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AUS DER NOT EINE TUGEND MACHEN

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Jedem ehemaligen DDR-Bürger ist es bestimmt noch in bleibender Erinnerung, dass es damals nicht immer so einfach war, mal eben in den Konsum oder den HO zu gehen, um sich den Kühlschrank immer genau mit dem zu befüllen wonach einem gerade der Sinn stand. Oftmals war es doch so, dass man sich seinen Kühlschrank mit dem befüllte was es gerade zu kaufen gab! Und der dem die Möglichkeit gegeben war, legte fleißig Vorräte an, von Dingen die es ab und an mal gab und nicht gerade zugeteilt wurden.

Einige von uns hatten den glücklichen Umstand, dass es Freunde oder Verwandte gab, die daheim bei sich ein paar Schweine im Stall stehen hatten. Bei uns waren es meine Großeltern. Da hieß es dann einmal im Jahr Schlachtefest!!!

Jau!! War das immer ein Spaß!!

Einmal im Jahr, immer im Winter, bepackten wir unseren schicken rot-weißen 311er Wartburg mit dem allernötigsten um die weite Reise von ca. 300 km zu meiner Oma anzutreten. Das heißt natürlich erst dann, wenn wir drei Geschwister uns denn geeinigt hatten, wer nun auf dieser, für damalige Verhältnisse, doch recht langen Reise in der Mitte der Rücksitzbank saß! Wir waren drei Geschwister, es gab aber nur zwei Fensterplätze. Den rechten Fensterplatz bekam immer meine Schwester. Ja und den Linken? Heute bewundere ich die Geduld meiner Eltern, die sie damals bei diesen immer wieder kehrenden Streitritualen aufbrachten, zumindest eine Zeit lang. Na ja! Am Ende zog dann immer der Kleinste den Kürzeren, und das war leider ich.

Endlich ging es los! Wir brausten in unserem schicken rot-weißen 311er Wartburg los. Erst bis nach Niemegk, und dann auf die heutige A9 bis nach Halle an der Saale.

Diese ewig lange Autobahnfahrt bis nach Halle war so langweilig! Die Langeweile wurde nur zwei oder dreimal unterbrochen, wenn meiner Schwester wieder einmal übel wurde und sie sich übergeben musste. Also fuhr mein Vater rechts ran. (Damals gab es noch keine Standstreifen auf den Autobahnen!) Tür auf Schwester raus, sich noch einmal alles durch den Kopf gehen lassen, und weiter.

Wenn meine Schwester sich nicht gerade am Übergeben war, zählten wir immer Westautos und bestimmten sie nach Marke und Modell. Damals war die Anzahl der Westautos auf DDR-Autobahnen noch recht überschaubar, wie überhaupt der damalige Verkehr auf unseren Straßen.

Auch wenn wir nicht einen Stau hatten, was in der DDR eigentlich nie vorkam, brauchten wir doch geschlagene vier Stunden bis zu meiner Oma, die in einem kleinen Dorf bei Sangerhausen wohnte.

Ja ja! Rasen gab es damals noch nicht! Zum einen gab es das normale Standardauto des Ostens, der Trabi oder der Wartburg mit ihren 100 bis 120 km/h nicht her, zum anderen war mein Vater ein recht vorbildlicher Kraftfahrer und zum dritten war der Zustand unserer Straßen streckenweise doch recht „abenteuerlich“.

Irgendwann waren wir dann endlich da. Wir Kinder konnten es kaum noch erwarten aus unserem schicken rot-weißen 311er Wartburg heraus zu kommen um als aller erstes nach der Begrüßung von Oma, Opa und Onkel und Tante den alten Bauernhof mit seinem riesigen Garten unsicher zu machen.

Es war immer wieder schön bei Oma und Opa. Dieser alte Bauernhof war einfach nur ein Traum!

Auch wenn sich mein Opa nach langem Wehren der Übermacht von Partei und Staat geschlagen geben musste und schließlich der LPG beigetreten wurde, hat er sich doch immer redlich, und im Rahmen seiner damaligen Möglichkeiten, Mühe gegeben den Charakter seines Hofes als Bauernhof zu erhalten. Was damals an Eigenwirtschaft erlaubt war, hat er auch konsequent in Anspruch genommen. So war es eben, dass mein Opa und meine Oma bis zu seinem Tode jede Menge Getier bei sich auf dem Hof hatten. Da waren frei laufende Enten und Hühner, mehrere Schweinekoben mit jeweils zwei Schweinen, jede Menge Kaninchen, also richtige große, schwere Kaninchen zum Schlachten versteht sich, zwei bis drei Ochsen und bis Anfang der Siebziger, habe ich noch ganz schwach in Erinnerung, sogar ein paar Milchkühe.

Es war einfach nur ein Traum für so kleine Wänster wie wir es waren. Jedes mal wenn wir da waren, gab es neue Abenteuer zu bestehen. Ob ich nun den alten Speicher über dem Kuhstall ausgekundschaftet habe oder in der alten Scheune herumgeturnt bin. Immer ist etwas passiert. Ich hatte ein Händchen für so was. Mal habe ich mir an irgendeinem scharfen Ding die Wade aufgeschnitten, dass sie sogar genäht werden musste, mal bin ich im Winter in den alten Feuerlöschteich gefallen, ich konnte natürlich noch nicht schwimmen, oder ich habe nähere Bekanntschaft mit der Jauchegrube geschlossen, ein großes stinkendes Loch hinter dem Misthaufen, in dem sich alle Abwässer von Mensch und Tier sammelten. Es war immer Action wenn ich bei meinen Großeltern war, ob nun in den Sommerferien oder wie just zu diesem großen Schlachtefest im Winter.

Schon am nächsten Morgen in der Frühe, die Sonne hat es noch nicht über den Horizont geschafft, ging es auch schon los. Mein Großonkel aus dem Nachbardorf, seines Zeichens Metzgermeister, rückte an, wetzte schon das Messer und lud das Bolzenschussgerät, während mein Vater, mein Onkel und mein Opa bewaffnet mit zwei Türblättern und einer Decke sich daran machten das Schwein, das schon Tags zuvor nichts mehr zu fressen bekommen hatte, aus dem Koben zu geleiten.

Anders konnte man das nicht nennen. Denn getrieben hätte man einen solchen Koloss nicht bekommen. Man muss sich vorstellen, dass damals die Schweine noch Erwachsen werden durften, bevor sie geschlachtet wurden. Wenn ich sage, dass das Schwein damals wenigstens 200kg gewogen hat, ist das nicht übertrieben. Ein solches Tier muss überzeugt werden seinen Koben, den es als kleines Ferkel einmal betreten hat, freiwillig wieder zu verlassen. Man ging also mit den beiden Türen in den Koben, und engte die arme Sau ein, und zwar so, dass es merkte, dass es nach hinten nicht mehr weiter ging. Das Schwein setzte die Flucht nach vorne an und rannte in den noch finsteren Morgen. Erst als die Stalltür hinter ihm verschlossen war, ging die Hofbeleuchtung an. Flankiert von den beiden Türblättern wurde das Schwein auf mehr oder weniger direktem Wege dem Metzger am Schlachteplatz zugeführt. Dann ging alles sehr schnell. Gekonnt setzte der Metzger das Bolzenschussgerät an, drückte ab, Schwein fiel betäubt zu Boden und mit einem gekonnten Stich ließ der Metzger das Schwein „zur Ader“. Die Oma hielt geschickt eine große Schüssel unter und fing das wertvolle Blut auf, aus dem später so lecker Sachen wie Rotwurst, Kuddelwürstchen oder einfach nur Grützwurst werden würde.

Vier Männer, mein Vater, der Onkel, der Opa und der Metzger bändigten irgendwie das zappelnde Schwein. Es war natürlich schon längst tot! Das waren nur die letzten Zuckungen, ausgelöst durch die schwächer werdenden Nerven.

War das Schwein ausgeblutet, wurde es mit kochendem Wasser abgebrüht. Mit sogenannten Schabglocken wurden flink alle Borsten entfernt und mit speziellen Haken an jenen Glocken die Klauen abgezogen.

Nun kam die Leiter ins Spiel! Die Hinterläufe des toten Schweins wurden mittels eines derben Holzes, welches durch die Sehnen an den Sprunggelenken gezogen wurde, fixiert. Mit einem Flaschenzug und vereinten Kräften wurde das Schwein mit dem Kopf nach unten eine Leiter hinauf gehievt, welche schräg an die Hauswand der Waschküche gelehnt war. Jetzt wurde das Schwein aufgeschnitten, auf dass alle inneren Organe entfernt werden konnten. Das war eine faszinierend grausige Angelegenheit! Diese ganzen Sachen, wie Lunge, Leber Herz und Nieren in Natura zu sehen, ihre Größe, ihre Farbe und ihre Konsistenz, ließen schnell meinen anfänglichen Ekel in wissbegieriges Interesse umschlagen. Alles wurde entfernt und fein säuberlich beiseite getan. Von diesem Schwein wurde nichts, wirklich gar nichts weg geschmissen. Alles wurde verarbeitet! Na gut! Die Borsten und die Klauen wurden auf den Misthaufen geworfen.

Hing das Schwein ausgenommen am Haken, gab es das erste Frühstück, ein Korn für die Männer und einen Likör für die Frauen. Die Kinder bekamen selbst gemachten Apfelsaft von der Oma. Nach dem ersten Frühstück gab es dann das richtige Frühstück im Haus. Wobei jedoch immer einer draußen beim Schwein blieb, nicht dass sich eine der vielen Katzen auf dem Hof an dem Schlachtkörper vergriff!

So wurde im Verlaufe des Tages das ganze Schwein, im wahrsten Sinne des Wortes, feierlich zerlegt, verwurstet oder durch den Fleischwolf gedreht. Es wurde Wurst in Därmen und Wurst im Glas hergestellt. Wurst wurde gebrüht, Wurst wurde geräuchert, Fleisch wurde gepökelt und geräuchert, Fleisch wurde eingekocht! Alles wurde verarbeitet! Am Ende blieb nur noch die Schweinehaut, die Ohren und das Ringelschwänzchen übrig. Ohren und Ringelschwänzchen bekamen die Katzen Die Haut wurde gesalzen und zum Gerber im Dorf gebracht.

Selbst die Brühe, in der die Brühwürste gebrüht wurden, hat man noch als sogenannte Wurstsuppe eingekocht. Ganz köstlich! Man hat immer absichtlich zwei kleinere Würste beim Brühen angestochen, damit die Wurstsuppe auch die richtige Würze erhielt. Interessiert schauten wir dem Metzger bei der Arbeit zu, wie er die verschiedenen Wurstbräte herstellte und diese dann mit einer speziellen Maschine, die von einer Handkurbel angetrieben wurde, in die vorher gespülten Därme stopfte. So manches mal ließ er uns vom warmen, dampfenden Wurstbrät kosten. Oder wir formten aus gewürztem Hackfleisch kleine Klößchen und ließen sie in der Wurstsuppe kochen.

Unvergesslich! Das war ein Fest für alle Geschmacks und Geruchssinne!

Am Ende des Tages packten mein Vater und meine Mutter ein halbes Schwein in unseren schicken rot-weißen 311er Wartburg. Außer die Räuchersachen, die wurden später abgeholt. Weil das mit dem Räuchern immer eine Weile dauerte.

Nun wisst ihr auch, warum wir nur mit dem allernötigsten zu meinen Großeltern gefahren sind. Zuhause wurde das halbe Schwein, in Form von Würsten und Einmachgläsern, eingelagert und versorgte uns wenigstens ein halbes Jahr mit Wurst, Fleisch und Suppe. Diese Schlachtefeste bei meinen Großeltern werden mir wohl auf ewig als ein schönes Kapitel meines Lebens in der DDR in Erinnerung bleiben, habe ich doch die Gewissheit, dass etwas so schönes, heute gar nicht mehr möglich wäre, sind doch die hygienischen Auflagen für ein solches Fest fast unerfüllbar geworden.

Ich, Bürger der DDR

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