Читать книгу Die STERNENKÖNIG - Saga - P.K. Stanfay - Страница 3
ASTRAGOL
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Die Strahlen der untergehenden Sonne ließen die Wasser des größten Stromes der Mondwelt, des Astron, golden aufleuchten und zauberten bunte Lichtreflexe auf die Dächer der Türme und Häuser der großen Stadt an seinem Ufer.
Doch dieser idyllische Anblick täuschte, denn auf den Zinnen der mächtigen Mauern herrschte ein hektisches Treiben. Schwerter wurden geschliffen, Speere und Pfeile zurechtgelegt, Rüstungen ausgebessert. Befehle schwirrten hin und her.
In großen Kesseln brachte man Teer zum Kochen und mit Flaschenzügen wurden große Steine zu den Katapulten hochgezogen.
Das alles schien an einem Mann absolut vorbeizugehen. Sein Haar war raspelkurz geschnitten und dunkle Bartschatten zeigten, das er in letzter Zeit andere Sorgen hatte als sein Aussehen. Er trug nur einen einfachen Lederkoller und das einzig Auffällige an ihm war ein goldenes Amulett an einer Halskette, welches eine Krone, eingefasst von drei Sternen, zeigte. Es war das Zeichen der STERNENKÖNIGE und er war Capron, Herrscher über Astragol, Hauptstadt der Menschen am Großen Fluß Astron.
Gedankenverloren, mit verschränkten Armen, finsterer Miene und zusammengekniffenen Augen starrte er auf die Ebene vor sich. Wie Glühwürmchen leuchteten dort zahllose Feuer und ein beständiges Sägen, Klopfen und Hämmern drang wie Bienengesumm herüber.
„Der Feind ist fleißig“, klang eine Stimme hinter ihm auf.
„Ah, Ihr seid es, Angron“, erkannte der Angesprochene seinen langjährigen, väterlichen Freund, der zugleich Kommandant der Palastwache und verantwortlich für die Verteidigung der Stadt war. „Was gibt es?“
„Forons Sohn ist mit dem Rest seiner Truppen und seinem toten Vater zurück in seine Heimat aufgebrochen. Er will sein Volk in die Höhlen führen und die Eindringlinge aus dem Untergrund bekämpfen.“
„Das ist eine kluge Entscheidung“, antwortete Capron. „Vielleicht hätten wir die Waldmenschen gar nicht in diesen Krieg hineinziehen sollen“, fügte er etwas zerknirscht hinzu.
Der grauhaarige Soldat, wie immer in voller Rüstung, trat neben ihn und schüttelte den Kopf. „Foron hat uns seine Hilfe selbst angeboten. Und wir alle waren der einhelligen Meinung, das es der einzige Weg ist, dem Feind in einer offenen Schlacht entgegenzutreten. Es konnte keiner ahnen, welche Monstren Zathor auf der Dunklen Insel erschaffen hat.“
„Ihr habt Recht“, sagte Capron. „Wir sind leider seit längerer Zeit schon zu unvorsichtig und sorglos geworden, sonst wäre es gar nicht so weit gekommen.“ Verärgert über diese Fehler und Nachlässigkeiten hieb er seine Faust auf eine der Mauerzinnen.
„Beruhigt Euch, mein König“, erwiderte Angron. „Ein hitziger Kopf ist ein schlechter Ratgeber.“
Capron nickte. „Ich weiß.“ Er seufzte und musste unwillkürlich wieder an die Ereignisse der letzten Wochen denken.
Schon seit Anbeginn der Zeiten tobte der Kampf zwischen Gut und Böse. Auf der einen Seite stand Zathor, der Herrscher der ABSOLUTEN FINSTERNIS und auf der anderen die STERNENKÖNIGE, Wächter und Bewahrer des Friedens auf der Welt der drei Monde.
Nur wenn es Zathor gelingen würde, deren gesamtes Geschlecht zu vernichten, wäre das Gleichgewicht der Kräfte so zu seinen Gunsten verändert, das nichts und niemand mehr ihn davon abhalten könnte, seine dunkle Herrschaft über diese Welt auszubreiten.
Acht Generationen waren nun schon seit der letzten großen Auseinandersetzung zwischen ihnen vergangen und nur seinen schwarzmagischen Kräften war es damals zu verdanken, das er unbehelligt zurück auf die Dunkle Insel fliehen konnte. Trotz seiner Wut über diese erneute Niederlage und seinem unbändigem Hass, ließ er sich diesmal Zeit.
Viel Zeit.
In den tiefen Höhlen der Schwarzen Eisberge erschuf er das gewaltigste Heer, das diese Welt je gesehen hatte. Die Barbarenstämme der Nordländer, die schon immer mit den übrigen Völkern der Mondwelt in Feindschaft lebten, überredete er mit großen Versprechungen auf viel Land, Gold und Sklaven, sich seinem neuen Feldzug anzuschließen. In einem blitzschnellen Handstreich eroberten sie die Wachforts an der Grenze und verhinderten damit, das Meldereiter Nachricht von der nachfolgenden Invasion ins Land tragen konnten. Dann landeten die finsteren Horden, angeführt von Batok, dem Dunklen Lord, einem der grausamsten und tückischsten Helfershelfer Zathors. Ihr Ziel: Vernichtet Astragol und löscht das Geschlecht der STERNENKÖNIGE aus!
Wie eine riesige, alles vernichtende Flutwelle überschwemmten sie zuerst das Vielfarbenland und vertrieben die dort lebenden Buntmützen. Die kleinen, fleißigen und fröhlichen Kerlchen konnten sich durchaus ihrer Haut wehren, was sie schon in vielen Kämpfen gegen die Nordländer bewiesen hatten, doch dieser geballten Macht aus Mordlust, Raubgier und Zerstörungswut waren sie einfach nicht gewachsen.
Sie flüchteten in panischer Angst in alle Himmelsrichtungen und so kam auch die erste Kunde von der aufziehenden Gefahr nach Astragol und zu den benachbarten Waldmenschen.
Ihr Herrscher Foron, der ein guter Freund Caprons war, machte sich sofort auf den Weg zu ihm, um diese gefährliche Lage zu besprechen. Vor allem auf sein Drängen hin entschied man sich, dem Feind in einer offenen Feldschlacht entgegenzutreten, obwohl die entkommenen Buntmützen von fürchterlichen Kreaturen in Batoks Heer berichteten.
Und so stellte man sich den Eindringlingen am Wald der tausend Eichen.
Doch was ihnen da gegenüberstand übertraf ihre schlimmsten Erwartungen!
Da waren nicht nur die Horden der nordischen Barbaren auf ihren stämmigen Pferden, sondern auch abertausende von Batoks Hauptmacht, den graugeschuppten Echsenköpfigen, kurz Dracs genannt. Reptilienhafte, tumbe Wesen, deren Leben nur aus Kämpfen, Fressen und Saufen bestand. Unterstützt wurden sie von den Schwadronen der Canuiden, zweiköpfigen, mannsgroßen, hundeähnlichen Bestien, die von den Dracs geritten wurden. Doch die grässlichsten und gefährlichsten Kreaturen standen in vorderster Linie - die Arrach, fast drei Meter große, achtbeinige Monstren. Sie hatten ein dichtes, schwarzes, borstenartiges Haarkleid, das hart wie Stahl war und einen hervorragenden Panzer abgab. In der Mitte ihres Kopfes lag ein großes facettenartiges Auge, mit dem sie fast nach allen Seiten sehen konnten. Am Vorderleib wuchsen zwei kräftige Fangarme, die in mächtigen Scheren endeten. Ihr Schwanz reichte in einem Bogen über ihren ganzen Leib. An dessen Ende war eine Drüse, die Gift versprühen konnte und jeden sofort lähmte, der damit in Kontakt kam. Auf ihrem Rücken war eine Art Gondel befestigt, in der sich zehn, mit Pfeil und Bogen bewaffnete Dracs befanden, während ein weiterer kurz hinter dem Auge saß und das Monster steuerte.
Es war eine furchtbare Schlacht!
Trotz Forons vielen gepanzerten Kampfebern, trotz der Treffsicherheit seiner Bogenschützen, welche die besten der ganzen Mondwelt waren, trotz der heldenhaften Tapferkeit der Garde der Sternenkrieger und der Schnelligkeit von König Caprons Kometenreitern - die Übermacht war einfach zu groß. Immer weiter wurden sie zurückgedrängt, immer weniger wurde ihre Zahl und als König Foron durch die Hand Batoks fiel, wandte sich der Rest von ihnen zur Flucht.
Nur der Besonnenheit Caprons und einem Häuflein Freiwilliger, die die Verfolger in der Schlucht von Fugenia aufhielten, war es zu verdanken, das sich die Überlebenden in Astragol sammeln konnten.
Der STERNENKÖNIG atmete tief durch und schüttelte diese trüben Erinnerungen ab. Es gab noch etwas sehr Wichtiges zu tun.
„Kommt mit mir“, wandte er sich an Angron. „Ich habe eine Aufgabe für euch.“
Sie verließen die Mauer, stiegen auf ihre Pferde und ritten langsam zum Königspalast. Unterwegs gaben sie hier und da noch letzte Anweisungen und sprachen den Menschen Mut zu. Am Palast angekommen, durchschritten sie den Thronsaal und gingen in die Privatgemächer des Königs.
Einer dieser Räume war eine Art Arbeitszimmer, aber trotzdem gemütlich eingerichtet. Zwei hohe Fenster, in deren bunt verglasten Butzenscheiben die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spiel-ten, ließen viel Licht hinein. Vor ihnen stand ein länglicher Tisch mit sechs Stühlen daran, darauf eine Schale mit zwei Milchfläschchen und eine Karaffe Wein nebst vier Bechern. An einer Stirnseite des Raumes stand ein Schreibpult und neben ihm ein großer, reich verzierter Schrank, während gegenüber in einem Kamin ein lustiges Feuer prasselte.
Zwei Frauen befanden sich in dem Raum. Die eine stützte sich mit einer Hand an eben diesem Kamin ab und starrte, in Gedanken versunken, ins Feuer. Sie trug eine lange weiße Tunika, die von einer gestickten Goldborte gesäumt wurde. Um die Schultern hatte sie einen kobaltblauen Umhang, der mit einer goldenen Spange zusammengehalten wurde. Ihr schwarzes Haar, das schon von einigen grauen Strähnen durchzogen war, hatte sie im Nacken zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie war nicht mehr die Jüngste, aber immer noch eine wunderschöne, attraktive Frau und ein Blick aus ihren grünen Augen konnte noch so manchem Mann weiche Knie machen.
Ihr Name war Xegonia, bei den Völkern der Mondwelt aber überall als Weiße Hexe von Enid bekannt.
Die andere Frau war eine etwas dralle Person. Sie war in ein schlichtes, blaues Gewand gekleidet und ihren Kopf bedeckte eine hellgraue Haube. Sie beugte sich über zwei Kinderwiegen, die nahe des Kamins standen und nahm eines der Babys heraus, das gerade lautstark seinen Unmut kundtat.
„Er hat wohl immer Hunger“, sagte Xegonia mit einem mitleidigen Lächeln.
„Da sagt ihr was“, antwortete die Kinderfrau, ging zum Tisch und nahm eines der Fläschchen, die dort in einer Schale mit warmen Wasser vorbereitet waren. „Keldon ist unersättlich, ganz im Gegenteil zu Lyrana, seinem Schwesterchen. Typisch Mann eben.“
Sie zwinkerte mit einem Auge und ein Lächeln machte ihr pausbäckiges Gesicht noch eine Spur fröhlicher.
„Täuscht euch da nicht“, sagte Xegonia, trat zu den beiden und sah zu, wie der kleine Schreihals zufrieden an der Flasche nuckelte. „Meine Nathinia steht ihm da wahrlich in nichts nach.“
„Ach, ihr habt auch eine Tochter?“ fragte die Amme erstaunt.
„Ja, sie ist fast im gleichen Alter. Wir waren so ziemlich zeitgleich in anderen Umständen - Beliana und ich. Und wir freuten uns schon auf die Zeit, wenn unsere Kinder miteinander spielen würden.“
„Unsere arme Königin“, seufzte die Amme. „Sie und König Capron waren so glücklich. Und dann musste sie ausgerechnet nach der Geburt von uns gehen.“ Sie stellte die jetzt leere Flasche zurück, ging einige Schritte hin und her und klopfte dabei dem Kleinen leicht auf den Rücken. „Und als ob das noch nicht genug wäre, bedrohen jetzt noch diese finsteren Kreaturen unser Land“, fuhr sie zornig fort. „Aber König Capron wird sie mit blutigen Beulen wieder heimschicken.“
Wie zur Bestätigung machte der Kleine ein Bäuerchen.
„Er scheint ganz eurer Meinung zu sein“, lachte Xegonia.
Da öffnete sich die Tür und Capron und Angron traten ein.
„Oh, Ihr seid schon da, Frau Xegonia“, rief der König erstaunt, lief auf sie zu und begrüßte sie herzlich.
„Eure Nachricht hörte sich dringend an“, antwortete sie, „und Entfernungen sind ja für mich kein Hindernis.“ Dabei zupfte sie vielsagend an ihrem Umhang.
„Natürlich. Ich vergaß.“ Er lächelte. „Und wie geht es meinen beiden Sternchen, Zuniga“, fragte er die Kinderfrau.
„Wie immer prächtig, mein Herr“, kam die fröhliche Antwort.
„Sehr schön. Nehmt doch bitte Platz“, wandte er sich wieder an Xegonia und deutete auf die Stühle am Tisch. „Angron kennt ihr ja.“
„Kommandant“, nickte sie ihm lächelnd zu, was er mit einem respektvollen Kopfnicken erwiderte, und ließ sich nieder.
Capron setzte sich ebenfalls, während Angron stehen blieb. „Einen Schluck Wein?“ fragte der König Xegonia.
Sie lehnte dankend ab und er stellte die Karaffe wieder zurück. Dann lehnte er sich zurück, überlegte kurz und fing an zu sprechen. „Ihr wisst ja, das Astragol in einer schlimmen Lage ist. Und wenn wir ehrlich gegenüber uns selber sind, wissen wir alle, das wir auf Dauer Batoks Armee nicht standhalten können, geschweige denn, sie zu schlagen. Zu gewaltig ist ihre Übermacht und selbst LUNAR konnte uns keine große Hilfe sein.“ Capron starrte vor sich hin. „Wenn mein armer Bruder nicht schon so früh von uns gegangen wäre, sähe die Sache natürlich anders aus“, sagte er leise und mehr zu sich selbst. „Aber so ...“ Er seufzte und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, als ob er diesen schmerzvollen Gedanken wegwischen wollte. Dann lehnte er sich zurück. „Doch ich darf nicht nur an die Menschen in dieser Stadt denken - ich bin als STERNENKÖNIG auch für das Überleben unserer Mondwelt verantwortlich. Ihr kennt ja die alte Prophezeiung.“
Xegonia nickte. „Wird das Geschlecht der STERNENKÖNIGE ausgelöscht, verdunkeln sich die drei Monde, das Reich des Lichtes hört auf zu existieren und die Absolute Finsternis wird die Herrschaft übernehmen“, sagte sie leise.
„Richtig. Und deswegen habe ich eine Entscheidung getroffen“, fuhr Capron fort und machte eine bedeutungsschwere Pause.
Xegonia wechselte einen Blick mit Angron, der nur verständnislos mit den Schultern zuckte.
„Ich möchte, das Ihr Keldon und Lyrana zu euch nehmt, Frau Xegonia, und das ihr zusammen mit Angron die beiden zu guten und verantwortungsbewussten Erben der STERNENKÖNIGE erzieht.“
Minutenlang herrschte absolute Stille in dem Raum, nur vom Knistern des Feuers unterbrochen.
Dann schüttelte die Angesprochene langsam den Kopf. „Euer Ansehen ehrt mich, mein König, aber ich finde diesen Plan für unklug.“
„Wieso das?“
Xegonia erhob sich, trat an eines der Fenster und schaute auf die untergehende Sonne. „Enid ist zu nahe an Zathors Einflussbereich und es wäre nur eine Frage der Zeit, wann er herausfinden würde, wo die beiden sind. Und meine Macht ist der seinen bei weitem nicht so gewachsen, das ich ihnen genügend Schutz geben könnte.“
„Und wäre es nicht auch besser, wenn Ihr, statt meiner, mit Euren Kindern die Stadt verlasst?“ warf Angron ein.
„Ich werde nicht wie ein geprügelter Hund den Schwanz einziehen und meine Untertanen im Stich lassen“, antwortete Capron abweisend. „Das weißt du ganz genau.“
„Ich hätte da einen anderen Vorschlag “, meldete sich Xegonia wieder zu Wort.
„Und der wäre?“ brummte Capron etwas mürrisch.
„Schickt die beiden unter sicherem Schutz zu Magilos.“
„Dem Alten der Berge?“ Capron rieb nachdenklich sein Kinn.
„Er wohnt weit weg auf dem Gipfel des Egerid und steht unter dem Schutz der Berserker. Zudem wäre er ein viel besserer Lehrmeister für eure Kinder wie ich.“
„Hm.“ Der König überlegte. Dann füllte er einen Becher mit Wein und nahm einen langen Schluck. Schließlich stand er entschlossen auf, trat auf Angron zu und sah ihm fest in die Augen.
„Xegonia hat recht. Ich halte das auch für die beste Lösung und Ihr seid der einzige, dem ich uneingeschränkt vertraue.“ Er packte ihn an den Schultern und sagte in beschwörendem Ton: „Das Überleben der Mondwelt hängt von Euch ab. Bringt Keldon und Lyrana sicher zu Magilos. Überbringt ihm meine untertänigsten Grüße mit der Bitte, die beiden aufzuziehen und zu würdigen Nachkommen der STERNENKÖNIGE zu erziehen. Berichte ihm, welch dunkle Wolken sich über unserer Welt zusammenbrauen. Er wird wissen, was zu tun ist.“ Erst jetzt ließ er ihn wieder los. „Willst du das für mich und unser aller Wohl tun?“
Angron neigte ehrerbietig den Kopf und führte die rechte Faust zum Herzen. „Nichts und niemand wird mich davon abhalten, euren Auftrag auszuführen“, sagte er einfach.
„Gut.“ Capron nickte und klopfte ihm dankend auf die Schulter. „Nimm zwei deiner besten Soldaten und die besten Pferde. Zuniga wird euch begleiten und die Kinder auf der Reise betreuen. Verlasst Astragol morgen in aller Frühe durch die geheime Pforte an der Flussseite. Ich und die Stadt werden so lange wie möglich versuchen, den Feind aufzuhalten, damit ihr einen genügend großen Vorsprung habt.“
Die beiden nickten einverstanden.
„So geht jetzt und bereitet alles vor“, entließ sie der König.
Nachdem sich die Tür hinter den beiden geschlossen hatte, wandte sich Capron an Xegonia. „Ich hätte trotzdem noch eine Bitte an Euch.“
„Wenn es in meiner Macht liegt, helfe ich gern“, antwortete die Angesprochene mit einem Lächeln.
Er ging an ihr vorbei zum Kamin und griff oben links hinein. Was er da machte, war nicht zu ersehen, doch plötzlich sprang ein Fach aus der Seite heraus. Er holte ein in ein Tuch gewickeltes längliches Bündel heraus, drückte das Fach wieder zu und legte es auf den Tisch.
„Was ist das“, fragte Xegonia und trat zu ihm.
Capron schlug das Tuch auseinander und ein silbernes Kästchen wurde sichtbar, auf dessen Deckel das Zeichen der STERNENKÖNIGE eingraviert war. Er klappte ihn auf und Xegonia beugte sich neugierig darüber. Eingebettet in rotem Samt lagen die Miniaturausgaben eines Schwertes, eines Bogens und eines Köchers mit Pfeilen darin.
„Ist es das, was ich denke?“ flüsterte sie.
Capron nickte. „LUNAR, Schwert des Lichtes und SOLAN, der Sonnenbogen.“
„Die magischen Waffen der STERNENKÖNIGE“, sagte Xegonia ehrfurchtsvoll. „Aber warum zeigt ihr mir sie?“
„Ich möchte, das ihr sie mit euch nehmt und gut versteckt.“
Der König schloss das Kästchen und wickelte es wieder ein. „Zathor wird ganz Astragol auf den Kopf stellen, um in ihren Besitz zu kommen. Das sie sich tatsächlich irgendwo in Enid befinden, darauf wird er bei all seiner Schlauheit nicht kommen.“
„Und was soll mit ihnen dann weiter geschehen?“
„Wenn die Zeit gekommen ist, werden die rechtmäßigen Besitzer Anspruch darauf erheben und ihr werdet sie ihnen übergeben.“
Er schaute bei diesen Worten zu den beiden Kinderwiegen.
„Und wie ...“, setzte Xegonia zu einer neuen Frage an.
„Das Wie lasst meine Sorge sein“, unterbrach sie Capron sanft und lächelte. Dann übergab er ihr das Bündel. „Gebt dieses Geheimnis niemandem preis“, sagte er beschwörend, „außer ihr vertraut ihm, wie Euch selbst.“
„Ich werde es hüten wie meinen Augapfel“, versprach die Weiße Hexe von Enid. „Ihr könnt euch auf mich verlassen.“
„Sehr gut.“ Der König atmete hörbar erleichtert auf. „Werdet Ihr gleich nach Hause aufbrechen?“ fragte er dann.
„Nein.“ Xegonia schüttelte den Kopf. „Ich habe Eurem Medicus versprochen, ihm noch bei der Versorgung der Verwundeten zu helfen. Deswegen würde ich Euch jetzt gern verlassen, wenn Ihr erlaubt.“
Capron nickte verstehend und verabschiedete sie, nicht ohne sich bei ihr noch einmal herzlich zu bedanken.
Als sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, ging er zum Tisch und griff nach dem halbvollen Becher. Doch statt zu trinken, überlegte er es sich anders und stellte ihn wieder hin. Er ging zu den Kinderwiegen und sah die Babys sinnierend abwechselnd an. „Ihr habt euch wahrlich den schlechtesten Zeitpunkt für den Start eures Lebens ausgesucht. Erst verliert ihr eure Mutter und jetzt steht der schlimmste Feind, den die Mondwelt hat, vor den Toren unserer Stadt.“ Er seufzte. „Aber wenn es den Göttern gefällt, uns solchen Prüfungen zu unterziehen, müssen wir es eben hinnehmen.“ Nach einigen Sekunden des Überlegens streifte er seine Kette über den Kopf und nestelte das daran befindliche Amulett ab. „Vielleicht kann euch das hier eine Hilfe sein.“ Er murmelte einige Worte und plötzlich strahlte das Amulett silbern auf. Das Strahlen ließ nach und auf seiner Hand hatte es sich in zwei Hälften geteilt. „Falls das Schicksal es nicht gut mit euch meint, wird euch dieses Amulett zur Seite stehen.“ Er legte die eine Hälfte zu Füßen des Mädchens und die andere zu Füßen des Jungen. Und als ob die beiden Stücke schon ihre Macht entfalten wollten, breitete sich ein wohliger Ausdruck auf den Gesichtern der Kinder aus, ihre Augen fielen zu und sie schliefen ein.
II
Fünf Tage dauerte die Belagerung, in denen die Verteidiger wahre Heldentaten vollbrachten. Aber schließlich mussten sie sich der Übermacht geschlagen geben und Batok konnte endlich in Astragol einziehen.
In der Stadt tobten noch die letzten kleinen Scharmützel, als er sich, geschützt von seiner Leibgarde, den Weg zum Königspalast bahnte. Wie immer trug er seine schwarze Rüstung und den Helm mit den gebogenen, schwarzmagischen Hörnern, der ihn unverwundbar machte. Zusätzlich zu seinem Schwert war an seinem Gürtel noch die berühmt, berüchtigte Feuerpeitsche befestigt, eine Waffe, die alles und jeden in Flammen aufgehen lassen konnte. Im Gegensatz zu seiner Garde ritt er lieber auf einem Pferd statt auf einem Canuiden. Diese „stinkenden Aasfresser“, wie er sie nannte, waren ihm einfach zuwider. Er zügelte seinen Rappen auf dem Hof des Palastes und betrachtete mit zusammengekniffenen Augen die vielen toten Dracs und Barbaren, die sich hier zu wahren Hügeln türmten. Die letzten Verteidiger hatten ihr Leben wirklich so teuer wie möglich verkauft.
Aus dem Palast kam ein Echsenköpfiger geeilt. Batok erkannte in ihm Krr, den Anführer der Dracs.
„Wir haben ihn“, rief er schon von weitem. Er ließ sich demütig vor ihm auf ein Knie nieder. „König Capron issst tot, mein Gebieter“, zischte er etwas atemlos.
„Wieso tot? Ich wollte ihn lebend“, grollte der Dunkle Lord.
„Die Barbaren, Herr. Ich konnte sssie nicht sssurückhalten. Ihre Wut über ihre grosssen Verlussste war sssu grosss“, kam die entschuldigende Antwort.
„Diese Schmeißfliegen sollen lernen, besser zu kämpfen“, brummte Batok ungehalten und stieg ab. „Zeigt ihn mir.“
„Sssehr wohl, mein Herr.“ Krr wieselte eifrig vor ihm her in Richtung Palast.
Im Thronsaal von Astragol hatte der STERNENKÖNIG seinen letzten Kampf gefochten. Zusammen mit einigen Getreuen der Palastwache lag er von vielen Pfeilen durchbohrt zwischen zahlreichen toten Barbaren.
Angewidert stieg Batok über die Körper, trat zu dem Leichnam Caprons und betrachtete ihn.
„Sssieht ausss wie ein Igel, nich?“ kicherte Krr.
„Halt dein dummes Maul“, raunzte ihn der Dunkle Lord an. Mitleid war zwar für ihn ein Fremdwort, aber doch empfand er so etwas wie Respekt für den Toten. „Ich wäre froh, wenn ich solche Krieger in meinen Reihen hätte“, murmelte er. Dann bückte er sich und sah sich das Schwert, das neben der Hand des Toten lag, genauer an.
Vorsichtig berührte er es mit dem Zeigefinger. Nichts geschah. Er nahm es ganz in die Hand, erhob sich und hielt es in die Luft.
„Was meinst du“, wandte er sich an Krr, „ist das ein magisches Schwert?“
„I - ich weisss nich“, stammelte der überrascht.
„Natürlich weißt du nichts“, sagte Batok abschätzig und warf die Waffe wieder zu Boden. „Das ist jedenfalls keines.“
Er sah sich noch einmal um. „Habt ihr schon alles durchsucht?“
„Wir hatten noch nicht die Ssseit“, entschuldigte sich der Echsenköpfige verlegen.
„Dann fangt damit an. Ich will die Kinder und diese magischen Waffen!“ Er wandte sich zum Gehen. „Und räumt das hier auf“, sagte er noch kalt und deutete auf die Toten.
Die beiden Trupps der Echsenköpfigen und Barbaren, die diese Aufgabe übernehmen mussten, hatten dabei eine merkwürdige Erscheinung.
Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich eine Gestalt in einem kobaltblauen Umhang auf. Noch ehe man reagieren konnte, breitete sie ihn über den toten König aus - ein kurzes Flirren - und beide waren verschwunden.
Nach einer kurzer Beratung beschloss man, lieber nichts davon zu melden. Denn das würde nur wieder für unnötigen Ärger mit ihren Vorgesetzten sorgen. Und den wollten sie lieber vermeiden, denn keiner von ihnen hatte Lust, mit der Feuerpeitsche Batoks Bekanntschaft zu machen.
Als der Abend hereingebrochen war, saß der Dunkle Lord auf dem Herrschersitz des ehemaligen Thronsaals der STERNENKÖNIGE und starrte missmutig in den halbvollen Becher Wein in seiner Hand. Er war unzufrieden, denn er hatte die Befehle Zathors, seines Herrn und Meisters, nur teilweise erfüllen können. Astragol war zwar jetzt in ihrer Hand und Capron tot, doch obwohl man den ganzen Palast auf den Kopf gestellt hatte, hatte man weder die Kinder des Königs noch die magischen Waffen gefunden.
Er stellte den Becher auf einem kleinen Tisch neben sich, nahm seinen Helm ab und hängte ihn auf eine der Armstützen. Ratlos strich er sich über seinen bleichen, haarlosen Schädel, der in einem krassen Kontrast zu seinen schwarzen, glühenden Augen stand. Dann stand er auf, stieg die drei Stufen des Podestes herunter und ging zu den Fenstern des Thronsaals. Er öffnete eines, beugte sich etwas hinaus und ließ die frische Nachtluft über sein Gesicht streichen.
Was sollte er jetzt tun?
Sein Blick wendete sich Richtung Norden. Wäre nicht der Glanz der Sterne gewesen, man hätte Onar, den ersten Mond, gar nicht bemerkt - denn Dunkelheit hatte ihn umfangen. Dann schaute er nach Osten und drehte mit einer Verwünschung seinen Kopf sofort weg, denn Tunar, der zweite Mond, schickte seine weichen, gelblichen Strahlen ungehindert zur Erde. Gespannt blickte er nun geradeaus, Richtung Westen, wo der Nachthimmel von dunklen Wolken bedeckt war. Doch plötzlich rissen sie auf und Drenar, der dritte Mond, erstrahlte in hellem, silbernem Licht.
Mit einem unterdrückten Aufschrei schloss er geblendet die Augen,
riss den linken Arm vor sein Gesicht und flüchtete zurück in den Schatten der Halle. Voller Wut und die hässlichsten Verwünschungen vor sich hin murmelnd ließ er sich wieder auf den Thron fallen und leerte seinen Becher mit einem Zug.
Da ertönte ein unterwürfiges Zischen vom Eingang des Saales. Batok blickte auf und erkannte Krr.
„Ich hoffe, du bringst gute Nachrichten“, knurrte er ihn an.
Demütig näherte sich der Echsenköpfige. „Diesssesss Mensssenpack issst ssstur und dickköpfig“, zischelte er. „Aber dank der ‚Überredungssskünssste’ meiner Leute“, dabei verzog sich sein Maul zu etwas, das man ein Grinsen nennen konnte, „haben wir erfahren, dasss kursss vor der Belagerung drei Männer und eine Frau mit sssechs Pferden die Ssstadt in Richtung Sssüden verlassen haben.“
„Na und? Flüchtlinge“, sagte Batok lapidar.
Krr schüttelte den Kopf. „Nicht, wenn sssie von Kommandant Angron angeführt wurden.“
„Was du nicht sagst!“ Der Dunkle Lord wurde hellhörig. „Das war doch aber nicht alles, oder?“
„Nein, mein Gebieter. Sssie hatten auch zzzwei Bassstkörbe dabei“, sagte der Echsenköpfige.
„Na endlich!“ Batok sprang wie elektrisiert auf. „Das ist endlich unsere Spur!“
„Ssspur? Was für eine Ssspur?“ fragte Krr verständnislos.
„Ja, verstehst du denn nicht?“ Batok lief zu ihm und schüttelte ihn an den Schultern. „Zwei Körbe - zwei Kinder!“
„A - aber“, stammelte der. „Von Kindern war doch keine Rede.“
„Du bist und bleibst ein Dummkopf.“ Der Dunkle Lord wandte sich von ihm ab. „Warum wird Capron wohl seinen besten Krieger kurz vor der entscheidenden Schlacht weggeschickt haben? Bestimmt nicht ohne triftigen Grund.“
Er stieg das Podest wieder hinauf und drehte sich um. „Lass meine Bluthunde von der Leine und schick ihnen einen Trupp Canuiden hinterher. Sie sollen die Flüchtigen finden, töten und mir die Kinder bringen. Lebend - verstehst du?“
„Wie ihr wünssst, mein Gebieter.“ Krr verbeugte sich und eilte hinaus.
Jetzt sichtlich zufriedener als noch vor ein paar Minuten füllte Batok seinen Becher wieder. „Es sieht so aus, als ob ich doch noch die Erwartungen meines Meisters erfüllen sollte“, murmelte er und ein diabolisches Grinsen überzog seine Züge.
III
Sieben Tage war Angron nun schon mit seinem kleinen Gefolge und den beiden Kindern seit dem Verlassen Astragols unterwegs. Sie waren stetig dem Lauf des Großen Flusses in Richtung Süden gefolgt. Rast machten sie nur, um die Kinder zu versorgen und die Pferde kurz verschnaufen zu lassen.
Unerbittlich trieb Angron sie vorwärts, besonders seit dem Tag, an dem er zufällig zurückschaute und in weiter Ferne die schwarze Qualmwolke am Himmel bemerkte. Sein Herz krampfte sich zusammen in dem Wissen, das Astragol gefallen war und mit der Stadt sein König und alle seine alten Kampfgefährten. Gleichzeitig ahnte er, das die Häscher des Dunklen Lords nicht mehr lange auf sich warten lassen würden.
Sie waren die ganze letzte Nacht lang geritten. Die Kinder, durch das sanfte Wiegen auf den Pferderücken tief eingeschlummert, wurden jetzt vor Hunger wach und machten diesem Drang lauthals Luft.
Auf einer kleinen, erhöhten und spärlich bewaldeten Landzunge ließ Angron halten und das Lager aufschlagen. Die Amme Zuniga versorgte die Kleinen, ein Soldat kümmerte sich um die Pferde, während der andere Feuer machte und ein karges Frühstück zubereitete.
Angron stand mit verschränkten Armen am Rand des kleinen Hügels und starrte nachdenklich in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Die Pause kam ihm ganz gelegen, da er sich über ihren weiteren Weg klar werden musste.
Sie waren jetzt kurz vor den ersten Ausläufern des Mossoc-Gebirges, wo er auf dem Gipfel des Egerid Magilos, den Alten der Berge, zu finden hoffte. Dem Astron konnten sie nun nicht mehr folgen, da er sich einige Wegstunden flussabwärts gabelte. Der eine Arm führte nach Westen, der andere floss zwar noch in ihre Richtung, aber durch schwer begehbares Gebiet. Er musste nun zwischen zwei Routen wählen. Die eine führte nach Osten durch die äußeren Randgebiete des ehemaligen Reiches der Waldmenschen. Da diese von Batoks Horden geschlagen worden waren, wie er selbst ja miterleben musste, wusste Angron nicht, was sie dort erwarten würde. Die Wahrscheinlichkeit war aber groß, dort auf den Feind zu treffen. Blieb noch der südliche Weg durch das Gebiet der Lupoden, die von den Menschen Große Graue Wölfe genannt wurden. Angron hatte mit ihnen noch nie etwas zu tun gehabt und ihm war klar, das es dort auch nicht ganz ungefährlich werden konnte. Doch er erinnerte sich auch an die zahlreichen Gerüchte und Legenden die kursierten und davon berichteten, das gute Menschen nichts von ihnen zu befürchten hätten. Warum und wieso wusste niemand, aber die Lupoden sollten einen untrüglichen Instinkt dafür besitzen, sofort Gut und Böse zu erkennen.
Von dort aus waren es noch gut vier oder fünf Tage bis nach Berror, der Hauptstadt der Berserker, mit denen König Capron schon immer in gutem Einvernehmen gestanden hatte. Nicht weit von Berror erhob sich dann der Gipfel des Egerid, dem Sitz von Magilos - seinem Ziel.
Versunken in seine Gedanken nahm er die Bewegung erst gar nicht richtig war.
Der dunkle Punkt kam schnell über die weite Ebene auf ihn zu.
Aufmerksam geworden kniff er die Augen zusammen und spähte angestrengt in die Richtung. Aus dem großen Punkt wurden bald sieben kleinere.
„Born! Keron! Kommt her! Schnell!” rief er. Die beiden Soldaten eilten herbei und folgten mit ihren Blicken dem ausgestreckten Arm ihres Anführers.
„Sind das Wölfe?“ fragte einer.
„Auf alle Fälle irgendwelche Tiere“, entgegnete der andere.
„Weder noch“, erkannte Angron jetzt, was da heranstürmte. „Es sind die Bestien Batoks“, rief er. „Los, zum Feuer!“ Sie hetzten zurück, rissen jeder einen brennenden Scheit heraus und zogen ihre Schwerter.
„Zuniga, versteck die Kinder!“ rief Angron.
Aber es war schon zu spät! Wie schwarze Blitze schossen die sieben Bluthunde auf sie zu. Ihre Augen glühten wie rote Feuer und vor Mordlust troff ihnen der Geifer aus den aufgerissenen Schnauzen mit den sichelscharfen Zähnen. Einer stürzte sich sofort auf die Amme, während die anderen sechs paarweise auf die drei Männer zusprangen.
Den einen schlitzte Angrons Schwert noch im Flug auf. Dann stieß er dem anderen die brennende Fackel in das aufgerissene Maul und schlug ihm den Kopf ab. Keuchend richtete er sich auf und sah zu seinen Gefährten. Sie hatten auch jeder einen der Hunde getötet, doch jetzt lag Born tot mit aufgerissener Kehle am Boden und über Keron, der sich mit letzter Kraft wehrte, waren die anderen beiden hergefallen.
Angron stürmte auf sie zu, stieß dem ersten sein Schwert tief in die Flanke und schleuderte ihn zur Seite, wo er nach einigen Zuckungen verendete. Der zweite machte einen Satz zurück und verharrte mit gesträubtem Fell und tiefem Knurren.
Ein kurzer Blick genügte Angron, um zu sehen, das für Keron jede Hilfe zu spät kam. Ohnmächtige Wut gegen diese Scheusale stieg in ihm hoch.
Er griff an - oder wollte es zumindest. Denn in diesem Augenblick bekam er einen Stoß von hinten und ein irrsinniger Schmerz durchfuhr seine rechte Schulter. Er hatte das siebente der Monster vergessen, das die Amme angefallen und getötet hatte und dann abwartend den Kampf beobachtete.
Jetzt war es Angron von hinten angesprungen und hatte sich in seine Schulter verbissen. Durch die enorme Wucht dieser Attacke wurde er nach vorn gestoßen und sein gezücktes Schwert stieß genau in den Rachen der vor ihm stehenden Bestie, die wie vom Blitz getroffen zusammenbrach. Dann fielen beide zu Boden und wälzten sich hin und her. Immer wieder biss der Bluthund zu, in dem Bestreben, Angrons Kehle zu erreichen und aufzureißen. Eine Schmerzwelle nach der anderen durchraste den Körper des Mannes. Krampfhaft versuchte er mit der rechten Hand seinen Dolch aus dem Gürtel zu ziehen, während er sich mit der linken gegen die Angriffe der Bestie wehrte. Wieder stieß der stinkende Rachen auf ihn zu. Instinktiv riss Angron den linken Arm hoch und das Untier vergrub seine Zähne darin. Genau in diesem Moment bekam er seinen Dolch frei und stieß zu.
Einmal - zweimal - wieder und wieder, bis sich die Kiefer des Monstrums endlich lockerten und es mit einem letzten, schmerzvollen Jaulen zur Seite fiel. Völlig erschöpft ließ sich Angron zurückfallen - dann verlor er das Bewusstsein.
Pochende Schmerzen ließen ihn langsam die Augen öffnen. Geblendet schloss er sie sogleich wieder. Die Sonne stand genau über ihm.
‚Es muss schon Mittag sein’, war sein erster Gedanke.
Da überkam ihn die Erinnerung an die letzten Geschehnisse. „Die Kinder“, ächzte er. „Was ist mit den Kindern?“
Mühsam versuchte er sich aufzurichten, aber sofort wurde ihm schwarz vor Augen und er fiel wieder zurück. Er hatte viel Blut verloren und sein Körper fühlte sich an wie eine einzige große Wunde. Er wartete, bis der Schwindel vorüber war und stemmte sich erneut hoch. Schwankend sah er sich um, sah seine beiden getöteten Gefährten und die Kadaver der sieben Bestien, um die schon die ersten Fliegen surrten.Taumelnd ging er zum Lagerfeuer, das jetzt heruntergebrannt und kalt war. Ein kurzes Stück dahinter lag die tote Amme und nicht weit von ihr standen die beiden Bastkörbe - auf den ersten Blick völlig unversehrt.
Er schleppte sich zu ihnen und ließ sich, völlig erschöpft von den wenigen Schritten, vor ihnen auf die Knie fallen. Er sah in zwei friedlich schlafende und dabei lächelnde Kindergesichter.
„Den Sternengöttern sei Dank“, flüsterte er tonlos. Dann wurde er wieder ohnmächtig.
Als er erneut die Augen öffnete war es schon später Nachmittag. Brennender Durst quälte ihn. Er wandte den Kopf hin und her und erblickte unweit von sich die abgenommenen Sättel. Er robbte mühselig dorthin, nestelte eine der Wasserflaschen ab und trank in langen, hastigen Zügen. Diese Erfrischung brachte ihn wieder zu klaren Gedanken und ihm wurde bewusst, das er den Auftrag seines Königs nicht mehr würde ausführen können.
Er spürte, wie das Leben langsam aus ihm wich und das es mit ihm hier zu Ende ging.
Aber was sollte mit den Kindern geschehen?
Verzweifelt schaute er zu den Körben. Auf Hilfe war in dieser Einöde nicht zu hoffen. Und wer wusste schon, wen oder was Batok noch alles auf ihre Spuren gehetzt hatte?
Plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die ganze Zeit schon hatte er das Rauschen gehört, aber es nicht beachtet.
Doch jetzt wusste er, was er zu tun hatte!
Mit einer übermenschlichen Kraftanstrengung erhob er sich, griff die beiden Körbe und ging schleppenden Schrittes hinunter zum Flussufer. Dort, im Schatten einer mächtigen Kastanie, setzte er sie ab und verschnaufte kurz.
Die Kinder waren aufgewacht, blieben aber ruhig. Als ob sie wüssten, um was es ging, sahen sie den Mann mit ernsten Augen an.
Angron wandte sich dem Fluss zu.
„Ihr Wassergeister des Großen Astron“, rief er, so laut er noch
konnte. „Hiermit vertraue ich euch die beiden kostbarsten Leben auf dieser unserer Welt an. Im Namen der Sternengötter bitte und beschwöre ich euch - nehmt sie in eure Obhut, beschützt sie und tragt sie dorthin, wo sich gute Menschen ihrer annehmen.“
Dann nahm er die zwei Körbe und setzte sie vorsichtig auf das Wasser. Sacht vor sich hinschaukelnd trieben sie langsam auf die Flussmitte zu und dann weiter flussabwärts.
Unendlich müde ließ sich Angron am Fuß der Kastanie nieder und lehnte den Rücken gegen ihren Stamm. Er folgte den Körben mit seinen Blicken, bis sie außer Sichtweite waren.
Als die Sonne unterging, streichelten ihre letzten Strahlen wie zum Abschied das leblose Gesicht eines tapferen und mutigen Kriegers.
Die Wassergeister des Astron nahmen die ihnen übertragene Aufgabe eigentlich sehr ernst. Doch ihre spielerische Unbeschwertheit und Unbekümmertheit ließen sie manchmal etwas unaufmerksam werden. So kam es, das an der von Angron schon bedachten Flussgabelung die Körbe getrennt wurden. Der Korb mit dem Mädchen trieb in den westlichen Arm und der mit dem Jungen schwamm weiter Richtung Süden - einer ungewissen Zukunft entgegen.