Читать книгу Ein Prinz für Movenna - Petra Hartmann - Страница 8

Wulfrics Schwert

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Ein eisiger Windstoß pfiff über das Deck der Lachmöwe. Doch Kapitän Harrod zögerte noch immer, die Segel zu setzen. Dort vorn am Bug stand unbewegt der Riese. Die Wolken, die um seine Stirn lagerten, waren noch dunkler als die Reste des schwarzen Schuppenpanzers, die wie ein nutzlos gewordenes Spielzeug über Brust und Schultern des Bernländers hingen. Orh Jonoth starrte vor sich ins Wasser, und fast schien es, als habe er alles um sich herum vergessen. Das Meer war hier kaum einige Faden tief, und doch – unerreichbar weit dort unten, irgendwo auf dem dunklen Krakengrund, verloren, auf ewig versunken ruhte das Schlachtschwert des Bernländers.

Harrod wusste um die enge Bindung, die zwischen manchen Kriegern und ihren Schwertern bestand. Die Klingen trugen klangvolle Namen, beinahe jede hatte ihre eigene Legende, und man erzählte sich wahre Wunderdinge von ihnen. Manchmal hatte er verwegene Söldner an Bord gehabt, raue Kerle, die sich vor nichts und niemand fürchteten, aber wenn sie allein an Deck saßen und sich unbeobachtet glaubten, dann flüsterten sie leise und zärtlich mit ihrer Klinge wie ein kleines Mädchen, das mit seiner Puppe spielte. Wie er selbst, wenn er mit der Lachmöwe redete, dachte Harrod. Und nun lag Orhs Waffe auf dem Meeresgrund. Und der Held stand am Bug, finster und brütend wie ein massiger schwarzer Todesgott, und starrte ins Wasser.

„Orh?“

Der Riese reagierte nicht. Erst als Harrod hinter ihn trat und ihm die Hand auf die Schulter legte, hob der Mann aus Akkatossa den Kopf, starrte den Kapitän aus blutunterlaufenen Augen an. „Orh, wir müssen Segel setzen“, sagte Harrod. „Wer weiß, ob wir noch lange den günstigen Wind ausnutzen können.“

Als Harrod den Befehl zum Segelsetzen gab, stand der Hüne noch immer mit glasigem Blick an der Reling, die Augen auf irgendeinen, nicht einmal für ihn selbst erkennbaren Punkt unter der von tausend kleinen eisgrauen Wellenrissen verkratzten Spiegelfläche des Meeres gerichtet. Einen winzigen, dunklen Punkt, der unbarmherzig kleiner wurde, bis er schließlich ganz verschwand. Ein Punkt, der ein Schwert war. Wulfrics Schwert.

Endlich stapfte Orh hinüber zum Mast und setzte sich eine halbe Armeslänge von der schaukelnden Wiege Varelians nieder. Mit der Hand stupste er gedankenverloren das kleine Holzfässchen an und brachte es zum Hin- und Herschwanken. Der Prinz schrie nicht. Doch gab der Säugling auch keine Geräusche des Wohlgefallens oder der Begeisterung von sich, wie er es tat, wenn Sparrow die Konstruktion in Bewegung versetzte. Ahnte das Kind, was dort unten in den Wellen versunken war? Orh glaubte es fast.

Wulfrics Schwert, die Waffe, die seit Urzeiten stets von dem mächtigsten und tapfersten Krieger Movennas geschwungen wurde. So lange noch ein Kämpfer Wulfrics Schwert führen konnte, so hieß es, werde auch das Heer nicht unterliegen. In alten Zeiten hatten die Könige ihren Stolz daran gesetzt, selbst die Klinge in der Schlacht tanzen zu lassen. Ja, das war ruhmreich. Doch Lorman und Orsan hatten diese Würde wohlweislich dem Akkatosser verliehen. Orh lehnte den schwer gewordenen Kopf auf seine Knie. Seine Gedanken waren bei dem Schwert. Und bei König Wulfric, der es geschmiedet hatte.

*

Der Geselle hatte die Daumen lässig hinter den Gürtel gehakt und blickte geringschätzig auf den schmalen Burschen herab. Auch die beiden Lehrlinge ließen keinen Zweifel daran aufkommen, was sie von dem Neuankömmling hielten. Einzig Meister Marten blieb ernst. Der Schmied hatte die breiten Arme vor der Brust verschränkt und blickte prüfend in die Augen des jungen Mannes, der kaum das Gewicht eines Vorschlaghammers zu haben schien. Wulfric hielt der Musterung gelassen stand und schwieg. Endlich nickte Marten. „Gut, wenn es dein Wunsch ist, dann wollen wir es einmal miteinander versuchen“, entschied der Meister. „Aber ich warne dich: Eine Waffenschmiede in Ira ist nicht der Königshof von Pol Movenn.“

Wulfric nickte ernst. „Das weiß ich, Meister. Deshalb bin ich hergekommen.“

Marten deutete mit einer Kopfbewegung zu dem Gesellen hinüber. „Du kannst bei Moran schlafen. Er wird dir sagen, was zu tun ist. Doch nun: An die Arbeit mit dir.“

Wulfric schob sein Bündel in eine Ecke und legte seine Jacke ab. Die dünnen Oberarme nötigten den drei jungen Burschen um ihn herum ein mitleidiges Grinsen ab, doch Wulfric schien nicht darauf zu achten. „Also?“, fragte er unternehmungslustig. „Womit fangen wir an?“

Wenn der Junge geglaubt hatte, seine Lehre bei Ambossmeister Marten mit dem Schmieden eines Metallgeräts zu beginnen, so hatte er sich gründlich getäuscht. Der Geselle Moran ließ ihn Wasser heranschleppen und Kohle schippen, Schaufel für Schaufel, und befahl ihm schließlich, den großen ledernen Blasebalg zu betätigen. Auf und nieder, auf und nieder zwang Wulfric das widerborstige Ding. Rolf und Goric, die beiden anderen Lehrlinge feixten. Mit seinem Eintritt in die Schmiede waren sie diese lästige Pflicht losgeworden. Und Wulfric spürte bald, dass seine dünnen Arme ermüdeten. Den hölzernen Griff fest umklammert, pumpte er weiter und sah, wie mit jedem Luftstoß die Flamme in der Esse aufloderte und mit jedem Atemholen des Gerätes wieder in sich zusammenfiel. „Schneller“, kommandierte Moran unbarmherzig. Wulfric biss die Zähne zusammen. Er wandte bereits jetzt all seine Kraft auf, und doch schaffte er es, noch ein wenig schneller zu werden. Der nackte Oberkörper beugte und hob sich, immer wieder, unaufhörlich, während der Geselle mit der Zange die schwarzgebrannte Eisenklinge eines Kurzschwertes in die Flammen hielt. Wulfric starrte wie gebannt auf das dunkle Werkstück und konnte den Blick kaum davon losreißen. Moran grinste. „Ja, das möchtest du wohl gern haben, was?“ Wulfric nickte, vergaß einen Moment das Pumpen. Mit voller Wucht traf ihn die Rechte des Gesellen, und für einen Augenblick glaubte er, sein Trommelfell sei geplatzt. Sein Ohr brannte wie Feuer, vor seinen Augen tanzten Sterne. „Untersteht dich, noch einmal mit dem Pumpen aufzuhören, wenn ich ein Werkstück im Feuer habe“, fuhr Moran ihn an. Wulfrics Hand fuhr zur Seite, dorthin, wo Krieger ihr Schwert tragen, doch seine Finger griffen ins Leere. Er besann sich kurz, zuckte dann die Achseln. „Entschuldige“, sagte er und packte erneut den Blasebalg an. Sein Kopf brummte wie ein Bienenkorb, doch der Junge verbiss sich jedes weitere Wort. Auf und nieder, auf und nieder presste er den Ledersack und bemühte sich zu lächeln. Moran starrte ihn wütend an.

Fasziniert blickte Wulfric in die Flamme, die bei jedem Luftstoß des Blasebalgs aus der Kohle in die Höhe schoss. Helles, rot und golden glosendes Licht, dazwischen der dunkle Schatten der Schwertklinge. Moran wandte das Eisen gleichmütig im Feuer hin und her, legte es schließlich ganz in die Kohlen und baute sich neben dem neuen Lehrling auf. „Ein wenig schneller, Bürschlein. Hast wohl das Arbeiten nicht gelernt bei den feinen Stadtfatzkes am Königshof, wie?“, fragte er anzüglich. Wulfric biss die Zähne zusammen und antwortete nicht. Obwohl ihm Rücken und Arme bereits schmerzten, als sei er in eine Folterkammer der Moglàt geraten, ließ er sich nichts anmerken und presste weiter Luft in die Esse. Die dunkle Eisenklinge begann zu glühen. Erst glomm nur ein dunkles Rot zwischen den Kohlen, dann ein helles Gelb. Moran achtete nicht darauf, er ließ den Lehrling keine Sekunde aus den Augen. Als Wulfric sich erneut aufrichtete, sah er das Eisen weiß aufglühen. Wieder beugte er sich vor und zwang den Blasebalg zusammen. Da – weiße Sterne sprühten aus der Klinge, das Eisen knisterte und prasselte, es schrie.

„Moran, du Nichtsnutz!“, brüllte der Meister. Er schlug so fest nach dem Gesellen, dass dessen Ohr in glühroten Eisenfarben aufbrannte, und riss das Werkstück aus den Flammen. Zu spät. Das Schwert war verbrannt, das Feuer hatte wie ein Heuschreckenschwarm über der Klinge gewütet, und was die Flammen nicht gefressen hatten, das war zu spröder, poröser Schlacke geworden. Zornig schleuderte Marten das erbärmliche Aschenklümpchen in die Ecke zu den Abfällen.

„Das wirst du mir büßen, du eingebildeter Fatzke“, zischte Moran gefährlich leise. Wulfric wusste, dass er in dieser Schmiede einen Todfeind gewonnen hatte.

Am Abend wankte der Junge in Morans Kammer, fiel auf die schmale Schlafstelle und war sofort eingeschlafen. Das Letzte, was er an diesem Tag wahrnahm, war der schreiende Schmerz in seinen Handflächen. Die Handteller hatten sich in eine einzige Eiterblase verwandelt, sie nässten auf die unreinliche Bettdecke, rohes Fleisch schien noch immer in Flammen zu stehen, darein hatten sich Rußspuren und Kohlereste gesetzt, und an den Fingerkuppen hatte er sich arge Verbrennungen zugezogen. Doch Wulfric spürte nichts mehr, er fiel in tiefen, traumlosen Schlaf wie ein Toter.

In den folgenden Wochen lernte Wulfric viel. Er lernte sich wegzuducken, wenn die Hand des Gesellen heranzischte. Er lernte, seine karge Mahlzeit heimlich zu verzehren, wo ihm Moran nicht die Wurst auf dem Brot streitig machen konnte. Er lernte, wann man Meister Marten am besten aus dem Weg ging und dass es bei Strafe verboten war, des Meisters Tochter schöne Augen zu machen. Doch an den Amboss selbst ließ ihn der breitschultrige Geselle so gut wie nie heran.

In diesen ersten Wochen erfuhr er vom Schmiedehandwerk kaum mehr als die Namen der Werkzeuge, die er Moran bei seiner Arbeit anreichen durfte. „Jung’, du musst viel mehr lernen, mit den Augen zu klauen“, hatte ihm Marten einmal im Vorbeigehen mit einem freundschaftlichen Klaps verraten. Wulfric dröhnte noch lange der Schädel davon. Aber den Rat vergaß er nie, und er hatte seine Augen überall in der Schmiede. Kein Handgriff Morans entging den wachen Blicken des jungen Lehrlings, sodass der Geselle ihn endlich gereizt anbölkte: „Was glotzt du so, Stadtfatzke? Wohl noch nie einen arbeitenden Menschen gesehen, wie?“ Aber Wulfric antwortete nicht darauf.

Er sprach überhaupt nur das Nötigste. In den ersten Tagen hatte er sich von dem älteren Burschen entlocken lassen, dass er vor allem das Schwertschmieden lernen wollte. Die Hänseleien, die er seitdem über sich ergehen lassen musste, waren fast noch übler als das Hofleben in Pol Movenn, und Wulfric war versucht gewesen, die ganze Schmiedelehre wegzuwerfen und erneut auf die Wanderschaft zu gehen. Aber er hatte die Zähne zusammengebissen und geschwiegen. Und weiter den Blasebalg betätigt.

Endlich kam der Tag, an dem Wulfric das erste Mal selbst den Hammer schwingen sollte. Marten hatte einen Großauftrag über Nägel für ein Bollwerk an der östlichen Stadtflanke bekommen, und nun wurden in der Schmiede alle Hände gebraucht. Wulfric hatte schon oft zugesehen, wenn Moran das Eisen auf dem Amboss hin und her gewandt hatte, aber es war doch etwas anderes, es nun selbst zu tun, und als der Geselle mit den Worten „So, nun zeig mal, was du kannst“ den Hammer in seine Richtung warf, war ihm doch vor Überraschung die Luft weggeblieben. Und das nicht nur, weil der Hammer in seiner Magenkuhle gelandet war.

Der Lehrling packte eine der Eisenstangen und hielt das Ende ins Feuer. Die Rechte umkrampfte den Stiel des Hammers, während die Linke das Eisen in den Flammen drehte. Keine Sekunde ließ er die Spitze aus den Augen und war sich bewusst, dass er in seiner Verkrampfung und Anspannung das genaue Gegenteil dessen bot, was er bei Marten gesehen hatte.

Das Eisen begann, dunkelrot zu glühen, und schnell riss es Wulfric aus der Glut. Gleich hatte er es auf dem Amboss, drehte es mit flinken Bewegungen hin und her, während er mit dem Hammer zuschlug. Drehung, Schlag, Drehung, Schlag. Schon war das Metall erkaltet und wurde härter, doch Wulfric hieb noch immer zu, so fest er es vermochte. Sein Handgelenk schmerzte vom Auf- und Abprallen des Hammers.

„Kaltsmeede und Pfaffen hätt de Düvel geschaffen“, kommentierte Marten hinter seinem Rücken. „Mach es dir doch nicht unnötig schwer.“ Er nahm ihm die Stange aus der Hand und schob sie erneut in die Esse. „Drin lassen“, sagte er, als Wulfric sie beim ersten Anzeichen von Glut wieder aus dem Feuer ziehen wollte. Aus Dunkelrot wurde Hellrot, dann Gelb. Doch noch immer schüttelte Marten den Kopf. Erst als die Eisenspitze weiß aufgleißte, nickte er: „Jetzt.“

Wulfric riss sie aus der Glut und hämmerte wie ein Besessener los. Funken stoben in alle Richtungen davon. Hageldicht fielen die Hiebe, und jetzt verstand er auch, was Marten gemeint hatte, als er gesagt hatte, man könne durch geschickte Schläge die Glut länger im Eisen halten. Endlich war es so weit, dass die dünne Vierkantspitze glatt und gerade vor ihm lag. Wulfric erhitzte sie erneut, schlug dann über der Ambosskante einen sauberen Absatz in das Eisen und schrotete sein Werkstück über einem Stahlkeil von der Stange ab. Mit der Zange schob er das daumenlange Metallteil erneut ins Feuer, steckte es dann locker in das Loch des Nageleisens hinein und schlug dreimal fest auf das glühende dicke Ende. Fertig. Stolz tauchte er das Nageleisen in das Wasserbassin, wo das Metall zischend erkaltete. „Gut gemacht“, lobte Marten, als er den Nagel in Empfang nahm. Dann warf er ihn gleichmütig in die Truhe zu den anderen. „Jetzt mach noch 200 weitere.“

Im Sommer verfertigte Martens Werkstatt eine Reihe Schlachtschwerter für die königliche Armee. Nichts, bei dem Wulfric mit Hand anlegen durfte, leider. Doch während er aus zusammengeschmolzenem Puddel-Eisen einen Satz Hufeisen für die Pferde des Braumeisters zusammenklopfte, hatte er ein wachsames Auge auf den Meister und seinen Gesellen. Wie Moran das Metall mit parallelen Finnenschlägen rechts und links der schnurgeraden Mittellinie auseinandertrieb, das traute er sich mit etwas Übung schon zu. Das Glätten schon weniger. Und mit welchen geheimen Zusätzen der Meister die Klinge härtete, das mochte er nicht einmal Moran weitergegeben haben.

Im Herbst schließlich schmiedete er unter Gorics unbarmherziger Aufsicht sein erstes Messer. Eine vielleicht handlange Klinge, mit der man im Ernstfall sicher keinen Moglàt beeindrucken konnte, aber Wulfric fühlte sich um ein Gutteil besser, als er das Metallstück nach einem letzten Hammerschlag zum Abkühlen in das Wasserbassin tauchte.

„Wie soll ich es härten?“, fragte er listig und wie beiläufig den Meister.

Doch Marten lächelte nur. „Das beste Mittel, eine Klinge unzerbrechlich zu machen, ist das Blut eines niederträchtigen Feindes“, schmunzelte der alte Mann, der sich noch nie eines seiner Geheimnisse aus der Nase ziehen lassen hatte. „Sieh lieber zu, dass du es ordentlich in den Griff einpasst. Da, nimm von dem Holz dort drüben.“

Wulfric stapfte gehorsam zu den hölzernen Messergriffen hinüber, die Martens Schwager Meister Holwic am Morgen geliefert hatte. Ein Stück aus festem Eichenholz gefiel ihm besonders, doch schon bald verfluchte er sich für seine Wahl. Nicht zu fassen, welchen Widerstand das Holz der Feile bot, mit der er es zurecht schmirgeln wollte.

„Na, da hat sich unsere Hofschranze wohl etwas zu viel vorgenommen, wie“, kommentierte Moran hämisch, als er den Lehrling nach einer geraumen Zeit immer noch in der Ecke hocken sah. Doch Wulfric feilte verbissen weiter. Der Vorsprung, den er zu glätten hatte, war schließlich kaum dicker als zwei Schmetterlingsflügel, es konnte doch nicht so schwierig sein, diese kleine Unebenheit zu beseitigen. Wieder passte er die Klinge ein und konnte dabei die blutenden Finger kaum öffnen. Er hatte sich inzwischen zwar reichlich Schwielen und Hornhaut erworben, aber diese Arbeit war selbst dafür zu übel. „Willst du denn den ganzen Tag dort hocken bleiben?“, lästerte der Geselle nach dem Mittagessen, als Wulfric noch immer feilte, als gelte es sein Leben.

Am Abend kam Marten in Wulfrics Ecke. Er nahm ihm den Holzgriff aus der Hand, brachte mit der Linken den mächtigen Schleifstein auf Höchstgeschwindigkeit und hielt das knorrige Eichenholz dagegen. Der Griff heulte auf wie eine gequälte Katze, Späne flogen. Mit sicherem Blick musterte Marten die Kante, schob dann die Klinge hinein. Sie passte perfekt. „Das ist gemein, nicht?“, lächelte der Schmied. Wulfric nickte stumm. Aber als Marten zwei Niete durch das Holz trieb und ihm den Dolch zurück in die geschundenen Finger legte, war er doch sehr zufrieden.

In den kalten Wintertagen gab es wenig Arbeit für den Schmied. Oft ging der Meister abends hinüber in den „Sandlöwen“, um mit seinem Schwager dem Drechsler und seinem Bruder dem Stellmacher über den Gang der Welt zu diskutieren. Im Haus des Meisters blieben Wulfric, Moran, Goric und Rolf dann beim Herdfeuer, und es gab viel Zeit für Gespräche und Geschichten. Meist ging es um die hübsche Tochter des Meisters oder um die Heldentaten, die Moran angeblich als Zwölfjähriger im letzten Krieg gegen die Moglàt vollbracht hatte. Wulfric beteiligte sich selten an den Reden und hörte meist nur mit einem Ohr hin. Aber er horchte doch auf, als eines Abends die Rede auf die Kunst kam, ein unzerbrechliches Schwert zu schmieden.

„Ist das überhaupt möglich?“, fragte Rolf mit nach oben gezogenen Augenbrauen.

„Sicher ist es möglich“, gab Moran großspurig zurück und lehnte sich in Martens Schaukelstuhl nach hinten. Wulfric verschlang ihn fast mit den Augen. „Es ist natürlich ein Geheimnis dabei, und die Meister geben es nicht gern weiter. Aber ich habe einmal gehört, wie der Alte sich mit einem Zunftgenossen darüber unterhalten hat.“ Moran hörte mit dem Schaukeln auf und beugte sich verschwörerisch nach vorn. „Versprecht mir, dass ihr es niemandem verratet.“

„Wir versprechen es“, sagten Goric und Rolf wie aus einem Mund, und auch Wulfric brachte irgendwie ein krächzendes „Versprochen“ über die Lippen. Sein Hals war vor Aufregung wie zugeschnürt.

„Es ist nämlich so, dass nur die mutigsten Schmiede ein solch unzerstörbares Schwert schmieden können. Man muss mit seinem Werkzeug nachts in die Katakomben der alten Ambossmeister gehen. Und dort, wo alle die alten toten Schmiede Iras aufgebahrt sind, dort unten zwischen Särgen und Totenschädeln muss man sein Schwert schmieden. Die alten Schmiede selbst haben an ihrer Begräbnisstätte eine kleine Schmiede gebaut. Und aus dieser Totenschmiede von Ira stammen alle unbesiegbaren Waffen, die unsere Hauptleute im Kampf gegen die Moglàt ins Feld führen. Man muss aber des Nachts dort schmieden. Dann, wenn die Geister der Schmiedeahnen aus ihren Särgen steigen. Denn dann geht ihre magische Kraft auf das Eisen über, und es wird unzerstörbar. Es sind aber schon viele Schmiede nicht wieder lebendig herausgekommen aus Iras Totenschmiede. Manchen haben die Geister bei lebendigem Leib das Herz aus der Brust gerissen. Und viele, die man am Morgen in den Räumen fand, waren vor lauter Angst gestorben. Sie hatten die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen, und die Gesichter waren zu schrecklichen Grimassen erstarrt. Die Armen liegen jetzt selbst aufgebahrt in den Katakomben, und sie sollen besonders grausam sein, wenn neue junge Schmiede ihr Glück versuchen wollen. Nein, keine zehn Pferde kriegen mich je bei Nacht in diese Totenschmiede, das sage ich euch. Und wenn der Zauber tausendmal unzerstörbare Schwerter schaffen kann ...“

Wulfrics Augen leuchteten. Er strahlte den Gesellen an, als habe Moran ihm soeben ein kostbares Geschenk gemacht. So sah er nicht, dass Rolf und Goric sich gegenseitig feixend in die Rippen stießen.

In dieser Nacht ging Wulfric früh zu Bett und sorgte auch dafür, dass die anderen sich bald zur Ruhe begaben. Es dauerte gar nicht lange, dann verrieten tiefe, regelmäßige Atemzüge, dass Moran eingeschlafen war.

Es war stockfinster, als Wulfric aus dem Haus huschte. Den Hammer in der Rechten, den Rohling der Schwertklinge unter dem Mantel fest an die Brust gedrückt, schlich er wie ein nächtliches Phantom durch die Straßen. Er kannte den Weg zu den alten Schmiedekatakomben. Im Sommer hatte er mit anpacken müssen, als einer der alten Ambossmeister dort aufgebahrt wurde. Er und Moran hatten damals zu den Sargträgern gehört. Und er hatte sich noch gewundert über den urtümlichen Amboss, der in der Mitte der Höhle aufgestellt war.

Der junge Mann schaute sich um. War da ein Geräusch? Einen Augenblick lang hatte er geglaubt, Schritte im Dunkel zu hören. Ärgerlich warf er den Kopf in den Nacken. Ein Held aus Surbolds Stamm durfte keine Angst zeigen. Und schon gar nicht in der königlichen Festung Ira.

Da. Dort vorne musste der Eingang sein. Mit katzengleicher Gewandtheit schlich er auf die dunkle Öffnung zu. Wulfric konnte im Dunkel besser sehen als die meisten der Steppenbewohner, doch als ihn nun die Schwärze der finsteren Gänge entgegenschlug, verzögerte sich sein Schritt. Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, tastete er sich die feuchten Treppenstufen hinab. Klamme eisige Luft hauchte ihm entgegen wie der Atem der alten Totengötter. Ihm fröstelte. Mit den Fingerspitzen an den glitschigen Steinwänden entlangfahrend, erreichte er den Fuß der Treppe. Endlich fanden seine Finger, wonach er suchte. In einer Wandnische ertastete er Zunderschwämmchen und Feuerstein, daneben einige Pechfackeln. Wulfric betete zu allen Schutzgöttern des Feuers und Eisens, dass der klamme Schwamm trocken genug war. Wütend schlug er die Steine aneinander. Funken, wieder Funken, da endlich hatte der Schwamm Feuer gefangen. Wulfric entzündete die Fackel, und warmes, goldenes Licht strömte durch den Raum.

Die Höhlenwände waren schwarz vom Fackelrauch der Jahrhunderte, der Boden glattgeschliffen von den Schritten Tausender Sargträger. Wulfric hatte Mühe, auf dem blanken Stein nicht auszugleiten. Doch als er seine eigenen Schritte durch den weiten Raum hallen hörte, gewann er rasch an Sicherheit und trat entschlossener auf. Seine Ahnen waren mindestens so ehrwürdig wie die Geister der alten Schmiede, die hier wohnten.

Wulfric durchmaß den Vorraum und trat in den dunklen Gang, der zur Halle der Schmiede führte. Der Rauch der Fackel wurde beißend und drang ihm in die Lunge. Hustend erreichte der junge Mann das Ende des niedrigen Tunnels. Vor ihm traten die Höhlenwände auseinander. Wulfric atmete tief ein. Im rötlichen Halbdunkel lag die Geisterschmiede vor ihm.

Drei Mannslängen hoch zogen sich rechterhand die Regale bis weit in den Raum hinein, dorthin, wo sich der Fackelschein verlor. Sorgsam aufgestapelte verwitterte Totenschädel blickten ihm aus schwarzen Augenlöchern entgegen. In einem der Augen sah Wulfric für Sekundenbruchteile ein Licht aufblinken und hob die Hand grüßend an seine Stirn. Es mochte, dem Brauch Iras folgend, eine Münze in dem Schädel liegen als letzte Gabe an den Verstorbenen.

Mächtige Sarkophage standen aufgereiht in der linken Hälfte des Raumes. Auf vielen war als Wappen eine Wolfsmaulzange eingelassen, die von zwei Vorschlaghämmern gekreuzt wurde, das alte Zeichen der Ambossmeister aus Ira. In der Mitte des Raumes aber stand auf einem Holzblock der riesenhafte Amboss der Schmiedeahnen und daneben die Esse.

„Surbolds Sohn grüßt die Ahnen der Schmiede“, sprach er und nickte noch einmal in die Runde der Sarkophage und Schädel. „Möge euren Geistern Frieden beschert und eure Ruhe unangetastet bleiben.“ Mit diesen Worten trat er an die Esse, schaufelte ein wenig Kohle aus dem daneben stehenden Kohleeimer hinein und entzündete das Feuer. Ein leichter Luftzug verriet ihm, dass der gemauerte Kamin noch immer einwandfrei arbeitete. Er griff zum Blasebalg und ließ die Flammen hell aufflackern, legte dann das Eisen hinein. Noch nie hatte er mit solcher Hingabe Luft in die Kohlen gepumpt, wie in dieser Nacht.

Endlich glühte das Eisen weiß auf, und blitzschnell war Wulfric bereits am Amboss. Die Spitze war rasch gefertigt. Mit der flachen Seite des Vorschlaghammers hieb Wulfric an der rechten Kante des Eisens entlang, hundert, tausend Hammerschläge, dicht bei dicht, fielen im schnellen Takt auf den Amboss. Wulfric schlug eine saubere Mittellinie, wendete dann das Eisen, und erneut fielen hageldichte Hiebe mit der Präzision, die er bei Meister Marten gelernt hatte.

Wulfric holte tief Atem. Bei der Arbeit war er gewaltig ins Schwitzen gekommen. Mit dem rußigen Handrücken fuhr er sich über die feuchte Stirn. Doch es war ihm egal, dass sein Gesicht mit Kohle verschmiert war. Stolz hielt er sein Werk in die Höhe und sah zu, wie das rötliche Licht sich auf der rußigen Oberfläche brach. „Du sollst Dellingr heißen“, sprach Wulfric feierlich. „Und so lange Movennas bester Krieger dich führt, soll das Heer unbesiegt bleiben.“

Wulfric stutzte. Ein Geräusch, ein leises Knirschen drang an sein Ohr. Das kam von links, dort von den Sarkophagen her. Da, einer der Steindeckel schob sich zur Seite. Eine Hand wurde sichtbar, ein weißer Schimmer wie von einem Leichenhemd. Ein hohles Stöhnen drang aus dem Dunkel, dann erhob sich eine Gestalt aus dem Schatten und reckte drohend die Hand in Wulfrics Richtung.

„Wä daut is, dä shall ok liggen blieven“, rief Wulfric aus und verfiel in den alten, heimatlichen Dialekt der Westküste. In einer fließenden Bewegung riss er das Schwert in die Höhe und stieß es dem Geist in die Brust. Blut schoss hervor, das Gespenst taumelte, stürzte zurück in den Sarkophag. Wulfric starrte verblüfft auf die Klinge. Dass Gespenster Blut verloren, hatte er nicht gewusst. Er wischte das Schwert an seiner Schürze ab. Dann nahm er einen kleineren Hammer und gravierte in die Klinge die alte Weisheit aus seiner Geburtsstadt Dichtaby ein: „Wer tot ist, der soll auch liegen bleiben.“ Im frühen Morgenrot verließ er die Höhle.

Wenige Tage später wagten die Moglàt einen neuen Angriff auf Movennas Westgrenze, und Wulfric nahm Abschied von Meister Marten, um in den Krieg zu ziehen. Moran aber hat er seit jener Nacht nie wieder gesehen.

*

„Nimm’s nicht so schwer, Großer.“ Sparrows Hand legte sich auf die Schulter des Riesen. „Hat Wulfric selbst nicht gesagt, so lange das Heer unbesiegt ist, soll Movennas bester Krieger das Schwert führen?“

Orh hob den Kopf. So herum hatte er die alte Prophezeiung nie gehört. Dann nickte er.

„Wä daut is, dä shall ok liggen blieven“, murmelte der Bernländer und blickte ein letztes Mal zurück. Die alte Klinge würde dort unten liegen bleiben und vergehen. Mochte Reene sie in ihr blaues Reich aufnehmen. Ein würdiger Platz für ein Schwert, das nie zerbrechen würde.

Ein Prinz für Movenna

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