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Kapitel 2: Grenzzwergzwang

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Patrick zog sich über den Rand der Schlucht. Vorsichtig spähte er umher. Keine Gnome, keine Ratten. Niemand. Allein stand er auf dem Felsgrat, staubig, in zerschlissener Kleidung.

Er blickte über die Grenzschlucht. Dort drüben irgendwo wartete seine vertraute Welt auf ihn. Sein Zuhause. Die erneuerte Spinnenfadenbrücke spannte sich silbrig glänzend; ihr Anknüpfungspunkt auf seiner Seite der Schlucht befand sich kaum zehn Meter entfernt. Verlockend war dieser Anblick, verlockend. Ob sie wohl schon betretbar war? Vielleicht musste sie erst eine Weile trocknen oder aushärten oder sonst etwas. Patrick wurde sich bewusst, dass er in manchen Lebenslagen wenig Ahnung von den wirklich wichtigen Fragen hatte. In der Schule hatte man ihm jedenfalls nichts über solche Situationen beigebracht.

Drüben bewegte sich etwas. Buntgescheckte Köpfe zeigten sich. Aha. Grenzlandhyänen. Die Biester schnüffelten neugierig umher und untersuchten die neu entstandene Brücke, dort wo die Baumeisterin sie befestigt hatte.

Er entschied sich gegen den Gang über die Brücke und machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass der Zeitpunkt zur Heimkehr noch nicht gekommen war.

Langsam setzte er sich in Bewegung. Er überschritt die Ebene, auf der zwischen Geröll die Hinterlassenschaften der Gnome verstreut lagen: Helme, Pfeile, Sandalen …

Die Baumeisterin hatte sie vollständig in die Flucht geschlagen.

Patrick war froh, dass er auf den ersten Blick keine Verletzten oder gar Toten fand, und er verspürte auch keine Lust, genauer nachzuforschen.

Schnell durchschritt er die Ebene und wandte sich nach rechts, weg von dem Weg, der ihn aus dem Gnomenreich geführt hatte, und erreichte bald ein Nadelgehölz. Zwischen den Bäumen fühlte er sich einigermaßen geborgen. Beim Anblick vollreifer Beeren, die üppig an Sträuchern wuchsen, bemerkte er seinen Hunger. Schon hatte er die Hand ausgestreckt, als ihm Bedenken kamen. Die Früchte sahen völlig anders aus als alle, die er kannte. Gut möglich, dass sie ungenießbar oder sogar giftig waren. Er zog die Hand widerstrebend zurück und verzichtete auf diese Mahlzeit. Gerade wollte er weiterziehen, als er spürte, wie etwas seinen Hals hinaufkroch. Ein Schrei entfuhr ihm, er versuchte den Angreifer abzuschütteln, er fuchtelte mit den Händen und bekam etwas zu fassen, eine Schlange oder Echse, oder -

Er beruhigte sich, als ihm klar wurde, dass er nichts anderes als ein Ende der Ranke Yakayala umfasst hielt. Sie hatte unbemerkt von seinem Handgelenk aus einen ihrer Triebe emporgeschoben, den Arm hinauf, über Schulter und Hals, immer in Richtung … Patrick fiel die Kinnlade herunter, als er begriff.

In Richtung seines Mundes.

Er hielt die Hand vor sein Gesicht, in der sich die grüne Schlingpflanze ringelte. Sie schützt und heilt, hatte der Baum Ervaliac ihm mitgeteilt. Was wäre, wenn …

„Meinst du etwa, dass ich von dir … essen soll?”

Die Ranke umschmeichelte seine Hand, glitt spielerisch in engen Kurven um die Finger.

Davon hatte Ervaliac nun nichts verlauten lassen. Außerdem – wie konnte man von etwas abbeißen, das sich bewegte und so offenkundig lebendig war?

„Weißt du”, sagte Patrick und kam sich gar nicht seltsam vor, dass er zu einer Grünpflanze redete, „ich glaube, ich bringe das nicht fertig.”

Yakayalas Reaktion überrumpelte ihn. Der grüne Trieb schob sich blitzschnell in seinen Mund und teilte Patricks Zunge frischen, köstlichen Geschmack mit. Ehe er verstand, was er tat, hatte Patrick zugebissen. Erschrocken hielt er inne. Der Rest der Ranke blieb vollkommen ruhig, zuckte nicht zurück. Seine Geschmacksknospen genossen herbe Süße und er begann langsam zu kauen. Seine Zähne zertrennten die knackige Schale. Fruchtiger Saft trat aus. Genießerisch zerkaute Patrick den faserigen Stängel, schluckte und stellte überrascht fest, dass er schon nach diesem einen Happen sich gestärkt und gesättigt fühlte.

„Dolle Sache”, murmelte er, während sich Yakayala wieder zusammenzog und um sein Handgelenk schmiegte.

Patrick streichelte seinen lebenden Armreif mit den Fingerspitzen und genoss die Berührung der flaumigen Pflanzenflusen. Eine Weile ließ er zwei Fingerspitzen still auf Yakayala liegen und spürte ein ganz sachtes, regelmäßiges Pulsieren, einem winzigen Herzklopfen gleich.

Wie schön!, beschrieb der einzige Gedanke, der jetzt in seinem Kopf Platz hatte, das Glücksgefühl. Und laut sprach er ihn aus: „Wie schön!”

„Na, das wird sich noch rausstellen”, sagte eine Stimme hinter ihm.

Patrick drehte sich um. Er erwartete nichts als neue Schwierigkeiten und so war er kaum überrascht, als er sich zwei grimmigen Männern gegenübersah, die ihm spitze Waffen, auf deren Namen er im Augenblick nicht kam, entgegenstreckten. Zwerge, erkannte Patricks inzwischen geschulter Blick angesichts der Körpergröße, der Bärte und Helme und eisernen Brustpanzer. Grenzwachen.

Der eine Zwerg maß ihn mit misstrauischem Blick von Kopf bis Fuß. „Was hast du hier zu suchen?”

Patrick überlegte einen Moment. „Ich bin auf der Flucht.”

„Hm. Und was hast du ausgefressen?

„Nichts!”, entrüstete sich Patrick und versuchte möglichst aufrichtig zu klingen. „Grubengnome haben mich gejagt, weil ich mich mit ihrem Herrscher angelegt habe. Dann kam die Baumeisterin aus der Schlucht herauf und …”

Die Zwerge rissen die Augen auf. „Du willst sagen”, forschte der eine, „dass du der Baumeisterin begegnet und noch am Leben bist?”

Patrick nickte.

Die Zwerge schüttelten die Köpfe. „Ausgeschlossen”, sagte der erste.

Der andere Zwerg zog argwöhnisch den Mund schief. „Ich glaube ihm schon die Sache mit den Grubengnomen nicht.”

„Richtig”, führte sein Kollege den Gedanken fort, „denn um den Gnomen zu entkommen, bräuchte man verdammt viel Glück.”

„Tut mir leid, Bursche, deine Geschichte klingt reichlich unglaubwürdig. Denk dir lieber was Besseres aus!”

Die Waffe, die an ihrem unangenehmen Ende in so scheußliche Klingen und Spitzen ausgestaltet war – Hellebarde, das war ihre Bezeichnung, so fiel Patrick wieder ein – zielte genau auf seinen Kehlkopf.

Patrick schluckte. Er beschloss seine Taktik zu ändern.

Leider hatte er nicht die geringste Ahnung, wie.

Der Zwerg stieß die Hellebarde kurz und zackig vor, Patrick fuhr vor Schreck hoch, und deshalb traf die Spitze der Waffe die Mitte seiner Brust. Patrick schloss die Augen und hörte ein leises Klicken. Er machte die Augen wieder auf. Die Klingenspitze hatte seine Haut nicht einmal angeritzt, denn etwas unter seinem Hemd hatte sie abgewehrt. Etwas Hartes.

Der Zwerg zog seine Waffe zurück und guckte argwöhnisch. In Patricks Kopf begann eine Idee Gestalt anzunehmen. Wenn schon einmal jemand darauf hereingefallen war, warum dann nicht diese Trottel?

Und schon zog er die Medaille unter seinem Hemd hervor und hielt sie den Grenzwächtern entgegen. „Erkennt ihr das? Nein? Seid ihr dann wenigstens imstande, es zu sehen, ihr Nichtsnutze? Könnt ihr lesen? Dann lest die Aufschrift und ihr begreift hoffentlich, wen ihr vor euch habt!”

Die Plakette baumelte an ihrer Kette zwischen Patrick und den Zwergen, die sich misstrauisch vorbeugten, die Waffen immer noch im Anschlag.

„Was steht da?”, fragte der eine.

Der andere strengte seine Augen an. „Na… Nanu…brot, Wanzprotz, äh, Wurstpilz von Zwiebel… dings.”

„Hä?”

„Kann’s nicht richtig lesen, das Ding baumelt zu sehr.”

Der andere Zwerg packte die Medaille und hielt sie vor sein Gesicht. Seine Lippen bewegten sich, als er die Inschrift entzifferte.

Dann blickte er Patrick an.

„Oho, Nanobert, Winzprinz von Zwergonien?”

Patrick straffte sich, entschlossen, das Spiel weiterzuspielen. „Allerdings. Seid gewiss, dass eure Strafe nicht zu hart, aber angemessen ausfallen wird. Mein Vati, äh, Papa, also der König wird schon alles in diesem Sinne tun, damit alle zufrieden sind. Nicht wahr?”

Die Grenzwachen betrachteten ihn mit unbewegten Mienen. Das fasste Patrick als Zeichen auf, dass er sie beeindruckt hatte. Daher holte er noch einmal Luft und sagte abschließend: „Damit dürfte die Sache wohl geklärt sein.” Er wandte sich mit zwei, drei energischen Schritten ab, um seine Entschlossenheit zu unterstreichen. Doch kräftige Finger umklammerten sogleich seinen Arm. Patrick drehte den Kopf. Der Zwerg schaute ihn beinahe mitleidig an. „Allerdings”, antwortete er. „Du bist nichts als ein gemeiner Dieb. Gestohlen hast du diese Medaille! Ich habe Prinz Nanobert erst vor einer Woche in der Hauptstadt getroffen. Du hast keinerlei Ähnlichkeit mit ihm.”

Patricks Selbstsicherheit sank kläglich in sich zusammen. „Nein?”, erkundigte er sich. „Nicht mal ein kleines bisschen?”

Die Zwergwachen schüttelten die Köpfe.

Na Mahlzeit, dachte Patrick, also werde ich wieder mal gefangen genommen und abgeführt.

Patrick und die rote Magie

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