Читать книгу Erleuchtet? Im Namen des Volkes... - Peter U. Schäfer - Страница 6

Kapitel 3

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Johann Klinger war genervt. Seit Sonnabend, 10:00 Uhr hatte er nichts mehr gegessen. Was wollten sie von ihm? Der Diebstahl der Instrumente konnte doch nicht der Grund sein. Das Warten zermürbte, er fühlte sich ungewaschen. Es war verrückt, dieses endlose Warten. Die Zelle, beschönigend als „Verwahrraum“ bezeichnet, war ein grauer und mit Ölfarbe gestrichener, zwei Mal drei Meter großer düsterer Raum im Keller des Volkspolizeikreisamtes. An einer Außenwand unter der Decke war ein vergittertes Fenster in der Größe eines Kellerfensters. Durch den vor dem Fenster befindlichen Lichtschacht gelangte nur diffuses Tageslicht in die Zelle. An der Decke befand sich eine vergitterte Glühlampe mit einer Glasabdeckung. Der Raum machte nicht nur einen schmutzigen Eindruck, er war völlig verdreckt. Ein Stahlgestell mit schmutzigen und durchgelegenen Matratzen bildete die Schlafgelegenheit, der Holzschemel komplettierte die spartanische Möblierung. Geschlafen hatte er seit seiner Verhaftung fast nicht, er kam sich wie gerädert vor.

Ein lautes Schließgeräusch weckte Johann aus einem Tagtraum. „Folgen Sie mir“, ein Polizist in der Tür unterstrich die Aufforderung mit einer unmissverständlichen Geste. Johann musste die Hände vorstrecken, es wurden ihm Handschellen angelegt. Über verschiedene Gänge und Treppen wurde er in einen Raum im dritten Stockwerk des Gebäudes gebracht. Bereits anwesend waren Hauptmann Hammer und Leutnant Ehrlich, beide hatte er bereits bei der Hausdurchsuchung gesehen. Im Hintergrund saß eine Frau vor einer Schreibmaschine.

„Wir sind beauftragt, Sie zu vernehmen. Die Vernehmung wird zusätzlich mit einem Tonbandgerät aufgezeichnet.“ Nach einer Zustimmung fragte der Hauptmann nicht. Er schaltete das Aufnahmegerät einfach ein und diktierte: „Vernehmung des Beschuldigten Johann Klinger, Montag, den 30.9. um 12:15 Uhr. Der Staatsanwalt des Kreises beschuldigt Sie, gemeinsam mit Petra Schöne am Freitag den 27.9. gegen 19:00 Uhr aus den Betriebsräumen des VEB Instrumentenbau Musikinstrumententeile gestohlen zu haben. Äußern Sie sich dazu.“

Nach dieser Aufforderung des Hauptmanns übernimmt Leutnant Ehrlich „Wir stellen zuerst Ihre Angaben zur Person fest.“ Mit diesen Bemerkungen eröffnet Leutnant Ehrlich das Verhör. Er sieht von seinen Unterlagen zu Johann Klinger auf und sucht den Blickkontakt zu ihm. „Ich möchte Sie zunächst belehren, dass Sie…“ Hauptmann Hammer fällt dem Leutnant ins Wort. „Die Belehrungen können wir zu einem späteren Zeitpunkt nachholen. Fahren Sie zunächst mit dem Verhör fort.“

„Nach meinen Informationen wurden Sie am 8.3.1948 geboren. Ihre Eltern sind verstorben. Sie wuchsen in einem Waisenhaus der Karitas auf. Nach dem Abitur haben Sie einen Hochschulabschluss als Diplomvolkswirt erreicht und sind seit dem 1.9.vorigen Jahres bei der Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung als Ökonom beschäftigt. Ist das so richtig? “ Johann Klinger bestätigt das. „Erläutern Sie Ihre Beziehung zu Frau Petra Schöne.“

»Ich bin mit Petra seit mehreren Jahren zusammen. Nachdem ich in die Stelle bei der Kreisdirektion der Staatlichen Versicherung durch die Berufslenkungskommission der Universität eingewiesen wurde, war ich froh, dass man auch Petra hierher einwies. Ich möchte mich gern verändern, meine jetzige Tätigkeit gefällt mir nicht besonders. Hier habe ich nur wenige Freunde, meine Mitarbeit in der katholischen Gemeinde wird in der Kreisdirektion nicht gern gesehen, deshalb würde ich gern ins Eichsfeld zurück und dort arbeiten. Ich habe bereits Erkundigungen eingezogen, es gibt dort einen vormals halbstaatlichen Betrieb, der mich einstellen würde. Die dreijährige Bindungsfrist nach der Absolventenlenkungsverordnung steht dem allerdings gegenwärtig entgegen. Die Versicherung hat aber meine Freigabe in Aussicht gestellt. Petra hat noch Bedenken, dies braucht eben seine Zeit.“

Hauptmann Hammer greift erneut in das Verhör ein. „Nehmen Sie zu der Beschuldigung Stellung.“

„Der Vorwurf stimmt. Wir haben versucht, die Teile im Handel zu kaufen, vergeblich. Petra hat versucht, die Teile im Betrieb zu kaufen, das wurde abgelehnt. Der Export ins westliche Ausland geht selbst den Wünschen und Bedürfnissen der Mitarbeiter des herstellenden Betriebes vor. Die Instrumententeile werden für das Schlagzeug in unserer Band benötigt, sonst können wir nicht auftreten. Wir wollten doch die bereits fest vereinbarten Konzerte nicht absagen. Es sind Konzerte heute und am 6.10. in einer nahe gelegenen Kleinstadt, am 4.10. und am 5.10. in der Kreisstadt vereinbart. Der Veranstalter hat schon viele Karten verkauft. Zum Open Air Konzert am 05.10. werden mehrere hundert Zuhörer erwartet. Auch am 6.10. in der Stephanskirche ist mit vielen Zuhörern zu rechnen. Ich weiß, das kann das Ganze nicht ungeschehen machen, aber das ist meine Erklärung.“

„Es kam am 27.9. in den frühen Abendstunden zu einem Brand in der Instrumentenfabrik. Wir gehen nach den bisherigen Erkenntnissen von vorsätzlicher Brandstiftung aus.“ Hauptmann Hammer hebt die Stimme: „Was haben Sie damit zu tun?“

„Nichts.“

„Der Brand wurde mit Brandsätzen aus Kohlenanzünder und Haushaltskerzen gelegt. In Ihrer gemeinsamen Wohnung wurden Kohlenanzünder dieser Art und gleichartige Haushaltskerzen gefunden. Sie waren kurze Zeit vor Brandausbruch heimlich und unerlaubt im Hauptgebäude des Betriebes. Sie besaßen die Mittel und die Gelegenheit zur Brandstiftung und Sie haben ein Motiv“, hält der Hauptmann seinem Verdächtigen vor. „Wir haben damit nichts zu tun. Solche Kohlenanzünder erhalten Sie genau wie die Kerzen in jedem einschlägigen Geschäft. In unserer Altbauwohnung müssen wir mit Kohlenanzündern Feuer anzünden. Um Kohlen aus dem Keller zu holen, müssen wir mit den Kerzen leuchten, weil eine elektrische Beleuchtung in diesen Nebenräumen des Hauses nicht vorhanden ist.“

Die Vernehmung zog sich hin. Hauptmann Hammer war ein erfahrener Vernehmer. Er versuchte mit unterschwelligen Drohungen und Versprechungen, Johann zu weiteren Erklärungen zu veranlassen. Johann Klinger bestritt den Vorwurf. Nach sieben Stunden, also gegen 19:15 Uhr waren alle Teilnehmer erschöpft: Zum wiederholten Male wechselte der Leutnant das Band, schaltete das Gerät aber jetzt auf eine Handbewegung des Hauptmanns aus. Die Vernehmung wurde nicht einmal in diesem Zeitraum unterbrochen. Johann erhielt lediglich eine Tasse Kaffee zu trinken. Er verlangte zu essen, denn er hatte seit Sonnabend gegen 10:00 Uhr keine Nahrung mehr erhalten. „Sie erhalten zu essen, sobald die Vernehmung zu Ende ist“, wurde ihm durch den Hauptmann beschieden. Hauptmann Hammer war mit dem bisherigen Ergebnis der Vernehmung nicht zufrieden. Sein Gefühl und seine Erfahrung sagten ihm jedoch, dass er dicht an der Lösung sein musste. Die Verhaftung des Täters und sein Geständnis, das wäre ein schneller Erfolg, auch für seine persönliche Karriere, – ich werde ihn knacken. Die Einzelheiten können später geklärt werden – und an Johann Klinger gewandt: „Die Vernehmung wird für 30 Minuten unterbrochen und dann fortgesetzt, also gegen 19:45 Uhr.“

„Hören Sie endlich auf, ich möchte etwas essen, ich habe Hunger. Sie halten mich hier mehr als 48 Stunden fest, ist das eigentlich erlaubt?“, protestiert Johann. „Die Vernehmung dauert so lange, bis Sie die Wahrheit gesagt haben. Wir werden nachher noch einmal von vorn beginnen. Leutnant Ehrlich wird die Vernehmung fortsetzen.“ Hauptmann Hammer, Leutnant Ehrlich und die Protokollantin verlassen den Vernehmungsraum. Johann Klinger verbleibt in dem Raum, ein auf Weisung des Hauptmanns eintretender uniformierter Polizist bewacht ihn.

Der Leutnant geht in die Kantine, Hauptmann Hammer in den ihm überlassenen Arbeitsraum. Dort sortiert er seine Unterlagen, nimmt einen Teil der Aufzeichnungen in die Hand und begibt sich in die Telefonzentrale des Amtes. Hier verlangt er eine direkte Leitung zur Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit. Hauptmann Hammer wird in einen Nebenraum geführt und auf einen weißen Telefonapparat verwiesen.

„Hier Hauptmann Hammer, geben Sie mir bitte den Genossen Oberstleutnant Eifert.“

Nachdem die Verbindung hergestellt ist, berichtet der Hauptmann über den bisherigen Verlauf der Vernehmung des Johann Klinger und über seine Vermutung, der Klinger werde bald ein Geständnis ablegen. „Fahren Sie mit der Vernehmung des Beschuldigten Klinger fort“, wies ihn der Oberstleutnant an. „Ich werde den Genossen Generaloberst informieren, melden Sie sich morgen gegen 8:45 Uhr wieder, dann werden Sie weitere Instruktionen erhalten.“ Hauptmann Hammer begab sich nun ebenfalls in die Kantine des Volkspolizeikreisamtes. Er nahm einen Imbiss ein und geht dann in Begleitung von Leutnant Ehrlich erneut in sein Arbeitszimmer. Dort besprachen beide den bisherigen Verlauf und das vorläufige Ergebnis der Vernehmung. Leutnant Ehrlich äußerte Zweifel an der Täterschaft von Johann Klinger. Die vorliegenden Indizien seien nicht eindeutig, Kohlenanzünder und Haushaltskerzen gebe es in jedem Geschäft und Kohlenfeuerung hätten fast alle Haushalte, außer den Wohnungen in den Neubauten. Wir sollten erst die Gutachten und die Ergebnisse der Untersuchungen der Kriminaltechniker abwarten, meinte der Leutnant. „Sie haben nicht meine Erfahrungen, ich bin mir sicher, dass der Klinger der Täter ist. Er war vor dem Brand in dem Betrieb, er hatte die Möglichkeit zur Brandstiftung, er besaß auch die Mittel. Seine Reaktionen während der Vernehmung machen mich sicher. Er schwitzt, hat Angst, handelt passiv. Er wirkt verunsichert und es ist nur eine Frage der Zeit, bis er umfällt. Wir müssen die Situation jetzt nutzen.“

Gegen 20:10 Uhr erschienen Hauptmann Hammer und Leutnant Ehrlich wieder in dem Vernehmungsraum. Johann saß noch immer auf dem Stuhl, die Hände vor dem Körper gefesselt. Er konnte dem Verhör kaum noch folgen, so müde war er. Seine Stimme zitterte, es fiel ihm schwer, seine Aussprache zu kontrollieren und sich korrekt zu artikulieren. Hauptmann Hammer sah den Leutnant vieldeutig an, aber dieser schüttelte den Kopf. „ Gut, ich übernehme wieder “, und zu der Protokollantin gewandt, „ Sie können jetzt auch eine Pause machen.“ Nachdem die Protokollantin den Raum verlassen hatte, wandte sich der Hauptmann an Johann Klinger. „Ihre Haltung macht keinen Sinn. Sie sollten Ihre Situation durch die Schilderung des richtigen Geschehens erleichtern. Sie werden sich dann besser fühlen. Ihre Verlobte hat uns bereits gesagt, dass Sie während des gemeinsamen Aufenthaltes im Betriebsgelände sich etwa für zehn Minuten von ihr entfernt hatten. Was haben Sie während dieser Zeit getan?“ Johann horchte auf. Der sprach von Petra. „Wie geht es Petra, wo ist sie? “ „Frau Schöne wurde nach der Unterzeichnung des Protokolls entlassen. Auch Sie werden nach Hause gehen können, sobald Sie uns Wahrheit gesagt haben. Das entscheidet zwar der Staatsanwalt, aber ich werde mich für Sie in diesem Falle verwenden.“

Petra war zu Hause. – Johann atmete tief durch. „Ich verlange, sofort freigelassen zu werden. Sie haben nichts gegen mich in der Hand, denn ich habe den Brand nicht gelegt.“ Johann rafft seine gesamte Widerstandskraft zusammen. Nachdem sie Petra entlassen hatten, mussten sie doch nun auch ihn gehen lassen. „Das können Sie sich abschminken. Sie bleiben so lange hier, wie ich das für richtig finde.“ „Ich möchte etwas zu trinken und zu essen, ich bin müde und ich will schlafen.“ „Wir setzen die Vernehmung fort, wir beginnen nochmals mit der Vernehmung zur Person.“ Der Hauptmann stellte die Fragen, Johann antwortete. Es waren immer dieselben Fragen.

Johann schreckte auf. Hatte er geschlafen? Die Protokollantin hatte er überhaupt nicht kommen hören. Seit wann war sie wieder da? „Schlafen Sie nicht ein! “, wurde er von dem Hauptmann angebrüllt. Auch der wirkte erschöpft. „ Stehen Sie auf, ich denke, das wird Sie aufmuntern.“ „Wie spät ist es?“, Johanns Frage war leise gestellt und kaum zu verstehen.

„1:15 Uhr“. Die Sekretärin handelte sich von Hauptmann Hammer mit „Sie halten den Mund“ eine deftige Rüge ein. Schon wieder waren mehr als fünf Stunden nach der Unterbrechung des Verhörs am gestrigen Abend vergangen, wie lange soll das noch gehen? „Warum quälen Sie mich so, lassen Sie mich doch in Ruhe, wenn Sie doch alles besser wissen.“ Johann flüsterte die Worte, seine Stimme zitterte. Er konnte kaum noch die Augen aufhalten, er schwankte. „Sobald Sie mir die Wahrheit sagen, also was tatsächlich am Freitag passiert ist, wird die Vernehmung beendet sein. Sie erhalten dann zu essen, können sich waschen und schlafen gehen oder, wenn der Kreisstaatsanwalt zustimmt, können Sie nach Hause gehen.“ Die Sache dreht sich im Kreis. Johann weiß nicht mehr ein noch aus. Was will der von mir hören, der Tagesverlauf wurde doch nun schon viele Male durchgegangen?

„Mann, reißen Sie sich zusammen! “, hörte Johann gerade noch, dann stürzt er von dem Stuhl auf den Boden. Er schlug schwer mit dem Kopf auf, ihm schwanden die Sinne. Als er wieder zu sich kam, saß er erneut auf dem Stuhl, und die Sekretärin hatte ihm ein feuchtes Handtuch über die Stirn gelegt. Er hatte rasende Kopfschmerzen, aber die Hände waren weiter gefesselt. Ob die Kopfschmerzen durch den Sturz oder durch die Erschöpfung verursacht waren, Johann war dies gleichgültig. Er war völlig apathisch. „Wollen Sie der Sache nicht doch ein Ende machen?“, fragte der Hauptmann. Johann standen die Tränen in den Augen. Sein Widerstand brach zusammen. Er bestätigte alle ihm gemachten Vorhalte, es sollte endlich Schluss mit der Quälerei sein. Der Hauptmann diktierte, Johann Klinger habe sich am Freitag nach 19:00 Uhr etwa 20 bis 30 Minuten im Betriebsgelände aufgehalten. In dieser Zeit habe er sich für einige Minuten von Petra Schöne entfernt und sei dann wieder zu ihr gestoßen. Sie habe während dieser Zeit die Instrumententeile in ihrem Arbeitszimmer auf dem Schreibtisch zurechtgelegt und in den mitgebrachten Beuteln verstaut. Die Gegenstände wurden dann von beiden aufgenommen und zu dem Pkw Trabant getragen.

„Ist das richtig?“ Johann konnte nur noch schwach den Kopf bewegen. Der Hauptmann wertet dies als Zustimmung und diktiert weiter:„Während meiner Abwesenheit von Petra begab ich mich in verschiedene Teile des Betriebes, stellte die Brandsätze auf und entzündete die Kerzen. Die Brandsätze bestanden jeweils aus vier geprägten Würfeln des Kohlenanzünders, auf die ich die Kerzen stellte. Unter die Kerzen und unter die Stücke von Kohlenanzünder legte ich Löschpapier.“ Die Protokollantin übertrug das Diktat des Hauptmanns in das Protokoll. Der Hauptmann überzeugte sich immer wieder, ob sein Diktat korrekt übertragen wurde. „Hat es sich so abgespielt?“ Johann reagierte nicht auf diese Frage, der Hauptmann bewertete auch dies als Zustimmung, also diktierte er weiter: „Den Kohlenanzünder, die Haushaltskerzen und das Löschpapier habe ich von zu Hause in einem Stoffbeutel mitgenommen. Wir hatten mehrere Stoffbeutel dabei, die waren zum Transport der Instrumententeile gedacht. Dass ich Kohlenanzünder, Haushaltskerzen und Löschpapier dabei hatte, wusste und bemerkte Petra nicht.“ Auch auf diesen Teil des Zitats reagierte Johann nach Aufforderung mit einer Kopfbewegung, die der Hauptmann als Zustimmung wertete.

„Ich wollte den Betrieb niederbrennen. Das erschien mir die einzige Möglichkeit, Petras alsbaldige Zustimmung zu einem Ortswechsel zu erhalten. Wenn es den Betrieb über eine absehbare Zeit nicht mehr gab, dann konnte auch die Bindungsverpflichtung der Absolventenlenkungsverordnung für Petra nicht mehr greifen und ihr würde die Entscheidung leichter fallen“, fuhr der Hauptmann mit dem Diktat des vermeintlichen Motivs fort. Hauptmann Hammer sah zufrieden von dem eingespannten Schreibpapier auf. Er stand hinter der Protokollantin und beobachtet die korrekte Aufnahme seines Diktats in das Protokoll. Er hatte nach dem Geständnis soeben auch das Motiv des Täters diktiert. Nachdem Johann Klinger auch diese Passagen des Protokolls scheinbar bestätigt hatte, entnahm die Protokollantin auf Anweisung des Hauptmanns die vier im Durchschreibverfahren beschriebenen Seiten aus der mechanisch betriebenen Schreibmaschine, das Kohlepapier wurde entfernt und gesondert von ihr abgelegt. Die einzelnen Seiten legte sie in der richtigen Reihenfolge aufeinander und heftete sie noch provisorisch zusammen. Der Hauptmann nahm das Protokoll und las es nochmals durch. An einzelnen Stellen auf verschiedenen Seiten korrigierte er mit Hand den Text.. Danach er legte die vier Ausfertigungen auf den Schreibtisch und schloss die Handschellen von Johann Klinger auf.„Lesen Sie das Protokoll und unterschreiben Sie“, forderte er seinen Gefangenen auf.

Johann war zum Lesen des Protokolls nicht mehr fähig. Die Buchstaben verschwammen auf dem Papier. Bei der Unterschrift musste jede Seite von dem Vernehmer umgeblättert werden, Johann war auch dazu nicht mehr in der Lage. Er konnte die Seiten nicht in die Hand nehmen, zu sehr zitterten ihm die Hände. Die Zeit, die beim Umblättern und zum Lesen eingeräumt wurde, hätte auch einem geübten und konzentrierten Leser nicht genügt, um auch nur die Hälfte des Textes inhaltlich zu erfassen. Der Hauptmann zeigte Johann auf jeder Seite die Stelle, an der er zu unterschreiben hatte. Teilweise zeichnete er auf Anweisung des Hauptmanns auch von diesem korrigierte Textpassagen mitten auf der jeweiligen Seite ab. Endlich war auch das geschafft. Johann Klinger wurde nun in einem Waschraum gebracht. Hier konnte er sich an einem Waschbecken die Hände waschen. Danach brachte man ihn in die Zelle zurück. Dort stand in einer Kanne aus Metall Kaffee, eine Tasse und ein Teller mit mehreren belegten Brötchen. Nachdem er ein Brötchen gegessen und etwas getrunken hatte, sank Johann auf das Bett und schlief sofort ein. Es war Dienstag, der 1.10., etwa um 5:00 Uhr. Genau konnte er die Zeit nicht bestimmen, denn bei seiner Einlieferung in das Volkspolizeiamt hatte man ihm seine Armbanduhr abgenommen.

Hauptmann Hammer hatte sich für kurze Zeit in einem Bereitschaftsraum des Volkspolizeikreisamtes hingelegt. Gegen 8:00 Uhr wurde er durch einen Telefonanruf des Diensthabenden Offiziers nach dem zuvor erteilten Weckauftrag geweckt. Er ging in einen Waschraum und machte sich frisch. Dann ging er in die Telefonzentrale und rief bei der Bezirksverwaltung des Ministeriums für Staatssicherheit an. Er wurde mit Generaloberst Hartmann verbunden. „Genosse Generaloberst, ich berichte über die Vernehmung des Klinger.“ Der Hauptmann berichtete über das Geständnis des Johann Klinger. „Es war ein schweres Stück Arbeit. aufgrund der Dauer der Vernehmung habe ich auf die Schilderung weitere Einzelheiten durch den Täter verzichtet. Das wird in den späteren Vernehmungen nachgeholt werden.“

„Ich gratuliere Ihnen. Ich werde Ihre energische und zügige Arbeit in dem Bericht an den Genossen Minister ausdrücklich erwähnen“, reagierte der Generaloberst.„Vielen Dank, Genosse Generaloberst. Ich schlage vor, einen Haftbefehl zu beantragen und werde inzwischen den Genossen Kreisstaatsanwalt entsprechend informieren, falls Sie mit dieser Vorgehensweise einverstanden sind.“ „Ja, tun Sie das. Ich werde den Vorschlag beim Staatsanwalt des Bezirkes unterstützen. Wie gehen Sie dann weiter vor?“„Wir müssen die Ergebnisse der Spurenauswertung durch die Kriminaltechniker und das vorläufige Gutachten des Brandsachverständigen abwarten. So bald weitere Untersuchungsergebnisse und das Gutachten vorliegen, werde ich die Vernehmung des Klinger fortsetzen. Außerdem werden Ermittlungen im Umfeld des Beschuldigten durchgeführt und die Ermittlungen im Bereich der Mitarbeiter des Unternehmens werden fortgesetzt.“ „Gut, fahren Sie so fort. Wenn Sie Unterstützung benötigen, rufen Sie den Genossen Oberstleutnant Eifert an. Ihm haben Sie auch zu berichten und die wichtigen nächsten Ermittlungsschritte sind mit ihm abzustimmen.“

Hauptmann Hammer ging zur Staatsanwaltschaft. Er übergab dem Kreisstaatsanwalt Schleich die Vernehmungsprotokolle von Petra Schöne und Johann Klinger. Der Kreisstaatsanwalt überflog beide Protokolle. „Sind Sie sicher, dass die Schöne an der Tat nicht beteiligt war?“ „Nein, aber im Moment habe ich gegen sie nicht viel in der Hand, im Gegensatz zu dem Klinger kann ich bei ihr kein Motiv erkennen. Wir sollten hier die weiteren Ermittlungsergebnisse abwarten. Sie läuft uns nicht weg.“ Der Kreisstaatsanwalt nickt und bemerkt: „Den Antrag für den Erlass des Haftbefehles habe ich fertig gestellt und unterschrieben. Sie haben den Beschuldigten mehr als 24 Stunden festgehalten, ohne ihn dem Haftrichter vorzuführen“, stellt er fest. „Das war erforderlich, wir mussten ihn erst schmoren lassen. Außerdem brauchte ich zunächst das Ergebnis der Vernehmung seiner Freundin. Hätten wir die Vernehmung des Klinger früher beendet, so wäre es fraglich, ob das gleiche Resultat herausgekommen wäre. Wir haben schließlich binnen 48 Stunden den Täter ermittelt.“ „Gut, auch ich sehe darin kein Problem. Besondere Ereignisse verlangen auch nach kreativen Vorgehensweisen. Ich habe allerdings Bedenken wegen des Motivs.“ Der Hauptmann steht auf. „In der Tat, auch ich habe Zweifel, ob das Motiv tatsächlich im persönlichen Bereich des Täters liegt. Aber auch hier sind wir noch am Anfang der Ermittlungen. Die katholische Bindung des Täters, seine Erziehung in einem katholischen Waisenhaus und seine Mitarbeit im ökologischen Arbeitskreis der katholischen Gemeinde schließen eine klassenfeindliche Einstellung nicht aus. Ich nehme an, dass die Ermittlungen zur Person des Täters hier weiteren Aufschluss bringen werden.“ Beide verabschieden sich voneinander. Kreisstaatsanwalt Schleich wies seine Sekretärin an, den Antrag auf Erlass des Haftbefehles gegen Johann Klinger zur Eingangsgeschäftsstelle des Kreisgerichtes zu bringen.

Johann wachte auf. Vor ihm auf dem Hocker stand der Rest der am frühen Morgen nicht verzehrten Brote. Es war draußen hell. Er richtete sich auf und setzte sich auf den Rand des Bettes. Er starrte vor sich hin. Sein Blick war weit entrückt. Wie lang hatte er so dagesessen? Er hatte kein Zeitgefühl mehr. Er lauschte den Geräuschen im Gebäude. In weiter Entfernung hörte er, wie eine Tür klappte, Bewegungen auf dem Gang, sich nähernde Schritte und gedämpfte Stimmen.

Die Tür der Zelle wurde aufgeschlossen. Ein uniformierter Polizist betrat den Raum, ein zweiter wartete auf dem Gang. Johann wurde aufgefordert, zu folgen. Beim Abgang war vom Haftrichter die Rede. Durch ein für ihn verwirrendes System von Treppen und Gängen wurde er in einen Raum im Erdgeschoss gebracht. Dort saß ein Polizist an einer alten mechanischen Schreibmaschine. Johann wurde aufgefordert, sich zu setzen. Beim Hinsetzen bemerkte er, dass auch dieser Stuhl am Boden unverrückbar befestigt war. Der Polizist stellte Fragen nach seinem Namen, Geburtsdatum, Familienstand, Eltern, Einkommen, Arbeitsverhältnis und nach weiteren persönlichen Angaben und übertrug die Antworten im Ein-Finger-System mit der Schreibmaschine offenbar in ein Formular. Bei den meisten Fragen gab der Polizist selbst die Antworten, denn die Angaben wurden von Johann schon mehrfach gegeben und der Polizist musste sie nur den bereits vorliegenden Unterlagen entnehmen. Es dauert eine Ewigkeit. Wiederholt wurde Johann aufgefordert, sich zu konzentrieren. Er fühlte sich völlig apathisch, als stünde er neben sich und beobachtete den eigenen Albtraum. Der Polizist stellte das Formular fertig. Er telefonierte, Johann konnte den Inhalt des Telefonates nicht verstehen. Nach geraumer Zeit erschienen erneut zwei Polizisten. Johann wurde aufgefordert, aufzustehen und die Hände vorzustrecken. Man legte ihm Handschellen an und führte ihn auf einen umschlossenen Hof. Dort wurde er in einen Pkw gesetzt und die 150 Meter zum Kreisgericht gefahren. Das Tageslicht war hell, die Sonne schien. Johann war nach dem langen Aufenthalt in den halbdunklen und dunklen Räumen des Volkspolizeikreisamtes geblendet von dieser Helligkeit.

Über den Hof des Kreisgerichtes ging es durch einen Nebeneingang ins Gebäude. Im Keller wurde er erneut eingeschlossen. Der fensterlose Raum war zwei Meter lang und einen Meter breit, ein fensterloses Loch. Einziger Einrichtungsgegenstand war ein an der Wand gegenüber der Tür befestigtes Brett, das offenbar als Sitzgelegenheit dienen sollte. Auch hier war es unheimlich schmutzig. Er setzte sich auf das an der Wand befestigte Brett. Erneut versank er in einen Wach-Schlaf-Zustand. Wie lange er hier verblieb, konnte er auch später nicht nachvollziehen. Längst hatte er jedes Zeitgefühl verloren. Irgendwann wurde die Tür aufgeschlossen. Erneut mit Handschellen versehen, wurde Johann über eine enge Treppe aus dem Keller in den ersten Stock des Gebäudes und über einen Flur in den Gerichtssaal geführt.

Auch der Verhandlungssaal wirkte auf ihn dunkel und einschüchternd. Johann wurde durch eine kleine Nebentür im hinteren Bereich des Verhandlungssaals auf einen einzelnen Stuhl geführt. Die Handschellen wurden ihm abgenommen und er wurde aufgefordert, sich hinzusetzen. Zwei Polizisten setzten sich auf zwei Stühle hinter ihm.

Johann sah sich um. Außer den zwei Polizisten war niemand im Raum. Dieser war rundum mit einer dunklen Holztäfelung bis zur Höhe von etwa 1,80 Meter versehen. Die Decke war mit dunklen Holzbalken in gleichförmige Quadrate aufgeteilt. Von der Decke hing ein schmiedeeiserner Kronleuchter. Dieser bestand aus schwarz geschmiedeten Eisenteilen mit aufrecht stehenden Glühlampen in Glasschalen. Der Leuchter hing an Ketten von der Decke herunter. Vor Johann waren an beiden Wänden von gleicher Machart zwei Wandlampen befestigt. Der Richtertisch befand sich auf einem Podest genau vor ihm, eigentlich über ihm. Die Barriere war mit einer durchgehenden Verkleidung bis zum Boden gegen den übrigen Raum abgeschirmt. Sie bildete links von ihm einen rechten Winkel, der zum Haupteingang des Raumes hin mit einer halbhohen Pendeltür von dem übrigen Raum abgesperrt wurde. Über dem Richtertisch befanden sich drei Leuchtstofflampen. Diese waren jetzt ausgeschaltet, nur die Wand- und die Deckenlampen waren eingeschaltet. Der Raum machte auf Johann einen düsteren und bedrückenden Eindruck. Dieser wurde auch durch drei Bogenfenster zur Straßenseite des Gebäudes nicht gemildert. Die Fenster hatten kleinflächige Scheiben, unterbrochen durch ein Gitter von Rahmenteilen. Die Scheiben waren undurchsichtig, die Rahmen in dunklem braun. Johann saß auf seinem Stuhl wie ein Häufchen Unglück. Hinter ihm waren für Zuschauer etwa fünf Sitzreihen aufgestellt, die gegenwärtig leer waren. Der Hauptzugang zum Gerichtssaal, eine hohe Tür aus zwei Flügeln öffnete sich und Hauptmann Hammer betrat den Gerichtssaal. Er setzte sich im hinteren Bereich in der letzten Stuhlreihe auf einen der vorhandenen Stühle.

Die Leuchtstofflampen über der Richterbank wurden offenbar von außen eingeschalten. Sie verbreiteten über dem Richtertisch und dem Stuhl, auf dem Johann saß, helleres Licht. Der hintere Teil des Raumes blieb im Zwielicht, weil die auch dort zur Ergänzung der rustikalen Wand- und Deckenbeleuchtung angebrachten Leuchtstofflampen ausgeschalten blieben. Durch eine hinter dem Richtertisch befindliche weitere Tür betraten ein großer, gewichtiger Mann und eine junge Frau den Raum.

Der unmittelbar hinter Johann Klinger sitzende Polizist forderte Johann auf, aufzustehen. Der Mann hinter dem Richtertisch setzte sich. Auch im Sitzen war sein Kopf weit über dem von Johann. Um ihn anzusehen, musste Johann auch stehend noch steil nach oben blicken. Der Mann sah sich im Raum um. Der neben Johann stehende Polizist drückte ihm auf die Schulter und machte ihm so klar, dass er sich nun ebenfalls zu setzen hätte. Der Richter wirkte teilnahmslos, mit seinen sparsamen Gesten routiniert. Er schaute von oben auf Johann Klinger, dann zur Seite. Am Richtertisch hatte sich die Frau ebenfalls hingesetzt und reichte dem Richter einen roten Schnellhefter. Dieser schlug die Akte auf.

„Ich bin Richter Schmiedel am Kreisgericht, anwesend sind die Justizangestellte Frau Schönemann als Protokollführer und der Beschuldigte, vorgeführt. Es erfolgt nun die richterliche Vernehmung zur Person und zum Antrag des Staatsanwaltes des Kreises auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Beschuldigten Johann Klinger.“ Monoton ging er die Personalien von Johann Klinger durch und ließ sich diese bestätigen.

„Durch den Staatsanwalt des Kreises werden Sie beschuldigt, am 27. 9. gegen 19:00 Uhr in den Räumen des VEB Musikinstrumentenbaus an mehreren Stellen, und zwar in den Räumen der Buchhaltung und der Produktionshalle mittels mehrerer Brandsätze einen Brand gelegt zu haben. Der Brand wurde am 27.9. gegen 19:45 Uhr festgestellt. Trotz des Einsatzes der Feuerwehr sind das Hauptgebäude, die Produktionsanlagen und die Lagerbestände zerstört worden. Es ist ein bedeutender volkswirtschaftlicher Schaden entstanden. Dieses Verhalten ist strafbar als Verbrechen entsprechend der §§ 185 und 186 des Strafgesetzbuches der DDR. Johann Klinger wurde durch den Richter aufgefordert, sich zur Beschuldigung zu äußern. Er habe auch das Recht, sich nicht zu äußern. Er könne in jedem Stadium des Verfahrens sich eines Rechtsanwalts als Verteidiger bedienen, jederzeit Erklärungen abgeben und Beweisanträge stellen, wurde er belehrt. Johann verstand nichts. Die Sprache des Juristen, die ihm fremde Terminologie, seine Erschöpfung, die ihm insgesamt absurd und unwürdig vorkommende Situation blockierten sein Aufnahmevermögen.

Er schreckte auf. „Ob er sich zur Sache äußern wolle?“, fragte ihn der Richter, „er könne sich auch auf die polizeiliche Vernehmung beziehen.“ Johann nickte. „Der Beschuldigte lässt sich zur Straftat ein und macht den Inhalt seiner polizeilichen Vernehmung vom 30.9. und 1.10. zum Gegenstand der heutigen Einlassung“, diktiert der Richter der Protokollführerin. „Der Beschuldigte verzichtet auf nochmalige Verlesung des polizeilichen Vernehmungsprotokolls“, setzt der Richter das Diktat fort. „Beschlossen und verkündet wird der anliegende Haftbefehl“, fährt er dann fort. „Der Beschuldigte wird zum Vollzug des Haftbefehls in die Untersuchungshaftanstalt eingewiesen. Der Haftbefehl wird gestützt auf § 121 Absatz 1 Ziffer 1 und 2 der Strafprozessordnung der DDR, weil Gegenstand des Verfahrens ein Verbrechen ist.“ Der Richter blickt auf und erklärt, die Sitzung sei geschlossen. Er steht auf, nimmt die Akte in die Hand und verlässt ohne weiteren Aufenthalt den Saal.

Das Ganze hat kaum 15 Minuten gedauert. Johann wurde erneut in den Raum im Kellergeschoss verbracht. Die Tür schloss sich hinter ihm. Das war`s also. Er sank auf das Brett an der Wand. Die Müdigkeit hätte ihn endgültig eingeholt. Wie lange er erneut im Halbschlaf verbracht hatte, konnte Johann beim besten Willen nicht sagen. Jemand rüttelte ihn an der Schulter. Er sah auf. Zwei Polizisten in Uniform hatten den winzigen Raum betreten und forderten ihn auf, aufzustehen und die Hände vorzustrecken. Man legte ihm wieder Handschellen an und ein Polizist sagte beiläufig, er werde nun in die Untersuchungshaftanstalt in die Bezirkshauptstadt gebracht.

Ein Kleinbus der Marke Barkas in dunkelgrüner Farbe stand auf dem Hof des Gerichts. Johann wurde durch die seitliche Schiebetür auf eine der hinteren beiden Sitzbänke gesetzt. Dort setzte sich ein Polizist neben ihn, zwei weitere Polizisten saßen auf den Vordersitzen. Die Fenster des Fahrzeuges waren vergittert, zwischen den Vordersitzen und der Rückwand war ebenfalls eine vergitterte Abtrennung. An den Verlauf der Fahrt konnte sich Johann auch später nicht erinnern. Er bemerkte nur, wie er aufgefordert wurde, aus dem Fahrzeug auszusteigen. Johann befand sich auf dem Innenhof eines großen Gebäudekomplexes. Hinter ihm schloss sich ein großes Tor mit seitlichem Antrieb. Eine an der Wand neben dem Tor angebrachte Ampel schaltete von grün auf rot, nachdem das Tor geschlossen war. Die Polizisten führten ihn durch einen Anbau am Hauptgebäude in einen mittelgroßen Raum. Johann wurde aufgefordert, sich mit dem Gesicht zur Wand hinzustellen. Hinter ihm sprachen die Polizisten mit zwei Männern in der dunkelblauen Uniform des Strafvollzuges. Einer von ihnen trat an Johann heran und schob ihn in einen Nebenraum. Er musste sich vollständig ausziehen. Der Vollzugsangestellte durchsuchte die Kleidung. Anschließend zog er einen Gummihandschuh über die rechte Hand und fuhr mit einem Finger in die anale Körperöffnung von Johann, nachdem er ihn aufgefordert hatte, eine entsprechende Körperhaltung einzunehmen. Nach Abschluss der Prozedur legte der uniformierte Mann einen Stapel Kleidungsstücke auf den Tisch.

„In der Anstalt tragen Sie diese Kleidung, das Tragen von privater Kleidung ist mit Ausnahme von Unterwäsche nicht erlaubt“, wurde Johann informiert. Die gereichte Kleidung sah furchtbar aus. Graue Baumwollunterwäsche, ein Pullover, eine Hose, eine Jacke dunkelblau, dazu wollene Kniestrümpfe. Alle Kleidungsstücke waren bereits getragen, sie fühlten sich hart und kratzig an. Gleichgültig zog Johann die bereitgelegte Bekleidung an. Nun wurde er wieder in den Vorraum gebracht. Dort musste er erneut eine Vielzahl von Fragen nach persönlichen Daten und Angaben beantworten. Erneut wurden die Angaben in diverse Papiere mit einer mechanischen Schreibmaschine mit einem Finger durch den schreibenden Vollzugsangehörigen übertragen. Danach erhielt Johann einen Ordner ausgehändigt. Der Ordner enthielt die Verhaltensregeln eines Untersuchungsgefangenen in der Untersuchungshaftanstalt, wurde ihm erklärt. „Lesen Sie den Ordner durch, er wird morgen um 10:00 Uhr vom Stationsleiter abgeholt. Sie gehen jetzt mit Herrn Wachtmeister im Strafvollzug Dienhold zur Kammer zum Empfang weiterer persönlicher Gegenstände.“

Er wurde von Wachtmeister Dienhold schweigend durch etliche Gittertüren und über verschiedene Gänge geführt. Alle Türen waren schwer, mit lautgängigen Schlössern ausgestattet. Die Schließgeräusche nervten. In der Kammer erhielt er Seife, Handtücher, eine Decke, Bettwäsche, Zahnbürste, Rasiergerät, Aluminiumbesteck ohne Messer und Geschirr aus weißem Kunststoff, alles offenbar schon vor ihm benutzt, wie die vielfältigen Gebrauchsspuren zeigten. Alles wurde in die Decke gelegt, über Eck zusammengeschnürt und von ihm aufgenommen. Er wurde nun erneut durch Türen und Gänge über mehrere Treppen geführt. Am Ende des Weges war ein breiter Gang im dritten Stock des Hauptgebäudes, von dem etwa zwanzig Türen abgingen. Ein Vollzugsangestellter trat auf ihn zu und forderte ihn auf, zu folgen. Er schloss eine Tür auf und Johann betrat die Zelle. Hinter ihm wurde die Tür verschlossen

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