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Zur Gewaltdebatte
Schuldenfalle Handy – Schuldenopfer Kind
Jemand hat unlängst einmal beklagt, „dem Kind droht die Veränderung von einem liebenswerten Gesamtkunstwerk zu einer materiell verwöhnten Erziehungsruine“. Wir staunen, wenn wir auf dem Hamburger Jungfernstieg einen neunjährigen Jungen mit perfekt gestyltem, gegeltem Haar, mit teuren Markenklamotten, mit modischer Sonnenbrille, mit coolem maskenhaften Gesicht und selbstbewusstem aufrechten Gang sehen, der machohaft ein gleichaltriges Mädchen so umarmt, dass dabei sein Goldkettchen am Hals, sein gepierctes Ohr und sein Armreif sichtbar werden und sein Handy aus der Tommy-Hilfiger-Jacke auf die Straße fällt, und fragen uns dann: „Ist das nicht alles ein wenig zu früh?“
Der Hamburger Freizeitwissenschaftler Horst W. Opaschowski nennt unsere nachwachsende Generation eine „schuldenmachende Erlebnisgeneration“, die allerdings auch äußerst kommunikativ sei. Ständiges Telefonieren und das Versenden und Empfangen von ziemlich substanzarmen SMS-Nachrichten ergeben manchmal eine üble Mischung, die allzu oft in die Schuldenfalle führt. Das Kreditkartenzücken und die Überziehung des Girokontos bei Jugendlichen, das Leihen von Geld bei Fremden und Verwandten und die Hoffnung, dass Oma irgendwann alles wieder ins Lot bringt, sind längst ebenso zum Automatismus geworden, wie es selbstverständlich geworden ist, in gefüllte Kaufhausregale zu greifen, ohne sofort bezahlen zu müssen. Das Überangebot der Geschäfte, zu Konsum auffordernde Werbespots und der Sog der Jugendkulttrends münden allzu oft in Kaufsucht und Konsumzwang, und wenn zur Zeit viele Erwachsene vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschaftsprobleme unserer Gesellschaft den „Gürtel enger schnallen“, so gilt das überhaupt nicht für die Kids: Selbst Sozialhilfeempfänger sind immer noch geneigt, ihren Kindern aus einem schlechten Gewissen heraus nahezu jeden Wunsch zu erfüllen.
Kinder lernen die Überhöhung des Materiellen durchweg von den Erwachsenen, und sie glauben, dass sie mit Investitionen in ihre Außenwirkung ihren Wert und damit ihre soziale Anerkennung erhöhen können. „Du bist, was du hast, nicht was du leistest“ ist leider ein weitverbreitetes Motto bei jungen Menschen, mit dem sie mittlerweile fast fünf Milliarden Euro Schulden angehäuft haben, sodass sie gleichzeitig zunehmend bemüht sind, durch Ausführen von Hunden, durch Nachhilfeunterricht, durch Austragen von Blumen oder Wochenblättern, durch Einkaufsdienste für alte Menschen, durch Rasenmähen oder durch Babysitting ihr Budget zu verbessern, und damit setzt dann oft ein Gefühl für den Wert von Geld und für den Zusammenhang von eigener Leistung und Konsumierenkönnen ein; es beginnt also – wenn auch oft viel zu spät – das verantwortungsvolle Haushalten.
Mittlerweile verfügt schon jeder zweite Sechs- bis 13-Jährige in Deutschland über ein Handy, bei über 16-Jährigen sind es gar 92 Prozent. In Finnland liegen die Zahlen noch höher. In Dänemark wurde eigens eine Spezialklinik gegen SMS-Sucht geschaffen, denn Telefonrechnungen von bis zu 1800 Euro pro Monat und Spitzenwerte von 250 SMS-Nachrichten pro Tag schon bei 13-Jährigen sind keine Seltenheit mehr. SMS-Nachrichten scheinen das beste Mittel gegen Einsamkeit, Langeweile und Perspektivarmut zu sein und der am häufigsten beschrittene Weg des Buhlens um Freundschaften, scheinbar ein Muss auf dem Weg nach oben in den Rangordnungen der Kids. Immerhin werden allein in Deutschland pro Jahr etwa 40 Milliarden dieser stimmlosen Kurzmitteilungen, die durchweg voller orthografischer Fehler sind, verschickt.
72 Prozent unserer Zwölf- bis 19-Jährigen begleichen übrigens ihre Handy-Gebühren mit einer im voraus bezahlten (Prepaid-) Karte, die sie meist von ihren Eltern monatlich zur Verfügung gestellt bekommen, um den sorgsamen Umgang mit dem gebührenfressenden Kommunikationsmittel zu schulen. Zehn Prozent nutzen ihr hochwertiges Handy bereits zum Surfen im Internet und 15 Prozent zum Hilfeanfordern bei der Bewältigung von Schulaufgaben, wie eine Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbandes Südwest festgestellt hat.
Wie Eltern mit diesen Tendenzen umgehen sollten, ist leichter gesagt als getan: Sie müssen den sparsamen Umgang mit Geld und Gütern vorleben, sie müssen bei Taschengeld und Konsumwünschen die je nach Altersstufe und Individualität sinnvolle Mitte treffen, materielle Zuwendungen auf diese Weise dosieren und begründen, aufgestellte Regeln konsequent einhalten. Sie müssen auch zum Neinsagenkönnen erziehen, was nur mit gleichzeitigen Leistungs- und sozialen Anerkennungserfolgen gelingt, und in ihrem Kind eine kritische Distanz zu allgemeinen gesellschaftlichen Tendenzen und speziellen Jugendkulttrends aufbauen. Dies wiederum setzt Selbstbewusstsein und Reden-, also Argumentierenkönnen des jungen Menschen voraus, nicht aber ein übererwartungsvolles und niederlagenreiches Leben, das ja verführbar macht.