade seinen total zerhauenen Schild in eine Gruppe von Angreifern, um sich dadurch einen Moment Luft zu verschaffen, so dass Zeit genug war, einen anderen Schild vom Boden aufzuheben, um sich damit schützen zu können. Es war der besagte Schild mit den zwei gekreuzten Äxten. In dem Moment, in dem er danach griff, konnte ich sehen, das zwei Finger der linken Hand fehlten. Auch die Größe stimmte. Blondes, aber blutverschmiertes Haar. Ob da eine Narbe auf der Stirn war, konnte ich nicht sehen, sie war voller Blut.
Schwer verletzt konnte er jedoch nicht sein, denn die Hiebe, die er austeilte, waren allesamt tödlich. Leider war auch er nicht unbesiegbar. Wie auf ein geheimes Kommando hin, stürzten sich mehr als ein Dutzend der schwarzen Hunde auf ihn. Doch nicht um ihn zu töten.
In einem wüsten Handgemenge, bei dem er sicherlich noch einige Heiden ins Jenseits befördern konnte, wurde er entwaffnet. Zu meinem großen Erstaunen fesselten ihn dann die Araber, was jedoch ein sehr mühseliges Unterfangen war, denn er tobte und schrie fürchterlich. Und ehe ich meine Gefährten zur Hilfe herbei rufen konnte, hatte man ihn auf eines der schnellen kleinen Pferde geworfen, worauf der ganze Haufe hinter einer dichten Staubwolke verschwand. Eine Verfolgung war nicht möglich, denn die restlichen Araber kämpften wie besessen, um meine Leute zu binden. Ich machte mich bei meinen Gefährten bemerkbar, und bat darum, zu einem der Hauptleute geführt zu werden. Dort erzählte ich von meiner Beobachtung. Ich sprach davon, dass ich sehr erstaunt war, dass man den Ritter nur gefesselt und nicht gleich getötet hatte. Mir wurde versichert, dass dies gar nicht so ungewöhnlich, sei, denn es schien durchaus möglich, dass mit dem Gefangenen Lösegeld erpresst werden sollte. Was ich auch sofort einsah, denn allein von seiner Größe her ist euer Vater ein auffälliger Mensch, die Heiden werden ihn für eine wichtige Persönlichkeit oder gar einen König gehalten haben. Dass es für eine Verfolgung zu spät war, erwähnte ich schon.
Zwei Templer, die mit uns gekämpft hatten, erklärten sich bereit, die Spur zu verfolgen und Hilfe zu holen. Ich sollte sie nie wiedersehen, denn wir zogen bald weiter.“
Ago und Burghild saßen immer noch wie erstarrt auf ihren Plätzen. Noch immer hingen ihre Augen an Bertrams Lippen, so als hätten sie noch nicht bemerkt, dass der Kreuzfahrer seine Geschichte längst beendet hatte. Erst allmählich begriffen sie, was sie gehört hatten. Ago war es, der als erster seine Sprache wieder fand.
„Mutter, hast du gehört! Vater kann noch leben! Denn
wenn die Heiden ein Lösegeld erpressen wollen, werden sie ihn gewiss gut behandeln. Und wir werden ihn bestimmt bald wieder bei uns haben!“
Burghild erhob sich. Ihre Augen schimmerten feucht, bald darauf rannen Tränen über ihr Gesicht, während sie auf ihren Sohn zuschritt. Mutter und Sohn lagen sich stumm in den Armen. Sprechen musste in diesem Augenblick niemand. Beide kannten die Gedanken des anderen.
Leise, um nicht zu stören, erhob sich Bertram von seinem Platz, öffnete das große Portal des Rittersaales und schloss es eben so leise wieder, nachdem er den Saal verlassen hatte.
Wirklich zur Ruhe kam in dieser Nacht wohl keiner der drei.
Schon lange waren die meisten Lichter der Burg verloschen. Nur in Burghilds Kemenate brannte noch eine einsame Flamme.
In der Hülle seiner dicken, wärmenden Felle wartete auch Ago auf den Schlaf, der nicht kommen wollte.
Stürmische Böen peitschten schwarze Wolkenfetzen über den Abendhimmel. Die Sonne verschwand gerade eben unter
dem Horizont, ihr Licht war aber immer noch stark genug, den Himmel mit dunkelroter Glut zu überziehen. Ago, der in dem Torbogen stand, der als Durchgang zum Grünfeld der Schauenburg diente, liebte solche Stimmungen. An diesem Abend war es ihm jedoch nicht vergönnt, das Schauspiel lange zu genießen. Dicke, schwarze Wolkengebirge türmten sich am Himmel auf, so schnell, dass es fast schlagartig dunkel wurde. Was die so bedrohlich wirkenden Wolkenungetüme angekündigt hatten, ließ nicht lange auf sich warten: Das Unwetter begann, der Wind frischte weiter auf, wuchs zum Sturm heran. Blitze zuckten herab, manchmal vier oder fünf gleichzeitig. Blauweißes Flackern riss das ganze Grünfeld aus dem Dunkel. Dicht aufeinander folgende Blitze überzogen den dunklen Himmel mit weiß glühenden Bahnen. Irgendwo unten im Dorf schlug es krachend ein. Das unaufhörliche Donnergrollen wurde durch das Echo der nahen Berge noch verstärkt. Allmählich näherte sich das Inferno seinem Höhepunkt. Einzelne Blitze waren nun nicht mehr zu unterscheiden. Wie die gewaltige Kuppel einer riesigen Kathedrale verbarg eine blendend weiße Wand den dunklen Nachthimmel. Ago musste die Augen abwenden, so sehr schmerzte ihn die weiße Glut. Brüllend und fauchend, wie eine Horde wilder Untiere, tobte der Orkan über die Burg. Sturmböen rissen und zerrten an der alten Eiche, die schon viele Jahre auf dem Grünfeld stand, als wollten sie den Baum samt der Wurzel ausreißen. Mit einem Mal fiel der Dom aus gleißendem Licht in sich zusammen, das Donnergrollen erstarb, nur noch ein leises
Echo war von den fernen Gipfeln zu hören. Doch die Ruhe sollte nur wenige Sekunden währen. Ein einziger, gewaltiger Blitz schoss vom Firmament herab, schlug in den alten Baum ein, spaltete ihn mit einem fürchterlichen krachen.
In Agos Kopf dröhnte der Donner, er presste die Fäuste auf die Ohren, schrie seine Pein hinaus in die Dunkelheit. Die dürren Zweige der alten Eiche brannten lichterloh. In der finsteren Nacht war das Knistern und Prasseln der Flammen weithin zu hören. Aus dem Knistern wurde ein rauschen, das immer mehr anschwoll. Der Himmel hatte seine Schleusen geöffnet, ganz so, als wolle er verhindern, dass der alte Baum verbrannte. Dicke schwere Tropfen klatschten in Agos Gesicht, lösten ihn aus seiner Benommenheit, holten ihn in die Wirklichkeit zurück.
Das Feuer war gelöscht, die Regenwolken waren abgezogen,
das Nachtgestirn stand wieder am Himmel. Noch immer war das Holz des Baumes so heiß, das verdunstete Regenwasser den Stamm wie Nebelschwaden umwob, aus einzelnen Glutnestern krochen, als wären es dicke Schlangen, Rauchschwaden hervor. Es wurde heller auf dem Grünfeld. Ago konnte sich nicht erklären, woher das Licht kam. Sein Blick fiel auf den geborstenen Stamm der Eiche, der von innen heraus zu glühen begann und so seine ganze Umgebung erhellte. Vorsichtig näherte der Schauenburger sich den hell strahlenden Resten des Baumes.
Lähmende Angst packte den Jungen mit eisiger Faust. Er wollte schreien, die Stimme versagte ihm, nur ein röcheln entrang sich seiner Brust. Aus den wehenden Dampfschwaden heraus bewegte sich eine grauenhafte Erscheinung auf ihn zu. Ein Templer löste sich aus dem Nebelwehen, den weißen Waffenrock zerfetzt, der rechte Arm fehlte, ein riesiger Blutfleck zog sich von seiner Schulter bis hin zum roten Templerkreuz. Mit angstvoll aufgerissenen Augen starrte Ago auf die Schreckgestalt, die sich ihm da näherte. Seine Furcht stieg ins unermessliche, lies ihn schwanken, raubte ihm beinahe das Bewusstsein. Etwas Unbegreifliches geschah: Der Ordensritter lächelte! In seiner grenzenlosen Furcht bemerkte Ago das nicht gleich. Nur langsam verspürte er Erleichterung. Allmählich begann
er zu begreifen, dass ihm da keine Gefahr drohte. In dem Maße, in dem seine Beklommenheit nachließ, wuchsen Mut und Vertrauen. Er blieb ruhig stehen, bewegte sich auch dann nicht, als der Ritter auf ihn zu kam, ihm die Hand auf die Schulter legte, ihm zunickte und sagte: „ Geh!“
Immer mehr Gestalten kamen aus dem geborstenen Stamm
hervor, allesamt Krieger, marschierten an dem jungen Herrn vorbei, manch einer nickte ihm nur zu, andere forderten ihn auf zu gehen.
Ago hätte nicht zu sagen vermocht, wie lange dieser eigenartige Vorbeimarsch anhielt. Plötzlich war jedoch Schluss mit dem gespenstischen Aufzug. Er wartete eine Weile, doch es kam niemand mehr aus dem zersplitterten Stamm hervor. Er war gerade im Begriff zu gehen, als ein leises Wiehern an sein Ohr drang. Verdutzt blieb er stehen. Und wirklich, neben dem Wiehern war auch Hufgetrappel zu hören. Einen Augenblick später kam tatsächlich ein Reiter auf ihn zu. Es musste eine sehr hochgestellte Person sein, die das Pferd ritt, denn Sattel, Steigbügel, das ganze Zaumzeug des Rappen waren mit goldenen und silbernen Beschlägen verziert und überaus kunstvoll gearbeitet. Wenige Schritte vor Ago ließ der Fremde das edle Tier halten. Er stieg ab, stand nun in voller Größe vor dem jungen Herrn, den er mindestens um Haupteslänge überragte. Ein golden schimmernder Schuppenpanzer bedeckte den kräftigen Oberkörper, wie ihn vor rund vierhundert Jahren Fränkische Panzerreiter getragen haben mochten. Seinen Kopf schützte ein prunkvoller Helm, der mit goldenen und bronzenen Einlegearbeiten verziert war. Unter dem Helmrand zog sich, quer über die ganze Stirn, eine Schmale, kaum noch erkennbare Narbe. Buschige Brauen beschatteten seltsam schimmernde Augen, von undefinierbarer Farbe. Die große, kräftige Nase musste irgendwann einmal von einem Schwerthieb getroffen worden sein, denn der Nasenrücken war tief eingekerbt. Der große Mund, mit den vollen, wohlgeformten Lippen gab dem Gesicht einen Zug von wilder Leidenschaft. An der linken Hüfte trug er die Spatha, in einer ledernen, mit Gold und Edelsteinen reich verzierten Scheide. Ein Dolch an der rechten Seite, ebenfalls in reich dekorierter Lederscheide. Die Beine steckten in leinenen Hosen. Seine kräftigen, wohlgeformten Waden waren mit Lederriemen umwickelt. An den Füßen trug er lederne Bundschuhe, die ein kunstvoller Goldrand zierte. Die ganze Erscheinung wirkte auf Ago so beeindruckend, ja majestätisch, das er nicht anders konnte, als vor ihr die Knie zu beugen. Der Krieger musste lächeln, wobei seine Lippen zwei Reihen prachtvoller, weißer Zähne freigaben.
„Vor mir, mein Sohn, brauchst du nicht mehr knien“, ertönte die wohlklingende Stimme des Hünen. So dicht vor dem Panzerreiter fühlte Ago sich noch kleiner, Angst machte sich wieder bemerkbar. Der Franke bemerkte dies wohl, lächelte
dem Jungen beruhigend zu und legte seine mächtigen Pranken auf des Jünglings schmale Schultern.
„Meine Feinde mussten sich einst vor mir fürchten. Du, mein Sohn, brauchst es nicht.“
Ago wurde ruhiger, sah seinem gegenüber in die Augen, spürte die ungeheure Kraft, den unbeugsamen Willen der aus ihnen Sprach. Abermals erhob der Riese seine Stimme:
„ Du bist der einzige, der deinem Vater helfen kann. Du wirst ins Heilige Land gehen, ihn suchen und befreien!“
Ago öffnete den Mund, um zu widersprechen. Allein, der Hüne wusste schon, was der junge Herr einzuwenden hatte. „Du wirst gehen !“ dröhnte es in den Ohren des Knaben.
Der Druck der Hände auf seinen Schultern verstärkte sich. Noch immer sah der Schauenburger die magischen Augen des Fremden dicht vor seinem Gesicht, spürte aber auf einmal Kraft und Willen, die ihnen innewohnten, in sich selbst. Ihm war es, würde er wachsen, als könne er so groß werden, dass er dem Franken ins Gesicht schauen konnte, ohne den Kopf in den Nacken zu legen. Er wusste nun, was er zu tun hatte. Der Panzerreiter musste lächeln.
„ Geh du nur mein Sohn, ich weiß, dass du ihn zurück brings“
Der eisige Wind fegte mit einer Kraft über die Berge, als
wolle er sämtliche Bäume ausreißen. Auf der Burg selbst vermochte er nicht viel Schaden anzurichten, drang aber durch sämtliche Ritzen, brachte dabei feinen Pulverschnee von draußen mit, den er überall in dem alten Gemäuer verteilte. Auch dass Turmzimmer, in dem Ago schlief, war nicht sicher vor dem Sturm. Eine Böe hatte die Verschalung vor seinem Fenster weggerissen, die mitgebrachte eisige Fracht im ganzen Zimmer verteilt. Der Sturmwind tobte so wüst in Agos Kammer, dass selbst die Felle, mit denen er sich zugedeckt hatte, davon gewirbelt wurden, worauf Ago sehr schnell wach wurde, denn die Kälte biss ihn recht kräftig. Ago, der wirklich glaubte, eben noch auf dem Grünfeld gewesen zu sein, wurde schlagartig klar, dass er nur geträumt haben konnte, denn solche Unwetter, wie das in seinem Traum gab es zu dieser Jahreszeit nicht. Er sprang
aus dem Bett und versuchte, so gut es ging, dass Fenster mit den Resten der Verschalung und weiteren Lederhäuten wieder zu verschließen.
Er suchte seine Felle zusammen, was sich im Dunkeln als sehr schwierig erwies, klopfte sie aus und verkroch sich wieder unter ihnen. Er versuchte sich an jede Einzelheit seines Traumes zu erinnern. „Wie kann ein Mensch nur so einen verrückten Traum haben!“ murmelte er vor sich hin. Es war ihm, als würde der Hüne, den er für einen großen Herrscher längst vergangener Zeiten hielt, wieder vor ihm stehen und er hörte die Worte. die er zu ihm gesprochen hatte. Es wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen, was der Franke gesagt hatte. Ins Heilige Land ziehen, den Vater suchen, ihn mit nach Hause nehmen. Inzwischen sorgten die Felle für eine wohlige Wärme, die Ago wieder schläfrig werden ließ. Bald verkündeten seine tiefen, regelmäßigen Atemzüge dass er erneut eingeschlafen war.
Draußen war es wieder ruhig geworden, der Sturm hatte sich gelegt, nachdem er den Himmel blank gefegt hatte. Längst waren die Sterne verblasst, der Himmel glühte
in tiefstem Rot, kündigte so den baldigen Aufgang der Sonne an. Auch die Schauenburg erwachte langsam zu neuem Leben. In der Küche machte sich das Gesinde zu schaffen,
legte dürre Zweige auf die Glutreste der Feuerstelle, so dass die Flammen bald wieder lustig prasselten. Schnell erfüllte eine behagliche Wärme den großen Raum, lud die Burgbewohner zu einer ersten Mahlzeit. Das erste Mahl des Tages wurde vorbereitet wobei auch die Herrin selbst mit Hand anlegte, was eigentlich nicht zu ihren Aufgaben gehörte. Doch hielt es sie heute nicht in ihren Räumen, denn ihre Nachtruhe war an diesem Morgen früh zu Ende, sie hatte kaum Schlaf finden können.
Die Tür zur Küche wurde aufgestoßen, Ago trat herein, blieb auf der obersten der beiden Stufen, die in den Raum hinab führten, stehen, um sich an das Dämmerlicht in der Küche zu
gewöhnen. Er wunderte sich, dass alle, wie auf ein geheimes Kommando hin, ihre Arbeit ruhen ließen.
Selbst die Mutter, die wohl gerade irgendeine Anweisung geben wollte, schwieg erstaunt. Es war der Anblick des jungen Herrn, der alle in der Küche ihre Arbeit vergessen ließ. Der schien über Nacht gewachsen zu sein. Auch das immer noch etwas pausbäckige Gesicht wirkte schmaler und markanter. Hellwach war der Blick der eisgrauen Augen, da war keine Spur mehr von Verträumtheit.
Burghild löste sich aus ihrer Starre, schaute verwundert auf den Sohn, der mittlerweile die Stufen herabgestiegen war und nun dicht vor ihr stand.
„Mutter, ich muss dich sprechen! Lass uns bitte in deine Kemenate gehen!“ Auch die Stimme des jungen Grafen hatte sich verändert, sie hatte jetzt einen leicht metallisch klingenden Unterton, stellte die Mutter fest, ein Ton, wie sie ihn noch nie an ihrem Sohn gehört hatte. Im Grunde jedoch war sie froh über die Veränderungen, die sie an ihm bemerkte. Es wird auch Zeit, dass er Erwachsen wird, stellte sie fest.
Das prasselnde Feuer in dem Kamin ließ sie die Kälte draußen vergessen. Mutter und Sohn saßen nah an der wärmenden Glut, ihre Gesichter glänzten im Wiederschein der Flammen. Ago hatte von seinem Traum erzählt, die Gräfin schwieg betroffen. Sie sah ihrem Sohn in die Augen. Sie war sich nicht sicher, was sie da sehen konnte, sie wusste nicht, ob es nur ein Reflex der Flammen war, oder brannte da in den Augen des Sohnes tatsächlich eine Glut, die sie nie zuvor in ihnen gesehen hatte?
„Willst du wirklich gehen mein Sohn? Willst du, dass ich auch dich verliere? Soll ich allein zurück bleiben, ohne männlichen Schutz, soll ich um zwei Menschen trauern müssen?“
Ago erhob sich von seinem Sitz, fasste die Mutter bei den Händen. „ Du musst dich um mich nicht grämen. Ich werde zurück kommen und dir den geliebten Gatten wieder zurück bringen.“ Burghild nahm den Sohn in die Arme, drückte sich fest an ihn. „ Ich werde Tag und Nacht beten und den Herrn bitten euch beide zu beschützen, auf das ich recht bald Mann und Sohn wieder bei mir haben kann! Ich werde dich wohl gehen lassen müssen, denn ich glaube nicht, dass dich überhaupt noch jemand zurück halten kann.“
Ago brannte darauf, Bertram von seinem Traum und seiner
Entscheidung zu erzählen.
Der Kreuzfahrer war entsetzt.
„Du weißt ja nicht, worauf du dich da einlässt! Ja, du ahnst nicht einmal, in welche Gefahr du dich begibst! Es ist durchaus möglich, dass du nicht einmal im Heiligen Land ankommt. Mein Schicksal ist dir ja bekannt!“ Ein kaltes Glitzern trat in die Augen des jungen Herrn. „Du hast recht, ich weiß nichts von den Gefahren einer solchen Reise. Und würde ich sie kennen, ginge ich erst recht. Wenn du Angst um mich hast, dir gar Sorgen um mich macht, komm einfach mit!“
Bertram trat dicht an den Freund heran.
„Eigentlich wollte ich niemals dorthin zurück, denn seitdem einige meiner Erinnerungen wieder da sind, weiß ich, dass das Heilige Land kein guter Ort ist. Ich sehe aber auch, dass dich nichts von deinem Vorhaben abhalten kann. In der Zeit, die ich auf der Schauenburg verbracht habe, bist du mir zu einem Bruder geworden. Und dem Bruder stehe ich immer bei. Und auch deiner Mutter zuliebe, die mir so viel Gutes getan hat, will ich dich begleiten!“
Wenig später wusste auch die Mutter, dass ihr geliebter Sohn nicht allein gehen würde. Sie war dankbar, dass Bertram, der für sie beinahe ein Sohn geworden war und dem sie blind vertraute, ihren Ago begleiten würde.
Bertram, der die Gefahren einer Reise ins Heilige Land schon
einmal auf sich genommen hatte, wusste nur zu gut, welche Fährnisse auf sie lauerten. Aber konnte er seine Fahrt wirklich mit dem Vorhaben Agos vergleichen? Nein, sagte er zu sich selbst, das geht nicht. Mehr als zehntausend Ritter haben mit mir das Kreuz genommen. Zurück in die Heimat kamen nur 500. Jetzt werden wir nur zu zweit sein. Wir werden nicht auffallen.
„Bertram stehst du jetzt an meiner Stelle im Burghof herum und träumst?“ Es war Agos Stimme, die den Kreuzfahrer aus seinen Gedanken riss. „Nein, mein junger Herr, soweit ist es noch nicht. Ich musste an unser Vorhaben denken. Was passiert bei einem Überfall? Ich habe mit deinem alten Waffenmeister gesprochen, der sagte mir, dass du mit Schwert und Schild leidlich zurecht kommst, das dir der Umgang mit Pfeil und Bogen nicht fremd ist. Nur hilft dir das im Heiligen Land nicht, da bist ihr tot, ehe du die Sehne gespannt habt, da liegst du blutend im Sand, bevor das Schwert gezogen ist!“
„ Was hast du vor Bertram, du hast doch gewiss schon etwas im Sinn, oder täusche ich mich da?“
„Nein“, erwiderte der Kreuzfahrer, „du hast dich nicht geirrt. Unsere Fahrt können wir eh erst im Frühjahr beginnen. Der Winter ist lang, wir werden viel Zeit zum üben haben. Und du hast mein Versprechen, das ich aus dir bis dahin einen leidlich guten Kämpfer mache!“
Ago freute sich auf die Lehrstunden mit seinem Freund.
Einen besseren Lehrmeister konnte er nicht bekommen, da war er sich sicher. Es gab aber auch keinen, der so hart und gnadenlos war. Aber das wusste er nicht.
Die ersten Tage waren die schlimmsten, jedenfalls in den Augen der Mutter. Die bedauerte ihren Sohn, dessen Hände von den rauen Griffen der hölzernen Übungsschwerter blutig gerissen wurden. Aber sie war auch stolz auf ihn, denn er hielt ohne zu klagen durch, bis sich eine schützende Hornhaut auf seinen Händen bildete.
Zu Beginn dauerten diese Waffenübungen zwei bis drei
Stunden am Tag. Danach hieß es für Ago, noch einmal die gleiche Zeit, mit den Männern der Burgwache zu ringen, was ihn stärker und wendiger machen sollte.
Im Schwertkampf wurde er bald so gut, das er Bertram so manches Mal in arge Bedrängnis brachte, der Kreuzfahrer musste dann zu einer etwas hinterlistigen Finte greifen, wollte er seinem jungen Gegner Paroli bieten. Trotzdem konnte er es nicht immer verhindern, das Ago seine Deckung durchbrach und ihm so manche blutige Schramme verpasste. Das wiederum tröstete Burghild über die Leiden ihres Sohnes hinweg.
Durch die harte Ausbildung war Ago sehr muskulös geworden. Jetzt waren seine Schultern wirklich in die Breite gegangen.
Er schlich nicht mehr durch die Burg wie noch vor wenigen Wochen, sein Gang war nun aufrecht und stolz, voller
gespannter Kraft.
Wintersonnenwende war vorüber, Ago hatte gerade ein paar Tage Ruhe gehabt, als Bertram ihn mit zum Waffenmeister schleppte.
„Meister Guntram, hier bringe ich euch meinen besten Schüler! Er ist mit dem hölzernen Übungsschwert nun so gut, dass er jetzt mit einem richtigen Schwert kämpfen darf!“
Ago schaute verdutzt von einem zum anderen, er wusste nicht, was er von des Freundes Worten zu halten hatte. Der alte Waffenmeister, der Ago schon das erste Holzschwert geschnitzt hatte, musterte den jungen Herrn aufmerksam.
Ein Lächeln huschte über das alte, faltige Gesicht, das von schlohweißem Haar umrahmt wurde. „Du hast dich sehr verändert, mein Freund. Die Übungen mit Bertram haben einen Mann aus dir gemacht. Und einen Krieger, der es gewiss auch bald mit den Sarazenen aufnehmen kann.“
Während der Alte irgendwo in einer dunklen Ecke der Waffenkammer rumorte, bewunderte Ago die prachtvollen Schwerter, die sich in einem Ständer direkt neben der Tür zur Waffenkammer befanden.
„Wenn wir uns auf den Weg ins Heilige Land machen, wirst du auch mit diesen Waffen umgehen können. Du wirst dir dann gewiss eine davon aussuchen dürfen.“
„ Warum darf ich es jetzt noch nicht?“ wollte Ago wissen. „Weil du noch nicht gut genug bist!“ dröhnte es aus der
Tiefe der Rüstkammer.
Der Waffenmeister kam zurück, beladen mit zwei
mächtigen Schwertern. Eines davon drückte er Ago in die Hand, das andere nahm Bertram mit einem richtig
schmutzigen Grinsen entgegen. Der junge Graf betrachtete das Schwert in seinen Händen. Allein die Klinge maß wohl an die anderthalb Ellen, die Breite betrug fast eine ganze Spanne, während die Dicke ein halbes Zoll ausmachte. Ago stellte das Riesenschwert auf dem Boden ab, blickte ziemlich verstört von einem zum anderen.
„Was soll ich denn damit? Ich kann es kaum halten, damit kann ich doch nicht kämpfen!“ entrüstete er sich. Statt einer Antwort nahm Bertram ihm das Schwert ab, fasste es am Griff, hielt es mit gestrecktem Arm so weit von sich weg, das die Spitze Agos Hals beinahe berührte. Der war im Augenblick wieder der kleine Junge, der nicht begreifen konnte, was da vor sich ging, während Bertram in schallendes Gelächter ausbrach. Der alte Waffenmeister drehte das Übungsschwert herum, hielt Ago den Griff entgegen:
„Versuchs!“
Eine wilde Entschlossenheit blitzte aus Agos Augen, den beiden würde er es schon zeigen. Er spannte seine Hand um den Griff, während Guntram bedächtig das Gewicht, das Ago halten musste, vergrößerte, indem er die Klinge einfach langsam losließ. Ago musste die ganze Kraft seiner fühnfzehn Jahre aufbieten, um das Eisen zu halten. Er zitterte am ganzen Körper, er hatte Angst, dass ihm Muskeln und Sehnen reißen würden. Die Arme brannten, als strömte flüssiges Blei durch seine Adern, aber er hielt, bis die Finger seinem Willen nicht mehr gehorchten, den Griff lösten und das schwere Eisen zu Boden polterte.
„Gut gemacht, mein Sohn“,
dröhnte die Stimme des Waffenmeisters durch die Rüstkammer.
„Wenn du mit diesem Schwert so schnell bist wie mit deiner hölzernen Übungswaffe, wirst du mit einem Dutzend
Sarazenen fertig.“
Unter dem weiten Vordach des Grünfeldes lag kaum Schnee, ein idealer Standort für den hölzernen Ritter, den Ago schon mit seinen ersten Übungsschwertern stundenlang bearbeitet hatte. Das dicke, harte Leder, mit dem das Holz überzogen war, wies schon so machen Flicken auf, trotzdem sah aus manchem neuem Riss wieder Stroh hervor.
„Von deinen früheren Übungsstunden her kennst du sicher noch die Achterregel. Ich will dich trotzdem noch einmal an sie erinnern: Eins, schlag auf die linke Kopfhälfte, zwei, schlag auf die rechte Kopfhälfte, drei auf die linke Schulter, vier schlag auf die rechte Schulter...“
„ Hör auf, Bertram, ich kann die Regel auch im Schlaf noch.“
„ Dann fang an! Aber bitte erst langsam! Und wenn du Kraft
genug hast, eine Stunde lang ohne Pausen zu üben, kannst du schneller werden. Vergiss nicht, deine Hüfte einzusetzen, das gibt deinen Schlägen erst die Kraft, auch einen Schild zu spalten.“
Immer anstrengender wurde das Training, dem Ago sich unterzog. Wirklich hart aber wurden die Zweikämpfe
mit Bertram, bei denen sie die schweren Übungsschwerter einsetzten.
Seine Übungen nahmen jetzt täglich acht Stunden in Anspruch, manchmal noch mehr, wenn Bertram nicht zufrieden war, was allerdings immer seltener vorkam. Es war wirklich eine harte Zeit für Ago. Zu den täglichen Waffengängen
mit Schwert und Schild, Speer, Wurfaxt und den Wurfdolchen, kamen die Ringkämpfe mit der Burgwache. Um die Ausdauer zu verbessern, musste er die steile Treppen
zu den Wehrgängen rauf und runter laufen. Ago ertrug die Strapazen, ohne zu murren oder zu klagen, denn er hatte jetzt ein Ziel, das er erreichen wollte, auch wenn der Weg dahin sehr hart war, er würde ihn zu Ende gehen, um des Vaters Willen.