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Kapitel 1 Ein mutiger Benediktiner
ОглавлениеAm 20.Februar 1808 sprach das englische Unterhaus General Wellesley offiziell den Dank der Nation für seine Leistungen im Feldzug gegen Dänemark aus. Zum ersten Mal in seinem Leben als Soldat verspürte Arthur wirklich Stolz, denn sein Handeln hatte vielen Männern der dänischen Miliz und noch mehr Zivilisten in der Stadt Kopenhagen das Leben gerettet. Während die Abgeordneten der Kammer applaudierten, strich er mit der Hand über den Griff von Marlboroughs Schwert. Die Freiheit für England, den Ruhm für die Krone und die Ehre für ihn selbst: diese Prinzipien hatten sein ganzes Leben bestimmt. Marlboroughs Waffe in der Hand würde er ihnen auch weiterhin folgen und die Franzosen schlagen oder auf dem Schlachtfeld sterben. Noch vor Anfang des Sommers 1808 sollte er mit Großbritanniens Feldheer endlich an Portugals Küste landen. Zwei Monate später wurde er dann endlich vom Oberkommandierenden der Streitkräfte zum General-Leutnant befördert. Bei einem Abendessen unter vier Augen vertraute Kriegsminister Robert Castlereagh ihm allerdings an, dass Frederick von York seiner Beförderung nur deswegen zugestimmt hatte, weil man auf politischer Ebene wieder einmal massiv Druck auf ihn ausgeübt hatte. Der jüngere Sohn von König George, als fanatischer Liberaler, unterstellte der konservativen Regierung Portland wie immer nur Schlechtes. Er hatte behauptet, man wolle einen Minister mit einem militärischen Rang belohnen. Der fette Freddie habe gar verlauten lassen, dass die „verdammte irische Wellesleys-Brut“ nur zum politischen Ränkespiel und zur Intrige tauge. Und der Kleinkrieg mit Arthurs ältestem Bruder Lord Mornington ging wüst weiter: Richard beschimpfte den fetten Freddie von seinem Sitz im englischen Oberhaus aus und Freddie schimpfte und drohte zurück. Sie stritten wegen allem Möglichen, wie wild gewordene Kampfhähne, sogar wegen Richards Verwaltung der indischen Kolonie. Daran änderte auch das Urteil einer parlamentarischen Untersuchungskommission nichts, die Mornington zwischenzeitlich von allen Anklagen der Ostindienkompanie freigesprochen hatte. Die politischen Differenzen zwischen dem hitzköpfigen und unbeherrschten Tory und dem ebenso unbeherrschten und fanatisierten Whig verschärften die Lage der Regierung noch zusätzlich. Alles hatte sich inzwischen so weit aufgebauscht, dass Richards Überheblichkeit an der Grenze der Dummheit Arthur beinahe doch noch den Oberbefehl über das Expeditionskorps gekostet hätte. Lediglich ein schnelles und energisches gemeinsames Eingreifen des Herzogs von Buckingham für die Konservativen und Lord William Ponsonbys auf liberaler Seite hatte ihn gerettet. Den beiden gewichtigen Politiker war es gelungen, den Herzog von York noch einmal zu beschwichtigt.
Das Geld der Longfords hatte Mornington von einer Verurteilung durch den Untersuchungsausschuss freigekauft. Das Geld der Longfords hatte ihm geholfen, wieder in der Politik Fuß zu fassen, obwohl er sich in den Reihen der konservativen Partei zahlreiche erbitterte Feinde geschaffen hatte Und das Geld der Longfords schützte ihn auch vor dem Zugriff des Herzogs von York. Und weil der fette Freddie nicht an Richard herankam versuchte er eben, sich an Arthur zu rächen. Castlereagh warnte den Freund: nach der Landung in Portugal würde der Herzog von York als der Oberkommandierende der Streitkräfte bereits den kleinsten Fehler Arthurs zum Vorwand nehmen, um sämtlichen Wellesleys das Fell über die Ohren zu ziehen. Und die sturen alten Männer in den Horse Guards standen geschlossen auf seiner Seite. Sie hatten Arthur nämlich seine unkonventionellen Siege in Indien nicht verziehen, die so vollkommen ihrer eigenen altertümlichen Auffassung der Kriegführung widersprachen. Und sollte der entgegen aller Erwartungen doch keine Fehler und Kröten produzieren, dann würde der fette Freddie irgendwelche anderen Tricks und Schliche finden, um Arthur das Leben als Oberbefehlshaber des Expeditionskorps so schwer wie nur möglich zu machen. Ihm ging es weniger um einen Erfolg gegen Napoleon und Frankreich, als um einen innenpolitischen Fallstrick für seine politischen Gegner aus der konservativen Ecke. Doch diese Probleme und persönlichen Differenzen waren für Arthur belanglos geworden. Er wartete nur noch ungeduldig auf seinen Marschbefehl. Selbst Kittys Brief war ihm gleichgültig gewesen: Unpersönlich und ohne die geringste Wärme hatte sie ihn darüber informiert, dass am 16 Januar in Collure ein zweiter, gesunder Sohn auf die Welt gekommen sei, dem sie den Namen Charles gegeben habe. Genauso steif und förmlich, wie Kitty ihm geschrieben hatte, hatte Arthur ihr geantwortet, ihr und dem Kind alles Gute gewünscht und einen Wechsel über fünfhundert Pfund Sterling in den Umschlag gesteckt. Im Gedanken war er bereits auf der Iberischen Halbinsel. Er wusste nun, dass Whitehall sich endlich durchgesetzt hatte. König Georg hatte in einem seiner wenigen lichten Augenblicke die zweite Front gegen Bonaparte gutgeheißen und die militärische Hilfe für die Portugiesen abgesegnet. Jetzt warteten Portland und seine Regierung nur noch auf einen praktischen, diplomatischen Vorwand, um ihren unbesiegbaren General und seine Expeditionskorps einzuschiffen.
Ende des Jahres 1807 hatten Franzosen und Spanier gemeinsam im Handstreich Portugal erobert und besetzt. Zuvor hatten Bonaparte und die Bourbonen sich in Fontainebleau in einem geheimen Vertrag über die Aufteilung des kleinen Landes an der Atlantikküste geeinigt. Täglich erinnerte der Bischof von Oporto die Engländer an ihre Verpflichtungen zur militärischen Hilfe, die sich aus dem Bündnisvertrag von Methuen ergaben. Der Vertrag war 1703 während des Spanischen Erbfolgekrieges abgeschlossen worden. Trotz seiner geradezu unglaublichen Erfolge zu Lande, kam Napoleon seinem Ziel eine neue Kriegsflotte aufzubauen noch immer nicht näher. Die dänischen Schiffe hatten die Engländer ihm unter der Nase weggeschnappt. Und Portugals Kriegsflotte befand sich mit der portugiesischen Königsfamilie auf der anderen Seite des Atlantiks in Brasilien. In seiner Wut über dieses maritime Schachmatt versuchte der Kaiser der Franzosen nun, die Schraubzwinge um England noch stärker anzuziehen. Die Kontinentalsperre zu verschärfen war der einzige Weg, um der Wirtschaft des Feindes vielleicht doch noch das Rückgrat zu brechen. Großbritanniens Vormachtstellung auf den Weltmeeren konnte er ohne eine ernstzunehmende, neue französische Flotte nicht angreifen. Die Engländer bedrohten jetzt regelmäßig die Küsten Portugals. Einem britischen Geschwader unter Sir Sidney Smith war es sogar gelungen, in den Tejo einzufahren und von den Franzosen besetzte Festungen zu beschießen. Trotz Napoleons Befehls sämtliche Häfen von Portugal zu sperren, hatte der Handel zwischen England und dem besetzten Land noch nie so fleißig floriert, wie in diesen Tagen der französischen und spanischen Besatzung. Englische Schiffe entluden hinter dem Rücken der Wachen aus Marschall Junots Armee eifrig Schmuggelwaren und fuhren, vollgeladen mit süßem, schwerem Portwein zurück nach Hause. Zuviel Geld stand auf dem Spiel, als dass auch nur ein Portugiese, diesen schwunghaften Warenaustausch je eingestellt hätte. Dabei war den Leuten vollkommen gleichgültig, dass die Franzosen furchtbare Drohungen ausstießen und grausame Strafen androhten. Die Braganza hatten ihrem alten Freund und Verbündeten England noch aus ihrem brasilianischen Exil zusätzliche Handelsprivilegien mit den portugiesischen Kolonien gewährt. Und Englands kontinentaler Stützpunkt Gibraltar, war ein ganz besonders spitzer Stachel im Fleisch von Bonaparte.
Die Konservativen in London und die Regierung Portland fühlten sich nun endlich stark genug um den Spieß mit Frankreich einfach umzudrehen und Bonaparte den Handelskrieg zu erklärt. Whitehall befahl der britischen Kriegsflotte auf den Weltmeeren keine neutralen Schiffe mehr zu respektieren. Die Seeleute enterten und versenkten alles was ihnen vor die Kanonen kam. Die Krone unterzeichnete Kaperbriefe im Dutzend. Die Spannung in Europa stieg täglich. Damit war Napoleon auch bewusst geworden, dass er seinen Feldzug gegen Portugal mit Hilfe eines äußerst wackeligen Alliierten durchgeführt hatte, der in Zukunft ein Sicherheitsrisiko darstellen würde. Frankreich kontrollierte Karl IV. de Bourbon nicht. Der spanische König, war ein kranker Mann. Genauso, wie Englands König Georg wanderte er auf dem schmalen Grat zwischen Wahnsinn und Vernunft. Das Land wurde eigentlich von Manuel de Godoy, dem Prinzen de la Paz regiert. Godoy war der Haushofmeister der spanischen Krone. Der intrigante und von Macht besessene Godoy hatte seinen Weg vom einfachen Soldaten in der königlichen Garde bis zur höchsten Position der Macht im Staate mit Hilfe von Frauen gemacht. Bevor er der Geliebte der Königin geworden war, hatte er sich durch sämtliche Betten der spanischen Grandezza geschlafen. Godoy hatte Korruption zur Staatsreligion erhoben. Alle hassten ihn, doch dank der Zuneigung der Königin und des Wahnsinns von König Karls IV. konnte er sich im Sattel halten. Ihm war es sogar gelungen, einen Keil zwischen den spanischen König und seinen äußerst populären Sohn, den Thronfolger Ferdinand, zu treiben. Der König hatte daraufhin seinen Sohn wegen Hochverrates angeklagt und in Festungshaft nehmen lassen. In Spanien gor der Aufruhr. Das Land befand sich an der Grenze eines offenen Bürgerkrieges. Doch Napoleon konnte kein unkontrolliertes Blutvergießen gebrauchen. Er wollte den französischen Einfluss festigen, seine Macht in Europa konsolidieren und sich dann endlich auf den englischen Feind konzentrieren. Aus diesem Grund beschloss er, Karl IV. durch einen neuen König zu ersetzen, während seine Truppen gleichzeitig einige der spanischen Schlüsselfestungen besetzten. Napoleons erste Wahl um dem wahnsinnigen Karl IV. zu folgen, war sein Sohn, der im Volk sehr populäre Ferdinand de Bourbon. Um den jungen Mann an Frankreich zu binden, bot er ihm die Hand der Tochter Lucien Bonapartes an. Aber die Ehe mit Louise kam nicht zustande. Karl IV. widersetzte sich, unter dem Einfluss von Manuel Godoy, einer Heirat zwischen seinem gefährlichen Sohn und einer Frau aus dem Hause Bonaparte. Er sah hierin eine große Gefahr für seine Krone und für sein eigenes Leben. Und Godoy fürchtete seine Macht würde schwinden, wenn Frankreichs Kaiser in Prinz Ferdinand einen Verbündeten fand. Am 16.Februar 1808 ließ Napoleon entnervt die Maske fallen: Was er mit einer dynastischen Verbindung zwischen Frankreich und Spanien nicht zu schaffen vermochte, eroberte er sich nun mit brutaler Waffengewalt. Die Truppen Frankreichs besetzten im Handstreich alle spanischen Grenzfestungen. Am 29.Februar gelang es General Duhesme mit einer Kriegslist Madrid einzunehmen. Anfang März marschierten dann Murats Truppen in das Land ein, ohne auf bewaffneten Widerstand zu stoßen und verstärkten Junot. Einhundertachtzehntausend Soldaten des französischen Kaisers standen auf spanischem Boden. Die Regierung floh nach Südamerika, das Königshaus und Manuel Godoy verschanzten sich in der Festung von Cádiz. Karl IV. war in seinem eigenen Land so unbeliebt, Godoy so verhasst, dass die spanische Bevölkerung ihren eigenen König im Palast von Aranjuez gefangen nahm, wohin er aus Cádiz geflohen war, als der Aufruhr dort zu gefährlich wurde. Prinz Murat, Napoleons Schwager und sein Staathalter auf der iberischen Halbinsel zog Ende März unter den Jubelschreien der Bevölkerung in die Hauptstadt Madrid ein. Durch den Druck des Volkes und der französischen Armeen musste Karl IV. zugunsten seines Sohnes abdanken. Ferdinand wurde aus seiner Festungshaft befreit und unter dem Schutz Napoleon Bonapartes und seiner Marschälle zu König Ferdinand VII. von Spanien gekrönt. Doch in diesem Akt sahen die stolzen Spanier einen Versuch, ihnen die Freiheit nehmen zu wollen. Ein König von Frankreichs Gnaden schien ihnen plötzlich noch schlechter, als der verrückte Karl und seine Hofschranze Godoy. Napoleons Versuch das Land durch die Absetzung des alten Bourbonen und die Krönung seines Sohnes wieder zu Ruhe zu bringen, hatte genau das Gegenteil bewirkt: Die Spanier waren ein widersprüchliches, stolzes und leidenschaftlich unabhängiges Volk. Frankreichs Einmischung in die Innenpolitik des Landes störte die Granden und die katholische Kirche. Der Aufruhr der zuvor nur gegoren hatte, kam nun wirklich zum Ausbruch. Aus dem spanischen Alliierten, war ein Marionnettenkönig geworden. Ein Bürgerkrieg schien nicht mehr zu vermeiden.
All diese wertvollen Informationen erhielt London tagtäglich von der iberischen Halbinsel. Katholische Priester und Seminaristen irischer Herkunft trafen an den Küsten des Landes verwegene Männer, die auf kleinen schnellen Schiffen zwischen England und dem Kontinent hin- und her segelten um die Nachrichten dieser seltsamen Geheimagenten auf kürzestem Wege nach Whitehall und ins War Office zu bringen. Währenddessen beschäftigte George Canning die englische Presse mit Neuigkeiten über eine zu erwartende, englische Operation in Venezuela. Englands Prämisse sei es, den Tyrannen der Alten Welt - Bonaparte - in der Neuen Welt zu schlagen. Ein Expeditionskorps würde in Venezuela landen und den dortigen Freiheitskämpfern helfen, gegen die spanischen Alliierten Frankreichs zu putschen. Gemeinsam mit General Miranda, dem ehemaligen Stabschef der Konvention und Anführer der Revolte gegen die Bourbonen, würden britische Generalstabsoffiziere unter Sir Arthur Wellesley eine Expedition nach Südamerika vorbereiten. Noch vor Anfang des Sommers 1808 sollten Truppen unter seinem Kommando in die Neue Welt verschifft werden. Niemand im ganzen Land schien sich vor Augen zu führen, wie unglaubwürdig dieser Plan im Grunde war. Um den Schein noch zu verstärken, wurde Arthur vom Kriegsminister und George Canning sogar dazu verpflichtet, sich mit General Miranda regelmäßig in der Öffentlichkeit zu zeigen und im Unterhaus mehrfach zur Notwendigkeit einer Unterstützung der südamerikanischen Revolutionäre gegen ihren spanischen Kolonialherren zu sprechen. Sein irisches Ministerium hatte er zwar immer noch inne, doch die tägliche Arbeitslast hatte er kommissarisch John Wilson Crooker anvertrauen müssen, einem konservativen, irischen Journalisten, der sich durch großes Verhandlungsgeschick auszeichnete und der seit langem schon, in politischer Hinsicht, Arthurs Vertrauen besaß. Crooker hatte ein Jahr lang erfolgreich für die Konservativen im Parlament in Dublin gesessen. Seine Eloquenz, sein wacher Geist, seine Aggressivität und sein Sinn fürs Taktieren hatten schon so manchen Abgeordneten der Whigs so überrascht, dass er aus Versehen für Gesetzesentwürfe der Tories gestimmt hatte.
Hinter verschlossenen Türen bereitete Wellesleys Gruppe bereits seit Jahresanfang die Expedition auf die Pyrenäenhalbinsel vor. Die geheimen Informationen aus Spanien und Portugal liefen alle direkt bei Arthur auf, der sie selbst auswertete und das Wichtigste an die Regierung weiterleitete. Gemeinsam mit John Moore wählte er die Einheiten aus, die an diesem ersten, großen Feldzug gegen Frankreich teilnehmen sollten. Moore bereitete parallel eine sehr hypothetische Expedition nach Schweden vor. Diese Variante war, wie Venezuela, ein Versteckspiel George Cannings mit der englischen Presse und dem französischen Geheimdienst. Dieses zehntausend Mann starke Expeditionskorps sollte Wellesleys Streitmacht verstärken, falls er erfolgreich in Portugal Fuß fassen konnte. Der private, katholische Spionagedienst des Generals war von Kriegsminister inzwischen autorisiert und offizialisiert worden. Pater Jack Robertson befand sich in London, um sich auf seinen ersten Einsatz vorzubereiten. Der Erfolg dieser gefährlichen und waghalsigen Mission würde entscheiden, ob aus Frankreichs spanischem Alliierten ein Verbündeter Englands im Kampf um Europas Freiheit würde: Nach der Krönung Ferdinands VII. von Napoleons Gnaden, beschloss der Korse, dass die alte Maxime der römischen Cäsaren Divide et Impera insbesondere in einem instabilen Land, wie Spanien von großem Nutzen sein konnte. Spaniens zweiter Machtfaktor, neben der Krone, war die Armee und die Generäle des Landes waren gleichzeitig Mitglieder des Hochadels und damit Herrscher über die Provinzen. Um die gefährlichsten dieser Männer auszuschalten, versuchte der Kaiser sie eng an sich zu binden. Die größte Bedrohung ging von General Marquis de la Romaña aus, einem stolzen und unbeugsamen Andalusier, der Ferdinand VII. zutiefst ergeben war und über die besten der spanischen Truppen verfügte. Um den jungen König zu manipulieren, dem aufrührerischen, spanischen Volk einen potentiellen Anführer zu nehmen und den französischen Einfluss im Lande einfacher ausweiten zu können, musste der französische Kaiser, General de la Romaña so weit wie möglich von Madrid entfernen. Prinz Murat gelang es, Ferdinand VII. zu überreden, die neuntausend Mann starke Truppe des Marquis, gemeinsam mit ihrem unbequemen Anführer, als französische Hilfstruppen nach Hamburg und ins Holsteinische zu verschicken. Um dem Spanier jede Möglichkeit zu nehmen, gegen die französische Herrschaft in seinem Heimatland zu konspirieren, ließ Napoleon ein sehr strenges Überwachungssystem über alle Fremden in Norddeutschland einrichten und außerdem de la Romaña mit Spionen und Spitzeln umringen. Was für ein Erfolg wäre es für England in ihrem verzweifelte Kampf gegen den Usurpator, wenn diese Armee und der Marquis für die Sache der Befreiung Spaniens und Portugals gewonnen werden könnten, während sich gleichzeitig der Aufstand wie ein Feuersturm über die Südhälfte des europäischen Kontinents ausbreitete.
Arthur hatte Jack Robertson an diesem Maiabend nach Richmond Palace gebeten. Er wollte dem Geistlichen ungestört und unter allergrößter Geheimhaltung eine Gewissensfrage stellen. Die Nacht war bereits über der Stadt hereingebrochen und das große Haus an der Themse war still. Die Bediensteten schliefen und die Familie Richmond befand sich noch in Dublin. Sarah hatte Dienst in ihrem Krankenhaus in Lambeth und Rowland Hill war wieder bei seinem Regiment. Er würde Arthur nach Portugal begleiten und hatte viele Vorbereitungen zu treffen. Und um sich des treuen John Dunn zu entledigen, hatte Wellesley ihm und Witwe Baxter Karten für das beliebte Sadler’s Wells Theater auf der St.Johns Street in Clerkenwell geschenkt. Dort führte man gerade eine lustige Komödie mit Musik von Charles Dibdin auf. Es war das erste Mal, seit dem Tod ihres Mannes, dass Fanny wieder ausging. Sie hatte ihr bestes Musselinekleid angezogen und der alte Sergeant hatte die gute, rote Uniform hervorgeholt. Bevor beide das Haus verließen - John hatte sogar eine Droschke bestellt - flüsterte Arthur seinem Sergeanten ins Ohr. “ Und vergessen Sie nur nicht, Witwe Baxter nach der Vorstellung zu einem guten Essen in ein hübsches Restaurant einzuladen. Sie ist eine ganz feine Frau!” Damit war er wenigstens bis Mitternacht vor Störenfrieden sicher.
Der Offizier saß in Fannys Küche vor einer großen Tasse Kaffee, als es leise an die Hintertür klopfte. “ John Hencock aus Birmingham! Ich bringe die Wäscheknöpfe für Witwe Baxter.” Arthur lächelte. Robertson mochte das Versteckspiel und er selbst fing langsam auch an, Gefallen an dieser großen Scharade zu finden. Er öffnete die Tür und bat den Geistlichen einzutreten. “Guten Abend, Pater Robertson! Danke, dass Sie zu so später Stunde durch ganz London geritten sind, um mich zu treffen. Möchten Sie einen Tasse Kaffee?”
“ Ein etwas gehaltvolleres Getränk wäre mir lieber, junger Freund!” Wellesley stellte dem rundlichen Priester einen großen Steingutkrug mit Fanny Baxters hausgemachtem Apfelwein hin. “ Dr. Robertson, die Zeit drängt und ich möchte nicht lange um den heißen Brei herumreden!”
“Ich höre, Sir Arthur!”
Wellesley ging um den Tisch und setzte sich dem Geistlichen gegenüber. Er blickte ihm fest in die Augen: “ Man sagt, Priester, dass Sie ein mutiger Mann sind!”
“ Soll ich es ihnen beweisen, General?”
Arthur schenkte sich Kaffee nach und goss andachtsvoll Milch in die Tasse. “ Genau das ist es, was wir von Ihnen wollen! Würden Sie uns helfen, die spanische Armee für uns zu rekrutieren, die jetzt in Norddeutschland von Bonaparte festgehalten wird? Würden Sie dem Befehlshaber dieser Armee, dem Marquis de la Romaña, einen Vorschlag im Namen der britischen Regierung überbringen?” Robertson hob seinen großen Krug und trank dem General zu. “ Und ob, Sir Arthur! Mit der größten Bereitwilligkeit!”
“ Sie kennen das Risiko, Dr. Robertson?”
“ Es ist nicht größer, als das Ihre, wenn Sie mit Ihren Truppen in Portugal landen werden, mein junger Freund!”
“ Die Franzosen hängen ertappte Spione kurz und hoch!”
“ ...und sie erschießen unsere Admiräle und Generäle auf den Schlachtfeldern! Sir Arthur, wir katholischen Geistlichen fühlen uns immer ein wenig zum Märtyrertum berufen. Das liegt bei uns in der Tradition!”
“ Jack Robertson, ich brauche keinen toten Helden! “, fluchte Wellesley leise.
“ Seien Sie sicher, mein junger Freund, dass ich alles daran setzen werde, heil nach Hause zu kommen. Ich möchte um nichts in der Welt Ihren Ausflug auf die iberische Halbinsel verpassen.” Der Priester amüsierte sich über den Gefühlsausbruch seines Gegenübers. “ Treffen Sie mich morgen früh um acht Uhr im Foreign Office! Ich werde Sie George Canning vorstellen und wir werden Ihnen Ihre Instruktionen erteilen. Sind Sie hungrig, Dr. Robertson? ” Der beleibte Geistliche nickte Arthur erwartungsvoll zu. “ Dann lassen Sie uns den Ort wechseln! Witwe Baxter, die heute Nacht offiziell Ihre Knöpfe aus Birmingham erwartet und die ich inoffiziell mit meinem braven Sergeanten Dunn ins Sadler’s Wells geschickt habe, um ungestört mit Ihnen sprechen zu können, hat uns ein kleines Abendessen hergerichtet.” Wellesley wies Robertson den Weg aus der Küche in den Salon. Der General übernahm es selbst, Robertson zu bedienen: “ Ein Glas Sherry oder Whiskey?”
“Zu einem kleinen Whisky sage ich nicht nein, Sir Arthur! Auf unser schottisches Lebenswasser werde ich in den deutschen Ländern lange verzichten müssen!” Arthur reichte Robertson ein Glas und bot ihm einen Sessel an: “ Das Wässerchen kommt allerdings aus Irland - Bushmills aus dem County Antrim! In diesem Haus ist es sehr schwer, schottischen Whisky durchzusetzen.” Er selbst zog sich einen Stuhl vom Tisch her, drehte ihn mit der Lehne zu Robertson und setzte sich, das Kinn auf die verschränkten Arme gestützt vor den Geistlichen. “Erzählen Sie mir von sich, Dr. Robertson! Sie sind viel in der Welt herumgekommen!” Freundlich lächelte Jack, Arthur Wellesley an und begann zu berichten; von Schottland, von der Benediktinerabtei in Bayern, seinen vielen Reisen durch Deutschland, der Zeit an der Sorbonne und den Tagen der großen Revolution in Frankreich. Der Geistliche saß dem Offizier lang gegenüber und erzählte. Arthur war ein guter und aufmerksamer Zuhörer, der Robertsons Redefluss nicht mit Fragen unterbrach. Und so erfuhr er viel über Portugal und Spanien, die Macht der katholischen Kirche, die katholische Universität in Coimbra und das Land, das schon in wenigen Wochen sein erster, großer europäischer Kriegsschauplatz sein würde. Irgendwann fasste der Geistliche sich an seinen rundlichen Bauch. “Von Erzählen bin ich furchtbar hungrig geworden, Sir Arthur! Außerdem ist dieses Glas vorzüglichen, irischen Lebenswassers ziemlich leer. “
“ Entschuldigen Sie, Dr. Robertson! Ihre Geschichte hat mich so gefesselt, dass ich unser Abendessen ganz vergessen habe. Ich bin ein erbärmlicher Gastgeber!”
“Aber ein sehr angenehmer Zuhörer! Sie sprechen wohl nie über sich selbst, junger Freund? Sie haben in Indien viel erlebt und könnten sicher Bände mit Ihren Abenteuern füllen!” Wellesley schüttelte den Kopf. “ Wenn ich ganz ehrlich bin, es fällt mir schwer, vom Krieg zu erzählen! Und über mich selbst gibt es nur wenig zu berichten: Ich bin Berufsoffizier! Ich habe den größten Teil meines Lebens in der Armee zugebracht! Bevor ich mit siebzehn Jahren den roten Rock anzog, wurde ich in Irland und Frankreich erzogen! Das ist eigentlich schon alles.” Robertson schmunzelte, während er sich ein großes Stück kalten Truthahns auf den Teller legte. “ Sie sind ein ganz sonderbares Produkt unseres Landes! Sie haben den Ruf ein hochmütiger, stolzer und unnahbarer Aristokrat zu sein und bedienen einen einfachen, schottischen Priester selbst oder reiten mitten in der Nacht durch halb Irland, um in einer verräucherten Dorfschenke mit ihm zu sprechen. In Indien haben Sie mehr Männer hängen oder auspeitschen lassen, als alle anderen britischen Generäle zusammen, doch über den Verlustlisten von Assaye sind Sie in Tränen ausgebrochen. Und während des Dänemarkfeldzuges haben Sie sich nicht gescheut, vor Lord Cathcart auf die Knie zu fallen, nur um ein paar dänische Zivilisten vor unseren Kanonen zu retten, die Sie nicht einmal gekannt haben. Sie beugen sich nicht vor dem Altar unseres Herrn und trotzdem riskieren Sie Kopf und Kragen, um für Irlands Katholiken die politische Gleichberechtigung zu erkämpfen!” Arthur griff nach der Whiskeyflasche und schenkte Robertson nach. “Sie sind gut informiert, Dr. Robertson! Und ich schicke unschuldige, friedfertige, katholische Geistliche unbewaffnet in die Höhle des französischen Löwen, tief im Feindesland und ohne Unterstützung! Und das bereitet mir nicht einmal schlaflose Nächte!” Robertson schnitt eine weitere Scheibe kalten Truthahns ab und legte sie auf den Teller des Generals. “Junger Freund, Sie sind ein verdammt schlechter Lügner. Ich bin ein alter Mann und habe mein Leben damit zugebracht, die Menschen zu beobachten. Sie haben ein gutes Herz und wollen es einfach nicht zugeben. Sie sollten nicht so hart mit sich selbst sein. So, und jetzt essen Sie ein wenig von diesem vorzüglichen Truthahn und trinken ein Glas mit mir und dann lasse ich Sie schlafen. Und morgen früh werden wir gemeinsam mit Herrn Canning unsere große Intrige schmieden.”
Wellesley zog die Weinflasche zu sich hin, schenkte ein wenig Rotwein in sein Glas und vermischte den Alkohol mit Wasser. “ Ich wünsche Ihnen Erfolg, mutiger Priester - und eine glückliche Rückkehr. Ich werde Sie und de la Romaña ungeduldig erwarten.”
“Sie trinken nicht?”
Arthur schüttelte den Kopf. “Es gab eine Zeit...Priester, ich mag Sie. Sie sind ein beeindruckender Mann - und mutig. Ich respektiere Männer, wie Sie. Doch es dauert lange, bevor ich zutraulich werde. Kommen Sie gesund zurück. Kämpfen Sie mit uns in Spanien. Der Weg nach Paris ist weit und der Gegner ist stark und selbstbewusst.”
“ Kein Feind?”
“ Nein. Nur ein Gegner. Ich hasse die Franzosen nicht. Sie leiden, wie wir unter Bonapartes Joch. Sie verbluten, wie wir auf den Schlachtfeldern und ihre Frauen weinen, wie die unseren, um die Toten. Nein, kein Hass. Hass ist ein schlechter Ratgeber.” Robertson beendete sein Abendessen und verabschiedete sich von Wellesley. Der junge Offizier geleitete ihn bis zu den Stallungen von Richmond Palace. “ Gott schütze Sie, General.”
“ Bis morgen, Dr. Robertson. Um acht Uhr im Foreign Office.” Das schwere Pferd trabte aus dem Innenhof und Arthur schloss das Tor hinter dem Pater. Er ging in den dritten Stock hinauf und zog sich aus. Der Tag war lange und anstrengend gewesen. Er sehnte sich nach ein paar Stunden Schlaf.