Читать книгу Tausche Ehegatten gegen Mann im Kilt - Pia Guttenson - Страница 4

Kein perfekter Anfang

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Lou war völlig am Ende mit den Nerven. Der Flug war noch das Einfachste gewesen. Allerdings hatte es ewig gedauert, bis sie ihren total verstörten Hund Doc wiederbekommen, und all ihr Gepäck sicher auf dem Gepäckkarren verstaut hatte. Der eigentliche Albtraum fing jedoch mit dem Autoverleih an. Sie verstand fast kein Wort, da ihr Englisch doch ziemlich eingerostet war. Außerdem hatte sich ihr gebuchter, netter Kleinwagen als Monsterjeep herausgestellt. Natürlich mit Schaltgetriebe. Schon beim Ausparken hatte sie das Auto dreimal abgewürgt, war dann mit Ach und Krach auf der linken Fahrbahnseite gelandet, wo sie den Bordstein ordentlich touchiert hatte. Gefühlte hundert Verkehrskreisel weiter war sie schweißgebadet und kurz davor, in Tränen auszubrechen.

Stunden waren seitdem vergangen. Jetzt stand sie inmitten des schottischen Hochlands, dessen Bildgewalt sie sich so sehnlichst herbeigewünscht hatte. Leider wirkte die Landschaft im Moment keineswegs zauberhaft. Ganz zu schweigen davon, dass ihr nicht ein einziger Romanheld über den Weg gelaufen war. Der erneut drohende Wolkenbruch machte es auch nicht besser. Vom Vermieter ihres Cottages fehlte jede Spur. Sie hatte das Feriencottage auf eine Annonce hin gemietet, da es Komfort sowie Abgeschiedenheit gleichzeitig versprach. Kildermorie, der nahe gelegene Ort, hatte sich jedoch als enttäuschend winziges Kaff herausgestellt..

Seufzend zog und zerrte Lou mit aller Kraft an ihrem schweren Koffer. Doch dieser bewegte sich keinen Millimeter aus dem matschigen Kiesbett, in dem er mit seinen winzigen Rädern feststeckte. Zu allem Überfluss veranstaltete Doc auf dem Beifahrersitz einen riesen Terz, weil er endlich an die Luft wollte.

»Himmelherrgottsackzement«, stieß sie fluchend aus, während die Pfennigabsätze ihrer teuren Jimmy Choos nun ebenfalls im aufgeweichten Boden versanken. Womit hatte sie das verdient? Wer erfand auch derart mickrige Räder? Vermutlich ein Mann. Schließlich hatten alle Männer dieser Welt es darauf abgesehen, sie leiden zu lassen.

Warum nur ging gerade jetzt alles in ihrem Leben den Bach hinunter? Gut. Schottland, Jimmy Choo High Heels sowie ein Jill-Sander-Kostüm passten ungefähr so gut zusammen wie der Papst und Marylin Monroe. Sicher, sie hätte die Wanderstiefel anziehen sollen, die irgendwo in den Untiefen ihrer Koffer versteckt waren. Nur in welchem der Fünf? Zwischenzeitlich fing es einmal mehr zu regnen an. Docs herzergreifendes Jaulen war alles, was die prasselnden Tropfen durchbrach.

»Schauspieler«, zischte Lou zornig, während sie den Absatz aus dem Boden zog.

Super, die Schuhe waren so gut wie ruiniert!

Ärgerlich holte sie mit dem Fuß aus, gab dem Koffer einen festen Tritt. Mit einem Platsch kippte das gute Stück mit der vollen Breitseite um. Ein Schlammregen ergoss sich über Lou. Entsetzt keuchte sie auf. Jetzt konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten. Ihr war, als würde in ihrem Inneren ein lange aufgestauter Damm brechen. Hier inmitten von nirgendwo brach ihr seit Jahren erschwindeltes Selbstbewusstsein zusammen wie ein Kartenhaus.

Tiefe Schluchzer entrangen sich ihrer Kehle. Träne um Träne rann mit dem Regen vermischt als kleiner Sturzbach ihre Wangen hinab. Konnte nicht ein einziges Mal etwas in ihrem Leben glatt laufen? Warum war sie nur auf die unsägliche Idee gekommen, in die Einsamkeit der schottischen Highlands zu fliehen? Wegen der Verfilmung eines Romans mit einem Helden, in den jede zweite Frau verliebt war und einer bildgewaltigen Serie, die sie nicht mehr losließ? Unwillkürlich musste sie an das Frühstück anlässlich ihres vierzigsten Geburtstages denken. Kaum zu glauben, dass es erst wenige Stunden her war. Vierzig Jahre und allem Anschein nach vollkommen übergeschnappt. Hatte sie etwa doch die Midlife-Crisis erwischt?

Warum sonst stand sie jetzt hier im strömenden Regen, durchnässt bis auf die Haut und mit Schlamm besudelt? Dabei hätte sie in diesem Augenblick auf ihrer sicherlich schweineteuren Geburtstagsparty tanzen und Spaß haben sollen. Himmel, Alexander würde ausflippen, wenn er fest-stellte, dass sie fehlte.

Deutschland

Am Morgen zuvor …

In der Designerküche herrschte reger Betrieb. Rosalita, die spanische Köchin und Einzige, die etwas mit den teuren Kochtöpfen anfangen konnte, wirbelte in der Küche umher wie ein Tornado. In ihrer frisch gestärkten weißen Schürze wirkte die Mittfünfzigerin wie aus einer kitschigen Soap. Zufrieden ließen sich Louises Männer von ihr bedienen. Lou hasste die Selbstverständlichkeit, mit der sie Rosalitas Service akzeptierten. Was hatte sie nur bei der Erziehung ihrer Söhne falsch gemacht? Wirklich alles?

Alexander hatte ohne Kuss oder gar Geburtstagsglückwunsch bereits vor einer Stunde das Haus verlassen. Alles, was an ihren heutigen Festtag erinnerte, war ein üppiger Blumenstrauß. Diesen hatte Frau Butt, die Chefsekretärin, die gleichzeitig die gute Seele des Hauses war, besorgt. Wie jedes Jahr. Außerdem war da noch ein schreckliches Gebilde aus Zellophan mit einer überdimensionalen roten Schleife, in dem eine Schmuckschatulle von Cartier steckte. Schon wieder neuer Schmuck. Schmuck, den sie nur trug, wenn sie dazu gezwungen war. So viele Jahre war sie mit Alexander verheiratet, doch er hatte immer noch nicht begriffen, dass sie sich nichts aus diesen Klunkern machte. Von dem aufdringlichen Duft der Lilien bekam sie bereits Kopfschmerzen.

Ich hasse Lilien. Sehe ich aus, als ob ich auf eine Beerdigung will?, stöhnte Lou innerlich auf. Tief enttäuscht und fürchterlich gefrustet starrte sie in ihre Tasse Schwarztee. Bemühte sich, ruhig zu werden. Es schien ihr, als wäre sie für alle Luft. Waren Beachtung oder Wertschätzung zu viel verlangt?

»Ma, hast du eigentlich meine Lieblings-Shirts von der Reinigung abgeholt? Ach und was ist mit dem Termin für meine Haare, steht der?«, fragte ihr großer Sohn mit erhobenen Augenbrauen. Sein Blick wirkte dabei wie immer leicht genervt.

»Also …«, hob sie verdattert an, wurde jedoch sofort unterbrochen.

»Verdammt, Ma. Du hast es echt vergessen, oder?«

Mit einem Ruck stand Louise auf, funkelte ihren Sohn an.

»Vermutlich hab ich das. Du bist 21 Jahre alt. Vielleicht kannst du zukünftig solche Dinge selbst erledigen!«, stieß sie zornig aus.

»Ach jetzt komm schon. Spielst du jetzt die Beleidigte, weil ich dir nicht sofort zu deinem Geburtstag gratuliert habe, oder hast du echt eine Midlife-Crisis? Schon gut. Ich gratuliere dir, Mama. War’s das? Kannst du jetzt tun, wofür du da bist? Bitte!«

Tun, wofür sie da war? So weit war es schon gekommen!

Gott, wie ich mich auf das Chaos freue, das hier ausbrechen wird, wenn ich in Schottland bin! Ich sollte Kameras installieren lassen, um eure blöden Gesichter zu sehen.

Zähneknirschend ignorierte Lou ihren sichtlich ärgerlichen Sohn, der ihr ein unverschämtes »Als ob du so furchtbar viel zu tun hättest, Ma!« hinterher brüllte.

Mit energischen Schritten flüchtete sie in ihr Schlafzimmer. Sie hatte einfach keine Kraft, um schon wieder zu diskutieren. Tief in ihrem Inneren wusste Lou, wenn sie es heute nicht schaffen würde zu gehen, dann würde sie unweigerlich mit Depressionen in der Psychiatrie landen. Doc blickte sie aus wissenden Hundeaugen an und beobachtete all ihr Tun. Zutiefst traurig sank sie auf ihr Bett. Die Koffer hatte sie bereits gestern mit Tobis Hilfe am Flughafen aufgegeben. Der Wecker zeigte ihr, dass sie noch eine Stunde bis zu ihrem Geburtstagsbrunch mit ihren Freundinnen hatte. Neue Tränen sammelten sich in ihren Augen.

Vorsichtig nahm sie Alexs Porträt vom Nachtisch, fuhr liebevoll die Konturen seines Gesichtes hinter Glas nach. Wie gerne hätte sie das am lebenden Objekt getan. Ihn berührt. Doch so nah wie diesem Porträt war sie Alex bereits seit Jahren nicht mehr gekommen. Alles hatte sie versucht, um die Gefühle zwischen ihnen beiden zu retten. Natürlich war ihr klar, dass die Zeit der Schmetterlinge im Bauch vorbei war. Aber war das Verlangen nach körperlicher Nähe und Verbundenheit denn so falsch? Sie hatte sogar eine von Konstanzes fürchterlichen Dessouspartys besucht, Unmengen an Geld für einen Hauch von Nichts ausgegeben.

Der Erfolg war ausgeblieben. Sicher, Alex und sie hatten Sex an jenem Abend. Genauer gesagt: langweiligen, drüber – rein – runter – fertig Sex. Ganze zehn Minuten lang. Zwei Monate später hatte sie sich erneut lächerlich gemacht, als sie Alex lediglich in Dessous, High Heels sowie Rosalitas Spitzenschürze empfangen hatte.

Dummerweise hatte er just an diesem Abend Frau Butt im Schlepptau gehabt, einer Besprechung wegen. Am liebsten wäre sie im Boden versunken vor Scham. Irgendwann hatte sie es aufgegeben, um Zärtlichkeiten zu betteln. Stattdessen hatte sie sich in Liebesromane vergraben. Für einen Bücherblog schrieb sie regelmäßig Rezensionen über sogenannte Nackenbeißer.

Sie liebte diesen Nebenjob, verschlang Bücher ebenso wie E-Books in rauen Mengen. Am allerliebsten jedoch solche, die mit ihrem Traumziel Schottland zu tun hatten. Lou war noch nie in Schottland gewesen. Spätestens heute Abend würde sich das jedoch ändern. Seufzend griff sie sich das ziemlich mitgenommene Buch von ihrem Nachttisch. Eines der Highland-Saga Bücher von Diana Gabaldon. Ihr Favorit unter den Schottlandromanen. Wie so viele Frauen und Männer, die dem Charme Schottlands verfallen waren, liebte auch sie alle Bücher dieser Schriftstellerin.

Die Verfilmung als Serie auf einem amerikanischen Privatsender hatte sie kaum abwarten können, bereits alles gesehen, was es zu sehen gab. Letztendlich hatte die Serie sowie die Annonce eines Feriencottage den Ausschlag gegeben. Die Buchung eines Fluges und die Reservierung eines Leihwagens waren schnell erledigt. Alles geheim zu halten, erwies sich da schon als sehr viel schwieriger. Natürlich war ihr klar, dass Romanhelden wie Jamie oder Mr. Darcy im realen Leben nicht zu finden waren.

Und in einem längst vergangenen Jahrhundert zu leben, konnte sie sich ebenfalls nicht vorstellen. Romantik hin, Romantik her. Was sie jedoch ganz sicher wusste, war: Wenn sie jetzt nichts an ihrem Leben änderte, war sie reif für die Irrenanstalt. Die Zeitungen sowie Illustrierten waren voll von Frauen mit Burn-out-Syndrom und Depressionen. Sie dagegen steckte allem Anschein nach in einer Midlife-Crisis.

Eine Stunde später waren die rot geweinten Augen über-schminkt. Aus dem Schaufenster, an dem sie vorüberging, blickte ihr Spiegelbild ihr mit einstudiertem Lächeln entgegen. Wie an jedem ihrer Geburtstage hatte sie den großen Tisch im Nebenraum des Coco’s reserviert. Alle ihre Freundinnen sowie ihr schwuler Bruder Tobias, der eigentlich als halbes Mädchen durchging, waren gekommen.

»Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Süße!«

Konstanze drückte sie fest an sich. Wie so oft kam sich Lou beim Anblick ihrer Freundin wie ein hässliches Entlein vor. Konstanze war die Chefin einer großen Consulting Firma und zählte, seit Louise Alexander geheiratet hatte, zu einer ihrer engeren Freundinnen. Dass die Endvierzigerin bereits dreimal verheiratet gewesen war, war für Lou kein Wunder. Sie hatte etwas Berechnendes an sich. Kein Mann schien der Frau mit dem topmodischen Aussehen das Wasser reichen zu können. Gut, es gab genügend Teile an ihr, die keinen natürlichen Ursprung hatten. Aber das Gleiche konnte man von Evas Brüsten und Desirees Lippen sagen.

Seit Alexander in ihr Leben getreten war, verkehrte Lou mit den Reichen und Schönen, oder wie ihre beste Freundin Debbie zu sagen pflegte, mit den Botox- und Lifting-Monstern.

Debbie reichte Lou Augen verdrehend ihr Sektglas. »Ich freue mich so auf die Gesichter dieser Möchtegern Damen, wenn du nach Schottland abhaust. Du willst es doch immer noch durchziehen, Süße, oder?«

»Natürlich. Wenn ich es jetzt nicht tue, Deb, werde ich mir nie mehr selbst in die Augen sehen können.«

»Egal was passiert, Lou. Du weißt, dass du immer zu mir und Chris kommen kannst.«

»Du meinst, seitdem ich dich gegen Jo im Sandkasten mit der Schaufel verteidigt habe.«

Lou zwinkerte Debbie verschwörerisch zu.

»Unter anderem«, erwiderte ihre beste Freundin breit grinsend. »Aber Spaß beiseite, Lou. Ich weiß, dass du hoffst, Alex entpuppt sich als Romantiker und holt dich zurück. Ich möchte nur nicht, dass du enttäuscht bist, wenn er das Arschloch bleibt, für das ich ihn halte!«

»Ich hoffe doch, du bist bei deiner Wortwahl im Kindergarten etwas zurückhaltender«, witzelte sie trocken.

»Schon gut. Ich weiß, was du mir in deiner unverblümten Art sagen willst, Süße. Ich werde nicht klein beigeben. Versprochen!«

»Gut. Dann hör auf, wie drei Tage Regenwetter zu schauen. Tobi, Chris und ich stehen hinter dir. Mit Chris hast du einen super Anwalt an der Hand und auf die anderen Weiber hier kannst du locker verzichten!«

Trotz all der Fröhlichkeit, die um sie herum herrschte, wollte sich keine Feierlaune einstellen. Was nicht zuletzt an einem der vielen Streitereien mit Alexander lag, die in ihrem Kopf umherspukten.

»Ich verstehe nicht, wie du mir so etwas antun konntest, Louise. Nackte Menschen. Du hast völlig nackte Menschen beim Sex gemalt. Was zum Teufel sollen meine Geschäftspartner von mir denken? Reicht es nicht, dass meine Frau in aller Öffentlichkeit Liebesschnulzen rezensiert?«, hatte Alexander sie am Abend zuvor angebrüllt, während er sich in einer hilflosen Geste die Haare gerauft hatte. Er verhielt sich wie ein Tiger, der im Käfig auf und ab ging.

»… aber das ist Kunst. Alexander. Ich verstehe nicht … Außerdem habe ich einen Künstlernamen …«, hatte sie händeringend zu erklären versucht. Ganz zu schweigen, dass Sofie und Kai, die Aktmodelle, keinen Sex gehabt, sondern lediglich eng umschlungen dagelegen hatten.

»Brotlose Kunst. Du verstehst mich sehr wohl, Louise. Deine sogenannten Kritiken dieser fürchterlichen Schmachtfetzen und diese taktlose Malerei kosten Zeit sowie ein Vermögen. Außerdem machte es uns … macht es mich vor der ganzen Geschäftswelt lächerlich!«

»Das ist doch nicht wahr, Alex … Außerdem ist es meine Zeit. Jetzt tu nicht so, als ob wir uns die paar Pinsel und Leinwände nicht leisten …«, hatte Lou widersprochen, damit aber lediglich erreicht, dass Alexanders Gesichtsfarbe ein ungesundes Rot annahm.

»Färben deine blondierten Haare jetzt auf dein Hirn ab? Bekommst du nicht alles, was du willst, Louise? Trage ich dich nicht auf Händen? Ich lasse dir und den Kindern alles durchgehen. Andere Frauen würden sich glücklich schätzen, über eine Putzfrau, eine Köchin und einen Sportguru verfügen zu können«, zeterte er ungehalten.

Doc unterbrach seine Schimpftriade, in dem er knurrend vor ihr Stellung bezog.

»Nimm gefälligst dein scheußliches Vieh weg, wenn ich mit dir rede!«

»Doc ist kein Vieh. Er ist ein Hund«, entgegnete sie ent-rüstet, schickte den großen Mischling sicherheitshalber den-noch auf seinen Platz, wo er sich mit leisem Grollen zusammenrollte, sie jedoch beide argwöhnisch beobachtete.

»Geld alleine macht nicht glücklich, Alex. Mich zumindest nicht«, hielt sie ihm vor. Um ruhig zu bleiben, krallte sie die Fingernägel in das Polster der Couch, bis sie schmerzten. Lou war so unendlich enttäuscht.

»Was willst du damit sagen, Louise? Ich denke, wir tun einfach so, als wäre nichts passiert. Du hast nur eine kleine … nennen wir es Midlife-Crisis, Liebling«, hauchte er mit gefährlich leiser Stimme, gespielt verständnisvoll. Er war bereits im Begriff zu gehen.

Lou wusste genau, dass es eigentlich besser gewesen wäre, den Mund zu halten. Sie spürte, dass sie sich auf hauchdünnem Eis bewegte. Schließlich war sie seit über zwanzig Jahren mit Alexander verheiratet. Aber hatte sie das nicht lange genug getan? Hatte sie nicht lange genug ihr angeblich loses Mundwerk im Zaum gehalten?

»Ich habe keine Midlife-Crisis, Alex«, antwortete sie so ruhig, wie es ihr möglich war. Verbissen ignorierte Lou seine hochgezogenen Augenbrauen ebenso wie die Zornesfalte mitten auf seiner Stirn, als er sich zu ihr zurückdrehte.

»Ich habe Werbemarketing und Kunst studiert. Ich war die Beste meines Jahrgangs. Ist dir das eigentlich klar? Hast du dir je Gedanken darüber gemacht, was ich aufgegeben habe? Unsere Kinder sind alt genug, aber arbeiten lässt du mich immer noch nicht? Stattdessen habe ich einen Mann, der sein Büro seiner Frau vorzieht. Einen Mann, der mich weder küsst, noch mit mir schläft. Empfindest du überhaupt noch etwas für mich, Alexander? Was bin ich für dich?«

Der ganze Körper ihres Mannes war angespannt. Mit einer fahrigen Bewegung öffnete er den Krawattenknoten und die obersten zwei Hemdknöpfe, um sich Luft zu machen. »Um was geht es hier eigentlich, Louise? Sieh dich um. Diesen ganzen Luxus haben wir meiner harten Arbeit zu verdanken. Findest du es nicht etwas herablassend, mir gerade das vorzuwerfen? Du bist die Mutter meiner Kinder und by the way: Zu Sex gehören immer zwei. Tu nicht so, als hättest du mehr Lust auf Sex als ich!«

»Hast du dir mal überlegt, dass ich vielleicht nicht immer darauf hinweisen möchte, wenn mir gerade nach Sex ist? Vielleicht möchte ich umworben oder erobert werden?«

»Du vergisst dich, Louise. Ich glaube, du steckst deine Nase zu viel in diese schrecklichen Schundromane. Außerdem hast du den da«, er zeigte mit spitzen Fingern auf Doc, »mir doch längst vorgezogen!«

Tatsächlich schlief Doc mitten in ihrem Bett. Das tat er allerdings erst, seit Alexander auf ein eigenes Schlafzimmer gepocht hatte. Angeblich, um sie nicht zu stören, wenn er wie so oft, nach einem langen, harten Arbeitstag erst mitten in der Nacht nach Hause kam. »Das sieht dir so ähnlich, Louise. Wie immer bin ich das Arschloch und du der Engel!«, warf er ihr an den Kopf und verschwand mit lautem Türenknallen.

Noch immer konnte sie die genauen Sätze ihres Streits hören, die sie tiefer verletzt hatten, als sie zuzugeben bereit war. Mit Alexander hatte man noch nie streiten können. Alexander brauchte Kontrolle über alles und jeden.

»Was ist eigentlich los mit dir, Lou?«, holte Tobias sie ins Hier und Jetzt zurück. Er musterte sie besorgt. Augenblicklich verstummte der immense Lärmpegel, den sieben lautstark plaudernde Frauen verursachten. Alle hingen mit gebannten Blicken an ihren Lippen. Lou schluckte trocken.

»Ich muss euch etwas sagen«, verkündete sie, holte tief Luft.

»Wusste ich es doch. Mein Gott, das tut mir so leid für dich, meine Liebe. Wie lange geht es denn schon?«, bekundete Konstanze heuchelnd Mitgefühl.

»Ich verstehe nicht, Konstanze«, antwortete Lou irritiert.

»Na bei einem Mann wie Alexander ist das doch kein Wunder«, mischte sich Michelle ein.

»Und was genau willst du damit sagen, Michelle? Louise ist schließlich auch sehr hübsch«, verteidigte Tobias seine Schwester erbost.

Lou sah sich gezwungen, einzugreifen. »Hört auf, bitte! Alexander hat keine andere …«

»Du meine Güte. Respekt, Louise. Das hätte ich dir gar nicht zugetraut!«, schnitt Konstanze ihr den Satz ab.

Lou musste sich schwer zusammenreißen, um ihrer Freundin nicht den Kragen umzudrehen. »Zum Mitschreiben für euch alle. Weder Alexander noch ich haben eine Affäre!«, knurrte sie ungehalten.

»Du bist doch nicht etwa schwanger?«, hob Katrin vorsichtig an.

»Um Gotteswillen. Nein. Wenn ihr mich endlich ausreden lassen würdet, bitte«, stieß sie aus, rollte genervt mit den Augen.

Tobias Blick schien zu sagen: »Darauf bin ich gespannt.«

»Ich werde mir für zwei Monate eine Auszeit von meiner Familie und ja – auch von Alexander – nehmen.«

Alle starrten sie bestürzt an. Lediglich Konstanzes gekünsteltes Lachen durchbrach die Stille. »Wieso tust du ihm das an, Louise? Alexander erfüllt dir jeden Wunsch. Herrgott, der Mann sieht aus wie der Zwilling von George Clooney.«

»Meine Güte, Mädchen. Du musst zu Hause keinen Finger krumm machen«, warf Gabby ihr vor und heimste dafür zustimmendes Nicken ein.

»Geld ist nicht alles«, flüsterte Lou mit belegter Stimme.

Tobias griff nach ihrer Hand, drückte diese verständnisvoll.

»Aber er geht doch noch nicht mal fremd, Louise. Oder? Außerdem hast du Kinder. Du hast Verpflichtungen. Ich finde, das ist völlig falsch, was du da vorhast. Geh doch mal zum Psychologen. Ich kann dir meinen ans Herz legen.«

»Das werde ich sicherlich nicht tun, Katrin. Mit mir ist nämlich alles in Ordnung!«, zischte Lou empört.

Das geflüsterte: »Midlife-Crisis!« war für alle gut zu hören.

»Das habe ich gehört!«, knurrte Lou erbost. Ihren wackeligen Beinen zum Trotz erhob sie sich, drehte sich einmal um die eigene Achse. »Seht mich an. Das bin gar nicht ich. Ich trainiere jeden verfluchten Tag drei Stunden mit einer unbezahlbaren Personaltrainerin. Ich mümmle Salat, wie ein verflixter Hase und versage mir jede unnötige Kalorie.

Ich weiß nicht einmal mehr, wie Schokolade schmeckt. Meine Haare sind blondiert, obwohl ich mit meiner eigenen, hellbraunen Haarfarbe immer zufrieden war. Aber blond ist ja so hipp. Meine Fingernägel sind manikürt und mit künstlichen Nägeln versehen. Verdammt. Es fehlt nur noch, dass ich mich unters Messer lege«, stöhnte Lou.

»Aber du siehst doch klasse aus, Liebes. Das alles lohnt sich doch!«, wandte Konstanze ein.

Lou schüttelte den Kopf. »Aber ich bin längst nicht mehr glücklich, Konstanze. Wo bleibe denn ich dabei? Ihr kennt mein wahres Ich doch überhaupt nicht. Habt mich nie richtig kennengelernt«, warf sie ihren Freundinnen vor.

»Quatsch, Louise. Du übertreibst völlig. Natürlich kennen wir dich!«, widersprach Katrin überzeugt.

Ein trauriges Lächeln legte sich auf Lous Gesicht.

Tobias flüsterte: »Wetten nicht!«

»In welchen Kleidern fühle ich mich am wohlsten?«, fragte sie in die Runde.

»Dein rotes Armani Kostüm mit deinen Jimmy Choos«, antwortete Konstanze wie aus der Pistole geschossen.

»Nein. Nein. Lou trägt am liebsten verwaschene Jeans, Turnschuhe und das karierte Flanellhemd, das an den Ellenbogen schon fast durchgewetzt ist. Zumindest wenn sie nicht im Malerkittel und zerrissenen Latzhosen malt«, widersprach Debbie gelassen.

Lou nickte dankbar.

Fassungslos sahen ihre Freundinnen sie an.

»Ich mag noch nicht einmal George Clooney, auch wenn Alex ihm so ähnlichsieht …«, bekannte sie offen und ein trauriges Lächeln legte sich auf ihre Lippen.

»Nee. Meine Schwester steht auf Männer mit Ecken und Kanten so wie Gerard Butler oder diesen Romanhelden Jamie so und so«, bestätigte Tobias grinsend, während er ihr seinen nach oben zeigenden Daumen entgegen reckte.

»Deshalb konnte ich deine Männerwahl auch nie verstehen. Hättest Achim nehmen sollen. Damals«, sagte Tobias mit einem aufmunternden Augenzwinkern.

In den Gesichtern ihrer Freundinnen konnte sie Überraschung, Unglauben sowie Entsetzen ausmachen.

»Das kann doch jetzt echt nicht dein Ernst sein, Louise! Und deine Party heute Abend …«, erwiderte Konstanze völlig verwirrt.

»Wird ohne mich stattfinden!«, antwortete sie mit einem tiefen Seufzen.

»Aber die Kinder?«

»Himmel, Katrin. Richard ist 21 und Philipp 17. Das ist alt genug, um endlich selbst auf den verwöhnten Beinen zu stehen. Mein Flieger nach Schottland geht heute Nachmittag«, antwortete Lou mit fester Stimme in die bestürzte Stille hinein.

»Warum ausgerechnet Schottland? Da regnet es doch ständig. Außerdem ist dieser Menschenschlag völlig verschroben«, hob Konstanze verständnislos an.

Lou war nicht mehr nach Lachen zumute. Sie fühlte sich einfach nur leer. Was hatte sie nur jemals mit diesen Frauen verbunden? »Ich mag eigentlich keine Hitze, Konstanze. Genaugenommen kann ich weder mit den Malediven noch mit der Côte d'Azur etwas anfangen. Das konnte ich noch nie. Außerdem wird mir auf Schiffen übel. Leider hat sich aber auch niemals jemand die Mühe gemacht, mich danach zu fragen. Ich liebe es naturverbunden, kühl und einsam. Nach Schottland wollte ich im Übrigen schon immer einmal. Ich freue mich darauf, den Zauber dieser Landschaft auf meine Leinwände zu bannen. Ich möchte vor dem knisternden Kaminfeuer Bücher verschlingen und dazu eine ganze sündige Tafel Schokolade essen «, versuchte sie, Konstanze ihre Entscheidung zu erklären.

Außerdem läuft mir vielleicht doch ein Schotte wie aus den Romanen über den Weg, dachte sie weiter, ohne es auszusprechen. Dabei hätte sie sich die Mühe sparen können. Konstanze sah aus, als hätte Lou soeben ihr komplettes Weltbild zerstört.

Schottland

Ein kariertes Taschentuch in ihrem Blickfeld, gefolgt von einem Regenschirm, der über ihrem Kopf schwebte, rissen Lou aus ihrer Erinnerung. Du liebe Güte. Sie musste aussehen wie eine Vogelscheuche.

»Alles in Ordnung mit ihnen, Miss?«, drang eine Stimme im tiefsten schottischen Dialekt an ihr Ohr. Völlig irritiert durch die stechend blauen Augen, die sie auf gleicher Höhe anstarrten, kam kein einziges Wort über ihre Lippen.

»Na wunderbar. Auch noch stumm wie ein Fisch«, knurrte ihr Gegenüber unfreundlich. Kopfschüttelnd blieb sein durchdringender Blick an ihren Schuhen hängen, deren Absätze bereits tief im aufgeweichten Boden versunken waren.

»Also ich …«, stotterte sie. Jede weitere Erklärung blieb ihr jedoch im Hals stecken, denn der Fremde hob sie einfach auf seine Arme wie ein Kleinkind und trug sie, leise vor sich hinschimpfend, in Richtung Haus davon. Auf der kleinen Veranda des Hauses wurde sie unsanft abgestellt. Der große Mann steckte den Schlüssel ins Schloss, öffnete und tat so, als ob diese ganze Situation etwas Alltägliches und völlig Normales wäre.

»Alasdair Munro. Wer sind sie? Und was verdammt machen sie auf meinem Grundstück?«, gab er mit gereiztem Unterton sowie einem rollenden R, das ihr durch und durch ging, von sich.

»Lou … äh … Louise Schulzinger, angenehm«, stotterte sie völlig perplex, während sie dem Fremden automatisch ihre Hand zur Begrüßung entgegenstreckte.

Der Schotte ignorierte diese mit einem nicht zu deutenden Blick. »Louise Schulzinger, nicht Louis?«, hakte er knurrend nach. »Dearg Amadain!« Ohne ein weiteres Wort wandte er sich von ihr ab und stapfte den Weg zurück zu ihrem Wagen. Der Kerl tat fast so, als würde der prasselnde Regen, der jetzt sintflutartige Ausmaße annahm, nicht existieren. Scheinbar unbeeindruckt von Docs Bellen oder seinem gefährlichen Knurren, und noch bevor sie ihm eine Warnung zurufen konnte, öffnete er den Kofferraum ihres Jeeps. Der Schotte lud ihr Gepäck aus, sammelte den von ihr stehen gelassenen Koffer ein und trug immer zwei gleichzeitig zum Haus, wobei er über ihre letzten Koffer lauthals fluchte, weil diese durch die vielen Bücher ziemlich schwer waren.

Das unverständliche Murmeln, das er von sich gab, trug auch nicht dazu bei, Lou zu beruhigen. In ihrem ganzen Leben war sie sich noch nie so fehl am Platz vorgekommen. Das wahre Leben entsprach nun mal keinem Roman.

Dank des finsteren Blickes, mit dem der Schotte sie bedachte, wagte sie nicht, irgendetwas zu sagen. Tatsächlich war sein Gesichtsausdruck nicht schwer zu deuten. Blonde Tussi mit Modelfigur, in High Heels und Minirock, was hieß: Total unterbelichtet und eingebildet.

Warum nur hatte sie nicht das Kleid samt den Schuhen gewechselt? Abwartend stand sie auf wackligen Beinen und sah zu, wie all ihr Gepäck im schummrigen Flur landete, in den sie tropfnass bis auf die Knochen ausgewichen war. Sie war unfähig, irgendetwas zu tun. Der wortkarge Mann machte ihr fast ein bisschen Angst. Sah er doch aus wie ein gefährlicher Wilder. Nein, einem Romanhelden glich er kein bisschen. Verzweifelt zupfte sie an ihrem Minirock und versuchte ihn unauffällig etwas weiter über die Oberschenkel zu ziehen, während sie auf die muskulösen Oberarme des Mannes starrte, die sich unter dem engen Jeanshemd abzeichneten.

Das Gesicht des Schotten war alles andere als hübsch. Es wirkte kantig und hart, ein Eindruck, der durch seinen Dreitagebart noch verstärkt wurde. Die Farbe seines kurz geschnittenen Haarschopfs erinnerte sie an gebeiztes Eichenholz. Eine große Narbe entstellte die eine Wange.

Zusammen mit dem durchdringenden Blick aus nahezu unverschämt blauen Augen verlieh es diesem Kerl eine gefährliche Aura. Ohne es zu wollen, bekam sie eine Gänsehaut, wich aus, bis die grob verputze Hauswand in ihrem Rücken jeden weiteren Rückzug vereitelte. Sie kam sich fast vor wie die Beute eines Raubtiers. Mit dem letzten Koffer öffnete er ohne zu zögern, die Beifahrertür und ließ Doc frei.

Entsetzt hielt sie den Atem an, behielt ihr vierbeiniges Monster im Auge. Doc war eine undefinierbare Mischung aus irischem Wolfshund mit Dobermann. Ganz entgegen ihrer Erwartung fiel der Hund jedoch nicht über den fremden Mann her. Im Gegenteil, das große Tier wackelte wie blöde mit seinem Schwanz, ließ sich sogar von dem Fremden die Ohren kraulen, als wären sie seit langer Zeit die besten Freunde. Das durfte doch nicht wahr sein!

»Du Verräter!«, entfuhr es Lou entrüstet.

Verdammt! Aus seinem Mieter war soeben eine aufgetakelte Mieterin geworden. Als ob er nicht bereits genug Probleme hätte. Konnte nicht ein einziges Mal in seinem verhunzten Leben etwas funktionieren? Das Pech konnte doch nicht sein ganzes Leben lang an seinen Fußsohlen kleben!

Alasdair konnte den Ärger bereits riechen. Anstatt ins Haus zu gehen und sich abzutrocknen, wie es vernünftige Menschen tun würden, stand diese Touristin unbeweglich im Türrahmen und musterte ihn mit offenem Mund.

Mürrisch schüttelte er den Kopf.

»Wird sich den Tod holen, das dumme Frauenzimmer«, schimpfte er auf Gälisch vor sich hin, während er dem hässlichsten Hund, den er je gesehen hatte, die Autotür öffnete.

Er überließ dem Tier eine Hand zum Beschnüffeln und das dumpfe Grollen des Hundes ging in ein freudiges Winseln über. Leise redete er auf das Tier ein. Marge war so freundlich gewesen und hatte das Haus auf den Besuch seines neuen Mieters vorbereitet. Vermutlich hatte sie sogar den Kühlschrank gefüllt, so wie er seine Mutter kannte.

Die Gute würde nie begreifen, dass dies keine Freunde waren, die sie beherbergten, sondern Mieter. Er würde dieses Haus jedenfalls ganz sicher nicht betreten. Zu viele Schlechte und nur wenig gute Erinnerungen hielt dieser Kasten für ihn bereit. Einmal mehr fragte Alasdair sich, wieso er das marode Stück nicht einfach verkauft hatte. Weil es seit Hunderten von Jahren im Besitz seines Clans war? Oder war da noch immer ein winziger Funke in ihm, der an den wenigen schönen Momenten seiner Ehe mit Felicitas festhielt?

»Narr«, schalt er sich selbst. Ächzend schleppte er das schwerste, wenngleich glücklicherweise letzte Gepäckstück den ausgewaschenen Kiesweg hinauf, aus dem der Regen einen Schlammpfuhl gemacht hatte. Cac. Noch etwas, das ich dringend tun sollte: Den Kies ausfüllen!

Am Haus angekommen ließ er den Koffer unsanft neben die anderen fallen, die er unter den argwöhnischen Blicken der Deutschen hochgeschleppt hatte.

»Dankeschön«, wisperte die fremde Frau zähneklappernd aus Augen, in denen er sich einbildete, Angst zu sehen. Er blieb an ihren zitternden Lippen hängen, die vor Kälte fast blau aussahen. A Dhia. Verflucht. Sein Blick streifte ihre Finger, deren Nägel seltsam verunstaltet aussahen. Augenblicklich versuchte sie, diese hinter ihrem Rücken zu verstecken, als hätte sie seinen Blick bemerkt.

Ganz sicher haben diese Hände noch nie ein Kaminfeuer entfacht. Verflucht. Mit einem Mann wäre das hier alles sicherlich kein Problem gewesen. Eine hirnrissige Idee, ausgerechnet an Touristen zu vermieten. Jetzt bringt mich eine A' gearmailteach dazu, dieses vermaledeite Haus zu betreten, nach all den Jahren, grollte er im Stillen.

Aus den Augenwinkeln heraus warf er einen verstohlenen Blick auf die Frau. Sie war nur etwas kleiner als er mit seinen 1,85 Meter, was für eine Frau, wie er fand, recht groß war. Dafür war sie dünn. Für seinen Geschmack viel zu dünn. Das wiederum gab ihr das Aussehen eines verunsicherten Rehkitzes. Schwarze Schlieren ihrer Schminke verunzierten das sympathische Gesicht. Er musste sich schwer zusammenreißen, um seinen Blick von diesen waidwunden karamellbraunen Augen zu nehmen, die ihn bis tief ins Mark berührten. Rehaugen. Ein Seufzen entfuhr ihm. O ja.

Er würde nicht drum herum kommen, das Feuer im Kamin zu schüren, da das Haus traditionell nicht über eine Zentralheizung verfügte. Mit einer Mischung aus Angst und Argwohn, so schien es ihm, sah ihm die Frau zu, wie er aus seinen schlammverschmierten Arbeitsstiefeln stieg. In Gedanken fluchte er über das Loch in seiner linken Socke. Entschlossener als ihm zumute war, trat er schließlich ins Halbdunkel des Flurs. Die Frau schien die Nase zu rümpfen. Beklommen fragte er sich, ob seine Arbeitshose nach Schaf- oder Rinderdung roch.

Als ob es mich interessiert, was eine aufgetakelte Blondine aus Deutschland von mir denkt, schoss es ihm durch den Kopf. Er war ein Bauer. Nicht mehr und nicht weniger. Seit über acht Jahren hatte er diese Räume nicht mehr betreten. Genau zwei Tage nach der Geburt seiner Tochter Grace, hatte Felicitas ihn verlassen. In ihrem Leben sei kein Platz für das Kind eines Schaf- und Rinderbauern, der in seiner wenigen Freizeit ein Café betrieb, das sich nicht im Geringsten lohnte. Felicitas Leben waren die großen Bühnen der weiten Welt. Nicht ein mickriges Kaff in den endlosen Weiten des schottischen Hochlands an der Seite eines hässlichen Kerls.

Selbst als sich nach drei Monaten herausgestellt hatte, dass Grace gehörlos war, kam sie nicht zu ihm und ihrer gemeinsamen Tochter zurück. Er hatte lediglich noch zweimal von ihr gehört. Bei der Zustellung der Scheidungspapiere, sowie am Tag ihrer Scheidung, an welchem sie höchstpersönlich, mit einem Lackaffen in Anzug und Schlips an ihrer Seite, erschienen war. Nicht ein einziges Mal hatte sie nach Grace gefragt. An keinem ihrer Geburtstage kam Post. In seinem ganzen Leben hätte er nicht gedacht, dass eine Mutter so herzlos sein konnte.

Von diesem Tag an war Grace zum Mittelpunkt seines Lebens geworden. Was hätte er auch sonst tun sollen? Grace war sein Fleisch, sein Blut. Den Frauen hatte er, außer zu gelegentlichen Bettgeschichten, abgeschworen. Das würde auch eine deutsche Blondine nicht ändern!

Louise pfffft … Ein fehlendes E brachte ihm jetzt jede Menge Unannehmlichkeiten ein. Auf löchrigen Strümpfen schob er sich an der Frau vorbei, in sein ehemaliges Wohnzimmer, wo er geübt den Ofen anfeuerte. Den Lichtschalter rührte er nicht an. Er brauchte kein Licht.

Alasdair wollte nicht sehen, wo er einst mit Felicitas eng umschlungen vor dem Kamin gesessen hatte. Keine Gefühle – keine Verpflichtungen und somit kein Herzschmerz! Bemüht versuchte er, jede knarzende Bodendiele sowie die damit verbundenen Erinnerungen zu ignorieren. Er nahm zwei Stufen auf einmal auf dem Weg ins Bad, um ja nicht die Quietschende zu erwischen, an der sich Felicitas einst das Knie blutig geschlagen hatte. Mit sicherer Hand tastete er nach dem kleinen Schrank, zog ein Handtuch heraus. Zähneknirschend ignorierte er den zarten vertrauten Geruch, der aus dem Frottee aufstieg. Eilig begab er sich wieder zurück nach unten. Wortlos drückte er das Handtuch der Frau in die Hände. Kurz bevor er die Haustür erreichte, besann er sich eines Besseren, drehte sich nochmals zu der Fremden um, die jetzt immerhin im Esszimmer stand, wenngleich sie noch immer völlig verunsichert wirkte. Aber das war ja nicht sein Problem.

»Klappe immer öffnen, bevor Sie anfeuern. Holz ist hinter dem Haus, Miss …«

»Schulzinger. Louise Schulzinger«, erwachte die Deutsche aus ihrer Starre. »Was ist denn mit der Heizung, Mister … äh Munro?«, fragte sie.

»Es gibt keine«, antwortete er knapp. Peinlich berührt riss er sich von den großen in Tränen schwimmenden Rehaugen los. Noch bevor Mistress Schulzinger neue Forderungen stellen konnte, warf Alasdair die Tür bereits hinter sich ins Schloss und stürzte davon. Keine Kompromisse. Keine Gespenster der Vergangenheit und somit keine neuen Verletzungen! Ärgerlich fluchte er vor sich hin, die Hände aufgewühlt in den nassen Haaren. Hatte er keinen Verstand mehr? Eine Touristin. Ein aufgetakeltes Model.

Herr im Himmel, eine Frau!

Er hatte ihr sein Hab und Gut vermietet? Sicher, ihm stand das Wasser bis zum Halse. Zum Teufel. Ja. Er hatte keine Ahnung, wie er die nächste Tierarztrechnung – und die würde kommen, das war so sicher, wie das Amen in der Kirche – zahlen sollte. Aber einer A' ghearmailteach sein Hab und Gut vermieten? Verfluchtes fehlendes E!

A Dhia. Hoffentlich fackelt das Weib nicht das ganze Haus ab, betete er lautlos. Schließlich war er nicht gerade das, was man ausreichend versichert nannte!

Der ungehobelte Klotz von einem Mann ließ sie einfach stehen. Ohne mit der Wimper zu zucken, war er gegangen. Keine Heizung? Was sollte das den bedeuten? Scheinbar bedeutete warm in Schottland etwas anderes als in Deutschland.

Der Knall der Haustür hatte sie aus ihrer Lethargie gerissen. Wacklig taumelte sie weiter. Sank auf einen Ohrensessel. Minutenlang starrte Lou dem Rinnsal Wasser hinterher, das von ihren Haaren über ihren Rücken und die langen Beine perlte, um sich dann in einer Pfütze auf dem Boden vor ihr zu sammeln.

Herrje, sie würde noch das Holzparkett ruinieren.

Doc setzte sich vor sie, musterte sie mit seinen Teddybär-Knopfaugen. Ein Ohr erhoben, eines eingeklappt, winselte er eindringlich. Seufzend schlang sie sich das kratzige Handtuch um den Kopf, während sie liebevoll durch sein nasses, drahtiges Fell strich.

»Schon gut, mein Großer. Frauchen hat sich schon wieder im Griff«, raunte sie ihm zu. Vor Kälte waren ihre Glieder seltsam steif. Ungelenk erhob sie sich, um noch mehr Handtücher zu organisieren.

Schließlich war sie ebenso wie Doc wieder trocken und alle Wasserspuren beseitigt. In einer winzigen Küche hatte sie es, dem Gasherd sowie verbrannten Fingern zum Trotz, geschafft, Wasser für einen Tee in einem altertümlichen Teekessel abzukochen. Lou setzte in Gedanken Streichhölzer ganz oben auf ihre Einkaufsliste. Mit Feuerzeugen konnte sie einfach nicht umgehen, ohne sich zu verbrennen.

Dass ihre Nägel außerdem viel zu kurz waren, weil sie sich die künstlichen Nägel hatte abnehmen lassen, machte es auch nicht einfacher. In der Hektik und im Halbdunkel hatte sie keinen Wasserkocher gefunden.

Jetzt saß sie mit einer alten Patchworkdecke, die sie eng um sich geschlungen hatte, in dem abgewetzten Ohrensessel direkt vor dem offenen Kamin. Müde starrte sie in die knisternden Flammen. Sie fühlte sich völlig ausgebrannt. Innerlich leer. Hatte noch nicht einmal die Muse gefunden, sich in dem kleinen Cottage umzusehen. Eigentlich war sie eher der ängstliche Typ Frau, der alles verriegelte.

Sie vergewisserte sich immer gründlich, ob sie allein war.

Dabei warf sie stets einen Blick unter das Bett oder in die großen Schränke. Als ob ein Einbrecher sie bei diesem Tun nicht auch umbringen könnte. Seltsamerweise verspürte sie in diesem kleinen Cottage jedoch keinerlei Angst oder Panik. Dem mürrischen Schotten zum Trotz fühlte sie sich heimisch. Fast schon willkommen. Außerdem war da ja auch noch Doc, der hoffentlich nicht in jedem Schotten einen Freund sah.

Ein Blick aus dem Fenster zeigte ihr Dunkelheit sowie die Umrisse von großen Bäumen, deren Wipfel sich im peitschenden Wind und Regen bogen. Doch auch dieser Anblick ließ sie kalt. Das Smartphone in der Jackentasche ihres Blazers kam ihr in den Sinn. Mit spitzen Fingern zerrte sie es hervor, um nach der Uhrzeit zu sehen.

Es zeigte kurz nach 21 Uhr an. War das jetzt deutsche oder britische Zeit? Außerdem hatte sie 32 Anrufe in Abwesenheit sowie 12 Nachrichten. Lou schluckte ungläubig. Entschlossen drückte sie, ohne auch nur eine Einzige zu lesen oder irgendeine Nachricht abzuhören, auf Löschen. Dann ließ sie das Smartphone entkräftet auf den Couchtisch gleiten. Aus ihrem Handgepäck förderte sie ein Karton Trockenfutter sowie eine Flasche Whisky zutage, die sie bereits am Flughafen erstanden hatte. Sie kannte sich ein wenig mit schottischem Single Malt aus und hatte einen 15-jährigen Cardhu eingekauft.

Nachdem sie eine großzügige Portion Trockenfutter für Doc in einen Suppenteller geschüttet hatte, schenkte sie sich einen guten Schluck Whisky in die leere Teetasse. Nicht wirklich stilecht, aber in Ermangelung eines Whiskyglases zumindest okay. Erneut kuschelte sie sich in die bunte Decke hinein, machte es sich auf dem Sofa bequem. Doc beobachtete sie fragend aus großen Augen. Als sie einladend neben sich auf das Sofa klopfte, nahm er Anlauf, sprang neben sie, um sich zu ihren Füßen zusammenzurollen.

»Glücklicher Kerl«, murmelte sie mit melancholischer Stimme. Ihr ganzes Leben war ein einziges Desaster. Viel-leicht war es doch ein Fehler, seinen geheimen Hirngespinsten zu folgen? Erschöpft schloss sie die Augen.

Deutschland zur selben Zeit

Alles war perfekt. Die Streicher erfüllten den großen Saal mit einem angenehmen Klang. Üppiges Kerzenlicht, sowie große Blumenbuketts mit Lilien in allen Farben sorgten für eine festliche Stimmung. Mittlerweile waren auch die Gäste vollzählig. Nur vom Geburtstagskind fehlte jede Spur. Wo um alles in der Welt blieb Louise? Es sah seiner Frau überhaupt nicht ähnlich, zu spät zu kommen. Zu Beginn ihrer Liebe hatte sie ihn immer für seine Unpünktlichkeit gerügt. Tatsächlich war Louise sogar soweit gegangen, jeden ihrer gemeinsamen Termine um eine halbe Stunde vorzuverlegen, sodass sie beide zukünftig immer pünktlich angekommen waren.

»Du siehst heute Abend wieder sehr gut aus, wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf, mein lieber Alexander«, flötete Konstanze, die sich ihm unbemerkt genähert hatte. Lächelnd prostete sie ihm mit einem Glas Champagner zu.

»Mit deiner Schönheit kann ich nicht mithalten, meine liebe Konstanze. Du weißt nicht zufällig, wo mein holdes Eheweib steckt?«, erwiderte er galant und musste Konstanze auf den Rücken klopfen, da sich diese just an ihrem Schampus verschluckt hatte. Ihr Gesicht lief dabei unschön rot an.

»Hoppla. Ist alles in Ordnung, Konstanze?«, fragte er fürsorglich und nahm der nach Atem ringenden Frau das Glas ab.

»Sie hat dir nichts gesagt?«, hauchte Konstanze ungläubig.

Alexander bemerkte, wie sich seine Gesichtsmuskeln vor Sorge verkrampften. »Was nicht gesagt?«, hakte er nach, während sich seine Finger fest um Konstanzes Oberarm schlossen. »Was hat mir Louise nicht gesagt?« Unsanft schob er die Freundin seiner Frau in das verwaiste Foyer hinaus. Ein Räuspern ließ ihn jedoch zusammenzucken, wobei er sich seltsamerweise wie ertappt vorkam. Alarmiert drehte er sich um, sah sich seinem verhassten Schwager gegenüber.

»Tobias. Du hier?«, begrüßte er ihn eisig, wenngleich überrascht.

»Da staunst du, Alexander«, kommentierte sein Schwager die Begrüßung mit einem Grinsen, das alle Alarmglocken in seinem Kopf klingeln ließen.

»Keine Sorge, du bist mich sofort wieder los, werter Alexander. Ich denke, was Konstanze dir soeben zu sagen versuchte, ist, dass Lou inzwischen in Schottland angekommen sein müsste«, erklärte Tobias fröhlich.

Alexander musste die Hände zu Fäusten ballen, um seinem Schwager nicht das süffisante Lächeln aus dem Gesicht zu schlagen. Zweiundzwanzig Jahre war er mit Louise verheiratet. Er hatte sie gegen den Willen der eigenen Eltern geheiratet, obwohl die damals Achtzehnjährige unter seinem Stand gewesen war. Mit ihrem Bruder hatte er sich nie verstanden. Sicher war das wieder einer von Tobias dummen Streichen. Louise hatte ihn doch nicht wirklich verlassen? Er war ein Schulzinger, verdammt. Ihn verließ man nicht einfach!

»Lass deine unverschämten Witze, Tobias. Gerade du solltest wissen, dass ich derlei überhaupt nicht ausstehen kann.«

Tobias zuckte verächtlich mit den Schultern.

»Ich bilde mir ein, dass Lou dir mehr als einmal gesagt hat, was sie will und was nicht. Ich sollte dir das lediglich ausrichten. Im Übrigen können Richie und Flipp jeder Zeit bei mir unterkommen, wenn es dir zu viel wird!«

»Richard und Philipp gehen nirgendwo hin. Schon gleich dreimal nicht zu einem … einem …«

»Schwulen? Homosexuellen? Man wird nicht schwul gemacht, sondern schwul geboren, Alexander. Du brauchst dir also keine Sorgen machen, dass ich mich an meinen Neffen vergreife.«

Alexander brach der kalte Schweiß aus. Mit zittrigen Fingern zerrte er sein iPhone aus dem Sakko. Hektisch tippte er Louises Nummer ein.

Das hat sie mir nicht wirklich angetan? Nicht nachdem ich ihr ein riesen Fest organisiere und ihr den Himmel zu Füßen lege …, schrien seine Gedanken verzweifelt. Louise reagierte nicht, so oft er ihre Nummer auch wählte. Lediglich ihre Mailbox sprang an. Mit hasserfüllten Augen starrte er Tobias an, ließ das iPhone achtlos zu Boden fallen und warf sich gegen seinen Schwager. Die Hände in dessen Hemdkragen gekrallt, brüllte er ihn an: »Was hast du gemacht? Wo genau ist meine Frau? Wo ist Louise, du schwule Sau!«

Er hatte sich nicht mehr unter Kontrolle. War völlig in Rage. Noch bevor er weitere Beschimpfungen oder Handgreiflichkeiten gegen seinen Schwager anwenden konnte, versetzte dieser ihm einen gekonnten Kinnhaken. Benommen ging er zu Boden. Um ihn herum strömten die Gäste ins Foyer, um nach der Ursache des Krawalls zu sehen.

»Ich glaube kaum, dass du Lou so wieder zurückbekommst, Alexander. Außerdem bezweifle ich, dass sie an ihr Smartphone gehen wird, wenn du anrufst!«

Ohne weitere Worte zog Tobias sein Hemd wieder gerade, drehte sich um und verließ mit betont schlenderndem Schritt die Geburtstagsparty. Mühsam rappelte sich Alexander hoch, schlug Konstanzes helfende Hand aus.

»Entschuldige mich«, schnappte er und machte sich, seine blutende Nase haltend, auf den Weg in den zweiten Stock. Dort befanden sich seine Büroräume. Hinter sich konnte er Frau Butt schnauben hören, die ihm mit einem »Das kriegen wir alles wieder hin Herr Schulzinger. Sie werden schon sehen, Herr Schulzinger!« auf den Fersen folgte.

Alexander flüchtete ins Bad. Zitternd bis ins Mark warf er die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss. Außer sich vor Zorn riss er sich Sakko samt ruiniertem Hemd vom Leib.

Dann sank er stöhnend auf die Toilette, barg den Kopf in den Händen. Wie hatte Louise ihm das antun können? Tag und Nacht rackerte er sich in der Firma den Arsch ab für seine Familie. Keiner anderen Frau hatte er je Beachtung geschenkt. Dabei stand das weibliche Geschlecht bei ihm Schlange. Und wie dankte ihm Louise seine Treue, all die Entbehrungen, die er für das Wohl seiner Lieben erduldet hatte? Indem sie einfach verschwand?

»Mein Gott. Ich bin bloßgestellt worden vor all meinen Mitarbeitern, Freunden …«, entwich es ihm gequält. Gut, sie hatte ihm zigmal damit in den Ohren gelegen, dass sie keine große Party wollte. Ja, er wusste, dass sie sich sehnlichst einen Schottlandurlaub gewünscht hatte. Aber eine kleine Party war unter ihrem Niveau. Warum nur kapierte sie das nicht? Außerdem verstand er nicht, wieso sie ausgerechnet Schottland wählte, wenn man im Privatjet nach Mauritius fliegen konnte? Dumpfes Pochen riss ihn aus seinem Jammertal.

»Herr Schulzinger? Herr Schulzinger, ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, erklang es von der anderen Seite der Tür. Auf die gute Butte, wie Louise immer zu sagen pflegte, war eben Verlass. »Brauchen Sie etwas, Herr Schulzinger?«

Ja, verdammt. Meine Ehefrau!, hätte er am liebsten gebrüllt. Fahrig wischte er sich die Tränen aus den Augenwinkeln.

»Ein neues Hemd, Frau Butt. Könnten Sie mir ein neues Hemd bringen, bitte«, sagte er stattdessen. Stumm lobte er sich dafür, dass seine Stimme wieder völlig beherrscht klang.

»Kommt sofort!«, flötete Frau Butt erleichtert. Das Klappern ihrer Absätze auf dem Marmorboden war bis zu ihm herein zu vernehmen. Keine zehn Minuten später saß er frisch gewaschen, gekämmt und mit blütenweißem Hemd vor seinem Schreibtisch. Verständnislos starrte er den Briefumschlag nebst der ungeöffneten Cartier Schatulle an, die in Zellophan mit überdimensionaler roter Schleife verpackt war. Louise hatte sein Geschenk noch nicht einmal geöffnet. Schmuck im Wert von über tausend Euro und sie hatte ihn noch nicht einmal angesehen. Stattdessen hatte sie alles mit einem Umschlag, auf dem sein Name stand, provokant auf seinem Schreibtisch platziert.

Dem einzigen Ort, bei dem sie sich sicher sein konnte, dass er ihn aufsuchte. Sein Büro. Erschüttert bis ins Mark streckte er die zitternden Finger nach dem Umschlag aus, zog das helle Papier heraus. Dabei wurde er jedoch von Frau Butt unterbrochen.

»Verzeihen Sie, Herr Schulzinger, aber die Gäste fragen nach dem Geburtstagskind und Ihre Frau Mutter ist auch schon etwas besorgt.«

»Danke, Frau Butt. Entschuldigen Sie uns bitte. Sagen Sie ihnen einfach, meine Frau ist unpässlich und ich würde mich um sie kümmern. Ach und sagen Sie meiner Mutter, ich melde mich nachher bei ihr. Die Gäste sollen doch bitte mit dem Essen beginnen«, erklärte er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch zuließ. Frau Butt nickte verständnisvoll und entfernte sich mit eilenden Schritten.

Alexander atmete tief durch, strich über den Brief.

O Gott, seine Mutter hatte ihm gerade noch gefehlt. Sie würde kein gutes Haar an Louise lassen, wenn sie von diesem Schlamassel erfuhr. Müde fuhr er sich durch die Haare. Atmete tief ein und aus. Schließlich öffnete er den Brief mit unruhig pochendem Herzen.

Lieber Alexander,

wenn du diesen Brief liest, bin ich bereits abgereist. Ich kann so nicht mehr weiter machen! Ich weiß nicht, wie oft ich in letzter Zeit versucht habe, dir zu erklären, wie ich mich fühle. Für dich bin ich normal, allgegenwärtig geworden. Du hast mich zu einer künstlichen Trophäe gemacht. Eine blonde Barbie, die man vorzeigen kann.

Das bin nicht ich! Zweiundzwanzig Jahre Ehe und du verstehst mich immer noch nicht ein bisschen. Ich will dein Geld nicht! Ich will den Mann wieder, der mich zum Lachen gebracht hat. Den Mann, mit dem ich nächtelang geredet und die Nacht zum Tag gemacht habe. Ich will Liebe und Sex. Keinen Bürohengst, der sich hinter seiner Arbeit verschanzt und mich übersieht. Ich werde für zwei Monate in Schottland sein. Versuch nicht, mich anzurufen oder zu finden. Wenn ich mir im Klaren bin, wie es mit uns weiter gehen soll, melde ich mich von selbst bei dir.

Lou

P.S.: Ich bin weder verrückt geworden noch leide ich an einer Midlife-Crisis!

Jähzorn breitete sich in Alexander aus. So fest er konnte, zerknüllte er Louises Brief in seiner Hand. Natürlich war er wieder einmal der Böse. Der Schwarze Peter. Er, der vom frühen Morgen bis zum späten Abend arbeitete wie ein Verrückter. Sich für das Wohl seiner Familie abrackerte.

Wie von der Tarantel gestochen, schoss er in die Höhe, warf die Papierkugel in den Abfall. Das konnte sie nicht machen. Nicht mit ihm! Hektisch suchte er nach der Visitenkarte der Detektei, deren Dienste er ab und an für die Firma in Anspruch nahm, um säumige Kunden zu finden.

Das Ersatz IPhone am Ohr eilte er schließlich im Stechschritt in das Penthouse nach oben. Er stürmte durch die Eingangstür auf direktem Weg in das Schlafzimmer seiner Frau.

»Ist da die Detektei Osanowic? Alexander Schulzinger am Apparat. Ich benötige Ihre Hilfe. Ich möchte Sie beauftragen, meine Frau zu finden!«, bellte er lautstark in den Hörer.

Eine halbe Stunde später war er um einige Tausend Euro leichter. Die Detektei hatte bereits alles in die Wege geleitet, um Louise zu finden. Seine Augen schweiften durch das großzügige Zimmer. Mit einem Blick stellte er fest, dass der Korb ihres Köters ebenso fehlte, wie Toilettenartikel, Jeans und die ganzen Utensilien, die Louise zum Malen benötigte. Erschöpft sank er auf ihr Bett, vergrub die Nase tief einatmend in ihrem Kopfkissen. Wie hatte es nur soweit kommen können mit ihnen beiden?

Ja. Ja, es stimmte. Immer wieder hatte sie versucht, mit ihm zu reden. Und ja, er hatte mit der Firma sehr viel um die Ohren. Aber es ging ihr doch gut. Sie hatte Personal, Fitnesstrainer, Wellness- und Kosmetik-Termine, Freundinnen und Kleider von allen begehrten Designern. Allein Louises Schmuck war ein Vermögen wert. War denn das nicht das, was alle Frauen wollten?

Herrgott, sie waren doch keine zerrüttete Familie. Wieso also hätte er ihrem Wunsch nach einer Eheberatung nachkommen sollen? Warf Louise allen Ernstes zweiundzwanzig Jahre Ehe einfach weg? Was um Himmelswillen sollte er seinen Söhnen sagen? Himmel und wie sollte er das seiner Mutter erklären? Er konnte bereits ihr »Was hab ich dir immer über diese Frau gesagt?« hören. Hatte Louise womöglich einen Liebhaber? Ihr Personal-Fitnesstrainer konnte es nicht sein, denn der war eine Frau. Ein ziemlich heißer Feger, wie er zugeben musste. Es sei denn … Beunruhigt dachte er an Tobias, verwarf den Gedanken jedoch als völlig abstrus. Tief verletzt starrte er auf das Tohuwabohu, das er angerichtet hatte.


Tausche Ehegatten gegen Mann im Kilt

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