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Sonne im Regenwald: Fiordland mal anders
ОглавлениеKawarau Gorge
Das erste Reiseziel ist Fiordland im Südwesten der Insel. Wir fahren durch die Kawarau Gorge mit den vielen Weinbergen und Obstplantagen des Gibbston Valley. Die felsigen Hügel oder Berge sind nur in Ansätzen zu erkennen, da es so neblig und wolkig ist. Dazu regnet es noch in Strömen. Dennoch halten wir kurz an der Kawarau Bridge – der ersten kommerziellen Bungee-Anlage Neuseelands. Wir bewundern kopfschüttelnd die Verrückten, die sich für 180 Dollar 43 Meter in die Tiefe stürzen. Zwei Sekunden freier Fall, ein lauter Schrei und das war‘s. Natürlich sind sie nicht aufgeschlagen, sondern der Sprung ist schlicht so schnell schon wieder vorbei. Auch wenn es nur 43 Meter sind, uns ist es definitiv zu hoch – und zu teuer. Also geht es weiter: Wir sparen uns den Abstecher nach Queenstown und Arrowtown, da wir hierfür noch genug Zeit haben werden, wenn wir in Cromwell leben. In Frankton müssen wir über eine einspurige Brücke, die eine Ampelreglung hat – es ist für uns die erste Ampel seit Christchurch und dementsprechend überrascht sind wir. Es geht die kurvenreiche Straße zwischen den felsigen Remarkables, einer Gebirgskette samt Skigebiet auf der linken Seite und dem Lake Wakatipu auf unserer rechten Seite, entlang. Auf dem nassen Weg, vorbei an Schafen, Kühen und vielem Rotwild, nach Te Anau, dem Hauptanlaufspunkt in Fiordland, ist uns beiden flau im Magen. Während es bei mir dabei bleibt, müssen wir für Maria zweimal mit Warnblinklicht am Straßenrand stoppen. Jetzt einen Magen-Darm-Virus? Wir können uns Schöneres vorstellen. Glücklicherweise bleibt es aber bei den beiden Notpausen. Trotzdem beenden wir diese Reiseetappe eher als ursprünglich geplant. Der günstige DOC-Campground wäre noch weitere anderthalb Autostunden entfernt gewesen. Stattdessen verbringen wir die Nacht in der Possum Lodge, einem kleinen Campingplatz am Lake Manapouri.
Nebel über Lake Manapouri
Fiordland – das ist eine große Region mit hohen, teils schneebedeckten, Bergen und unzähligen Fjorden, von denen aber nur zwei über den Landweg zugänglich sind: Doubtful Sound und der Klassiker Milford Sound. Doch auch ohne diese beiden Fjorde bietet die Region vieles: Mehrtageswanderungen – darunter mit dem Milford Track, dem Routeburn Track und dem Kepler Track drei der neun Great Walks Neuseelands – Bootstouren, zig Tages- oder Kurzwanderungen, Glühwürmchenhöhlen oder einfach nur relativ einsame DOC-Campingplätze. Diese und noch viele weitere Touristenangebote gibt es nicht grundlos. Daher wundert es nicht, dass es von Touristen nur so wimmelt. Wer Fiordland allerdings etwas ruhiger erleben will, der fährt nicht nur von Te Anau nach Norden bis zum Milford Sound, sondern auch nach Süden bis nach Invercargill. Wir starten also vom Lake Manapouri aus, der sich uns in mystischem Sonne-und-Wolken-Mix zeigt. Bei den vielen Touristenangeboten ist es gar nicht leicht, sich zu entscheiden. Ohnehin haben Maria und ich Schwierigkeiten, Entscheidungen zu fällen: Der viertägige Kepler Track klingt zwar interessant und ist wohl auch sehr lohnenswert – ärgerlicherweise hatte ich nur meine Regenjacke bei der Familie in Christchurch vergessen, wie mir erst jetzt auffällt. Und den Kepler Track ohne Regenjacke zu laufen ist keine gute Idee. Eine achtstündige Tagestour zum abgelegenen Doubtful Sound, inklusive des Besuchs eines der größten Kraftwerke Neuseelands, des „West Arm“, erscheint uns ebenfalls reizvoll. Schließlich ist der Doubtful Sound der größte Fjord Neuseelands und um einiges länger und breiter als der bekanntere Milford Sound. Allerdings ist uns die Tour mit über 200 Dollar pro Person zu teuer. Also wollen wir eine Bootsfahrt durch besagten Milford Sound machen, der kleiner, aber durch die steil abfallenden Klippen genauso beeindruckend oder sogar noch beeindruckender sein soll. Nur erkunden wir den Fjord mit dem Kajak oder einer Bootsfahrt? Maria würde gerne kajaken, allerdings habe ich noch nie in einem solchen Paddelboot gesessen. Wir entscheiden uns für die Bootstour und wollen auf dem Weg einige der kürzeren Wanderungen machen. Wer nicht eine der Touren mit dem Bus von Queenstown oder Te Anau bucht, ist gut beraten, vorher die Straßenverhältnisse zu überprüfen: Die Straße zum Sound ist des Öfteren wegen Schnee- oder Schlammlawinen gesperrt. Zwar sieht man am Rand immer wieder Stellen, wo der Asphalt von Bäumen und Felsbrocken begraben wurde, aber die Straße ist frei. Für die knapp 100 Kilometer soll man zwei Stunden einplanen – wir brauchen mit Sicherheit länger. Zu allem Überfluss knackt es beim Tanken in Te Anau plötzlich, und von meinem Sicherheitsgurt sind nur noch Einzelteile übrig. Ich fahre die nächsten Kilometer also nur mit Gurt zur Zierde und hoffe, dass uns keine Streife begegnet und ich keinen Unfall baue – ein Airbag fehlt Eddie nämlich ohnehin.
Milford Track: Wo die Berge die Wolken kitzeln
„Der Milford Track ist ein Klassiker“, sagt Marcel Hainke. Gemeinsam mit seiner Freundin Lisa Schönhoff hat mein Freund diesen Great Walk gemacht: Vier Tage für 53 Kilometer im tiefsten Fiordland. Die Wanderung ist nicht nur ein Klassiker, sie gilt auch als eine der schönsten Wanderungen der Welt. Das ist nicht nur dem vielen Wasser geschuldet, das in großen Wasserfällen immer wieder in der Nähe des Weges hinunterstürzt. Auch die Vielfalt sei beeindruckend: „Von ruhigen Flussläufen, wo man barfuß ins kalte Fiordland eintauchen kann, geht es über weiches Moos hinauf auf die steilen Berge“, sagt der 25-jährige Marcel. Gerade die Southern Alps mit dem Schnee auf ihren Spitzen und den tiefen Schluchten dazwischen seien absolut beeindruckend gewesen. „Der Punkt da oben auf dem Gipfel in etwa 1200 Meter Höhe – einfach toll. Diese Eindrücke könnten aus einer Werbung stammen!“
Dass es in Fiordland häufig regnet, ist keine Neuigkeit. Im Jahr kommt es an durchschnittlich 200 Tagen nass vom Himmel. Marcel und Lisa hatten Glück: Die ersten drei Tage hatten sie Sonnenschein und Wolken, aber keinen Regen. Denn sind die Klamotten einmal nass, läuft es sich nicht nur unangenehm – man bekommt sie auch nicht mehr trocken. Und das, obwohl der Milford Track keine Alternative zum immerhin bescheidenen Luxus lässt: „Es gibt keine Campingplätze, nur Hütten“, erklärt Marcel. Darin seien die Nächte kurz – aber die Abende umso lustiger, da man sich immer mit denselben Personen den Ess- und Schlafbereich teile. Denn die Wanderung kann man nur vom festen Startpunkt aus, dem Glade House am Nordufer des Lake Te Anau, beginnen, und dann geht man in Richtung Milford Sound, wo der Weg an einem Punkt des Fjordes endet, den man mit einer gewöhnlichen Touristen-Bootstour gar nicht kennenlernt.
Da es keinen Gegenverkehr gibt, wirke der Great Walk sehr leer. „Man bewegt sich nun mal immer in dieselbe Richtung“, so Marcel. Doch der Wanderstrom hat auch seinen ganz klaren Nachteil: Einmal mit einem Schnarcher im Schlafsaal, immer mit diesem Schnarcher im Schlafsaal – und eine schlaflose Nacht kann bei dem Fußmarsch mit viel Gepäck auf dem Rücken sehr nervig sein.
Bei aller Schönheit der Landschaft, Abenteuerlust und Abgeschiedenheit. Wenn es hier regnet, dann regnet es. An Marcel und Lisas viertem Tag schüttet es dann auch. „Dadurch war für uns der letzte Tag der anstrengendste. Auf dieser Etappe kam noch nervliche Erschöpfung hinzu“, so Marcel. Stellenweise, so erzählt der Wittener, mussten sie durch knietiefes Wasser waten. Spätestens nach drei Stunden wurde es nur noch von Schritt zu Schritt schlimmer. Doch da bleibt nur die Flucht nach vorne. Im Nachhinein kann man dann aber mit Stolz behaupten, den bekannten Milford Track gemeistert zu haben.
Für den Milford Track muss man die Hüttenplätze, genauso wie für die anderen Great Walks auch, reservieren. Da es bei dieser Viertageswanderung aber keine Campingplätze gibt, ist die Anzahl der Matratzen auch gleichzeitig die Kapazitätsgrenze. Die Folge: Gerade im Sommer ist es schwer die begehrten „Hüttenpässe“ zu bekommen. Schon Wochen vorher sind normalerweise alle vergriffen und man kann nur mit Glück noch einzelne Tickets bekommen. Im Winter lässt sich die Route einfacher begehen – allerdings nur, was die Belegung angeht: Ansonsten ist es ausgesprochen gefährlich, im Winter den Track zu wandern. Schnee, enorme Lawinengefahr, schnelle Wetterumschwünge und nur wenige Wanderer.
Kommerzielle Wanderführer bieten ihre Touren auch aus diesem Grund üblicherweise nur im Sommer an. Für knapp 2000 Dollar (pro Person) werden bei diesen Touren Naturerlebnis mit Luxus-Feeling verbunden. Die Unternehmen nehmen einem die Last von den Schultern, anstelle von rustikalen Hütten warten komfortable Lodges am Wegesrand und statt trockenen Nudeln oder Haferschleim gibt es ein aufwendiges Abendessen. Inwiefern der gesamte Track mit diesem Rundum-sorglos-Paket noch das ist, was er eigentlich darstellt, bleibt jedem selbst überlassen.
Der Track schlängelt sich durch Fiordland
Tierähnliches Holz
Also nehmen wir die Straße nach Milford in Angriff und stoppen schon bald für unseren ersten Gang am Lake Mistletoe. Ich mache es an diesem Tag Maria mal wieder nicht einfach, bin mit der Reiseplanung der nächsten Tage unzufrieden. Immerhin finden wir bei der Wanderung im moosigen Wald nicht nur einen Baum, der wie ein Einhorn aussieht, sondern Maria entdeckt auch eine freilebende Stabheuschrecke. Es gibt zwischen Te Anau und dem Milford Sound knapp zehn DOC-Campingplätze, die alle mit sechs Dollar pro Person erschwinglich sind – und dies wird noch nicht einmal immer kontrolliert. Wir entscheiden uns für die erste Nacht in den Tiefen Fiordlands für einen Campingplatz direkt am Fluss. Sofort wollen wir das Gewässer erkunden und laufen entlang des Ufer zum Informationsbrett. Auf dem Rückweg versinke ich im Morast: Mein Wanderschuh ist voller Wasser. Auf Sonne zum Trocknen kann ich heute vergeblich warten – es ist bewölkt, und die Dämmerung setzt sowieso schon eine Stunde später, gegen sechs, ein. Die Idee, ein romantisches Lagerfeuer zu entfachen, scheitert am durchnässten Holz. Der Schuh muss also über Nacht irgendwie anders trocken werden.
Holzähnliches Tier
Kaum haben wir es uns in unseren Campingstühlen bequem gemacht, müssen wir in den Van flüchten: Schon vorher hatten wir an anderen Stellen auf der Südinsel Bekanntschaft mit den sogenannten Sandflies gemacht. Kleine, fruchtfliegenartige Geschöpfe, die es überall gibt, wo keine Meeresbrandung in der Nähe ist. Besonders gern haben sie aber feuchte Gebiete, weswegen Fiordland ideal für sie ist. Sandflies beißen unangenehm in die Haut, um an Blut zu kommen. Während dies normalerweise nur einen Juckreiz von wenigen Minuten auslöst, hat unser Körper aber zwei Schwachstellen, die auch die Fliegen kennen, wie wir an diesem Abend feststellen müssen. An Knöcheln und Handgelenken, wo kaum Fett vorhanden ist, schwillt die Haut an und es juckt höllisch. Frustriert warten wir im Van, bis die Sonne untergeht und so die Sandflies verschwinden. Kaum sind diese auch tatsächlich weg, beginnt es aber zu regnen. Kochen unter freiem Himmel klappt heute nicht mehr. Wir stellen die Töpfe zum ersten Mal im Wagen auf die Gasflammen. Mit bangen Blicken verfolgen wir, wie der Wasserdampf vom Reiswasser in die Klimaanlage und die Innenverkleidung zieht, kochen wir auf engem Raum – aber es funktioniert.
Am nächsten Morgen scheint zwar die Sonne und mein Schuh ist wieder trocken, aber es ist klar, dass längere Wanderungen an den Sandfly-Bissen an Marias Knöcheln scheitern werden. Rot und dick angeschwollen ist die dünne Haut an den Gelenken. Wir wollen es dennoch versuchen und machen den Summit Key-Weg. Der Pfad durch Regenwald voller Moos ist auch das Ende des dreitägigen Routeburn Track. Für die angeschlagenen drei Stunden bergauf, vorbei an Wasserfällen und unter umgekippten Bäumen hindurch, brauchen wir nur zwei Stunden. Oben angekommen, erfüllt sich nicht unsere Hoffnung, dass wir durch die Wolken kommen und den einmaligen Ausblick genießen können. Stattdessen peitscht uns der Wind ins Gesicht und wir blicken in den Nebel. Alles ist nass, teils hat das Department of Conservation, das die unzähligen Wanderwege in bestem Zustand hält, Holzstege in den Sumpf gebaut. Die Wolkenmasse ist dicht. Nur für einen Moment reißt das wabernde Weiß um uns herum doch noch auf und wir erhaschen kurz die Aussicht auf die hohen, weißen Gipfel uns gegenüber. Warten auf bessere Sicht erscheint zwecklos. Doch kaum steigen wir wieder hinab, zeigt sich die Sonne. Was sich uns jetzt für ein Blick geboten hätte, ist nur Spekulation, aber ich will es eigentlich auch gar nicht wissen …
… und dann rissen die Wolken doch noch auf.
Entlang der Straße zum Milford Sound schauen wir uns noch den Mirror Lake an, der im Vergleich zu anderen Seen mit Spiegeleffekt wohl nur den Vorteil hat, dass hier deutlich mehr Touristen vorbeikommen. Genau genommen halten endlos viele Wohnmobile, Mietwagen und Reisebusse an. Außerdem gehen wir noch zu den Marian Falls, welche kein Wasserfall im eigentlichen Sinne, sondern mehr ein extremer Wildwasserbach sind. Da Marias Knöchel keine weiteren Wanderungen mehr erlauben, fahren wir weiter, um uns am Sound den Sonnenuntergang anzugucken. Kahle Felswände, herabstürzendes Wasser und immer wieder Zonen mit absolutem Halteverbot wegen Steinschlaggefahr. So stellt sich die Straße auf den letzten dreißig Kilometern dar. Der Höhepunkt dieser Strecke ist ein steiler und langer Tunnel – sowohl geografisch als auch vom Erlebnisgehalt. Der Homer Tunnel hat nur eine Fahrspur. Fünfzehn Minuten muss man daher warten, bis die Ampel auf grün springt. Direkt nach dem Tunnel fängt es nicht nur wieder an zu regnen, sondern es geht auch weiter bergab. Kurve um Kurve schlängelt sich die Straße den Berg hinunter. Die Felswände rechts und links sind überzogen von dünnen, weißen Fäden: alles kleine Wasserfälle. Teils war die Straße erst vor Kurzem verschüttet gewesen – erkennbar an den noch am Rand liegenden großen Felsbrocken. Endlich erreichen wir Milford Sound. Doch wer hier wie wir ein kleines, nettes Dörfchen erwartet, wird enttäuscht: Außer ein Paar Ferienhäusern, zwei Lodges, einem Souvenirshop und dem Hafen bietet der Ort nur Parkplätze und eben diese atemberaubende Szenerie.
Wunderschön! Wäre da nur nicht der Massentourismus …
Zufällig steigt Paul, der Austauschschüler aus Christchurch, aus dem letzten Reisebus des Tages. Was für eine Überraschung! Er macht als Schulausflug eine Tour über Nacht und freut sich ebenfalls, uns zu sehen. Wir schauen noch dem Boot hinterher, das im Fjord im Regen verschwindet und der Dunkelheit entgegen schwimmt. Dass es in Milford regnet, ist bei über durchschnittlich 182 Regentagen im Jahr keine Besonderheit. Dennoch hoffen wir auf gutes Wetter am kommenden Tag, als wir zu einer der beiden Lodges fahren und uns dort eine Parkbucht für die Nacht mieten. Draußen schüttet es wie aus Kübeln. Wir sind froh, im warmen und gemütlichen Aufenthaltsbereich der Lodge zu sitzen. Neben zwei deutschen Mädchen (eines ist Hanna, die wir später noch wiedertreffen werden) lernen wir noch einen Franzosen kennen, der auch einen Toyota Hiace von 1988 hat. Seiner hat zwar nicht all die technischen Spielereien, die unser Eddie hat (Einparkhilfe, elektrische Spiegel, elektrische Schiebedächer, digitaler Tacho, …), dafür aber dieselben Fehler: Bei beiden Wagen kann man während der Fahrt den Schlüssel problemlos abziehen, die Schiebetür hakt immer wieder, und außerdem müsse er seine Scheibe immer mit der Hand hochschieben, erzählt er lachend. Nach einem lustigen Abend und einer heißen Dusche rennen wir alle in unsere Vans. „Warum ist es hier nass?“, kommt es mir nachts um drei im Traum. Irgendwas tropft mir auf die Stirn, ich wache auf. Mein gesamtes Kopfkissen ist feucht – irgendwie war Wasser in den Wagen gekommen. Der Vorhang war in der Heckklappe eingeklemmt worden und hatte so Wasser hinein gelassen. Ich muss also in den Regen und die Tür auf- und zumachen. Nach einer Minute sitze ich wieder im Wagen. Pitschepatsche nass. Der Regen hämmert auf das Blechdach. Und morgen soll die Sonne scheinen? Na, das kann ja was werden!
Regenbögen im Wasserfall
Blauer Himmel und Sonne machen den Milford Sound noch beeindruckender und wir dürfen auch noch mit dem Boot hinaus auf den Fjord. (Also „dürfen“ ist gut, wir haben vorher auch viel Geld bezahlen „dürfen“.) Wir haben Glück und einen der wenigen reinen Sonnentage im Jahr erwischt. Zu unserer Linken ragt der 1692 Meter hohe Mitre Peak in den Himmel. Er entwächst direkt dem Wasser. Die vielen kleinen Wasserfälle sind schon fast langweilig im Vergleich zu den wenigen gigantischen, wo ständig unzählige Liter Wasser hinunter stürzen. Der Fjord selbst besteht aus dunklem Salzwasser und birgt vermutlich in seinen 400 Metern Tiefe viele Lebewesen. Das Gestrüpp oder die Bäume an den steilen Felswänden sind eigentlich schon in die Wellen gefallen, halten sich nur noch mit kräftigen Wurzeln so gerade eben an der Wand fest. Die gesamte Szenerie ist beeindruckend und dank der Erklärungen des Bordpersonals fühlt man sich der Natur noch näher. Wir schippern durch Meereswasser vorbei an den Süßwasserfällen. Oberhalb hängen die Gletscher. Die Sonne erobert gerade den Fjord – sie braucht doch recht lange, bis sie hoch genug steht, um über die steilen Berge in den schmalen Meeresarm hineinzuscheinen. In den ersten Sonnenstrahlen des Morgens sonnen sich einige Robben auf einem Felsen. Klick, klick, klick. Die Touristen lassen ihre Fotoapparate arbeiten. Einen Felsvorsprung weiter bricht sich die Sonne in den Wasserfällen – es entstehen farbenfrohe Regenbögen. Dann fährt der Kapitän den Bug unter einen der Wasserfälle. Wer möchte, kann sich eine der roten Regenjacken überziehen und sich unter das Wasser stellen. Der Druck ist enorm, dazu kommen Winde vom stürzenden Wasser. Ein Erlebnis, nach dem es erst einmal etwas zu trinken gibt: Die Crew hatte Wassergläser aufgestellt, die nun mit frischem Bergwasser gefüllt sind.
Achtung, nass!
Fast hätten wir vor lauter Wasser das Pinguin-Trio verpasst, das neben dem Boot herschwimmt: Es sind Tiere der seltenen Art Gelbaugenpinguine. Weil wir eine der ersten Bootsfahrten dieses Tages gebucht hatten, strömen erst bei unserer Rückkehr die Touristen in den Hafenterminal. Dazu fliegen alle paar Minuten kleine Propellermaschinen oder Helikopter den Mini-Flughafen Milford Sound an. Es kommt Leben in diese eigentlich so wilde Natur, die Touristen belästigen und belasten Flora und Fauna, bis es am Abend wieder still werden wird. Bis es am nächsten Morgen wieder weitergeht. Irgendwie müssen ja die etwa 500.000 Besucher pro Jahr herkommen …
Ein furchtloser Kea
Auf dem Weg zum Wagen läuft ein Kiwi über den Parkplatz. Total überrascht, denn die Nationaltiere sollen nur noch äußerst selten zu sehen sein, schieße ich einige Fotos. Wir fahren weiter und wundern uns über das eigene Glück. Später erfahren wir: Nicht alles, was ein bisschen wie ein Kiwi aussieht, ist auch gleich einer. Wir hatten nur einen der deutlich häufigeren, frecheren und nervigeren Wekas gesehen. Diese Vögel können ebenfalls nicht fliegen, sind aber alles andere als menschenscheu, was wir im Verlauf unserer Reise noch erfahren werden. Dafür sehen wir aber einige Kea – und diesmal auch echte und nicht nur ähnliche Tiere. Die Exemplare der letzten Bergpapageienart rennen auf dem Parkplatz einiger Wasserfälle herum, springen auf die Autos und sind eine große Attraktion. Während die Vögel in diesem Fall nur im Kreis laufen, sind sie normalerweise ein echtes Problem: Sie picken die Gummidichtungen der Autos heraus oder zerstören die Rucksäcke und Zelte der Wanderer. Ich rege mich in diesem Moment aber nur über eine asiatische Familie auf, die ihren teuren Geländewagen auf dem Parkplatz abstellt, damit sich drei der vier den verwunschenen Farnwald und die Wasserfälle anschauen können. Währenddessen lassen sie den Wagen für mindestens zehn Minuten laufen. Warum das Fahrzeug weiter Abgase in die Luft pusten muss – und das inmitten eines wundervollen Nationalparks – leuchtet mir nicht ein, weswegen ich den Fahrer zur Rede stellen will. Ich lasse es dann aber doch bei meinem Groll und wir steigen lieber wieder in Eddie ein.
Gut, dass man viel Zeit hat … im Urlaub
Zurück Richtung Te Anau müssen wir natürlich auch wieder durch den Homer Tunnel. Diesmal geht es für uns nur bergauf. Eddie, so erwähnte ich bereits, ist bergauf nicht der schnellste. Wir warten über zehn Minuten an der roten Ampel. Um uns herum fließt das Wasser die steilen Felswände hinunter. Die Ampel springt um: Grün, los geht’s. Von den Autos vor uns sind schon nur noch die Rücklichter erkennbar. Wasser tropft von überall auf den Wagen und am Rand liegen Gesteinsbrocken. Denn der 1954 eröffnete Tunnel hat nur den mehr oder weniger harten Fels als Wand. Mehrere Jahrzehnte dauerte einst der Bau des über 1200 Meter langen Durchgangs, der um 1930 herum zunächst eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme darstellte. Die Ampelanlage ist übrigens nur zur Hochsaison im Sommer geschaltet – wartende Autos wären im Winter einer zu großen Gefahr von Lawinen ausgesetzt. Da ein gegenseitiges Passieren zweier Autos platzmäßig knapp möglich ist, lässt sich die Ampel in den kalten Monaten ausschalten. Als wir endlich vom grellen Licht geblendet das Ende erreichen, zeigt die Ampel für die Gegenseite noch eine Minute an – wir haben also 14 Minuten für den Tunnel gebraucht. Aber wir haben es geschafft und fahren die lange und kurvige Straße wieder zurück bis Te Anau. Das grüne Moos bedeckt stellenweise den gesamten Asphalt. Wir haben wirklich Glück gehabt mit dem Wetter. Für eine Schaf-Familie müssen wir hingegen unterwegs nochmals anhalten. Das Muttertier samt beiden Lämmern war offenbar ausgebrochen. Unsere Einfangversuche scheitern kläglich – ausgebrochene Schafe sind in Neuseeland eindeutig keine Seltenheit.
Heute auf der Speisekarte: Frikadellen mit Nudeln
Nach dem nördlichen Teil Fiordlands folgt der südliche. Weniger feuchter Regenwald, weniger Menschen und nur eine Straße: Die Southern Scenic Route führt von Queenstown über Te Anau und Invercargill bis nach Dunedin an der gegenüberliegenden Ostküste. Wir folgen der kaum befahrenen Straße bis zur südlichsten Großstadt Invercargill. Eine Nacht verbringen wir auf dem abgeschiedenen DOC-Campingplatz „Lake Monowai“. Der Campingplatz ist wegen seiner abgeschiedenen Lage als „basic“ eingestuft und somit kostenlos. Zum Schotterplatz führt eine zwölf Kilometer lange Seitenstraße vom Highway aus. Während diese Straße erst noch gut ausgebaut ist, fetzt schon bald der Asphalt am Rand aus, bis schließlich nur noch grober Schotter und Staub den Weg markieren. Sind wir hier noch richtig? Wir wollen eigentlich umdrehen, als wir doch noch das Schild zum Platz sehen. Nicht sicher, ob es gut oder schlecht ist, so abgelegen allein zu sein, fahren wir die letzten Meter. Die Überraschung ist groß: Neben uns sind noch drei weitere Vans dort. Ein bärtiger Mann, Ende 20, steht vor einem Fahrzeug und jongliert mit irgendwelchen Hölzern. Als er uns sieht, kommt er wild gestikulierend auf uns zu. Verwirrt öffne ich die Tür. „Achtung, Türen zu lassen! Alles voller Sandflies“, sagt der Franzose. Ich schaue fragend, gucke zu seinem Van hinüber: Alle Türen und Fenster stehen sperrangelweit offen. „Ja eben. Bei mir ist es zu spät“, erklärt er. Lachend steige ich aus und stelle mich vor. Der Franzose reist seit acht Monaten allein in seinem Van durch das Land und freut sich eindeutig, mit jemandem sprechen zu können. Ganz spurlos sind diese acht Monate offenbar nicht an ihm vorbeigegangen – er ist merkwürdig distanzlos. Nach dem Essen gehen wir Feuerholz suchen.
Stille, Einsamkeit, Natur
Tatsächlich finden wir etwas. Zusammen mit dem Franzosen und den anderen Campern, einem kanadischen Pärchen und einer amerikanischen Frau samt Mutter, machen wir ein Feuerchen und reden bis spät in den Abend hinein über die Reisen und unsere Heimat. Als alle irgendwann zurück zu den Vans gehen, bleibt nur der Franzose noch am Feuer. Vor den Autos unterhalten Maria und ich uns noch mit den Kanadiern Jonathan und Shannon. Die beiden ausgesprochen freundlichen und offenen Backpacker wollen am nächsten Tag eine Tour zum Doubtful Sound machen (inklusive Übernachtung). Jetzt quatschen wir noch und beobachten den Franzosen: Er steht auf, wankt vom Feuer weg und hält vor sich ein entzündetes Feuerzeug in die Dunkelheit. Merkwürdig. Hinzu kommt, dass er sich nicht in unsere Richtung bewegt, sondern direkt auf das Ufer des nahen Lake Monowais zu. Plötzlich stürzt er einen kleinen Abhang hinunter – als Jonathan und ich zu ihm rennen, liegt er unweit der Wasserkante im Laub und sucht verzweifelt nach seinem Feuerzeug. Ihm geht es gut. Aber er hatte wohl die Orientierung verloren und dachte, es gehe in diese Richtung zu seinem Van, sagt er. Der Tetra-Pack Rotwein, den er am Abend allein geleert hatte, war wohl etwas zu viel gewesen. Am nächsten Morgen bleibt er in seinem Van, bis alle aufgebrochen sind, und wir frühstücken (natürlich im Wagen, denn die Sandflies sind schon wieder penetrant). Dann braust er ohne ein weiteres Wort davon – wir haben den Zottelbart nie mehr wieder gesehen.
Ein nächster Höhepunkt sollen die Clifden Caves sein. Die nicht erschlossene Höhlenformation bei Clifden lockt uns. Zwar solle man sich, so empfiehlt der Reiseführer, vorher in der nächsten Touristen-Info erkundigen, doch diese liegt kilometerweit entfernt in Tuatapere. Wir versuchen daher unser Glück auf eigene Faust – aber nach zehn Metern ist Schluss. Zu dunkel, unsere Lampe nicht hell genug und man müsste schon jetzt kriechen. Stattdessen statten wir einer der groß ausgeschilderten Brücke einen Besuch ab. Die 1899 erbaute Clifden Suspension Bridge bietet allerdings auch nicht viel mehr als eine 114 Jahre alte Flussüberquerung. Es scheint nicht ganz grundlos zu sein, dass hier kaum Touristen sind. Interessant wäre sicherlich der tiefste See Neuseelands, der Lake Hauroko, gewesen. Allerdings schrecken uns die dreißig Kilometer Schotterpiste ab: Wir wollen Eddie nicht unnötig belasten.
Der Eingang der Clifden Caves
Der nächste Halt auf der Southern Scenic Route ist Tuatapere. Obwohl dieses Farmer-Städtchen mit etwa 700 Einwohnern gar nicht allzu klein ist, ist Tuatapere, plump gesagt, „das letzte Loch“. Es wirkt verarmt, verlassen und bietet auch sonst nicht viel. Einzige Ausnahme sind natürlich die bekannten Tuatapere-Würstchen, die auch tatsächlich nicht schlecht sein sollen, wie wir hören. Wir lassen uns diesen Gaumenschmaus aber mit deutscher Bratwurst-Arroganz entgehen und schauen stattdessen in der Touristen-Info vorbei. Mit ziemlich großer Sicherheit gehören wir zu den ersten Besuchern des Tages. Trotzdem telefoniert die Dame hinter dem Schreibtisch durchgehend, ohne jegliches Interesse zu zeigen – und das für eine halbe Stunde, bis wir entnervt gehen. Angeschlossen an das Informations-Büro ist ein kleines „Museum“, das vor uns ebenfalls von niemandem besucht worden ist – und das schon seit Tagen. Als wir den kühlen und verstaubten Raum betreten, wollen die Neon-Röhren nicht so richtig angehen. Manche flackern verzweifelt, andere haben schon ganz den Geist aufgegeben. Zu sehen sind Exponate aus der Zeit der Baumfäller-Arbeiten in Tuatapere: verrostete Motorsägen. Der Besuch des Museums lohnt sich also aus historischen Gesichtspunkten nicht wirklich – um einmal zu sehen, was man alles als „Museum“ bezeichnen kann, ist ein Besuch aber recht amüsant (auch wenn man ein Stück weit Verständnis haben muss für ein Land, das erst im späten 18. Jahrhundert von Europäern besiedelt wurde).
Whitebait mit Ei und Toast
Ein Stück außerhalb von Tuatapere an einem Steinstrand direkt neben einem verbeulten Warnschild vor Tsunamis fallen uns Leute auf, die mit großen Keschern im Wasser stehen. Halb im Meer, halb in einer Flussmündung ziehen sie das Netz durch die hereinspülenden Wellen. Mit fragenden Blicken nähern wir uns. Erfreulicherweise fängt eine Frau nicht nur irgendwelche Tiere, sondern auch unsere Blicke auf. Sie erklärt, sie fische „Whitebaits“. Whitebaits, das sind junge Fische verschiedener Arten, die von Mitte August bis Ende November (an der Westküste kürzer) von vielen Neuseeländern wie verrückt gekeschert werden. Die Leute stecken sich teilweise ihre Claims ab – überall sieht man in der Nähe des Meeres die „Wassermänner“ stehen – meist tatsächlich Männer. Man kann die kleinen, durchsichtigen Fische entweder selbst essen oder aber zu horrenden Preisen verkaufen. Auch wir dürfen später bei der Familie in Cromwell diese Spezialität probieren. In einer Art Omelett kommen die Fische aufs Brot. Wer sich nicht lange Gedanken über die kleinen Äuglein, die einen aus dem Omelett anstarren, macht, der beißt herzhaft hinein und schmeckt den leicht fischigen Geschmack. Wir sind dank der Dame bei Tuatapere und dem Whitebait-Abendbrot in Cromwell eine Kiwi-Erfahrung reicher.
Monkey Island heißt eine Insel, zu der man bei Ebbe hingehen kann und neben der ein kostenloser Campingplatz liegt, so beschreibt es unserer Campingführer. Klasse, denken wir uns und planen, dort die Nacht zu verbringen. Als wir die Insel sehen, ist die Enttäuschung groß: Es ist zwar eine Insel – sie liegt aber gerade mal zwanzig Meter vom Ufer entfernt und ist winzig. Wir fahren daher weiter zum Surfer-Paradies Colac Bay und kommen unterwegs weiter an ziemlich trostlosen Ortschaften – oder besser Häuseransammlungen – vorbei. Was wir bis dahin nicht wissen: In Colac Bay darf man umsonst die Nacht verbringen. Wild campen, ganz legal. Man muss nur die Bucht entlang fahren und sich dann auf die Wiese nahe den Toiletten stellen. Bei kaltem Wind stehen wir dort zwar in dieser Nacht ziemlich einsam, aber wir werden nicht müde auf das Wasser hinauszuschauen: Wir sehen leider keine der im Meer vor der Südküste lebenden Hector-Delfine. Dafür gibt das hereinziehende Unwetter einige schöne Farbenspiele her.
Eddie schützt vor dem kalten Wind