Читать книгу Die STERNENKÖNIG - Saga - P.K. Stanfay - Страница 4
DAS FINDELKIND
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„Uuaaahhh - es geht doch nichts über ein kleines Nickerchen nach der Jagd“, gähnte Kratos, der König der Großen Grauen Wölfe, und streckte sich ausgiebig.
„Mir scheint, du wirst langsam alt, mein Lieber“, neckte ihn Karra, seine Gefährtin, die es sich neben ihm bequem gemacht hatte.
Sie lagen auf einem kleinen Plateau, das wie der Pfeiler einer Brücke über den Astron ragte. Hier war der Fluss etwa zwanzig Wolfssprünge breit und strömte noch verhältnismäßig ruhig dahin. Weiter unten jedoch rückten die Felswände immer dichter zusammen und machten aus ihm ein reißendes Wildwasser, bis er schließlich über mehrere Stufen in die Tiefe stürzte und zu den gigantischen Wasserfällen von Pales wurde.
Auf weiches, saftiges Gras gebettet und von den Strahlen der Morgensonne gewärmt, beobachteten Karra und Kratos ihren Nachwuchs. Die vier Welpen balgten sich unweit von ihnen um die Beute der letzten Nacht.
Kratos unterschied sich in vielem von seinen Artgenossen. Er war nicht nur größer und stärker als alle anderen, er hatte auch als einziger von ihnen ein schneeweißes Fell. Diesen eigentlichen Nachteil machte er aber durch seine große Kraft, seine enorme Schnelligkeit und Geschicklichkeit, seinen Mut und vor allem durch seine Klugheit bei weitem wieder wett und sein Ansehen in der Gemeinschaft der Großen Grauen Wölfe wuchs von Jahr zu Jahr. Deshalb war es auch nicht verwunderlich, das man ihn, als der alte König gestorben war, zum neuen wählte. Und es hatte schon viele Situationen gegeben, in denen er dieses Vertrauen rechtfertigen konnte. War er so schon mit seinem Leben ganz zufrieden, so hatte ihn Karra vor sechs Monaten zum überglücklichsten Wolf auf dieser Welt gemacht, indem sie ihm diese vier Racker da drüben geschenkt hatte. Und ganz besonders stolz war er darauf, das Korros, der Kräftigste des Wurfes, genau so ein weißes Fell hatte wie sein Vater.
Doch seit einigen Tagen machte er sich auch große Sorgen. Vor einigen Nächten war ihm aufgefallen, das sich einer der Monde seiner Welt verdunkelt hatte und er konnte sich absolut keinen Reim darauf machen. Aber instinktiv ahnte er, das etwas geschehen sein musste, das auch für seine Gemeinschaft und seine Familie bedrohlich werden konnte. Also hatte er sofort Kundschafter in alle Himmelsrichtungen ausgeschickt. Und tatsächlich! Aggos, einer der Erfahrensten, den er in den Norden gesandt hatte, brachte neue Nachrichten. Und es waren keine guten!
„Ein riesiges Heer finsterer Kreaturen ist in das Reich der STERNENKÖNIGE eingedrungen“, berichtete er. „Kreaturen, wie ich sie noch nie zuvor zu Gesicht bekommen habe. Von so einer so abscheulichen Aura von Bosheit und Mordgier umgeben“, er musste mehrmals niesen vor Abscheu und Ekel, „die ihr euch nicht vorstellen könnt. Ich habe ein großes Schlachtfeld gefunden. Viele, viele tote Menschen und Eindringlinge. Den Spuren nach müssen die Menschen die Schlacht verloren haben und sind geflohen. Ich nahm ihre Witterung auf, die mich direkt nach Astragol führte. Dort sah ich, wie sich das Heer der Fremden gerade aufstellte, um die Stadt anzugreifen. Ich wartete nicht weiter und bin auf dem schnellsten Weg wieder zurückgekommen, um euch zu berichten.“
Wenn das alles stimmte, woran Kratos nicht einen Moment zweifelte, hatte ihn sein Instinkt nicht getrügt und es schien so, das auf die Großen Grauen Wölfe, und wahrscheinlich nicht nur auf sie, unruhige Zeiten zukommen würden.
„Hast du das auch gerade gehört?“ unterbrach Karra plötzlich seine Gedankengänge. Sie war aufgestanden und hatte die Ohren gespitzt.
„Was gehört?“ Kratos schaute sie irritiert an.
„Da - wieder!“ rief sie aufgeregt.
Jetzt vernahm er auch etwas und erhob sich ebenfalls.
„Es klingt wie das Geschrei eines kleinen Menschenkindes“, sagte Karra und ließ ihre Blicke suchend umherschweifen. „Aber woher kommt es?“
„Vom Fluß“, antwortete Kratos. Seine scharfen Augen hatten die Ursache des Geschreis längst entdeckt. „Genauer gesagt, auf dem Fluß. Sieh doch, dort an der überhängenden Weide treibt es gerade vorbei. Sieht aus wie ein Bastkorb.“
Jetzt sah ihn auch Karra. „Schnell“, sagte sie, „du musst ihn rausholen bevor er die Wasserfälle erreicht.“
„Moment mal“, protestierte Kratos. „Seit wann sind mir Flossen gewachsen?“ Und bereute diesen Satz sogleich, als sich Karra erbost vor ihm aufbaute.
„Und s e i t w a n n versagt der König der Großen Grauen Wölfe jemandem seine Hilfe, wenn er in Not ist?“ knurrte sie leise und schüttelte enttäuscht den Kopf. „Und das vor den Augen deiner Kinder.“
„Ist ja schon gut“, brummelte er mit Verzeihung heischendem Blick. „Du hast ja Recht.“ Dann setzte er sich in Bewegung und trabte über die Wiese zum Fluß hinunter.
„Beeil dich, bitte“, rief sie ihm hinterher.
Während seines Weges nach unten hatte Kratos den Bastkorb keine Sekunde aus den Augen gelassen und ihm wurde klar, das er sich schnell etwas einfallen lassen musste. Er war zwar ein guter Schwimmer und es stand auch außer Zweifel, das er den Korb erreichen würde. Doch angesichts der immer stärker werdenden Strömung und mit der zusätzlichen Last würde er es nie und nimmer rechtzeitig ans rettende Ufer schaffen.
Als er den Fluß erreichte, war der Bastkorb schon an dieser Stelle vorbeigeschwommen. Er hetzte ihm über dem steinigen Uferstreifen hinterher und als sie endlich auf Augenhöhe waren, musste er feststellen, das der Korb immer schneller wurde, da er selber sein Lauftempo stetig erhöhen musste. Die Strömung wurde immer stärker und wenn ihm nicht bald eine rettende Idee kam, würden all seine Bemühungen umsonst gewesen sein.
Während er noch verzweifelt hin und her überlegte, entdeckte er in einiger Entfernung vor sich einen umgestürzten Baum. Der letzte Sturm musste die mächtige Kiefer entwurzelt haben und sie war glücklicherweise so gefallen, das sie beide Flussufer wie eine Brücke verband.
Blitzartig wusste Kratos, was er zu tun hatte und verdoppelte seine Anstrengungen. Doch viele größere und kleinere Felsbrocken, die von einer kürzlich zu Tal gegangenen Gerölllawine stammten, versperrten ihm den Weg, so das er keinen großen Vorsprung gewinnen konnte. Seine letzten Reserven mobilisierend erreichte er den Stamm, jagte auf die Baummitte zu und in buchstäblich letzter Sekunde schlossen sich seine kräftigen Kiefern um den Henkel des Korbes. Er riss ihn aus dem Wasser und in Sicherheit.
Erschöpft, aber mit stolz geschwellter Brust hatte Kratos den Korb vor seine Frau gestellt, um sich dann erst einmal hinzulegen und zu verschnaufen.
Neugierig beäugte Karra das Menschenkind, das in diesem Augenblick wieder zu schreien anfing.
„Du machst ihm Angst“, knurrte Kratos.
„Unsinn“, sagte sie. „Warum sollte es Angst haben? Es hat noch nie einen Wolf gesehen. Nein, ich denke, es hat einfach nur Hunger.“ Sie stieg vorsichtig mit den Hinterbeinen über den Korb und bot dem Säugling ihre immer noch prall gefüllten Zitzen an. Ein lautes Schmatzen zeigte deutlich, wie recht sie gehabt hatte.
Als das Kind seinen Hunger gestillt hatte, zog sie sich zurück und legte sich neben Kratos.
Jetzt kamen auch die vier Welpen herangetapst, allen voran Korros, der Mutigste von ihnen. Zuerst beschnüffelte er den Korb von allen Seiten und dann, mit allem gebotenen Respekt, steckte er seine Schnauze ins Innere, um zu sehen, wer oder was da so gierig auf die Milch seiner Mutter war. Vielleicht waren es seine Barthaare, die kitzelten, oder sein Atem. Jedenfalls zuckten die Ärmchen des Kindes und ein ordentlicher Nasenstüber ließ ihn erschrocken drei Sätze zurück machen, wo er sich duckte und mit gesträubtem Fell ärgerlich anfing zu knurren.
„Jetzt ist aber gut, Korros“, herrschte ihn Karra streng an.
„A - aber Mama, es hat mich doch geschlagen“, verteidigte der sich vorwurfsvoll.
„Das war doch nur ein Stups und dazu noch ohne Absicht“, grollte sie. „Wenn dieses Menschenkind einmal erwachsen geworden ist und dir dann noch einmal auf deine vorwitzige Nase schlagen sollte, wirst du den Unterschied schon merken. Und jetzt geh wieder spielen.“
„Phhh“, maulte Korros. „Ich werd mal so groß und stark sein wie Vater und dann soll er mal kommen.“ Dann trollte er sich wieder zurück zu seinen Geschwistern.
„Ja, ja.“ Karra schüttelte amüsiert den Kopf und wandte sich wieder an ihren Mann. „Apropos groß und stark. Was soll denn nun aus ihm werden?“ Und sie deutete auf den Korb.
Kratos schaute sie durchdringend an. Die Antwort, die ihm auf der Zunge lag, schluckte er lieber wieder herunter. Ein intakter Hausfrieden war ihm wichtiger. Statt dessen fragte er: „Was hast du dir denn vorgestellt?“
„Nun ja“, begann Karra vorsichtig, „wir könnten es doch bei uns aufziehen.“
„Nein!“ Kratos sprang auf. „Deine Muttergefühle in allen Ehren, aber das würde gegen die uralten Gesetze der Meute verstoßen!“
„Aber ...“, setzte Karra wieder an.
„Ich habe gesagt - nein!“ donnerte er. „Und das ist mein letztes Wort!“ Er wandte sich von ihr ab. „Lass mich nachdenken“, knurrte er und fing an, hin und her zu laufen.
Karra kannte ihn genau und wusste, das sie ihn jetzt in Ruhe lassen musste.
Ihre Blicke folgten ihm und bald merkte sie, das er sich wieder beruhigt hatte und wieder zu dem besonnen Wolf wurde, den sie kannte und liebte.
Schließlich blieb er stehen.
„Ich werde es nach Berror bringen und König Ragador übergeben“, sagte er entschlossen. „In der augenblicklichen Lage ist das wohl der sicherste Platz für so einen kleinen Schreihals. Und außerdem“, er blinzelte ihr aufmunternd zu, „kannst du ihn dort auch jederzeit besuchen.“
Sie lächelte dankbar zurück.
„Schaff also die Kinder nach Hause und sage dem weisen Terros, das er in meiner Abwesenheit die Meute anführen soll. Ich werde so schnell wie möglich wieder zurück sein.“
„Aber es sind wenigstens zwei Wolfsmärsche bis nach Berror“, wandte Karra ein. „Wie willst du das Kind unterwegs ernähren? Ich denke, du wirst mich mitnehmen müssen.“
Kratos überlegte kurz. „Du hast Recht. Wir bringen die Kleinen zusammen zurück und brechen dann gemeinsam nach Berror auf.“
II
Die Wälder der Lupoden umschlossen die gesamte Nordflanke des Mossoc-Gebirges wie ein Gürtel. Ihre westliche Grenze war der Astron, während etwa nach zwanzig Tagesmärschen in östlicher Richtung die ehemaligen Gebiete der Waldmenschen begannen. Nach Norden hin wurden die Bäume immer öfter von Sträuchern und Gras abgelöst, bis sie schließlich ganz verschwunden waren und die weite Ebene von Astragol begann, wo sich Angrons Schicksal erfüllt hatte.
Etwa auf halber Höhe des Mossoc-Gebirges hörten die Wälder der Lupoden urplötzlich auf und der Blick wurde frei auf eine tiefe und sehr breite Schlucht. Wie von dem gewaltigen Axthieb eines sagenhaften Riesen geschlagen, zog sie sich, etwas oberhalb der Wasserfälle von Pales beginnend, fast um den gesamten Nordhang. Doch wie man auch lief und suchte, es gab nur einen einzigen Übergang. Ein von den Launen der Natur geschaffenes, etwa zwanzig Meter breites, gewaltiges Felsviadukt war die einzige Verbindung zwischen den beiden Seiten. Und bewacht wurde es von Berror, ‚der Unbezwingbaren’, dem Königssitz der Berserker.
Den alten Sagen und Legenden nach stammten die Berserker einst von den barbarischen Nordländern ab. Sie waren schon immer tapfere und mutige Krieger gewesen, die von allen Stämmen dort geachtet, aber mehr noch gefürchtet wurden. Denn wenn man sie reizte und wütend machte, verwandelten sie sich in gnadenlose, ohne Rücksicht auf Verluste vorgehende Kampfmaschinen. Und in diesem Zustand konnten hundert von ihnen ein ganzes Heer in die Flucht schlagen. Deshalb waren sie auch immer gern gesehene Bündnispartner bei den zahlreichen Kriegszügen der Nordländer gewesen.
Doch dann kam die Zeit des legendären Großhäuptlings Belgador, eines außerordentlich klugen und weisen Mannes. Er überzeugte sein Volk davon, das Ackerbau, Viehzucht, Handwerk und Handel mehr einbrachten als ständige Raubzüge und Blutvergießen. Und er sollte Recht behalten!
Einige Generationen später waren die Berserker eines der reichsten und mächtigsten Völker des Nordens geworden. Doch immer mehr wuchsen Neid und Missgunst bei den anderen Stämmen der Nordländer und brachen letztendlich in offene Feindseligkeit aus. Den alten Überlieferungen nach kam es zu zahlreichen Auseinandersetzungen, Kämpfen und Intrigen und schließlich war das Volk der Berserker so ausgelaugt und ausgeblutet, das es beschloss, die alte Heimat zu verlassen, um sich in der Fremde eine neue zu suchen.
So begann der Große Marsch gen Süden. Getreu den Gesetzen des weisen Belgador schlossen sie mit jedem Volk, auf das sie unterwegs stießen und das ihnen nicht feindlich gesinnt war, Frieden. Nach einigen Jahren der Wanderung erreichten sie schließlich das Mossoc-Gebirge, fanden den Übergang und von der außerordentlich guten strategischen Lage angetan, beschloss man, das hier die neue Heimat der Berserker aufgebaut werden sollte und gründete das Königreich Berseria.
Als Karra und Kratos aus dem Wald traten, bot sich ihnen ein überwältigender Anblick.
Ungefähr zweihundert Meter vor ihnen wölbte sich das schon erwähnte Felsviadukt in einem sanften Bogen auf die andere Seite. Nicht weit dahinter erhob sich eine gigantische, etwa zehn Meter hohe Mauer, die sich, so weit das Auge reichte, nach links und rechts fortsetzte. Genau gegenüber der Felsbrücke war ein großes, eisernes Tor in diese Mauer eingelassen worden, welches von zwei mächtigen Wachtürmen flankiert wurde, die ihrerseits die Mauer noch um ein gutes Stück überragten. Aus den vielen, regelmäßig angeordneten Schießscharten, starrten drohend die Spitzen langer Speere, die von gewaltigen Katapulten abgefeuert wurden konnten. Da sich dahinter der Berghang allmählich immer weiter in die Höhe zog, konnte man in weiter Ferne eine große, prächtige Stadt erkennen - Berror.
„Hach, dieser Anblick beeindruckt mich immer wieder aufs Neue“, seufzte Karra.
„Na, dann reiß dich mal los und komm endlich“, quetschte Kratos zwischen seinen Kiefern, die den Bastkorb trugen, hervor. „Ich hab´ nämlich einen gewaltigen Hunger und bin schon ganz gespannt, was die Küche König Ragadors heute so an Leckerbissen zu bieten hat.“
Gemeinsam trabten sie über den breiten Felsbogen auf das eiserne Tor zu.
Dort öffnete sich jetzt eine eingelassene Tür. Ein Mann trat heraus und wartete mit verschränkten Armen auf sie. Er war, wie alle Männer seines Volkes, gut zwei Meter groß. Die dunkelgrauen Haare, die jeder Berserker, ob Knabe oder Mädchen, hatte, fielen ihm bis auf die breiten Schultern. Seine kräftige Gestalt steckte in einem knielangen, silbrig schimmernden Panzerhemd, das in der Taille von einem breiten Ledergürtel zusammengehalten wurde, auf dessen goldener Schnalle das Wappen der Berserker abgebildet war - eine Weizenähre, die sich mit einem Schwert kreuzte. Der dunkelrote Umhang, den er trug, zeigte an, das er zur Abteilung der Tor - und Mauerwächter gehörte. Waffen trug er keine bei sich.
„Sei mir gegrüßt, Herrscher der Lupoden“, sagte der Mann lächelnd, als sie bei ihm angelangt waren. „Ihr habt uns ja schon lange nicht mehr besucht. Und heute sogar in Begleitung eurer werten Frau Gemahlin.“ Er verbeugte sich leicht vor Karra. „Was führt euch zu uns?“
„Es ist uns eine Ehre, von Boldor, dem Hauptmann der Torwächter, persönlich empfangen zu werden“, entgegnete Kratos, der den Bastkorb vorsichtig vor sich hingestellt hatte. „Wir müssen König Ragador in einer wichtigen Angelegenheit sprechen.“ Und er deutete mit der Schnauze auf den Korb.
Interessiert trat Boldor näher und schaute hinein. „Aber das ist ja ein Kind!“ rief er überrascht. „Ein Menschenkind! Wie, bei allen Mondgöttern, kommt ihr denn dazu?“
„Das ist eine wirklich lange Geschichte, Hauptmann“, antwortete Karra. „Aber wir sind seit drei Tagen und Nächten unterwegs, erschöpft, müde ...“
„Und hungrig“, brummte Kratos dazwischen.
„Das auch, ja“, bestätigte sie mit einem ärgerlichen Seitenblick auf ihn. „Und außerdem denke ich, das wir diese Geschichte nur einmal erzählen sollten - und zwar dem König. Das versteht ihr doch sicher, Hauptmann?“ Sie schenkte ihm ihr liebenswürdigstes Lächeln.
„Natürlich, Königin Karra“, erwiderte Boldor. „Bitte entschuldigt mein ungastliches Benehmen. Ich werde sofort einen Boten zur Stadt schicken, um eure Ankunft zu melden und begleite euch dann persönlich nach Berror.“
Es war schon erstaunlich, was die Berserker dem einst so kargen Gebiet jenseits der Mauer im Laufe der Zeiten abgetrotzt hatten.
Durch die Umleitung einiger Bergquellen und Anlegung vieler Brunnen war eine fruchtbare Landschaft entstanden. Goldgelbe Weizenfelder wurden unterbrochen von blühenden Obst - und Gemüseplantagen und auf den saftigen Wiesen grasten große Schaf -, Rinder - und Pferdeherden. Eine breite, gut befestigte Straße schlängelte sich zwischen zahlreichen kleinen Dörfern vom eisernen Tor bis zur Stadt.
Reger Verkehr herrschte auf ihr. Zwei - und vierrädrige Holzkarren, gezogen von Ochsen - oder Pferdegespannen, beladen mit Mehl, den verschiedensten Obst - und Gemüsesorten, Wein und noch vielem mehr, rollten Richtung Stadt. Im Gegenzug kamen die Händler und Handwerker aus Berror, um auf den Märkten der Ortschaften ihre Waren feilzubieten. Von den Minen in den Bergen brachten Fuhrwerke Ladungen voller Kohle, Erz und wertvollen Edelmetallen hinunter.
Die Stadt selber war von einer doppelten Mauer umgeben, wobei die hintere noch ein Stück höher gebaut worden war, um einen eventuell angreifenden Feind von beiden zugleich unter Beschuss nehmen zu können. Getrennt wurden sie zusätzlich noch von einem tiefen, mit Wasser gefüllten Burggraben, der nur über die Zugbrücken der vier Tore, von denen es in jeder Himmelsrichtung eines gab, überschrit-ten werden konnte. Aufgrund dieser schweren Befestigungen trug Berror deshalb auch den Beinamen ‚die Unbezwingbare’. Die vier Torstraßen führten geradewegs ins Zentrum der Stadt zu einem großen, kreisrunden, mit Marmorplatten gepflasterten Platz, in dessen Mitte eine überlebensgroße, ganz aus Gold bestehende Statue stand, die den legendären, vom ganzen Volk verehrten Großhäuptling Belgador darstellte. Das war der Krönungsplatz, jener Ort, an dem jeder neue König der Berserker in einer feierlichen Zeremonie Krone und Zepter entgegennahm.
Unmittelbar hinter diesem Platz erhob sich der prächtige Königspalast von Berror, wo in seinem privaten Audienzsaal König Ragador dem Bericht des weißen Wolfs lauschte.
Das ansonsten offene und freundliche Gesicht des stattlichen Mannes, der in der Blüte seines Lebens stand, verdüsterte sich immer mehr und die eigentlich fröhlich leuchtenden braunen Augen hatte er nachdenklich zusammengekniffen.
„ ... und deshalb kam ich zu dem Entschluss, Euch zu bitten, dieses Menschenkind aufzunehmen“, beendete Kratos seine Ausführungen.
Eine Weile schwieg Ragador. „Ihr bringt wahrlich keine guten Nachrichten, Herrscher der Großen Grauen Wölfe“, sagte er schließlich. „Aber das erklärt so einiges.“
Er erhob sich aus seinem Sessel, verschränkte die Arme hinter dem Rücken und schritt langsam auf und ab. „Uns ist die Verdunkelung einer der Monde natürlich auch nicht entgangen“, redete er weiter, „doch keiner wusste, was das bedeuten sollte. Ich wies daher unsere Gelehrten an, jedes Regal in den Bibliotheken zu durchsuchen, um irgendeinen Hinweis auf dieses Ereignis zu finden. Und sie fanden tatsächlich etwas. Eine Schriftrolle aus längst vergangenen Tagen. Und darauf stand etwas sehr Bedrohliches.“
Er blieb vor Kratos stehen. „Kennt Ihr die uralte Prophezeiung über unsere Welt?“ fragte er ihn.
Der Wolf sah zu ihm hoch und schüttelte stumm den Kopf.
„Nun, sinngemäß stand folgendes in dieser Schrift: Wenn sich die drei Monde unserer Welt verdunkelt haben, ist das Geschlecht der STERNENKÖNIGE ausgelöscht und die ABSOLUTE FINSTERNIS wird die Macht übernehmen.“
„Davon habe ich noch nie gehört“, gestand Kratos.
„Ich bis vor kurzem auch nicht“, lächelte Ragador kurz, wandte sich dann ab, setzte sich und wurde wieder ernst. „Eines ist jedenfalls nach Eurem Bericht klar. König Capron und Astragol muss großes Unheil widerfahren sein.“ Er rieb nachdenklich sein Kinn.
„Na ja, ganz so schlimm scheint die Lage doch nicht zu sein, wenn zwei der Monde noch hell sind“, sagte Kratos optimistisch. „Oder hat das nichts zu bedeuten?“
„Wenn ich dir darauf nur eine Antwort geben könnte“, seufzte Ragador.
„Vielleicht kann das ja hier etwas erklären“, erklang plötzlich die Stimme von Königin Sarya, der Gemahlin des Berserkerkönigs. Sie hatte sich die ganze Zeit mit ihrem Leibarzt um das Kind gekümmert, ängstlich überwacht von Karra, die jeden Handgriff der beiden aufmerksam verfolgte. Die Königin war, wie alle Frauen ihres Volkes, nicht ganz so groß und graziler gebaut als die Männer, überragte einen Menschen aber immer noch um gut einen Kopf. Jetzt trat sie, das Kind zärtlich im Arm wiegend und natürlich mit Karra im Schlepptau, auf ihren Mann zu.
„Es ist übrigens ein Junge“, sagte sie. „Ungefähr so alt wie unser Algor. Und das habe ich in seinem Korb gefunden.“ Sie drückte Ragador etwas in die Hand. „Ich glaube, es wird dir bekannt vorkommen.“
Er betrachtete den Gegenstand und erkannte, das es sich um die Hälfte eines goldenen Amuletts handelte. „Das sieht aus wie ein Teil des Wappens der STERNENKÖNIGE“, murmelte er. „Aber wenn dem so wäre, was sollte das bedeuten?“
„Es bedeutet nichts anderes, als das Königin Sarya Keldon, den rechtmäßigen Thronfolger von Astragol, auf dem Arm trägt“, hörte man eine Stimme von der Tür des Audienzsaals her sagen.
Wie auf Kommando drehten sich alle Köpfe zu dem Sprecher.
Auf den ersten Blick hätte man das kleine, kugelige Männchen für einen aus dem Volk der Buntmützen halten können, denn er war nicht viel größer als Kratos oder Karra. Bei genauerem Hinsehen bemerkte man aber, das ihm die typischen Spitzohren dieser kleinen Kerlchen fehlten. Der weiße Haarkranz, die blauen Äuglein, die verschmitzt über seiner Knollennase hervorblinzelten und die dicken, roten Bäckchen vermittelten den Eindruck eines gutmütigen Opas, der die Genüsse des Lebens zu schätzen wusste und den die Geschicke der Welt herzlich wenig interessierten. Doch wer ihn näher kennen lernen durfte, merkte bald, das das Erstere durchaus zutraf, aber beim Zweiten genau das Gegenteil der Fall war. Gekleidet war er in ein hellgraues Gewand, das sicher bis zum Boden gereicht hätte, wenn sein kugelrunder Bauch es nicht davon abgehalten hätte. Als Gürtel trug er ein zusammengeknotetes Hanfseil, an dem einige Beutelchen befestigt waren. Die rechte Hand hielt einen weißen Stab, an dessen Ende ein faustgroßer, rubinroter Edelstein glitzerte.
„Magilos!“ rief König Ragador erfreut. „Wo wart ihr denn die ganze Zeit? Ich hatte nach Euch geschickt, doch meine Boten konnten Euch nirgendwo finden.“
„Mal hier und mal da“, antwortete der kleine Mann ausweichend und kletterte ächzend in einen, wie es schien, eigens für ihn gebau-ten, bequemen Sessel, den einer der Diener eilig bereitgestellt hatte. „In diesen düsteren Zeiten sollte man schon genau Bescheid wissen, was in unserer Welt so vor sich geht.“
„Also habt Ihr von dem Einfall dieser finsteren Horden und der Belagerung Astragols gehört“, schlussfolgerte Ragador.
„Belagerung?“ Magilos schüttelte traurig den Kopf. „Astragol ist gefallen und König Capron wurde getötet.“
Eine bedrückende Stille breitete sich ob dieser schlimmen Nachricht aus.
„Woher wisst Ihr das?“ fragte Ragador dann.
„Ich war selber da“, antwortete Magilos einfach.
„Das müsst Ihr uns genauer erklären.“
„Nun, als ich bemerkte, das sich der Mond Onar verdunkelt hatte, fiel mir sofort die alte Prophezeiung ein. Also setzte ich mich mit Brod, dem Führer der Aarhuman, der Adlermenschen, in Verbindung. Ich bat ihn, einige seiner Leute auszusenden, die Astragol auskundschaften sollten. Diese berichteten mir vom Fall der Stadt. Um mir ein genaueres Bild der Lage zu machen, begab ich mich selbst dahin.“
„Und Ihr wurdet nicht erkannt?“ unterbrach ihn Kratos erstaunt.
Magilos sah ihn irritiert an und sagte dann, etwas unwillig über die Störung: „Ihr müsst wissen, König der Großen Grauen Wölfe, das mir einige Mittel und Wege offen stehen, um mich unbemerkt irgendwo bewegen zu können.“ Er machte eine kleine Pause. „Wo war ich denn stehengeblieben? - Ach ja. - Als ich dort ankam, musste ich feststellen, das die Aarhuman Recht hatten. Ich schlich mich in den Palast und fand dort König Capron - tot.“ Er atmete tief durch. „Aber ich kann euch sagen, das er gefallen ist, wie es einem großen König würdig ist.“ Er strich sich mit der Hand über die Stirn, als ob er diese dunkle Erinnerung wegwischen wollte. „Durch Zufall konnte ich die beiden Anführer dieser Eindringlinge belauschen“, fuhr er fort, „und erfuhr, das sie auf der Suche nach Caprons Kindern waren, sie aber noch nicht gefunden hatten. Ich versuchte natürlich gleich, selber einen Hinweis zu finden. Doch leider vergebens. Also musste ich unverrichteter Dinge wieder zurückkehren. Dabei machte ich kurz Rast bei den Großen Grauen Wölfen.“ Er sah zu Kratos. „Dort erzählte mir Terros von Eurem
Fund und das Ihr ihn nach Berror bringen wolltet. Als ich dann hier das Amulettstück in König Ragadors Hand sah, war mir alles klar.“
Magilos lehnte sich zurück. Seine Zunge fuhr über seine trocken gewordenen Lippen. „Hättet Ihr vielleicht einen Schluck Wasser oder einen Becher Wein für mich?“ bat er, fast etwas schüchtern.
Auf einen Wink Ragadors brachte ihm einer der Bediensteten sofort auf einem Tablett ein Glas Wein.
Er nahm einen Schluck und ließ ihn genießerisch im Mund hin - und herrollen. „Ein guter Tropfen“, nickte er anerkennend und ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Nach einem weiteren Schluck wurde er wieder ernst. „Eines habe ich noch in Astragol erfahren können.“ Sein Blick schweifte über die Anwesenden. „Ich weiß jetzt, wer diese Eindringlinge sind und wer hinter alldem steckt.“
Neugier und Spannung malten sich auf den Gesichtern seiner Zuhörer ab.
„Angeführt werden sie von Batok, dem ‚Dunklen Lord’. Und dieser Batok ist die rechte Hand von Zathor, dem Herrscher der ABSOLUTEN FINSTERNIS.“
Erschrocken zuckten alle zusammen. Dieser Name war jedem ein Begriff.
„Aber wurde er damals nicht endgültig geschlagen und vertrieben?“ fragte Ragador.
„Endgültig? Nein.“ Magilos schüttelte den Kopf. „Er musste eine schwere Niederlage hinnehmen, aber er wurde nicht vernichtet. Jedenfalls hatte man nichts gefunden, was darauf hindeutete.“ Er rutschte von seinem Sessel und begann, das jetzt leere Glas immer noch in der Hand haltend, hin und her zu wandern. „Ich nehme an, das er sich wieder auf seiner Dunklen Insel verkrochen und einen neuen Plan ausgeheckt hat, um endlich sein großes Ziel zu erreichen.“
„Und das wäre?“
Der Alte der Berge blieb stehen und schaute den Berserkerkönig düster an. „Das Geschlecht der STERNENKÖNIGE auslöschen und die Macht über unsere Welt erlangen.“
Bestürzt lehnte sich Ragador zurück und prustete leise durch die Lippen.
Da meldete sich Königin Sarya zu Wort, immer noch das Kind auf den Armen wiegend. „Aber dieser Plan scheint nicht aufgegangen zu sein, sonst wäre doch der Kleine - Keldon sagtet Ihr doch? - nicht hier.“
„Genau.“ Magilos nickte. „Das Wie und Warum werden wir wohl nie erfahren, aber Ihr habt Recht, ehrenwerte Königin. Der Tod Caprons und die Eroberung Astragols nutzen Zathor nur zur Hälfte, solange er Keldon und seine Schwester Lyrana nicht in seiner Gewalt hat.“ Er blickte an ihr vorbei zur Kinderwiege und sah sich dann suchend im Raum um. „Wo ist sie eigentlich?“
Überraschung breitete sich aus und schließlich richteten sich alle Blicke auf Karra und Kratos. Verwirrt trat der weiße Wolf von einer Vorderpfote auf die andere. „D... d... das war aber der einzige Korb“, stammelte er. „A... also, der im Fluß war ... ich meine, der einzige, den wir gesehen haben.“
Karra nickte zustimmend.
„Hmmm“, brummte Magilos nachdenklich.
„Was bedeutet jetzt das ‚Hm’ wieder und von welcher Schwester redet Ihr?“ fragte Ragador mit verständnisloser Miene.
„Da müsste ich etwas weiter ausholen“, antwortete der Alte der Berge und schielte auf sein leeres Glas.
Der Diener mit der Weinkaraffe verstand und schenkte ohne weitere Aufforderung nach. Mit einem dankbaren Lächeln setzte sich Magilos.
„Also“, begann er, „schon seit ewigen Zeiten ist es dem Geschlecht der STERNENKÖNIGE bestimmt, das jedes Herrscherpaar nur zwei Kinder zeugen kann. Und genauso sind seit Anbeginn die drei Monde unserer Welt mit dem Schicksal des jeweiligen Königs und seiner Thronerben verbunden. Onar, der erste Mond, zeigt das Wohl und Wehe des amtierenden STERNENKÖNIGS an. Tunar, der zweite, das des ersten Thronerben und Drenar wacht über den dritten. Wenn einem der drei etwas zustoßen sollte, verdunkelt sich der zu ihm gehörende Mond und die anderen beiden wissen sofort, das irgendetwas nicht stimmt.“ Er unterbrach sich und nahm einen Schluck. „Doch kommen wir zum Hier und Heute. König Caprons jüngerer Bruder ist, wenn ich mich richtig erinnere, schon in jungen Jahren einer unheilbaren Krankheit erlegen. Capron selber bekam mit seiner Gemahlin Beliana, die Zwillinge Keldon und Lyrana. Doch leider verstarb die schöne Frau des STERNENKÖNIGS bei deren Geburt. Wie ihr ja jetzt alle wisst, ist Capron in Astragol gefallen und damit ist das eingetroffen, was uns letztendlich hier zusammengeführt hat - der Mond Onar hat sich verdunkelt.“
„Und da die anderen beiden Monde noch hell leuchten und Keldon sich unversehrt hier bei uns befindet, muss seine Schwester also auch noch am Leben sein“, schlussfolgerte Königin Sarya, die inzwischen das Kind wieder in die Wiege gebettet hatte.
„Wenn man den alten Berichten glauben darf, ja.“ Magilos nickte ihr anerkennend zu.
„Das ist ja alles gut und schön“, brummte Ragador, „aber wo ist sie dann jetzt und wie sollen wir sie finden?“
Der Alte der Berge erhob sich, stellte sein Glas ab und trat zu ihm. „Darf ich?“ Er zeigte auf das Amulett, das der Berserkerkönig noch immer in der Hand hielt. Der gab es ihm und Magilos ging zu der Kinderwiege. Dann legte er das Amulett hinein. Die kleinen Finger des Jungen griffen nach ihm und als ob es seinen rechtmäßigen Besitzer begrüßen wollte, leuchtete es kurz auf. Über Magilos Gesicht huschte ein Lächeln. Jetzt war er sich sicher und drehte sich zu den anderen um.
„Wir?“ sagte er. „Wir gar nicht. Er wird sie finden.“ Und deutete auf das Bettchen.
„Der kleine Kerl?“ fragte Kratos skeptisch. „Wie soll das denn gehen?“
„Seine Zeit wird kommen“, antwortete Magilos. „Und Ihr dürft eins nicht vergessen. Die Magie der STERNENKÖNIGE steht hinter ihm, gegen die selbst Zathor machtlos ist.“ Dann wandte er sich an Ragador und Sarya. „An Euch, edler Herrscher und edle Herrscherin der Berserker, hätte ich eine Bitte.“
Die beiden sahen sich verwundert an und Ragador nickte zustimmend.
„Würdet Ihr dieses Kind an Sohnes Statt aufnehmen und ihn wie Euren eigenen Jungen erziehen und beschützen?“
Der Berserkerkönig wirkte etwas überrascht, aber ohne lange zu überlegen stand er auf, trat zu seiner Frau und nahm ihre linke Hand in seine beiden. „Was meinst du?“ fragte er leise.
Sie lächelte ihn an. „Ich denke, unser Algor wird sich über ein Brüderchen freuen“, antwortete sie einfach und legte, wie zur Beteuerung, ihre rechte Hand auf die seine.
Ragador drehte sich zu Magilos um. „Es ist uns eine Ehre, den Erben der STERNENKÖNIGE in unserer Familie aufzunehmen und wir schwören hiermit, ihn wie unseren eigenen Sohn zu einem ehrlichen, mutigen und klugen jungen Mann zu erziehen. Ganz im Sinn des weisen Belgador.“
„Ich danke Euch.“ Der kleine Mann verbeugte sich vor beiden. „Und seid versichert, das sich die ganze Mondwelt auf ewig dieser großherzigen Tat erinnern wird.“
Dann drehte er sich zu Karra und Kratos um. „Auch ihr könntet mir einen Gefallen tun.“
„Wenn es um Keldon geht, jeden“, platzte es aus Karra hinaus.
„Nun, Zathor wird nichts unversucht lassen, um den beiden Kindern habhaft zu werden. Eure Wälder werden das erste Bollwerk gegen seine finsteren Horden sein. Ihr müsst dafür sorgen, das keiner von diesem Geschmeiß auch nur den zweiten Baum davon zu Gesicht bekommt, geschweige denn in die Nähe von Berror ge-langt.“ Magilos machte einige Schritte auf sie zu. „Zathor darf niemals erfahren, wo sich der junge STERNENKÖNIG aufhält“, sagte er fast beschwörend, um dann Kratos zu fixieren. „Du kennst die Macht des Waldes, König der Lupoden. Benutze sie!“
Der weiße Wolf nickte verstehend.
„Gut.“ Der Alte der Berge atmete tief durch. Dann ging er zu seinem Sessel, nahm den dort abgestellten Stab und schulterte ihn. „Ich werde jetzt gehen und versuchen, etwas über den Verbleib unseres zweiten Findelkinds herauszufinden.“
Er verneigte sich leicht vor allen und verließ mit seinen kleinen typischen Trippelschritten den Raum.
III
„Du hast mich enttäuscht, Batok“, grollte es durch den ehemaligen Thronsaal von Astragol. „Hättest du deine Bluthunde an der kurzen Leine gehalten, wäre die Mondwelt jetzt schon unser.“
Der Angesprochene, der in demütiger Haltung vor seinem Herrn und Meister kniete, senkte den Kopf und sackte noch mehr in sich zusammen.
„Steh auf und sieh mich an, wenn ich mit dir rede!“
Batok erhob sich und blickte furchtsam hinauf zum Thron.
Dort saß er - Zathor, der Herrscher der ABSOLUTEN FINSTERNIS !
Eingehüllt war er in einer Art Mönchskutte, die in einer Mischung aus grau und schwarz schimmerte. Ein Gesicht sah man unter der Kapuze nicht, nur eine undefinierbare Dunkelheit, in der zwei tückische gelbe Augen funkelten. Seine rechte Hand, deren Finger mehr Krallen ähnelten, umschloss den Schaft seiner mächtigsten Waffe - der Lanze des Chaos. Sie war aus einem dunklen Metall und endete in drei scharfen Spitzen, um deren Enden ständig kleine, rote Funken knisterten.
„Dank deiner Dummheit muss ich meine Pläne jetzt neu überdenken.“ Verärgert schüttelte Zathor den Kopf. „Wenn diese Sternenbälger jetzt auch tot wären, würde der Rest ein Kinderspiel sein. So ist nun jedes Volk der Mondwelt gewarnt und wir müssen uns auf einen langen Krieg einstellen.“ Er stand auf und umrundete nachdenklich den Thron.
„Und was habt Ihr jetzt vor, Meister?“ fragte Batok zaghaft in die entstandene Stille.
Zathor blieb vor ihm stehen und seine gelben Augen bohrten sich förmlich in die des Dunklen Lords. „Zuerst sollte ich dich in ein Häufchen Staub verwandeln“, zischte er leise und die Spitzen seiner Lanze näherten sich bedenklich dessen Kopf. „Aber da du es wenigstens geschafft hast, diesen aufgeblasenen Schwächling Capron zu vernichten, werde ich noch einmal Gnade walten lassen.“
Er drehte sich um, stieg wieder auf den Thron und setzte sich, während Batok innerlich erleichtert aufatmete.
„Ich muss mich jetzt vor allem um das Ostreich kümmern“, sagte Zathor mehr zu sich selbst. „Meine Spione haben mir berichtet, das der Princep von Tarazen seine Armee mobilisiert hat. Dieser größenwahnsinnige Dummkopf wird versuchen, selber das Erbe der STERNENKÖNIGE zu übernehmen.“
„Ich dachte immer, diese beiden wären gut Freund miteinander?“
„Ach was.“ Zathor winkte ab. „Das ist schon ewig her. Die Princeps kochen schon lange ihr eigenes Süppchen, was den anderen Völkern natürlich sauer aufgestoßen ist.“ Ein hämisches Lachen folgte. „Es gibt zwar keine offene Feindschaft - aber Freundschaft? - Nein!“ Er beugte sich nach vorn. „Eigentlich wollte ich ihn auf meine Seite ziehen, aber er gab mir zu verstehen, das er sich nicht zu meinem Lakaien machen würde. - Pah!!! - Vertraut auf die Stärke seiner Armee!“ Er lehnte sich zurück und zuckte mit den Schultern. „Wie ich schon sagte - größenwahnsinnig.“
„Und Ihr werdet sie natürlich eines Besseren belehren“, schlußfolgerte Batok mit einem boshaften Grinsen.
„Ich werde sie in den Boden stampfen“, antwortete Zathor düster. „Ein zweites Heer wird zur Zeit in den Schwarzen Eisbergen gerüstet und dann wehe ihnen.“ Er machte eine kurze Pause. „Doch jetzt zu dir“, wandte er sich an den Dunklen Lord. „Ich werde dir noch mehr Truppen schicken und deine Aufgabe wird es sein, unsere Herrschaft hier zu festigen und bis in den kleinsten Winkel auszudehnen. Wer sich unserer Macht nicht beugt, wird gnadenlos hinweggefegt.“
Batok nickte stumm.
„Aber noch wichtiger ist es, diese verfluchten Kinder zu finden“, fuhr Zathor eindringlich fort. „Du bekommst meine besten Spione zur Verfügung und ich erwarte von dir, das du der Brut Caprons habhaft wirst - TOT ODER LEBENDIG!!!“ Jetzt wurde seine Stimme gefährlich leise. „Enttäusch mich nicht noch mal.“
Er stieß seine Lanze auf den Boden. Ein flammendes Portal tat sich auf. Zathor trat hinein und es fiel in sich zusammen. Zurück blieb ein Dunkler Lord, der sichtbar erleichtert war, so glimpflich davongekommen zu sein.