Читать книгу War das ein Leben - Petra Pansch - Страница 7
ОглавлениеEin Tag im Juli
Neugierige Sonnenstrahlen huschen übers hölzerne Fensterkreuz und zeichnen kleine Schatten auf dessen ockerweiß. Drinnen dagegen versucht eine dicke blauschwarze Fliege brummend wieder und wieder durch das Glas ins Freie zu gelangen. Vergebens, aber sie will es nicht wahrhaben. Ansonsten ist es ruhig an diesem Julitag des Jahres 1993. Ein Vormittag im kleinen verträumten Sebnitz, in der Wohnküche von Frida und Sepp. Das Kaffeegeschirr steht frisch abgewaschen neben dem Spültisch und wartet darauf in den Küchenschrank eingeräumt zu werden. Doch die kleine Frau in der blaugepunkteten Kittelschürze wischt sich die zerfurchten Hände an der Schürze ab, hält kurz inne und überlegt. Sie schaut auf die Kartoffeln, die Möhren, und die Küchenkräuter für den Gemüseeintopf, der heute zu Mittag auf dem Tisch stehen soll und schüttelt unmerklich den Kopf. Dann sieht sie durch die geöffnete Tür nach Sepp, der wie jeden Morgen die „Sächsische Zeitung“ liest. Er sitzt in seinem Lehnstuhl im Wohnzimmer, die große braune Hornbrille auf der Nase und fährt mit den Fingern die Zeilen entlang als möchte er gute Dinge festhalten und ab und zu lächelt er sogar. Vorhin dagegen hat er seiner Frida mit leiser Stimme erzählt hat, wer heute in den Todesanzeigen steht. Es werden immer mehr aus ihrem Lebenskreis, die den Weg in die andere Richtung gehen. Ohne Abschied, ohne sich umzudrehen, verschwinden sie und lassen mehr und mehr Leere zurück. Das macht unruhig und tut weh.
Frida geht langsam in das Zimmer, setzt sich neben ihn und streichelt ihn über seine weißen Barstoppeln. Die beiden sind so vertraut und das schon seit beinahe 50 Jahren. Das macht feine Antennen, auch bei Sepp, der sonst seine Gefühle gar nicht gerne offen zeigt und der wenig spricht. Er nimmt ihre Hand und fragt sie leise in seinem weichen Wiener Dialekt, was denn los sei. Das hier übliche Sächsisch hat er sich trotz der vielen Jahre in Sebnitz überhaupt nicht angewöhnt. Er ist schon etwas erstaunt, dass der Tag heute irgendwie anders abläuft als die Tage sonst. Seine liebevolle Lebensgefährtin sollte jetzt, um diese Zeit, schon emsig Gemüse putzen, denn Punkt 12 Uhr ist Essenszeit. Seine Frage nach dem Warum, wird von Frida nicht beantwortet. Sie schaut ihn an, ihre Augen zeigen das dunkle Blau, das nichts Gutes bedeutet und was sie ihm jetzt sagt, darauf ist er überhaupt nicht vorbereitet. Er hält inne und atmet tief durch.
Dann holt er die zwei besten Weingläser aus dem Buffet und öffnet eine der besondere Flasche Wein, die eigentlich für das nächste Familientreffen bestimmt ist. Er nimmt ein frisches Geschirrtuch und wischt die Gläser aus. Frida kommt, in den Händen hält sie eine kleine Schale, in der sich ein pulvriges Gemisch befindet und einen Teelöffel. Sie füllt genau die Hälfte davon in jedes Glas. Wortlos schüttet Sepp den Wein ein und Frida rührt schweigend und lange um, damit sich das Gemisch aus Schlaftabletten und anderen Medikamenten gut auflöst. Dann sitzen sie beieinander, halten sich an den Händen und sprechen leise über das, was sie schon länger im Kopf mit sich herumtragen. Dass dies so schnell Wirklichkeit werden wird, dass ahnte Sepp bis heute nicht.
Er holt Papier und Stift und schreibt ihrer beider letzter Wille auf. Auf dem Heidefriedhof in Dresden möchten sie unter grünem Rasen ihre letzte Ruhestätte haben. Dort, wo hohe Bäume und Wiesenblumen stehen und wo Ruhe herrscht. Endlich Ruhe vor Schmerzen und schlimmen Gedanken; besonders vor den Gedanken, dass beide auf Hilfe anderer angewiesen sein werden oder ganz allein, ohne den anderen, die letzte Schlacht kämpfen müssen. Dafür würde Frida die Kraft fehlen, das hat sie Sepp mit Tränen in den Augen leise gestanden. Er versteht sie gut, auch er kann ohne sie nicht leben.
Also trinken sie die Gläser langsam aus und schauen sich an, streicheln über ihre Hände und lächeln auch. Es ist traurig, aber wiederum auch nicht traurig. Eine eigenartige, beinahe festliche, aber endgültige Stimmung. Sie wollen ihrem Leben in diesem Moment das Ende setzen.
Die Sonne scheint das nicht zu stören, sie wandert weiter in Richtung Mittagszenit. Ihre Strahlen spiegeln sich in den Scheiben des Wohnzimmerfensters, als wäre rein gar nichts passiert. Die Fliege hingegen hat ihre Flucht aufgegeben, sie sitzt auf dem Fensterbrett, brummt matt und hat ihr Schicksal angenommen. Aber wer weiß…