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ОглавлениеVom Gehen
Ich ging im Walde
so für mich hin,
und nichts zu suchen
das war mein Sinn ...
Johann Wolfgang von Goethe
Was Johann Wolfgang von Goethe hier leichtfüßig formuliert, schwebt auch uns vor. Nichts suchen müssen auf unserem Weg, uns vielmehr finden und beschenken lassen. Müßiggang im Jahreskreis sozusagen. Ich selbst gehe gern »so für mich hin«. Ich gehe, wenn es mir gut geht, und ich gehe, wenn es mir schlecht geht. Und wenn in meinem Leben so gar nichts geht – was durchaus vorkommt – oder ich nicht mehr weiß, wo es gerade langgeht, dann gehe ich auch. Gehen ist für mich das Gegenteil von Auf-der-Stelle-Treten. Wenn etwas »losgeht«, das weiß der Volksmund, dann kommt eine Sache in Schwung.
Vor gar nicht langer Zeit habe ich eine Szene in einer Kirche erlebt, die mir im Gedächtnis geblieben ist, weil sie so hübsch war. Es war kurz vor Beginn des Gottesdienstes, der Raum bereits in Andacht getaucht. Kein Flüstern, kein Räuspern, kein Herumrutschen auf den Bänken. In diese tiefe, beinah atemlose Stille hinein jubilierte plötzlich eine glockenhelle, durch und durch fröhliche Kinderstimme: »Achtung! Jetzt geht’s los!« Sogleich belebte sich der Raum. Allgemeine Erheiterung, Köpfe drehten sich herum, Hälse reckten sich. Und auch ich habe gelächelt und mich nach der Stimme umgewandt, denn ohne es zu wissen, hatte dieser kleine Mensch uns allen, die wir saßen und warteten, etwas Wichtiges mit auf den Weg gegeben: dass nämlich der Anfang einer Sache wesentlich ist, das Einstimmen darauf.
Und genau das tun wir jetzt. Wir stimmen uns auf unseren Spaziergang durch die Jahreszeiten ein, lauschen dem Flüstern des Windes und dem Herzschlag der Erde. Den Blick in blaue Weiten und Fernen gerichtet, verabschieden wir uns von unserem Alltag und begrüßen stattdessen das Abenteuer, das vor uns liegt. Gehen, so machen wir uns klar, ist das Berühren der Erde mit den Füßen. Gehend sind wir also Berührende und Berührte zugleich. Öffnen wir uns für dieses Wechselspiel. Gehen wir auf Tuchfühlung! Spüren wir die Beschaffenheit des Bodens unter unseren Füßen, lauschen wir der Melodie unserer Schritte.
Aufbrechen. Kein schlechter Begriff, wie ich finde, für das, was wir vorhaben. Denn Aufbrechen heißt, uns auf den Weg zu machen, heißt aber auch, uns zu öffnen, innerlich weit zu werden. Und genau darum geht es uns: in Kontakt mit uns selbst zu kommen und uns dabei als Teil eines großen Ganzen zu erleben. In Weimar, der Stadt der großen Dichter und Denker, steht im Park an der Ilm, recht unscheinbar im Gras versteckt, die Botschaft zu lesen: »Hebe deinen Blick und verweile.« Auch der Physiker Stephen Hawkins hat in seiner bewegenden Abschiedsbotschaft die Menschheit daran erinnert: »Vergesst nicht, zu den Sternen hinauf zu gucken und nicht hinab auf eure Füße.« Und so wollen wir uns auf unserem Weg immer wieder daran erinnern, den Blick nicht der Schwerkraft zu überlassen, ihn vielmehr hinauf ins Grenzenlose zu schicken. Den Kopf zu heben, um uns selbst zu erheben. Weit bleiben im Denken und Fühlen, die Sehnsucht wachhalten, die uns grenzenlos stimmt und sehend macht für alle die Möglichkeiten, die in uns stecken. Ich gehe, also bin ich. Der Weg ist weit wichtiger als das Ziel, ist Freude an sich. Und die Sterne geben uns die Richtung vor. Drei G(eh)-Worte mögen uns begleiten: Gottvertrauen, Geduld und heitere Gelassenheit.