Читать книгу Tod im Verlies - Peter Weber - Страница 5
Kapitel 3
ОглавлениеWolff verließ das Gericht und ging zu dem Gebäude, das den Firmensitz des strobelschen Unternehmens beherbergte. Das Büro befand sich in der Wiener Innenstadt und Wolff genoss den kurzen Fußweg. Auf seinem Spaziergang betrachtete er die Bauwerke, an denen er vorüberging. Er erfreute sich an der Architektur der Gründerzeit, ihm gefielen die Barockpalais und die Jugendstilhäuser, die auf seinem Weg lagen. Viel zu rasch erreichte er Strobels Firmensitz. Vor dem Gebäude standen schon einige Einsatzfahrzeuge und der Lärm im Stiegenhaus wies ihm den Weg zum Einsatzort. Er begrüßte die Kollegen mit einem allgemeinen: „ Hallo, sind die Angestellten irgendwo?“
Stumm deutete einer der Beamten auf eine geschlossene Glastür. Als Wolff das Büro betrat, war er erstaunt. Er hatte den Eindruck den falschen Beruf ergriffen zu haben. Nicht nur die Einrichtung, die vorwiegend aus antiken Möbeln bestand, beeindruckte ihn. Es war vielmehr die Größe des Raumes, in dem seine ganze Wohnung Platz gefunden hätte, die ihn staunen ließ. In diesem Tanzpalast, wie Wolff das Zimmer nannte, sah er zwei jüngere Frauen und einen jungen Mann. Strobel hatte seine Mitarbeiter wohl nach dem Aussehen eingestellt, dachte Wolff, als er die Personen musterte. Die Frauen waren auch objektiv betrachtet als Schönheiten zu bezeichnen. Gestört wurde der Eindruck nur von der zerronnenen Wimperntusche, die sich durch die Tränen der Damen unter den Augen verteilt hatte.
„Guten Tag und mein Beileid zu ihrem Verlust“, begrüßte Wolff die Anwesenden. „Mein Name ist Wolff und wir untersuchen den Tod von Reinhard Strobel. Wer von Ihnen hat das Sagen, wenn der Chef nicht da ist?“
„Das bin wohl ich.“, hörte Wolff eine angenehme Altstimme. „Mein Name ist Sylvia Wunderlich. Ich bin, nein ich war die rechte Hand von Herrn Strobel.“
Da die anderen im Raum anwesenden Mitarbeiter zustimmend nickten, meinte der Kriminalist: „Würden Sie Frau Wunderlich und mich alleine lassen. Sie können in einem angrenzenden Zimmer warten. Ich habe sicher auch Fragen an Sie.“ Die Beiden verließen das Zimmer und schlossen die Tür.
„Frau Wunderlich, bei Ihnen wurde eingebrochen. Wissen Sie schon, was fehlt?“
„Nein, Genaueres kann ich noch nicht sagen. Ich habe sofort die Polizei angerufen. Als ich erwähnte, dass es sich um das Büro von Herrn Strobel handelt, hat Ihr Kollege mich gebeten nichts anzurühren und möglichst keine Spuren zu hinterlassen. Er hat gesagt die Spurensicherung wird gleich kommen. Also habe ich die Kollegen gebeten, hier in diesem Zimmer zu warten und nur zum Öffnen der Tür bin ich in den Flur gegangen. Vom Tod von Reinhard habe ich erst hier erfahren. Besteht ein Zusammenhang zwischen dem Mord an meinem Chef und dem Einbruch.“
Wolff fragte erstaunt: „Warum glauben Sie an Mord?“
„Reinhard war gesund, hat jährlich am Wiener Marathon teilgenommen und ist täglich mindestens eine Stunde gelaufen. Er hat auf seine Ernährung geachtet, kaum Alkohol konsumiert und nicht geraucht. Ich halte eine natürliche Todesursache für ausgeschlossen.“
„Und welches Laster hat ihr Chef gehabt? Er wirkt ja wie ein Tugendbold laut Ihren Schilderungen.“
„Sex, das war seine Schwäche. Er war zwar laut seinen Angaben glücklich verheiratet, hat aber immer wieder mit einer von uns geschlafen. Es war aber nur ein körperliches Abreagieren von ihm. Emotional war er - zumindest bei mir - am Verkehr nicht beteiligt.“
„Und das haben Sie so hingenommen?“, wollte Wolff wissen.
„Er hat gut gezahlt und diese kleinen Extras auch noch gesondert vergütet. Da er nicht hässlich war, und keine von uns gebunden ist, haben wir ihm diese Wünsche erfüllt. Manchmal nur wir Frauen, hin und wieder nur Manfred mein Kollege, der sexy ist, und immer wieder sind wir zu viert ins Hotel Orient gegangen und haben eine kleine Orgie gefeiert. Reinhard war sehr großzügig.“
„Wie oft haben diese Sexspielchen stattgefunden und hat seine Frau von diesen außerehelichen Affären gewusst?“
„2-3 mal im Monat. Ob seine Frau von diesen Eskapaden gewusst hat, kann ich Ihnen nicht sagen. Uns gegenüber hat sie nichts angedeutet. Aber welche Frau schöpft dabei keinen Verdacht.“
„War Frau Strobel oft hier im Büro?“
„Nein, sie hat ihren Mann nur manchmal abgeholt, wenn Sie gemeinsam einen Termin hatten. Sie wissen schon Oper, Theater, Benefizveranstaltung und Ähnliches.“
„Waren Sie eifersüchtig?“
„Nein, ich habe mit ihm wegen des Geldes geschlafen. Gefühlsmäßig war er nicht mein Typ, sonst hätte ich mich gar nicht auf diese Geschichten eingelassen. Da ich einen lieben Mann kennengelernt habe, war ich gerade dabei meinen Arbeitsplatz hier aufzugeben. Sie können das Nachprüfen. Hier irgendwo muss mein Kündigungsschreiben liegen.“
„Danke Frau Wunderlich, schicken Sie mir bitte Ihre Kollegin zu mir. Und beginnen Sie nachzusehen ob und was fehlt. Sollten die Kollegen Einwände haben, sagen Sie Ihnen, der Auftrag käme von mir.“
Kurz nachdem Fräulein Wunderlich das Büro verlassen hatte, betrat das nächste von Strobels Betthäschen das Zimmer. Die Befragung dieser Angestellten bestätigte Fräulein Wunderlichs Geschichte, und auch Manfred malte das gleiche Sittenbild. Alle behaupteten, sich nur wegen des Geldes und der Lust mit Reinhard Strobel vergnügt zu haben, und niemand war eifersüchtig. Als Wolff seine Befragungen beendet hatte, betrat Sylvia Wunderlich wieder den Raum: „Herr Wolff es fehlen sämtliche Rechner, die im Haus waren, einschließlich des Servers. Auch die Sicherungsbänder wurden gestohlen. Sonst fehlt nichts. Der Safe wurde auch nicht aufgebrochen.“
„Was war auf den Computern so wichtiges, dass selbst die Sicherungen gestohlen wurden?“
„Die gesamte geschäftliche Korrespondenz. Wahrscheinlich auch alle Mails, anstehende Projekte und vor allem die gesamte Terminplanung.“
„Und alle diese Daten sind jetzt verloren?“, griff Wolff nach einem Strohhalm.
„Was der Täter scheinbar nicht wusste, Strobel ließ jeden Abend um acht seine Daten auswärts sichern. Hier ist der Name und die Adresse der Firma, die sich darum kümmert.“
Sylvia gab Wolff eine Visitenkarte von einem bekannten Unternehmen in der Branche.
„Danke Frau Wunderlich, entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Wolff griff zu seinem Mobiltelefon und rief Hans an.
„Hallo Euer Ehren,“ meldete er sich in Anwesenheit von Strobels Angestellten pflichtbewusst, „ich brauche einen Beschluss um extern gesicherte Daten der Firma Reinhard Strobel sicherzustellen. Nein es geht leider nicht anders, der Datenserver und die internen Sicherungsbänder sind bei dem Einbruch gestohlen worden. Und schicke bitte gleich einen Kollegen dorthin, bevor diese Firma auch noch abbrennt.“
Wolff gab noch den Namen und die Adresse der Gesellschaft, die die Daten sicherten durch.
„Frau Wunderlich, nehmen wir einmal an, ich würde in Ihrem polizeilichen Führungszeugnis schmökern, könnte ich etwas entdecken, dass mich zwingen würde, noch einmal mit Ihnen zu sprechen.“
„Wie meinen Sie das Herr Wolff?“
„Ich denke vor allem an einen Eintrag, der Sie mit einem Gewerbe in Verbindung bringt, dass nach wie vor von einem großen Teil der Bevölkerung schief angesehen wird.“
Sylvia Wunderlich sah Wolff verdutzt an. Sie hatte keine Ahnung, was er meinen könnte.
„Sind Sie als Prostituierte registriert, Frau Wunderlich?“, klärte der Kriminalist die verstörte Frau schonungslos auf.
„Woher wissen Sie das?“
„Kriminalistischer Spürsinn Frau Wunderlich und jetzt erzählen Sie mir die ganze Geschichte.“
„Müssen Sie das unbedingt wissen, Herr Wolff? Können Sie das nicht unter den Teppich kehren, ich wollte meine Kontrollkarte nach meiner Kündigung zurückgeben und mich aus dem Beruf zurückziehen.“, schluchzte sie.
„Sind die beiden anderen auch in dem Gewerbe tätig?“ hakte Wolff nach.
„Marion hat beim selben Escortservice gearbeitet, und Manfred war auch als Callboy tätig. Dort haben wir Reinhard kennengelernt, da war seine Karriere als Politiker gerade zu Ende gegangen. Innerhalb seiner Partei hat er einen Machtkampf verloren und sich aus der Politik zurückgezogen. Er hat eben begonnen, seine Beratungsfirma aufzubauen und uns gebeten, für ihn zu arbeiten. Als Begleitdamen haben wir zwar ein wenig mehr verdient, aber hier hatten wir soziale Absicherung.“
„Welche Qualifikationen haben Sie, um die offizielle Stelle glaubwürdig auszufüllen, Frau Wunderlich?“
„
Marion und ich haben die Handelsakademie Korneuburg mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen.
Während des Studiums brauchten wir Geld und hatten keine 40 Stunden in der Woche Zeit, um welches zu verdienen. Wir sind über ein Zeitungsinserat, in dem hoher Verdienst und freie Zeiteinteilung geboten wurde, bei einer Begleitagentur gelandet. Jung und naiv wie wir waren, wussten wir nicht, worauf wir uns einließen. Erst als wir beim Vorstellungsgespräch uns fast nackt präsentieren mussten, wurde uns klar, was von uns erwartet wurde. Trotzdem hat uns das Geld gelockt, und die Aussicht mit gut situierten und in unseren Augen daher auch niveauvollen Männern zu verkehren, hat uns auch nicht abgeschreckt. So haben wir nach einer kurzen Einschulung durch ein erfahrenes Escort-Mädchen angefangen, für den Begleitservice zu arbeiten. Nach einigen Treffen hat dann die Chefin verlangt, uns als Prostituierte registrieren zu lassen. Erst da wurde uns bewusst, was aus uns geworden war. Aber wir haben auf eine angenehme Art viel Geld verdient, alles andere war uns egal. Welche Auswirkungen dieser Job auf unsere Zukunft haben würde, haben wir aus den Augen verloren. Geblendet von Luxusrestaurants, tollen Hotelzimmer, Champagner und einigen hundert Euro am Abend entschieden wir uns für dieses Leben. Eines Tages hat Reinhard Marion und mich gebucht. Es war das erste Mal, dass ich an einem flotten Dreier mitmachen sollte. Obwohl Marion und ich an jenem Abend sehr angespannt waren, hat uns Reinhard am Ende der Zeit gebeten, bei ihm am nächsten Tag vorzusprechen. Er hat uns die Stellen, die wir jetzt innehaben angeboten.“
„Und warum sind Sie dann noch registriert?“, fragte Wolff erstaunt nach.
„Wir haben für Reinhard angeschafft. Nein, nicht so wie Sie denken Herr Wolff. Ich kann Ihre Gedanken in Ihrem Gesicht ablesen. Reinhard hat uns bezahlt. Wir sollten bestimmte Männer verführen, er hat uns eine Provision bezahlt, wenn wir Erfolg hatten.“
„Warum hat er das getan? Für sein eigenes Vergnügen zu bezahlen, kann ich ja noch verstehen, aber eine Prostituierte für andere zu engagieren, erscheint mir reichlich seltsam.“
„Denken Sie einmal nach Herr Wolff. Diese Männer waren Politiker oder Wirtschaftsmagnaten, die meisten von Ihnen verheiratet.“
„Also hat er diese Leute erpresst!“
„Nein, ich glaube nicht. Er hat ihnen nur klargemacht, dass er irgendwann die Rechnung für den schönen Abend, den er gespendet hatte, legen würde.“
„Wie hat Herr Strobel die Sache eingefädelt?“
„Reinhard hat ein Dossier über diese Männer angelegt. Die meisten kannte er privat und geschäftlich. Er hat alle Schwächen, Stärken, Interessen und Hobbys der Opfer ausspioniert. Er hat uns seinen Akt vor einem Treffen mit der Beute gegeben, sodass wir uns vorbereiten konnten. Meist ist er in der Wahl zwischen Marion und mir richtig gelegen, aber hin und wieder sprang der Mann auf eine von uns nicht an. Reinhard hat dann die andere geschickt und gehofft, dass diese zum Abschluss kommen würde. Sollte das auch nicht geklappt haben, wurde Manfred vorgeschickt, um die Bedürfnisse homosexueller Männer zu stillen. Ansonsten sollte Manfred versuchen die Powerfrauen zu unterhalten, manchmal wurde auch Marion auf Frauen angesetzt. Sie ist bisexuell veranlagt und daher besser dafür geeignet, als ich es bin.“
„Und Sie sagen, er hat diese Personen nicht erpresst?“
„So genau weiß ich es nicht, aber ich habe einmal ein Gespräch zwischen ihm und einem dieser Opfer mithören können. Die Herren bemerkten meine Anwesenheit nicht. Reinhard hat in diesem Gespräch nur angedeutet, dass die Presse von der Liebestunde des Abgeordneten mit einer Prostituierten erfahren könnte. Entgeistert hat ihn der Mann angeschaut und gemeint, er habe so etwas nie getan. Reinhard hat dem Mandatar das Datum und die genauen Umstände des Treffens einschließlich der Zimmernummer im Hotel Orient, einem Stundenhotel genannt. Er schilderte ihm die Details der Liebesstunden und welche sexuellen Vorlieben der Abgeordnete hatte.“
„Können Sie keine Namen nennen Frau Wunderlich?“
„Könnte ich schon, die letzten Jahre in dem Job haben mich zur Diskretion erzogen. Aber ich, Marion und Manfred stellen Ihnen bis morgen eine Liste der Männer und Frauen, die sich mit uns vergnügt hatten zusammen. Ist das in Ordnung?“
„Ja ich hole mir die Liste ab. Aber sagen Sie bitte niemandem Bescheid darüber. Der Tod von Strobel und der Einbruch hier könnten in einem Zusammenhang stehen. Je weniger Leute über die Aktivitäten des Unternehmens Bescheid wissen, um so ruhiger werde ich ermitteln können. Danke für Ihre Offenheit Frau Wunderlich.
Da wir noch nicht wissen, wie Reinhard Strobel gestorben ist“, log Wolff, „kann ich Ihnen nicht versprechen, ob wir die moralisch bedenkliche Geschäftsgebarung geheim halten können.
Vielleicht wäre es gut mit Ihrem Freund über Ihre Vergangenheit zu sprechen. Wir sehen uns morgen, und keinen Kontakt vergessen. Wir werden Sie alle brauchen. Schönen Tag noch“, verabschiedete sich der Polizist.
Wolff war erleichtert diesen Sündenpfuhl verlassen zu können. Nicht, dass er Geschlechtsverkehr mit Prostituierten als moralisch fragwürdig ansah. Verwerflich fand er den Umstand, dass Strobel die kleinen Schwächen der Männer und Frauen benutzt hatte, um seine Interessen durchzusetzen.
Wolff griff wieder zum Telefon: „Hallo Hans, bitte stelle sofort einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung von Reinhard Strobel aus und schicke die Kollegen der Spurensicherung gleich dorthin. Sie sollen jeden Computer und alle Speichermedien mitnehmen. Der Einbruch und der Mord am Strobel hängen zusammen. Wenn der Einbrecher nicht das gefunden hat, was er suchte, wird er die Wohnung durchwühlen. Ich beauftrage, einen Kollegen zu recherchieren, ob der Strobel noch andere Immobilien besessen hat. Morgen erzähle ich Dir, was die Einvernahmen der Angestellten ergeben haben. Versuche, den Staatsanwalt auf Distanz zu halten, ich halte ihn nicht für ganz koscher. Mit seiner vorgefassten Meinung ist er ein Ermittlungsrisiko, das wir nicht brauchen können. Ich vernehme jetzt noch einmal Frau Huber. Was Spaß soll ich haben? Ich bin dienstlich bei ihr. Ja Dir auch einen schönen Abend.“ Wolff legte auf und vereinbarte ein Treffen mit Eva, das in zwei Stunden beginnen sollte. Da er sich nach den Ermittlungen bei Strobels Angestellten schmutzig fühlte, beschloss er, die Zeit zu nutzen, um zu duschen und sich leger zu kleiden.
Er ging einfach nach Hause.