Читать книгу Die eiserne Hand - Peter W. Klein - Страница 4
KAPITEL 2
ОглавлениеEs war nur ein paar Jahre nach dem so schrecklichen
2.Weltkrieg.
In der Schule (die damals noch Volksschule hieß) bekamen wir Kinder täglich einen Löffel Lebertran verabreicht, um einer Mangel- und Unterernährung vorzubeugen. Es gab ja noch nicht viel Lebensmittel, schon gar nicht viel Verschiedenes. Etwas Abwechslung auf dem Speiseplan zu Hause hatten wir eher dem Einfallsreichtum der Mutter zu verdanken, als dem Angebot im sogenannten `Tante Emma Laden´.
Der Lebertran bereicherte auch unseren noch geringen Wortschatz. Ausdrücke wie „Kotzsuppe“ oder „Schweinepisse“ gingen uns flott über die Lippen.
Zum schlucken von diesem aus Fischleber erzeugten ekelhaften gelblich-braunen Öl wurden wir gezwungen. Eine andere Scheußlichkeit nahmen wir als rauchige Substanz freiwillig ein: Holunderäste, die wir auf die Länge einer Zigarette schnitten, trockneten und dank ihrer feinen Röhrchenstruktur
auch als solche benützten.
Heutzutage wäre das eine echte Alternative zu den gehobenen Tabakpreisen – gesünder wäre es allerdings nicht.
Sowenig wir uns um die Gesundheit scherten, sowenig machten wir uns Gedanken darüber, das man die Holunderäste `Judenstrick´ nannte. Keiner wusste woher dieser Ausdruck kam, keiner störte sich an diesem Wort.
Mittwochs war immer vor dem Unterrichtsbeginn ein Schülergottesdienst in der Johanniskirche. Da bekamen wir von zuhause regelmäßig 50 Pfennige mit – für den Klingelbeutel – worin dieser Obolus aber extrem selten landete.
Genauer gesagt: nie!
Pädagogisch völlig unklug war auch die Tatsache, dass zweimal im Jahr auf dem Platz vor der Johanniskirche Kirmes war. Zuckerwatte gegen Klingelbeutel – da brauche ich wohl nicht zu erwähnen wer siegte.
Zum Jahresende wurde das Spendengeld in kleine Silvesterknaller umgesetzt, die allgemein `Judenfürze` genannt wurden.
Jeder bezeichnete sie so, Erwachsene wie auch Kinder. Schon wieder so ein schlimmes Wort, aber niemand klärte uns auf, wer oder was die Juden waren und was ihnen noch vor ein paar Jahren angetan wurde.
Da wir in der Nähe eines kleinen Waldes wohnten, verbrachten wir Jungs viel Zeit in selbigen – auf `Schatzsuche´.
Zum Kriegsende haben viele deutsche Soldaten und auch Zivilisten ihre Nazi- und Kriegsutensilien einfach in den Wald geworfen. Das war eine wahre Fundgrube für uns.
Verrostete Stahlhelme, Bajonette, Teile von Gewehren und Pistolen fanden wir. Modrige Gasmasken, Uniformteile und Hitlerbilder, die uns aber wenig interessierten.
Nachdem ein Junge aus dem nicht weit entfernten Flüchtlingslager durch eine gefundene und explodierte Handgranate schwer verletzt wurde, rührten wir Munition prinzipiell nicht mehr an.
Erwin, ein Klassenkamerad, fand ein Fahrtenmesser der Hitlerjugend. Mit Hakenkreuz drauf und ohne Rost. Das war nicht mehr zu toppen! Höchstens noch mit Orden. Das `Eiserne Kreuz´ zum Beispiel. Aber das hatte keiner von uns.
Noch eine Nachkriegserinnerung blieb: grüne Kerzen.
Alle Familien die Jemanden hatten der noch in Kriegsgefangenschaft war (oder vermisst) stellten an einem bestimmten Tag eine brennende grüne Gedenkkerze ans Fenster. Wir auch. Bei uns war es der Opa der fehlte.
Ich wartete immer darauf, dass unsere Gardinen Feuer fingen, aber das passierte nie. Vater hatte eine geschickte Hand bei der Kerzenpositionierung.
Man sah auch einige Wachslichter in den Fenstern der Nachbarschaft leuchten, nicht viel, aber nicht zu übersehen. Das sah hübsch aus, erklärte jedoch keineswegs warum Opa im Lager war.
Oma murmelte immer was von den „bösen Russen“, das war es dann schon. Wenn sie redselig war, fügte sie noch was von „Vergewaltigern“ oder „bolschewistischen Uhren-Dieben“ hinzu – aber an allem waren stets die Russen schuld, sagte die Oma. „Uri – Uri“ hätten die russischen Soldaten laut gerufen und den Deutschen die Armbanduhren abgenommen.
Das war mir eigentlich egal, ich wusste ohnehin nicht, was ein Vergewaltiger oder Bolschewist war. Ebenso wenig erkannte ich den Zusammenhang von Uhren-Dieben und Kriegsgefangenen.
1956 kamen dann die großen Entlassungen der letzten deutschen Soldaten aus den Lagern in Sibirien. Die Anzahl der Kerzen in der Nachbarschaft wurden immer weniger. Tausende von Heimkehrern machten sie nicht mehr notwendig. Unser grünes Lichtlein der Hoffnung brannte noch als Letztes – Opa kam nicht mehr zurück.
Zu dieser Zeit hatten wir Kinder aus unserem Viertel einen Schulweg von etwa einem Kilometer.
Diese Strecke legten wir lässig zurück, auf dem Rücken den klassischen Schulranzen. Wir wollten lieber eine Aktentasche mit Handgriff, aber die Eltern verweigerten dies vehement – Haltungsschaden wurde vorausgesagt, ein böses Rückgrat nebst hässlichem Buckel und schiefer Hüfte.
Der morgendliche Hinweg zur Schule war eher langweilig. Wogegen der Heimweg immer wieder mit einem besonderen Abenteuer gewürzt war: wir begegneten ungefähr zweimal die Woche `Kupferdächle´.
Das war ein Mann in einem schwer schätzbaren Alter, groß und kräftig, von insgesamt beeindruckender Statur. Für uns Kinder zumindest.
Nun hatte dieser Mann auch eine komplette Glatze, zu der sich ein ausgeprägter Bluthochdruck gesellte. Diese Kombination bedingte, dass `Kupferdächle´ einen knallroten Kopf plus feuerfarbener Schädeldecke zur Schau trug. Wir hegten den Verdacht, dass dieser auffällige Kahlkopf täglich poliert wurde. Es bedarf wohl keiner allzu großen Vorstellungskraft, um zu wissen woher der Rotkopf seinen Spottnamen hatte.
Eigentlich wäre das alles ja nicht unbedingt erwähnenswert, wenn nicht dieser Mann vollkommen unwillig auf den oben genannten Namen reagiert hätte.
Riefen wir Kinder übermütig einzeln oder im Chor „Kupferdächle, Kupferdächle“, rannte uns der Hüne mit einem unglaublichen Tempo nach, wobei sich seine Glatze in Richtung Purpur verfärbte..
Und wehe er erwischte einen von uns! Ein paar Schläge waren dem gewiss – mindestens! Das tat weh, denn `Kupferdächle´ hatte rechts eine künstliche Hand. Die sah irgendwie komisch aus, wie ein verformter schwarzer Lederhandschuh. Aber damit schlug er zu. Und in einer solchen Situation war es nicht empfehlenswert der Betroffene zu sein.
Natürlich ärgerten wir diesen für uns gefährlichen Choleriker meistens nur von der anderen Straßenseite aus, Distanz war geboten. Der Fluchtweg musste frei sein!
Und so entstand die `Mutprobe´.
Wer sich von hinten an den glatzköpfigen Mann heran schlich, so nah wie möglich, und dann das provokante Wort rief, musste ein guter Sprinter sein. Aber auch eine nicht zu kleine Portion Mut gehörte dazu.
Es war ein regelrechter Wettkampf geworden und wenn in der Schule geflüstert wurde: „ Der Karl will heute die Dreimetergrenze knacken“, dann war ein aufregender Heimweg gesichert.
Meine Einzelversuche lagen bei etwa fünf Metern Abstand (Schätzwert), wobei ich meine persönliche Bestmarke jedoch nur hin und wieder zu steigern versuchte. Trotz ausgeklügelter Strategie war mir der Risikofaktor dann doch zu hoch. Vor allem nachdem es den Schulfreund Lukas erwischt hatte. Der bekam mächtig Hiebe ab, deswegen stand er auch auf der internen Heldenliste auf Platz eins.
Als ich eines Tages von der Schule nach Hause kam, merkte ich sofort, dass irgendwas nicht stimmte. Meine Mutter sah mich streng an und dies geschah selten. Die in Falten gezogene Stirn, das trommeln mit den Fingern auf der Tischplatte und ein lang gezogenes Durchatmen verhießen nichts Gutes. Dann begann von ihr betont langsam der verbale Angriff.
„Ich habe erfahren, dass du zu der Clique gehörst, die dauernd den Herrn Ackermann provoziert!“
Ich verstand nichts.
„Wer zum Teufel ist Herr Ackermann?“ entgegnete ich schulterzuckend.
„Sag nicht: wer zum Teufel!“.
„Wer ist Herr Ackermann?“
„Das ist der Mann, dem ihr Kupferdächle nachruft!“
„Ach so“ – ich atmete befreit auf, es ging bloß um den Glatzkop.f . Mutter schaute mich immer noch eindringlich an: „Setz dich, ich erzähle dir was“.
Ich setzte mich und war gespannt.
Und so erfuhr ich, dass Herr Ackermann alias Kupferdächle eigentlich aus Hamburg kam und nun bei uns im Süden landete, weil er in seiner Heimatstadt während des Krieges ausgebombt wurde. Im Klartext hieß das: eine fünfhundert Kilo Bombe vernichtete sein Haus und alles Hab und Gut. Er hat in einer Nacht in einem Feuersturm alles verloren.
Nicht nur das!
Er wurde mit einem Dutzend ebenfalls Schutz suchenden Leuten im Luftschutzbunker verschüttet. Eigentlich war es nur ein kleiner ausgebauter Keller, kein richtiger Bunker.
Den Verschüttenden und sich selber rettete er das Leben, weil er mit bloßen Händen einen Weg aus den Trümmern grub. Somit bewahrte er eine Menge Menschen vor einem qualvollen Erstickungstod. Dabei verlor er durch einen großen herabfallenden
Zementbrocken eine Hand, die zerquetscht wurde .Auch eine größere Kopfverletzung zog er sich zu, was ihn nicht hinderte mit üblen Schmerzen und nur einer Hand weiter zu graben.
Ich war höchst erstaunt! Mindestens 12 Menschen das Leben gerettet!
Woher Mutter das wusste sagte sie nicht.
Zaghaft fragte ich „Dann ist ja das Kupferdächle...“
„Sag nicht Kupferdächle!“ fuhr sie wütend dazwischen.
„...dann ist ja der Herr Ackermann ein richtiger Held?“
Mutter nickte bedächtig: „Ja, das ist er und deswegen ist es nicht sehr anständig von euch, wenn ihr diesen tapferen Mann immer so ärgert“.
Jetzt war ich ganz durcheinander. Kupferdächle ein Held! Wer hätte das gedacht!.
Helden sahen für mich anders aus. Jagdflieger oder U-Boot Kapitäne – das waren Helden, so meinte ich. Aber ein Glatzkopf mit Bluthochdruck?
Ich erzählte diese Geschichte auch den anderen Jungs, die ebenfalls nicht schlecht staunten. Langsam aber sicher wuchs der Respekt vor Herrn Ackermann. Wir hatten gelernt, dass die wirklichen Helden nicht unbedingt aussahen wie John Wayne oder Errol Flynn im Kino. Schon gar nicht wie Tarzan.
Irgendwann rief keiner mehr das Wort `Kupferdächle´.
Im Gegenteil.
Wir liefen an Herrn Ackermann vorbei und nickten ihm ein höfliches „Grüß Gott!“ zu. Und unser ehemaliger Feind antwortete freundlich: „Hallo Jungs – schöner Tag heute“. Das sagte er auch wenn es regnete. Etwas seltsam war der Herr Ackermann schon, aber als Lebensretter durfte er das auch sein.
Und wir waren stolz, dass wir einen echten Kriegshelden persönlich kannten.
.
KAPITEL 2
„Was soll das heißen, du kennst diesen Mann?“ Kurt runzelte die Stirn, nahm seine Mütze ab und kratzte sich mit dem Kugelschreiber am Kopf.
„Und die Bedeutung von dem komischen Namen `Kupferdächle` bleibt mir auch verschlossen“. Kurt hatte manchmal eine seltsame Ausdrucksweise.
„Der Name kommt von dem roten Kopf“, ich versuchte eine plausible Erklärung abzugeben, aber Kurt unterbrach mich – wie immer wenn ich etwas mehr wusste wie er.
„Roter Kopf? Welcher rote Kopf? Wie wir eben gesehen haben war der Kopf des alten Mannes totenbleich – im wahrsten Sinne des Wortes!“.
Kurt verdrehte die Augen nach oben.
„Erkläre mir das bitte einmal“.
„Ich gab ein lang gezogenes „Jaaa“ von mir.
„Aber lass uns dazu nen Kaffee trinken, ok?“
Kurt nickte zustimmend, „hier haben wir im Moment ohnehin nichts mehr zu tun“.
Nach kurzer Überlegung schlug ich ein Café am Marktplatz vor, mit dem Auto nur etwa zehn Minuten entfernt.
„Das hat doch erst vor ein paar Tagen aufgemacht – ich war da noch nicht“ meinte Kurt, drehte das Schild seiner roten Kappe völlig unpassend nach hinten.
„Ich auch noch nicht“ war meine Antwort, mehr gebrummt als gesprochen.
„Also bis gleich“.
Wir beide gingen zu unseren Autos, wobei ich mich zum wiederholten mal fragte, wozu Kurt einen Geländewagen brauchte, mit dem er immer angeberisch durch die Stadt fuhr.
Das neue Café in der Fußgängerzone war hübsch eingerichtet, auch die Plätze im Freien sahen einladend aus, jedoch der andauernde Nieselregen ließ uns im Inneren Platz nehmen.
Wir bestellten zwei Kaffee, ich schwarz, Kurt mit Milch.
Ein kurzer Blick in meine Geldbörse beruhigte mich, ich hatte genug Geld bei mir.
Kurt sah mich stirnrunzelnd an :“Zum dritten mal!“
Ich verstand nicht: „Was zum dritten mal?“
„Einmal vor Ackermanns Haus, einmal als wir zum Auto gingen und einmal jetzt – du hast in der letzten halben Stunde drei mal in dein Portemonnaie geschaut ob du genug Geld mit hast“.
Kurts Äußerung machte mich verlegen, denn bislang konnte ich meine Kontrollsucht geheim halten - dachte ich wenigstens. Und in die Geldbörse mehrmals schauen war mir neu, das hatte ich noch nie getan. Ob das eine beginnende Verschlimmerung meiner Manie anzeigte?
Ich war verunsichert. Sollte ich Kurt jetzt sagen, dass ihn das einen Dreck angeht – oder sollte ich ihm meine Kontrollsucht beichten?
Die Entscheidung fiel auf Letzteres.
Also erzählte ich meinem Journalistenkollegen von meiner Zwangsstörung und wie sehr meine Psyche darunter manchmal litt.
Kurt hörte mir sehr aufmerksam zu und bestellte sich noch einen Kaffee indem er unhöflich mit den Fingern schnippte und auf die leere Tasse zeigte.
Dann beugte er sich weit zu mir vor, unsere Nasen berührten sich fast und flüsterte geheimnisvoll: „Reinkarnation!“
Trotz dezentem Knoblauchgeruch mit einem Hauch von Kaffee wich ich nicht zurück, sondern atmete Kurt ebenso ins Gesicht: „Haben wir jetzt Rätselstunde, Herr Schlau Schlau?“
Mein Gesprächspartner lehnte sich wieder zurück.
„Viele unserer Marotten, Eigenheiten oder eben auch psychischen Störungen resultieren auf Erlebnissen und Erfahrungen in einem früheren Leben!“
Kurt sah mich abwartend an, Wahrscheinlich wartete er darauf, dass ich jetzt Beifall klatschen würde ob dieser Erkenntnis.
Ich aber nickte nur, sah ihn provozierend an: „Wenn man daran glaubt!“
Mein Kollege setzte ein viel wissendes Lächeln auf.
„Nö, nö, ein früheres Leben ist nachweisbar, mit nur daran ´glauben` ist es alleine nicht getan“.
„Dann weise mir doch mal nach, was oder wer ich in meinem früheren Leben war!“
Meine Antwort fiel ein wenig arrogant aus, aber Kurts leichte Überheblichkeit nervte mich. Ebenso seine Unart den Kaffee zu schlürfen.
„Ich gebe dir nen guten Rat“, Kurt versuchte jetzt die väterliche Tour, „schau mal im Internet nach Seminaren für Reinkarnationstherapie und mach so was mit. Das wird dich eventuell überzeugen und wenn du dann die Ursache deiner Manie erkennst,die vermutlich in einem früheren Leben liegt, wirst du vielleicht deine Kontrollsucht los – das wäre ja nur ein Versuch! – wenn es nicht klappt hast du auch nichts verloren“.
Ich merkte, dass Kurt jetzt dieses Thema beenden wollte und das war mir auch recht.
Wie bestellt klingelte im richtigen Moment mein Handy. Der Chefredakteur von meinem Kriminalmagazin war dran.
„Schon von dem Rentnermord beim Studentenwäldchen gehört?“ fragte er mich mit seiner heiseren Stimme, ohne Begrüßung und ohne einen Hauch von Freundlichkeit.
Betont gefällig trat ich seiner Unhöflichkeit entgegen: „Guten Tag Herr Redakteur, wie geht’s denn so? Gattin und Kinder gesund und wohlauf?“
„Sparen sie sich ihren Zynismus, der ist jetzt fehl am Platze!“ kam es leicht wütend aus dem Handy.
Ich wurde wieder sachlich: „Natürlich bin ich schon an dem Fall dran, aber ich brauche noch ein paar Informationen von der Polizei bevor ich einen Bericht schreiben kann und – ich kannte den Toten, da sind wir der Konkurrenz um einiges voraus“.
„Gut so, weitermachen!“
Ehe ich noch etwas sagen konnte, legte der Herr Chefredakteur auf und sowenig er mich begrüßt hatte, so wenig verabschiedete er sich. Aber das war mir eigentlich egal. So war er eben.
Kurt blickte zur Bedienung und schnippte wieder mit den Fingern.
„Zum dritten Mal“ sagte ich, „du bestellst jetzt zum dritten mal einen Kaffee hast du das aus deinem vorherigen Leben?“.–
Mein eigener Witz brachte mich zum Kichern, obwohl er ja gar nicht so umwerfend war.
Mein Kollege zog die Augenbrauen hoch, aber seine ausgeprägten Stirnfalten konnte man nur wenig erkennen, da er immer noch diese dämliche rote Kappe aufhatte. Verkehrt herum.
„Jetzt leg mal los“ Kurt wurde merklich ungeduldig, „was hat es mit diesem `Kupferdächle`auf sich?“
„Nun ja“, ich begann zögernd zu erzählen, „das ist oder besser gesagt war so eine Sache aus meiner Kindheit.
Mein Blick prüfte Kurts Aufmerksamkeit und ich unterdrückte den Wunsch ihn mit `Rotkäppchen` anzureden. Und so erzählte ich von Herrn Ackermann, seiner Glatze, dem Bluthochdruck,
der Schläge mit der künstlichen Hand, von der Mutprobe und von der Heldenliste, auf der Lukas ganz oben stand, weil er mächtig Hiebe bekommen hatte.
Kurt hörte gespannt zu, ohne mich einmal zu unterbrechen, was ein mir bislang unbekannter Wesenszug an ihm war.
Mit einem tiefen Seufzer beendete ich meinen Monolog und wir beide sahen schweigend zu den großen, hellen Caféhausfenstern hinaus. Es regnete immer noch.
Mein Kollege beendete die Stille zwischen uns mit einer genuschelten Frage:“ Weist du noch den Nachnamen von diesem Lukas?“
Ich musste nicht nachdenken. „Selbstverständlich – der war doch die Nummer Eins!“
„Und wie war der?“
„Huber – der hieß Lukas Huber“.
Wider erwarten lächelte Kurt nicht, sondern nickte bedächtig:
„In Stuttgart gibt es ein Outdoorgeschäft mit Campingausrüstung, Rucksäcken und lauter so ein Zeugs für Naturburschen. Der Besitzer heißt Lukas Huber“.
Mir blieb die Spucke weg: „Woher weist du das schon wieder?“.
Kurt grinste mich an: „Ich habe vor einiger Zeit ein Interview mit seinem Sohn gemacht – einem erstklassigen Wasserfallkletterer“.
„Einem was?“
„Wasserfallkletterer!“
Kurt hatte wieder den mir wohlbekannten Allwissenheitsblick auf mich gerichtet. Und er lies mich an seinem Wissen teilhaben.
„Wasserfallklettern wird auch ´Eisklettern` genannt – es ist das Klettern an Eiswänden von gefrorenen Wasserfällen. Es ist eine sehr schwere Kletterei mit größten Herausforderungen. Neben Steigeisen und spezieller Eispickel erfordert es eine große Klettererfahrung!“
Meine Neugier war geweckt.
„Und wo gibt es gefrorene Wasserfälle? Da wird die Auswahl wohl nicht so groß sein?“
Kurt sah mich mit großen Augen an: „Doch, doch – es gibt jede Menge gefrorener und recht hoher Wasserfälle, meist an den Nordhängen größerer Berge. Bekannt ist zum Beispiel das Tiroler Pitztal, da gibt es eine Vielzahl von Wasserfällen, im Winter ist das ein Paradies für Eiskletterer“.
Kollege Kurt steigerte sich merklich in dieses Thema hinein.. Ich wusste genau, dass jetzt gleich der Hinweis auf seine natürlich erstklassige Reportage über den erstklassigen Wasserfallkletterer Huber kam.
So war es auch.
„Also der Hubert Huber, der Sohn von Lukas Huber, also über den Hubert hab ich eine erstklassige Reportage...“
„Ja ja ja“, ich stoppte Kurts Redeschwall, „warum hast du mich überhaupt nach dem Lukas meiner Schulzeit gefragt?“
„Nun ja“, Kurt zögerte, „immerhin hat er tüchtig Schläge von diesem `Kupferdächle` bezogen!“
„Du meinst einen Racheakt? Nach so langer Zeit? Nö, das kann ich nicht glauben! Er war ja auch sehr stolz auf seinen Platz eins auf der Heldenliste“.
„Aber ein Verdächtiger bleibt er allemal!“
Jetzt war ich an der Reihe zu sinnieren.
„Wollen wir da hinfahren und den Herrn Huber Senior mal in Augenschein nehmen?“ fragte ich mehr mich selber als Kurt, denn die Idee, dass Lukas zu einem späten Mörder wurde, hielt ich für absurd.
Mein Gegenüber schlürfte seinen Kaffee und meinte zugleich, dass ein Besuch bei Lukas nicht schlecht wäre. Kurt war übrigens der einzige Mensch den ich kannte, der gleichzeitig trinken und sprechen konnte.
Ich zögerte.
„Obwohl...äh...wenn wir eine Visite bei meinem ehemaligen Klassenkameraden machen, dann überschreiten wir ein wenig unsere Kompetenz“.
Kurts Gesichtsausdruck sagte jetzt mehr als sein lang gezogenes „Wiiiesooo!“
Meine Mimik hatte jetzt wohl die Tendenz zu einem Stirnrunzeln.
„Wir sind Journalisten und unsere Aufgabe ist es, objektiv und frei von Vorurteilen und Verdächtigungen bestehende Fakten zu veröffentlichen – wenn wir Lukas besuchen, dann verdächtigen wir ihn auch des Mordes! Das ist kein Tatbestand, das ist reine Spekulation“.
Kurt schüttelte den Kopf: „So ein Quatsch – natürlich sind wir keine Kriminalisten die eine Spur verfolgen – wir wollen einfach nur mit Herrn Huber reden, es ist die Neugier des Reporters“.
Ich musste Kurt zustimmen und bestätigte dies auf eine etwas derbe Art:
„Wenn es sich herausstellen sollte, dass Lukas mit dem Mord etwas zu tun hat und wir waren nicht als Erste bei ihm – ich würde mich in den Arsch beißen!“
Mein Kollege nickte heftig: „Er ist nun mal der einzige Verdächtige den wir haben – und nur wir! Die Polizei weiß ja nichts von der Hitliste und dem unglückseligen Herrn Ackermann alias Kupferdächle!“.
Jetzt lag das Nicken an mir.
Es schwirrten schon einige taktische Vorgehensweisen in meinem Kopf herum. So flüsterte ich zu Kurt: „Wir können ja nicht Lukas besuchen und ihn fragen ob er der Herr Mörder sei – wir brauchen einen Vorwand – unsere Fragestellung muss durchdacht sein“.
„Wie recht du hast“, Kurts gelegentlicher Zynismus kam mal wieder zum Vorschein, „der Kommissar kombiniert – bitte nicht stören!“.
Ein böser Blick war meine Antwort.
Wir einigten uns, dass ich vorgeben sollte ein Klassentreffen zu planen und Kurt mich begleitete weil er neue Trekkingschuhe brauchte. Das erschien uns glaubhaft und unverfänglich. Wie wir dann meinen Schulfreund nach einem Alibi zur Mordzeit fragen wollten – keine Ahnung.
Beide wussten wir ja noch keine Einzelheiten und neue Informationen von der Polizei wollten wir als Nächstes einholen.
Kurts lockeres „Lassen wir es auf uns zukommen“ machte mir Mut