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WEGWEISENDE IMPULSE

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Etty Hillesum hätte wohl nur schmunzeln können bei der Vorstellung, einmal zu einer Art „geistlicher Wegbegleiterin“ zu werden, die einführt ins Gespräch mit Gott. Gewiss, von ihren Gebetsworten können wir viel lernen. Viele Stellen ihrer Aufzeichnungen verdienten, in eine Anthologie aufgenommen zu werden: Es gibt Texte von atemberaubender Schönheit und einem herzerweiternden großen Atem … Auf einige solcher Stellen werden wir eingehen. Doch zunächst einige Hinweise zu einer sehr grundsätzlichen Frage, die bei der Lektüre ihrer Aufzeichnungen wach wird: Wo beginnt und wo endet eigentlich Ettys Beten?

Wenn Etty sagt, sie wolle in aller Einfachheit verfügbar sein und selbst der „Kampfplatz“ sein, wo die Fragen und Nöte ihrer Zeit zum Frieden finden, betet sie da?

Wenn sie dem „ewigen Mond“ ausgefallene Reden hält, wenn sie mehr schlecht als recht versucht, irgendwie ihr inneres Auf und Ab zu bestehen, betet sie da?

Wenn Etty sich dem Risiko aussetzt, den verwirrenden, bedrängenden Fragen, die sie manchmal überkommen, nicht auszuweichen; wenn sie wagt, mit einem zum engen Freund gewordenen Mann die „erfüllende“ Freude über eine innige Beziehung zu genießen, ist das auch eine Form ihrer Gottesbeziehung? Betet sie da?

Wenn sie inmitten des Ratterns der Schreibmaschinen im Schreibsaal kurzzeitig alles um sich herum vergisst, um sich zu sammeln, betet sie da?

Wenn sie sich daranmacht, die Worte festzuhalten, die eine hochschwangere Frau unmittelbar vor der Deportation mit leiser, müder Stimme ausspricht, betet sie da?

Verfügbar sein, suchen, wie man leben soll, sich aussetzen, sich entziehen, da sein … – ist das Beten? Und weiter: weinen, sich freuen, zweifeln, tanzen, warten, singen, kämpfen, atmen, schreiben, geboren werden … – ist das Beten?

Eines Tages wurde Etty von einem unwiderstehlichen Impuls erfasst, der sie selbst überrascht hat: Spontan kniet sie nieder auf dem Sisalteppich im Bad, das Gesicht zwischen ihren Händen. Sie durchlebt eine innige Erfahrung, von der zu sprechen sie sich scheut. Das Wort „Gebet“ wirkt allzu blass und fad, um diese Geste des Niederkniens zu beschreiben; der bloße Gedanke an diesen Moment rührt „an das Intimste des Intimsten“, das ein Mensch erleben kann, wie sie sagt (NG 334). Ja, gibt es eigentlich etwas „so Intimes, etwas so Inniges wie die Beziehung eines Menschens mit Gott“?

„Das Intimste des Intimsten“, diese Formulierung mit doppeltem Superlativ ist Ettys Versuch, das durch eine unbeschreibliche Erfahrung „geheiligte“ Herz sprachlich zu fassen. Zögernd und mit aller Vorsicht lässt sie diesen Moment anklingen, in der Furcht, die unzulänglichen Worte könnten ihn seiner Schönheit berauben.

Man ahnt, dass es bei einem „Weg mit Etty Hillesum“, den wir in diesem Buch gehen wollen, um alles andere geht als um bekannte, vielleicht gar abgedroschene Gebetsformeln. Da gibt es weder glattgeschliffene noch gekünstelte Formulierungen. Der Weg mit ihr ist auch keine fromme Wallfahrt, deren Etappen im Vorhinein festgelegt sind. Mit Etty einen Weg der Meditation und des Gebetes gehen, das ist ein Abenteuer: Es ist verbunden mit der womöglich irritierenden Einladung, all das, was wir sind und was unser Leben ausmacht, jener „intimen Präsenz“ hinzuhalten. Gott soll von nichts ausgeschlossen werden, was wir sind und was uns widerfährt. Wundern wir uns nicht, dass der hier vorgeschlagene Weg unterschiedlichste Themen berührt, von der Beziehung zu unserer Familie über die zu unserem Körper bis hin zum Umgang mit dem Tod … Denn sosehr Beten auch beinhaltet, freie Zeiten und geeignete Orte zu finden, um in sich hineinzuhören und Gott „von Herz zu Herz“ zu begegnen, so bedeutet es ebenso, in einer inneren Disposition zu leben und zu bleiben, die es ermöglicht, dass das göttliche Geheimnis das gesamte Leben erfasst. Früher sprach man davon, dass man seine Gebete „verrichte“; Ettys Leben sagt uns, dass es darum geht, selber ein lebendiges Gebet zu werden. Wo immer wir persönlich gerade stehen, Etty Hillesum würde uns sagen:

„Ist es nicht wahr,

dass wir überall beten können,

in einer Baracke aus Brettern ebenso gut

wie in einem beschaulichen Kloster,

und generell an jedem Ort der Erde,

wo Gott in diesen düsteren Zeiten

seine Geschöpfe hingestellt hat?“ (VB 263).

Beginnen wir den Weg mit dieser jungen Frau, wissend, dass es keine gewöhnliche Meditation sein wird …

Doch, es gibt eine andere Wirklichkeit

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