Читать книгу Vom Umtausch ausgeschlossen Mann im Kilt - Pia Guttenson - Страница 4
Bombenstimmung
ОглавлениеSchottland, mehrere Wochen später
»Jetzt hör endlich auf mit dem Gezappel. Man könnte meinen, du bist ein Dreijähriger, Alasdair. Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Frau wie Louise begeistert sein wird, wenn sie einen Aschenbecher küsst!«
Cormacks Mahnung war berechtigt. Lou mochte es nicht, wenn er rauchte. Dennoch war er so nervös, dass er nicht am Zigarettenautomaten vorbei gekommen war ohne eine Packung Kippen zu ziehen. Heute war er endlich da, der Tag, den er so heiß ersehnt hatte. Der Tag, an dem Lou zurück nach Schottland, zurück zu ihm kommen würde. Einige ihrer Habseligkeiten waren bereits eine Woche zuvor angekommen. Seine Bonnie Lass hatte keine Ahnung, wie ihn jeder einzelne dieser Umzugskartons beruhigt hatte. Schließlich versprachen sie ihm, dass Lou sich für ihn entschieden hatte. Sie hatte es sich nicht plötzlich anders überlegte. Wider Erwarten hatte er ihr Herz erobert. Die Frau, die das Aussehen eines Topmodels hatte. Das hübsche weibliche Wesen, von dem ihn ein 1 ½ Stunden Flug trennte, hatte ihn, den Schotten mit finanziellen Problemen ihrem reichen Ehegatten vorgezogen. Trotz der Sorgen um ihre fast erwachsenen Söhne, obwohl sich die Welt der Reichen und Schönen die Mäuler über Lous neue Beziehung zerrissen, kam sie zu ihm zurück. Er hatte sogar ein Foto von ihnen beiden, in einer deutschen Zeitschrift der Klatschpresse entdeckt. Wenn das nicht Liebe war, dann wusste er gar nichts mehr!
Cormack war mit ihm und dem Ausflugsbus hergefahren, um die Umzugskartons, die Lou noch mitbrachte, einzuladen. Vermutlich hatte sein Freund aber auch gespürt, dass er jede Unterstützung brauchen konnte, die zu bekommen war. Seit Tagen lagen seine Nerven blank. Alasdair konnte sich nichts Schöneres vorstellen, als den Rest seines Lebens mit Lou zu verbringen. Dennoch verging keine Stunde, in der er nicht von Verlustängsten gequält wurde. Was, wenn Lou seiner überdrüssig wurde? Sie war eine Deutsche. Würden ihr ihre Heimat, die Sprache und die Gepflogenheiten nicht fehlen? Vor allem aber war sie eine liebende Mutter, der ihre Söhne mit Sicherheit alles bedeuteten. Doch ihre Söhne blieben in Deutschland. Konnte das gut gehen?
Die Nacht nach der Vernissage in einem winzigen Bett, umgeben von einer ganzen Armada aus Umzugskisten nahm in seiner Erinnerung Gestalt an. Sie hatten sich fast die ganze Nacht mit ernsthaften Gesprächen um die Ohren geschlagen und bald herausgefunden, dass es für sie beide nur ein ganz oder gar nicht gab. Auch der Kinder wegen.
»Glaubst du, es wird einfacher, wenn ich beständig hin und her pendle? Weder deiner Tochter noch meinen Söhnen wäre damit geholfen. Ich bin ehrlich, Al. Eine Wochenendbeziehung ist für mich auch keine Option,« hatte Lou ihm mit bebender Stimme erklärt. Fast als fürchtete sie seine Antwort. Dabei hatte er nichts als Erleichterung empfunden, obwohl er gleichfalls Mitleid, vor allem mit ihrem jüngeren Sohn Philipp, hatte.
»Bei Alexander haben sie ihre alte Umgebung, ihre Freunde und die Familie. Außerdem hat Richard seine Freundin und das Studium. Bei Philipp ist es auch nicht viel anders. Er steckt mitten in der Lehre. Ich kann sie nicht einfach aus ihrem gewohnten Leben reißen, nur weil es mir fast das Herz bricht, sie nicht um mich zu haben!« Lou hatte geweint, als sie das gesagt hatte. Wenn Alasdair die Augen schloss, bildete er sich ein, diese Tränen erneut auf seiner Wange zu spüren.
Seufzend öffnete er die Augen wieder und erntete dafür Cormacks skeptischen Blick. Verflucht wo blieb nur Lous Flieger? Ihr Flug hatte bereits über eine halbe Stunde Verspätung. Bei den Wetterverhältnissen war das zwar nicht weiter verwunderlich, dennoch bereitete ihm dieser Umstand Sorgen. Bereits seit Stunden schneite es in großen Flocken. Der Schnee hatte alles in strahlendes Weiß getaucht. Selbst die Straßen lagen unter einer geschlossenen Schneedecke begraben. Wie so oft in den heftigen Wintern in Schottland kam der Räumdienst nicht nach. Doch auch das war vollkommen normal für Anfang Dezember. Es änderte jedoch nichts daran, dass Geduld nicht gerade zu seinen Tugenden zählte. Tatsächlich musste man in den Highlands bereits im November mit Schnee rechnen. Weshalb er schon seit Jahren dazu übergegangen war, Anfang November die Schneeketten an sämtlichen Fahrzeugen im Haushalt der Familie Munro anzubringen. Seine Finger zitterten, als er die Zigarette ausdrückte um sie in den Aschenbecher zu werfen.
Cormack quittierte sein Tun mit genervtem Augenrollen, wobei er ihm gleichzeitig demonstrativ ein Päckchen Fishermen’s Friend unter die Nase hielt. »Wisst ihr schon, wie ihr es mit Weihnachten handhaben werdet?«, versuchte Cormack, ihn abzulenken.
»Wir werden vom 23. bis zum 24. Dezember in Deutschland sein. Am Abend des Weihnachtstags sind wir wieder da«, brummte Alasdair unwillig, ohne die Tafel mit den Flügen oder die Menschenmassen aus den Augen zu lassen. Noch immer war nichts von Lous Flug zu sehen, sah man vom Vermerk einer Verspätung mal ab.
Als könnte Cormack seine Gedanken lesen kam ein: »Ich bin mir sicher, dass nicht ausgerechnet das Flugzeug mit deiner Bonnie Lass abstürzt. Also bleib ruhig, Lad!«
»Du warst schon wesentlich witziger, Cormack!«, knurrte er.
Sein bester Freund hatte leicht reden. Seine Frau kam aus einem nicht weit entfernten Nachbarort. Seit Kindertagen waren die beiden ein Paar gewesen. Cormack und Emily waren glücklich verheiratet, beide freuten sich, auf ihr erstes gemeinsames Kind mit dem Emily gerade schwanger war. Frustriert steckte Alasdair beide Hände in die Hosentaschen seiner Bluejeans. Es wollte ihm nicht gelingen ruhig stehen zu bleiben. Er kam sich wie ein Tiger im Käfig vor. Fragen über Fragen jagten in einer Art Endlosschleife durch sein Hirn. Würde es ihm je gelingen, Lou von einer Heirat mit ihm zu überzeugen? Warum zum Teufel waren ihm plötzlich ein Ring am Finger und ein ,bis das der Tod euch scheidet‘ so wichtig? War es, weil seine Bonnie Lass ihn an sich selbst erinnerte? Auch er hatte sie mitgemacht, die harte Zeit während und nach einer Scheidung. Er konnte sich gut an das Gefühl des Versagens, den Schmerz und die Überzeugung nie mehr vor den Altar zu treten, erinnern. Lange Zeit glichen Hochzeiten in seinen Augen, einem roten Tuch. All die Jahre lang hatte er, außer zu Gelegenheitssex, Frauen gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Bis das fehlende ,E‘ im Anmeldeformular der Mietanfrage für sein Cottage ihm Lou vor die Haustür setzte. Erst ihr war es gelungen seinem tristen Alltag wieder Farbe und Leben zu gegeben, so kitschig ihm dieser Vergleich auch vorkam. Selbst jetzt, wenn er nur an sie dachte, begann sein Herz wie wild zu pochen. Die Wahrheit war, dass ihm überhaupt nicht bewusst gewesen war, wie sehr er Louise brauchte. Bis an jenem Morgen nach Cormacks und Emilys Hochzeit, als sie von jetzt auf nachher einfach fortgegangen war ohne eine Nachricht. Seine Hände ballten sich in den Hosentaschen zu Fäusten. A Dhia. Er hatte sich einfach nur hilflos und Verraten gefühlt.
Cormack stieß ihn derb an der Schulter um ihn auf die geänderte Anzeigetafel der Flüge aufmerksam zu machen. Der Flug von Easyjet Stuttgart - Edinburgh zeigte endlich das ersehnte ,gelandet‘ an. Einige Minuten später wussten sie bereits wo das Gepäck ankommen würde.
»Hoffentlich reichen zwei Gepäckwagen für das ganze Zeug deiner, Lass«, gab Cormack zu bedenken.
Was Alasdair mit einem vernehmlichen »Hmpf« abtat.
Ein Bein auf dem Gepäckwagen stieß sich sein Freund mit dem anderen Bein ab und fuhr dabei fast einen jungen Mann um, der im letzten Moment fluchend ausgewichen war. Alasdair blickte ihn finster an, woraufhin Cormack mit den Schultern zuckte und abstieg.
»Wer von uns beiden ist noch mal der Dreijährige? Hör auf den Gepäckwagen als Roller zu missbrauchen«, mahnte er gereizt, bekam jedoch keine Antwort. Einige Zeit später drehten Koffer, Kisten und allerhand andere Gepäckstücke sich bereits munter auf dem Band im Kreis. Alasdair überließ es Cormack Lous Umzugskartons vom Band zu angeln, da er selbst die Augen nicht vom Menschenstrom nehmen konnte, der sich den Gang entlang schob. Wo blieb sie nur?
Lou hätte wissen müssen, dass sie, wie eigentlich immer in ihrem Leben, den Jackpot der Unannehmlichkeiten geknackt hatte. Die Nacht vor dem Abflug war schon schrecklich genug gewesen. Alexander, der sie mit Vorwürfen bombardiert hatte, bis sie seine Anrufe nicht mehr entgegennahm. Richard, der sie weder ansah, noch mit ihr redetet. Und Philipp ihr Weltverbesserer, ihr Vermittler. Philipp ihr Held, der sich nach Lehrstellenangeboten in Kildermorie und Umgebung erkundigte. Debbie und Christoph, sowie ihr Bruder, hatte ihr ein nagelneues, stoß - und wasserfestes Smartphone geschenkt. Das Neonpink tat ihr jedes Mal, wenn sie das Smartphone benutzte, in den Augen weh. Sie wollte überhaupt nicht wissen, was dieses ultramoderne Teil gekostet hatte.
»Neonpink damit du es immer findest auch im Wasser«, waren Debbies geraunte Worte gewesen. Womit sie auf die unsäglich bescheuerte Begebenheit mit dem versenkten Smartphone im schottischen Loch anspielte. Das hatte sie davon, ihrer Freundin so ziemlich alles anzuvertrauen.
»Außerdem habe ich einen Jahresvertrag gemacht bei dem bestmöglichen Betreiber für Schottland«, hatte Christoph ihr erklärt.
»Schatz du bist und bleibst ein Pragmatiker. Nimm ihn nicht so ernst, Lou. Das ist einfach eine Anwaltskrankheit«, versuchte ihre Freundin zu witzeln, obwohl in ihren Augen Tränen schwammen.
Dass sich ihr Jüngster extra freigenommen hatte, war schließlich mehr gewesen, als ihr angespanntes Nervenkostüm vertragen hatte. Zu guter Letzt hatten sie sich alle weinend in den Armen gelegen. Ein gefasster Abschied sah anders aus. Ihre geknickte Laune änderte sich jedoch bereits bei der Gepäckkontrolle und schlug in Ärger um. Unter den Argusaugen des Kontrollteams hatte sie sich bereits ihrer Schuhe entledigt, was das schrillen Piepen jedoch mitnichten verstummen ließ.
»Sie sind sich sicher dass sie keinerlei metallische Gegenstände bei sich tragen?«, hob die junge Dame an, von der Lou systematisch abgetastet wurde.
»Das habe ich ihnen doch schon gesagt«, antwortete Lou frustriert. Mama, hast du mir irgendwelche Metall Implantate verschwiegen, knurrten ihre Gedanken sarkastisch. Ein super tolles Erlebnis, vor allen anderen Reisenden breitbeinig, die Arme wie ein verfluchter Hampelmann von sich gestreckt, da zu stehen, während eine wildfremde Frau mit behandschuhten Händen bis in ihre Unterhose tastete. Nach dem auch noch ihre sowieso nicht vorhandene Frisur dran glauben musste, zuckte die Frau Kaugummi kauend mit der Schulter und sie war endlich entlassen. Da hatte sie noch gedacht, es könnte nicht mehr schlimmer kommen.
Leider wurde sie im Flugzeug eines besseren belehrt. Ihr Platz am Fenster war quasi nicht mehr existent, da der Mann auf dem mittleren Platz diesen mit seiner Leibesfülle mit einnahm. Der Mann warf ihr einen entschuldigenden Blick zu. Vielleicht hätte sie doch mit British Airways fliegen sollen. Dabei war Easyjet trotz allem eine Klasse besser als Ryanair, oder nicht?
Glücklich auf ihrem Sitz angekommen, sowie angeschnallt, durfte sie feststellen, dass die Frau die den Sitzplatz direkt am Gang hatte und sie irgendwie ein bisschen an Svetlana vom Busausflug erinnerte, nicht nur Kettenraucherin, sondern vermutlich auch eine Knoblauch Liebhaberin sein musste.
»Haben Sie einigermaßen Platz, Miss?«, unterbrach ihr unmittelbarer Sitznachbar ihre Gedanken. »Ich versuche ja immer, zwei Plätze zu buchen, aber die Fluggesellschaft weigert sich, mir einen Rabatt einzuräumen«, witzelte der Mann fröhlich. Dabei bot er der Frau am Gang Pfefferminzbonbons an, während er Lou dabei zu zwinkerte. Zum Pech für sie beide lehnte die Frau dankend ab. Ausgerechnet wo es ihrem Magen von der ganzen Aufregung nicht gerade prächtig ging. Dazu kam die Sorge um Doc, der in seiner Transportkiste in den Untiefen des Flugzeugbauches ausharren musste. Verzweifelt vergrub sie die Nase im weichen Kaschmir des Tartanschals, den Alasdair ihr geschenkt hatte. Konzentriert atmete sie durch den Mund ein- und aus.
»Flugangst?« Ihr Nachbar betrachtete sie mitleidig. »Unbequem, für ihre lange Beine. Wenigstens hab ich das nicht auch noch … also lange Beine meine ich.«
Lou schenkte dem freundlichen Mann ein Lächeln. Wenigstens schien er es gut zu meinen. Der Flug zog sich in die Länge und so sehr sie versuchte tapfer zu sein, die Übelkeit ließ nicht nach. Selbst der kleine Small Talk mit ihrem Sitznachbarn konnte Lou nicht wirklich ablenken. Die ganze Situation spitzte sich zu, als die Dame auf dem äußeren Sitz den Fehler beging sich Essen zu bestellen. Lou brach der kalte Schweiß aus.
»Entschuldigen Sie. Ich muss wirklich dringend zur Toilette«, stieß sie unter Würgen aus.
»Oh. Oh«, erwiderte der nette Mann. Ungerührt biss die Dame in ihr fetttriefendes Würstchen. Unter nicht gerade schicklichem Schmatzen antwortete sie: »Wie, jetzt? Aber ich esse gerade. Hat es nicht noch fünf Minuten Zeit?«
Einen winzigen Moment lang stellte Lou sich vor, sie wäre Wonder Woman und würde einfach über alle Fluggäste zur Bordtoilette hinwegfliegen. Oder sie könnte sich wegbeamen wie bei Star Trek. Vehement schüttelte sie den Kopf, wobei sie dabei wie hypnotisiert den Fetttropfen, der vom Mundwinkel zum Kinn der Frau kroch, verfolgte.
»Jetzt. Oder möchten sie die Sauerei putzen, wenn ich mich übergebe?«
Was die Dame mit ihren verschmierten Lippen erwiderte, registrierte sie bereits nicht mehr. Mit dem Mut der Verzweiflung und dem Wissen um das Unausweichliche, hangelte sie nach ihrer Handtasche. In einer einzigen anmutigen Bewegung kippte sie deren kompletten Inhalt in den Schoß ihres verdutzten Sitznachbarn. Entsetzte Augenpaare sahen ihr zu, wie sie sich im Anschluss in die geleerte Handtasche erbrach. Das »So was. Ganz schön empfindlich!«, drang nur noch am Rande zu ihr durch, da sie es endlich an ihren Sitznachbarn vorbei schaffte. Am ganzen Leib zitternd, eine Handtasche im Schlepptau, deren Reißverschluss sie über dem unappetitlichen Inhalt geschlossen hatte, erreichte sie die Toilette. Kraftlos sank sie vor der metallenen Toilettenschüssel zu Boden um sich erneut zu Übergeben.
»Mist, eine Magendarmgrippe hat mir gerade noch gefehlt«, stöhnte sie matt. Sie brauchte eine halbe Ewigkeit um sich wieder auf die Beine zu kämpfen. Leider dauerte es noch um einiges länger die Handtasche sowie deren unappetitlichen Inhalt zu leeren. Mehrere Sprühestöße Raumduftspray später, begleitete sie ein intensiver Duft nach Maiglöckchen zu ihrem Platz zurück. So würdevoll wie irgend möglich und unter den, besorgten Blicken ihres Sitznachbars, nahm sie wieder Platz.
»Wenn Sie jetzt lachen, erwürge ich Sie!«, zischte sie leise.
»Maiglöckchen hä? Das hätte uns aber auch schon wesentlich früher einfallen können«, antwortete der Mann flüsternd, wobei er ihr eine kleine Tüte entgegenhielt, in die er offensichtlich den Inhalt ihrer Handtasche hineingepackt hatte. Als sich ihre Fingerspitzen berührten, löste sich ein kleiner elektrischen Schlag, welcher sie alle beide gleichzeitig lauthals auflachen ließ. Sie lachten selbst dann noch, als die Dame am äußeren Sitz echauffiert vor sich hin schimpfte.
»Jetzt verstehe ich im Übrigen auch, was es mit der,Frauen Garage‘ auf sich hat. Franz, also mein Name ist Franz, meine ich.«
»Hallo Franz, danke für deinen Humor. Ich bin Lou.«
»Na ja, die Welt ist doch schon ernst genug, nicht wahr?«, antwortete ihr Sitznachbar verschmitzt. Nachdem sie sich die Hände gegeben hatten, tauschten sie noch ein paar persönliche Daten aus. Franz war geschäftlich regelmäßig in Glasgow unterwegs. Dass Lou ins schottische Hochland auswanderte, sorgte bei ihm für große Bewunderung. So kam es, dass Lou einige Zeit später das Flugzeug in Edinburgh doch noch beschwingt verließ. Wäre der Duft nach Maiglöckchen nicht gewesen, hätte sie keinen Gedanken mehr an das Fiasko verschwendet. Selbst die Passkontrolle brachte sie ohne neue Probleme hinter sich. Doc war zwar von den Beruhigungstropfen, die er vor dem Flug bekommen hatte, noch etwas mitgenommen, trippelte aber langsam neben ihr her.
Auf dem Edinburgher Flughafen herrschte ein reges Treiben. Es war definitiv mehr los als sonst. Weihnachtsrummel vermutete sie stark. In dem Trubel hatte sie direkt Mühe den Hund hinter sich her zu ziehen. Er hing zugegeben unwillig an seiner Leine. Der arme Kerl hatte sichtlich Mühe mit ihr Schritt zu halten. Hatte sie ihm zu viel von den Bachblütentropfen zur Beruhigung verpasst? Skeptisch sah sie immer wieder zu ihrem Vierbeiner.
»Du fängst nicht auch noch an dich zu übergeben?«, murmelte sie bissig.
An einem Mülleimer wo sie die Handtasche loswerden konnte, war sie auch noch nicht vorbei gekommen. Verdammt. Nicht genug das du aussiehst wie eine Vogelscheuche und einen Hund hinter dir her zerrst, der aussieht, als stünde er unter Drogen Einfluss. Nein, du stinkst nach Maiglöckchen und Erbrochenem. Das ist doch nicht fair!, schimpfte sie in Gedanken. Als Dreingabe verhedderte sich die Hundeleine just mit den Rollen ihres Handgepäckkoffers. Andererseits war Alasdair das Chaos, das ihr im Schlepptau folgte, wahrlich gewohnt.
Als Alasdair Lou wahrnahm, war es ein bisschen wie ein Déjà-vu. Sie kämpfte einmal mehr mit den Rädern ihres Handgepäckstücks, die sich augenscheinlich in der Hundeleine verfangen hatten. Er hatte noch nie eine zauberhaftere Frau gesehen als sie. Ihre Haare standen wie wild in alle Richtungen ab. Die Wangen waren gerötet und bildeten somit einen hübschen Kontrast zu ihrer hellen, makellosen Haut. Der rote, kurze Dufflecoat umgab ihren Körper wie der Schirm eines Pilzes. Ihr war wohl warm geworden. Zumindest hatte sie den Dufflecoat nicht geschlossen. Sein Blick fiel auf Bluejeans, Strickpullover und die Farben seines Clans, die sich im Tartanschal widerspiegelten. Er hatte ihr den Schal aus Kaschmir als Mitbringsel nach Deutschland mitgebracht, damit sie an ihn dachte, wenn ihr kalt war.
Lou hatte ihn noch nicht bemerkt. Im Gegenteil zu Doc. Der Hund begrüßte ihn enthusiastisch mit dem Schwanz wedelnd, wenngleich er nicht winselte. So eben hielt Lou an einem Mülleimer an, wo sie sich seltsam umblickte um dann ihre Handtasche mit einem mehr als angeekelten Blick, unter den Müll zu schieben.
»Was zum Teufel?«, stieß er aus.
Gleichzeitig begann sie zu schwanken, da sich die Hundeleine, wie bereits von ihm befürchtet, jetzt endgültig um ihre grazilen Beine gewunden hatte. Noch bevor er Lou jedoch erreichen konnte, wurde diese von zwei Sicherheitsleuten flankiert, die sie grob zu Boden rissen. Laute Sirenen erklangen. Bombenalarm?
Schockiert erstarrte er mitten in der Bewegung, die Augen wie paralysiert auf seine Bonnie Lass gerichtet. Um ihn herum brach Panik aus. Sein Gehirn hatte für einen Lidschlag lang einen Aussetzer, nur deshalb gelang es ihm erst nicht, eins und eins zusammen zu zählen. Menschen stoben auseinander, rannten um ihr Leben. Andere warfen sich neben ihm zu Boden. Alasdair kam es vor, als sähe er alles in Zeitlupe. Endlich hatte Lou ihn bemerkt und ihr stummes O auf den Lippen, spiegelte sein eigenes empfundenes Entsetzen wieder. Dann ging alles ziemlich schnell. Doc riss sich los. Gerade noch gelang es ihm den Hund, dessen schrilles Jaulen ihm durch Mark und Bein ging, davon abzuhalten, einem der Sicherheitsmänner in die Wade zu beißen. Er drückte dem verdutzten Cormack, der sich wieder vom Boden hochgerappelt hatte und ihm zu Hilfe geeilt war, kurz entschlossen die Hundeleine in die Hand.
»Entschuldigen Sie bitte«, verschaffte er sich mit zur Beschwichtigung erhobenen Händen Gehör. »Entschuldigen Sie bitte. Würden es Ihnen etwas ausmachen, meine Verlobte loszulassen?«
»Bleiben Sie stehen, Sir. Sonst sehen wir uns gezwungen, von der Waffe Gebrauch zu machen«, erwiderte der Sicherheitsmann. Verstehend nickend, tat er wie ihm geheißen. »Hören Sie, meine Herren. Wir wollen doch alle nicht überreagieren, bitte! Ich bin mir sicher, es gibt eine logische Erklärung für dieses … äh dieses Durcheinander«, versuchte er zu erklären. »Nicht war, Louise, Schatz!«
Seine Bonnie Lass sah aus, als würde sie jeden Moment hysterisch werden. Ihre Augen waren weit aufgerissen und sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen.
»Ich weiß Sie haben Ihre Vorschriften. Aber ich bitte Sie, sehen Sie sich meine Verlobte doch einmal genauer an. Erscheint sie Ihnen wirklich wie eine potenzielle Attentäterin?«
»Miss?«
»Ich … äh… also…«
»Also bitte, sie sieht doch wirklich nicht aus wie von den Taliban oder der IS!«, versuchte Alasdair zu vermitteln.
»Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich einmische. Lou, also Miss Schulzinger, hatte sich in ihre Tasche erbrochen«, mischte sich ein Koloss von Mann ein, der in einem unbeobachteten Moment die Tasche aus dem Müll geholt hatte, die er nun demonstrativ in der Luft schlenkerte. Die entsetzten A und O’ s der am Boden liegenden Reisenden ignorierend, redete der Mann unbeeindruckt weiter, während eine Pistole auf ihn gerichtet wurde.
»Wenn eine Bombe oder ein Sprengsatz in diesem Täschchen wäre, könnte ich diese sicherlich nicht so hin- und her schlenkern. Oder? Mir ist klar, dass Sie nach den Attentaten in Paris allem nachgehen müssen, meine Herren. Bei Miss Schulzinger liegen Sie da allerdings völlig falsch. Es handelt sich um ein großes Missverständnis.«
»Miss Schulzinger? Sie haben sich in ihre Handtasche erbrochen? Ihre…« der Sicherheitsmann besah sich die vermeintliche Bombe vorsichtig genauer. »…Prada Handtasche?«, vervollständigte er und blickte dabei ungläubig von Lou zu dem fremden Mann und zu der Handtasche zurück. Dieser öffnete nun kurz entschlossen die Tasche, hielt diese dann schüttelnd verkehrt herum. Nichts passierte. Kein Gegenstand, noch nicht einmal ein Bonbonpapier viel aus dem inneren der Handtasche heraus. Lediglich die atemraubende Mischung aus Erbrochenem und Maiglöckchen zog in ihre Nasen.
»Ein teures Missverständnis«, erwiderte der eine Sicherheitsmann, während er dabei skeptisch Lous Pass studierte. Sein Kollege indes bellte aufgebracht Kommandos in sein Funkgerät. Die restlichen Sicherheitsleute, welche sie in einigem Abstand umstellt hatten, zogen ab. Einige Zeit später verließen sie in bedrücktem, einträchtigem Schweigen und um mehrere Pfund Strafe erleichtert, das Innere des Edinburgher Flughafens. Wie ein Mahnmal thronte der Korpus Delicti auf der Spitze des Berges aus Umzugskisten.
»Manchmal frage ich mich schon, wie du es immer wieder schaffst, in die größten Fettnäpfchen zu fallen, Lass.«
Lou warf ihm einen zerknirschten Seitenblick zu, blieb aber stumm. Tatsächlich war sie seit dem Vorfall mehr als wortkarg. Gut, es war alles andere als erbaulich, wenn man in aller Öffentlichkeit erst ausgelacht und dann auch noch mit einer ordentlichen Geldstrafe bedacht wurde. Lediglich bei diesem Mann, Franz war sein Name gewesen, hatte sie sich überschwänglich bedankt. Sie war ihm sogar um den Hals gefallen vor Erleichterung.
»Eine Bekanntschaft aus dem Flugzeug, aye?«, hakte er erneut beiläufig nach. Was tat er da eigentlich? Unterstellte er Louise gerade eine Liaison mit einem Fremden? Lou blieb mitten im Schritt stehen. Seine Augen blieben an ihren bebenden Lippen hängen.
»Ich habe es nicht darauf angelegt, Al. Es ist nämlich nicht so, dass ich gerne vor aller Welt, allem voran vor dem Mann den ich liebe, zum Gespött gemacht werden wollte. Ich … ich hab mir das alles auch viel anders vorgestellt…«.
Zerknirscht schloss er sie in seine Arme, bevor sie zu Weinen anfing. »Sch sch. Ist ja gut Lass. Das weiß ich doch. Der Himmel weiß, wenn es eine Chaos Queen geben würde, wäre das sicherlich dein Job.«
Bevor sie protestieren konnte, hauchte er, die Lippen liebkosend in ihrer Halsbeuge, ein Versöhnliches »Du hast mir gefehlt, Lou.« Den leichten Maiglöckchen Geruch, der ihr noch immer anhaftete, ignorierte er dabei. Weder scherte ihn, dass die Reisenden kaum an ihnen vorbei kamen, da sie den schmalen Weg zu den Taxis, Leihwagen und dem Parkhaus versperrten, noch Cormacks belustigtes Räuspernl welches er klar und deutlich vernahm. Lous leises Kichern an seinem Ohr war alles, was er jetzt in diesem Moment gewillt war zu hören. Nur widerwillig ließ er zu, dass sie sich aus seiner Umarmung wandte.
»Wenn du wüsstest, wie du mir gefehlt hast, Al«, wisperte sie unter niedergeschlagenen Augen kokettierend, wenngleich sie ihn auf Abstand hielt. Schon alleine wie sie seinen Namen aussprach, sorgte dafür, dass sein Blut ganz gewaltig in Wallung geriet. Alasdair war sich sicher, wenn Doc und Cormack nicht bei ihnen gewesen wären. A Dhia. Vermutlich hätte er Lou in irgendeine nicht einsehbare Ecke gezerrt, um sie auf der Stelle zu lieben. Als könne er die jähe Hitze, die in ihm aufloderte vertreiben, rieb er sich die vom Schweiß feuchten Hände über das Gesicht und kämmte sich mit gespreizten Fingern durch seine halblangen Haare. Beruhig dich Mann, rügte er sich in Gedanken, während er den Umstand der besonders engen Jeans verfluchte die ihm nun ordentlich ins Gemächt schnitt.
Irgendetwas an Lous Aussehen erregte sein Misstrauen. Zuerst kam ihm der Gedanke, dass sie ihn durchschaut hatte. Schließlich war die männliche Anatomie beim Verstecken gewisser Gefühlsregungen auch nicht gerade als hilfreich zu bezeichnen. Zum Glück für ihn trug er keinen Kilt. Immer wieder ertappte er sich dabei sie von der Seite anzusehen, bis er sein komisches Gefühl dem Bombenfiasko zuschrieb. Immerhin wurde noch keine seiner Freundinnen für eine gefährliche Terroristin gehalten. In einem unbeobachteten Moment schüttelte der belustigt den Kopf.