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Ist der Holocaust Ansichtssache?

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Die Liste der Holocaust-Leugner weltweit ist viele Seiten lang – von Deutschland über zahlreiche europäische Staaten, die arabische Welt bis hin zu Australien, Japan und den USA –, obwohl der Holocaust unter den meisten Historikern als gut gesicherte Tatsache gilt.

 „Sechs Millionen kann nicht stimmen. Es können maximal 340.000 in Auschwitz umgekommen sein“, so ein NPD-Mitglied.

 Al-Ahram, Kairo, älteste ägyptische Zeitung: „Es gab überhaupt kein Chelmno, kein Dachau, kein Auschwitz! An diesen Orten standen lediglich Desinfektionsanlagen.“

 Der ehemalige iranische Präsident Ahmadinedschad relativierte den Holocaust und sah ihn zumindest als nicht erwiesen an. Unter dem Titel International Conference on «Review of the Holocaust: Global Vision», berief er in Teheran eine Konferenz ein, an der zahlreiche internationale Holocaustleugner teilnahmen.

Angesichts derart unterschiedlicher Auffassungen stellt sich die Frage:

Wie war es möglich, dass so viele Menschen, obwohl sie schon während des Nationalsozialismus durch Kriegsheimkehrer und Insider davon erfahren hatten, das Thema mehr oder weniger negierten? Lediglich aus Angst vor Strafe und Repressalien der nationalsozialistischen Diktatur, wie oft angenommen wird? Oder weil man am Ausmaß der Verbrechen zweifelte („Davon haben wir nichts gewusst“)? Und warum wurde das Thema in Deutschland nach dem Krieg so lange tabuisiert? Vor allem aber, wieso ist es selbst heutzutage in gewissen Kreisen noch umstritten? Selbst ein ehemaliger italienischer Regierungschef unterstellte den Deutschen unlängst, wenn auch zweifellos demagogisch verallgemeinernd:

"Berlusconi-Tirade: 'Für Deutsche haben die KZs nie existiert'. Silvio Berlusconi hat die Deutschen indirekt als Holocaust-Leugner bezeichnet." (SPIEGEL 4/2014)

Ist der Holocaust womöglich doch in irgendeiner Weise Ansichtssache? Oder, noch gewagter gefragt, sogar so etwas wie „Geschmackssache“?

Die Antwort auf diese provokative Frage, die jeden Menschen, der hinsichtlich seines Selbstverständnisses nicht längst das Handtuch geworfen hat, nach so unfassbar viel Leid in den Vernichtungslagern des Nationalsozialismus befremden muss, wirft zugleich Licht auf eines unserer wohl größten intellektuellen Defizite:

die Analyse jener Motivationen und Gründe, die uns in der Menschheitsgeschichte immer wieder zu Schlächtern haben werden lassen, zu Mördern, Ausbeutern, Sadisten und schweigenden gesellschaftlichen Mitläufern.

Bewertungen können subjektiv sein, Geschmacksurteile sind bekanntlich per definitionem subjektiv, stellen also keine Beschreibung rein objektiver und allgemeingültiger Daten unser Erfahrungsrealität dar, wenn auch objektive Erfahrungsdaten daran beteiligt sein mögen. Sondern ihr wesentlicher Grund liegt im Subjekt, das seinen ganz persönlichen, relativen Anteil, z. B. durch subjektives Fühlen, beisteuert.

Objektive und allgemeingültige Daten der Erfahrungsrealität“ – was ist damit gemeint?

Beispiel für eine subjektive Veränderung in Wahrnehmungen:

Im Alltag wie auch in der Erkenntnistheorie gehen wir davon aus, dass ein weiter entfernter Gegenstand nicht kleiner ist als ein naher. Er erscheint nur kleiner, eben bedingt durch seine Entfernung.

Wir messen ihm aber „an sich“, d.h. unabhängig vom Bewusstsein, eine gleichbleibende Größe bei. „Kleiner“ und „größer“ sind offenbar subjektive Faktoren, hinzugefügt durch unseren Wahrnehmungsapparat, aber nicht am Objekt selbst befindlich. Es gibt also subjektive „Verfälschungen“ des Objekts, die allerdings im praktischen Erkennen und Handeln, hier z. B. bei der Einschätzung der Entfernung, ihren Sinn haben.

Ähnlich – dann allerdings nicht mehr subjektiv verstanden – sind wohl die meisten Menschen, auch Physiker und Erkenntnistheoretiker, z.B. im Sinne des sogenannten „Kritischen Realismus“ anstelle von naivem Realismus, davon überzeugt, dass die Strecke, die ein Körper im Raum zurücklegt, eine tatsächliche Bewegung ist und nicht einfach bloß wahrgenommen, also nur so erscheinend.

Selbst wenn es kein menschliches Bewusstsein gäbe, nehmen wir gemeinhin noch an, dass ein Gegenstand sich durch den Raum bewegen kann, es sei denn, wir halten wie die erkenntnistheoretischen Idealisten alles nur für einen „Bewusstseins-Traum“, und unabhängig vom Bewusstsein existiert überhaupt keine Welt.

Eigenschaften, Bestimmungen dagegen, die abhängig vom Subjekt sind, werden nicht als „objektiv“, „ansichseiend“, also unabhängig vom Subjekt angesehen. So verstanden sind Geschmacksurteile offensichtlich subjektiv.

In dieser Analyse wird es weniger um strittige historische Tatsachen, um Opferzahlen, um Leugner des Holocaust, um politische Motive oder wissenschaftliche Gründe oder Beweise für historische Richtigkeit gehen, als vielmehr um die auf der „Metaebene unseres Bewusstseins“ zu findenden Gründe unseres Umgangs mit ähnlich exemplarischen Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Solche Gründe werden gemeinhin z. B. in bequemem Mitläufertum gesehen, in mangelnder Empathie, in Angst vor Repressalien und Nachteilen.

Unsere Meta-Analyse wird dagegen zeigen, dass es eine Reihe weitgehend unbemerkter zusätzlicher Faktoren hoher Wirksamkeit gibt, die die bedauerliche Prognose rechtfertigen, dass wir kaum Chancen haben, unsere gewohnten Verhaltensweisen zu ändern.

Aber lässt sich denn überhaupt über den Holocaust moralisch streiten? Kann es hier Zweifel und berechtigte abweichende Meinungen geben?

Was ist eigentlich das genaue Kriterium, um zwischen Ansichtssache, Geschmackssache und „wahren“ moralischen und menschlichen Werten zu unterscheiden?

Indem wir das womöglich größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte mit der Frage „Kann die Bewertung des Holocaust Ansichtssache sein?“ zum Anlass einer Klärung unserer wohlverstandenen eigentlichen Interessen im Leben nehmen, vermögen wir unseren Blick zu schärfen für einen bisher so gut wie völlig übersehenen moralischen Sachverhalt, der vielleicht das Leiden nicht beendet, aber uns wenigstens in klarerem Wissen über die Gründe unseres Versagens scheitern lässt …

Sieben Gründe, warum wir nicht so gut sind, wie wir sein könnten

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