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2 Beobachten und Dokumentieren als pädagogische Kerntätigkeiten: Charakteristika und Realisierungsformen

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Beobachten im Sinne von aufmerksamem, verstehendem Wahrnehmen von Bildungsprozessen von Kindern und Jugendlichen zählt seit dem 18. Jahrhundert zum Kerngeschäft pädagogischer Fach- und Lehrkräfte (vgl. Berdelmann, 2016; Reh, 2012a): Erziehen, Arrangieren von Lehr-Lern-Prozessen, Beraten, Bewerten, Reflektieren – all diese zentralen Aufgabenbereiche sind wesentlich mit Beobachtung verbunden.

»Eine Beobachtung besteht in der Wahrnehmung eines Verhaltens oder einer Verhaltensäußerung durch einen Beobachter. Verhalten umfasst in diesem Sinne jedes Agieren, jede Reaktion oder Nichtreaktion einer Person oder Personengruppe, die einer Beobachtung bewusst zugänglich ist« (Jäger, 2007, S. 52).

Sowohl in der pädagogischen Praxis wie auch in der Sozialforschung kann Beobachtung als das klassische Verfahren der Informations- bzw. Datengewinnung angesehen werden (vgl. Abel, Möller & Treumann, 1998, S. 62). Dabei ist es wichtig zu beachten, dass mit ihr nur Ausschnitte aus dem Gesamtgeschehen des Verhaltens erfasst werden können: Motive, Einstellungen usw., die das Verhalten steuern, sind nicht beobachtbar. Beobachtungen sind nie objektiv, denn sie sind immer auch geprägt von der Person des Beobachters und der spezifischen Beobachtungssituation. Vorwissen, Motivation, die eigene Befindlichkeit und implizite Persönlichkeitstheorien beeinflussen ebenso wie die Menschenbildannahmen des Beobachters mit, was in welcher Situation unter welchem Fokus beobachtet wird. Beobachtung vollzieht sich immer in einem komplexen Prozess von Wahrnehmung und Informationsverarbeitung, in dem Selektionen und Abspeicherungen stattfinden, die dem Beobachter in der Regel selbst nicht bewusst sind. Im Bestreben, der beobachteten Situation Sinn zu verleihen, erfolgt eine Bedeutungszuschreibung qua Interpretation des Wahrgenommenen. Diese steuert auch die Dokumentation der Beobachtung: Für relevant Gehaltenes wird festgehalten, Irrelevantes wird außen vor gelassen. »Jeder Beobachter konstruiert offenbar seine eigene Wirklichkeit« (Korossy, 2011, S. 14). Anlass, Intention und Situationsspezifik bestimmen in starkem Maße, wer welches Setting wie beobachtet und interpretiert. Hierbei wird grob zwischen drei Funktionskontexten unterschieden: der Alltagsbeobachtung, der wissenschaftlichen Beobachtung und der diagnostischen Beobachtung (vgl. Abel et al., 1998, S. 63). Die Fähigkeit zur alltäglichen Beobachtung ist dem Menschen quasi angeboren; als Grundlage für nachahmendes Lernen steuert sie vom Säuglingsalter an Entwicklungsprozesse und dient auch in pädagogischen Kontexten ganz allgemein der Orientierung der Akteure in der Welt (vgl. Atteslander & Cromm, 2010). Alltägliche Beobachtung geschieht zufällig, spontan und unmittelbar und ist emotional geleitet. Alltagsbeobachtung, von anderen Autoren auch als Gelegenheitsbeobachtung bezeichnet (vgl. Kleber, 1992), ermöglicht dem Beobachter ein schnelles Reagieren in komplexen sozialen Situationen, ist aber gleichzeitig auch sehr fehleranfällig. Wissenschaftliche Beobachtung ist hingegen systematisch geplant, der oder das zu Beobachtende ist theoretisch begründet (vgl. Zumhasch, 2011, S. 297). Sie ist zweckgerichtet und zielt auf die »[…] Beschreibung bzw. Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit vor dem Hintergrund einer leitenden Forschungsfrage« (Kleber, 1992, S. 199). Einen besonderen Ansatz bietet die ethnografische Beobachtung, bei der es »[…] vor allem um eine Beschreibung von Praktiken geht, die u. a. dieses implizite Wissen, den Vollzug und die Darstellung von Praktiken, Fragen der Lösung von Handlungsproblemen und der Handlungskoordination zu explizieren versucht« (Breidenstein, Hirschauer & Kalthoff, 2013, S. 33). Diagnostische Beobachtung im pädagogischen Feld folgt ebenfalls einer Systematik; sie intendiert das Verstehen und Einordnen eines Einzelfalls, um daraus (Förder-/Forder-)Maßnahmen ableiten zu können (vgl. Lukesch, 1998). Wissenschaftliche und diagnostische Beobachtungsverfahren zielen auf größtmögliche Objektivität; sie orientieren sich daher an klassischen Gütekriterien ( Kap. 5.1). Alle drei Beobachtungsformen spielen in KiTa und Grundschule eine Rolle. Sie greifen ineinander, etwa, wenn Ergebnisse einer unsystematischen Beobachtung mehr oder weniger zufällig auf Ereignisse aufmerksam machen, für die eine fundierte Erklärung benötigt wird, und im Anschluss eine systematische Beobachtung auslösen. Die intrinsisch motivierte Neigung zur Alltagsbeobachtung der Fachkräfte, d. h. das Interesse an und das Verstehen-Wollen von kindlichen Aktivitäten, bildet grundsätzlich eine sehr gute Voraussetzung für diese pädagogische Kernaufgabe, kann aber nicht deren alleinige Basis sein. Aus Professionalisierungsperspektive werden positive Effekte auf die Qualität der Alltagsbeobachtung erwartet, wenn die Kompetenzen des wissenschaftlich-forschenden sowie des diagnostischen Sehens entwickelt werden. In Anbetracht der hohen Fehleranfälligkeit von Beobachtung, die weitreichende Folgen für die Kinder nach sich ziehen kann ( Kap. 5.1.2), geht es insbesondere darum, Fachkräfte so zu qualifizieren, dass sie die verschiedenen Anwendungsformen der Beobachtung kennen, diese situationsspezifisch bewusst und kompetent anwenden können und für Wahrnehmungsprozesse, Beobachtungsfehler und mögliche Wirkungen auf die Kinder selbst, die Eltern und die Teams/Kollegien sensibilisiert sind.

Zur Ausdifferenzierung der verschiedenen Beobachtungsformen hat Kleber (vgl. Kleber, 1992, S. 199) einen Kategorisierungsansatz vorgenommen, der unseres Erachtens der bewussten Unterscheidung von Beobachtungssettings in Forschung und Praxis zuträglich ist: Er führt fünf Kategorien an, welche die verschiedenen Beobachtungsformen voneinander abgrenzen. Dies sind der »Anlass«, die »Richtung«, die »Distanz«, die »Offenheit« sowie die »Struktur« einer Beobachtung. Auf dieser Basis unterscheidet er als Modi der Beobachtung:

• Gelegenheitsbeobachtung vs. systematische Beobachtung: Sofern der Anlass einer Beobachtung ein begründetes Erkenntnisinteresse ist und der Beobachter sich gezielt in eine geplante Situation begibt, um genau dieses Interesse zu befriedigen, handelt es sich um eine systematische Beobachtung.

• Selbstbeobachtung vs. Fremdbeobachtung: Die Beobachtung kann auf die eigene Person oder auf äußere Situationen und das Verhalten anderer gerichtet sein. Zwar dominiert in KiTa und Grundschule die Fremdbeobachtung, allerdings gibt es viele Möglichkeiten, die Kinder aktiv in die Beobachtung einzubeziehen und sie nach ihrer Einschätzung der beobachteten Situation zu befragen. Im Sinne der Förderung selbstreflexiven und selbstgesteuerten Lernens spielt die Begleitung der Kinder beim Erwerb der Selbstbeobachtungsfähigkeit eine wichtige Rolle.

• Teilnehmende vs. nicht-teilnehmende Beobachtung: Bezüglich der Distanz des Beobachters zu den zu Beobachtenden wird zwischen teilnehmender Beobachtung, in welcher der Beobachter Teil des aktiven Geschehens ist und in die Situation partizipativ eingebunden wird, und nicht-teilnehmender Beobachtung unterschieden. Bei Letzterer verlässt die pädagogische Fachkraft oder die Lehrkraft ihre Rolle und steht den Kindern für die Beobachtungsdauer nicht als Ansprech-, Spiel- oder Lernpartner/in zur Verfügung. Laut Bensel & Haug-Schnabel (vgl. 2009, S. 21) eröffnet dieser Beobachtungsmodus die Möglichkeit, sich besser auf das Beobachtungsziel zu konzentrieren, eine objektivere Perspektive einzunehmen, nahezu zeitgleich mit dem Geschehen protokollieren zu können und das Beobachtungsergebnis nicht durch eigenes Zutun zu verfälschen.

• Offene vs. verdeckte Beobachtung: Von einer verdeckten Beobachtung wird gesprochen, wenn die Personen, die zum Beobachtungsfeld gehören, nicht wissen, dass sie beobachtet werden. Ist die Beobachtungssituation hingegen von allen Beteiligten klar als solche zu identifizieren, liegt eine offene Beobachtung vor (vgl. Kleber, 1992, S. 199). Eine verdeckte Beobachtung lässt sich beispielsweise durch eine Aufzeichnung einer Situation mithilfe einer fest installierten Kamera realisieren. Die offene Beobachtung signalisiert den Beobachteten das Interesse des Beobachters, welches Kinder häufig positiv im Sinne einer besonderen Zuwendung konnotieren (vgl. Bensel & Haug-Schnabel, 2009, S. 21). Sie kann aber auch dazu führen, dass die beobachtete Person ihr Verhalten verfälscht, um positiv aufzufallen. Nicht selten lenken Kamera oder protokollierender Beobachter die Kinder zu Beginn der Beobachtungssituation von ihren Aktivitäten ab. Aus performanztheoretischer Perspektive kann die offene Beobachtung als öffentliche Inszenierung gedeutet werden, in der sich die Beobachter/innen räumlich in bestimmter Weise zum Kind positionieren, die zu beobachtende Situation für alle sichtbar mit Bedeutung versehen und in der erwartet wird, dass die Kinder sich zu diesem Setting »passend« verhalten, indem sie bereitwillig die Rolle der zu Beobachtenden einnehmen. Eine Alltagssituation wird auf diese Weise zum bildungsbedeutsamen Ereignis (vgl. Schulz, 2011, S. 61).

• Gebundene vs. freie Beobachtung: Kleber differenziert zwischen gebundenen (strukturierten) und freien (unstrukturierten) Beobachtungen. Im Falle der strukturierten Beobachtung ist der Beobachter an feste Regeln und Vorgehensweisen gebunden und folgt einem exakt beschriebenen Beobachtungsleitfaden. Beginn, Dauer und Beobachtungsinhalte sind genau reglementiert. Die gebundene Beobachtung dient dazu, »mit den gewonnenen Daten vorgegebene Hypothesen zu überprüfen« (Jäger, 2007, S. 58). Der Beobachter wählt daher im Vorhinein ein Erhebungsinstrument aus und ist sich bewusst, welche Aspekte er beobachten möchte (gerichtete Aufmerksamkeit). Dabei kann es sich um ein Merkmalsystem handeln. Das bedeutet, dass innerhalb einer festgelegten Beobachtungseinheit (z. B. eine Mathematikstunde) das Auftreten eines durch Fragestellung und Hypothese festgelegten Merkmals erfasst wird. Dies könnte etwa das Melden von Schüler/innen im Unterrichtsgespräch sein, welches beispielsweise in Strichlisten protokolliert wird. Bei Kategoriensystemen werden mehrere Merkmale zu einer Sinneinheit gebündelt und als solche definiert (z. B. verbale Unterrichtsstörung). In diesem Beobachtungsmodus bildet ein vorstrukturierter Beobachtungsbogen die häufigste Dokumentationsform (vgl. Abel et al., 1998, S. 65). Freie, unstrukturierte Beobachtungsverfahren finden bewusst ohne a priori festgelegte Fokusse statt. Sie sind nicht zu verwechseln mit der oben angesprochenen Alltagsbeobachtung (vgl. Abel et al., 1998, S. 64). Unstrukturiert bedeutet, dass nur ein grober Rahmen für die Beobachtung vorgegeben wird (z. B. Nutzung eines bestimmten Mathematikmaterials durch die Kinder). Die Beobachtung innerhalb dieses Rahmens ist explorativ angelegt: Es geht darum, individuelle Besonderheiten und Potenziale der Kinder zu erschließen und Kommunikations- und Lernprozesse sowie Handlungsmuster zu erfassen.

Ergänzend kann im Hinblick auf Mittelbarkeit/Unmittelbarkeit der Beobachtung unterschieden werden zwischen

• Indirekter und direkter Beobachtung: Während bis hierher nur direkte Beobachtungsformen benannt wurden, in denen sich der Beobachter in ein präsentes Feld begibt und dort Primärmaterial, Daten und Strukturmuster aus der jeweils aktuellen Situation erhebt, richtet sich die indirekte Beobachtung auf die Sichtung von Sekundärmaterialien wie Akten, Protokollen, Dokumenten oder Fremdvideos (vgl. Korossy, 2011, S. 22).

Beobachtungen in KiTa und Grundschule sind häufig eingebunden in spezifische Verfahren. Hier wird – je nach dominanter Zielsetzung – vergröbernd zwischen qualitativ-hermeneutischen und quantitativ-diagnostischen Verfahren unterschieden (vgl. Leu, 2011, S. 16). Bei qualitativ-hermeneutischen Verfahren steht die Rekonstruktion sozialer Wirklichkeit durch ein detailliertes Erfassen, Verstehen und Erklären kindlicher Aktivitäten und Deutungsmuster im Vordergrund. Sie beziehen sich auf einzelne Kinder oder Kindergruppen, sind prozessorientiert, wollen situative Dynamiken erfassen und folgen einem Wissenschaftsverständnis, welches als offen und explorativ sowie theorie- und hypothesenbildend bezeichnet werden kann. Quantitativ-diagnostische Verfahren sind bewusst komplexitätsreduzierend. Sie identifizieren und operationalisieren einzelne Variablen, die in vorab aufgestellten Hypothesen überprüft werden. Verfahren dieser Art erlauben es, Entwicklungsstände und Kompetenzen von Kindern präzise zu erfassen, mit je aktuell gültigen Normwerten zu vergleichen und auf diese Weise zu empirisch belastbaren Aussagen zu kommen. Auch interindividuelle Vergleiche von Kindern einer Alterskohorte sind auf diese Weise möglich (vgl. Leu, 2011, S. 16). Beide Verfahrensansätze sind nicht so isoliert voneinander zu betrachten, wie es auf den ersten Blick in der Theorie scheint:

»Dass es zwischen beiden Verfahren Schnittmengen gibt, ist unbestritten: Das Verstehen der situativen Dynamik und auch der Entstehungsgeschichte individueller und gruppenbezogener kindlicher Aktivitäten ist auch auf eine Vorstellung vom Entwicklungsstand angewiesen, wie auch davon auszugehen ist, dass Entwicklungsstände nicht ohne Bezug zur Bedeutung zu erfassen sind, die sie für das Verständnis des alltäglichen Handelns von Kindern haben« (Leu, 2011, S. 16).

Ferner ist festzuhalten, dass viele Verfahren qualitative und quantitative, offene und standardisierte Konzeptelemente enthalten und die Unterscheidung derselben eher gradueller Art ist ( Kap. 4.2 und Kap. 4.3).

In engem Zusammenhang mit dem jeweils gewählten Beobachtungsverfahren steht die Art und Weise der Dokumentation: So legt das eingesetzte Beobachtungsverfahren häufig eine bestimmte Form der Protokollierung und Dokumentation nahe (vgl. Korossy, 2011, S. 25). Strichlisten kommen dann zum Einsatz, wenn es um die Dokumentation von Auftretenshäufigkeiten genau definierter Ereignisse innerhalb festgelegter Zeitintervalle geht. Einschätzskalen werten das Beobachtete bereits während des Beobachtungsprozesses. So wird beispielsweise auf einer fünfstufigen Skala von sehr niedrig bis sehr hoch dokumentiert, ob das Kind beim Erzählen im Morgenkreis auf einen wenig oder stark ausgeprägten Wortschatz zurückgreift. Schriftliche Protokolle stellen die häufigste Dokumentationsform direkter Beobachtungen dar. Das finale Protokoll entsteht meistens aus einem parallel zur Beobachtung angefertigten Stichwortprotokoll, welches durch nachträgliche Ergänzungen und Überarbeitungen komplettiert wird. Im Zusammenhang der Unterrichtsbeobachtung werden Korossy (2011, S. 28) zufolge die drei Formen des narrativen Protokolls (in welchem der Beobachter das Geschehen unstrukturiert so festhält, wie er es wahrnimmt), des Wortprotokolls (welches sprachliche Äußerungen wortgetreu erfasst) und des teilstrukturierten Protokolls (welches das Geschehen hinsichtlich vorgegebener Aspekte oder Kategorien fixiert) unterschieden. In der Praxis sind in der Regel individuelle Mischformen aus diesen drei Notationsformen anzutreffen, ergänzt um grafische Dokumentationsverfahren wie Handskizzen sowie um Abschriften des Tafelbildes usw. Neben den schriftlichen kommen verstärkt auch audiovisuelle Verfahren zum Einsatz: Fotodokumentationen, Tonmitschnitte sowie videografische Aufzeichnungen einer Beobachtungssituation können sehr viele Daten parallel erfassen, sind beliebig oft abspielbar und stehen verschiedenen Auswertungsansätzen offen (vgl. Korossy, 2011, S. 31). Digitale Tools auf mobilen Endgeräten wie Tablets und IPads stellen dazu eine Fülle von Möglichkeiten bereit, werden von vielen pädagogischen Fachkräften bislang allerdings äußerst kritisch gesehen, wie eine Studie von Knauf (2014) ergab. Stellt schon das Beobachten eine Unterscheidung von aufmerksam Wahrgenommenem von nicht Wahrgenommenem dar (vgl. Reh, 2012a im Rekurs auf Luhmann, 2003, S. 123), so bildet das Notieren von Beobachtetem eine zweite Selektion. Im Bewusstsein der Aufgabe, Beobachtetes notieren zu müssen, wird das Beobachten selbst noch einmal verändert, weil implizit die Frage »mitläuft«, was von dem, was im Feld beobachtet wird, aufgeschrieben werden soll (vgl. Reh, 2012b, S. 119). Die Tätigkeiten des Beobachtens und Dokumentierens erzeugen auf diese Weise selbst »blinde Flecke« der Wahrnehmung.

Die Dokumentation des Beobachteten fällt je nach Adressat unterschiedlich aus. Die Dokumentation für die beobachtende Person selbst dient dem Zweck des »Festhaltens«, beispielsweise in Form eines pädagogischen Tagebuchs oder einer Schüler/innenkartei von Grundschullehrkräften. Sobald andere Personen (Kollegen/innen, außerschulische Experten/innen, Eltern, Kinder) Adressaten sind, findet eine zweck- und adressatenorientierte Transformation der Beobachtung statt: So wird sie beispielsweise für das Kind in narrativer Form einer Lerngeschichte oder eines Briefes aufbereitet oder – wenn das Kind über entsprechende schriftsprachliche Fähigkeiten verfügt – in ein dialogisches Lerntagebuch integriert (vgl. Hanke, 2007). Im Rahmen von gutachterlichen Verfahren wird die Beobachtung als Bericht formuliert. Beobachtungen werden auch für die öffentliche Dokumentation der pädagogischen Arbeit genutzt, häufig in Form von foto- und textbasierten Sprechenden Wänden in Anlehnung an Reggio (vgl. Kerstan, 2016), Fotobüchern oder Videozusammenschnitten für eine KiTa-Gruppe oder Schulklasse. Über diese mediale Form der Aufbereitung werden insbesondere die Eltern, aber auch die Kinder selbst adressiert. Als aufbereitete Sammlung von dokumentierten Beobachtungen, ergänzt und illustriert durch Artefakte wie Bilder, Texte oder Arbeitsblätter des Kindes, wird häufig das Portfolio eingesetzt (vgl. Knauf, 2015, 2019).

Sowohl die Tätigkeit, d. h. der Prozess des Beobachtens, Fixierens und Transformierens in ein adressatengerechtes Medium, wie auch das Produkt, d. h. das Medium selbst, werden im pädagogischen Kontext als Bildungsdokumentation bezeichnet. Der Begriff spielt eine Schlüsselrolle im Bereich von prozessorientierten Verfahren (vgl. Knauf, 2019). Im Kontext standardisierter Dokumentationsverfahren wird eher von »Notation« oder »Erfassung« des Beobachteten gesprochen. Die Bildungsdokumentation stellt keinen pädagogischen Wert an sich dar. Vielmehr kommt erst durch den kommunikativen Austausch zwischen den relevanten Akteuren (Fach- oder Lehrkraft, Kind, Eltern, …) die Bedeutungsebene zum Tragen. In gemeinsamen Portfoliogesprächen beispielsweise findet ein gegenseitiges Spiegeln von Wahrnehmungen auf bestimmte Situationen statt, wodurch (bei entsprechender Offenheit) alle Beteiligten eine Lernbeziehung eingehen. Mit der Beziehungsgestaltung verknüpft ist eine Emotionalität als Kennzeichen der Bildungsdokumentation. Das Kind erfährt das Interesse der Fach- bzw. Lehrkraft und weiterer Akteure an seinem Tun, seinen Wünschen und Interessen, was sich positiv auf das Selbstwertgefühl auswirken kann. Das Portfolio und die darin enthaltene Sammlung von Hinweisen auf den Entwicklungsprozess kann von Kindern und Eltern als »persönlicher Schatz« gedeutet werden und eine unter Lern- und Identitätsentwicklungsgesichtspunkten wichtige Funktion des Erinnerns übernehmen.

Vor diesem Hintergrund kann festgehalten werden, dass die Fähigkeiten des Beobachtens und Dokumentierens sowie des Transformierens im Prozess der Bildungsdokumentation professionelle Kompetenzen darstellen, die sich nicht in der Anwendung verschiedener Methoden oder Techniken des Beobachtens, Dokumentierens und Transformierens in Wort und Bild/Schrift erschöpfen. Vielmehr sind sie in besonderer Weise von normativen Rahmungen sowie von pädagogischen Haltungen bestimmt: Der Modus, in dem in KiTa und Schule beobachtet wird, bestimmt sich in starkem Maße durch persönliche Grundeinstellungen und subjektive Theorien (hier insbesondere das Bild vom Kind, Verständnisse von Lernen und gutem Unterricht sowie guter Kindergartenpädagogik, das Verständnis von Bildung usw.), die das Beobachtete einfärben. Gleichzeitig tragen die Beobachtungen wiederum zu Verfestigungen oder auch Veränderungen dieser Bilder bei. Die Bildungsdokumentation besitzt daher immer einen persönlichen und kollektiven Wertebezug. Darüber hinaus sind Emotionalität und Beziehungsgestaltung inhärente Themen der Bildungsdokumentation. Diese vielfältigen Facetten mischen sich im »Diskurs der Ansprüche«, der im Folgenden beleuchtet wird.

Bildungsdokumentation in Kita und Grundschule stärkenorientiert gestalten

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