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Top und Flop: Wwoofing in Little River und Waimate
ОглавлениеWir verlassen Christchurch in Richtung Banks Peninsula. Voller Vorfreude, dass es endlich richtig losgeht, nehmen wir die Port Hills in Angriff. Bald wird uns klar: Schnell geht es mit unserem Van keine Berge hinauf. Die recht steilen Straßen kämpft sich unser „Super Custom Limited“ mit knapp über 30 km/h hoch. Wenn die Steigung dann noch zunimmt, sind die 30 km/h die absolute Höchstgeschwindigkeit. Doch wir haben ja Zeit … Langsam bricht die Dämmerung herein und der ohnehin schon starke Wind entwickelt sich zu einem Sturm. Ich kämpfe gegen die Böen, die uns und den Wagen von der linken Spur immer wieder auf die rechte drücken. Doch da will ich gar nicht hin! Ich versuche mich ja momentan an den Linksverkehr zu gewöhnen. Mit fortschreitender Zeit nimmt der Sturm zu, die Böen nehmen zu, die Kurven werden enger und die anderen Autos werden weniger. Vielleicht hätten wir uns doch besser für den stärker befahrenen, aber längeren State Highway 75 entscheiden sollen. Dafür ist es jetzt zu spät. Wir hatten schließlich bewusst die kürzere und landschaftlich schönere Strecke gewählt – dafür ist der Weg offenbar ungemütlicher und zeitlich länger. Und auch als wir die Port Hills endlich hinter uns lassen und auf den State Highway abbiegen, windet es noch stark. Die fortgeschrittene Dämmerung und der starke Wind zwingen mich dazu, auf der Mittellinie zu fahren. Von den beiden großen Seen, dem Lake Ellesmere und dem Lake Forsyth, bekomme ich kaum etwas mit. Mein Augenmerk gilt den Bäumen, die sich am Straßenrand bedrohlich im Wind biegen. Der Lake Ellesmere ist mit 180 Quadratkilometern der größte See Canterburys. Er hat mit unter drei Metern eine geringe Wassertiefe und keinen ständigen Abfluss – daher wird das Wasser, falls der Wasserspiegel zu sehr steigt, durch künstliche Kanäle abgelassen. Diese werden bei Bedarf von den Landwirten der Region durch das sehr schmale Stück Land zwischen See und Pazifik gebaut. Jetzt peitscht der Wind das Wasser in hohen Wellen über die Oberfläche. Einfach nur weiterfahren. Ein großer Ast fliegt über die Straße. Weit kann es doch nicht mehr sein, oder? Irgendwann wird es so dunkel, dass ich die Baumspitzen nur noch erahnen kann – zu spät, um nach umstürzenden Bäumen Ausschau zu halten.
Little River, ein Campingplatz mit Idylle
Erst am zweiten Tag treffen wir unseren Wwoofing-Host Marcus
Als wir endlich in Little River, dem ersten kleinen Örtchen auf der Banks Peninsula, ankommen, biegen wir rechts ab und fahren durch ein Tal mit düsteren, großen Tannen zum Campingplatz. Diesen verschluckt gerade die Dunkelheit, während über uns der Wind in den Wipfeln tost. Im Lichtkegel der Scheinwerfer folgen wir der Aufforderung eines Schildes und läuten die kleine Schiffsglocke an der Anmeldung – nichts tut sich. Um uns herum herrscht absolute Dunkelheit. Kein Licht und außer dem Rauschen der schwarzen Tannen kein Geräusch. Noch mal läuten – immer noch nichts. Auch auf meinen Anruf hin melden sich sowohl im Festnetz als auch auf dem Handy des Campingplatz-Besitzers nur die Anrufbeantworter. Das fängt ja klasse an: Kein Wwoofing-Gastgeber, eine geschlossene Anmeldung, kein Licht, und wo sind eigentlich die anderen Camper? Niemand hier. Waren wir zu voreilig, jemand Fremdem unsere Zusage zu geben? Mit Taschenlampen machen wir uns auf den Weg über den verlassenen Platz, vorbei an den leeren cabins, in denen wir uns eigentlich schon mit Licht, Heizung und etwas Leckerem zu essen gesehen hatten. Kalt ist es nämlich Anfang September auch noch. Schließlich finden wir eine Hütte, in der Licht brennt, und klopfen an. Es öffnet ein überraschter Herr mit einem blauen „Autobahn“-T-Shirt. Immerhin jemand, der unsere Sprache spricht. Falsch gedacht, stellt sich schnell heraus – er ist nur Fan der gleichnamigen Band. Der Besitzer des Campingplatzes ist er leider nicht, dieser sei samt Frau in Christchurch beim Einkaufen. Er selbst ist nur ein Freund der Familie und lebt in dieser Hütte. Aha. Und wir? Von uns hatte er zuvor nichts gehört. Also gehen wir auf die Suche nach einem Schlafplatz: Die einzige nicht verschlossene Kabine ist ein Gartenhäuschen mit Bett, zwei Gemälden, einem Kühlschrank und Laub. Denn die Tür war vom Wind aufgeweht worden. Naja, aber wir sind froh: Immerhin haben wir eine Unterkunft mit Strom und sogar einer wärmenden Elektroheizung. Wir geben uns zufrieden. Kochen müssen wir allerdings in der offenen „Küche“ des Campingplatzes – zwei Kochstellen samt Regenwasserversorgung unter einem Holzdach. Der Lampion schwingt im Wind. Dann geht es in unser Nachtdomizil. Das Elektrogebläse taut uns und die Hütte langsam auf. Allerdings hauen die Äste der umstehenden Bäume auf das kleine Wellplastikdach. Eine Stunde später hat der Sturm auch im Tal des Campingplatzes richtig losgelegt. In Abständen von wenigen Sekunden kündigen sich die Böen an, bis sie dann die Bäume um unser Häuschen herum erreichen und die Äste unheilvoll auf das Plastikdach einschlagen. Die Deckenlampe flackert, durch die Holzwände zieht der Wind herein und die Eingangstür wird zunächst mehrfach aufgeweht. Ich weiß nicht, bei wie vielen Böen ich in dieser Nacht dachte, dass nun einer der Bäume umknickt. Von Stürmen in der Heimat wusste ich, wie schnell das gehen kann. An Schlaf denke ich daher lange nicht. Während Maria neben mir unruhig einschläft, warte ich immer die nächste Böe ab und noch eine und noch eine. Gegen halb drei am Morgen lässt der Sturm endlich nach und keine kleineren Äste fliegen mehr gegen die Holzwände oder das Dach.
Unser „Lohn“: Bett und Küche in dieser Hütte
„Heute Nacht wäre ich gerne in meinem warmen Bett in Witten und nicht hier, irgendwo im Nirgendwo auf der Banks Peninsula“, schreibe ich an diesem Abend in mein kleines Tagebuch. Völlig übertrieben? Naja, uns ist zwar nichts passiert. Doch als wir am nächsten Morgen die Handys einschalten, haben wir mehrere SMS und verpasste Anrufe von der Familie in Christchurch auf dem Display. Der Sturm hatte in Christchurch und der gesamten Region Canterbury mächtig zugeschlagen: eingedrückte Fenster, abgedeckte Dächer oder umgekippte Bäume in Christchurch. Und als wir später auf dem Campingplatz endlich den Besitzer, Marcus, treffen, berichtet er, dass viele Bäume auf der Straße gelegen hätten, als er am vorherigen Abend gegen 22 Uhr aus Christchurch gekommen sei. Dieselbe Route, die wir nur zwei Stunden eher gefahren waren. Außerdem erfahren wir in den nächsten Tagen, dass zahlreiche Menschen im Westen der Südinsel für Tage ohne Strom waren und am Haast Pass, der die Westküste im Süden mit dem Rest des Landes verbindet, zwei Kanadier in dieser Nacht von einer Schlammlawine mitgenommen wurden – wir hatten also richtig Glück.
Direkt am Zeltplatz fließt ein Bach entlang
Wir treffen also endlich den Besitzer. Marcus, ein junger und etwas wuseliger Mann, hat sich mit dem Kauf des Campingplatzes vor etwa zehn Jahren einen Lebenstraum erfüllt. Er erklärt uns alles und zeigt uns unsere neue, richtige Unterkunft. Eine der einfachen Hütten, die aber eine eigene, kleine Küchenzeile und neben einem Schlaf- auch einen Wohnbereich haben. Ganz wichtig: Wir bekommen auch den Zugang zum Wlan-Netzwerk, was für den Kontakt mit zu Hause nicht zu unterschätzen ist. Außerdem stellt Marcus – der generell immer nur über den Campingplatz rennt, anstatt zu gehen – uns Noemie und Fabien vor. Das Backpacker-Paar ist ebenfalls als Wwoofer auf dem Little River Campingplatz. Nach abgeschlossenem „Umzug“ aus der winddurchlässigen Gruselbude der ersten Nacht in unsere neue Hütte geht es an die Arbeit: Während Maria und Noemie eine der besagten Hütten (oder cabins) anstreichen müssen, ziehen Fabien und ich los, um einen der kleinen Bäche zu säubern, Unkraut zu jäten und ein Beet umzugraben. Dann will Marcus mit uns gemeinsam große Holzscheiben als Sitzgelegenheiten zu einer Feuerstelle transportieren.
Maria setzt den Wanderweg instand
Zu dritt hieven wir die schweren Stücke in einen alten Van und laden sie an der richtigen Stelle ab. Nach der zweiten Fuhre rutscht der Van vom Pfad ab und landet mit dem rechten Hinterrad in dem kleinen Bach. Nach halbstündigem Rätseln und Ausprobieren steht fest: Das war‘s erst mal mit dem Van. Wir müssen mit der vorherigen Arbeit weitermachen und Marcus versucht einen Bekannten mit einem Geländewagen aufzutreiben – was dann auch irgendwann im Laufe des Tages funktioniert. Nach dem Mittagessen und einem kurzen Päuschen geht es wieder an die Arbeit. Fabien und ich müssen nun Zäune und Treppenstufen an den zahlreichen Wanderwegen, die vom Campingplatz durch Buschwerk die Hügel hinauf führen, reparieren. Schon am Ende des ersten Arbeitstages tut mir alles weh. Allerdings haben wir viereinhalb Stunden gearbeitet und können diese „Überstunden“ die nächsten Tage abstottern – denn an diesen arbeiten wir weiter an den Wanderwegen. Allerdings ist unsere ehrgeizige Arbeit nur ein Anfang: Marcus, der immer mal wieder vorbeischaut, uns lobt und auch mit anpackt, könnte eine ganze „Wwofing-Armee“ gebrauchen, wie Fabien es treffend formuliert.
Fabien und ich reparieren Zäune
Während die körperliche Arbeit an den Wanderwegen noch Spaß macht, zählt die Aufgabe, die Plumpsklos für die nächsten Gäste zu putzen zu den unschöneren Wwoofing-Arbeiten. Ein Plumpsklo zu putzen ist tatsächlich nochmals eine Stufe schlimmer, als es zu benutzen.
Die Nachmittage nutzen wir, um die Banks Peninsula zu erkunden. Hoch und runter gehen die kurvenreichen Straßen – und das mitunter steil. Dafür bietet sich einem immer wieder ein toller Blick, teils in nur spärlich bewohnte Buchten. Akaroa, der Hauptort der Insel und im Sommer ein Touristenmagnet, ist auch eines unser Ausflugsziele. Wir laufen dort nicht nur durch die kleinen Straßen, die dank der französischen Besiedlung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch immer französische Namen haben, sondern schauen uns auch nach Jobs um. Wir fragen in der Touristen-Info, in Geschäften und Cafés. Alle verweisen uns allerdings an eine kleine Arbeitsagentur oder sagen, wir sollten im Sommer zur Hauptsaison wiederkommen.
Im Sommer sind die Parkplätze hier voller!
Bei der Jobvermittlung fragen wir nicht an, denn dort hatte schon Marcus für uns angerufen. Das plötzliche Interesse an einem bezahlten Job kommt in erster Linie vom Kauf des Wagens – denn der hatte ja mehr Geld gebraucht als ursprünglich kalkuliert. Außerdem hatten wir einen heißen Tipp von unserem Rostentferner in Christchurch bekommen: Wir sollten in Akaroa in einem bestimmten Hotel nach Jack fragen. Der Mitarbeiter kenne viele örtliche Farmer und habe häufig Jobs zu vergeben. Was für eine Chance! Sich über Kontakte vom Rest der Backpackermasse herauszuheben, klingt in unseren Ohren vielversprechend. Auch, wenn ein Job zu diesem Zeitpunkt noch nicht zwingend notwendig ist, ergibt es für mich Sinn, zu arbeiten, solange noch Puffergeld da ist und nicht damit zu warten, bis der Notgroschen aufgegessen ist. Als wir gleich nach unserer Ankunft in das Hotel gehen, ist Jack allerdings nicht zu finden. Er arbeite erst in drei Stunden, so die Auskunft des nur mäßig freundlichen Personals. Also überbrücken wir die Zeit: Wir besichtigen den alten Friedhof, schauen uns einige der alten Häuschen (wobei „alt“ in diesem Falle immer relativ zu betrachten ist) an und gehen zum Akaroa Lighthouse. Der kleine Leuchtturm ist den kurzen Weg wert – oder man macht es so wie drei asiatische Touristen: Im Van hinfahren, aussteigen, drei Fotos mit beeindruckenden Sprung-Einlagen machen, die daraufhin auch ich mehrfach darbiete, und weiter geht es. Sie laufen noch nicht einmal die zwanzig Meter um den Turm herum …
Akaroa Harbour
Drei Stunden später finden wir uns wieder an dem Hotel ein. Ansprechpartner Jack ist noch immer nicht da. Wir sagen seiner Kollegin unser Anliegen und sie führt uns in die angeschlossene Kneipe, wo wir warten sollen. Um uns herum raue Farmer, die auf die Fernsehbilder des dazugehörigen Wettbüros starren. Zehn Minuten später betritt ein älterer Mann die Bar und wird kurz von seiner Kollegin auf uns aufmerksam gemacht. Wir fühlen uns nicht wirklich wohl – und Jack gibt sich auch nicht die Mühe, dies zu ändern. Nachdem er uns weitere Minuten warten lassen hat, kommt er zu uns rüber. „Ihr wollt also einen Job? Irgendwelche Erfahrungen?“. Kein Hallo, keine weiteren Fragen – nichts. Vollkommen perplex verneine ich. Er brummelt irgendetwas vor sich hin und fordert uns auf, unsere Namen und Handynummern zu notieren. Er melde sich dann in den nächsten Tagen bei uns, sagt unser Geheimtipp, dreht sich um und geht ohne ein weiteres Wort. Überrascht und mit einem unguten Gefühl im Bauch sehen wir zu, dass wir schnell aus dem Laden herauskommen und fahren wieder Richtung Little River Campingplatz. Wir sind uns einig: Auf seine Jobvermittlung können wir auch gut verzichten. Gemeldet hat sich Jack aber ohnehin nie mehr bei uns.
Spielplatz in Okains Bay: Wie in „alten“ Schulzeiten
An einem anderen Tag sind wir die „Touristen-Strecke“ der Banks Peninsula gefahren. Die ruhige Straße führt über den Mittelkamm der Halbinsel und bietet tolle Panoramen in die vielen Buchten hinein. Wir machen einen Abstecher nach Okains Bay hinunter. Die Fahrt in die kleine Bucht lohnt sich. Das Mini-Örtchen war einst richtig im Aufschwung, wie eine Informationstafel am verlassenen Strand verrät. Bei abblätternder Farbe lese ich, dass die einst so wichtige Käsefabrik den letzten Käse in den 1960er-Jahren auf den Markt brachte; und das einzige Hotel, in dem Gäste aus nah und fern unterkamen, brannte bei einem Unfall ab – allerdings geschah dies schon 1880. Jetzt gibt es nur noch einen riesigen Campingplatz, dessen Spielplatz wir kindisch verunsichern. Wir denken uns noch, dass der Platz direkt am Strand schön und für die Abgeschiedenheit ziemlich weitläufig sei, denn Camper sind hier Mitte September kaum zu sehen. Später erfahren wir, dass der Campingplatz „Okains Bay“ einer der größten auf den Banks Peninsula ist und für die Sommermonate teils schon Wochen vorher gebucht werden muss. So kann man sich täuschen …
Wir verlassen die Banks Peninsula eher als ursprünglich geplant. Marcus hatte alle Hütten vermietet, da wir unseren Ankunftstag durch den Kauf des Wagens erst sehr spät festgesetzt hatten und das Wwoofing so immer wieder nach hinten verschieben mussten. Noch vom Little River Campingplatz aus schreiben wir weitere Wwoofing-Stationen an. Das Ziel: Eine Farm oder einen Weinberg zu finden, wo wir Erfahrungen sammeln können, die uns dann später einen Job in der Landwirtschaft verschaffen. Zunächst bekommen wir nur Absagen oder gar keine Antworten. Also erweitern wir unseren Radius und schreiben Farmen in ganz Canterbury an. In Waimate finden wir schließlich jemanden, der unsere Hilfe so nötig gebrauchen kann, dass er sogar direkt anruft und uns für in drei Tagen zu sich bittet. Zufrieden, eine neue Unterkunft gefunden zu haben, machen wir uns auf den Weg. Marcus ist begeistert von unserer Arbeit und lädt uns ein wiederzukommen – als Wwoofer oder Camper. Zum Abschied setzt er uns einen Kommentar auf unser Wwoofing-Profil im Internet: „Vor kurzem waren Maria und Philip auf dem Little River Campingplatz unsere Gäste. Es war uns eine Ehre, ihre ersten Wwoofing-Gastgeber zu sein und ich freue mich, sagen zu können, dass sie super waren. Wir hätten sie sehr gerne länger bei uns gehabt. Sie waren beide interessiert und offen für alle Jobs und erledigten diese sehr sorgfältig und kompetent. Ihr Englisch ist sehr gut und sie verstanden, was wir erreichen wollten. Die Aufgaben beinhalteten das äußerst akkurate Anstreichen von Fensterrahmen, Putzen, das Bewegen von schweren Gegenständen, Garten- und Wanderwegarbeiten. Ohne Beaufsichtigung arbeiteten sie hart und mit Eigeninitiative an der Fertigstellung der Projekte. Treppenstufen bauen, Geländer montieren, Geröll beseitigen und Kies verteilen. Viel harte und schwere Arbeit, aber alles mit einem Lächeln. Die Wanderwege sind jetzt in einem besseren Zustand als je zuvor. Sie sind motiviert und geschickt – also nutzen Sie die Gelegenheit, sie zu beherbergen, wenn Sie kontaktiert werden. Wir wünschen ihnen für ihre Reise alles Gute und hoffen, sie einmal wiederzusehen.“
Und auch die beiden anderen Wwoofer, Noemie und Fabien, schreiben uns einige nette Worte: „Wir haben zwar nur ein paar Tage zusammen mit Philip und Maria gewoofed, aber es reichte, um festzustellen, wie verantwortungsbewusst, motiviert und engagiert sie bei der Arbeit waren. Auch wenn sie etwas jünger sind, sind sie die reifsten Wwoofer, die wir in den letzten sechs Monaten beim Woofen kennengelernt haben. Außerdem sprechen sie sehr gut Englisch. Wir wünschen ihnen alles Gute!”
Es geht also weiter. Bevor wir nach Waimate fahren, das mit 230 Kilometern Richtung Süden schon recht weit „unten“ liegt, machen wir noch mal einen Abstecher nach Christchurch: Wir müssen die Kühlaggregate, die wir bei Fiona und Gary in Avonhead vergessen hatten, abholen und wollen außerdem zu einem Fabrik-Verkauf. Neuseelands bekannteste Kekse, die „Cookie-Time“-Cookies, schmecken nicht nur gut und haben einen hohen Suchtfaktor, sondern sind auch ziemlich teuer. Daher wollen wir zum Fabrik-Verkauf am State Highway 1 südlich von Christchurch, direkt nach der Stadtgrenze. Es lohnt sich: Die Bruchware schmeckt genauso gut und ist erheblich günstiger. Wir decken uns also ein und fahren weiter. In Ashburton, etwa auf der Hälfte der Strecke, machen wir einen Abstecher zum Meer. Doch das ist gar nicht leicht zu finden. Die langen und schmalen Verbindungsstraßen verlaufen nicht direkt zum Strand – denn vor der Küstenlinie liegen Felder und die Straßen enden oftmals auf Feldwegen und die wiederum bei den Kühen. Schließlich finden wir doch noch einen Zugang zum Meer, wo wir neben mehrere Meter hoher Brandung unser Mittagessen köcheln – schon mal Milchreis auf einem Campingkocher zubereitet? Es wird eine längere Mittagspause als geplant.
Achtung, Wellen!
Unsere Unterkunft in Waimate, leider ohne Strom
Die Canterbury Plains, wie die große flache Landwirtschaftsregion zwischen Christchurch und Waimate heißt, bietet außer den Städten Ashburton und Timaru nicht viel – außer eben Kühen und Schafen. Und als wir die großen Weiden auf dem State Highway 1 passieren, fallen uns noch all die umgekippten Bäume am Straßenrand auf. Der große Sturm, den wir bei unserer Ankunft in Little River erlebten, hatte voll zugeschlagen und etliche Bäume entwurzelt. Außerdem waren viele Haushalte ohne Strom – so auch unsere Bleibe in Waimate. Von Anfang an sind unsere neuen Gastgeber, ein junges Bauernpaar, nicht allzu freundlich. Als wir ankommen, richtet der Bauer mit seiner Freundin gerade den Wohnwagenanhänger her. Denn das kleine Häuschen, in dem die Farmarbeiter wohnen, war seit dem Sturm, also seit sieben Tagen, ohne Strom. Die riesigen, alten Nadelbäume an der Auffahrt zur Farm liegen noch immer unangetastet dort. Begraben haben sie nicht nur die Stromleitung zu unserem Cottage, sondern auch zum Haus der alten Farmer, den Eltern. Lediglich der junge Farmer, unser Gastgeber, und seine Freundin haben noch Strom in ihrem Haus. Zunächst denken wir uns bei dem Stromausfall nichts:
Für eine heiße Dusche soll der Wohnwagen vor der Tür sorgen, und ein lauter Dieselgenerator rattert vor der Tür für einen Heizstrahler im Hausinneren. Im Wohnzimmer lodert außerdem noch das warme Feuer im Kamin. Also alles kein Problem, wäre es nicht gerade Frühling in Neuseeland und würden nicht die meisten Neuseeländer mit Strom heizen. Wir teilen uns das Farmhaus mit einem Studenten aus England, der sein praktisches Jahr auf der Farm absolviert. Alex gehört nicht zu den Redseligen und wir tun uns schwer, sein Englisch zu verstehen – aber er ist immerhin freundlich zu uns. Beim ersten Abendessen taut das Farmerpaar dann doch etwas auf (in ihrem Haus gibt es schließlich Heizung, Warmwasser und Strom). Wir werden anschließend bei unserem Häuschen abgesetzt und fallen müde ins Bett: Vier Decken, zwei Schlafsäcke und dicke Pullis schaffen es nur so gerade eben, Maria und mich warm zu halten. Verflucht sei diese Unsitte der Elektroheizungen.
Um genau neun Uhr steht der Bauer am nächsten Morgen hupend vor der Haustür. Schnell greifen wir noch einen Extrapulli, unsere Arbeitshandschuhe und stürmen raus. Voller Vorfreude auf die Arbeit mit den Tieren setzen wir uns zu ihm in den Wagen. Vielversprechend drehen wir eine Runde über die Farm und kontrollieren, ob über Nacht Lämmer zur Welt gekommen sind – sind sie aber nicht. Heute Morgen ist der Bauer sogar mal freundlich und kündigt an, uns in den kommenden Tagen auch ein wenig zu den Tieren erzählen zu wollen. Erst mal werden wir aber wieder an unserem Häuschen abgesetzt und er holt uns eine „Schubkarre“: Ein alter Ford, der seit einigen Jahren in der Scheune steht, keine Spiegel, kein Licht, keinen WOF (TÜV) hat und auch nicht mehr zugelassen ist. Die nächsten viereinhalb Stunden dürfen wir kleine Stöcke und Äste um sein Haus herum aufsammeln, auf das Scheunen-Fahrzeug werfen und zu einem großen Haufen – einem späteren Scheiterhaufen – bringen. Anfangs ist es noch lustig, mit der alten Klapperkiste zu fahren, spätestens nach der dritten Fahrt geht uns der ständig ausgehende Motor aber genauso auf den Geist wie der Job an sich. Etwa einmal die Stunde kommt der Bauer in seinem Geländewagen vorbeigebraust und guckt kritisch. Nach etwa viereinhalb Stunden kommt er dann mit der Motorsäge, sägt einen nur angebrochenen Ast klein und geht wieder. „Den könnt ihr noch wegbringen, und dann dürft ihr für heute Schluss machen“, sagt er und schreitet in seinen Boxershorts der Sonne entgegen. Was für ein Bauer. Ein Wort des Lobes oder Dankes scheint ihm fremd. Und als ich uns am Abend – es wird gegen sechs dunkel – etwas Licht in unserem Häuschen machen will und den Generator nicht an bekomme, ernte ich von ihm Spott. „Ihr Deutschen wisst noch nicht mal, wie man einen Generator anmacht?“ Nein! Ich als Stadtkind weiß es tatsächlich nicht – hätte es in diesem Moment aber gerne erklärt bekommen, was dann später der Engländer Alex übernehmen muss. Enttäuscht gehen wir abends in unser kaltes Bett und frieren. Vielleicht wird es ja morgen besser?
Leckere Milch
Wird es nicht. Immerhin müssen wir an Arbeitstag zwei nicht mehr kleine Stöcke aufheben, sondern große Äste bewegen. Und sogar Lob gibt es bei der Arbeit – aber nur vom alten Farmer. Der Vater unseres Gastgebers hilft bei der Arbeit mit der Motorsäge. Zum Mittagessen gehen wir ins stromlose Elternhaus. Vater und Mutter unseres Farmers sind ein herzliches, altes Ehepaar, das sich für uns interessiert und mit uns redet. Die ehemalige Bäuerin soll laut den Internetkommentaren sehr gut kochen können. Dank dem Stromausfall gibt es zu beiden Mittagessen aber nur Schnitten und kein ausgefallenes, neuseeländisches Traditionsgericht – verflucht sei dieser Sturm. Dafür dürfen wir dann drei kleine Lämmchen mit der Flasche füttern. Die gebrechlichen Lebewesen sind wirklich sehr süß und stellen unsere erste „richtige“ Farm-Erfahrung dar. Weil ihre Mütter sie verlassen haben, müssen sie nun zweimal täglich die kleine Baby-Milchflasche bekommen. Die Aufsätze sind extra für Lämmer, könnten aber auch für Menschenbabys sein. Eins kann gar nicht genug kriegen. Immer wieder kommt das Wollknäuel herbeigestolpert und will seine beiden „Kameraden“ (oder Feinde?!) von der Flasche wegdrängen. Bei denen wiederum fällt es schwer, überhaupt Milch einzuflößen. Doch mit einer Hand am weichen Fell und der anderen am kleinen Mäulchen werden wir unsere weiße Flüssigkeit irgendwie los.
Den zweiten Nachmittag nutzen wir, um uns Waimate anzuschauen. Ein weitestgehend verlassenes Örtchen, in dem vor allem Landwirtschaft betrieben wird. Wir fragen in einer Arbeitsagentur nach Jobs. Momentan nichts. Der Ort bietet außer einem Denkmal für seine glorreichen Jahre, als die Baumfällerfamilien (etliche aus Deutschland) hier lebten, nicht viel. Es gibt noch nicht mal kostenloses Internet in der Bücherei. Und ein kleiner Spazierweg, der tolle Aussichten bis zur Küste verspricht, ist nach dem Sturm natürlich gesperrt. Immerhin ist neben allen nötigen Läden ein Fabrikverkauf vorhanden, wo es die weiche Kleidung aus Merino- und Possumwolle, der in Neuseeland bekannten Marke „Waimate“, günstiger gibt als üblich. Blaue Ponchos, dicke, grüne Pullis und weiche Tücher – alles fühlt sich fantastisch an. Zurück auf der Farm wollen wir unseren Wagen waschen – der hat es dringend nötig. Der alte Farmer gibt uns Schlauch und Schwamm und wir lassen wieder den grausilbernen Lack durchkommen. Als wir den Schlauch zusammenrollen, fällt uns Wasser im Wagen auf: Unten rechts an der Frontscheibe hat sich eine kleine Pfütze gebildet. In Panik testen wir noch mal mit dem Schlauch. Es ist eindeutig, wir haben eine undichte Scheibe. Bislang war uns dies noch nicht aufgefallen, da es tatsächlich, seit wir den Wagen hatten, kaum geregnet hat. Doch für Ende der Woche ist jetzt Niederschlag angesagt. Die Scheibe war erst für den neuen TÜV gewechselt worden und zwar in … Christchurch. Also was tun? In diesem Moment fährt der Farmer in seinem Geländewagen vorbei. Wir berichten ihm von unserer Entdeckung, er interessiert sich dafür allerdings nicht besonders und sagt stattdessen, dass wir am nächsten Abend mit Kochen dran wären. Jetzt ist unsere Stimmung endgültig am Boden. Ich treffe die drastische Entscheidung, dass wir nach dem Abendessen zurück nach Christchurch fahren. Unser Farmer ist nicht begeistert, aber das ist mir egal. Einen dichten Wagen zu haben ist mir in diesem Moment wichtiger. Schnell packen wir zusammen, rufen Fiona in Christchurch an und kündigen uns für die Nacht an. Nach nur zwei Tagen fahren wir die 230 Kilometer wieder nach Norden. Der Plan, eine Runde gegen den Uhrzeigersinn über die Südinsel zu fahren, hat sich damit erledigt. Zu allem Überfluss schleudert uns einer der großen Lastwagen auf dem State Highway 1 auch noch einen Stein in die neue Scheibe … Die Wwoofing-Erfahrung in Waimate war keine positive. Wir fühlten uns nicht willkommen und unwohl, und der Farmer war unfreundlich. Wir sind, obwohl wir früher viel und häufig draußen gespielt haben, doch keine robusten Farmkinder, was auch eine Erkenntnis ist. Wir hätten uns sicherlich arrangieren können, aber auch so war es eine Erfahrung. Und wir haben gelernt: Wwoofing bedeutet nicht immer aushelfen als Reisender – sondern auch arbeiten als billige Arbeitskraft.
Und wieder sind wir in Christchurch. Der Glaser dichtet die Scheibe ohne Probleme ab. Also fast. Denn am ersten Regentag ist wieder alles nass. Im zweiten Dichtungsanlauf schafft dann auch er es, die Scheibe abzudichten. Dennoch ist die Stimmung absolut am Boden – gerade ich habe keine Lust mehr. Backpackerleben, das bedeutet: Plan- und Orientierungslosigkeit bestimmen den Weg. Damit komme ich nicht klar. Aber noch schlimmer: Ich belaste durch meine schlechte Laune auch das Zusammenleben mit Maria. Hinzu kommt, dass ich Panik habe, keinen bezahlten Job zu finden. Meine pessimistische Theorie ist, dass wir unser Geld ausgeben und dann erst nach einem Job suchen, wenn wir kaum noch einen Dollar haben – und dann? Dann müssen wir eher zurückreisen. Also dränge ich darauf, schon jetzt in Christchurch Arbeit zu suchen. Denn zu tun gibt es hier genug – vor allem im Baugewerbe. Nach einigem Murren nimmt Maria dies zum Anlass, sich bei einigen im Internet ausgeschriebenen Jobs zu bewerben. Nach nur einer halben Stunde hat sie zwei Einladungen für Vorstellungsgespräche im Posteingang ihres Mail-Kontos. Und ich? Ich habe Weinberge angerufen, Landwirtschaftsjobs auf der ganzen Südinsel angeschrieben, meinen Lebenslauf bei Fastfood-Ketten und Supermärkten abgegeben. Doch nirgendwo gibt es eine postwendende Reaktion wie bei Maria. Von vielen Bewerbungen höre ich gar nichts mehr. Zwischen Maria und mir kommt es zum Streit, den wir zwar beilegen, aber es bleibt angespannt. Wir vereinbaren abzuwarten, was bei Marias Vorstellungsgesprächen herauskommt. Und ich bewerbe mich in der Zwischenzeit bei Leiharbeitsfirmen, bei denen man schnell Jobs bekommt, wie mir andere Backpacker in New Brighton auf dem Parkplatz am Strand erzählen. Nach zwei Tagen bei Fiona und Gary sind wir nämlich wieder ans Meer gewechselt – wir können diese Gastfreundschaft einfach nicht noch länger ausnutzen.
Zwei Baumarbeiter nach der Arbeit
Kitschig, aber niedlich: Das „Sweethearts“
Marias Vorstellungsgespräch läuft gut, und sehr gut dann sogar ihre Probearbeit. Sie bekommt den Job zwischen „Victorian High Tea“, Kaffeekränzchen und aufwendigen Speisen für den Hunger zwischendurch. Das ganz in pink gehaltene Café wird hauptsächlich von älteren Damen besucht und heißt „Sweethearts“. Während Maria arbeitet, fahre ich durch Christchurch mit der Straßenkarte auf dem Lenkrad, vegetiere in den Büchereien vor mich hin, treffe mich mit Paul (dem Austauschschüler der Familie) oder besuche die gesamte Familie. Außerdem nähe ich über zwei Stunden hinweg ein Kissen für meinen Rücken beim Autofahren. Ich komme richtig in Schwung, steche die Nadel durch und führe sie wieder nach oben durch den Stoff – blöderweise bin ich so auf Nadel und Faden fokussiert, dass ich das Kissen am Lenkrad festnähe. Das Entwirren kostet mich eine weitere Dreiviertelstunde. Am Ende zeige ich aber durchaus mit Stolz Maria mein Kissen, als ich sie vom Café abhole. Ich füge mich also in die Situation, keinen Job zu finden. Mir wird in diesen ersten zwei Tagen klar, wie hart es sein muss, arbeitslos zu sein und erst recht, wenn dann noch eine Familie daran hängt. Es ist ein unschönes Gefühl, wenn man sich bewirbt und unbedingt arbeiten will, aber noch nicht mal als Tütenpacker im Supermarkt gebraucht wird. Ein Gefühl der Machtlosigkeit, das ich so noch nicht kannte. Während ich Kissen (am Lenkrad fest-)nähe, arbeitet Maria und zahlt in unsere gemeinsame Kasse ein. Beim Einkaufen will ich sparen und versuche sie davon zu überzeugen, etwas nicht zu kaufen. „Im Gegensatz zu dir habe ich immerhin den ganzen Tag gearbeitet …“. Das sitzt. Zwar entschuldigt sie sich sofort, aber es strapaziert die Atmosphäre zusätzlich. Während wir in New Brighton schlafen und am Car Market die günstigen Duschen nutzen, lernen wir Chiara und Lena kennen, zwei deutsche Backpackerinnen, die uns für eine Nacht in New Brighton Gesellschaft leisten und auch später noch begegnen werden. Marias Job im Café macht ihr zwar Spaß, allerdings wird sie nur vom einen auf den anderen Tag gebraucht und dann auch nur für wenige Stunden – das ist keine Basis. So kann es nicht weitergehen, da sind wir uns einig. Die Alternativen sind für einige Zeit getrennte Wege zu gehen, so dass ich außerhalb von Christchurch einen Job auf dem Land finden kann, oder die Zelte in der Stadt abzubrechen und weiterzureisen. Wir entscheiden uns für Letzteres; die andere Möglichkeit haben wir wohl beide nie wirklich in Erwägung gezogen. Ich schreibe daher erneut Wwoofing-Farmen an, so habe ich in den Büchereien wenigstens etwas Sinnvolles zu tun und kann das kostenlose Internet nutzen. Unsere präferierten Adressen reagieren nicht, dafür lädt uns eine andere Familie für das Wochenende zu sich ein. An Marias letztem Arbeitstag meldet sich dann bei mir doch noch ein Supermarkt, der einen Bäckerassistenten für zwei Jahre braucht, was natürlich viel zu lang ist. Wir verlassen also Christchurch. Zum Abschied am New Brighton Parkplatz kriege ich noch den Schiss eines Albatros ab – schlimmer wird’s wohl nimmer. Obwohl, und das ist ein Zeichen für Heimatgefühl, ich die Wege mittlerweile schon ohne Karte finde, wollen wir so schnell nicht mehr zurückkommen. Ob das klappt?