Читать книгу Patrick und die blöde Fee - Peter Schottke - Страница 4

Kapitel 2: Raumgestaltung

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„Aua! Meine Güte, aua, aua, aua!… Mannomann, tut das weh!… Aua…”

Dieses Nörgeln war wirklich nervtötend. Patrick beschloss der Ursache nachzugehen, aber zuerst prägte er sich noch den Stand der Dinge auf dem Bildschirm ein. Das feindliche außerirdische Raumschiff war durch Raketeneinschläge vorerst zurückgeschlagen – gut so. Dann konnte er es wohl riskieren, die Tapferen an Bord des guten Schiffes einen Moment unbeaufsichtigt zu lassen.

„Auauauau! Aua!”

„Was ist denn!” Patrick trat zum Fenster, beugte sich vorsichtig über die vier Kakteen, die in Tontöpfen vor sich hinvegetierten, steckte den Kopf hinaus und suchte Rahmen und äußere Fensterbank ab. Ein paar Spatzen stoben aufgeschreckt davon. Heiß stach die Sonne vom Himmel. Das Johlen der Fußballer und das Rattern des Rasenmähers waren immer noch zu hören, doch jetzt nahm etwas anderes Patricks Aufmerksamkeit in Anspruch. Er musste sich vorbeugen, um die winzige Gestalt zu erkennen, die draußen auf dem Fensterbrett kauerte. Sie war nicht größer als seine Faust. Zwei klitzekleine Pupillen äugten vorwurfsvoll zu ihm auf.

„Na endlich nimmst du Notiz von mir!”

Patrick war verblüfft. Für ein so kleines Wesen besaß es eine sehr durchdringende Stimme.

„Wer -”, setzte Patrick an.

„Keine überflüssigen Fragen jetzt”, beschied ihn die winzige Kreatur. „Wir müssen sofort aufbrechen.”

Patrick runzelte die Stirn. „Was müssen wir aufbrechen?”

Ein Stöhnen ertönte, das wie das Herabkollern einer Lawine aus Kieselsteinchen klang. „Kapierst du denn überhaupt nichts? Was lernt ihr eigentlich in der Schule?”

Patrick zuckte die Achseln. Darauf gab es nun wirklich nichts Gescheites zu antworten. Er fragte sich, mit wem er hier überhaupt sprach, wer ihn hier vom Fernsehen abhielt, wer hier gegen sein Fenster geplonkt war, und wer ihn nun hier mit keifender Stimme ankläffte und mit Perlenaugen anstierte und … – Patrick sah etwas genauer hin. Dieses winzige Geschöpf, das kläglich in einem Winkel des Fensterahmens kauerte, hätte ein großes Insekt oder eine kleine Maus sein können, jedoch … Patrick erkannte ganz deutlich einen Körper mit zwei Armen und zwei Beinen, einen Kopf mit einem rosafarbenen Mund und einer Stupsnase. Auf dem Kopf saß ein spitzer Hut. Und waren das nicht Flügel, die da aus dem Rücken ragten? Jetzt begann das Wesen, mit schnellen Schritten draußen auf der Festerbank auf und abzutapern.

„Das ist doch nicht die Möglichkeit! Da hat man’s schon mal so weit geschafft und dann gerät man an so einen Trottel! Aua!” Die Kreatur war gegen den Fensterrahmen geprallt. Flüche folgten.

„Mir tun alle Knochen weh!”, schimpfte die kleine Gestalt.

„Warum?”

„Weil ich mich gestoßen habe!”

„Warum?” Patrick kam sich schon wie seine kleine Schwester vor.

„Weil ich gegen deine Fensterscheibe gesegelt bin, darum!”, zeterte sein Besuch. „Wie kann man nur so dumm sein, ein Fenster nur halb zu öffnen! Entweder man macht es ganz auf oder man lässt es zu! Ist das so schwierig? Alles andere führt zu Verwirrung und zu schrecklichen Unfällen!”

Das winzige Wesen humpelte auf der Fensterbank hin und her. „Ich hoffe, du bist wenigstens reisefertig.”

„Reisefertig?”, wiederholte Patrick. „Warum … Ich meine, weshalb sollte ich reisefertig sein?”

„Na, weshalb denn wohl? Reisefertig sollte man schon sein, wenn man auf Reisen gehen wird. Ist ja wohl selbstverständlich. Muss man dir denn alles erklären?”

Patrick überlegte kurz. Dann verkündete er: „Ich habe überhaupt nicht vor zu verreisen.”

„Mag sein. Aber das ist nebensächlich.”

Patrick blieb die Luft weg. Die Unverfrorenheit dieser Winzperson war buchstäblich atemberaubend. Er stemmte die Arme in die Hüften. „Wer sind Sie eigentlich, wenn ich mal fragen darf?” Warum er „Sie” sagte, war ihm selbst nicht ganz klar; vielleicht lag es am forschen Aufreten des Eindringlings.

Zwei Knopfaugen blinzelten ihn listig an. „Na, was glaubst du, kleiner Patrick?”

„Woher wissen Sie, wie ich heiße?”, wollte Patrick erwidern, doch er kam nur bis: „Woher wiss-”, als ein pechschwarzer Blitzstrahl vom Himmel zischte und auf der Fensterbank einschlug.

So jedenfalls kam es Patrick vor, bis er kapierte, dass es ein großer schwarzer Vogel war, der herabgestoßen war, hektisch mit den Flügeln flatterte und mit scharfem Schnabel nach der kleinen Besucherin hackte, die panikerfüllt hin und her trippelte, um ihm auszuweichen. Dr. Katz machte einen Buckel und fauchte, hielt sich aber zurück.

„Patrick, tu doch was!”

Patrick starrte den schwarzen Vogel an, der riesenhaft wirkte gegen sein Opfer, das er mit wütenden Schnabelhieben attackierte. Eine Krähe. Aber eine besonders große und angriffslustige. Außerdem besaß sie ungewöhnliche, grellgrüne Augen, die besser zu einer Katze oder einer Schlange gepasst hätten, und mit denen sie hasserfüllt nach ihrem umherwuselnden Ziel spähte.

Da! Der Vogel hatte das Winzwesen draußen am Fensterrahmen in die Enge getrieben und stieß ein triumphierendes Meckern aus. Der Kopf mit dem kräftigen Schnabel hob sich.

„Patrick!…” Die Stimme wurde schwächer. Kleine Luftjapser waren zu hören.

„Paaatrick!…”

Ihm war nicht ganz klar, was genau von ihm erwartet wurde. Doch er gewann den Eindruck, dass das angegriffene Kleinlebewesen eher seine Hilfe brauchte als die wütende Krähe. Und ohne dass er lange nachgedacht hätte, schob er seine flache Hand vor und schubste die aufkreischende Krähe von der Fensterbank. Hoffentlich hat meine tierliebe Schwester das nicht gesehen, sonst gibt’s wieder ein Geplärre, dachte Patrick, als die Krähe draußen auf dem Terrassenboden aufklatschte. Sie funkelte Patrick zornig an, während sie Flügel und Krallen sortierte. Ihr gewölbter Federrücken bebte, als sie nach Luft rang. Dann kauerte sie sich auf dem Boden zusammen und spannte ihre Muskeln für einen erneuten Angriff.

Die Winzgestalt rettete sich mit einem kühnen Sprung über den Fensterrahmen zu Patrick ins Zimmer.

„Schnell, das Fenster zu!”

Die Krähe machte sich startbereit. Das Scharren ihrer Krallen auf den Fliesen klang scharf und aggressiv.

„Mach das Fenster zu!”

Doch Patrick konnte den Blick nicht von der Krähe abwenden. So einem wildgewordenen Vogel war er noch nie begegnet. Das Funkeln in den grünlichen Augen traf ihn stechend. Er fühlte sich wie gelähmt, wie hypnotisiert von diesem grünstechenden Krähenblick.

„Fenster zu!” Das Stimmchen war schon kaum noch vernehmbar.

Die Krähe riss ihren Schnabel zu einem schrillen Kampfschrei auf und startete wie ein Pfeil in Richtung Fensteröffnung, den unheilvollen Blick auf Patrick geheftet.

Patrick sah den Vogel auf sich zukommen, unfähig, auch nur einen Finger zu rühren.

Triumphierendes Krächzen.

Wildes Flügelschlagen.

Anstürmendes gefiedertes Unheil.

Und dann … ein Aufschrei -

„Tooor!”

Der Jubel vom Fußballplatz riss Patrick aus seiner Erstarrung und ohne genau zu wissen, was er tat, knallte er hastig den Fensterflügel zu. Die anfliegende Krähe versuchte abzubremsen, schlingerte aber doch gegen die Scheibe und verursachte hässlich kratzende Geräusche mit ihren Krallen, die vergeblich versuchten, am Glas Halt zu finden. Der Rabenvogel rutschte an der Scheibe herunter und plumpste draußen auf die Fensterbank. Schnell verriegelte Patrick das Fenster.

Die Krähe sandte ihm feindselige Blicke.

„Nein, kein Tor”, teilte Patrick ihr durch die Scheibe mit. Dann fiel sein Augenmerk auf Dr. Katz, der mit gesträubtem Fell Richtung Krähe stierte. „Hättest ruhig ein bisschen mithelfen können, ich denke, du bist ‘n Raubtier?”

Dr. Katz ließ sich gelassen nieder, um Patrick daran zu erinnern, dass Intellektuelle körperliche Aktivität nicht nötig hatten.

Leises, sehr leises Keuchen erinnerte Patrick an die Anwesenheit der Mini-Besucherin. Das Wesen lag ermattet auf dem Fensterbrett, zwischen zwei Kakteentöpfen.

„Aua, aua, aua, auauaua!…”

„Was ist los?” Patrick überließ Kater und Krähe sich selbst und widmete sich seinem winzigen Gast.

„Was glaubst du denn? Denkst du, es ist spaßig, von einem geflügelten Monstrum angegriffen zu werden?”

„Jetzt sind Sie ja in Sicherheit.”

„Schöne Sicherheit”, nörgelte das Wesen. „Deine Kakteen haben verdammt pikige Stacheln, weißt du das?”

„Ja. Aber es sind gar nicht meine. Es sind Vatis Kakteen.”

„Tut nichts zur Sache. Wir müssen jetzt los.”

„Wovon reden Sie nur?”

„Von der Reise, die wir zusammen unternehmen werden.”

„Ich habe Ihnen schon erklärt, dass ich nicht verreisen will.”

„Aha. Und wieso nicht?”

Patrick zögerte. „Weil … weil ich hier gebraucht werde!”

„So?”, fragte die kleine Gestalt spitz.

„Natürlich! Ich kann doch meine Fernsehprogramme nicht im Stich lassen!”

Die Gestalt rieb sich das Näschen. „Anderswo wirst du wirklich gebraucht.”

Damit konnte Patrick nichts anfangen. „Wer sind Sie eigentlich? Warum sollte ich mit Ihnen verreisen? Und wohin überhaupt? Was hat diese Krähe da draußen gegen Sie?”

„Welche Frage soll ich zuerst beantworten?”

„Ääh … Zuerst: Wer sind Sie?”

„Das ist einfach: Ich bin eine Märchenfee.”

Patrick sah auf das spitzhütige Wesen hinab und fragte sich, wer von ihnen beiden nicht ganz bei Verstand war.

Die Krähe stolzierte vor dem Fenster hin und her wie ein Wachtposten. Bei jeder Kehrtwendung warf sie giftige Blicke hinein.

„Eine Märchenfee?”, wiederholte Patrick.

„Na, was denn wohl sonst?” Die Kleine schritt wütend aus und bemerkte nicht, dass sie in eine Pfütze trat, die vom Gießwasser für die Kakteen zurückgeblieben sein musste. „Huch!”, schrie sie auf, als sie in der Nässe ausrutschte. Sie landete mitten in der Pfütze. „Warum grinst du so? Man kann ja wohl einmal ausrutschen!” Sie stand auf, glitt wieder aus und setzte sich nochmals auf den Allerwertesten. Patrick musste kichern.

„Oder zweimal!”, herrschte ihn die angebliche Fee an. „Hör gefälligst auf zu lachen!” Sie stand unbeholfen auf, ordnete ihre Kleidung und bewegte sich eilig von der Kakteengießwasserpfütze fort. Dabei achtete sie nicht auf ihren Weg und stieß mit der Stirn gegen einen der Blumentöpfe. „Aua! Au – au – au, aua! Hör auf zu lachen!”

Patrick beherrschte sich mühsam, obwohl die Fee mit ihrem vor Wut hochroten Köpfchen wirklich zu komisch aussah.

„Du machst dir keinen Begriff, wie ernst die Lage ist, Patrick!”

„Entschuldigung. Es ist nur so: Vor ein paar Minuten habe ich meiner kleinen Schwester erklärt, dass Märchenfeen blöd sind. Aber ich hatte keine Ahnung, wie blöd sie tatsächlich sind.”

„Vielen Dank!”, gab die Fee zurück. „Ich bin dir sehr verbunden für deine Offenheit.”

Patrick schaute kurz zur Krähe. „Sie hat Sie angegriffen.”

„Das hast du gut beobachtet”, bestätigte die Fee grimmig.

„Was hat sie gegen Sie?”

Die kleine Fee begann ihr Gewand auszuwringen. „Ich denke, sie wollte mich zum Schweigen bringen, bevor ich mit dir reden kann. Du musst wissen: Ich bin mit einem wichtigen Auftrag zu dir unterwegs.”

„Und die Krähe wusste das?”

Die Fee legte eine Wringpause ein und sah Patrick ernst an. „Torturiel hat seine Augen überall.”

Diese Antwort erschien Patrick rätselhaft. Doch ehe er nachfragen konnte, erklärte die Fee: „Dazu kommen wir später. Was siehst du mich so an? Bezweifelst du etwa, was ich sage?”

Patrick verzog etwas den Mund. „Na ja … Ich glaube eigentlich nicht direkt an Märchenfeen.”

„Aha. Nun siehst du aber eine vor dir. Da bleibt dir wohl nichts anderes übrig, als dran zu glauben.”

„Ehrlich gesagt, ich habe mir Feen immer etwas anders vorgestellt.”

„So, wie denn, hä?” Die Fee wirkte etwas beleidigt.

„Hm, vor allem … nicht so mickrig.”

„Mickrig?”, brauste sein Gast auf. „Was glaubst du eigentlich, wen du vor dir hast?!”

Patrick entgegnete: „Ein schimpfendes kleines Etwas, nicht größer als ein Spatz, das sich furchtbar wichtig nimmt und jetzt wütend auf und ab läuft, und das jetzt über den Saum seines rosa Kleides stolpert und jetzt mit der Nase in der Kakteengießwasserpfütze liegt.”

Die Fee prustete das Wasser aus Mund und Nase und stemmte sich hoch. „Soweit hast du vielleicht recht”, gab sie zu. „Es ist wohl an der Zeit, dass ich mich dir in meiner wahren Größe zeige.”

Patrick hob die Augenbrauen. Was sollte das nun bedeuten?

„Gib acht”, befahl die Fee und dann schwang sie die Ärmchen in weiten Bögen. Winzige gelbliche Funken sprühten von ihren Fingerspitzen und formten sich zu einem Schleier, der nach und nach den gesamten Körper der kleinen Fee umwölkte. Patrick wurde Zeuge, wie der Nebelschleier erst zitronengelb zu leuchten begann, dann weizengelb wurde, dann gelbgolden, fast orange, dann mit einem jähen Kurswechsel an die Grenze zum Gelbgrün geriet und schließlich in einer Farbexplosion aller vorstellbarer Gelbtöne gleichzeitig aufstrahlte.

Vor ihm stand eine hoch aufgeschossene, rosa gekleidete Person, die vom Fußboden bis zur Decke das ganze Wohnzimmer ausfüllte. Rosa schimmernde Schatten verdunkelten den Raum, da Hutschleier und Gewandfalten die Fenster verdeckten.

„Aua!”, entfuhr es der Fee, als sie sich den Schädel an der Deckenlampe stieß.

Zu blöd, dachte Patrick und laut sagte er: „Das ist also Ihre wahre Größe?”

Die Riesenfee rieb sich den Kopf. „Unsinn! In meiner wahren Größe bin ich ungefähr so groß wie du. Ich brauche einfach noch einen zweiten Versuch; einen Augenblick Geduld, bitte!”

Aus den riesenhaften Fingerspitzen stoben große, grellgelbe Zauberfunken. Sie knisterten wie elektrische Entladungen. „Au!” Die Fee lutschte an ihren verbrannten Fingern. „Verwünschtes Zauberzeug!”

Patrick brachte sich vorsichtshalber hinter seinem Fernsehsessel in Sicherheit, als erneut große Funkenwolken aufwaberten. Mit einem Seitenblick auf den Bildschirm nahm er eine wilde Schießerei zwischen zwei Gangsterbanden wahr.

Die Riesengestalt schrumpfte und Sonnenlicht konnte wieder durch die Fenster eindringen. Doch Patrick spürte, wie ihn etwas mitsamt dem Fernsehsessel beiseiteschob, und er nahm auch wahr, dass der Esstisch und ein paar Stühle, sogar der Teppich von einer wogenden Masse weggedrängt wurden. Eine Blumenvase krachte zu Boden.

Die Krähe starrte mit ihren Katzenschlangenaugen durch die Fensterscheibe herein.

„Also, zur Hälfte stimmt’s jetzt”, erklang die Stimme der Fee nicht mehr von oben wie eben, nicht mehr von unten wie vorher, sondern aus einer mittleren Höhe. Patrick lugte über die Lehne des Sessels.

Dort stand die Fee.

Sie war tatsächlich ungefähr so groß wie er.

Allerdings war sie so breit, dass sie von einer Wand des Wohnzimmers zur anderen reichte.

Patrick blickte sie zweifelnd an und die Fee sah erst nach links, dann nach rechts, wo die Fettmassen ihres Körpers sich gegen die Tapeten schmiegten.

„Hm”, meinte sie selbstkritisch. „Ich brauche wohl noch einen dritten Versuch.”

Patrick zog seinen Kopf ein, als wieder Zauberfunken aufblitzten. Sobald sich der gelbe Sturm gelegt hatte, spähte er vorsichtig über die Sessellehne und erblickte eine Fee, die nicht mehr dick, sondern nur ein wenig vollschlank und tatsächlich ein bisschen kleiner als er, aber größer als Jessika war.

„Na, damit hätten wir’s ja”, befand die Fee. „Warum versteckst du dich? Kein Grund, sich zu fürchten – beim Zaubern brauche ich immer drei Versuche.”

Patrick zwängte sich zwischen Wand und Sessellehne hervor und sah sich im Zimmer um. Die Unordnung war grauenhaft. Nicht, dass ihm das viel ausgemacht hätte – Riesenroboter richteten in Großstädten Schlimmeres an -, aber er wusste genau, dass man dafür ihn verantwortlich machen würde; schließlich hatte er sich als Einziger am Tatort aufgehalten. Oder sollte er etwa zu seiner Mutter sagen: „Ich war das nicht, das war die blöde Fee da.”? Wie sollte er überhaupt die Anwesenheit dieses ungebetenen Gastes erklären? Er hatte das sichere Gefühl, bei einer solchen Auseinandersetzung auf der Verliererseite zu landen. Deswegen sagte er: „Los, bringen Sie das schnell wieder in Ordnung!”

Der Kater Dr. Katz bestätigte diese Aufforderung mit einem energischen „Mrrau!”

Die Fee sah Patrick mit großen Augen an. „Wovon redest du?”

„Na, das Zimmer hier!” Patrick wies mit ausladender Gebärde auf das Chaos. „Sie haben die ganze Einrichtung durcheinandergebracht!”

„Ach, das meinst du. Ist das so schlimm?”

„Wenn meine Mutter das sieht, macht sie Hackfleisch aus mir!”

„Nun übertreib mal nicht, mein Junge. Aber bitte, wenn du soviel Wert darauf legst – das ist überhaupt kein Problem!”

Die Fee hob die Arme und ließ einen gelben Funkenregen über sämtliche Möbelstücke niedergehen. Die Möbel schwirrten um Patrick herum und wechselten die Plätze wie in einer Zeitrafferszene. Schleunigst wich er aus, als der Schrank an ihm vorüberrumpelte, und er ging gerade noch rechtzeitig in die Knie, als das Sofa dicht über seinem Kopf hinwegschoss. Anschließend sah das Zimmer tatsächlich vollkommen anders aus.

Patrick stöhnte, als er die Veränderungen begutachtete, die die Fee vorgenommen hatte. Der Schrank stand mitten im Raum, dort, wo sonst das Sofa gewesen war. Obendrauf hockte mit entsetztem Blick Dr. Katz. Das Sofa versperrte die Tür. Der Sessel stand in einer Zimmerecke. Der Teppich lag schief auf dem Boden und der Fernseher … – Um Himmels willen, wo war der Fernseher??? Panik ergriff Patrick, als er versuchte, aus der Tonkulisse von Revolverschüssen und dramatischer Musik auf den Standort des Apparates zu schließen. Verwirrt blickte er sich um. Da! Auf dem schmalen Fensterbrett stand der Fernseher, etwas kipplig, wie Patrick mit Schrecken feststellte. Der Bildschirm war nach draußen gerichtet und Patrick konnte erkennen, wie die Krähe in der Luft flatterte und das Fernsehprogramm verfolgte. Vielleicht holte sie sich ein paar Anregungen fürs nächste Kampfgetümmel.

Ein Klopfen ertönte. Woher? Patrick fixierte den Schrank in der Zimmermitte. Ein, zwei Schritte darauf zu und er konnte die Schranktür öffnen.

„Hab’ mich wohl aus Versehen hier eingezaubert”, murmelte die Fee und trat aus dem Schrank. Dann sah sie sich im Zimmer um. „Und, zufrieden?”

Zuerst wusste Patrick nicht, was er entgegnen sollte. Wie oft hatte er seine Mama sagen hören: „Wir müssten mal das Wohnzimmer neu einrichten.” Ob sie sich das so vorgestellt hatte? Er brachte nur ein mühsames Krächzen heraus. „Das … ist … völ-… völlig verkehrt!…”

„Findest du?“ Die Fee blickte noch einmal über die eigenwillige Anordnung. „Also, ich bin der Meinung, es sieht aufgelockerter als vorher aus. Schon gut”, rief sie hastig, als Patrick zu einer wütenden Erwiderung ansetzte, „ich kann ja noch einen Versuch machen. Wie die hochverehrte Feenfürstin so trefflich zu sagen pflegt: Man soll das Eisen schmieden, solange es nicht in den Brunnen gefallen ist.”

„Seien Sie vor allem vorsichtig mit dem Fernseher!”, mahnte Patrick, während er versuchte, Deckung zu finden. Er warf einen besorgten Blick auf den Apparat, der jeden Moment vom Fensterbrett zu kippen drohte. Die Krähe war begeistert von dem Spektakel, das der Bildschirm ihr bot.

Die Fee verkündete: „Ein kniffliger Fall. Ich werde wohl zu blauer Magie greifen müssen!” Und mit diesen Worten hob sie die Arme, holte tief Luft und entließ aus ihren Händen Ströme von strahlend blauen Funken, die durchs Zimmer sausten und alles darin Befindliche umfassten. Das Flimmern war kaum auszuhalten. Patrick duckte sich, zog den Kopf zwischen die Schultern und hielt die Luft an. Er hoffte sehnsüchtig, dass dieser Zaubersturm bald vorübergehen möge. Doch Minute um Minute toste der Wirbelwind aus Königsblau, Türkis, Blauviolett und Ultramarin und erfasste Möbelstück um Möbelstück. Patrick hatte das Gefühl, als flöge ihm die ganze Welt um die Ohren.

Auf einmal: Stille.

Patrick wartete ein paar Sekunden.

Dann öffnete er ein Auge.

Dann das andere.

Er tat einen tiefen Atemzug und wagte dann, das Zimmer in Augenschein zu nehmen.

Das Sofa lümmelte im Fernsehsessel. Der Teppich hing vorm Fenster. Am Teppich hing festgekrallt Dr. Katz. Der Schrank stand kopfüber vor der Tür, seine vier kurzen Holzbeine ragten in die Luft. Auf jedem Bein stand sorgfältig platziert ein Kakteentopf. Über Patrick erklangen die Worte: „Mensch, Leute, das ist ja vielleicht ’n Ding!” Patrick hob den Kopf. An der Zimmerdecke klebte der Fernseher. Er strahlte eine sicherlich irrsinnig spannende Folge von „Chefinspektor Hopkins ermittelt” von der Decke und Patrick dachte einen Moment lang, dass es doch sehr angenehm sein könnte, sich einfach auf den Fußboden zu legen und die Berieselung von oben in bequemer Lage zu genießen. Doch was würden Mama und Vati dazu sagen?

Neben ihm stand die Fee. „Das war ziemlich schwierig”, behauptete sie.

Patrick glaubte ihr aufs Wort.

„Ich hasse es, blaue Magie anzuwenden”, nörgelte die Fee und verzog dabei das Gesicht. „Aber ich hoffe, du bist jetzt endlich zufrieden.”

Patrick setzte zu einer Antwort an, als es an der Zimmertür klopfte. Das Geräusch war nur gedämpft zu vernehmen, weil der Schrank vor der Tür stand, aber Patrick war sofort alarmiert. So klopften nur Mütter!

„Patrick, was ist denn da drin los? Probst du den Weltuntergang?”

Patrick machte seiner Mutter in Gedanken ein Kompliment; so weit war sie gar nicht von der Wahrheit entfernt. Aber dann rief er nur: „Mach dir keine Sorgen, Mama!”

„Was hast du gesagt?”

Patrick riss die Schranktür auf und brüllte die durcheinandergepurzelten Servietten und Tischtücher an: „Mach dir keine Sorgen! Ich habe alles unter Kontrolle!”

Das anschließende fünfsekündige Schweigen zeigte Patrick, dass seine Mutter sich jetzt erst recht Sorgen machte. „Was genau hast du unter Kontrolle, Patrick?”, erkundigte sie sich argwöhnisch.

Patrick blickte sich hilflos im verwahrlosten Zimmer um. „Äh, alles, ja, einfach alles, Mama!…”

„Was hast du gesagt?”

„Alles, was du willst, Mama!”, rief Patrick in den Schrank.

„Patrick. Ich gebe dir fünf Minuten, dann komme ich rein, und dann werden wir beide -”

Patrick warf die Schranktür zu. Seine Augen suchten die Fee und fanden sie am Fenster, wo sie und die Krähe sich ein Duell aus wilden Blicken lieferten.

„Bringen Sie das Zimmer wieder in Ordnung!”

Die Fee wandte sich um. „Noch mehr Ordnung?”

„Die ursprüngliche Ordnung!”, verlangte Patrick.

„Tja … Leider kann ich mich inzwischen nicht mehr so genau erinnern, wie … Hast du vielleicht ein Foto von eurem Wohnzimmer?”

Patrick lief rot an vor Wut. „Nein! Ich wusste nicht, dass ich jemals eins brauchen würde!”

„Dann weiß ich leider nicht, wie ich -”

„Versuchen Sie’s doch mit roter Magie!”, unterbrach Patrick.

Die Fee hob ruckartig den Kopf. Ihr Blick stach Patrick in die Augen. „Was weißt du von roter Magie?”, herrschte sie ihn an.

„Nichts”, stammelte Patrick erschrocken. „Ich dachte nur, wenn es gelbe und blaue Magie gibt, dann …”

„Verlang nie wieder von mir, dass ich rote Magie benutze! Hörst du? So etwas gibt es nämlich überhaupt nicht, kapiert?”

„Äh …”

„Kapiert?”

„Äh, ja.”

„Gut.” Die Fee schien wieder besänftigt zu sein. „Und jetzt werde ich dein Zimmer wieder in Ordnung bringen, wenn dir so viel daran liegt.” Sie seufzte. „Wenn ich meinen Zauberstab noch hätte, wäre alles viel einfacher.”

Sie schwenkte die Arme und aus ihrer linken Hand sprühten gelbe Magiefunken, während der rechten blaue entströmten. Beide Zaubernebel vermischten sich über der Hutspitze der Fee, dehnten sich aus und umfingen innerhalb weniger Sekunden alles, was sich im Raum befand. Es flimmerte abwechselnd blaugelb und gelbblau vor Patricks Augen und ihm wurde schwindlig. Wieder schwirrten die Möbelstücke, getragen von der Feenmagie, durchs Zimmer, und gerade noch rechtzeitig konnte Patrick den vier Kakteen ausweichen, die wie stachelbewehrte Raketen zurück zum Fensterbrett schossen.

Als der Zaubersturm sich diesmal gelegt hatte, traute Patrick seinen Augen kaum. Es sah tatsächlich so aus, als befinde sich alles Mobiliar wieder an seinem Platz. Dr. Katz saß auf dem Teppich, putzte seelenruhig eine Pfote und warf Patrick einen „War was?”-Blick zu.

„Ich sagte ja schon: Ich brauche meistens drei Versuche.”

Patrick nickte der Fee flüchtig zu und riss die Wohnzimmertür auf. „Mama! Es ist alles wieder in Ordnung!”

Er knallte die Tür zu und wandte sich zur Fee um, die aus dem Fenster schaute. Von der Krähe war nichts mehr zu sehen.

„Was wollen Sie hier?”

„Das habe ich dir bereits mitgeteilt. Ich komme dich zu unserer Reise abholen.”

„Ich denke nicht daran, mit Ihnen wegzufahren.” Patrick nahm wieder im Sessel Platz.

„Wer spricht von fahren?”

Patrick wandte den Kopf zu ihr. Die Fee sah ihn mit einem rätselhaften Lächeln an.

Patrick drehte sich aprupt weg und fingerte auf der Fernbedienung herum. Ein Film, in dem muskulöse Männer in Sandalen mit Felsbrocken warfen, fand sein Interesse. Schade, dass er nicht gleichzeitig die Sendung mit den Weltraum-Cowboyratten verfolgen konnte, die er eben für Sekundenbruchteile gestreift hatte.

„Du bist nicht bereit, mit mir zu reisen?“

„Nein”, gab Patrick über die Schulter.

„Du willst lieber hierbleiben und den flimmernden Kasten betrachten?”

„Ja.”

„Dann”, sprach die Fee bedächtig, „ist es wohl an der Zeit, dass wir über die drei Wünsche reden.”

Patrick wurde hellhörig. Wie war das? Drei Wünsche? Patrick musste an das denken, was Jessika gesagt hatte: Feen können zaubern und man hat bei ihnen drei Wünsche frei …

Patrick betrachtete seine Besucherin auf einmal mit ganz anderen Augen.

„Drei Wünsche?”, vergewisserte er sich.

„Aber ja.”

Patrick begann fieberhaft zu überlegen. Was sollte er sich zuerst wünschen? Am Dringendsten benötigte er einen zweiten Fernsehapparat, das war klar. Schon klappte er den Mund auf, um den Wunsch auszusprechen, als er den Gesichtsausdruck der Fee wahrnahm. Irgendwie hinterlistig sah sie aus. Hm. Diese durchtriebene Märchengestalt versuchte ihn wohl zu ködern … Also hieß es: vorsichtig sein! Patrick durfte sich nicht mit drei billigen Wunscherfüllungen abfertigen lassen, o nein, er musste bei jedem seiner Wünsche aufs Ganze gehen! Sein Gehirn arbeitete auf Hochtouren.

Ihm kam eine grandiose Idee. Er schmeckte sie in Gedanken ab und fand sie ausgesprochen clever. Warum eigentlich nicht? Warum sich nicht zehn Fernsehapparate wünschen? Oh, und weshalb so kleinlich? Zwanzig oder dreißig Fernseher wären doch auch nicht zu unbescheiden – für den ersten Wunsch, wohlgemerkt. Wie viele Fernsehprogramme wurden eigentlich ausgestrahlt? Und kamen nicht andauernd neue hinzu? Vielleicht sollte man vorsorgen und gleich fünfzig Apparate bestellen.

Patrick schwelgte in Gedanken an eine himmlische Zukunft. Er sah die Wohnzimmerwand vollgepflastert mit Bildschirmen, die ihm jedes Programm zur Verfügung stellten, und er würde nur schnell genug hin und herblicken müssen, um nichts zu verpassen. Dies erforderte sicherlich einige Übung, doch für einen solchen Zweck war Patrick bereit, hart zu trainieren.

Die Stimme der Fee drang an sein Ohr. „Patrick?”

Patrick ließ sich nur ungern aus seinen Gedanken reißen. „Ja?”

„Ich habe dich etwas gefragt.”

„So? Das muss ich überhört haben.”

Die Fee seufzte. „Ich habe gerade gefragt, ob du mit drei Wünschen einverstanden bist.”

Patrick sprang vom Sessel hoch. „Aber klar!”

„Du bist also einverstanden?”, hakte die Fee nach. „Mit den drei Wünschen, die erfüllt werden müssen?”

„Ja doch!”

„Gut”, meinte die Fee und sah sehr zufrieden dabei aus. „Dann lass uns endlich aufbrechen.” Sie öffnete vorsichtig das Fenster und hielt nach Krähengefahren Ausschau.

„Aber, Moment mal”, sagte Patrick, „was ist mit dem ersten Wunsch?”

„Der erste Wunsch”, entgegnete die Fee, „ist folgender: Ich wünsche, dass du mitkommst.”

Patrick war perplex. „Wie bitte? Ich dachte -”

Die Fee runzelte die Stirn. „Was dachtest du? Oh, ich verstehe! Na ja, das glauben alle; sei beruhigt: Du bist nicht der Einzige.”

„Was glauben alle?”

„Dass sie drei Wünsche erfüllt bekommen, wenn sie einer Fee begegnen. In Wirklichkeit ist es andersherum: Wer einer Fee begegnet, ist verpflichtet, ihr drei Wünsche zu erfüllen.”

„Wie bitte?!”, entfuhr es Patrick. „Aber meine kleine Schwester hat behauptet …”

„Glaubst du alles, was deine kleine Schwester dir erzählt?”

Patrick schwieg verdutzt. Die Fee fügte hinzu: „So sind die Regeln. Tut mir leid, du bist zu spät dran.”

„Zu spät?”

„Ja, früher, früher war es umgekehrt, da haben Feen noch Wünsche erfüllt, doch heutzutage …”

„Heutzutage muss man den Feen drei Wünsche erfüllen?”

„So ist es.”

Patrick lief im Zimmer auf und ab. „Das ist ja eine Unverschämtheit! Ihr könnt doch nicht einfach die Spielregeln ändern!”

Die Fee sah ihn ernst an. „Du kannst es mir glauben: Das liegt nicht in unserer Hand.”

„Ich bekomme also keine Wünsche erfüllt?”

„Nein.”

„Ich bekomme keine hundert Fernseher?”

Die Fee stutzte, dann antwortete sie: „Falls dies dein Wunsch gewesen wäre – sei froh, dass er nicht in Erfüllung geht.”

„Und jetzt soll ich Ihnen drei Wünsche erfüllen?”

„Genau.”

„Kommt ja gar nicht in die Tüte!”

„Und warum nicht?”

„Erstens …” Patrick versuchte seine Gedanken zu ordnen. Dann schnappte er sich den ersten geordneten Gedanken, der vorbeischlenderte, und sprach ihn aus. „Erstens weiß ich gar nicht, wie ich das anstellen sollte. Und zweitens weigere ich mich! Jawohl!” Er setzte sich in den Fernsehsessel und verschränkte bockig die Arme.

Polizisten und Gangster feuerten aufeinander. Richtig so!, dachte Patrick ergrimmt.

Die Fee sah ihn mitleidig an. „Du weigerst dich also?”

„Ganz entschieden!”

Daraufhin gefror die Welt.

Obwohl es keineswegs kälter wurde, erstarrte alles, als herrsche ein unerklärlicher Sommerfrost. Alle Geräusche erstarben. Jede Bewegung auf dem Bildschirm hielt inne. Und auch Patrick selbst war erstarrt, die Finger über der Fernbedienung, die Augen auf die reglosen Gangster gerichtet. Nichts konnte er bewegen und nichts um ihn herum rührte sich. Es war, als hätte jemand auf einer viel größeren Fernbedienung auf „Standbild” gedrückt und Patrick damit zum absoluten Stillstand verurteilt. Nur seine Gedanken waren ungebremst und rasten durch seinen Kopf.

,Was ist hier passiert? Warum ist es so still? Bin ich auf einmal gelähmt? Was würde Chefinspektor Hopkins in dieser Lage tun? Kann mir denn niemand helfen?’

Die Welt blieb starr und still und stumm.

,Hilfe! Hilfe!’, schrien Patricks Gedanken, warfen die Ärmchen hoch und rannten in Panik durcheinander.

Dann empfand er einen dumpfen Schmerz, als wäre sein Kopf mit dem von jemand anderem zusammengeprallt – allerdings so, als sei dies nicht von außen, sondern innerhalb seines Schädels geschehen.

‚Verzeihung’, ertönte eine inzwischen wohlbekannte Stimme, ‚entschuldige bitte, dass ich hier eindringe, aber -’

‚Was wollen Sie hier drin in meinem Kopf?’

‚Dich zur Vernunft bringen’, entgegnete die Stimme der Fee. ‚Aber dazu – aua!…’

‚Was ist?’

‚Ich hab’ mir das Schienbein gestoßen’, maulte die Stimme. ‚An einem der Grübelbrocken, die deine Gedanken losgetreten haben.’

Patrick war sich nicht einmal bewusst, dass er so etwas besaß. ‚Tut mir leid’, dachte er zur Feenstimme.

‚Kannst du das nicht abstellen?’, keifte diese. ‚Man bricht sich ja alle Knochen in deinem Kopf!’

Patrick bemühte sich, seine Gedanken in verschiedene Ecken seines Gehirns zu schicken, damit sie sich dort eine Weile selbst beschäftigen konnten.

‚Schon besser’, sagte die Stimme der Fee, als die Gedanken sich verzogen und in ihrem Gefolge auch die Grübelbrocken davonkullerten. ‚Du siehst also, dass es keinen Sinn hat, dich zu weigern.’

‚Solange ich Ihre Wünsche nicht erfülle, bleibt diese Erstarrung bestehen?’

‚Genau so ist es.’

‚Hören Sie auf mit diesem faulen Zauber!’

‚Das liegt nicht in meiner Macht’, beschied ihn die Feenstimme. ‚Wer Feenwünschen nicht nachkommen will, wird vom Schicksal bestraft.’

Patrick bekam das starke Gefühl, dass ihm nichts anderes zu tun blieb, als sich alledem zu fügen, was von ihm verlangt wurde.

Und im selben Moment, als er dies beschloss, löste sich die Erstarrung und die Welt um ihn herum war wieder voll Leben und Bewegung. Der Kater putzte seine Pfötchen, als sei rein gar nichts geschehen. Draußen tobte das Fußballspiel. Die Vögel pickten und zwitscherten.

Patrick atmete erlöst auf.

Nun war alles wieder wie vorher.

„Bis auf eins”, griff die Fee diesen seinen Gedanken auf. Patrick vernahm ihre Stimme jetzt wieder über seine Trommelfelle, was ihm wesentlich angenehmer war, als ungebetene Gäste in seinem Kopf zu beherbergen.

„Und zwar?”

„Du hast etwas dazugelernt, oder nicht?”

„Wovon reden Sie?”

„Du weißt jetzt, dass man Feenwünsche nicht zurückweisen kann.”

„Das ist Erpressung!”

Die Fee zuckte die Achseln. „Ich habe mir die Regeln nicht ausgedacht. Du kannst dich ja beim Elfen- und Feenrat beschweren.”

„Klar, ich hab’ ja sonst nichts zu tun.”

„Du hast vollkommen recht”, nahm ihn die Fee beim Wort. „Also, Patrick, bist du bereit?”

„Wenn’s denn sein muss.” Patrick seufzte und schielte zum Fernseher, wo gerade die Ankündigungen der folgenden Sendungen gezeigt wurden. Wie viele wertvolle Filme und Shows würde er verpassen?

„Wie lange bleiben wir denn weg?”, erkundigte er sich.

„Das hängt von dir ab.”

Patricks Augen weiteten sich. „Von mir?”

„Gewiss. Nur von dir und davon, wie schnell du Erfolg hast.”

„Ich verstehe kein Wort!”

„Das macht nichts.”

„Wohin reisen wir überhaupt?”

„Glaubst du, die Antwort würde dir etwas nützen?”

„Aber bestimmt!”

„Sagt dir ‚Zwergonien‘ etwas?”

Patrick blieb ein paar Sekunden lang stumm. „Nein”, gab er dann zu.

„Na siehst du: Die Antwort nützt dir nichts. Also frag nicht länger und komm einfach mit.”

Patrick gab jeden Widerstand auf. „Bringen wir’s hinter uns.”

Er stellte sich neben die Fee und sah sie auffordernd an. Die Fee wirkte zufrieden und befahl: „Gib mir deine Hand!” Patrick gehorchte. „Und jetzt mach das Fenster weit auf!”

Patrick hatte schon die andere Hand am Fensterriegel, als ihm vor seinem inneren Auge seine kleine Schwester erschien, die in seinem Fernsehsessel lümmelte, seine Sendungen anglotzte und, was das Schlimmste war, seine Fernbedienung benutzte und die sorgfältig ausgetüftelte Programmierung dabei heillos durcheinanderbrachte … Kein Horrorfilm hätte furchteinflößender sein können.

„Augenblick!” Patrick entwand sich dem Griff der Feenhand und eilte zum Sessel.

„Was ist denn!”, rief die Fee ungehalten.

Wo war die verflixte Fernbedienung? Da! Halb vergraben in dem Spalt zwischen Sesselpolster und Rückenlehne! Patrick schob Dr. Katz beiseite, der ungnädig maunzte, und zog die Fernbedienung behutsam aus der Sesselritze. Nicht auszudenken, was dem empfindlichen Gerät hätte zustoßen können, wenn sich jemand unfachmännisch in den Sessel gelümmelt hätte! Patrick packte sein Lieblingsspielzeug und schob es sorgfältig in seine Hosentasche.

Die Fee verdrehte die Augen. „Lass doch dieses unnütze Dingsbums liegen!”

„Kommt nicht infrage!” Patrick lief zur Fee und ergriff erneut ihre Hand. „Fenster auf?” Die Fee nickte. Patrick öffnete erst einen, dann den zweiten Fensterflügel.

Die Fee entfaltete erst einen, dann den zweiten ihrer Feenflügel.

Im Fernsehen knallte ein Schuss. Patrick drehte sich um und sah, wie ein Gangster seinen Revolver auf ihn richtete. „Da bist du ja wieder, du Mistkerl!”, rief der Gangster. „Fahr zur Hölle!”

Drei Schüsse knallten. Patrick zählte in Gedanken mit; das hatte er sich angewöhnt, denn oft war es wichtig zu wissen, wie viele Patronen noch in der Trommel waren. Er hätte gern erfahren, wie die Story weiterging, doch die Fee zog ihn energisch mit sich. Traurig winkte er den Gangstern im Fernsehen wie liebgewonnenen Bekannten zu – bevor ihm die Luft wegblieb, weil er an der Hand der Fee durchs Fenster jäh nach draußen gerissen wurde.

„Auf nach Zwergonien!”, jubilierte die Fee, als sie in schwindelnde Höhe zum blauen Sommerhimmel hochsausten und weit unter sich eine Schar von Krähen zurückließen, die ihnen überrascht und bösartig hinterherstarrten.

Die Fee lachte ausgelassen. „Nach Zwergonien! Ins kleinste Land der Welt!”

Das übermütige Gehabe der Märchenfee, an deren Hand er hing, kam ihm seltsam vor, und ihr triumphierender Gesichtsausdruck beunruhigte ihn. Er fragte sich, ob eine Maus, die von einem Habicht weggeschleppt wurde, sich wesentlich anders fühlen würde.

Ich bin ihre Beute, dachte Patrick bestürzt.

Sie rasten dahin und die Luft pfiff an Patricks Ohren vorbei.

„Auf zu neuen Wunscherfüllungen! Zu neuen Stufen und zu neuen Silben!” Und die Fee lachte abermals auf und wiederholte jauchzend: „Auf nach Zwergonien!”

Patrick und die blöde Fee

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