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ОглавлениеFrühling I. – Das blaue Band
Frühling lässt sein blaues Band
wieder flattern durch die Lüfte.
Eduard Mörike
Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frühling soll es sein!
Joseph von Eichendorff
Über die Jahrhunderte hinweg haben sich Kunstschaffende mit den vier Jahreszeiten beschäftigt, ihre Schönheit in Tönen, Farben und Worten eingefangen. Antonio Vivaldi und Joseph Haydn zum Beispiel haben sie auf ewig in Musik verwandelt. Giuseppe Arcimboldo dagegen, der »Zaubermaler«, hat sie in aberwitzigen Portraits festgehalten, in skurrilen Köpfen, bestehend aus den Früchten und Pflanzen der jeweiligen Jahreszeit. Gleichnishaft erscheint hier der Frühling als heiterer Blumenbote, als farbfroher Herzschlag zwischen winterlicher Erstarrung und neu erwachender Lebendigkeit. »In jeder Blüte schlägt mein Herz«, scheint er zu flüstern, »ich bin Sonne und Wonne.« Für uns ist dieser Freudenbringer mit »holdem, belebendem Blick« (Goethe), dieser Befreier von Eis und Schnee eine vorzügliche Zeit, um den Reigen der Jahreszeiten zu eröffnen. Wie ein riesengroßes Lächeln liegt er auf der Welt, weckt mit ersten wärmenden Sonnenstrahlen die Natur aus ihrem Tiefschlaf und küsst dabei auch unsere müden Lebensgeister wach. Aufbruchsstimmung all überall. Ein jedes drängt ans Licht. Neben Frühblühern und dem kühnen Lied der Amsel melden sich Frühlingsgefühle zu Wort. Ja, der Frühling hat das Zeug, – das Grün-Zeug, hätte ich beinah gesagt –, ungeahnte Gefühle in uns zu wecken. Es ist diese überschäumende Lebensfreude, die er versprüht, diese veilchenblaue, himmelhochjauchzende Lust. Als hätte die Natur plötzlich nichts anderes als Flausen im Kopf, als sei sie trunken vor Glück und ihr Puls ein wenig schneller als gewöhnlich.
So »kribbelt« sie uns, wie es bei Thomas Mann heißt, »auf eine unanständige Weise im Blute«. Der Lenz, ohne Frage, besitzt den Charme der Jugend. Diesen ungezähmten, mitreißenden Schwung, dieses fröhliche Herzflattern, diesen ganz speziellen Jubel. Dennoch ist er keine Sache der Jugend allein. Schließlich grünen auch die alten, selbst die uralten Bäume. Natürlich hat sich in unserem Leben, wenn wir bereits ein wenig in die Jahre gekommen sind, so einiges verändert. Das Alter hat seine Launen. Vielleicht sind wir nicht mehr so temperamentvoll und begeisterungsfähig wie einst, sind im Lauf der Zeit ruhiger, gesetzter und auch ein wenig antriebsloser geworden. Das Leben hat seine Spuren hinterlassen. Und doch – Hand aufs junge, alte Herz! –, der Frühling ist und bleibt eine Herrlichkeit, ein Fest für die Sinne. Das fröhliche Tirilieren der Vögel, das erste zarte Grün, die täglich höher steigende Sonne, der Duft des Neuanfangs, das alles ist süß wie eh und je. Wir müssen uns nur anhauchen, berühren lassen. Kaum ist das geschehen, spüren wir auch schon unser ureigenes Frühlingserwachen. Wir sind erfüllt von Freude, fragen uns, wo auch in unserem Leben etwas neu beginnen möchte, wo unser Lebenslied anders klingen könnte als bisher.
Denn vorbei ist der Winter ...
Auf der Flur erscheinen die Blumen:
Die Zeit zum Singen ist da.
Hohelied 1,11
Und schon lauschen wir der Stimme unseres Herzens, die uns rät, das Schneckenhaus, in das wir uns den Winter über zurückgezogen haben, zu verlassen. Wie die Natur sind wir in Aufbruchsstimmung. Sehnen uns nach einem Quantum Abenteuer. Was will blühen in mir? Wo ist die Zeit für einen Frühjahrsputz gekommen? Wenn wir diesen Fragen genügend Aufmerksamkeit und Zuwendung schenken, dann kommen uns auch Ideen. Ein einziger Gedanke kann entscheidend sein.
Ich habe einmal eine »Kleine Gebrauchsanweisung für ein glückliches Leben« geschenkt bekommen. Da hieß es gleich zu Beginn: »Besuche mindestens zweimal im Jahr einen Kurs der Volkshochschule.« Obwohl dieser Vorschlag nicht nach dem ganz großen Abenteuer klingt, ist er dennoch keine schlechte Idee. Auf Kurs gehen. Allein oder zu zweit, ganz egal. Sympathie entwickeln für das, was es an Möglichkeiten in meiner nächsten Umgebung gibt. Ausprobieren, was für mich noch so alles möglich ist. Begegnungen haben, Gleichgesinnte treffen. Aus diesen regelmäßigen Begegnungen wiederum können tiefere Bekanntschaften werden. Ich selbst habe in meinen Seminaren immer wieder beobachtet, wie sich anfängliche Sympathie in Freundschaft verwandelte, sich Netzwerke bildeten, Menschen miteinander in Beziehung traten und Aktivitäten über den Kurs hinaus entwickelten, sich kunterbunte Fäden von Leben zu Leben spannten. Selbst das schönste aller Gefühle, selbst Liebe habe ich wachsen sehen. Also, warum nicht einmal die Bildungseinrichtungen vor Ort kontaktieren und nach Möglichkeiten neuer, kreativer Beschäftigung suchen? Ausschau danach halten, was uns im Kreis anderer Freude bereiten könnte? Freude, dieser goldene »Götterfunke«, ist ein riesengroßer Energielieferant und die wohl wichtigste, gesundmachende Kraft in unserem Leben. Und sie stellt sich ein, wenn wir tätig werden. Begeistern kann man sich für vieles, Ideen und Angebote gibt es genug. Das Zauberwort heißt: Loslegen! Leinen los und raus aus dem Hafen der Routine und der Gewohnheiten. Hinaus aufs Meer der Möglichkeiten. Auf Entdeckungsreise gehen, den Horizont erweitern, recherchieren, Programme lesen, im Freundes- und Bekanntenkreis herumfragen, Meinungen und Ideen einholen. Aus eingefahrenen Mustern und Strukturen ausbrechen, aufregend anders sein und nicht länger Gründe suchen, warum es nicht geht. Weg mit dem selbstentschuldigenden Wörtchen »wenn, ja, wenn ...«. Wenn wir immer nur das tun, was wir lange schon können und immer schon machen, dann findet kein inneres Wachstum, keine Veränderung statt. Neugier ist eine wunderbare Kraft, um uns und – ab einem gewissen Alter ganz wichtig! – unser Gehirn fit zu halten. Denn wer neugierig ist, nimmt intensiver am Leben teil, bricht aus dem alltäglichen Einerlei aus. Deshalb ist es so wohltuend, auch einmal Neues, Unübliches auszuprobieren. Sich frischen Wind um die Nase wehen zu lassen. Die bequeme Haltung des »ich könnte ja mal ...« zu verlassen und ins Machen, ins Tun zu kommen. Das Alter muss bei der Suche nach neuen kreativen Spielräumen keine Rolle spielen. Was geht, das geht! Experimentieren! Neugierde und die Gottesgabe der Begeisterung sind das Allerwichtigste. Wie heißt es so schön: Wer singen will, der findet auch ein Lied.
In einem meiner Seminare für »Kreatives Schreiben« war der älteste Teilnehmer über achtzig Jahre alt. Er habe immer schon den Wunsch verspürt zu schreiben, hatte er mir am Telefon gesagt, auch wenn die Aufsätze in der Schule mit Abstand das Schlimmste gewesen waren, was ihm passieren konnte. Mit anderen Worten: Das Schreiben von Texten war alles andere als sein bevorzugtes Metier. Trotzdem hatte er sich auf den Weg gemacht, sich auf dieses Abenteuer einzulassen. Aus dem schönen Grund, dass er seine Erinnerungen festhalten wollte, die sich langsam, ganz langsam, wie er sagte, in seinem Kopf aus dem Staub machten. Um der Vergesslichkeit ein Schnippchen zu schlagen, hatte er sich sogar einen Computer gekauft. Allerdings schrieb er, wenn es ihm mit der Technik nicht schnell genug ging, auch mit der Hand. Sein Eifer und seine Freude beim Niederschreiben seines Lebens haben mich tief beeindruckt. Auch die Gruppe – allesamt Frauen, die gut und gerne seine Enkeltöchter hätten sein können – war zutiefst berührt von seinen Geschichten aus einer längst vergangenen, aber nicht vergessenen Zeit. Wenn er vorlas, war es mucksmäuschenstill im Raum.
Beglückendes erleben. Das Herz zum Lachen bringen. Staunen, welch unentdeckte Talente ans Licht wollen. Menschen, die ein erfülltes, glückliches Leben führen, diese Erfahrung mache ich immer wieder, lieben es, sich auszuprobieren. Sie sind aufgeschlossen für neue Aktivitäten, neue Bekanntschaften und neue Ideen. Und wenn etwas schiefgeht, dann nehmen sie es mit einem gesunden Schuss Humor. Von einer Dame, die sich für einen Zeichenkurs angemeldet hatte, weiß ich, dass sie in der ersten Stunde nicht nur zu spät gekommen ist, weil sie länger arbeiten musste, sondern dass sie, hungrig wie sie war, auch noch den Apfel aufgegessen hat, den sie später zeichnen sollte. Tja, so kann’s gehen!
Leise zieht durch mein Gemüt
Liebliches Geläute.
Klinge, kleines Frühlingslied,
Kling hinaus ins Weite!
Heinrich Heine
Vor soviel Schönheit schweigt mein tiefstes Lied.
Christian Morgenstern
Das Frühjahr ist die Zeit sprießender Farben. Märzenbecher, goldene Winterlinge, die unverwüstlichen Primeln, Persischer Ehrenpreis, Löwenzahn & Co, sie alle melden sich wie ein bunter Willkommensgruß nach langer Winterzeit zurück. Lilafarbene Taubnesseln und Veilchen breiten sich wie Teppiche aus, in den Gärten strecken Forsythien ihre leuchtendgelben Arme gen Himmel, Magnolien, verschwenderisch blühend, verbreiten ihr süßliches Aroma und auch der Flieder duftet »so mild, so stark und voll«, wie es in den »Meistersingern von Nürnberg« heißt. Was wäre die Welt ohne Blumen! Ein trister, zutiefst trostloser Ort. In Kindertagen hatte ich eine Freundin, die im Gegensatz zu mir als »Blumenfee« wohl schon geboren war. Gemeinsam haben wir das Abenteuer Schule gemeistert, vereint um gute Noten gezittert und uns gegenseitig bei den Hausaufgaben geholfen. Auf ihrem Schreibtisch, inmitten von jeder Menge Krimskrams stand immer eine Vase mit einer einzelnen Schnittblume darin. Ich weiß noch genau, wie ich aus allen Wolken gefallen bin, als sie mir verriet, dieses wechselnde Grünzeug von ihrem Taschengeld zu kaufen. Für mich, die ich in jener Zeit ausschließlich in Süßigkeiten und Kinokarten investierte, geradezu unvorstellbar, wie man sein Geld für etwas derart Nutzloses ausgeben konnte, das nach nur wenigen Tagen verwelkt war und in den Müll gehörte. Trotzdem erinnere ich mich gut daran, wie gern ich diese so vergänglichen Wesen auf ihrem Schreibtisch, alle die duftenden Rosen, Lilien und Nelken, beim gemeinsamen Lernen angeschaut habe. Oft hatte ich dabei ein seltsam wohliges Gefühl, mitunter sogar eine Gänsehaut, weil sie von einer solchen Schönheit, Frische und Zartheit waren. So kam es, dass sich in mein Unverständnis im Lauf der Zeit eine leise Bewunderung mischte. Eines Tages dann passierte Folgendes: Ich war auf Rollschuhen in unserer Straße unterwegs gewesen, fröhlich hin- und hergefahren, als plötzlich etwas Grünes mit zwei spitzen, abgespreizten Blättern vor mir auf dem Bürgersteig lag. Eine Pflanze, die aus einem der geöffneten Krankenhausfenster herausgefallen und in die Tiefe gestürzt war. Ihr Topf war zersprungen, die Erde verstreut. Eine Verunglückte also. Eine Hilflose, die mich anstarrte und mit sanfter Zärtlichkeit mein Herz berührte. Und so hob ich sie auf, nahm sie mit nach Hause, setzte sie in frische Erde und stellte sie auf unseren Balkon. Und natürlich beobachtete ich sie. Ich weiß noch, welche Freude ich empfunden habe, als sie mich eines Morgens in voller Blüte begrüßte. Sie war eine prächtige, geheimnisvoll schimmernde Schwertlilie, eine Iris, benannt nach der griechischen Göttin des Regenbogens, jenem weltumspannenden Zeichen, das Himmel und Erde, Gott und die Menschen verbindet. Heute würde ich sagen, dass sie es war, diese vom Himmel gefallene Regenbogenschöne, die mich zu der Blumenfreundin gemacht hat, die ich heute bin. Ein Leben ohne Blühendes – für mich undenkbar.
Seht, meine Freunde, der Frühling ist gekommen!
Die Erde hat die Umarmung der Sonne empfangen
und wir werden bald die Früchte dieser Liebe sehen.
Indianische Weisheit
»... eine Rose als Stütze«, heißt es in einem Gedicht von Hilde Domin. Ja, so erstaunlich es klingt, Blumen können bei aller Zartheit, Sanftheit und Vergänglichkeit eine mächtige Kraftquelle sein. Etwas, woran wir uns in schweren Zeiten »festhalten« können. Als mein Vater völlig überraschend mit nur fünfundfünfzig Jahren in seinem Skiurlaub gestorben war, näherte sich der Februar gerade dem Ende. Es war ein kalter Tag und in Düsseldorf lag der Karneval in der Luft. Unmittelbar nachdem ich das Unfassbare erfahren hatte, war ich zu meiner Mutter gefahren. Ich werde diesen Vormittag nie vergessen. Diese Atmosphäre abgrundtiefer Hilflosigkeit und Traurigkeit, diese Verzweiflung und dieses Gefühl erdrückender Schwere, das auf allem lastete. Schweigend saßen wir im Wohnzimmer, wie tot, wie abgestorben. Ohne Worte. Ohne Trost. Nach und nach schellten Patienten meiner Mutter, die in der Praxis vom Tod meines Vaters gehört hatten. Offensichtlich sprach es sich in Windeseile herum. Schon bald folgten Freunde und Nachbarn. Jede Menge Beileidsbekundungen. Jede Menge Tränen. Und dann erschien eine Freundin meiner Mutter mit einem Blumenstrauß, einem riesigen bunten Frühlingsstrauß. Noch heute sehe ich ihn auf dem Wohnzimmertisch stehen. Für mich war er wie ein Licht in all der Dunkelheit. Wie ein Lächeln, vom Leben vorbeigeschickt. Und ich weiß, dass ich bei seinem Anblick und seinem Duft, der schon nach kurzer Zeit das Zimmer erfüllte, tatsächlich einen Hauch von Trost verspürt habe. Weil er mich im Angesicht des Todes für Augenblicke an die Schönheit des Lebens erinnerte.
Blumen, diese wunderbaren Geschöpfe der Natur, bezaubern durch ihre ureigene Sprache. Sie »sprechen« dort, wo wir verzweifeln, aber auch dort, wo wir im Glück sind, in Glückseligkeit nur so schwelgen. Immer finden sie die richtigen »Worte« zum richtigen Anlass, schenken uns ihre glühenden Farben, ihren Duft, ihre Anmut, ihre freundlichen Blumengesichter. Für mich sind sie Prediger der Liebe, Botschafter des Himmels, die es mit Leichtigkeit schaffen, unsere Herzen zu öffnen. Bei einer Rosenmeditation in einem meiner Seminare hatte eine ältere Teilnehmerin seufzend festgestellt, sich niemals Blumen geschenkt zu haben. Auf diese Idee war sie zeit ihres Lebens nicht gekommen. Der Gedanke, dieses Vergnügen, diese so einfache Freude nachholen zu können, gefiel ihr und sie nahm sich vor, es in der kommenden Zeit zur Herzensangelegenheit zu machen. Sich selbst Blumen zu schenken ist ein wunderbarer Weg, sich Beachtung zu schenken. Ist ein farbenfrohes, zärtliches Geständnis. Ein Liebesbeweis der besonderen Art. Wir verwöhnen uns und versichern uns der eigenen Wertschätzung. Indem wir Blumen sprechen lassen, zaubern wir Liebe in unser Leben. Selbstliebe.