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2. Amalgunde
ОглавлениеLangsam wurden die Tage wieder länger. Die Bahn der Sonne verlief längst nicht mehr so flach, dass sie kaum über die Kämme der Berge kam. Sie stand jetzt deutlich höher im Zenit, so hoch, dass sie einen Hauch von Frühlingswärme auf die Gesichter zauberte. Mit ihren Strahlen lockte sie Schneeglöckchen, Krokusse und Küchenschellen aus dem Schnee hervor. Für die Bewohner der Schauenburg war dies ein gutes Zeichen, wussten sie doch, dass der Winter jetzt bald vorüber war.
Schon seit vielen Jahren war es Sitte auf der Burg, mit dem Auftauchen der ersten Frühlingsboten ein großes Fest zu
feiern. Diesmal, so dachte Burghild, gab es doppelt Anlass zur Freude. Darum sollte das Fest in diesem Jahr größer und bunter gefeiert werden als je zuvor.
Das gesamte Gesinde ging gern an diese Arbeit heran, schließlich durften auch sie an dem Fest teilhaben. Schweine, Hühner und Gänse mussten ihr Leben lassen. Allerdings vergaß man nicht, dass der Winter noch einmal mit aller ihm eigenen Härte zuschlagen konnte und so wurde manchem Borstenvieh und manchem Vogel noch einmal das Leben geschenkt. Nahrhaftes Speckbrot, dunkles, glänzendes Roggenbrot wurde aus dem Ofen geholt, verließ zusammen mit dem verführerisch duftenden Kletzenbrot die Backstube. Mitten in dem größten Gewühl die Herrin selbst. Mit ordnender Hand griff sie ein, wo es nötig schien, erteilte Rat und gab Anweisungen, probierte und befand für gut. Aber immer wieder führte sie ihr Weg zu Arnulf, dem Kommandanten der Burgwache, der seinen Posten nicht verlassen durfte, an den sie wohl irgendwelche Fragen hatte, die aber immer wieder nur ein Kopfschütteln Arnulfs zur Antwort hatten.
Allerlei bunte Tücher, Fahnen und Banner dienten dazu, die grob behauenen Steinwände des Rittersaales zu verhängen, Tische und Bänke aus dem Gesindehaus wurden heran geschleppt, um für alle Platz zu machen. Fässer voll des köstlichsten Gewürzweines wurden aus den Kellern geholt. Dutzende von riesigen Krügen, bis an den Rand mit goldenem Met oder herrlich duftendem Braunbier gefüllt, wurden ans Tageslicht gebracht. Zwei ganze Tage nahmen die Vorbereitungen in Anspruch, dann konnte das Fest endlich beginnen. Aber erst einmal musste aufgetragen werden, was noch mal zwei Stunden in Anspruch nahm. Bald bogen sich die Tische unter der Last, die sie zu tragen hatten.
Dutzende von köstlichen Broten erfüllten den Saal mit ihrem
Aroma, große Schalen, voll mit gewürzter Butter, warteten darauf, auf dicke Brotscheiben gestrichen zu werden.
Dann strömten die Bewohner der Burg in den Saal, unter ihnen auch Arnulf, in voller Rüstung und bewaffnet. Die Herrin erblickte sogleich ihren treuen Diener. Dessen Lächeln verriet ihr schon von weitem, das sie diesmal die richtige Antwort bekam.
„Sie ist da, Herrin. Sie ist gerade eben durch das Tor geritten und wartet gewiss schon auf Euch!“
Galant bot der Hauptmann der Wache seiner Herrin den Arm und führte sie aus dem Rittersaal hinaus.
In Burghilds Kemenate ging es nun genau so turbulent zu, wie gerade eben noch in der Burg. Aus Kisten und Kasten kamen die schönsten Gewänder zum Vorschein, wurden auf Bett, Tisch und Stühlen verteilt. Da lag dunkelrot schimmernde Seide neben grün funkelndem Damast, Brokat glänzte mit seinen Goldfäden in dem Licht der Kerzen. Zum Glück war der Raum groß genug für die vielen Gewänder und Menschen, denn mit der Gräfin betraten zwei Kammerzofen die Stube, um Freya, beim Ankleiden zu helfen.
„Freya“, begann die Gräfin nun mit sanftem Vorwurf in der Stimme, „wolltest du nicht schon viel früher kommen, um mir zur Hand zu gehen, ich dir hätte so vieles zeigen können!“
„Verzeiht, es ist nicht meine Schuld, dass ihr habt warten müssen. Der Vater wollte mich nicht gehen lassen, was er wohl nicht sagte, doch er bat mich, so viel Dinge noch zu tun, dass ich schon fürchtete, nicht kommen zu können. Er ist alt und krank, er braucht mich wirklich. Dann schickte er mir noch die Jäger fort, die mich begleiten sollten. Mit zwei Dienern bin ich dann entflohen!“
„ Ich verstehe deinen Vater nicht. Es war doch abgesprochen, das du kommst!“
„Gewiss war es das. Doch seit dem Tod der Mutter ist er immer sonderlicher geworden. Manchmal glaube ich, das er
nicht mehr weiß, was er Tags zuvor noch gesagt hat!“
„Da werden nichts ändern können. Du willst wirklich erst zum Tanz erscheinen, dir so das gute Essen entgehen lassen?“
„Ihr wisst selbst, mit vollem Bauch tanzt es sich nicht so gut!“ Lachend gab ihr die Gräfin Recht. Sie wandte sich in der Tür an die beiden Zofen: „Dass ihr sie mir nur ja recht schön macht!“
Es dauerte eine geraume Zeit, ehe alle einen Platz gefunden hatten. Denn heute saßen sie alle durcheinander. Die Herrin bei ihren Köchinnen, Ago und Bertram ebenfalls mitten unter
dem Gesinde.
Unter den Bediensteten waren auch viele junge Mädchen und
Frauen, manche nur kaum älter als Ago selbst. Denen war erst recht nicht Verborgen geblieben, welche Veränderungen mit dem jungen Herrn vonstatten gegangen waren. So konnte es nicht verwundern, dass so manch inniger Blick auf ihn fiel. Manche Küchenmagd, die in Agos Nähe saß, öffnete ein
wenig das Mieder, ließ beinahe den blanken Busen blitzen, um ihn zu locken, was dieser jedoch kaum bemerkte. Nicht, dass er nicht gerne einen Blick riskiert hätte, doch durch die vielen harten Waffengänge der letzten Zeit stand ihm der Sinn nicht nach einem Schäferstündchen. Außerdem war er in ein Gespräch mit Bertram und Arnulf, dem Hauptmann der Burgwache, vertieft. Bratenteller, Schüsseln und anderes Essgeschirr wurden abgeräumt, so dass bald nur noch Becher und Krüge auf den Tischen standen. Die Kammerzofen, die Sergeanten der Burgwache und Burghild selbst, spielten jetzt zum Tanz auf.
So erfüllte der fröhliche Klang von Schalmeien und Krummhörnern, von Zimbeln und Trommeln den Rittersaal. Ago und Bertram verschmähten die vornehmen Burgfräulein und tanzten lieber mit den Mägden. Jung und Alt machten bei den Schreittänzen mit, oder drehten sich zierlich im Kreis; wobei sich die Herren galant vor ihren Damen verneigten.
Das Portal des Rittersaales wurde geöffnet, eine junge Küchenmagd trat herein. Ihre hochgewachsene, wohlproportionierte Gestalt überragte die der meisten anderen Frauen auf der Burg. Unter ihrer hohen, klaren Stirn leuchteten helle, Bersteinfarbene Augen in die Welt, eine feingeschnittene Nase, ein Mund mit vollen, sanft geschwungen Lippen, von der Farbe dunklen Blutes. Hohe Wangenkochen gaben dem Gesicht etwas fremdartiges, ja Geheimnisvolles. So wie ein kostbarer Rahmen zu einem schönen Gemälde gehört, umschmeichelte wunderbares, goldblondes Haar ihr Gesicht, fiel in sanften Wellen bis auf ihre Schultern herab, schmiegte sich an weich gerundete Hüften. Schmale, feingliedrige Hände, durch deren Haut die Adern blau hindurch schimmerten, bestärkten den Eindruck, dass dieser jungen Magd eigentlich ein anderer Platz gebührte.
Amalgund, so war der Name der jungen Frau, hatte keine Verwandten auf der Schauenburg, auch nicht unten im Tal.
Sie war ein Findelkind, das vor neunzehn Jahren vor den Toren der Burg abgelegt worden war. Der Herbst nahte wohl schon, so dass das arme Wesen dick eingepackt in einer Wiege gefunden wurde. Bei ihren Sachen lag ein Stück Pergament mit ihrem Namen und der Bitte, den Säugling aufzunehmen.
Und niemand wusste sich zu erklären, woher das Kind stammen konnte. Als das Mädchen größer wurde, war ihre Dunkle Herkunft vergessen, sie gehörte einfach zur Burg.
Ago, der gerade eine kleine Tanzpause einlegen wollte, bemerkte den Eintritt der seltsamen Magd. Wie zufällig trafen sich ihre Blicke. In Amalgundes Augen war ein Leuchten, das Ago noch nie an ihr bemerkt hatte. Oder sah er sie heute nur zum ersten Mal als Frau? Er ging auf sie zu, bot ihr ganz in höfischer Manier den Arm, führte sie an seinen Platz. Bertram hatte, wie üblich, soviel Met getrunken, dass er fast schon wieder schlief. Diesmal dachte Ago keinen Augenblick daran, seinen Freund ins Schlafgemach zu tragen.
Nein, heute hatte er anderes im Sinn. Bei dem fröhlichen Lärm und dem lustigem Treiben, das in der alten Halle herrschte, konnten sich die beiden ungestört fühlen. Sie saßen dicht beieinander, so nah, das Ago durch das Leinen der Röcke die Wärme ihres Körpers, ihrer Haut spüren konnte. Amalgunde litt anscheinend gern seine Nähe, denn sie drückte sich leicht an ihn, so dass der junge Herr die Kraft ihrer Schenkel zu spüren vermochte. Wie von selbst fanden sich ihre Hände. Ago fühlte ein Pochen in seinen Lenden, dass er nicht zu deuten wusste. Amalgunde, älter und erfahren in vielen Dingen, von denen Ago nicht einmal etwas ahnte, wusste mit einem Blick in seine Augen, was mit ihm los war, zog ihn lächelnd an der Hand, hin zu einer versteckten Seitentür des Rittersaales, so dass ihr verschwinden kaum bemerkt werden konnte.
„Komm, schnell“, hauchte sie dem verwirrten Jungherrn ins Ohr. Ungesehen erreichten sie die die große Scheune in der Heu und Stroh für den Winter eingelagert waren. Hier konnten sie sich nicht nur ungestört fühlen. hier war es auch angenehm warm. In der Wärme des Heues lagen sie dicht beieinander. Mondlicht fiel durch eine der Luken herein, so dass sie sich, wenn auch nur schemenhaft, sehen konnten. Agos Verwirrung war einer leichten Beklommenheit gewichen, denn er ahnte wohl, was jetzt auf ihn zukam, nur hatte er keine genaue Vorstellung von dem, was ihn wirklich erwartete. Amalgunde legte behutsam den Arm um Agos Nacken, zog ihn sanft näher zu sich heran. Er verlor all seine Scheu, gab sich ganz seinen Empfindungen hin. Durch das dünne Linnen der Cotta hindurch spürte Ago die weiche, warme Haut an seiner glühenden Wange, atmete den Duft ihres Körpers. Ein ungeahntes Glücksgefühl durchströmte ihn. Er wünschte sich, dass es niemals nachlassen möge.
Im Rittersaal war es wieder still geworden. Viele der Burgleute schliefen tief und fest, teils auf Bänken und
Tischen, teils einfach auf dem Hallenboden, wo auch Bertram laut schnarchend lag. Doch das Verschwinden der beiden jungen Menschen war nicht verborgen geblieben. Ein Paar stahlgrauer, hellwacher Augen hatte geradeso noch einen Blick auf die sich schließende Tür erhaschen können. Freya war es nicht entgangen, wer da gerade den Rittersaal verlassen hatte.
Voller Vorfreude hatte sie den Saal betreten, mit leuchtenden Augen, das Gesicht voll froher Erwartung. Nun war nichts mehr von alldem zu sehen. Die Augen blicklos, irgendwie verloren, in einem stumpfen, grauen Antlitz. Freya schüttelte leicht den Kopf und verließ, völlig in sich zusammen gesunken, den Festsaal.
Burghild, die bei den Musikanten, in der Nähe des Einganges saß, hatte bemerkt, das mit Freya etwas nicht zu stimmen schien. Die Gräfin erhob sich zunächst zögernd, so als wäre
sie sich nicht ganz sicher, was zu tun sei, schritt dann aber energisch zum Portal des Rittersaales, verschloss es hinter sich und beeilte sich mit weitausgreifenden Schritten, Freya einzuholen. Sie musste nicht weit laufen, schon hinter der nächsten Biegung des Ganges hatte sie Freya erreicht. Behutsam griff sie nach der Hand der jungen Frau, zog sie sanft zu sich heran, Freya war noch immer wie gelähmt, sprach noch immer kein Wort.
Die beiden Frauen standen vor der Tür zu Burghilds Kemenate. Die Herrin schob den Riegel zurück und trat mit der Fackel in der Hand ein, während sie Freya hinter sich her zog. Sie zündete die Kerzen an, die überall an der Wand verteilt, auf kleinen Simsen befestigt waren und steckte die Fackel zurück in die Halterung. Jetzt kehrte das Leben in
Freya zurück, sie warf sich in die Arme der Gräfin und schluchzte hemmungslos. Burghild ließ sie gewähren. Endlich schaffte Freya es, wenn auch oft vom Weinen unterbrochen, zu erzählen, was geschehen war.
„ Das Ago dir da sehr weh getan hat, versteh ich nur zu gut. Trotzdem bin ich über sein Verhalten sehr erstaunt. Allerdings darf man sich über ihn nicht wundern, er hat sich in der letzten Zeit sehr stark verändert und entwickelt Eigenheiten, die uns Frauen gar nicht gefallen. Lass mich mit reden.“
Bald darauf lag Freya im eigenen Bett. So recht schlafen konnte sie nicht. Die Worte der Gräfin wirbelten ihr noch immer im Kopf herum.
„Ich werde morgen einmal mit ihm reden müssen“, wiederholte sie flüsternd die Worte der Gräfin.
Der nächste Morgen bescherte den Bewohnern der Burg einen herrlichen Vorfrühlingstag, die Sonne stand schon fast im Zenit, ihre Strahlen zauberten einen Hauch von Wärme auf die Gesichter der wenigen Menschen, die im Freien ihrer Arbeit nachgingen. Auch Bertram war schon wieder auf den Beinen, Er war unterwegs zum Ostturm, um nach seinem Freund zu sehen. Am Fuße des mächtigen Bauwerkes blieb er stehen, legte den Kopf in den Nacken und blickte in die Höhe, als wäre er sich nicht sicher, ob er die steile Treppe heute bewältigen konnte. Er kam dann doch zu dem Entschluss, hinauf zu gehen, denn Ago zu rufen, hatte von hier unten keinen Sinn, der Freund würde ihn nicht hören. Kaum dass der Kreuzfahrer die Hälfte der Stufen geschafft hatte, wurde ihm so übel und schwindelig, dass er sich erst einmal setzen musste. Wieder einmal fasste er den Vorsatz, nicht mehr so viel zu trinken.
„Wenn der verdamme Met doch nicht so gut schmecken würde!“ fluchte er vor sich hin.
Oben angekommen, öffnete Bertram leise die Tür zum Zimmer des Freundes. Dort drinnen war es so dunkel, dass er kaum die Hand vor seinen Augen sehen konnte. Er kannte den Weg aber auch so, mit drei, vier großen Schritten durchmaß er das Gemach, erreichte die Fenster und riss die Felle weg. Im selben Augenblick war der Raum von gleißender Helligkeit erfüllt. Bertram wurde so stark geblendet, dass er eine ganze Weile brauchte, um wieder sehen zu können. Aus dem großen Fellhaufen, unter dem der Freund sich befinden musste, lugte nur ein Büschel blonder Haare hervor. Bertram grinste hinterhältig. Irgendwie musste er Ago doch ein wenig necken können. Sein Blick wanderte zum Fenster. Und richtig: Da hatte der Wind in der Nacht genug Schnee auf dem Sims abgelegt, um Ago damit ein wenig zu waschen. Um ans Ziel zu gelangen, mussten erst einmal einige der Felle verschwinden, wobei Bertram nicht sonderlich vorsichtig sein musste, er kannte den tiefen Schlaf des Freundes. Der Rest war einfach: Zwei Hände voll eiskalten Schnees auf Gesicht und Oberkörper des Grafen verteilen, zur Seite springen und sich über den prustenden und schnaubenden Gefährten amüsieren.
„Mich kannst du heute nicht ärgern“, lachte der Freund, der auf der Bettkante saß, „niemand vermag mich heute zu ärgern!“
Bertram schaute verwundert auf Agos Gesicht. Da war ein Glanz auf der Haut, ein leuchten in den Augen, das ganze Gesicht schien von innen heraus zu strahlen.
„Was ist mit dir, hattest du wieder einen Traum?“ fragte Bertram lachend.
„Nein, mein Freund, diesmal war es kein Traum. Wenn es auch traumhaft war!“
Der Kreuzfahrer schien etwas zu ahnen. Er blickte noch einmal, leicht amüsiert in das Gesicht des Freundes, um dann heraus zu platzen: „ Du bist ja verliebt!“
„ Ja, ich bin verliebt“, erwiderte Ago mit völlig verklärtem Gesicht, das Bertram erneut zu einem Lachanfall zwang. Nachdem er sich einigermaßen wieder gefasst hatte, wurde er neugierig:
„Sag mir, mein Freund, kenne ich sie?“
„ Ja, du kennst sie. Es ist die Geheimnisvolle Fremde mit den seltsamen Augen, die Küchenmagd, über deren Herkunft nichts bekannt ist. Die einfach vor dem Burgtor abgelegt worden ist.“
„Du hast wirklich einen guten Geschmack, Ago“, lachte Bertram, „sie ist tatsächlich wunderschön. Und so wie sie aussieht, kann sie nur von edelster Herkunft sein. Ich sprach
einmal mit deiner Mutter über diese seltsame Fremde. Sie war wie ich der Meinung, das dieses Kind sehr viel Glück gehabt hat, dass es hier abgegeben worden war. Woanders wäre Amalgunde im Bett des Herrn gelandet.“
„Bertram, dir kann ich es ja erzählen. Ich glaube Amalgunde mochte mich schon länger, sie ließ so etwas durchblicken. Das was Gestern geschehen ist, konnte wohl nur passieren, weil wir beide etwas zu viel getrunken hatten.“
Hier unterbrach ihn Bertram ganz aufgeregt: „ Hat sie etwa bei gelegen Ago?“
„Ja, das hat sie. Es war wunderschön. Sie hat mich so glücklich gemacht, dass ich es nie wieder missen möchte, bei einer Frau zu liegen. Und sie wahrlich eine Frau.“
„Wenn sie dir so viel Freude bereitet hat, kannst du nicht ihr erster Mann gewesen sein. Solche Frauen, die schon bei
vielen Männern gelegen haben, taugen nicht. Sie sind bis in den Grund ihrer Seele verdorben. Sie ziehen jeden Mann mit in den Abgrund!“
„Wenn ich ihr erster Mann gewesen wäre, hätte sie mir sicher nicht die Wonnen bereiten können, die sie mir bereitet hat. Wären es zwanzig oder mehr Männer gewesen, denen sie Beischläferin war, es würde mich nicht stören. Ich weiß, dass wir nicht wirklich Mann und Frau werden können.
Es wird bei dieser einen Nacht bleiben. Das wissen wir beide.“
„ Wenn du es so siehst, mag es nicht gar so schlimm sein. Hat euch jemand gesehen, oder weiß noch jemand anderes
von euch?“
„ Nein, es hat uns und niemand gesehen und außer dir würde ich keinem anderen davon erzählen. Sie wird es auch nicht tun.“
„Bist du da so sicher?“
„ Ja, denn sie ist sehr klug, sie ist überhaupt ganz anders. Sie kann Lesen und schreiben, sie ist fast so gebildet wie Mutter. So wie du sie kennst, so wie sie in der Küche ist, ist sie nur, weil sie nicht noch mehr auffallen will, als es jetzt schon der Fall ist.“
„ Ich sehe schon“, gab Bertram auf, „ dass du doch recht vernünftig bist!“
„Das muss ich ja auch sein. Obwohl ich mir durchaus ein Leben mit ihr vorstellen kann.
Es ist aber auch möglich, dass es auch nur wilde Leidenschaft ist, die mir liebe vorgaukelt. Denn als ich bei ihr lag, sah ich das Bild einer anderen vor mir: Ich sah Freya von Praunfalk, die nur einen Tagesritt von hier entfernt, mit ihrem alten Vater in einer uralten Burg lebt, du hast sie im letzten Herbst gesehen.“
„ Dann habe ich damals doch richtig gesehen. Freyas Augen funkelten mir so verdächtig. Aber solche Dinge bemerkst du wohl nicht, oder sollte ich mich getäuscht haben….“
„Ja, das mag sein. Mit Freya verbindet mich etwas ganz anderes. Als ich im letzten Jahr an ihrem Krankenbett saß, fühlte ich mich schon sehr seltsam. Ich habe sie zum ersten m Mal als Frau gesehen. Schüchtern wie ich war, hätte es gerade mal für einen scheuen Kuss gelangt. Bertram, ich weiß im Moment selbst nicht, was ich von mir halten soll. Ich bin verwirrt, ich muss irgendwie Klarheit finden. Vielleicht brauche ich nur etwas Zeit.“
„Leider kann ich dir im Moment auch nicht helfen. Zu Freya könnte ich wohl einiges sagen, doch hätte es bei deinem
Dickschädel keinen Sinn. Ich denke, du brauchst wirklich nur etwas Zeit.“
Ago erhob sich von seiner Bettstatt, kleidete sich an.
„Komm, Bertram, lass uns sehen, dass wir was zu essen bekommen.“
Und noch jemand wurde geweckt, wenn auch nicht gar so stürmisch. Freya antwortete fast sofort auf das leise klopfen Burghilds, die gleich darauf den noch dunklen Raum betrat. Sie schloss leise die Tür hinter sich, lief zum Fenster und riss den Stoff herunter, um die Sonne herein zu lassen. Sie setzte sich auf den Stuhl, der nahe an Freyas Bett stand. Freya schaute ihr erwartungsvoll entgegen.
„Wie geht es dir? Bist du immer noch wütend auf Ago?“, fragte Burghild.
„Nein, jetzt tut es nur noch weh. Ich hatte mich so sehr auf das Fest gefreut, tagelang habe ich an nichts anderes mehr gedacht. Ich glaube, ich werde deinem Sohn sagen müssen, dass er mich sehr enttäuscht hat!“
„ Glaubt du nicht dass es besser ist, wenn ich es tue, nicht
weil er mein Sohn ist, sondern weil ich mich in gewissen Dingen besser auskenne?“
„Das mag sein dass du dich in mancherlei Dingen besser auskennst. Aber ich bin es gewesen, die Ago bloß gestellt hat.“
Burghild hatte es nicht leicht damit, ruhig zu bleiben, denn Freyas Ton war für ihre Ohren eine Spur zu scharf.
„Freya, ich kann dich gut verstehen, an deiner Stelle würd ich genau reagieren. Aber verstehe bitte auch Ago. Seitdem dem Sommer des vergangenen Jahres hat er nichts mehr von dir
gehört. Sicher, er wusste wo du warst. Er ist jung, dann setzt sich manchmal das wilde Blut durch. Ich bin mir sicher, wenn er gewusst hätte, das du kommst, hätte er keine andere angeschaut.“
Burghild hatte sich unter dem steinernen Bogen des Osttores von Freya verabschiedet. Sie warf den drei Reitern, die allmählich in der Ferne verschwanden, einen langen Blick hinterher, wandte sich um und richtete ihre Schritte in das Innere der Burg.
In der großen Küche war es behaglich warm, die Freunde fühlten sich hier so wohl wie immer. Sie setzten sich auf die Bank direkt neben dem Herdfeuer. Eine der Mägde brachte ihnen einen riesigen Teller mit kaltem Braten, Kletzenbrot und einer Schale mit Butter. Dazu einen mächtigen Krug mit verdünntem Wein. Während sie kräftig zulangten, glitten Agos blicke suchend durch das dämmerige Küchengewölbe. Amalgunde war leider nirgends zu sehen. Er wollte nicht nach ihr fragen, denn es ging niemand etwas an, dass er sie suchte. Bertram waren die umher irrenden Blicke des Freundes nicht entgangen. „ Soll ich dir suchen helfen?“ fragte er so leise, dass ihn niemand außer Ago verstehen konnte. Ago nickte nur leicht mit dem Kopf, ohne sein Morgenmahl zu unterbrechen. Allmählich füllte sich die Küche, die Gespräche wurden lauter. Fast die ganze Burgwache war da, begann die Freunde zu necken, ließ aber bald davon ab, weil keine Reaktion kam. Abermals ging die große Pforte auf, die schöne Schauenburgerin betrat den Raum, ein aufkommender Wind riss ihr die Tür aus der Hand, blies eine eisige Schneewolke in den Raum, so dass alle vor Kälte schauerten. Burghild wusste immer, wo sie ihren Sohn fand, jedenfalls zu dieser Jahreszeit. Ago sah die Mutter nicht kommen, er spürte jedoch ihren schmerzhaft bohrenden Blick deutlich in seinem Rücken, wandte sich zu ihr herum und sah erstaunt in das frostige Antlitz der Mutter. Ago wusste sofort, warum die Mutter ihn aufgesucht hatte. Den Blick kannte er.
„Ich müsste dich in meiner Kemenate sprechen“, kam es merkwürdig sanft über ihre Lippen.
Ago wusste aus Erfahrung, dass es bei diesem Ton keinen Wiederspruch gab.
Die Gräfin erhob sich und ging zur Tür. Sofort sprang der Hauptmann der Burgwache, Sergeant Arnulf auf und öffnete der Herrin die Pforte, was diese mit einem ungewohnten, kurzen Nicken des Kopfes quittierte. Verdutzt sahen die Freunde zur Tür, durch die die Schauenburgerin soeben verschwunden war. Sie sahen sich an, als würden sie die Welt nicht mehr verstehen.
„Bertram, begreifst du das? Ich glaube sie weiß alles! So wie ich sie kenne, weiß sie ganz genau, mit wem ich die Nacht verbracht habe. Hoffentlich will sie nicht darüber mir sprechen. Ich fürchte, dass das Gespräch, das mich erwartet, alles andere als angenehm sein wird.“
„Der Meinung bin ich auch. Ihr Ton klang zuletzt sehr scharf. Ich rate zur Eile!“
Das „Komm herein“ der Mutter klang freundlicher, als er es zu hoffen gewagt hatte.
„Setz dich!“, sie deutete mit ihrer schönen, Schmalgliedriegen Hand auf den Stuhl ihr gegenüber. Ago schloss daraus, dass es doch nicht so schlimm für ihn käme.
Dann wurde es wieder still in dem Raum. Burghild lehnte sich zurück und sah ihren Sohn ernst und beinahe ein wenig erstaunt an, denn Ago wirkte völlig gelassen, sein Gesicht
zeigte nur eine leicht angespannte Aufmerksamkeit. Wie sehr er sich doch verändert hat, schoss es ihr durch den Kopf, er wird immer stärker.
„Das du hier bist, hat nur am Rande damit zu tun, wo und mit wem du deine Nächte verbringst.“
Sie hielt inne, wartete für einen Moment auf eine Reaktion. Ago indessen erwiderte ihren Blick völlig ruhig.
„Freya kam gestern noch, wenn auch sehr spät. Aber nicht zu spät, denn sie sah dich mit Amalgunde verschwinden. Kannst du dir vorstellen, dass du Freya damit sehr weh getan hast?“
Ago sog scharf die Luft ein, verbarg das Gesicht in den Händen und sank zusammen. Für eine Weile war nur das schwere Atmen des Grafen zu hören. Burghild neigte sich vor, streckte zaghaft die Hand nach ihrem Sohn aus, um sie sogleich wieder zurück zu ziehen. Ago ließ die Hände sinken, hob den Kopf und sah die Mutter mit großen, leeren Augen an.
„Ich wusste nicht, dass sie kommen wollte. Niemals hätte ich ihr Schmerz zugefügt. Wo ist sie Mutter?“
„Sie ist fort, aber ich glaube, sie hat dir verziehen. Was bedeutet sie dir?“
„Ich habe sie lange nicht gesehen. Vergessen habe ich sie nicht. Niemals will ich sie verlieren. Mir ist so vieles klar geworden, worüber ich aber noch nicht mit dir sprechen kann. Ich brauche noch mehr Zeit. Darum bitte ich dich mich jetzt gehen zu lassen.“
„Geh nur. Ich kann verstehen, das du Zeit für dich brauchst.“
Agos Hand lag schon auf dem Riegel, da rief die Mutter ihn noch einmal zurück.
„Das du Amalgunde nichts von unserem Gespräch erzählst.
Ihr Schicksal ist schwer genug.“
„Sie trifft am wenigsten Schuld. Es war das Fest, der Met. Ich war verwirrt, ich wusste nicht, was mit mir geschah. Aber ich weiß, was ich zu tun habe.“
„Es ist schade um Amalgunde. Wir wissen alle, dass sie von hoher Abkunft sein muss, aber das reicht nicht. Sie ist und bleibt ein Findelkind.“
Der Wind hatte sich wieder gelegt, die Gefährten schlenderten, miteinander redend, über den Burghof, es schien, als würde Bertram Ago bei einem seiner mittlerweile üblichen Kontrollgänge begleiten. Niemandem konnte so auffallen, dass sie eigentlich eine bestimmte Person suchten.
Schließlich hatten sie in einer der vielen Vorratskammern den gewünschten Erfolg. Bertram, ganz ritterlicher Kavalier, hielt Wache vor der Tür.
„Amalgund“, kam es zärtlich über Agos Lippen, „ ich muss
dich sprechen!“
„Ich wusste, das du nach mir suchst, ich habe hier auf dich gewartet. Was du mir sagen musst, weiß ich auch schon. Das, was geschehen ist, hätte nicht passieren dürfen. Du weißt, dass ich dich schon immer sehr gern hatte. Ich weiß aber auch, dass wir keine Zukunft haben.“
Sie warf sich weinend in seine Arme. Ago strich ihr tröstend über das seidenweiche Haar, das sich über ihre zuckenden
Schultern ergoss. „Du hast mir so viel Glück gebracht, mir so viel Freude bereitet, dass ich dir unendlich dankbar bin. Trotzdem hätte ich nicht mit dir gehen sollen.“
Amalgund hatte sich inzwischen wieder beruhigt, sie löste sich aus Agos Armen, hielt jedoch seine Hände fest.
„Es war meine Schuld. Ich hätte es nicht ausnutzen dürfen, dass du in mancher Beziehung sehr unerfahren bist. Ich hätte mich nicht zu dir gesetzt, wenn ich gewusst hätte das Freya kommt.“
Die Tage wurden merklich länger, der Frühling würde nicht mehr lange auf sich warten lassen. Das Eis auf Seen und Teichen bekam Risse, knisterte und knackte gefährlich. Bäche und Ströme schwollen an, trugen das Schmelzwasser aus den Bergen zu Tal. Wasser tropfte von den Dächern, von Felsvorsprüngen und von den Ästen und Zweigen der Bäume, sammelte sich zu kleinen Rinnsalen, die eilig dem nächsten, größeren Gewässer zustrebten. Immer mehr dunkle Flecken brannte die Sonne in den Schnee, lockte mit ihren wärmenden Strahlen Blüte auf Blüte aus dem Boden.
Letzte Reisevorbereitungen wurden getroffen, Ausrüstung galt es ein letztes Mal zu überprüfen und zu verpacken, Vorräte wurden verladen. Mitten in diese Vorbereitungen platzte der Besuch des Abtes aus der nahen Abtei St. Blasien. Der Mönch empfahl den beiden jungen Herrn, die Fahrt mit größerem Gefolge anzutreten und den jungen Adel aus der Nachbarschaft gleichfalls einzuladen.
Eilig wurden Boten zu den Adelssitzen in der Umgebung gesandt, die jungen Herren einzuladen. So konnte sich ein
Tross mit rund hundert Mann auf den Weg ins Heilige Land
machen.
Aufgrund ihrer zentralen Lage war die Schauenburg der ideale Treffpunkt für all jene, die mit Ago ins Heilige Land ziehen wollten. Schon seit Tagen trafen Reitergruppen ein, um ihr Lager auf dem großen Grünfeld der Burg auf zuschlagen.
So lebendig war es in dem mächtigen Gemäuer lange nicht zu gegangen.