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Die Welt war klein, flach und platt.

Der Winter hielt noch immer seine Hand über dem See. Das erste dicke Eis war zwar vor einem Mondwechsel aufgebrochen und hatte die trügerische Hoffnung geweckt nach offenem Wasser und Vogelschwärmen. Der Magen begann schon, von Krickenten und Wildgänsen zu träumen. Aber der Wind hatte gedreht, wehte aus der kalten Ecke, ein trockener, schlimmer Wind, der über den See blies und eine feste, schwarze Eisschicht bildete, die immer dicker wurde, dabei aber so durchsichtig blieb und in der Sonne blitzte und blinkte, daß man die Augen zukneifen mußte. Die Tage wurden länger, doch es wurde kälter, und mit dem Wind kamen die Laute der Tiere aus dem Wald, das Brüllen der Kühe und das Blöken der Schafe aus dem Dorf der Bauern.

Die Mutter kauerte bei der Feuerstelle und sang leise von dem Jahr, das nur aus Sommer bestand und das doch wiederkehren könne, sie verschob die Zweige und Scheiter, wärmte sich die Hände und blickte sich um, durch die Hütte, hinauf zu den Ästen, die das Dach bildeten, hinaus durch die halbgeöffnete Tür. Das grelle Licht blendete, und sie kniff die Augen zusammen, als sie auf dem Eis nach dem Vater Ausschau hielt.

Jetzt fing sie mit ihm zu reden an, die eine Hand lag unter Wange und Kinn, die andere bewegte sie langsam durch die Luft, beschrieb Wellen und Schlangenlinien in immer gleichbleibenden Bewegungen.

Der Junge, der noch keinen Namen hatte, sondern nur Mutters Junge war, ein Welpe, ein Junges, schob das Wandreisig beiseite und guckte hinaus. Weit draußen auf dem See erkannte er die Gestalt des Vaters, klein neben dem langen Fischspeer, von dem er gerade einen Aal ablöste, der so groß zu sein schien wie er selber. Er hielt ihn fest im Griff, legte ihn behutsam in den Korb und machte sich auf den Heimweg, leicht hinkend, der Kältedunst stand ihm vor Mund und Nase.

Die Mutter lachte zufrieden und stand auf. Sie ging hinaus, wo der Hund saß und die ferne Gestalt im Auge behielt, hechelnd in der Vorfreude auf das Fressen.

«Steh auf, kleiner Mann», sagte die Mutter, «wenn du deinen Vater sehen willst, wie er mit dem Aal heimkommt.»

Aber der Junge wollte nicht aufstehen. Er hatte es warm in dem Moosbett unter der alten Decke aus Fuchsfell. Er konnte warten, bis der Vater zu Hause war.

Die kleine Schwester wand sich schlaftrunken aus dem warmen Lager, setzte sich auf, bibberte ein wenig, rieb sich die Augen und die Nase. Sie stand auf, ging hinaus, guckte und kraulte den Hund im Nacken.

Der Vater setzte den Korb ab, und die Mutter öffnete ihn. Sie knieten nebeneinander und schauten in den Korb. Die Kleine kam heran und wollte auch sehen, und der Hund strich hinter dem Vater herum.

«So ein schöner Aal», sagte die Mutter zum Vater.

«Ein prächtiger Bursche», sagte der Vater und lächelte.

«Tüchtiger Aalfänger», sagte die Mutter und fuhr ihm mit den Fingern durch sein schwarzes Haar.

«Die Aale sind sehr treu», sagte der Vater.

«Wirklich treu», sagte die Mutter, «was sollten wir um diese Zeit und bei dieser Kälte ohne die Aale anfangen?»

«Die Wildgänse kehren bald zurück», sagte der Vater, «aber sie fliegen hinaus zum Fjord, wo das offene Wasser ist.»

«Ach, die Wildgänse», sagte die Mutter, «sie sind uns nicht treu.»

«Vielleicht sind sie in diesem Jahr creu», sagte der Vater, «vielleicht ist uns das Eis freundlich gesonnen und bricht rechtzeitig auf, vielleicht werde ich dir nächstes Mal Wildgänse bringen.»

«Ja», sagte die Mutter, «dann wären wir wieder schön wie der Sommer.»

Sie nahm ihr Brett und ihr Schneidemesser, die Fischköpfe warf sie dem Hund zu, das Fleisch und die Häute wurden zur Seite gelegt, gab es etwas Zäheres als Aalhaut, und sie schnitt das Fleisch in Stücke, richtete sie auf dem sauber geschabten Brett an. Sie holte getrocknete Kräuter, zerrieb sie zwischen den Händen und streute sie darüber, damit die Aale an Land kommen konnten, wie sie sagte.

Der Vater war auf die Anhöhe hinter der Hütte gegangen und hatte über das Land und in alle Himmelsrichtungen geschaut. Als er zurückkam, setzten sie sich ans Feuer und verzehrten den Aal, und während sie aßen, sangen sie Loblieder auf den guten, treuen Aal, der sie noch in keinem Jahr im Stich gelassen hatte.

Nach der Mahlzeit rülpsten sie kräftig, und der Vater schlüpfte in sein Moosbett, unter das Wolfsfell seines Urgroßvaters. Viele Geschichten hatte der Sohn über das Fell gehört, Geschichten vom Anfang der Welt, vom ersten Morgen und der Zeit danach: von Aalmutter und Aalvater, von den Sternen, die einst frei herumschwirrten wie Libellen, vom Eis, das die Erde bedeckt hatte, bis eine kleine Menschenmutter auf einem Berggipfel ein Feuer entzündet hatte, und von ihrem eigenen Clan, der von dem klugen Baummarder abstammte. Damals gab es genug Tiere auf der Erde.

Die Mutter stocherte im Feuer und redete mit sich selbst, bis der Vater schlief und schnarchte. Dann ging sie hinaus und nahm ihren Korb. Die Kleine folgte ihr, und auch der Hund trottete hinterdrein. Gemeinsam verschwanden sie Richtung Mittag im niedrigen Eichen- und Kieferngehölz des Waldrandes, um zu schauen, ob vielleicht irgendein eßbarer Pilz aus einem Baumstumpf oder einer abgerissenen Rinde gewachsen war.

Mutters Junge, wie er immer noch hieß, nahm den langen Fischspeer des Vaters, prüfend umfaßte er den glatten Schaft aus Eibe, und er fand den Speer nicht zu lang und nicht zu schwer. Obwohl er einen Kopf kleiner als der Vater war, reichten seine Arme hoch genug hinauf, um den Schaft so zu halten, daß er gezielt zustoßen konnte. Er holte sich den kleinen Spitzhammer aus Feuerstein, den sein Vater, der Vater seines Vaters und auch dessen Vater immer benutzt hatten und der ein so großes Loch ins Eis machte, wie es für Speer und Schaft nötig war. Das Loch wurde wie ein Mund, wie eine Führung, die beim Zielen half.

Der Junge beugte sich zur Türöffnung und flüsterte: «Vater, ich geh hinaus und versuche, einen Aal zu stechen.»

Der Vater drehte sich schwerfällig um. Das Schnarchen brach kurz ab, dann fiel er wieder in tiefen Schlaf. Seine dunklen Augen waren für einen winzigen Moment offen gewesen.

Den Aalstecher in der linken und den Hammer in der rechten Hand, lief der Junge hinunter zum Seeufer, wo das alte, rissige Boot umgekippt lag und darauf die geflochtene Reuse.

Obwohl kein Wind blies, raschelte es im Schilfwald, stets hatten die Schilfrohre etwas zu erzählen, bei Nacht und Tag, während die dichten, grünen Grasbüschel unter dem Eis schwiegen.

Zwischen dem Röhricht war das Eis weiß und spröde, übersät mit gefrorenen Schilfstengeln. Doch dahinter lag das See-Eis dunkel und klar. Hier stiegen sie im Sommer immer ins Boot. Weiter draußen gab es viele Risse, die nach allen Richtungen verliefen, sie bildeten sich mitten in der Nacht, unter lautem Krachen, das einen aus dem Schlaf riß. Sonst war das Eis spiegelglatt bis auf einige Luftblasen hier und dort, Stellen, vor denen er sich in acht nehmen mußte.

Er ging in die Richtung, wo der Vater morgens gefischt hatte. Wo ein Aal ist, sind viele Aale, und wo sie liegen und träumen, steigen Luftblasen auf und legen sich unters Eis. Wo die Luftblase klein, rund und lebendig war, da wollte er sein Loch hacken, da wollte er seinen Aal fangen.

Wo die Sonne stand, war der Himmel bleich. Ein Adler flog mit ausgebreiteten Schwingen am Ufer entlang, er würde sich vermutlich den Hasen holen, der sonst in eine von Vaters Schlingen gegangen wäre. Und Hasen waren rar.

Der Junge blieb stehen. Vor sich sah er eine Luftblase unter dem Eis. Er ging näher heran. Er wartete, und kurz darauf stieg ein kleines Bläschen auf und legte sich zu der großen unterm Eis, und dann kam noch eines. Hier schlief und träumte der Aal.

Er legte den Fischspeer beiseite, schätzte die Größe der Luftblase ab. Er ging in die Hocke und schlug mit dem Spitzhammer. Es dröhnte, das war nicht zu vermeiden, aber der Aal floh noch nicht, vielleicht dachte er, daß es ihn nichts anginge.

Ein Loch war entstanden, Wasser schwappte auf das Eis. Der Junge säuberte die kleine Öffnung von Eissplittern. Er stand auf und nahm den Speer. Er spürte Angst in der Brust und schaute sich um.

Der Adler schwebte über dem gefrorenen Gras des Uferstreifens und flog dann in niedriger Höhe hinüber zum Wald, wo er aufstieg. Er hatte nichts zwischen den Klauen, er hatte sein Ziel verfehlt. Ach ja, lieber Adler, sagte er zu sich, nun bist du wohl enttäuscht.

Er wurde auf einmal froh. Gut, daß es Fehlschläge gab, auch für Adler.

Dann stand er ganz still. Den langen Speer hatte er mit beiden Händen umfaßt, die Spitze zeigte auf das Loch. Er stieß zu. Seine ganze Kraft legte er hinein, und er fühlte, wie seine Seele ein Stück mit hinunterging in die Tiefe des Sees.

So blieb er, sein ganzes Gewicht nach vorne gelegt, still stehen. Er holte tief Luft, bewegte den Speer ein bißchen und meinte, den Widerstand des Aals zu spüren.

«Danke, kleiner Aal», sagte er, «danke, daß du so treu bist.» Es konnte nicht anders sein. Da steckte ein Aal an der Harpune. Er zog den Speer ein, noch war es zu früh, stolz zu sein.

Er sah den gelbgrünen Rücken unter dem Loch. Er hatte ihn in den Nacken getroffen, das Tier zappelte heftig, und er mußte sich bücken und mit der Hand zupacken, um es zu beruhigen, bevor er es durch das Loch ziehen konnte.

Ein Riesenaal. Hoffentlich war es nicht der Aalvater selbst. Das Eis dröhnte. Wollte es aufbrechen und ihn verschlingen?

Ein Aalriese. Wie würde sich seine Mutter freuen, sie war ja so hungrig, ständig saß sie da und schälte die Rinde von den Scheitern, um vielleicht ein flaches, kleines Lebewesen zu finden, das sie zerbeißen konnte, um den Hunger ein wenig zu stillen.

Der Aal schlängelte sich am Speer und auf dem Eis, und er wußte plötzlich nicht mehr, was er tun sollte. Er hatte Vaters Messer und den Korb vergessen. Er mußte den Aal am Speer oder mit den Händen nach Hause tragen. Dumm.

Während er noch überlegte, befreite sich der Aal. Der Junge sah, wie der Aal über das Eis schlängelte, rutschend und wieder Halt findend, in rasender Geschwindigkeit, der Junge stürzte hinterher, warf sich auf das Tier und packte es mit beiden Händen. In dem Aal steckte eine unglaubliche Kraft und eine unglaubliche Geschmeidigkeit.

«Du großer Riesenaal», sagte er, «sei doch treu. Komm heim mit mir zu meiner Mutter, die solchen Hunger hat.»

Und der Aal zögerte wirklich einen Augenblick und noch einen. Vielleicht waren es die Luft und die Kälte, vielleicht war es das Flehen des Jungen.

Der Aal hatte ihn verstanden. Das Tier zuckte nur noch ein paarmal, er konnte es in Ruhe betrachten. Er hielt es in einer Hand, direkt hinter dem Nacken.

Mit Speer und Hammer in der linken und dem Aal in der rechten Hand machte er sich auf den Heimweg. Als er in Sichtweite der Hütte war, sah er, wie der Vater aus der Tür trat, um die Ecke bog und ihn schließlich erblickte. Der Vater stand unten am Ufer neben dem Boot, als der Junge an Land kam. Der Vater nahm ihm den Aal ab und nickte.

«Aale sind sehr treu», sagte er, und gemeinsam gingen sie hinauf zu ihrer Hütte.

Und als sie oben standen und der Aal im Korb lag, lachten sie, zuerst ein bißchen, dann richtig, zuerst der Vater, dann der Sohn, und sie umarmten sich und lachten und rieben sich gegenseitig die Arme.

«Jetzt wird sich die Mutter freuen», sagte der Vater.

Das würde sie wohl.

Der Junge lehnte den langen Aalstecher gegen die Dachtraufe der Hütte.

Sie setzten sich ans Feuer, der Vater stocherte in der Glut und legte Brennholz auf, bis die kleinen Flammen emporzüngelten und dünner Rauch am Boden entlang zur Tür hinaus kroch. Sie schliefen nicht, aber sie träumten ein bißchen, bis sie die Stimmen von Mutter und Tochter aus der Ferne hörten. Jetzt kamen sie aus dem Wald, und sie redeten die ganze Zeit, die Tochter eifrig, die Mutter erklärend. Jetzt waren sie bei der großen Eiche, die beiden am Feuer hörten es, und jetzt stiegen sie zur Hütte hinunter, ständig redend, die Mutter ging voran, dahinter die Tochter, als letzter der Hund.

Jetzt waren sie schon ganz nahe, und der Vater erhob sich und ging hinaus, um sie zu begrüßen. Der Junge, der noch keinen Namen hatte und nur Mutters Junge genannt wurde, blieb sitzen und lächelte bei dem Gedanken, was die Mutter und die Schwester wohl sagen würden.

Die Stimme der Mutter war so laut und schrill. Das verhieß nichts Gutes. Sie hatten wohl nichts gefunden. War wirklich kein einziger Pilz aus dem morschen Baumstumpf oder einem gespaltenen Stamm gewachsen? Hatten nirgends ein paar gefrorene Beeren unter dem Schnee überwintert, nur Haut mit ein bißchen Saft, der nach süßem Herbst schmeckte? Oder eine Handvoll guter Grassamen, die man zwischen zwei Steinen zermahlen konnte und damit den Mund füllen? Oder einige lange Streifen rötlicher Weidenrinde, auf denen man kauen konnte? Hatten sie nichts davon mit heimgebracht?

Die Mutter und die Schwester unterbrachen ihr Gespräch, als sie den Vater vor der Tür stehen sahen. Der Vater sah so verschmitzt aus, und der Junge hörte, wie die Mutter auf einmal mit der Schwester wisperte und tuschelte. Sie schlichen auf leisen Sohlen näher, der Hund umkreiste sie schnüffelnd, und der Junge stellte sich vor, wie der Vater den Korb öffnete, in dem sich der Aal wand, und alle standen da und freuten sich über den herrlichen Anblick des dicken, langen Aals.

Die Mutter schaute den Vater an, und der deutete zur Feuerstelle, wo der Junge sich abwandte, sich nicht regte, bis er spürte, daß die Mutter ihn lächelnd anblickte. Da lachte er, und sie lachte, und sie lachten alle zusammen. Der Vater hielt den Aal in die Höhe, und der Junge trat heraus, und in diesem Augenblick sah er, wie der Adler nach unten stieß.

«Jetzt nimmt er sich den Hasen», rief er, und der Vater schaute in dieselbe Richtung, und sie sahen den Adler mit mächtigen Flügelschlägen aufsteigen, einen Hasen in den Klauen, vielleicht war es ihrer.

«So ist es, wenn man einen Adler zum Nachbarn hat», sagte die Mutter.

Hasen schmecken besser als Aale, sie spürte es im Magen und auf der Zunge, schon lange hatten sie kein Fleisch mehr gegessen. Die Fallen waren leer, wenn sie nachsahen, vielleicht, weil sich die Hasen in den Äkkern der Bauern aufhielten oder weil irgendeiner der Siedler glaubte, man könne sich ruhig einen Hasen aus ihren Fallen mitnehmen. Mitten in ihrer Freude über den Aal wurden sie traurig.

Die Mutter zeigte, was sie gesammelt hatte. An allem klebte grünes Moos, aber sie hatte nasse, gelbe Schwämme und bläulich-weiße Pilze gefunden. In einer Ecke des Korbes lagen einige Handvoll gefleckter Moosbeeren aus den Waldniederungen, in denen auch in den trockensten Sommern das Wasser stand. Die Mutter teilte sie sofort aus, und sie schmeckten den kalten, bitteren Saft.

Ach, wie geschickt die Mutter doch war, jedesmal fand sie etwas. Sogar im tiefsten Winter scharrte sie an bestimmten Stellen, die sie genau kannte, den Schnee weg und fand irgendwelche Beeren. Sie war so geschickt, und die Schwester stand hinter ihr und sagte nichts, denn was hatte sie gefunden?

Sie hatte unter der Kiefernrinde sieben flache Käfer gefunden.

«Aber die habe ich gleich gegessen», sagte die Mutter und lachte breit. Doch dann wurde sie aufgeregt.

Sie hatten Hirschspuren entdeckt. Es mußte ein großer Hirsch sein, denn die Spuren waren tief und breit.

Der Vater hörte zu und wandte sich ab.

«Hirsche sind zu groß», sagte er, als die Mutter drängte. «Viele Tagemärsche gehen sie, quer über die Felder der Bauern, der Hirsch kann laufen, wo er will, wir nicht mehr.»

Unsicher schaute er den Jungen an, und der Junge sah die Trauer in seinem Blick.

«Kleine Hasen», sagte der Vater, «kleine Hasen in Schlingen und Fallen, und Vögel, aber Hirsche ...»

Er wandte sich ab.

Sie waren auch auf Menschenspuren gestoßen, waren ihnen unauffällig gefolgt bis zu einem Acker, wo sie einen Bauern gesehen hatten, eingehüllt in sein Wams und mit der Kapuze auf dem Kopf war er auf dem Weg zum Dorf, wo der Rauch aus allen Dächern aufstieg. Er hatte sie nicht gehört. Es war so einfach, einen Bauern zu überlisten.

«Sie haben Ohren wie wir», sagte die Schwester, «aber sie hören nichts.»

«Sie verlieren von dem Gebrüll ihrer Tiere das Gehör», sagte der Vater, «sie riechen nicht mehr den Duft der Blumen und erkennen nicht den Geruch des Wilds, weil sie in Rauch- und Mistgestank leben. Keiner von ihnen versteht es, mit einem Vogel zu sprechen, keiner kann einen Fisch anrufen. Für Brot und Käse mühen sie sich ab und lassen einander schuften und wissen nicht, was die Welt ist.»

Sie schauten den Vater an und wollten mehr hören.

«Sie haben uns aus unseren Jagdgründen vertrieben. Sie brennen den Wald ab um des Brotes willen und vermehren sich und zeugen und schaffen riesige Sippen. Und wo bleiben wir? Wo haben wir Verwandte, wo sind die anderen von unserem Volk? Zur Zeit meiner Eltern waren wir viele, zur Zeit meiner Großeltern gab es noch dichte Wälder, und die Hirsche tranken im Sommer in den Waldniederungen. Früher, als unser Clan entstand, waren wir hier die Menschen. Aber die Bauern lassen uns nicht leben. Welche Absprachen wir auch treffen, sie brechen alle. Sie brennen die Wälder nieder, und für die Nester der Vögel gibt es bald keinen Zweig mehr. Legen wir ihnen einen fetten Aal oder eine der ersten Schnepfen als Geschenk an den Waldrand, geben sie uns dafür nur Schund und gebrauchtes Zeug, zum Schein und aus Angst, wir könnten einen ihrer Männer beim Pflügen oder Säen auf dem Acker mit Pfeilen beschießen, oder wir könnten in einer ihrer Töchter den Rausch der Liebe wecken, sie mit zu unseren Wohnplätzen nehmen und sie verstecken, bis sie nicht mehr zurückkehren will. Diese Schmach fürchten sie am meisten.»

«Unser Unglück ist groß», sagte die Mutter, und Tränen standen in ihren Augen, «aber nun wollen wir uns über den feinen Aal und die guten Pilze freuen, die so treu zu uns halten.»

Der Vater brach auf, um nach den Schlingen zu sehen. Die Mutter setzte sich ans Feuer, um ein bißchen zu singen. Der Junge und seine Schwester gingen hinunter zu der kleinen Quelle, die am Fuße des Hügels plätscherte. Am Rande war dünnes, sprödes Eis, das sie sich auf die Zunge legten und schmelzen ließen. Unter dem gefrorenen Grassaum schwammen manchmal winzige Fische. Das Wasser strömte schnell den kurzen Weg hin zum See, an der Mündung verschwand das offene, dunkle Wasser hinter Weidenbüschen, wo im Sommer die Singvögel in den Ästen saßen. Sie schöpften Wasser, wo der Grund sandig und hell war, schlürften es und ließen es durch die Finger laufen. Das machten sie, bis es lauwarm war. Sie machten ihre Gesichter naß, ihre Augenbrauen und ihre Ohren, sie genossen es, so naß und erfrischt zu sein. Sie schnieften das Wasser in die Nasenlöcher und prusteten es wieder aus, sie gurgelten damit im Mund und spuckten es in weitem Bogen aus. Man konnte Wasser für so vieles benützen. War Wasser nicht etwas Einzigartiges?

Der Hund gesellte sich zu ihnen, er stellte sich mit den Vorderbeinen ins Wasser und schlabberte und schlabberte.

«Mutter sagt, daß bald Neumond ist», sagte die Schwester, «dann wirst du uns wohl verlassen?»

Der Junge schaute sie an und schwieg.

«Du bist noch so klein, sagt Mutter, aber jetzt ist es Zeit für dich, sagt sie, sie spürt, daß du einen Namen brauchst, und deshalb mußt du für einige Zeit weggehen.»

Er fuhr mit den Fingern durchs Wasser. Er dachte nach. Er begann, mit beiden Händen aufs Wasser zu klatschen, da entstanden Laute, hohle Plätscherlaute, und die Schwester machte es ihm nach. Wasser war wirklich etwas Einzigartiges.

Der Hund schaute ihnen zu, und das Wasser troff ihm aus den Mundwinkeln. Sie klatschten und sangen, es wurde schon dunkel, als sie heimgingen.

Der Junge ohne Namen

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