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Goldstein erinnerte mit seinen Baumwollshorts und unbehaarten rosigen Beinen, denen die starken UV-Strahlen anscheinend nichts anhaben konnten, eher an einen großen Jungen als an jenen so emsigen Gründer einer linksextremistischen westdeutschen Gruppe, der Anschluss an die internationale Bewegung der Antiimperialisten suchte …

Wenn er Kontakt zu marxistischen Guerillagruppen knüpfen wollte, wie Reuben behauptet hatte, dann verstand er es glänzend, sich hinter der Maske des idealistischen Träumers zu verbergen.

Er arbeitete seit fünf Monaten an einem Entwicklungshilfeplan, der sich Das vierte Brunnenprojekt nannte und fünf oder sechs wegen Trockenheit unfruchtbare Felder mit einem Viereck aus Röhren verband, von deren Ecken sternförmig Zuleitungen zu den Wasserspeichern liefen.

Die Ingenieursleistung, wenn man es so nennen wollte, bestand hauptsächlich darin, den Höhenunterschied so auszunutzen, dass kaum Pumpen benötigt wurden.

Je länger Faber sich mit Goldstein unterhielt, desto sicherer war er: Reuben mußte einer dummen Täuschung aufgesessen sein.

Sie standen im Schatten eines Wellblechdachs, das auf vier krummen Ästen ruhte. Von ihrem erhöhten Standpunkt aus konnte man den Verlauf der Wasserröhren sehen. Goldstein war groß und hager, er ging etwas vorgebeugt, die knochigen Schultern nach innen geschoben, als drohe er jeden Moment wie ein Taschenmesser zusammenzuklappen.

Er sagte: «Wir brauchen eine lange Zeit des Friedens – und viel Eingebung von oben, um das Projekt zu Ende zu führen.»

Sein Gesicht war leicht gerötet. Faber konnte nicht unterscheiden, ob vor Eifer oder von der Sonne.

«Von oben?»

«Von Gott.»

«Sie als Marxist glauben an Gott?» Er hatte sich Goldstein gegenüber als westdeutscher Journalist ausgegeben, der Entwicklungshilfeprojekte besuchte, um in den heimischen Zeitungen über ihre Effektivität zu berichten.

«Als Marxist? Wie kommen Sie darauf, ich sei Marxist?»

Faber zog ein zerknittertes Stück Papier mit Notizen aus der Innentasche seiner karierten Jacke. «Das hat man mir in der Redaktion zur Vorbereitung meines Artikels gegeben ... hier steht‘s: Harald Goldstein, Gründer der ‚Stuttgarter Initiative zur Überwindung imperialistischer Ausbeutung’. 1983 stiegen Sie aktiv in die Friedensbewegung ein …»

«Ah – jetzt verstehe ich», sagte Goldstein, und sein Gesicht verklärte sich auf so nachsichtig lächelnde Weise, dass es Faber an einen vergeistigten Engel erinnerte.

«Verstehen? Was meinen Sie?»

«Diese leidige Namensverwechslung. Es gibt in Stuttgart einen zweiten Harald Goldstein. Besser gesagt: es gab ihn. Er kam bei einem Autounfall ums Leben. Eine Zeit lang schickte man mir immer seine Strafmandate. Ehrlich gesagt, habe ich sogar den Verdacht, dass er mich dafür missbrauchte. Er war nicht gemeldet und wohnte bei einer Freundin.»

«Darauf sollten wir uns erst mal einen genehmigen. Das ist ja eine Neuigkeit für meine Zeitung, alle Achtung. Sie haben doch was zu trinken da?», fragte Faber und zog eine der Blechtonnen an den provisorischen Tisch.

«Maisbier, wenn es Ihnen nicht zu warm ist.»

«Und Ihre Aufgabe hier?»

«Die Organisation, meinen Sie? Es ist kein staatliches Projekt, sondern ein christliches. Ingenieure, die von der Evangelischen Kirche beauftragt wurden, haben das Röhrensystem entworfen. Im Prinzip arbeitet es wie ein Ansaugrohr. Sie erinnern sich? Wenn man Benzin mit einem gebogenen Schlauch aus dem Tank holen will? Ist das Wasser erst einmal zum Fließen gebracht, dann überwindet es Höhenunterschiede von allein – natürlich in Grenzen», fügte er hinzu. «Und zum Ansaugen braucht man elektrische Pumpen.»

«Natürlich.» Faber musterte ihn wie ein Wesen aus einer fremden Welt.

«Der Energieverbrauch ist verschwindend gering.»

«Sie arbeiten also für die Evangelische Kirche? »

«Genaugenommen arbeiten wir für uns – indem wir für den anderen arbeiten.»

Faber spürte förmlich, dass er das Wort Seelenheil herunterschluckte, weil es in den Ohren eines Zeitungsreporters fragwürdig klingen mußte.

«Da ist noch etwas, das mich interessieren würde …»

«Ja?»

«Haben Sie in den vergangenen Wochen irgendwann den Besuch eines Deutschen namens Reuben erhalten?»

«Reuben?» Er dachte nach. «Ich glaube nicht – nein, da bin ich ganz sicher.»

«Oder von anderen Deutschen?»

«Hierher verirren sich nur selten Ausländer.»

«Hat sich jemand auffallend für Sie interessiert?»

«Auffallend – nein, wieso? Einheimische?»

«Wer auch immer.»

«Könnte ich nicht sagen.» Er schüttelte den Kopf.

Faber nickte und strich sich durch das hellblonde Haar. Ein Insekt mit durchscheinenden Flügeln taumelte betäubt vom Rand seines Bierglases auf. Aus der Ferne erklang der Ton eines hochtourigen Motors. Als Faber sich erhob, sah er eine Staubwolke über den in

Serpentinen angelegten Sandweg des Hangs heraufkommen.

Es war ein Moped; Corinna saß auf seinem Rücksitz und schlang ihre Arme um den Bauch des Fahrers. Trotz der Hitze trug er schwarze Lederkleidung mit roten Absetzungen, die in dieser Umgebung wie die schlechte Kopie aus einem amerikanischen Film über Motorradbanden wirkte. Corinna küsste ihn nachdrücklich auf die Wange, als sie abstieg.

Der Junge legte verlegen grüßend seine Hand an den Helm, wendete und knatterte folgsam über den Hügelkamm zurück.

«Verdammter Lügner …», sagte sie und stellte sich mit in die Hüften gestützten Fäusten vor Faber hin. «Sie haben gesagt, wir würden um neun zusammen frühstücken. Und dann haben Sie sich schon um acht klammheimlich davongemacht.»

«Wenn wir verlobt wären», meinte Faber, «dann wär‘s jetzt wohl ein Grund, die Beziehung zu lösen?»

«Sie lassen mich allein mit dem Wirt zurück, diesem Möchtegern-Playboy! Während des Frühstücks hat er mich dreimal in sein Hinterzimmer eingeladen …»

«Seine Hängematten sind gar nicht so übel.»

«Machen Sie sich nur über mich lustig!»

«Dafür, dass es so früh am Morgen war, ist Baredo noch ganz gut in Form.»

«Er ließ mich beim Essen keine Sekunde aus den Augen – wie ein hungriger Wolf.»

«Betrachten Sie‘s einfach als Kompliment.»

Goldstein war mit seinen Konstruktionszeichnungen zu den Indios hinuntergegangen, In den tief ausgehobenen Rinnen bewegten sich ihre Strohhüte, als schwebten sie über dem Boden. Zwei andere waren im Schatten eines Abzweigrohrs aus Beton damit beschäftigt, in schwarzen Gusspfannen enchilladas, Maistaschen mit Käse und Fleisch, für das Mittagessen anzurichten.

«Wenn wir den Weg über die Hügel nehmen, sind wir gegen Mittag wieder im Hotel», schlug Faber vor. «Es gibt da oben irgendwo eine Ceiba, einen heiligen Wollbaum mit über fünfundzwanzig Metern Umfang. Ein Naturdenkmal, das wir uns nicht entgehen lassen sollten.»

«Ihre Frechheit ist wirklich nicht zu schlagen ... jetzt, wo ich gerade angekommen bin.»

«Sind Sie etwa auf das Zeug da in den Pfannen scharf?» Er zeigte zu den Indios am Holzfeuer hinunter. «Sehen Sie sich bloß ihre schwarzen Finger an.»

«Sagen Sie mir wenigstens, was Sie von Goldstein erfahren haben.»

«Später …»

Er ging ein Stück voraus und blieb stehen, als sie sich nicht aus dem Schatten des Wellblechdachs rührte.

«Nun, kommen Sie schon … oder finden Sie allein zurück?»

Der Gedanke, den Weg durch das Hügelland bis zum Ort völlig auf sich allein gestellt zu sein, brachte sie augenblicklich zur Vernunft. Er ahnte, was in ihr vorging. Schließlich konnte sich jeder dahergelaufene Landarbeiter leicht als Mitglied der Zivilpatrouille ausgeben, um sich ein wenig mit ihr zu amüsieren. Fabers Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln.

«Was wissen Sie über Reubens Auftrag in Guatemala?», fragte er.

«Nichts. Man hat mich nur darüber unterrichtet, dass er für einen westdeutschen Geheimdienst arbeitete.»

«Und Goldstein?»

«Ich hörte den Namen vor einer Woche zum ersten Mal.»

«Aber man muss Ihnen doch irgend etwas gesagt haben?»

«Die Botschaft ist schließlich kein Nachrichtenbüro. Ich sollte Sie nur betreuen, mehr nicht.»

«Immerhin wussten Sie, dass Reuben in Baredos Hotel ein Zimmer genommen hatte?»

«Als Sie ein Busticket nach Baril lösten, rief ich in der Hauptstadt an. Man sagte mir, Reuben habe hier gewohnt. Das Zimmer sei von der Polizei versiegelt.»

«Hm, merkwürdig.»

«Merkwürdig, wieso?»

«Ich meine diesen Goldstein … Er arbeitet als Entwicklungshelfer für die Evangelische Kirche. Es soll hier draußen seine einzige Aufgabe sein – und ich glaube ihm ... Reuben wollte angeblich einen ganz anderen Mann gleichen Namens beobachten, der in Deutschland wegen verfassungsfeindlicher Aktivitäten aufgefallen war und in Guatemala Kontakte zu linksstehenden Guerillagruppen knüpfen sollte.

Reuben muss gewusst haben, dass es sich nicht um denselben Goldstein handelte. Trotzdem blieb er weiter in Baril. Er hatte sein Zimmer für sechs Wochen gemietet.»

«Warum sollte er so etwas Widersinniges tun?»

«Genau das ist es, was ich herauszufinden versuche.»

«Vielleicht schreckte er nur davor zurück, seinen Irrtum einzugestehen?»

«Das wäre nicht Reubens Art.» Faber schüttelte den Kopf. «Ich kannte ihn gut genug. Er hatte zwar persönliche Schwierigkeiten in letzter Zeit, aber dabei ging es nicht um seine Qualifikation. Wir haben viele Jahre lang in der Spionageabwehr zusammengearbeitet.

Angeblich bestätigte sich der Verdacht gegen Goldstein. So lauteten jedenfalls seine Berichte nach Köln. Es war das letzte, was wir von ihm hörten.»

«Meines Wissens gibt es hier überhaupt keine Guerillas. Die Gegend ist fest in der Hand der Militärs.»

«Und der Todesschwadronen?» Faber blickte sie an, seine Stimme hatte einen herausfordernden Klang.

«Wenn Sie darauf anspielen, dass unsere Botschaft zu wenig Protest gegen diese Art der Unterdrückung einlegt …»

«Ich bin noch nicht lange genug hier, um mir darüber ein Urteil bilden zu können. Und ehrlich gesagt: Um Politik mache ich lieber einen Bogen. Sie nervt mich, weil sie wie ein Billardspiel ist. Nichts bewegt sich ohne Stoßen und Schieben.»

«Aber Sie beziehen doch Partei, wenn Sie für einen der westdeutschen Dienste arbeiten!»

«Ich betrachte mich mehr als Handwerker. Als eine Art Behördenhandwerker, der Fremdkörper aus nicht schließenden Türschlössern entfernt. Und in meinem Fall kommen sie zufällig von der anderen Seite.»

«Sie haben ja eine merkwürdige Art, den Ost-West-Konflikt zu verharmlosen.»

«Werden Sie das auch Ihren Vorgesetzten melden?»

«Ich melde niemandem etwas.»

«Sie sind doch als meine Aufpasserin abgestellt. An wen geben Sie Ihre Berichte? Das würde mich interessieren.»

«Reden wir lieber von etwas anderem. Was für Schwierigkeiten waren das, in denen Reuben steckte?»

«Korruptionsvorwürfe. Anonyme Briefe. Angeblich soll er für Geld die Fahndung gegen einige Linksextremisten eingestellt haben. Er war immer in Geldschwierigkeiten. Sozusagen der Normalzustand. Wie viele übrigens in den Diensten. Neigen alle dazu, etwas exzentrisch mit ihrem Einkommen umzugehen – vielleicht die Nerven! Hypotheken auf dem Haus, Erbschaftssteuer und so weiter. Aber ich glaube nicht, dass diese Geschichten für Ihre Ohren bestimmt sind.»

«Schließlich ist er tot.»

«Das entbindet mich nicht von meiner Schweigepflicht.»

«Und wenn es eine Verbindung zwischen Reubens Schwierigkeiten und dieser mysteriösen Namensverwechslung gibt?», fragte sie. «Oder seiner Ermordung?»

«Sieht ganz so aus, als ob er Goldsteins Arbeit in Guatemala nur als Vorwand für etwas anderes benutzt hatte.»

«Als Vorwand …» Sie blieb stehen und wandte sich fragend nach ihm um. «Woran denken Sie da?»

«Nichts Bestimmtes», sagte er. «Noch denke ich an gar nichts. Nein, ich habe wirklich keine Ahnung.»

Der Agentenjäger

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