Читать книгу Die eiserne Hand - Peter W. Klein - Страница 6
KAPITEL 4
Оглавление„Pass doch auf!“ Ich schnauzte Kurt an, der mit seinem großen Geländewagen einen Fahrstil demonstrierte, den man durchaus als aggressiv, zu schnell und rüpelhaft bezeichnen konnte.
Es war Montag und wir waren nach Stuttgart unterwegs, beide in Kurts Auto, da ihm dies in Anbetracht der Benzinpreise wirtschaftlicher erschien. Auf meinen Einwand, dass mein Wagen bedeutend weniger Sprit verbrauche als Kurts Angeberkutsche,
erwiderte dieser nur, er wolle nicht in meiner Hämorrhoidenschaukel fahren. Basta.
Während einer kurzen und seltenen Phase, in der mein Kollege relativ normal fuhr, erwähnte ich so lässig wie möglich: „Ich war am Samstag in einem Reinkarnations-Seminar“.
Stille.
Nur Bob Marley tönte aus dem Autoradio. Von Kassette. Mein` Partner hatte erstaunlicher weise noch einen antiquarischen Kassettenspieler in seinem Wagen.
Nach ein paar Sekunden Sprachlosigkeit kam von Kurt ein fragendes „und?“.
„Nun ja“, ich wusste nicht so recht was ich antworten sollte, die Pestgeschichte wollte ich vorerst für mich behalten.
„Nun ja“ räusperte ich mich wiederholt, „Ich habe seit gestern kein einziges mal irgendwas kontrolliert, nicht die Kaffeemaschine, weder den Herd und auch nicht die Haustüre. Null Bedürfnis, keinerlei Zwang“.
Kurt lächelte verständnisvoll: „Hab ich dir doch gesagt, oder nicht?“.
Ich gab ihm mit mehrfachem Kopfnicken Recht. Seit dem Seminar am Samstag war meine Kontrollsucht wie weg geblasen, wobei ich diese `Wunderheilung´ selbst noch nicht richtig realisiert hatte. Vor allem wollte ich abwarten wie lange das Ganze anhielt – auch geistige Placebos verlieren irgendwann ihre Wirksamkeit. Glaubte ich wenigstens.
Wir näherten uns Stuttgart, trotz Kurt`s rabiaten Fahrstils ohne Unfall.
Auch der Kassettenrekorder funktionierte noch, erfreute uns mit einem Reggae-Sampler. Das war wohl Kurts Lieblingskassette, denn er sang stellenweise mit, was den Musikgenuss leider etwas schmälerte.
„Weißt du eigentlich...“ unterbrach ich Peter Tosh`s aus dem Lautsprecher intoniertes `Get Up, Stand Up`.
„Weißt du eigentlich, dass meine erste Erinnerung als kleines Kind eine Fahrt nach Stuttgart mit meinen Eltern war, weil es mich damals maßlos erstaunte, dass die Häuser alle völlig zerstört waren. Da standen nur noch Betonskelette. Leer gebrannt und ausgelöscht. Große Gebäude. Viele Gebäude. Gespenstisch war das.
Natürlich wollte ich von meinen Eltern wissen warum das alles so kaputt war.
„Vom Krieg“ murmelte mein Vater knapp und damit war das Thema beendet. Vater wollte nicht über den Krieg reden, den er nur schwer verletzt überlebte. Ein Tiefflieger hatte ihn von seinem Motorrad geschossen, auf dem er als Melder an irgendeiner Front unterwegs war. Dreizehn Monate Lazarettaufenthalt und ein lebenslanges Humpeln waren das Resultat. Selbiges erfuhr ich aber alles sehr viel später. Ebenso, dass Stuttgart 53 Luftangriffe mit 4.500 Toten durchleiden musste.
Bei meinem ersten Ausflug mit meinen Eltern in die Schwabenmetropole war mir das Wort `Krieg` noch völlig unbekannt. Aber die zerstörten Häuser blieben mir bis heute im Gedächtnis.
Kurt wollte etwas sagen, musste aber erst ein riskantes Überholmanöver beenden. Mit lautlos aufgesperrten Mund absolvierte er das recht gekonnt. Trotzdem geriet ich ein wenig ins Schwitzen.
„Ja ja“ begann der neben mir sitzende Verkehrsrowdy einen seiner mir wohlbekannten Monologe.
„Jeder von uns weiß bei einem Weltereignis wo er gerade was gemacht hat, als er es erfuhr. Da haben wir alle ein Super-Langzeitgedächtnis: 11.September, Kennedy Mord, Mondlandung, Mauerfall, Space Shuttle explodierte – und so weiter. Und bei dir ist es auch die Erinnerung an die zerbröselte Stadt, das war ja ebenfalls ein Weltereignis – wenn man es so sehen will“
Kurt rückte seine rote Kappe zurecht und blickte Beifall heischend zu mir, obwohl sein knapper Ausflug in die Welt des menschlichen Gedächtnisses kein großes Ereignis war, schon gar keine Erkenntnis.
„Du hast Elvis vergessen!“ antwortete ich mit einem enttäuschten Unterton.
Mein Journalistenkollege sah mich fragend an.
Also sah ich mich genötigt eine Erklärung abzugeben.
„Ich kann mich noch genau erinnern was ich tat, als ich vom Ableben meines Idols erfuhr. Elvis ist ja tot vom Klo gefallen – und ich habe diese Nachricht in der Tageszeitung gelesen – als ich auf dem Klo saß!“
„Tatsächlich?“
„Ja wirklich, so was schafft eine geistige Verbindung, das vergisst man nie mehr!“
„Wann war das?“
„Am 16. August 1977“
Kurt sah mich mit großen Augen an ohne auf den Verkehr zu achten. Von außen ertönte ein kleines Hupkonzert.
„Hey Oldie – das weißt du noch? Mann o Mann – du bist ja ein echter Zeitzeuge!“
„Du sollst mich nicht Oldie nennen“, ich reagierte etwas verärgert.
„Schon gut, es war nicht böse gemeint.“
Um die Stimmung wieder etwas fröhlicher zu gestalten holte ich aus dem Fundus meiner Elvis-Erinnerungen eine kleine Anekdote hervor.
„Ich besaß eine Langspielplatte von Elvis, die hieß `Golden Records – Volume 2`ich glaube aus dem Jahr 1960. Da waren Hits drauf wie „I need your Love tonight` oder `One Night` - falls dir das etwas sagt!”. Meine Stimme klang ungewollt etwas eingebildet ob meines Wissens über Elvis.
Kurt sah ausnahmsweise auf die Straße während er ein interessiertes „und – weiter“ von sich gab.
„Auf der Hülle dieser Langspielplatte war der King of Rock`n Roll in einem goldenen Anzug abgebildet“
Kurt wiederholte sich: „und – weiter“.
„In den 60er Jahren machten ja auch die ersten Diskotheken auf, die gab es bis dahin noch nicht. Ebenso eröffneten in dieser Zeit die ersten Mode-Boutiquen. Und im Schaufenster eines solchen Ladens war eine goldene Hose ausgestellt! Eine goldene Hose wie sie Elvis hatte! Na ja, beinahe so wie sie Elvis hatte. Sie glänzte nicht so wie die des Kings – aber sie war goldfarben – und schweineteuer!“
Kurt horchte mir gespannt zu als ich ihm weiter erzählte, wie ich mein sauer erspartes Geld zusammenkratzte und mir sofort und aufgeregt diese Hose kaufte. Ein goldenes Beinkleid wie es der King hatte – toll! Damit würde ich in der Disco allen die Schau stehlen.
Dazu kam es allerdings nie, denn nach einer eingehenden Betrachtung im heimischen Garderobenspiegel und dem zwar lautlosen aber alles sagenden Kopfschütteln meiner Mutter, beschloss ich die Einsicht zuzulassen, dass ich mich schlichtweg nicht traute dieses Kleidungsstück außerhalb des Hauses anzuziehen. Es sah einfach albern aus. Ein Fehlkauf ohnegleichen.
Mein Vorstellungsvermögen reichte, um zu sehen wie alle Leute mir nachschauen würden – mit einem hörbaren Gekicher.
Kurt grinste über beide Backen, als ich weiter ausführte, dass ich diese goldene Hose nicht ein einziges Mal zum Ausgehen anzog. Irgendwann landete sie in der Altkleidersammlung und mit der wahrscheinlich in Afrika. Ein schwarzer Medizinmann mit goldener Disco-Hose – welch ein Anblick würde das sein!
Nun schwiegen wir beide, während Kollege Kurt in einer mir völlig unbekannten Gegend von Stuttgart herumkurvte. Nach dreimaligen Verfahren und unter permanenter Missachtung der einfachen Rechts vor Links Regelung bremste Kurt urplötzlich neben der einzigen Parklücke weit und breit, in die er aber überraschender Weise flott und gekonnt einrangierte.
„Wir sind da!“ meinte Kurt zufrieden und dann sah ich es auch. Ein Schild, grafisch schön gemacht, mit der Aufschrift „Berg und Tal – Outdoor Shop“.
In Erinnerung an eine Bergtour die ich vor Jahren machte, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen: „Berg und Qual wäre passender!“.
Doch der Kollege reagierte überhaupt nicht auf meinen Wortwitz. Er schaute lieber fasziniert auf den Knauf der Eingangstüre, der in diesem Falle aus einem anmontierten Eispickel bestand.
Im Laden empfing uns muntere Hintergrundmusik.
„Andreas Gabalier – Volks-Rock`n Roller“ wusste Kurt sofort einzuordnen und fügte noch ein lässiges „Alpenrock“ hinzu.Das erstaunte mich mal wieder, da ich Kurts Musikkenntnisse nur
im Bereich Reggae wähnte. Das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen.
„Kennst du auch `Hubert von Goisern` - ist ebenfalls ein hervorragender österreichischer Musiker?“
Da musste der Kollege passen – was mir ein breites Grinsen entlockte.
Mein Blick schweifte mit einem leisen Pfeifen gepaart durch den relativ großen und gut bestückten Laden. Was es da alles gab!
Vom Kuppelzelt bis zum Kletterseil, vom Trekkingstock Carbon bis zum Alpin-Karabiner, und, und, und...
Bei den Jacken erinnerte mich ein kleiner Pelzbesatz am Kragen in Form und Farbe an den nicht mehr vorhandenen Schwanz meines Katers.
„Kann ich ihnen helfen?“, plötzlich stand eine junge Frau neben uns. Blonde kurze Haare, schlank und durchtrainiert, braun gebrannt, natürlich sportlich gekleidet. Grünfarbiges Sweatshirt mit einer Eidechse drauf – gestickt, nicht gedruckt! Beigefarbene Stretchhose. Um den Hals baumelte ein kleiner Kompass, dessen Zweckmäßigkeit in einem Laden mir verborgen blieb. Wahrscheinlich ein Mode-Gag, der nur uns als Outdoor-Laien befremdlich erschien. Da konnte ich ihre orangenfarbenen Trekkingschuhe schon eher in mein modisches Weltbild einordnen.
Auf jeden Fall erweckte die spontan aufgetauchte Verkäuferin den Eindruck, als wäre sie schon dreimal auf dem Mount-Everest gewesen, ohne Sauerstoffflasche – versteht sich. Vielleicht hatte sie auch schon unzählige Stromschnellen mit dem Wildwasserkajak durchfahren oder den Jacobsweg im Dauerlauf gemeistert.Deswegen wohl konnte sie eine gewisse arrogante Hochnäsigkeit nicht unterdrücken.
„Äh...ja“, ich war einen Moment sprachlos, denn eigentlich hatte ich einen alten Schulkameraden und keine junge Verkäuferin erwartet.
„Tja, wir hätten gerne den Herrn Huber gesprochen“.
„Den Senior oder den Junior?“
„Den Senior!”
„Geht nicht – geht bei Beiden nicht“
„Wie? Geht nicht?“
„Was wollen sie denn vom Chef und seinem Sohn?“
„Ich war ein Schulkamerad von Lukas Huber und plane ein Klassentreffen. Und mein Freund hier braucht ein paar neue Schuhe. Sportschuhe natürlich“.
Kurt warf mir einen grimmigen Blick zu und zischte etwas wie“...brauch ich nicht!“
Im Gegensatz wurde die Verkäuferin eine Nuance freundlicher.
„ Der Senior-Chef ist schwer krank und befindet sich schon seit Monaten im Heim. Demenz, Alzheimer – er weiß manchmal nicht mehr seinen eigenen Namen – solange er und der Junior-Chef weg sind, leite ich den Laden hier“.
Mir fiel die Kinnlade herunter. Mit allem habe ich gerechnet, nur nicht mit dem.
„Und der Sohn, der Hubert?“ war meine zögernd vorgebrachte Frage, wobei ich es genau besehen gar nicht mehr wissen wollte.
„Der Junior ist seit zwei Monaten in Patagonien, der will den `Cerro Torre“ im Alleingang und mit einer neuen Route machen.“Wohl wegen unserer fragenden Blicke fügte sie noch hinzu: „Der Cerro Torre ist ein über dreitausend Meter hoher Granitberg und gilt unter Bergsteigern als einer der schwierigsten Gipfel.“
„Mit einem vereisten Wasserfall?“ – ich wollte mich ein bisschen mit meinem Allgemeinwissen einschmeicheln.
„Nein, ohne Wasserfall“ kurz und bündig kam die Antwort.
Um meine Verlegenheit zu überbrücken bat ich die hübsche Chef-Vertretung noch um die Heim-Adresse von Lukas Huber, die sie mir bereitwillig gab – es war der `Jakobus Stift`, ein Seniorenzentrum im Süden Stuttgarts.
Mit einem Kopfnicken drehte ich mich in Richtung Ausgang, murmelte noch ein „danke für die Auskunft“ und wollte mit Kurt den Laden verlassen.
„Was ist mit den Schuhen?“ rief uns die sportliche Schönheit nach.
„Das nächste mal!“ rief mein Kollege ohne zurückzuschauen.
„Die Fahrt hätte man sich sparen können“ war Kurt`s knapper aber bissig vorgetragener Kommentar, als wir schon wieder im Auto saßen.
„Wir haben es wenigstens versucht“ – mehr konnte und wollte ich in diesem Moment auch nicht sagen.
„Wo zum Teufel ist Patagonien?“ geiferte Kurt weiter.
„Südamerika, ein Gebiet bei Argentinien und Chile – ungefähr – glaube ich wenigstens“ nuschelte ich vor mich hin.
„Was jetzt“, fast gleichzeitig sprachen wir diese Frage aus, während Kurt nach seinem Zündschlüssel fingerte.
Lukas im Heim zu besuchen erschien uns sinnlos.
„Ich rufe jetzt Freddy, den Kripochef an, vielleicht weiß der was Neues“ meinte mein Reporterkollege und während er seinen Geländewagen startete griff er mit der anderen, freien Hand nach dem Handy.
„Nicht während der Fahrt“ raunzte ich im Befehlston zur Fahrerseite, wobei ich ein wenig Speichel versprühte. Unbeabsichtigt natürlich.
Kurt`s völlig dilettantische Fahrweise kombiniert mit einem Handy am Ohr – nein danke – das wollte ich mir nicht antun lassen.
Mein Partner würgte den Motor ab und widmete sich nun ganz seinem Mobiltelefon während ich mir die Beine vertrat und eine Zigarette rauchte.
Enttäuscht darüber, dass man unsere erste Spur einen Reinfall nennen konnte, war ich doch gespannt, was die Mordkommission zu berichten hatte.