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3Publizistik- und Kommunikationswissenschaft – Anmerkungen zum Fach

3.1Das Selbstverständnis der PKW: Was ist sie und was tut sie?

Kommunikationswissenschaft beschäftigt sich mit den Phänomenen der Kommunikation als einer Form des „sozialen Handelns“ (Burkart, 2019, S. 25–28), wobei die massenmedial vermittelte, also öffentliche Kommunikation – so die mehrheitliche Auffassung der Fachvertreter – im Mittelpunkt steht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Fach in verschiedenen Ländern verschiedene Institutionalisierungen erfahren hat und sich unterschiedliche Schwerpunkte gebildet haben. Die Problematik des fachlichen Selbstverständnisses beginnt bei seinem konstitutiven Begriff, von dem unzählige Definitionen existieren.

Kommunikation kann mit Gerhard Maletzke (1963, vgl. dazu Burkart, 2019, S. 21–23) als „Bedeutungsvermittlung zwischen Lebewesen“ begriffen werden. Mit dieser Definition ist zum einen bereits gesagt, dass in unserer Wissenschaft Kommunikationsprozesse zwischen „Nicht-Lebewesen“ (wie bspw. datenverarbeitenden Maschinen) ausgeklammert werden. Zum anderen wird damit auf den „sozialen“ Aspekt von Kommunikation verwiesen: Ein Kommunikationsprozess benötigt stets (mindestens) zwei Partner.

Handeln bezeichnet die Fähigkeit von Menschen, bewusst und absichtsvoll Ziele zu verfolgen. Der wesentliche Unterschied zwischen Mensch und Tier besteht gemäß dieser Perspektive in der Instinktgebundenheit tierischen Verhaltens und in der – relativen – Instinktun- gebundenheit menschlichen Handelns. Der Begriff des „sozialen Handelns“ meint, dass sich das Handeln in seinem Ablauf an der Existenz bzw. am Handeln anderer Personen orientiert – m. a. W. „der Andere“ (lat. socius = der Gefährte) ist in der Vorstellung des Handelnden (mental) stets präsent. Spätestens seit Max Weber ist der Begriff des „sozialen [25] Handelns“ ein zentraler Begriff der Soziologie. Gleichsam in Entsprechung dazu ist der Begriff des „kommunikativen Handelns“ ein zentraler Begriff der Kommunikationswissenschaft (vgl. dazu Burkart, 2019, S. 25–33).

Die für den deutschsprachigen Raum maßgebliche „Deutsche Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft“ (DGPuK) definiert den Gegenstandsbereich der Kommunikationswissenschaft in ihrem Selbstverständnispapier wie folgt:

Die Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigt sich mit den sozialen Bedingungen, Folgen und Bedeutungen von medialer, öffentlicher und interpersonaler Kommunikation. Der herausragende Stellenwert, den Kommunikation und Medien in der Gesellschaft haben, begründet die Relevanz des Fachs.

Die Kommunikations- und Medienwissenschaft versteht sich als theoretisch und empirisch arbeitende Sozialwissenschaft mit interdisziplinären Bezügen. Sie leistet Grundlagenforschung zur Aufklärung der Gesellschaft, trägt zur Lösung von Problemen der Kommunikationspraxis durch angewandte Forschung bei und erbringt Ausbildungsleistungen für eine seit Jahren dynamisch wachsende Medien- und Kommunikationsbranche. Geschichte, Gegenwart und Zukunft der gesellschaftlichen Medien- und Kommunikationsverhältnisse stehen im Mittelpunkt von Forschung und Lehre.

Forschung und Lehre in der Kommunikations- und Medienwissenschaft verändern sich, da sich Kommunikation, Medien und Gesellschaft durch Digitalisierung, Globalisierung, Individualisierung, Mediatisierung und Ökonomisierung wandeln. Vor diesem Hintergrund hat sich die DGPuK, die Fachgesellschaft der Kommunikations- und Medienwissenschaft, auf Eckpunkte für ein Selbstverständnis des Faches geeinigt.

Diese Eckpunkte sind weit ausgelegt, denn eine Fachgesellschaft sollte die Vielfalt der Fachgemeinschaft widerspiegeln. Das Selbstverständnis der Fachgemeinschaft bildet einen weiten Rahmen. Einzelne Lehr- und Forschungseinrichtungen können und sollen ein spezifisches Profil ausbilden und kommunizieren, auch um ihren verschiedenen Anspruchsgruppen eine klare Orientierung geben zu können. (DGPuK, 2008)

Aber auch diese Definition wird von unterschiedlichen Seiten kritisiert, etwa mit Blick auf die Nichteinbeziehung der direkten Kommunikation. So plädiert Hipfl dafür, dass sich die PKW nicht auf die indirekte, medial vermittelte Kommunikation beschränken soll, sondern [26] „auch tatsächlich Kommunikation als Ausgangspunkt ihrer Untersuchungen und Analysen“ (Hipfl, 2002, S. 13) nehmen soll. Allerdings hat Rühl in diesem Zusammenhang schon längst deutlich gemacht, dass mit dieser fraglos richtigen Hinwendung zum Kommunikationsprozess keineswegs der Anspruch verbunden sein kann, für jedwede Problematik aus dem Bereich der Humankommunikation zuständig zu sein (vgl. Rühl, 1985). Das erinnert ein wenig an den Wiener Ordinarius der 1970er-Jahre Kurt Paupiè, der die Publizistikwissenschaft selbstkritisch als „Bisserl-Wissenschaft“ bezeichnet hat und damit auf die Notwendigkeit verwies, sich auf ausgewählte Forschungsbereiche zu konzentrieren.4

Wie stark sich die Dynamiken der gesellschaftlichen Entwicklungen auf das Fach der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft selbst ausgewirkt haben, wird deutlich, wenn man sieht, welche unterschiedlichen Fachgruppen sich mittlerweile in der DGPuK etabliert haben: Digitale Kommunikation; Gesundheitskommunikation; Internationale und interkulturelle Kommunikation; Journalistik/Journalismusforschung; Kommunikation und Politik; Kommunikations- und Medienethik; Kommunikationsgeschichte; Medien, Öffentlichkeit und Geschlecht; Medienökonomie; Medienpädagogik; Mediensport und Sportkommunikation; Mediensprache – Mediendiskurse; Methoden der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft; PR- und Organisationskommunikation; Rezeptions- und Wirkungsforschung; Soziologie der Medienkommunikation; Visuelle Kommunikation; Werbekommunikation und Wissenschaftskommunikation (vgl. DGPuK, 2021). Diese Auflistung zeigt deutlich, wie die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft auf die gesellschaftlichen Herausforderungen reagiert hat. [27]

3.2Facetten der PKW

Wie weiter oben erwähnt, kann der Gegenstand der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft über ihr Materialobjekt und über ihr Formalobjekt bestimmt werden. Materialobjekte sind die einzelnen Mediengattungen (bspw. Print, Audiovisuell, Online), Gespräche zwischen Menschen („Kommunikationsakte“) sowie institutionalisierte kommunikative Handlungen wie der Journalismus. Formalobjekte zeichnen sich dagegen dadurch aus, dass man die Materialobjekte aus einem bestimmten Blickwinkel/einer bestimmten Perspektive heraus betrachtet – also ob Kommunikationsprozesse bspw. für die Öffentlichkeit bestimmt sind, ob sie beeinflussen wollen, ob sie Objektivität für sich beanspruchen usw. (vgl. dazu Bonfadelli et al., 2010, S. 7–8).

Tab. 2: Facetten der (Massen-)Kommunikations-, Medien- und Publizistikwissenschaft


Quelle: Bonfadelli et al., 2010, S. 8.

3.3Die „Lasswell-Formel“ – eine „klassische“ Differenzierung der PKW

Neben der Einteilung in Formal- und Materialobjekte kann man die Kommunikationswissenschaft auch ganz grob entlang der sog. „Lasswell-Formel“ (Harold Lasswell, 1948, vgl. dazu Burkart, 2019, S. 419–421) in bestimmte Forschungsfelder einteilen, wobei man diese Formel als Orientierungshilfe und nicht als letztgültige Abgrenzung und Eingrenzung [28] des Faches sehen darf. Sie lautet: „Who says what in which channel to whom with what effect?“ – und ist vermutlich der meistzitierte (Frage-)Satz aus unserer Fachtradition. Die Frage bezieht sich auf die Struktur der (öffentlichen) Kommunikationsprozesse:

WhoKommunikator
says whatInhalt; Aussage
in which channelMedium
to whomRezipient
with what effectWirkung

•Kommunikator – Kommunikatorforschung

Hier stehen die Medienschaffenden (Akteure) in ihrem engeren oder weiteren Berufsfeld im Mittelpunkt (Vertreterinnen von Journalismus, Public Relations, Werbung), es geht zentral um Prozesse der Produktion von Medienbotschaften. Kommunikatoren können bspw. Parteien, Verbände, Kirchen, Unternehmen etc. sein.

•Inhalt; Aussage – Medieninhalts- bzw. Aussageforschung

In diesem Bereich interessieren vor allem die durch Massenmedien in Form von manifesten und latenten Aussagen produzierten Medienrealitäten (Kommunikate).

•Medium – Medienforschung

Hier werden die vielfältigen Organisationen des Mediensystems, die Strukturen im Mediensystem und deren Entwicklung untersucht. Dazu gehören auch die formalen Angebotsweisen sowie die technisch bedingten Eigengesetzlichkeiten und Funktionsweisen.

•Rezipient – Nutzungsforschung

Unter Rezipienten versteht man die Leser, Hörer und Seher von Medien, also die verschiedenen Publika. Die Publika der Massenmedien, ihre Strukturen und Muster der Mediennutzung und die dahinter stehenden Wünsche und Erwartungen (Motivations- und Gratifikationsforschung) stehen hier im Vordergrund des wissenschaftlichen Interesses.

•Wirkung – Wirkungsforschung

Von Interesse sind hierbei die individuellen und sozialen, intendierten und zufälligen, kurz- wie langfristigen, sozial erwünschten, aber auch schädlichen Effekte der Massenmedien auf Wissen, Einstellungen, Emotionen und Verhaltensweisen. Es geht also um die kurz- und langfristigen Folgen der Medienzuwendung für den Menschen und die Gesellschaft (bspw. psychologische Einstellungsforschung, soziologische Diffusionsforschung). [29]

Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich eben nicht alle kommunikationswissenschaftlich relevanten Forschungsinteressen in diesem Modell unterbringen lassen: So ist bspw. die Frage nach dem Warum nicht gestellt, d. h., dass Motive und Interessen der am Kommunikationsprozess Beteiligten keine Berücksichtigung finden, und ebenso wird hier die Reziprozität, also der interaktive Charakter, ausgeblendet. Kommunikation ist keine „Einbahnstraße“, d. h., man darf sich diesen Prozess niemals nur einseitig von A nach B (von Sender zu Empfänger) ablaufend vorstellen (vgl. dazu Burkart, 2019, S. 420–422). Dies wurde jedenfalls lange Zeit (falsch) mit Blick auf die „legendäre“ Lasswell-Formel unreflektiert unterstellt. Bisweilen geschieht dies auch heute noch.

Darüber hinausgehend stellen auch die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Massenkommunikation abspielt, sowie die ökonomischen Voraussetzungen und die medientechnologische Basis einen Gegenstand der Forschung dar.

3.4Teildisziplinen und Praxisbereiche der PKW

Von den Forschungsfeldern zu unterscheiden sind die sog. Teildisziplinen der Kommunikationswissenschaft (vgl. Langenbucher, 1994):

•Kommunikationstheorie

•Methoden der Kommunikationsforschung

•Medienlehre und Medienkunde

•Kommunikations- und Mediengeschichte

•Kommunikations- und Medienpolitik

•Kommunikations- und Medienökonomie

•Kommunikations- und Medienpraxis

Diese klassische Unterteilung wird zeitgemäß ergänzt durch Kommunikations- und Medienpsychologie, Kommunikations- und Medienethik, Medienpädagogik und Kommunikationssoziologie.

Hier zeigt sich auch ganz deutlich die Interdisziplinarität der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Die Kommunikationswissenschaft versteht sich als eine interdisziplinäre Sozialwissenschaft, d. h., es ist kaum möglich, sie begrifflich und vom Objektbereich her von anderen Wissenschaften abzutrennen. Fragestellungen reichen in andere verwandte Wissenschaften hinüber: Im engsten Kreise der Verwandtschaft stehen Soziologie, Psychologie und Politikwissenschaft, aber auch die Wirtschaftswissenschaften, die Geschichtswissenschaft, Pädagogik, Sprachwissenschaft bis hin zur Rechtswissenschaft teilen mit ihr Forschungsgebiete. Dieser Umstand wird im Allgemeinen als [30] positiv befruchtend aufgefasst, weil er erlaubt, bei der Erforschung der kommunikativen Realität verschiedenste Perspektiven einzunehmen.

Die Allgegenwart medialer Kommunikation ermöglicht vielfältige Beziehungen zu anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Besonders enge Kooperationsbeziehungen bestehen zu Fächern, mit denen die Kommunikations- und Medienwissenschaft gemeinsame Forschungsfelder oder Studiengänge ausgebildet hat. Beispiele für Forschungsfelder sind Kommunikations- und Medienethik, Kommunikationspolitik, Mediengeschichte, Medienlinguistik, Medienökonomie, Medienpädagogik, Medienpsychologie, Medienrecht, Mediensoziologie und Medientechnologie, politische Kommunikationsforschung und visuelle Kommunikation; von großer Bedeutung ist auch die Kooperation mit der geisteswissenschaftlich orientierten Medienwissenschaft. In allen diesen Bereichen findet ein erfolgreicher Austausch auf theoretischer und empirischer Ebene statt. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft greift in Forschung und Lehre gesellschaftliche Wandlungsprozesse auf. Zentrale Stichworte sind hier Digitalisierung, Globalisierung, Individualisierung, Mediatisierung und Ökonomisierung. (DGPuK, 2008)

3.5Generelle wissenschaftstheoretische Positionen mit Fokus auf die Sozialwissenschaften

3.5.1Wissenschaftstheoretische Blitzlichter

Wissenschaftstheorie ist ganz basal formuliert die Wissenschaft von der Wissenschaft in all ihren Ausformungen und Facetten. Wissenschaft bedeutet, dass die Frage nach dem Warum gestellt wird, es ist das systematische und methodische Weiterfragen, und dies seit der klassischen griechischen Antike, der Geburtsstätte „unserer abendländischen rationalen Kultur“ (Poser, 2001, S. 11). Das Aufgabenverständnis der Wissenschaftstheorie kann dahingehend beschrieben werden, dass es um die Aufklärung über Wissenschaft geht, nämlich „über die Bedingungen ihres Funktionierens, ihrer Stagnation, Degeneration und Progression. […] Sie ist keine Metatheorie, keine Überwissenschaft, keine Methodologie a priori“ (Fischer, 1995, S. 254).

Dies führt in weiterer Folge dazu, dass man sich mit Fragen der Erkenntnis auseinandersetzen muss. Denn Wissenschaftstheorie ist immer auch ein Teil der Erkenntnistheorie, auch wenn Fragestellungen nach Erkenntnis viel weiter zurückgehen als Fragen der Wissenschaft selbst. [31]

Das Ziel der Wissenschaft ist es, Erkenntnis zu gewinnen. Wie man zu Erkenntnissen gelangt, wird in der Wissenschaftstheorie intensiv diskutiert, es gibt dazu unterschiedliche Zugänge und Vorstellungen.

Nur um zu illustrieren, wie sich wissenschaftstheoretisches Denken entwickelt hat und wie lange es die Beschäftigung mit derartigen Fragen schon gibt, soll auf die drei großen Denker Griechenlands verwiesen werden: Sokrates, Platon und Aristoteles, wobei „von denen der Jüngere jeweils der Schüler des Älteren war“ (Störig, 1999, S. 137). Diese Zeitspanne (Philosophie der Antike) war prägend für die gesamte philosophische Entwicklung, da sowohl Logik, Metaphysik, Ethik, Natur- und Gesellschaftspolitik, Ästhetik und Pädagogik (vgl. Störig, 1999) ausgebildet wurden. Diese Bereiche bilden das Fundament, auf dem auch heute noch die unterschiedlichen Wissenschaften aufbauen, ihre unterschiedlichen Entwicklungen beeinflussen unser heutiges Wissenschaftsverständnis.

Platon geht davon aus, dass Erkenntnis durch Begriffe erzielt wird, aber nicht durch Wahrnehmung. Aristoteles hingegen geht davon aus, dass Menschen von sich aus nach Wissen („theoretische Neugier“) und damit nach Erfahrung streben. Bereits Aristoteles suchte nach sicheren Begründungen: „Er geht von der Welt unserer Erfahrungen aus, vom gesunden Menschenverstand und nicht von kühnen Thesen“ (Hauk, 2003, S. 80). Mit Aristoteles kann der Beginn der Verwissenschaftlichung der Welt angesetzt werden (vgl. Störig, 1999).

Ausgehend von diesen sehr frühen, aber sehr grundsätzlichen Auseinandersetzungen haben sich zahlreiche Wissenschaftsströmungen entwickelt: Positivismus, Empirismus, Rationalismus, Logischer Empirismus/Logischer Positivismus, Kritischer Rationalismus, Kritische Theorie, Grounded Theory. Auf diese Strömungen soll an dieser Stelle nicht im Detail eingegangen werden, es sollen nur ein paar grundlegende Fakten festgehalten werden: Es gibt nicht das eine Konzept, das Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie darstellt, sondern nur mehrere Zugänge und Ansichten dazu. Das Verständnis von Wissen und wie es erzeugt wird, ist auch immer geprägt von den gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund haben sich eben die verschiedenen Strömungen entwickelt, die verschiedene Begründungen für Erkenntnis und Theorie anführen (vgl. dazu bspw. Lauth & Sareiter, 2005; Schülein & Reitze, 2021; Steininger & Hummel, 2015).

Im Kern drehen sich die zentralen – und hart diskutierten – Unterschiede aller wissenschaftstheoretischen Positionen um die Frage, wie und unter welchen Bedingungen Erkenntnis erlangt werden kann. Die Grundfrage ist also, ob Erkenntnis durch Erfahrung, also durch Wahrnehmungen [32] erlangt werden kann (Empirismus) oder ob die Quelle der Erkenntnis der Verstand ist (Rationalismus), die Erkenntnis also auf Sätzen gründet, deren Wahrheit im Lichte der Vernunft „selbstevident“ sind.

In einer sehr (!) reduzierten Beschreibung basiert der Empirismus auf der Annahme, dass jede Erkenntnis und alles Wissen über die Welt nur durch die innere oder äußere Empfindung/Wahrnehmung/Erfahrung möglich ist. Alles Wissen entsteht damit erst durch die Erfahrung. Sinneserfahrung und Beobachtung gelten als Erkenntnisquelle. Im Rationalismus ist die „Ratio“, sind das Denken und die Vernunft die einzige oder wichtigste Erkenntnisquelle. Aus diesen Zugängen leiten sich auch die „klassischen Vorgänge“ für die Begründung und Überprüfung von Hypothesen/Theorien ab: die axiomatische Wissenschaft und die empirische Wissenschaft.

Die axiomatische Wissenschaft folgt dem Konzept einer nicht-empirischen (erfahrungsunabhängigen) Begründung der wissenschaftlichen Erkenntnis (v. a. in Mathematik und Naturwissenschaft), die Erkenntnis folgt aus logischen Folgerungen, dies erfordert formale Logik. Der zentrale Begriff der formalen Logik ist dabei die logische Folgerung (Deduktion). In der axiomatischen Theorie gibt es eine Liste von Axiomen, das sind grundlegende Annahmen der Theorie über den jeweiligen Geltungsbereich. Aus diesen Axiomen können alle anderen Aussagen der Theorie als logische Deduktion abgeleitet werden. Diese Aussagen sind Theoreme. Die Gültigkeit der Theoreme ist sichergestellt, vorausgesetzt, die Axiome sind korrekt. Die Verifikation der Axiome erfolgt nicht durch formallogische Vorgänge, sondern durch die Berufung auf unmittelbare Evidenz oder auf Erfahrung und Experiment. Das (große) Problem dabei ist: Axiome sind letztlich Basissätze, die nur per Konsens, damit letztlich dogmatisch begründet werden (aber weder induktiv noch deduktiv). Die empirische Wissenschaft folgt dem Modell einer empirischen Begründung und Überprüfung von wissenschaftlichen Theorien. Die Zuschreibung von Wahrheitswerten zu den Axiomen einer wissenschaftlichen Theorie erfolgt auf empirischer Basis, also auf Grundlage von Beobachtungen, Messungen, Experimenten, die Axiome sollen durch Induktion begründet werden, also durch eine induktive Verallgemeinerung von empirischen Befunden (vgl. Lauth & Sareiter, 2005, S. 18–20).

Beide Strömungen haben zahlreiche Befürworter und Kritiker gefunden, die Diskussion wurde im 20. Jahrhundert noch durch eine große Frage erweitert: Sind naturwissenschaftliche Methodenideale auf die Methoden der Sozialwissenschaften übertragbar? Können absolute, unbeeinflusste Fragen gestellt und derartige Aussagen getroffen werden? Dabei geht es im Kern um den Einfluss von Werten, [33] d. h. von persönlichen Meinungen, politischen Anschauungen etc., auf die wissenschaftliche Arbeit. Daraus entwickelten sich wirkungsmächtige Diskurse: der sog. Positivismusstreit und die Werturteilsproblematik.

Der Positivismusstreit wird den beiden damals wie heute herausragenden Theoretikern Theodor W. Adorno und Karl Popper zugeschrieben, schreibt sich de facto aber bereits seit über hundert Jahren durch die sozialwissenschaftliche Debatte fort. In dieser Auseinandersetzung, die zwischen Karl Popper, Vertreter des Kritischen Rationalismus, und Theodor W. Adorno, Vertreter der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule, in den 1960er-Jahren ausgetragen wurde, ging es um die Zielsetzungen und das Methodenverständnis der Sozialwissenschaften. Für Popper hatte die Theorie zwar einen wichtigen Stellenwert, aber er war der Meinung, dass mit den Methoden der Naturwissenschaften gesellschaftliche Probleme untersucht werden können, um Problemlösungen zu finden. Adorno plädierte für die Veränderung der gesamten gesellschaftlichen Verhältnisse („Totalität der Gesellschaft“), denn jede Beobachtung der Gesellschaft sei von der Forscherperspektive beeinflusst. Auch Popper war klar, dass werturteilsfreie Wissenschaft nicht möglich ist, da Forscher nicht unvoreingenommen sind, aber durch das Falsifikationsprinzip könnten – so Popper – bestehende Ergebnisse immer wieder in Frage gestellt und es könnte somit die Wirklichkeit/Realität besser verstanden werden.

Bei der Werturteilsproblematik, einer Diskussion, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland intensiv geführt wurde, ging es darum, inwieweit persönliche Wertvorstellungen und politische Einstellungen die wissenschaftliche Arbeit beeinflussen. Max Weber versuchte zwischen Tatsachen und Werturteilen zu unterscheiden, also zwischen Erfahrungswissen und Werturteil. Eine Tatsachenbehauptung „vermag niemanden zu lehren, was er soll, sondern nur, was er kann und – unter Umständen – was er will“ (Weber, 1968, S. 6) und ist in diesem Sinne objektiv und wertfrei. Werturteile sind Aussagen, sind Soll-Sätze, die objektiv nicht begründbar sind, wie bspw.: Eine Sozialwissenschaftlerin sollte sich nicht an Spekulationen beteiligen.

In den Sozialwissenschaften werden zwei Positionen vertreten. Die eine, die mit Max Weber und auch Vertretern des Kritischen Rationalismus wie Karl Popper zu verbinden ist, tritt für das Postulat der Wertfreiheit ein. Die Vertreter der Kritischen Theorie, wie Theodor W. Adorno oder Jürgen Habermas, lehnen das Wertfreiheitspostulat ab, denn eine Kritik an der Gesellschaft sei ohne die Vermischung von Wert- und Sachaussagen grundsätzlich nicht möglich (vgl. Opp, 2014). Das Wertfreiheitspostulat [34] von Opp lautet, dass ein Wissenschaftler deutlich machen soll, „welche Äußerungen Wertungen und welche seiner Äußerungen objektsprachliche, d. h. Sachaussagen sind“ (Opp, 2014, S. 242). In der Frage der Werturteilsproblematik ist wesentlich – so wie auch Opp (2014) argumentiert –, dass Sachaussagen und Werturteile voneinander zu trennen sind und dass es natürlich nicht möglich ist, dass Wissenschaft völlig frei von Werten ist.

3.5.2Wissenschaftstheoretische Voraussetzungen in der PKW

Steininger und Hummel (2015, S. 38) systematisieren die Fragen der Wissenschaftstheorie in der Kommunikationswissenschaft und formulieren diesbezüglich folgende Einzelfragen, die leicht adaptiert so lauten:

•Welche Ziele gibt es?

•Wie wird Erkenntnis gewonnen?

•Welche Methoden können angewandt werden?

•Welche Merkmale und Voraussetzungen liegen vor?

•Wie wird Erkenntnis überprüft?

•Wie wird Erkenntnis systematisiert?

Daraus ableitend folgern die beiden Autoren, dass es notwendig sei, sich mit der Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftsforschung (Wissenschaftssoziologie) der Kommunikationswissenschaft zu befassen, und sie verweisen darauf, dass es eben „keine allumfassende wissenschaftstheoretische Theorie [gibt], die wir in Stellung bringen, es ist vielmehr ein Überblick über die Probleme des Erkennens und der Wissenschaft, der uns als Hintergrundfolie dient“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 39–40).

Dennoch ist einer der wissenschaftstheoretischen Zugänge, der sich in der Kommunikationswissenschaft vor allem etabliert hat, der Kritische Rationalismus. „Theorien dürfen im Kritischen Rationalismus durchaus spekulativ sein, aber sie müssen sich an der empirischen Wirklichkeit messen lassen und dürfen nicht einfach ohne methodisch systematische Empirie diskutiert werden, sollen sie einen wissenschaftlichen Wert haben und über ihren spekulativen Charakter hinausweisen (vgl. Popper, 1995, S. 120)“ (Scholl, 2016, S. 92). Der Kritische Rationalismus ist der Rationalität verpflichtet und die vorläufige Bewährung oder Falsifikation von theoriegeleiteten Annahmen ist durch die Methode bedingt. Karl Popper gilt als Begründer des Kritischen Rationalismus, der von dem Modell des Falsifikationismus ausgeht. Dieses Modell besagt, dass es nicht um eine „kontinuierliche Anhäufung von Tatsachen und Gesetzen [geht], sondern durch die [35] Ersetzung schlechter Hypothesen durch bessere nähern wir uns nach Poppers ‚Logik der Forschung‘ der Wahrheit“ (Fischer, 1995, S. 232) an.

Poppers Logik der Forschung (1973) zählt zu den wichtigsten wissenschaftstheoretischen Arbeiten des 20. Jahrhunderts. Der Kritische Rationalismus lässt sich als eine Philosophie beschreiben, „die das menschliche Mitwissen betont, die Fehlbarkeit in der menschlichen Erkenntnis. […] Er [Popper] sah es als das Ziel der Wissenschaft an, zu immer besseren Theorien zu gelangen, die der Wahrheit immer näher kommen, die immer zutreffendere Darstellungen der objektiven Realität geben.“ (Gadenne, 2013, S. 125) Das Kernstück des Kritischen Rationalismus ist die Konzeption der Kritik. Ausgangspunkt jeglicher Forschung ist die problemorientierte Erkenntnissuche.

Wissenschaft ist die Suche nach Wahrheit und Erkenntnis. Theorien sind dabei „das Netz, das wir auswerfen, um ‚die Welt‘ einzufangen“ (Popper, 1973, S. 31). Um Theorien empirisch überprüfen zu können, müssen diese in Hypothesen bzw. Gesetzesaussagen formuliert werden. Allaussagen können nach Popper nie verifiziert werden. Und Poser präzisiert: „Nicht nach Wahrheitsbeweisen ist in den Erfahrungswissenschaften zu suchen, denn diese sind dort grundsätzlich unmöglich; vielmehr müssen sogenannte Naturgesetze ausschließlich als Hypothesen betrachtet werden, die so lange beibehalten werden, als sie nicht falsifiziert sind.“ (Poser, 2001, S. 120)

Um das Gegenteil zu beweisen, ist ein einziges Beispiel ausreichend. Das dabei in der Literatur zitierte Lieblingsbeispiel ist das Schwanenbeispiel. Wenn die Hypothese lautet: „Alle Schwäne sind weiß“, dann bedeutet dies, dass es logisch ist, dass es keine nicht-weißen Schwäne gibt. Jedoch gibt es in Australien schwarze Schwäne, sodass die Hypothese, dass alle Schwäne weiß sind, falsifiziert ist. Falsifizierbarkeit kann damit als „Abgrenzungskriterium zwischen Wissenschaft und Spekulation“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 71) benannt werden. Auch sind Entwicklungen nur dann möglich, wenn es nie absolute Gewissheit gibt – diese Annahme gehört zur Lehre des Fallibilismus. Nach Popper ist Erkenntnisfortschritt immer erst aus Versuch und Irrtum möglich. Wissen ist immer Vermutungswissen. Dabei geht Popper nicht von einem naiven Falsifikationismus aus, denn die falsifizierenden Befunde müssen methodisch gesichert sein, so etwa durch wiederholte Experimente oder durch die Kontrolle von möglichen Fehlerquellen (vgl. Gadenne, 2013, S. 135). Das Ziel eines jeden Wissenschaftlers sollte es laut Poppers Logik der Forschung sein, dass unablässig nach der Wahrheit gesucht wird (vgl. Popper, 1973). [36]

3.5.3Die kommunikationswissenschaftliche Fachgeschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Kommunikationswissenschaft in den USA „unter den Titeln: Communications, Communication Science, Study of Communication, seltener Communicology“ (Rühl, 2008, S. 13). Rühl zitiert in seinen Ausführungen dann Lasswell, der im Rahmen einer Festrede 1958 festhielt: „No change in the academic world has been more characteristic of the age than the discovery of communication as a field of research, teaching, and professional employment.“ (Lasswell, 1958, S. 245, zit. nach Rühl, 2008, S. 13) Dies zeigt bereits, welche Bedeutung dem Fach Kommunikationswissenschaft zugekommen ist.

An der Universität Erlangen-Nürnberg wurde 1964 der kommunikationswissenschaftliche Lehr- und Forschungsbetrieb aufgenommen. In ihrer Analyse der ersten beiden Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg kommen Meyen & Löblich zu dem Schluss, dass sich die Zeitungsbzw. Publizistikwissenschaft damals in einer Krise befunden habe (vgl. Meyen & Löblich, 2006).

Sie resümieren: „Die sozialwissenschaftlichen Ansätze, die am Ende der Weimarer Republik von zumeist jüngeren Forschern entwickelt worden waren, sind durch Emigration und durch die Annäherung der akademischen Disziplin Zeitungswissenschaft an die Propagandalehren der Nationalsozialisten verloren gegangen.“ (Meyen & Löblich, 2006, S. 10) Es wird deutlich, dass es eine kontinuierliche Entwicklung des Faches nicht gegeben hat.

Wie die Kommunikationswissenschaft als Fach begriffen werden kann, dazu gibt es divergierende Zugänge und kontroversielle Befunde. 1980 verweist Maletzke auf die historisch-hermeneutische, geisteswissenschaftliche Verortung der Kommunikationswissenschaft in Deutschland. Als bei näherer Betrachtung brüchig beschreiben Steininger & Hummel (2015) in Anlehnung an Maletzke die Beschaffenheit des Bodens der Kommunikationswissenschaft. Und sie zitieren dabei u. a. Schweiger et al. (2009), die konstatieren, dass die Selbstverständnisdebatten im Fach kontrovers geführt werden. Primär geht es um „die Begrifflichkeiten Sozialwissenschaft, Interdisziplinarität, Integrationswissenschaft und Unüberschaubarkeit der Disziplinen“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 5), wenn es um das Ringen um eine Fachidentität geht. Einerseits wird die Kommunikationswissenschaft als „interdisziplinär angelegtes Integrationsfach“ (Steininger & Hummel, 2015, S. 6) beschrieben, Hepp sieht in dieser Definition allerdings eher eine „Proklamationsethik“, da aus seiner Sicht die Kommunikationswissenschaft kontinuierlich an einer eigenständigen und transdisziplinär ausgerichteten [37] Theoretisierung arbeiten müsste (vgl. Hepp, 2005, S. 6, zit. nach Steininger & Hummel, 2015, S. 6). Um die Entwicklung des Faches zu verstehen, ist es notwendig sich mit seiner Geschichte zu befassen. Wobei Fachgeschichte dabei weder eine Art Weltgericht ist noch bestimmte Rezepte vorzugeben hat. „Vielmehr soll sie das Reflexionsniveau hoch ansetzen, um die Grundlagen der fachlichen Tätigkeit angemessen in historischer Perspektive zu erörtern.“ (Bohrmann, 2005, S. 179)

Für die Auseinandersetzung mit der Fachgeschichte können aktuell unterschiedliche Initiativen beobachtet werden, wie Averbeck-Lietz & Löblich (2017) in ihrem Sammelband über Kommunikationswissenschaft im internationalen Vergleich schreiben. Das Interesse für die institutionelle Absicherung des Faches ist gestiegen, sowohl auf Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK) als auch auf europäischer und internationaler Ebene werden dafür unterschiedliche Aktivitäten unternommen. „Diese Geschichtsschreibung erfolgt bisher allerdings weitgehend unsystematisch, aufgehängt an oft eher zufällig rekrutierten Einzelstudien und bei knappen Ressourcen – was indes miteinander zusammenhängt“ (Averbeck-Lietz & Löblich, 2017, S. 3). Um kurz darauf zu verweisen, was es bedeutet, die unterschiedlichen kommunikationswissenschaftlichen Traditionen miteinander zu vergleichen, soll zur Illustration ein Überblick über Modelle kommunikationswissenschaftlicher Forschung gegeben werden:

•„German Model“: publizistikwissenschaftlich –

politische Kommunikation

•„French Model“: semiotisch-linguistisch –

Mediensemiotik und -kultur, interpersonale Kommunikation

•„British Model“: kulturwissenschaftlich –

Medienaneignungsprozesse

•„Euro-American Model“: sozialwissenschaftlich-interdisziplinär, integrative Forschungsgegenstände

(vgl. Averbeck-Lietz & Löblich, 2017, S. 13)

Diese Übersicht verdeutlicht die unterschiedlichen internationalen Wissenschaftskulturen sehr gut und wie diese die jeweiligen kommunikationswissenschaftlichen Ausrichtungen geprägt haben. Über alle unterschiedlichen kommunikationswissenschaftlichen Fokussierungen hinweg kann als gemeinsamer Nenner die Institutionalisierung der Medienberufe, vor allem der Journalistenausbildung, „die Verbindung von Markt und Medien, den entsprechenden technologischen Innovationen, ihrem sozioökonomischen Wandel und ihrer politischen Regulierung“ (Averbeck-Lietz & Löblich, 2017, S. 14) festgemacht werden. [38]

Besonders großes Interesse sowohl der Kommunikationswissenschaftlerinnen als auch der Öffentlichkeit besteht immer an den „Wirkungen“ von Medien. Daher werden an dieser Stelle Klassiker „der Medienwirkungen“ kurz vorgestellt und besprochen:

3.5.4Wiener RAVAG-Studie. Von Paul F. Lazarsfeld (1932)

Paul F. Lazarsfeld hat bereits 1932 eine Hörerstudie für die RAVAG (Österreichische Radio-Verkehrs-A. G., Vorgängerin des ORF) durchgeführt. Das 52-seitige Manuskript galt jahrzehntelang als verschollen und der Herausgeber Desmond Mark schreibt, dass die Publikation „eine österreichische Pionierarbeit der Rundfunkforschung [ist], die als die Geburtsstunde der modernen Mediennutzungs- und Medienwirkungsforschung bezeichnet wurde“, und weiter: „Die vermutete historische Priorität der Wiener empirischen Medienforschung wird durch eine Analyse der internationalen Rundfunkliteratur der dreißiger Jahre bestätigt.“ (Mark, 1996, S. 102) Interessant ist dabei, dass auch methodische Bezüge zwischen der RAVAG-Studie und der Marienthal-Studie (siehe Kap. 3.5), die beide in den 1930er-Jahren durchgeführt wurden, festgestellt werden konnten. In der Befragung ließen die Hörerinnen und Hörer der RAVAG ihre Programmwünsche zukommen, die nach bestimmten Kriterien – wie nach den soziodemographischen Daten Wohnort, Beruf, Alter, Geschlecht – ausgewertet wurden.

Lazarsfelds damaliger Mitarbeiter Paul Neurath schreibt dazu: „Das war sozusagen der eigentliche Moment, in dem die Forschungsrichtung der Wiener RAVAG-Studie von 1932, mit ihrem Schwergewicht auf der Differenzierung von Hörerpräferenzen nach sozialer Schichtung usw., die zukünftige Ausrichtung der amerikanischen Hörer- und im weiteren Verlauf der öffentlichen Meinungsforschung entscheidend beeinflussen sollte. Daß diese Forschungsrichtung sich dann von Amerika aus erst in Europa und schließlich auf der ganzen Welt verbreitete, führte dazu, wie Lazarsfeld Jahrzehnte später einmal als eine Art Kuriosum anmerkte, daß diese ursprünglich österreichische Forschungsrichtung nun in aller Welt, und auch in Österreich als ‚typisch amerikanisch‘ galt und zum Teil bis heute noch gilt.“ (Neurath, 1996, S. 19) In den USA war Lazarsfeld Direktor des Princeton Radio Projects und er war u. a. als Professor an der Columbia University in New York City tätig. Zahlreiche Studien zur Radioforschung wurden von ihm und seinen Mitarbeitern durchgeführt. [39]

3.5.5The Peopleʼs Choice. How the Voter Makes Up His Mind in a Presidental Campaign. Von Paul F. Lazarsfeld, Bernard Berelson und Hazel Gaudet (1944)

Einen weiteren wichtigen Schritt in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung setzte Lazarsfeld mit der Studie „The Peopleʼs Choice“ (1944). In dieser Studie wurde von Lazarsfeld et al. der US-amerikanische Wahlkampf im Jahr 1940 untersucht. Im Mittelpunkt der Studie stand die Fragestellung, wie individuelle Wahlentscheidungen zustande kommen und welchen Einfluss dabei unterschiedliche Quellen wie Medien haben. Für die damalige Zeit wurde ein Methodendesign eingesetzt, das revolutionär war: Es wurden Paneldesigns verwendet, d. h., die gleichen potenziellen Wähler wurden über einen längeren Zeitraum von Mai bis November 1940 in sieben Wellen mehrmals befragt.

„Die Studie begründet einen Meilenstein in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung, da sie den Grundstein für einen Paradigmenwechsel legt, nämlich die Abkehr von der Annahme des Publikums als Masse, die den Einflüssen der Massenmedien ausgeliefert ist, hin zu den ‚limited effects‘ der Medien.“ (Taddicken, 2016, S. 25) Das in der Studie entwickelte Konzept „The peopleʼs choice“ ist auch heute noch in der Kommunikationswissenschaft aktuell, wenn es um die „These der selektiven Zuwendung des Publikums zu Medieninhalten, um das Meinungsführerkonzept und um die These vom Zweistufenfluss der Kommunikation geht.“ (Taddicken, 2016, S. 25) Die empirische Arbeit ist auch als „Erie-County-Studie“ bekannt – benannt nach der Erhebungsgegend, in der der Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem republikanischen Kandidaten Willkie und dem demokratischen Kandidaten Roosevelt untersucht wurde.

Bei der Untersuchung wurden sowohl quantitative als auch qualitative Befragungsdesigns eingesetzt. Dazu wurden auch noch drei Kontrollgruppen eingerichtet, um Paneleffekte zu vermeiden. Taddicken resümiert die Bedeutung der Studie dahingehend, dass in der Untersuchung die „Idee der Massenkommunikation mit der interpersonalen Kommunikation [verbunden und] damit die Idee von ungefilterten und direkten Effekten von Medieninhalten auf Menschen in Frage“ (Taddicken, 2016, S. 33) gestellt wurde.

Angesichts der Entwicklungen im Social Media-Bereich kann das Konzept der Meinungsführerschaft auch heute wieder als ein wichtiges theoretisches Bezugssystem in der kommunikationswissenschaftlichen Forschung genutzt werden. [40]

3.5.6The Invasion from Mars. A Study in the Psychology of Panic. Von Hadley Cantril unter der Mitarbeit von Hazel Gaudet und Herta Herzog (1940)

Eine weitere Studie, die in der Kommunikationswissenschaft und in der Öffentlichkeit eine intensive Rezeption erfahren hat, ist „The Invasion from Mars“ (1940). Ausgangspunkt dieser Studie bildete eine Ausstrahlung des Radiohörspiels „The War of the Worlds“ von Orson Welles zu Halloween 1938, das eine Adaption des gleichnamigen Romans von H. G. Wells (1898) war. Angeblich wurde durch das Hörspiel eine Massenpanik bei den Zuhörern hervorgerufen, da sie die Invasion der Marsmenschen, die dramaturgisch als Live-Reportage inszeniert wurde, für real hielten.

„In der Kommunikationswissenschaft oftmals unreflektiert als wissenschaftlicher Beweis für die angeblich starken Medienwirkungen ins Feld geführt, wirft die Studie jedoch ein differenziertes Licht auf die Ereignisse.“ (Herbers, 2016, S. 13) Paul Lazarsfeld war zunächst selbst in die Studie involviert, da er gemeinsam mit Frank Stanton, der eine Leitungsfunktion bei CBS innehatte, zum Studio fuhr, vor dem Journalisten, Polizei und Studiomitarbeiter versuchten, die Menschen zu beruhigen. Beide führten gemeinsam ad hoc eine Studie zur „Panik“ während der Sendezeit und danach durch. Die Daten wurden nicht veröffentlicht und sind noch heute bei CBS unter Verschluss, die Studie diente allerdings Hadley Cantril als Ausgangspunkt für seine eigene Untersuchung.5

Cantril, ein Psychologe, der im Bereich von Meinungs- und Umfrageforschung tätig war, beschäftigte sich vor allem mit den „individuellen Veränderungen in kognitiver und emotionaler Hinsicht, die sich aus der Rezeption des Hörspiels ergaben“ (Herbers, 2016, S. 16), weiter berücksichtigt wurden auch „die Handlungen, die im Anschluss oder während der Sendung von den Zuhörern durchgeführt wurden, inklusive intervenierender und kontextualisierender Variablen“ (Herbers, 2016, S. 16). Die Forschergruppe befasste sich mit der individuellen Panik und der kollektiven Panik, die zumindest im medialen Diskurs thematisiert wurde. Bei den Ergebnissen wurde deutlich, dass „das im Journalismus und in der Kommunikationswissenschaft perpetuierte Ergebnis einer kollektiven Panik in der Studie selbst nicht beschrieben wird“ (Herbers, 2016, S. 16). In der Untersuchung zeigen sich aber auch Defizite, die damit zusammenhängen, dass keine exakten Angaben über die Grundgesamtheit der Zuhörer gemacht werden konnten und die [41] Frage, die an die Zuhörer gestellt wurde, lautete: „At the time you were listening, did you think this broadcast was a play or a real news report?“ (Herbers, 2016, S. 17) Es wird eben nicht danach gefragt, ob die Menschen in Panik verfielen, sondern ob sie das Hörspiel für real oder fiktional hielten. Die Studie, die in der Kommunikationswissenschaft eine zum Teil sehr unreflektierte Rezeption erfahren hat und vor allem „im Gedächtnis jedes Erstsemesters haften“ (Neuberger, 2009, S. 239) bleibt, hat überwiegend methodische Schwächen. Denn: „Viele der Befragten gaben an, die im Radio präsentierten Ergebnisse durch eigenständige Background-Checks überprüft zu haben […]. Diese Handlungen sind in solchen (angenommenen) Krisensituationen nicht ungewöhnlich. Folgt man diesem Argument, so kann die Studie in gegenwärtigen, kommunikationswissenschaftlichen Kontexten weniger als ‚klassische‘ Wirkungsstudie verwendet werden, sondern als (historische) Beschreibung von Handlungen, die eine gewisse ‚public connectedness‘ (Couldry et al., 2007) in Zeiten der Krise ermöglichen.“ (Herbes, 2016, S. 21) Die Studie ist daher eher als eine Aneignungs- bzw. Rezeptionsstudie zu klassifizieren, die nicht als Grundlagenstudie für vermeintlich starke Medienwirkungen im Fach selbst rezipiert werden kann.

3.5.7Torches of freedom. Von Edward Bernays (1929)

Als weiteres Beispiel soll auf „torches of freedom“ (1929) eingegangen werden, mit dem sehr gut illustriert werden kann, wie sich Öffentlichkeitsarbeit „um gesellschaftliche Einflussnahme bemüht“ (Becker, 2014, S. 108). Societal Relations bedeutet, dass „es um die Beziehungen (relations) des Unternehmens zur Öffentlichkeit“ (Becker, 2014, S. 108) geht. Societal Relations haben sich aus den Public Relations herausentwickelt. Als ein legendäres Beispiel dafür gelten die „torches of freedom“. Der PR-Pionier Edward Bernays (in Wien geborener Neffe von Sigmund Freud, dessen Eltern in die USA ausgewandert waren) hat versucht, psychologische Erkenntnisse für die PR-Arbeit zu nutzen. Sein Ansatz war, dass er PR-Arbeit in einem massenpsychologischen Kontext verortete und dabei „die Bedeutung unbewusster menschlicher Bedürfnisse“ (Lies, 2015, S. 184) betonte. In seinem Buch über Propaganda schrieb er: „Human desires are the steam which makes the social machine work. […] Only by understanding them can the propagandist control that vast, loose-jointed mechanism which is modern society.“ (Bernays, 1928, S. 52–53)

1929 arbeitete Bernays für die American Tobacco Company, die damals zu einem der größten US-Unternehmen zählte. Um weitere Zielgruppen zu generieren, sollten Frauen zum Rauchen motiviert werden, [42] denen es zur damaligen Zeit verboten war, in der Öffentlichkeit zu rauchen. Bernays entwickelte daraufhin eine Aktion mit dem Namen „torches of freedom“. „Er engagierte Models, die während der Osterparade in New York öffentlich rauchten, […]. Bernays ließ Fotos machen, verschickte sie weltweit und packte drumherum die Geschichte von den Fackeln der Freiheit: Frauen sollten sich emanzipieren und als Symbol ihrer Unabhängigkeit öffentlich rauchen. Jede Zigarette sei eine Fackel der Freiheit.“ (Becker, 2014, S. 109) Die Kampagne ging auf, überall in den USA wurde über die Aktion „torches of freedom“ berichtet und der Anteil der an Frauen verkauften Zigaretten stieg von 5 % auf 12 % im Jahr 1929 und hatte 1933 einen Anteil von 18 %. Für PR- und Marketingexperten gilt diese Aktion als ein Meilenstein in der Geschichte der PR. Auch wenn dazu angemerkt werden muss, dass durch die gesellschaftlichen Entwicklungen – wie den Feminismus – der Anstieg der rauchenden Frauen kontinuierlich in den 1920er-Jahren angestiegen war – unabhängig von den PR-Aktivitäten von Edward Bernays. Dieser verstand es aber sehr gut die in der Gesellschaft vorherrschenden Trends und Erwartungen aufzugreifen und in Kampagnen umzusetzen.

3.5.8Unterhaltungs-, Werbe- und Motivationsforschung. Von Herta Herzog

Herta Herzog gilt mit ihren Studien als Mitbegründerin der Uses-and-Gratifications-Forschung, d. h. der Untersuchung der Motive, warum sich Menschen bestimmten Medien und Inhalten zuwenden. Sie hat sich als eine der Ersten mit Unterhaltungssendungen und deren Bedeutung für die Rezipienten befasst. In „Professor Quiz – A Gratification Study“ (1940) hat Herzog die in den USA damals sehr populäre Radiosendung „Prof. Quiz“ untersucht, indem sie mit qualitativen Interviews die Zuhörer befragte und herausfinden konnte, dass diese aus verschiedenen Anreizen heraus die Sendung hörten. Für die empirische Untersuchung von Soap Operas „On Borrowed Experience. An Analysis of Listening to Daytime Sketches“ (1941) führte Herzog 100 Intensivinterviews mit Frauen durch und konnte zeigen, dass die Soap Opera z. B. dazu genutzt wurde, um dem Alltag zu entfliehen oder sich einfach nur zu entspannen. Auch in ihrer Studie „What Do We Really Know About Daytime Serial Listeners?“ (1944) wandte sich Herzog dem Publikum zu, da es nicht nur darum gehen könne, statistische Daten über die Mediennutzung zu sammeln, sondern: „We turn therefore to a summary of such studies which are concerned not with listener characteristiscs but with listenersʼ own reports of their listening experience“ (Herzog, 1944, S. 23). Herzogs Verdienste bestehen vor allem darin, [43] dass sie sich mit „populären Unterhaltungsprogrammen und deren HörerInnen“ (Klaus, 2008, S. 240) befasste, durch Intensivinterviews die Rezipienten selbst zu Wort kommen ließ und sich nicht nur auf quantitative Daten und große Stichproben verließ (vgl. Klaus, 2008, S. 240). Die daraus gewonnenen Erkenntnisse konnte Herzog ab 1943 bei der Anzeigenagentur McCann-Erickson weiter ausbauen, 1948 wurde sie Leiterin der McCann-Erickson Forschungsabteilung und etablierte in den 1950er-Jahren die Motivationsforschung in der Werbeforschung. „MarktforscherInnen benötigten ein dynamischeres Wissen über KonsumentInnen als es statistische Daten vermitteln“ (Klaus, 2008, S. 242). Durch den Einsatz von Tiefeninterviews sollten die Wünsche der Konsumenten ermittelt werden, d. h., es sollte nicht erforscht werden, was sie gekauft haben, sondern warum sie etwas gekauft haben. Das Vorgehen von Herta Herzog war multidimensional angelegt, zunächst wurden Zielgruppen- und Marktanalysen vorgenommen, daran anschließend wurden Tiefeninterviews und projektive Persönlichkeitstests mit den Konsumenten durchgeführt und in einem weiteren Schritt wurden Anzeigenentwürfe bei ihnen getestet. Mit ihren Studien lieferte Herzog wesentliche Beiträge für die Marktforschung, indem sie die Vermarktung von Produkten mit den Erwartungen, Wünschen und Lebenssituationen der Menschen in einen Zusammenhang setzte.

Viele Jahrzehnte später – Herta Herzog war von den USA nach Europa zurückgekehrt – wendete sie sich wieder der Unterhaltungsforschung zu. In ihrer Studie „Der Stich ins Böse: Dallas und Denver Clan: Garantiert anders als der Alltag“ (1990) wurden qualitative Interviews kombiniert mit einem projektiven Persönlichkeitstest durchgeführt und es wurde eruiert, welchen Stellenwert diese Serien im Leben der befragten Zuschauer einnahmen.

Herta Herzog hat mit ihrer Publikumsforschung einen wichtigen Beitrag für die Rezeptionsforschung geleistet, der in der Wissenschaft lange Zeit nicht ausreichend erkannt und gewürdigt wurde (vgl. Klaus, 2008). In der Marktforschung wurde Herzog zur „Gray Eminence of Market Research“ und sie wurde „in die ‚Hall of Fame‘ des Market Research Council aufgenommen“ (Klaus, 2008, S. 242). Ihre Ansätze über die Motive und Entscheidungen von Konsumenten haben auch heute noch in der Marktforschung große Bedeutung. [44]

4Quelle: Persönliche Mitteilung von Prof. Dr. Roland Burkart. Mit der Bezeichnung „ein bisserl“ (Wienerisch für „ein wenig“) erwies sich Paupiè als Visionär in einem doppelten Sinn: Einerseits erkannte er die damals aufkeimende Diskussion um Inter- und Transdisziplinarität von (insbesondere: Sozial-)Wissenschaften und andererseits richtete er seinen Blick mit dieser Etikettierung auf die ebenfalls zu dieser Zeit stattfindende Auseinandersetzung über unterschiedliche Wissenschaftsbegriffe – speziell in den Natur- und Geisteswissenschaften – und die damit jeweils präferierten methodischen (quantitativen sowie qualitativen) Vorgehensweisen.

5Auf das angespannte Verhältnis zwischen Lazarsfeld und Cantril soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, sondern es sei auf den Beitrag von Martin R. Herbers (2016) verwiesen.

Kommunikationswissenschaftliches Arbeiten

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