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1. Teil: Der Galerist und der Sinn des Lebens

Kapitel 1

Die Kunst, in jeder ihrer genialen Formen, hat mich emotional schon immer mehr berührt, als Menschen es je zu tun vermochten. Das kann man exzentrisch nennen, aber ich schätze, ich hatte nie einen Einfluss darauf. Ich wurde mit einer Schwäche für ihre Schönheit geboren. Dass ich den Handel mit ihr zu meinem Beruf machte, war nur ein logischer Schluss aus der Summe meiner Gefühle für sie.

Mein Name ist Kristian Borgia. Nein, ich bin nicht verwandt mit dem spanischen Adelsgeschlecht. Mein Status ist kein Erbe, er ist mein eigener Verdienst. Ich besitze eine Galerie, die, wie ich stolz sagen darf, einen exzellenten Ruf genießt. Ich stelle Werke einiger der besten Maler, Zeichner und Bildhauer Europas aus.

Mir ist immer schon klar gewesen, dass der in der westlichen Gesellschaft etablierte Lebensweg nicht der meine sein würde. Ich musste einen anderen, meinen eigenen, Weg gehen. Eine alternative Option hat es nie gegeben.

Ich habe das Bedürfnis, zu erschaffen, seit ich einen Pinsel halten kann. Es ist wie ein Zwang, den ich liebe. Oft habe ich mir damit erklärt, wieso ich die Welt mit anderen Augen sehe als die meisten. Etwas in mir fühlt diesen Drang, zu kreieren, während der Großteil der Menschheit seinen Frieden darin zu suchen scheint, in erster Linie zu konsumieren. Ich glaube, das sind zwei vollkommen unterschiedliche Lebens- und Sichtweisen.

Mich hat letztere allein nie zufriedengestellt. Es fühlte sich, seitdem ich alt genug war, darüber nachzudenken, so an, als ob meine gesamte Existenz dem Arbeiten und Geldausgeben gewidmet werden sollte; im Grunde dem bloßen Funktionieren, der strebsamen Folgsamkeit gegenüber vorgeschriebenen Denkmustern und Handlungsweisen. Aber das ist eine rein subjektive Wahrnehmung.

Zurück zum Thema.

Ich bin als Einzelkind aufgewachsen in der Obhut einer intakten, recht wohlhabenden Familie und muss, im Nachhinein, gestehen, dass ich das wohl nie so zu schätzen gewusst habe, wie es gebührend gewesen wäre. Nun, die Vorurteile über Einzelkinder sind vielleicht nicht so sehr aus der Luft gegriffen, wie man oft behauptet. Man redet im Zusammenhang mit ihnen zum Beispiel gerne von Selbstsucht, Überheblichkeit und Geltungsdrang. Darüber hinaus sollen sie auf einer tieferen Ebene schlecht mit Mitmenschen auskommen. Und dann wären da noch ihre Schwierigkeiten mit der Dankbarkeit.

Ich will es nicht verallgemeinern, aber was mich betrifft, so kann ich einige dieser wenig schmeichelhaften Attribute bestätigen.

Ich lebe mein Leben, wie ich es am meisten genieße und gehe in dieser Hinsicht keine Kompromisse ein. Verurteilen Sie mich deshalb nicht - größtenteils halte ich mich an die gesellschaftlichen Spielregeln.

Ich sprach bereits an früherer Stelle von einer weiteren Bestimmung, die sich mir neben der Kunst offenbarte. Von dieser zweiten Bestimmung möchte ich Ihnen erzählen. Es fällt mir schwer, sie gebührend in Worte zu fassen, doch vereinfacht könnte man wohl sagen, meine zweite Bestimmung ist die Gerechtigkeit. Ich kreiere Gerechtigkeit.

Das hört sich sehr abstrakt an, wie ich merke. Sie werden jedoch bald schon wissen, was ich meine.

Kapitel 2

Als ich meine Galerie eröffnete, war ich siebenundzwanzig Jahre alt. Ich hatte von einer mir vollkommen unbekannten Großtante aus der Schweiz eine anständige Summe Geld geerbt und entgegen der Ratschläge meiner Angehörigen investierte ich jeden Cent davon in meine Idee.

Für alle, die mich vorher zu kennen geglaubt hatten, war das eine große Überraschung gewesen, für manche sogar unrealistischer Wahnsinn. Kunst genießt nicht mehr den Stellenwert, den sie einst innehatte. Ich glaube sogar, das Zeitalter der Kunst ist längst vorbei, weshalb ich mich mit meiner Faszination für sie lange zurückhielt. Stattdessen ging ich einem Job nach, der allem voran daraus bestand, Interesse vorzugaukeln, halbherzig an Meetings teilzunehmen, Kaffee zu trinken und Kippen zu rauchen, um dann abends vollkommen stoned Uno zu spielen.

Das Gras war ein zweischneidiges Schwert. Ich erhielt vollkommen neue Denkweisen und Blickwinkel, verlor allerdings mit der Zeit jegliche Faszination für weltliche Dinge und fand mich schließlich träge in einer Wüste der Rationalität umherirrend wieder. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass der Rausch sowohl Licht- als auch Schattenseiten hatte, dass er mich aber definitiv nicht voranbrachte.

Es zerriss mich innerlich, dieses Gefühl von absolutem Stillstand. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen so geht. Wieso nur ein kleiner Bruchteil von ihnen handelt, weiß ich nicht. Ich befürchte, die Menschen sind blind gegenüber ihrem eigenen Potenzial. Deshalb haben sie Angst; Angst vor dem Scheitern und in erster Linie Angst vor den Meinungen Anderer. Doch man darf unter keinen Umständen diejenigen über die Zukunft der eigenen Ideen richten lassen, die die Option eines Ausbruchs nicht einmal ansatzweise erfassen können.

Ich möchte Ihnen mit diesen Zeilen eine Alternative zur allgemein herrschenden Sichtweise verraten: Wenn Sie der eigenen Intuition folgen, sich in Ihrer Vision verbeißen und jeglichen Widerstand bezwingen, ja niederwalzen wie ein Panzer, so geschehen wundersame Dinge. Es ist, als würde all das, was Teil des Puzzles ist, das Ihr Leben darstellt, zur richtigen Zeit erscheinen und das, was kein Teil davon ist, auf der Stelle verschwinden.

Als ich meine Galerie eröffnete, wusste ich also drei Dinge:

Dass möglicherweise Menschen aus meinem Leben verschwinden würden; was nicht sehr problematisch war, denn sie hatten dort nie hingehört.

Dass neue Menschen in mein Leben treten würden; nämlich die, die dort hingehörten.

Und dass man in naher Zukunft meinen Namen kennen würde, wenn man von sich behauptete, etwas von Kunst zu verstehen.

Kapitel 3

Meine Galerie befindet sich in einer alten Fabrikhalle im Gewerbegebiet meiner Heimatstadt. Den Vorplatz habe ich zu einem Parkplatz umbauen lassen, an der Fassade des Gebäudes aber nichts verändert. Rötlicher Backstein, hier und da bröckelig, rechter Hand ein hoher, stillgelegter Kamin. Lediglich die Eingangstür aus mattem Kristallglas verrät, dass sich im Inneren Dinge befinden, die es sich zu sehen lohnt.

Kunstgalerie Rote Fabrik

ist dort eingraviert. Wenn Sie mich fragen, wirkt der Kontrast des Glases zum alten Gemäuer beinahe futuristisch.

Das Innere der Halle befindet sich in vollständig restauriertem Zustand. Die Wände cremeweiß, über die gesamte Fläche verteilt hohe Trennwände, an denen die Gemälde und Zeichnungen hängen; jedes einzelne optimal beleuchtet – das garantiere ich. Außer einer Empfangstheke am Eingang, hinter der meistens meine Assistentin Lucy die Gäste begrüßt, gibt es, außer der Kunst, keinerlei Interieur.

In mein Büro gelangt man durch eine etwas versteckte Tür hinter einer Trennwand. Es ist ein vergleichsweise kleiner Raum, in seiner Einrichtung weder schlicht noch extravagant; ein massiver Schreibtisch mit eingearbeiteten Löwenköpfen, ein gemütlicher Drehstuhl mit Lederbezug, zwei Besucherstühle, klassisches Büroequipment, ein Aktenschrank und ein Bücherregal mit einigen Fachbänden und diversen seltenen Ausgaben von Hemingway, Tartt und Bukowski. An der Wand hängt das Bild, das ich zu Beginn meiner Erzählung schon erwähnt habe. Es zeigt sehr abstrakt den Erzengel Michael, der mit flammendem Schwert der geflügelten Schlange Satan den Kopf abschlägt. Die Szene des endgültigen Triumphs.

Der Tag, an dem ich einen Nagel in meine Bürowand hämmerte und es direkt gegenüber meines Schreibtisches aufhängte, wird mir wohl bis an mein Lebensende im Gedächtnis bleiben, denn es war der Tag, der meine Sicht auf die Welt so veränderte, dass es mir unmöglich war, mein Leben auf dieselbe Art weiterzuleben, wie ich es bis dahin getan hatte.

Es muss wohl ungefähr zwei oder drei Monate nach Eröffnung der Roten Fabrik gewesen sein, als meine Assistentin Lucy an meine Bürotür klopfte und mich darüber informierte, dass ein Gast darauf bestand, mit mir persönlich zu sprechen.

„Holen Sie mir bitte denjenigen, der von der Materie hier drin am meisten versteht“, hatte der Gast gefordert.

Ich folgte Lucy in den Ausstellungsraum und schritt auf den Mann zu, der auf mich wartete. Er war hochgewachsen, schlank und stand aufrecht mit hinter dem Rücken verschränkten Armen zwischen zwei mit Gemälden bestückten Trennwänden. Er trug ein aufwendig gemustertes, grau-schwarzes Hemd, einen Mantel, der beinahe bis zum Boden reichte, eine beige Seidenhose und braune Lackschuhe. Seine Haare waren zu einem konservativen Princeton-Schnitt frisiert und über seiner Oberlippe befand sich ein altmodisch geschwungener Schnurrbart. Seine Züge allerdings wirkten, entgegen des extravaganten Auftretens, ausgelaugt, so als steckte er viel Lebensenergie in Dinge, die ihn mehr auffraßen als erfüllten. Der Mann lächelte mir irgendwie ganovenhaft zu, als er mich auf sich zukommen sah und ich erkannte einige Goldzähne, die im gedämmten Licht funkelten. Er kam mir bekannt vor.

„Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen“, begrüßte er mich und reichte mir seine Hand, „Mein Name ist Leonard Kreuzer.“

Nun fiel mir ein, woher ich sein Gesicht kannte. Ich hatte es auf Covern von Klatschzeitungen im Supermarktregal schon häufiger gesehen, meistens im Zusammenhang mit Frauen und/oder Alkohol. Ich meinte mich zu erinnern, dass Leonard Kreuzer der Sohn eines Immobilienmoguls war, von dem er ein gigantisches Vermögen geerbt hatte, das er vor allem für die eher niederen Gelüste im großen Stil unter die Leute brachte.

„Kristian Borgia“, stellte ich mich vor.

„Borgia?“, fragte er, „Borgia wie Cesare?“

Ich lachte anstandshalber.

„Ja, ganz recht. Was kann ich für Sie tun?“

„Ich habe kürzlich einen Wellnessbereich bei mir zu Hause eingerichtet, damit ich etwas öfter zur Ruhe komme. Prinzipiell ist alles fertig, aber mir fehlt ein schönes, großes Bild an der Wand. Ich suche etwas Lebendiges, das gleichzeitig nicht zu hektisch ist. Schlicht, aber nicht unvollendet.“

Ich muss gestehen, dass ich ihm zu diesem Zeitpunkt eine solche Beschreibung nicht zugetraut hätte.

„Ich glaube, ich habe ein paar Ideen“, sagte ich nach kurzer Überlegung und führte ihn nacheinander zu den Gemälden, die seiner Beschreibung gerecht wurden. Bereits beim dritten grinste er breit und nickte zufrieden.

„Das ist es“, stieß er hervor.

„Ein schönes Werk“, unterstrich ich seine Wahl.

„Der Preis?“

„Zwölftausend.“

„Sagen wir zwanzig, wenn Sie den bürokratischen Kram für mich übernehmen und ich es jetzt sofort mitnehmen kann.“

„Wie Sie wünschen“, sagte ich und stimmte in sein Lächeln ein.

Als ich Lucy aufforderte, das Bild von der Trennwand zu nehmen und fürsorglich einzupacken, reichte ich dem großzügigen Käufer nebensächlich eine Visitenkarte mit meiner Bankverbindung und bot ihm an, mit einem Glas Wodka auf den Handel anzustoßen.

„Wodka? Immer gerne“, erwiderte er und wir zogen uns in mein Büro zurück, wo ich für solche Anlässe stets eine anständige Flasche aufbewahre.

„Das ist eine schöne Galerie, die Sie sich hier aufgebaut haben“, sagte Leonard, als er sich gegenüber meines Schreibtischs auf einen Stuhl gesetzt hatte.

„Vielen Dank.“

„Wie kommt man in Ihrem Alter auf eine solche Idee?“

„Die Kunst war immer schon das, wofür ich mich am meisten begeistern konnte. Das Hamsterrad ist nie eine Option gewesen.“

Mein Gast offenbarte erneut seine Goldzähne.

„Diese Sichtweise hebt Sie markant ab von der Masse“, sagte er, „Ich kann mir vorstellen, dass Sie vorerst mehr als zufrieden mit sich sind. Aber ist das Ihr endgültiges Statement?“

„Mein Statement?“, fragte ich und hatte keine Ahnung, was er meinte.

„Ja, Ihr Statement. Damit meine ich das, was von Ihnen übrigbleibt, wenn Sie tot sind. Das, was Sie der Nachwelt hinterlassen.“

Ich nahm mir etwas Zeit zum Überlegen.

„Ich werde eines Tages meine eigenen Bilder ausstellen und es werden imposante Werke sein“, sagte ich schließlich, „Wenn die Menschen an mich denken, werden sie an mein Schaffen denken.“

Leonard nickte achtungsvoll, ohne auch nur den Hauch eines Aufblitzens von Spott in den Augen, und trank seinen Wodka aus.

„Darf ich mir noch einen einschenken?“, fragte er.

„Selbstverständlich“, antwortete ich, „Was ist Ihr Statement?“

Er schien sich darüber zu freuen, dass ich ihm diese Frage stellte.

„Mein Statement unterscheidet sich insofern von Ihrem, als dass ich eines anstrebe, von dem die breite Masse nichts erfährt“, entgegnete er, „Die Leute werden, wenn sie nach meinem Tod an mich denken, an andere Dinge denken als an die, für die ich gelebt habe. Mein Statement schreibe ich im Schatten, anders geht es nicht.“

Das war eine sehr interessante Beschreibung, wie ich fand. Und vielleicht war das auch der Moment, in dem Leonard Kreuzer und ich Freundschaft schlossen.

„Konkretisieren Sie das“, hakte ich nach.

„Ich will mich nicht aufspielen, aber ich bin mir unsicher, ob Sie bereits die nötigen Einsichten hatten, um mich nicht für verrückt zu halten, wenn ich Ihnen Details nenne“, sagte er zögernd, „Allerdings sind Sie mir sympathisch und ich vermute, dass Sie einen offenen Geist haben könnten - aber auch ich hab mich schon getäuscht. Ich mache Ihnen einen Vorschlag; bis wir uns das nächste Mal sehen, informieren Sie sich über folgende Themen“, er hob drei Finger in die Luft, „Neue Weltordnung, Schuldgeldsystem, Verkalkung der Zirbeldrüse.“

Ich runzelte erheitert die Stirn.

„Neue Weltordnung?“, fragte ich und lachte.

„Genau das meinte ich vorhin. Hören Sie; wenn Sie unwissend sind, informieren Sie sich. Das Internet ist noch weitestgehend unzensiert. Es lässt sich für mehr nutzen als für Shopping, Social Media und Pornos.“

„Was Sie nicht sagen.“

„Ah“, raunte Leonard und winkte gestikulierend ab, „Tun Sie doch nicht so. Hören Sie mir lieber weiter zu. Ich kann akzeptieren, wenn jemand sagt: 'Davon habe ich keine Ahnung, da muss ich erstmal recherchieren'. Ebenso kann ich akzeptieren, wenn jemand sagt: 'Vielleicht hast du recht, aber ich will mich damit nicht auseinandersetzen und bleibe lieber in meiner Seifenblase'. Was ich nicht akzeptieren kann, ist, wenn jemand, ohne sich jemals mit diesen Themen befasst zu haben, grundsätzlich sagt: 'Du Spinner bist ja verrückt'.“

„Das habe ich nicht gesagt“, stellte ich fest.

„Aber Sie haben es gedacht.“

In diesem Moment trat Lucy mit dem in Polsterfolie und Papier verpackten Gemälde ins Büro und reichte es Leonard. Der trank sein Glas aus, stellte es auf den Schreibtisch und gab uns zum Abschied beiden die Hand.

„Ich danke Ihnen vielmals“, sagte er, und dann, an mich gewandt, „Denken Sie daran, zu recherchieren. Nächstes Mal frage ich Sie danach. Ihr Blick auf die Welt wird bis dahin ein anderer sein.“

Er machte auf dem Absatz kehrt, blieb aber vor dem an der Wand hängenden Bild noch einmal stehen.

„Das ist sehr gelungen. Haben Sie das gemalt?“, fragte er.

„Ja, woher wissen Sie das?“

„Wäre es von jemand anderem, hinge es in der Galerie. Wie heißt es?“

„Es hat keinen Namen.“

„Es braucht aber einen“, sagte Leonard und verließ dann, mit seinem freiwillig zum doppelten Preis erworbenen Gemälde unter dem Arm, galant die Galerie.

Kapitel 4

Was Leonard mit den Schlagworten, die er mir bei unserem ersten Zusammentreffen nannte, bezwecken wollte, verstand ich erst im Nachhinein. Nachdem ich aus Neugierde noch am selben Abend sehr ausgiebig, am Ende fast obsessiv, die unterschiedlichsten Artikel gelesen und Videos geschaut hatte, war ich zwar schlauer, fühlte mich aber hilflos und bewegte mich gefährlich nah an der Grenze, den altbekannten Dämon aufzuwecken, den ich glaubte, besiegt zu haben. Es war ein überwältigendes, negatives Gefühl, das ich verspürte; Leere und Machtlosigkeit und Wut und erneut, in voller Intensität, die Frage nach dem Sinn. Aber in Depressionen zu verfallen hilft in keiner Lebenslage und dem Creator sei gedankt, dass ich diese Erkenntnis bereits erlangt hatte, als ich Leonards drei Wörter recherchierte.

Als er das nächste Mal die Galerie betrat, fragte ich ihn, wieso er mich auf diese Fährte gebracht hatte. Was veranlasste ihn dazu?

„Damit Sie wissen, dass das Böse nicht nur ein Mythos ist“, antwortete er ernst, „Damit Sie verstehen, dass es da draußen mehr zu tun gibt, als sich selbst zu verwirklichen. Es gibt sogar sehr viel mehr zu tun. Mehr als jemals zuvor.“

Über diese Sichtweise hatte ich noch nie nachgedacht. Ich hatte immer im festen Glauben daran gelebt, dass die Selbstverwirklichung das ultimative Ziel sei. Nun, so ist es nicht. Ich kann Ihnen das allerdings nicht besser erklären als Leonard selbst. Im Laufe unseres zweiten Gesprächs kam es zu einer Ausführung seinerseits, die für mich alles veränderte und die ich nachfolgend so genau wie möglich wiederzugeben versuche.

„Sie haben vollkommen recht“, sagte er, „Wir können nicht sofort die ganze Welt verändern, aber wir können damit beginnen. Es gibt so viel Unrecht, so viel Boshaftigkeit und kalkuliertes Elend. Die Dunkelheit verschlingt uns. Viele bemerken es nicht einmal, viele bemerken es und denken, sie könnten nichts tun. Natürlich können sie! Niemals zuvor gab es mehr zu tun als momentan. Es gibt zu viele schlechte Menschen, als dass ein guter Mensch allein dadurch gut wäre, dass er sich die Finger nicht schmutzig macht.

Jeder muss für sich selbst erkennen und realisieren, was vor sich geht. Aber die, die es verstanden haben, haben die Pflicht, das Schicksal, Verantwortung zu übernehmen.

Der Feind ist stark und mächtig. Er lenkt die Menschheit wie Puppen und führt sie direkt in ihr eigenes Verderben. Aber wir fürchten ihn nicht. Wir sorgen an den Stellen für Gerechtigkeit, wo das System diese nicht auszuüben in der Lage ist. Wir führen Krieg mit denen, die sich für unantastbar halten.

Cesare; machen Sie sich Gedanken darüber, ob Sie bereit sind, einer großen Sache zu dienen, die alles bis jetzt in Ihrem Leben Gewesene in den Schatten stellt. Machen Sie sich Gedanken darüber, ob Sie bereit sind, dafür Ihre heile Welt hinter sich zu lassen - Sie müssen sich dafür nicht einschränken und Sie müssen auch nicht Ihr angestrebtes Statement aufgeben. Sie brauchen lediglich einen offenen Geist und einen fairen Gerechtigkeitssinn, der möglicherweise ethische Grenzen überschreitet.“

„Ist das Ihr Ernst?“, fragte ich.

„Ich könnte es nicht ernster meinen. Geben Sie mir bis morgen Abend Bescheid.“

Nun, wieso sollte ich die Erzählung unnötig in die Länge ziehen? Ich gab Leonard noch am selben Abend die Rückmeldung, dass er auf meine Unterstützung zählen konnte.

Von diesem Zeitpunkt an war ich Mitglied seines Netzwerks.

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