Читать книгу Der Agentenjäger - Peter Schmidt - Страница 8
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ОглавлениеEhe Faber die Halle des Hotelrestaurants betrat, blieb er stehen und musterte durch eine Wand aus Hartblattgewächsen kurz die Gäste an den Tischen.
Er erinnerte sich, dass es in der Botschaft einige ältere Fräulein gab, die, hinter ihren Schreibmaschinen sitzend, die goldgeränderten Brillen hochgeschoben oder sich überrascht an den Hals gegriffen hatten, als er hereinkam; es brauchte nicht viel Phantasie, um zu verstehen, was diese vertrockneten Jungfern an ihm fanden.
Es war seine hochgewachsene Gestalt, die sich für ihre gelangweilten Blicke wohltuend von den kleinwüchsigen Indios abhob. Und sein hellblondes Haar. Vielleicht weckte es in ihnen unbestimmte Sehnsüchte nach dem kühlen Norden.
Erleichtert bemerkte er, dass keine von ihnen in der Halle saß. «Fräulein Menge» klang etwas zu blutleer und erinnerte ihn eher an Fencheltee und Nierenwärmer aus Katzen- oder Kaninchenfell, als dass er Neugier verspürt hätte, ihre Bekanntschaft zu machen. Zu dieser frühen Stunde – man pflegte hier erst am späten Abend zu essen – gab es überhaupt nur ein weibliches Wesen im Restaurant.
Es saß unter der Nachbildung eines Wandgemäldes aus der Mayazeit, das, in roten und tiefgrünen Farben schwelgend, zwei Priester mit hohem Kopfschmuck zeigte. Sie beugten sich über eine menschliche Gestalt – ein weibliches Wesen, den schlanken Gliedmaßen nach zu urteilen –‚ das als Opfergabe diente.
Einer der beiden hielt die Blutschale, der andere das Messer. Faber umrundete den Raumteiler aus hartblättrigen Pflanzen und setzte sich an einen Tisch, von dem er den Eingang überblicken konnte.
Marten hatte ihm gesagt, dass man den Kontakt zur Botschaft besser einschränkte: dort zwei- oder dreimal in der Woche ein und aus zu gehen, würde nur den alten Verdacht nähren, Reubens Auftrag habe mit den politischen Verhältnissen zu tun gehabt. Es hätte leicht den Geheimdienst des Landes auf den Plan rufen können.
Wenn man jetzt von sich aus mit ihm Kontakt aufnahm, gab es sicher neue Informationen über Reubens Ermordung …
Faber betrachtete das Mädchen am Nachbartisch.
Es hatte ein wenig Ähnlichkeit mit Lea, und diese Beobachtung versetzte ihm einen Stich. Die gleichen ebenmäßigen Züge, die gleiche glatte Haut. Und es besaß nicht jenen manchmal ein wenig verbissen wirkenden Zug um den schmallippigen Mund, den sich Lea in ihren langen Jahren als freie Journalistin erworben hatte.
Diese Lippen dort drüben waren von der einladenden, schon beinahe herausfordernden Röte, wie sie eher auf kitschigen Öldrucken bei dunkelhäutigen Zigeunerinnen zu finden ist. Der himmlische Maler da oben mußte trotzdem gewollt haben, dass sie es nicht zu leicht mit den Männern haben würde, denn ihre Augen standen ein wenig schief, wenn auch nur ganz unmerklich.
Oder tat er ihr Unrecht? Legte sie es gar nicht darauf an, gleich beim Abendessen die Blicke aller Kerle zwischen sechs und sechsundsechzig auf sich zu lenken?
Faber saugte unschlüssig an seinem kalten Zigarillo. Das Mädchen bemerkte seinen aufdringlichen Blick und nickte ihm lächelnd zu.
Ernüchtert beugte er sich wieder über die Speisekarte.
«War es wirklich nötig, mich so lange warten zu lassen?», fragte sie.
Er hob überrascht den Kopf. «Was denn, sind Sie etwa …?»
«Corinna Menge von der Botschaft», bestätigte sie. «Ich erledige die Sonderaufgaben – seitdem ich meine journalistische Arbeit an den Nagel gehängt habe.»
«Doch nicht auch noch Journalistin?», fragte er. «Habe ich das richtig verstanden?»
«Was soll daran so ungewöhnlich sein?»
«Eine gute Freundin von mir hat den gleichen Beruf Sie wird in der DDR wegen Fluchthilfe festgehalten, aber das ist eine andere Geschichte … Darf ich mich zu Ihnen setzen?»
«Sicher, ich bitte sogar darum.»
Faber kam ein wenig zu schwungvoll um den Tisch herum und winkte zum anderen Ende des Saales. Doch der Kellner beachtete ihn nicht, obwohl er ihm kurz das Gesicht zugewandt hatte; er kniete weiter mit einem Stapel weißer Tischtücher über dem Arm vor dem hohen Kommodenschrank.
«Hier müssen Sie bei allem etwas mehr Geduld haben», sagte das Mädchen. «In Mittelamerika gehen die Uhren anders. Er hat sie gesehen, deshalb wird er es sich als eine besondere Aufmerksamkeit anrechnen, dass er sich nachher noch an Sie erinnert.»
«Um ein besseres Trinkgeld herauszuschinden?»
«Wieso nicht?»
Faber zuckte die Achseln und versuchte nachzudenken. Aus irgendeinem Grund fiel ihm nur ein schäbiger und etwas zu anrüchiger Witz über ihre langen Beine ein. Er unterdrückte ihn gerade noch rechtzeitig und fragte:
«Sie kommen wegen Reuben, habe ich recht?»
«Die Botschaft hat mich Ihnen als Begleiterin zugeteilt – als Assistentin, wenn Sie so wollen.»
«Als Assistentin? Aber ich habe niemanden angefordert!»
«Sie fahren doch nach Baril, stimmt‘s?»
«Wer sagt das?»
«Sie wollen den jungen Goldstein befragen, der dort an einem Entwicklungshilfeprojekt arbeitet. Der Mann, um dessentwillen Reuben herkam …»
«Mir ist schleierhaft, wie Sie auf diese Idee kommen?»
«Haben Sie gestern Abend etwa keinen Busfahrschein nach Baril gelöst?»
«Ja. Und es war die letzte Karte.»
«Nun, nicht ganz die letzte. Hier ist mein Fahrschein.» Sie zeigte ihm ein gelbes Billett aus hauchdünnem Papier, das den Nachbarplatz belegte. Er erinnerte sich, dass seine Sitzplatznummer 50 lautete, und ihre war 51».
Der Kellner tauchte neben ihnen auf – das Gesicht mit den schwarzen Hirschaugen treuherzig lächelnd. Faber bestellte bis auf Nachtisch und Vorsuppe die Zusammenstellung des Menüs, die aus drei weiteren Gängen bestand, ließ sich dann aber überreden, auch den Nachtisch – heißen Pfirsich mit Eis – zu nehmen. Er war im Preis inbegriffen. Nachlass für seinen Verzicht würde es nicht geben.
Es bereitete ihm Vergnügen, in ihren Augen als knauserig zu gelten.
«Ich verstehe wirklich nicht, was das alles soll?», fragte er, als der Wein eingeschenkt wurde. «Warum man mir eine Aufpasserin zuteilt, meine ich.»
«Keine Aufpasserin. Die Fahrt im Landesinnern ist ziemlich riskant. Gerade in den abgelegenen Dörfern. Guerillas, Todesschwadronen, Militär ... Es gibt Ausgangssperren für die Anwohner, und wer sie nicht beachtet, wird erschossen. Dazu eine Menge Zivilpatrouillen, einfache Leute, Analphabeten vom Lande, die 24 Stunden pro Woche Dienst ableisten müssen und nicht immer zwischen erwünschten und unerwünschten Ausländern unterscheiden können.
Wahrscheinlich würden Sie wegen ihres blonden Haars für einen Russen gehalten.»
«Ich wüsste nicht, dass meine Haarfarbe für Kommunisten besonders typisch wäre?»
Sie schien einen Augenblick zu erstarren, seine harmlos gemeinte Antwort veränderte ihren Gesichtsausdruck so krass und unerwartet, dass Faber sich etwas vorbeugte, damit etwas mehr Licht von der Wandlampe auf ihr Gesicht fiel. Aber sie hatte sich schon wieder gefangen.
«Diese einfachen Leute machen keinen Unterschied zwischen Skandinaviern und Russen. Es wäre wohl auch etwas zuviel verlangt, die meisten von ihnen haben noch nie eine Landkarte gesehen.»
«Vielleicht sollte ich telefonieren», sagte Faber missmutig. «Mit dem Botschafter.»
Sie aßen schweigend. Das einzig wirklich Genießbare, fand er, waren die heißen Pfirsiche mit Eis. Dosenpfirsiche, aber immerhin. Er beglückwünschte sich noch im Nachhinein, dass er nicht darauf verzichtet hatte. Seine Körpergröße verlangte nach ausreichend Kalorien.
Darin glich er seinem übergelaufenen Kollegen Tiedge, der in keinen Anzug von der Stange passte. Angeblich fraß er bei festlichen Veranstaltungen regelrechte Schneisen ins kalte Büfett.
«Weil Sie niemand in Ihrer Nähe dulden?», fragte sie. «Oder weil es Sie stört, dass Ihnen jemand nachläuft?»
«So ungefähr.»
«Sie werden noch froh über meine Begleitung sein.»
«Kann ich mir schlecht vorstellen.»
«Waren Sie jemals im Landesinnern?»
«Das klingt ja, als gingen wir auf Expedition?»
«Meiner Meinung nach sollten Sie Ihre Nachforschungen besser einstellen. Wie mir der Botschafter sagte, gehört es gar nicht zu Ihrem Auftrag. Ihre Vorgesetzten in Köln werden sehr ungehalten sein.»
«Der Botschafter?»
«Er gab mir den Auftrag. Er ist besorgt um Sie.»
«Ich schlage mir nur die paar Tage bis zur Freigabe von Reubens Leiche um die Ohren. Und dabei versuche ich mir ein Bild über seine Arbeit hier in Guatemala zu machen, über seine wirklichen Absichten. Er kam wegen Goldstein her. Ich werde ihm einige Fragen dazu stellen. Das ist alles.»
Sie schürzte die Lippen und betastete sie mit ihrem Zeigefinger, dessen Nagel perlmuttfarben lackiert war. «Wenn Sie nur auf die Freigabe seiner Leiche warten», sagte sie nachdenklich, «könnte ich das für Sie erledigen.»
«Sieht ganz so aus, als wollten Sie mich loswerden?»
«Und Sie mich ebenfalls!»
«Na prächtig, dann sind wir uns ja einig. Ich schlage vor, dass wir uns bis zu meinem Rückflug aus dem Weg gehen.»
Er stand auf, und sie folgte ihm in einigem Abstand zur Saaltür. Der Kellner kam eilig aus seinem Verschlag hinter den Lamellenwänden, die Rechnung mit ihren verschiedenartigen Durchschlägen wie einen welkenden Blumenstrauß in der Hand.
«Geht alles zu Lasten des deutschen Botschafters», sagte Faber. «Einschließlich 15 Prozent Trinkgeld. Ich glaube, ich war von der Dame eingeladen.»
Als er unmerklich den Kopf drehte, bemerkte er aus den Augenwinkeln, dass sie zahlte. Sie drückte dem Kellner eine größere Banknote in die Hand, ohne das Wechselgeld abzuwarten. Sie war Lea wirklich sehr ähnlich. «Nur noch etwas langbeiniger …», murmelte er mit einem Anflug von Selbstironie. «Ein Anblick, der mir bei der Arbeit gar nicht bekommt.»
Selbst ihre Art, sich zu bewegen, war die gleiche. Manchmal hielt sie für Sekunden inne und legte den Kopf ein wenig schief, als erwarte sie irgendeine Lügengeschichte. Wie eine jüngere Schwester, genauso hartnäckig und verbissen!
Wenn etwas an dieser Fluchthilfegeschichte dran war, wenn sie kein Vorwand war, um sie in Ostberliner Untersuchungshaft zu halten – Lea hätte eine ebenbürtige Helferin gefunden.
Am Fuß der Treppe wandte er sich nach ihr um und versuchte seiner Stimme einen mürrischen Tonfall zu geben. «Verschwinden Sie …»
«Wollen Sie mir den Weg verbieten?»
Sie folgte ihm die Treppe hinauf.
«Was werden Sie jetzt tun?», fragte sie an Fabers Zimmertür.
«Mich betrinken. Ich werde mir eine Flasche aufs Zimmer bestellen und mich besaufen.»
«Und massenweise Zigarillos rauchen?»
«Sicher. Der Qualm würde Sie nur stören.»
«Könnte ich Ihnen denn nicht … dabei helfen?»
«Beim Trinken? Sind Sie dem Alkohol verfallen?»
«Nein, Sie etwa?»
«Wie man‘s nimmt. Die Jungs in den Diensten halten es alle mit dem Alkohol, heimlich oder ganz offen. Er ist wie ein verständnisvoller älterer Bruder für sie. Die Nerven, das unruhige Leben. Ohne Flasche sinkt ihre Leistung um ~o Prozent, deshalb achten sie immer auf Vorrat, auf ausreichenden Vorrat. Ausnahmslos alle, Tiedge, Reuben ... und auch ich», setzte er mit Nachdruck hinzu.
«Tiedge …» Sie dachte nach. «War das nicht dieser Überläufer?
Dieser große, kranke Agent mit den hohen Schulden, der nach Ost-
Berlin ging, als er keinen Ausweg mehr sah? Einer der größten
Spionageskandale seit dem Krieg? Und in Ihrer Abteilung?»
«Kein Agent – Agentenjäger.»
«Richtig. Das ist wohl ein ziemlich wichtiger Unterschied, nicht wahr?»
Während der Blick ihrer etwas schräg stehenden Augen fragend auf seinem Gesicht ruhte, wurde ihm bewusst, dass er sich mit Tiedge und Reuben in eine Reihe gestellt hatte. Er hätte ebenso gut andere Namen nennen können. Es war ganz unbewusst passiert.
Sie hatten wie er in der Abteilung IV für Spionageabwehr gearbeitet, und es machte ihn wütend, dass er diesen Umstand ohne zwingenden Grund preisgegeben hatte. Er schob ärgerlich über sich selbst die Tür auf, trat ein und drückte sie bis auf einen Spaltbreit zu.
«Machen Sie, dass Sie wegkommen!»
Corinna sah, überrascht von seinem barschen Ton, auf ihre Füße hinunter, die in Stöckelschuhen aus dünnen Wildlederriemen steckten. Sie schien ihren Fuß in den Türspalt schieben zu wollen; aber dann ließ sie es bleiben. Faber streckte das Schild DON‘T DISTURB hinaus und hängte es von außen an den Messingknauf. Er schloss die Tür.
Am nächsten Morgen gab er sich zwar wie jemand, dem es nicht einmal eine Kopfbewegung wert war, um sie zwischen den wartenden Fahrgästen an der Busstation zu entdecken …
Aber sein Blick wanderte von Zeit zu Zeit argwöhnisch – und aus alter Gewohnheit so gründlich, als versuche er sich jedes Gesicht für immer einzuprägen – über Körbe und Kisten und die Menge behuteter Köpfe. Zu seinen Füßen schlugen an den Beinen zusammengebundene Hühner mit den Flügeln, und ein Mulatte von der Nordostküste sang, am Bus neben dem Gepäck lehnend, auf karibisch-englisch ein sarkastisch klingendes Lied.
Sein Text schien sich über das unterwürfige, halblaute Sprechen der anderen Passagiere lustig zu machen.
Faber stellte erleichtert fest, dass Corinna nicht gekommen war. Die meisten Indios trugen Hüte und dunkle Jacken westlichen Schnitts, und wie von ihren Jacken oder Ponchos trennten sie sich auch von ihren Hüten nur ausnahmsweise, obwohl kein Lüftchen wehte und die Sonne auf Fabers Wagenseite durch die Scheiben brannte, als lege sie es darauf an, alles um sie herum in Flammen aufgehen zu lassen.
Man konnte glauben, es explodiere gleich eine Bombe der einen oder anderen Seite, oder bei Maschinengewehrsalven von den Dächern der umliegenden Hotels würde ihnen keine Zeit mehr bleiben, ihre armselige Habe zusammenzuraffen.
Der Fahrer band einen Ziegenbock auf den Holzrippen des Wagendachs fest, und jugendliche, barfüßige Straßenverkäufer boten in zerschlissenen Körben Früchte und Nüsse an. Dann wurde der Motor angeworfen. Er versetzte das altersschwache Gefährt sofort in allgegenwärtiges Zittern. Faber musterte besorgt die rostigen Schrauben und Nieten der Wandverstrebungen. Seine Scheibe hing schräg in der Halterung. Wo sich ihre Rundung in den Rahmen hätte einpassen sollen, fehlte ein faustgroßes Stück Glas, das ein Steinwurf oder Schuss herausgerissen haben mußte. In der feuchten Hitze tummelten sich die Fliegen. Das Fahrzeug hupte gellend, ihr Abfahrtssignal, und aus dem Schatten der cantina lösten sich die letzten Passagiere.
Dann sah er Corinna mit einer ledernen Umhängetasche über den Platz eilen …
Sie winkte aufgeregt dem Fahrer.
«Rapido, no pare», rief Faber ihm zu.
Einige Passagiere, alte Männer, lachten wegen seiner Dreistigkeit. Frauen waren es nicht wert, dass man für sie Bremsbelag vergeudete; schon gar nicht, wenn sie so offensichtlich der Rasse der Gringos angehörten.
Einen Augenblick lang schien es tatsächlich, als rumpele das Gefährt über den mit Asphalt gefüllten Löchern des Sandplatzes weiter, dann kam es abrupt zum Stehen. Der Ziegenbock über ihnen auf dem Dach gab ein lautes Meckern von sich, und die Hühner zu seinen Füßen schlugen wild mit den Flügeln.
Faber spuckte ein Stück flaumiger Feder aus, das ihm zwischen die Lippen geraten war.
Als er aufblickte, plumpste Corinna neben ihm auf den Sitz.
«Das haben Sie sich so gedacht», fauchte sie.
«Gedacht, was?»
«Ich konnte hören, was Sie dem Fahrer zuriefen»
«Ich wollte, dass er anhielt. Vielleicht ist mein Spanisch zu schlecht.»
«Ihr Spanisch ist ausgezeichnet. Sie haben no pare, nicht anhalten, gerufen.»
«So? Na, das wundert mich nicht. Wahrscheinlich ist der Motor beim Bremsmanöver in die Brüche gegangen.»
Tatsächlich war der Fahrer ausgestiegen und horchte besorgt auf den metallischen Klang unter der Motorhaube. Es hörte sich an, als schüttele man leere Konservendosen in einem Waschzuber. Je länger sie im Leerlauf standen, desto rasselnder wurde das Geräusch, untermalt vom dumpfen Geklapper der Ventile. Doch nachdem er irgend etwas im Motorraum laut fluchend mit einem Stück Draht befestigt hatte, setzten sie die Fahrt ohne größere Unterbrechungen fort.
Als sie hoch genug aus dem Tal mit seinen grünen Hängen aufgestiegen waren, sahen sie milchigblau und weit entfernt im Dunst die Kegel zweier Vulkane aufragen. Ihr Anblick strahlte etwas Entrücktes und Erhabenes aus – als blickten ihre Gipfel mit milder Nachsicht aus einer fernen Zeit auf sie herab, die so unendlich viel bedeutender als die Gegenwart war, dass darüber alles andere verblasste.
Dann wurden sie unvermittelt in die Wirklichkeit zurückgeholt:
Auf dem schwarzen Stoppelfeld vor ihnen stand eine ausgebrannte Maschine der AVIATECA, der staatlichen Luftfahrtlinie; Sitzgestelle, aus denen noch die Federspiralen ragten, und leere Gepäckcontainer waren weit über den Boden verstreut. Die beiden Alten vorn beim Fahrer, Indiofrauen von derbem Bauernschlag, verhüllten ihre Gesichter mit weißen Taschentüchern, als böte das Schutz vor kommendem Unheil.
Augenblicke später fuhren sie durch dichten Mischwald, und es wurde angenehm kühl im Bus. In den Tierras templadas, dem zentralen Hochland, lagen die Temperaturen das ganze Jahr über bei 20 Grad.
Ein paar Minuten lang genoss Faber die Fahrt. Die Straßen waren mustergültig für mittelamerikanische Verhältnisse. Lea im fernen Ost-Berlin schien ihm so wenig wirklich wie jemand, der nur noch in der Einbildung existierte.
Er hatte Ross dazu bringen können, ihm diesen Auftrag zu überlassen, weil sie beide, Reuben und er, viele Jahre lang Kollegen in derselben Abteilung gewesen waren, «alte Kameraden» – was immer das bedeuten mochte. Von echter Freundschaft war zwischen ihnen nie die Rede gewesen. Obwohl Faber manchmal das Gefühl gehabt hatte, und Reuben wohl nicht minder, sie ständen dicht davor. Den wirklichen Grund, warum er hinter dem Auslandsauftrag her war, hätte er Ross nicht gut nennen können.
Eine Verschnaufpause – Abstand zu gewinnen von dem, was ihm zu schaffen machte, war kein Motiv, das für einen Mann seiner Position irgendeine Geltung beanspruchen konnte. Es wäre ein Eingeständnis von Schwäche gewesen.
Als «ewiger Vize» und langjährige rechte Hand wechselnder Chefs, die so unnahbar wie Kometen an ihm vorübergezogen waren, schätzte Ross es nicht sonderlich, wenn man Sonderwünsche äußerte. Er bereitete sich darauf vor, die höchste Stufe in der Hierarchie zu erklimmen – vergeblich, wie man in der Organisation mit gewohnter Schadenfreude orakelte –, und auf diesem dornenreichen Weg erschien ihm selbst der harmlos gemeinte Vorschlag eines Auslandsauftrags als Einmischung in die Planungen der Führungsspitze. Das galt noch strikter für Aufträge, die wie dieser so weit außerhalb von Fabers gewohnten Aufgaben lagen.
Ross und Marten hatten ihn nach allen Regeln der Kunst davon zu überzeugen versucht, dass ein Geheimnisträger seines Ranges besser im eigenen Land blieb. Deshalb hatte Ross‘ plötzliches Einlenken zwei Tage nach dem ergebnislosen Treffen mit Leas Anwalt in Faber sofort den Verdacht erregt, sie seien ihm auf der Spur.
Aber genaugenommen gab es dafür keine Beweise. Er versuchte sich auszumalen, wie sie reagieren würden, wenn sie entdeckten, dass er sich schon ziemlich weit vorgewagt hatte – vorgewagt ohne Ergebnis für Lea … Es fiel nicht zu seinen Gunsten aus. Er war dankbar für die Ablenkungen der Reise.
Einer der Indios im Bus bekreuzigte sich, und die anderen stimmten in sein Gebetsmurmeln ein. Der Mischwald war unvermittelt zum Regenwald geworden …
«Was ist los?», fragte Faber.
«Sie glauben, dass im Dschungel dvendes hausen, kleine, über und über mit grauem Haar bedeckte Männchen, die jedem den Daumen abschneiden, der nicht achtgibt.»
«Den Daumen?», fragte er verständnislos. «Wozu?»
«Ich weiß nicht … vielleicht, weil sie selbst keinen haben.»
Fabers Blick streifte skeptisch die wie in Erwartung kommenden Unheils dasitzenden Gestalten. «Deshalb verstecken sie ihre Hände in den Hosentaschen?»
«Man kann nie wissen.»
«Ist das nicht reichlich abwegig? Wenn man bedenkt, wer ihre wirklichen Feinde sind?»
«Wen haben Sie denn da im Auge?»
«Die Militärs zum Beispiel. Oder die Amerikaner. United Brands, Castle & Cook, Del Monte, die Nachfolger der United-Fruit-Company.»
«Das sagen Sie – als Mitarbeiter eines westlichen Geheimdienstes?»
«Sie werden mich doch deswegen nicht bei Ihrem Vorgesetzten anschwärzen?»
«Hängt ganz von Ihren Manieren ab.»
Die Landschaft nahm unvermittelt das Aussehen eines schmierigen braunen Sandkastens an.
Baril lag in einer Senke, es war nicht mehr als eine Ansammlung verstreuter ein- und zweistöckiger Häuser, zum Zentrum hin etwas dichter, mit der Maisbierbrauerei und dem zerschossenen Kirchturm inmitten eines vertrockneten Parks, um den sich sonnendurchglühte Gassen gruppierten; streunende Hunde, so gelb wie der Straßenstaub, schienen ihre einzigen Bewohner zu sein.
Doch dann öffnete sich für Sekunden der Blick auf den im Schatten großer Hallen liegenden Marktplatz, und sie sahen, dass sich dort zwischen schwerbeladenen Obst- und Gemüseständen halb Baril ein Stelldichein gab.
Am Ortseingang, vor der einzigen Erhebung, die für den Kampf gegen die Guerillas strategisch bedeutsam war – einem etwa fünfzehn Meter hohen Basaltstein –‚ wurden sie von der üblichen Zivilpatrouille gestoppt.
Indios mit den Gesichtern früh gealterter Kinder sammelten ihre Pässe und Papiere ein. Sie stiegen aus und vertraten sich die Füße unter der Felswand.
Das Ganze kam Faber wie die Aufführung eines schäbigen Hinterhoftheaters vor. Er war ziemlich sicher, dass niemand in der Zivilpatrouille einwandfrei lesen konnte; die dunkelhäutigen Gestalten in ihrer zerlumpten Kleidung ließen sich nur von den amtlich aussehenden Stempeln ihrer Pässe beeindrucken.
Keiner der Einheimischen war ohne Genehmigung unterwegs, und Gringos betrachtete man offenbar immer als Touristen, wenn sie nicht gerade der kommunistischen Untergrundtätigkeit verdächtigt wurden. Diesmal winkte man sie durch.
«Goldstein arbeitet drüben in dem Projekt hinter den Hügeln», sagte Corinna, als sie neben der Post hielten. «Von hier aus ist es nicht zu sehen.»
«Und Reubens Hotel?», fragte er.
«Das Gebäude neben dem Wollbaum.»
Fabers Blick folgte ihrer ausgestreckten Hand. Der zweistöckige Bau besaß eine umlaufende Holzgalerie, die momentan zum Trocknen von weißen Bettlaken zweckentfremdet wurde und dem Dachgeschoss das Aussehen eines in Tücher gehüllten, überdimensionalen Sitzmöbels verlieh.
Sie betraten das Hotel nicht durch die große dunkle Halle, weil dort gesägt und gehämmert wurde, sondern über den Eingang der cantina. Der Wirt war damit beschäftigt, die Außenseite eines schmierig aussehenden Glaskastens zu polieren. Faber fragte ihn nach Zimmern.
«Doppelzimmer?»
«Zwei Einzel», sagte Corinna.
«Hier nimmt‘s niemand wegen des Trauscheins so genau», meinte der Wirt und wischte mit einer Armbewegung über die am Tisch sitzenden Einheimischen hinweg, als seien es Gespenster. «Erst recht nicht bei Fremden. Wenn Sie ein Doppel wünschen …?»
«Geht in Ordnung», nickte Faber.
«Unterstehen Sie sich», sagte Corinna; sie begann ihren Meldezettel auszufüllen. «Wir sind dienstlich unterwegs.»
Faber zwinkerte dem Wirt zu. Sein Gesicht war feist und stoppelig und erinnerte ihn an einen Griechen, den er vor vielen Jahren gekannt hatte. Er trug seinen Namen – Baredo – als kleinen gestickten Schriftzug am Hemd.
«Die Betten ... Señorita – ich mache Sie darauf aufmerksam, dass sie in den Doppelzimmern wesentlich besser sind. Stabiler. Natürlich können Sie auch zwei Doppel bekommen. Für acht Quetzal Aufschlag.»
«Geben Sie uns zwei Einzel.»
«Wie Sie wünschen.»
Als Faber sich unter der altmodischen Dusche etwas frisch gemacht und sein Hemd gewechselt hatte, ging er hinunter, um sich eine Flasche amerikanischen Whisky für den Abend zu besorgen. Er rundete den Betrag von sechzehn auf zwanzig Quetzal ab, und diese Großzügigkeit verfehlte ihre Wirkung nicht. Baredo, der das Hotel von seiner Mutter geerbt hatte, bat ihn nach hinten in sein Privatzimmer, wo zwischen den dunklen spanischen Möbeln unter dem Deckenventilator zwei gemusterte Hängematten gespannt waren, und lud ihn zu einer Flasche einheimischem Maisbier ein.
«Aus der örtlichen Brauerei, Señor. Besseres Bier als in der Hauptstadt.»
Faber nahm dankend an.
Er setzte sich in eine der beiden Matten. Zwischen den Möbeln waren – wie vor Altarbildchen – unter den gerahmten Fotografien seiner Ahnen brennende Kerzen aufgestellt. Hagere, von der Arbeit auf den Feldern ausgebrannte Bauerngesichter.
«Reubens Zimmer …», begann er zögernd nach der dritten Flasche Maisbier.
«Ja? »
«Er war doch Ihr Gast, nicht wahr?»
«Sicher, Señor. Es liegt direkt neben Ihrem.»
«Und seine Arbeit? Ich meine – in diesen Ort kommt ja wohl kaum jemand als Tourist?»
«Das will ich nicht sagen …»
«Natürlich müssen Sie Ihre Sommerfrische verteidigen, Baredo. Dafür habe ich volles Verständnis. Aber unter Brüdern – was trieb er wirklich hier?»
«Niemand wusste es.»
«Hat er denn nicht länger bei Ihnen gewohnt?»
«Nun, er hatte das Zimmer für sechs volle Wochen bezahlt, mit der Ankündigung, so lange zu bleiben, wie er brauchte. Und jetzt ist es von der Polizei versiegelt. Bis zur Klärung seiner Todesursache.»
«Verstehe.»
Sie tranken schweigend.
«Bleiplombe?», fragte Faber wie unbeteiligt. Er sah dem anderen dabei nicht ins Gesicht.
«Die Polizei in der Stadt ist sehr streng mit uns.»
»Ich lege etwas für Ihre Auslagen hier auf die Kommode», sagte Faber und zog einen Umschlag aus der Tasche.
«Sie verstehen ... solche Plombenzangen sind praktisch nirgends zu bekommen. Nicht einmal mit den besten Beziehungen. Sie werden unter Verschluss gehalten.»
Faber nickte und goss sich ein Glas aus der Flasche mit weißem Rum ein, die Baredo ihm über den Tisch geschoben hatte. Als er es gegen das Licht hob, sah er, dass die Flüssigkeit trübe und voller Flusen war.
«Den gleichen Betrag noch einmal, wenn Sie‘s irgendwie ermöglichen könnten ...»
«Kein Problem. Das lässt sich arrangieren, Señor.»
«Kein Problem?»
«Es gibt eine Zwischentür zu Ihrem und Reubens Zimmer. Man bemerkt‘s nicht gleich, weil von beiden Seiten ein Kleiderschrank davorsteht.»
«Und der Schlüssel?»
«In meinem Besitz.»