Читать книгу 5-Minuten-Vorlesegeschichten für Menschen mit Demenz: Humoristische Anekdoten - Petra Bartoli y Eckert - Страница 8

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Beim Friseur

Hilde sah auf den Kalender und seufzte. Es war Freitag. An diesem Tag stand wie immer der Gang zum Friseur an. Der musste schon letzte Woche ausfallen. Und vorletzte Woche auch. Denn der „Salon Elke“ hatte zugemacht. Was für eine Schande!

„Immer mehr alte Läden müssen schließen. Und was ist mit uns? Die ältere Generation bleibt auf der Strecke. Wir müssen uns dann mit neumodischem Kram anfreunden“, jammerte Hilde. Dabei betrachtete sie sich im Spiegel, der seitlich von der Küchentür neben dem Kalender hing. Mit Frisiercreme hatte sie die Haare die vergangenen Wochen in Schuss gehalten. Aber jetzt führte kein Weg mehr am Friseur vorbei. Nur an wen sich Hilde da wenden könnte, wusste sie beim besten Willen nicht.


Früher war alles anders, dachte Hilde. Sie fuhr sich mit der Hand durch die platten Locken und dachte dabei an ihre Jugend. Damals schon war sie gerne zum Friseur gegangen. Obwohl – eigentlich hieß der nicht Friseur, sondern „Bader Willi“. Er war nicht nur für das Schneiden der Haare zuständig. Den älteren Herrn verpasste er auch noch gelegentlich eine Nassrasur. Und wenn ein Zahn pochte und zwickte, griff er kurzerhand zu seiner Zange. Denn Zahnziehen gehörte auch zu seinen Aufgaben. Dafür machte er sogar in der Zeitung Werbung. Hilde konnte sich noch gut an das Inserat erinnern:

Bader Willi Richter, Burggasse 3: Zahnziehen, Behandlung von eingewachsenen Nägeln und Hühneraugen, Dauerwelle, Wasserwelle, Haare schneiden und Rasur.


Bei Bader Willi roch es immer ganz eigen. Ein bisschen verbrannt, ein bisschen scharf. Hilde schnupperte.

Ihr war, als hätte sie den Geruch noch in der Nase.

Da fiel es ihr wieder ein: Sie genoss es, als Mädchen auf dem hohen Stuhl Platz zu nehmen. Sie fühlte sich immer ein bisschen wie eine Prinzessin, wenn ihr Willi den Friseurumhang umband. Ihr Bruder Werner hingegen hasste es, zum Bader zu gehen. Schon, wenn die Mutter sagte: „Heute gehen wir zu Willi“, versteckte er sich hinter der Eckbank. Doch er entkam dem Griff der Mutter nicht.

„Mach keine Faxen. Die Haare müssen ab“, sagte sie streng. Und dann war jede Widerrede zwecklos. Doch einmal, daran erinnerte sich Hilde ganz genau, gelang Werner die Flucht. Er saß schon auf dem Stuhl beim Bader. Willi setzte gerade seine Haarschneidemaschine in Gang. Und Werner wusste, dass die wie immer stumpf sein würde. Die Maschine zog und zupfte mehr, als dass sie schnitt. Jeder Haarschnitt zwickte und zwackte. Willi setzte schon die Maschine am Hinterkopf von Werner an. Da machte Hildes Bruder einen Satz. Er flitzte mit wehendem Umhang zur Tür. Mit Gebimmel sprang diese auf, als Werner daran zerrte. Und schon war er aus dem Laden gerannt und hinter der nächsten Ecke verschwunden. Willi, Mutter und Hilde starrten Werner mit offenem Mund nach. Dann setzte sich Mutter in Bewegung und rannte Werner hinterher.

Sogar Bader Willi ließ seine Haarschneidemaschine fallen und rannte zur Tür hinaus. Schon nach wenigen Minuten kamen sie wieder. Den weinenden und zappelnden Werner hatte Mutter an der Hand. Und danach hielt sie ihn während der ganzen Haarschneide-Prozedur auf dem Stuhl fest. Bader Willi aber zwinkerte Hildes Bruder verschwörerisch durch den Spiegel an der Wand zu. Statt zur Maschine griff der Friseur kurzerhand zur Schere. Und so fiel Haarbüschel um Haarbüschel von Werners Kopf lautlos auf den Boden.


„Ach, das waren noch Zeiten“, murmelte Hilde. Aber es half nichts. Sie musste heute etwas Neues ausprobieren. An der Ecke hatte vor einem Monat ein Friseur eröffnet. Besonders sympathisch war Hilde der Salon nicht. Im Schaufenster hingen Fotos mit Frauen, die bunte Strähnen in den Haaren hatten. So wollte Hilde auf keinen Fall aussehen. Aber der Salon war nah. Und darum würde Hilde es einfach wagen. Sie ging in den Flur, griff nach ihrer Handtasche und schlüpfte in den Mantel.


Die Türglocke bimmelte, als Hilde den neumodischen Friseursalon betrat. Er war größer, als Hilde von außen vermutet hatte. Riesige Spiegel hingen an den Wänden. Fünf junge Mädchen huschten durch den Raum. Sie hatten keine Kittel an, wie Hilde es von Friseurinnen gewöhnt war. Stattdessen trugen sie Jeans und bunte, knappe Leibchen. Hilde seufzte.

Soll ich mich jetzt einfach auf einen der Stühle setzen?, überlegte sie etwas unentschlossen. Da trat eine der jungen Friseurinnen auf sie zu.

„Kann ich ihnen helfen?“, fragte die junge Frau freundlich.

Hilde starrte erschrocken auf die Haare der Friseurin. Blau! Die Haare waren blau!

„Ich weiß nicht. Ich glaube …“, stotterte Hilde.

Zögernd machte sie einen Schritt zurück und wollte gerade wieder gehen. Da lächelte die junge Frau sie an und legte ihr eine Hand auf den Arm.

„Kommen Sie. Dort drüben ist ein Stuhl frei. Jetzt lassen Sie sich mal von mir so richtig verwöhnen.“

Hilde schluckte. Am liebsten hätte sie sich losgerissen und wäre weggelaufen. Genau wie ihr Bruder Werner es damals getan hatte.

„Aber dazu bin ich wohl schon zu alt“, murmelte Hilde leise. Dann folgte sie der Frau mit den blauen Haaren.


Hilde verfolgte jede Bewegung der jungen Frau ganz genau. Nicht, dass die noch dachte, sie könnte ihr auch bunte Haare verpassen. Waschen, schneiden, legen, das war es, was Hilde wollte. Sonst nichts. Aber die junge Frau tat wirklich genau das, was Hilde bestellt hatte. Als sie fertig war, holte sie einen runden Spiegel und zeigte Hilde, wie die Haare hinten aussahen.

„Nicht schlecht“, musste Hilde zugeben.

„Schön, wenn sie zufrieden sind“, lächelte die junge Frau, „dann freue ich mich schon, wenn sie bald wiederkommen.“

Hilde nickte und stand auf. Ja, sie würde bestimmt wiederkommen. Auch wenn sie sich erst an den neumodischen Friseur gewöhnen musste.

„Die Zeiten ändern sich eben“, murmelte Hilde, als sie zum Bezahlen an den Tresen ging.

„Stimmt“, antwortete die junge Frau immer noch lächelnd.

„Und beim nächsten Mal probieren wir vielleicht dann etwas Farbe aus. Was meinen Sie?“

Hilde blieb entsetzt stehen. Aber dann zuckte sie mit den Schultern. Vielleicht. Warum nicht? Wenn es nicht gerade blau war!


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