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Kapitel 2

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Nürnberg, 28. März 2031, 08.00 Uhr

Der anbrechende Morgen offenbarte das ganze Ausmaß der zurückliegenden nächtlichen Pogrome. Nicht nur in Nürnberg hat es solche Ausschreitungen gegeben. In allen deutschen Großstädten wurden nach ersten Schätzungen etwa 12000 Muslime, Süd-Osteuropäer und Nordafrikaner getötet. Unzählige Frauen und Kinder wurden verletzt und vergewaltigt. Die Zahl der Opfer wird sich wohl noch bei weitem erhöhen, hat man doch noch nicht einmal das volle Ausmaß der Zerstörungen erfasst.

An vielen Stellen der Stadt tobten trotz der nächtlichen Niederschläge noch immer Brände.

Nach dem massiven Regen der letzten Nacht hatten sich die Wolken verzogen und die Sonne schien am blauen Himmel. An den Straßenrändern standen noch immer Pfützen. Fast unrealistisch zwitscherten in den Bäumen zahlreiche Vögel, geradeso, als wollten sie die schrecklichen Geschehnisse der letzten Nacht vergessen machen.

Panzerwagen der Polizei patrouillierten durch die Straßen von Nürnberg. Nur vereinzelt wagten sich die hoffnungslos verängstigten Bürger vor die Tür. Auch wenn die zurückliegende Nacht schrecklich war, so durfte man nicht vergessen, dass diese Gewaltexzesse das Werk einer fanatischen und verblendeten Minderheit war. Doch mit den historischen Konsequenzen würde, wie es schon einmal war, das ganze deutsche Volk leben müssen!

Die Löschtrupps kämpften sich von Brand zu Brand. Auch Löschtrupp 14, von der Berufsfeuerwehr Nürnberg, fuhr gerade durch ein nobles Villenviertel der Stadt. Sie folgten einer einzelnen Rauchsäule, die sich in diesem Viertel ihren Weg in den blauen Himmel bahnte. Die Feuerwehrleute in ihrem Löschfahrzeug bogen jetzt in die Lilienstraße ein und fanden auch die Quelle jener Rauchsäule. Jenes Haus, eine ehemals schöne große Villa, war gänzlich ausgebrannt. Auf dem Klingelschild aus Messing an der Toreinfahrt stand in großen eingravierten Lettern „Familie Ibrahim Kizmir“. Der Zugführer ließ absitzen. Vielleicht gab es ja in dieser qualmenden ausgebrannten Ruine noch den einen oder anderen Schwelbrand. Die C-Rohrschläuche wurden ausgerollt und am nächsten Hydranten angeschlossen. Vier Mann mit zwei Schläuchen kletterten über die niedrige Gartenmauer und suchten sich einen Weg hinter das Haus. Vier weitere Feuerwehrmänner, unter ihnen der Zugführer blieben vorn. Die verbleibenden zwei Männer des Zuges suchten unter Vollschutz einen Zugang in die Ruine.

Die Schläuche wurden unter Druck gesetzt. Vorsorglich hielt man mit dem Löschwasser zunächst auf die zu vermutenden Schwelbrände der Ruine.

Plötzlich wurde der Zugführer angefunkt. Einer der Kameraden, die hinter dem Haus löschen wollten, meldete sich aufgeregt.

„Markus! Ruf sofort die Bullen hierher!“

„Warum?“ fragte der Zugführer und visierte mit seiner Löschdüse den Ursprung einer weiteren Rauchsäule an.

„Mensch, hier hinten vor dem Haus liegen fünf böse zugerichtete Leichen!“

„Ja na und? Das sind nicht die ersten Leichen die wir heute sehen!“

„Hey! Ich glaube das sind Deutsche!“

„Sofort Wasser Stopp! Ruft die Polizei!“

***

Ein dunkelblauer Mercedes kam in die Lilienstrasse gefahren und stellte sich vor das Löschfahrzeug. Ein untersetzter stämmiger Mann mit einer Brille auf seiner eher runden Nase, einer hohen Stirn und bereits mit schlohweißem Haar, entstieg dem Wagen. Wenn es hoch kam, dann war er so um die 50 Jahre alt. Sich einen ersten Eindruck verschaffend, schaute er sich einen Moment die noch qualmende Ruine an und betrat schließlich das Grundstück. Ihm folgte sein Partner, welcher der Fahrerseite des Wagens entstiegen war.

Dieser Partner war ein junger blonder Mann in Jeans und Lederjacke. Er hatte breite Schultern und die Frisur eines Surfers. Unter seiner schwarzen Lederjacke war die Dienstwaffe im Halfter zu erkennen.

Auf dem Hof hinter dem Haus erwartete sie ein Szenario, dass sie für einen Moment erstarren ließ. So etwas hatten die beiden Kripobeamten in ihrer Laufbahn auch noch nicht gesehen! Klaus Gerlach, der jüngere der Beiden, wurde blass. Sein Partner und Vorgesetzter Rolf Stübner hatte schon die Befürchtung, dass sich Gerlach gleich übergeben würde, sagte aber nichts. Die Beiden traten näher an den grausigen Tatort heran. Fünf böse zugerichtete Leichen lagen da verstreut herum. Überall auf den Gehwegplatten und dem Rasen, ja sogar an der Hauswand klebte Blut und andere noch nicht näher zu bestimmende organische Masse. Zweien waren die Schädel eingeschlagen und graue von Blutfäden durchzogene Gehirnmasse quoll hervor.

Stübner fand als erstes seine Stimme wieder.

„Klaus!“, begann er noch immer etwas geschockt zu stammeln. „Lass uns hier einfach unseren Job machen, Okay?“

Gerlach nickte wortlos.

„Hier muss sich sofort die Spurensicherung ans Werk machen. Ruf auch gleich in der Gerichtsmedizin an. Wir haben hier einen Sonderfall, der oberste Priorität hat.“

Gerlach ging mit einem Wink, der so viel heißen sollte wie, „Hab verstanden!“, wieder zurück zum Dienstwagen und leitete via Funk alles in die Wege.

Stübner unterdessen betrachtete sich die Leichen und den Tatort. Er zückte ein Diktiergerät und begann in einem ruhigen sachlichen Ton zu reden. Dabei versuchte er alle seine Sinne zu sensibilisieren und konzentrierte sich auf jedes noch so kleine Detail, um am Ende ja nichts zu vergessen. Zumindest versuchte er das! Jedoch war es nicht so einfach, sich bei einem solch grausigen Anblick auf das Wesentliche und Wichtige zu konzentrieren.

„Fünf Leichen, wahrscheinlich alles Deutsche.“, begann er mit langsam gesprochenen Worten, um ersteinmal einen Einstieg in die visuelle Erfassung des Tatortes zu finden. „Der eine hat einen senkrecht gespaltenen Schädel. Die Mordwaffe scheint ein herumliegender blutverschmierter Spaten zu sein. Bei der zweiten Leiche ist das Genick gebrochen. Es ist eine abnorme Kopfhaltung zu erkennen. Bei einer dritten Leiche ist die Todesursache nicht eindeutig auszumachen. Einem Vierten wurde mit einem breiten scharfen Gegenstand der Schädel quer gespalten. Vermutlich ist ebenfalls der Spaten die Mordwaffe. Der Fünfte hat wahrscheinlich auch einen Genickbruch als Todesursache. Zudem haben wir ihn mit einer herunter gelassenen Hose vorgefunden. Alles deutet auf ein sexuell motiviertes Verbrechen hin. Notwehr? Eine Frau? Negativ! Zu einer solchen Brutalität mangelt es den meisten Frauen an der körperlichen Kraft. Eher wahrscheinlich ist hier die Nothilfe eines oder mehrerer männlicher Täter. Die Axt liegt neben dem zweiten Leichnam mit einem Genickbruch. Ergänzung, er hat eine Fraktur im rechten Ellenbogengelenk.“

Gerlach kam wieder und stellte sich neben Stübner.

„Mann oh Mann! Derjenige, der das angerichtet hat, macht aber auch keine halben Sachen, was?“

Beim Anblick dieses Schlachtfeldes wurde ihm wieder übel.

„Meinst Du, dass das wirklich nur einer war? Einer gegen fünf Männer?“

Stübner schaute Gerlach ungläubig an.

„Hier oben sind noch zwei, aber schon ziemlich verkohlt!!!“, rief plötzlich ein Feuerwehrmann und schaute aus einem Fenster im Obergeschoss.

„Nichts anfassen!!!“, rief Stübner zurück.

„Ich werde mich hüten.“, murmelte der Feuerwehrmann und wandte sich, den Kopf schüttelnd, ab.

Stübner und Gerlach betraten das Haus. Vorsichtig kletterten sie die verkohlte Holzwendeltreppe empor, die bedrohlich knarrte.

Sie betraten ein Zimmer welches wahrscheinlich mal das Schlafzimmer der Eheleute Kizmir gewesen ist. Da wo früher das Bett stand, sah man nur noch das Federgestell einer Federkernmatratze. Auf ihm lagen friedlich nebeneinander die verkohlten Leichen. Neben dem Bett war noch ein verbrannter Hundekadaver zu sehen.

„Das sind wahrscheinlich die Eheleute Kizmir!“, vermutete Gerlach.

„Das denke ich auch. Ich möchte alles über diese Leute wissen, was Du in Erfahrung bringen kannst. Ich vermute mal, dass die beiden im direkten Zusammenhang mit dem oder den Tätern standen.“

Sechs Mann der Spurensicherung, gehüllt in weißer Schutzkleidung, und mit Aluminiumkoffern in den Händen, betraten den Hof. In deren Schlepptau folgte der Gerichtsmediziner, ein kleiner dicklicher Mann mit Glatze und Nickelbrille. Als Stübner und Gerlach die Geräusche vom Hof hörten, verließen sie das Schlafzimmer und gingen wieder nach unten zum Tatort.

„Guten Tag meine Herren.“, rief ihnen der Gerichtsmediziner entgegen und winkte kurz, um sich sogleich wieder seiner Arbeit zu widmen. Noch während er den einen untersuchte, bei dem man nicht sofort eine Todesursache erkannte, begann er schon zu berichten. „Die Todesursache der Herren mit den gespaltenen Schädeln ist ja wohl offensichtlich.“, begann er ohne viel Zeit zu verschwenden. Wahrscheinlich hatte er heute noch viele Leichen zu untersuchen. „Bei dem einen da drüben, mit der herunter gelassenen Hose, ist es ein Genickbruch. Dieser hier allerdings, ist etwas ganz Besonderes. Schauen Sie mal!“

Stübner und Gerlach traten näher an den Leichnam heran, den der Gerichtsmediziner gerade untersuchte.

„Dem hat sich das Nasenbein ins Gehirn gebohrt.“

Er drückte auf die Nase des Toten, die sich ohne Widerstand ins Gesicht hinein schieben ließ.

„An der rechten Schläfe hat er ein kräftiges Hämatom, wie nach einem Stoß mit einem stumpfen Gegenstand. Zu guter Letzt haben wir noch den andern Genickbruch. Bei dem kann man noch auf Anhieb eine Ellenbogenfraktur erkennen. Mehr kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Aber, wer so tötet, versteht sein Handwerk! Der Mörder hat gewusst wie man tötet.“

„Danke Doktor! Ich erwarte so schnell wie möglich Ihren ausführlichen Bericht!“, sagte Stübner.

„Selbstredend! Guten Tag!“

Der Doktor packte seine Sachen ein und schickte sich an wieder zu verschwinden.

„Ach ja!“, fiel ihm noch ein. „Sobald die Spurensicherung ihre Arbeit beendet hat kümmern sich meine Jungs um die Leichen.“

Der Gerichtsmediziner winkte noch einmal und ging zu seinem Wagen.

Die Spurensicherung begann auch sogleich damit den Tatort zu vermessen und die Lage der Leichen abzukleben. Sie stellten die potentiellen Tatwaffen sicher und scannten mit einem Profilscanner den Rasen ab.

„Herr Hauptkommissar!“, rief der Beamte mit dem Scanner zu Stübner rüber. „Hier lag noch eine Person!“

„Das habe ich mir schon fast gedacht. Wahrscheinlich war das die Frau die vergewaltigt wurde.“

Gerlach und Stübner gingen zu ihrem Dienstwagen. Über den Bordcomputer, der direkt mit dem Zentralrechner der Polizei vernetzt war, erfragten sie die Dateien über Ibrahim Kizmir.

„Da haben wir’s!“, wurde Gerlach fündig und begann sogleich vor zu lesen. „Ibrahim Kizmir, 58 Jahre alt, verheiratet, vier Söhne eine Tochter, Spediteur aus Nürnberg und stellvertretender Bürgermeister. Zwei Söhne, Ali und Mohammed, leben in Ankara. Erkan in Dortmund und Hassan in Berlin. Die Tochter Ramira lebt…“ Gerlach stutzte. „Ramira lebt mit ihrem deutschen Mann in Waldheim, ganz in der Nähe. Das ist doch schon mal was!“

„Überprüfe ihn!“, sagte Stübner gelassen, wie als würde man eine von vielen Spuren verfolgen.

„Schon in Arbeit.“ Gerlach gab über das Display in eine Suchmaschine den Namen »Ramira Kizmir« ein. „Da haben wir es! Ramira Kizmir heißt heute Ramira Kramp. Sie ist fünfundzwanzig Jahre alt und mit einem Johannes Kramp verheiratet. Die Kramps unterhalten eine Schäferei in Waldheim bei Nürnberg.“

„Ein Schäfer? Hmm! Lass uns den Bericht der Spurensicherung abwarten und die DNA-Muster abgleichen. Das internationale DNA-Register wird uns schon ein paar Namen ausspucken. Hier war´s das erst mal für uns. Fahren wir ins Büro.“

Hof der Familie Kramp, Waldheim, 28. März 2031, 10.00 Uhr

Die Sonnenstrahlen, die durch das kleine Fenster fielen, kitzelten Ramira neckisch im Gesicht, als wollten sie rufen: „Raus aus den Federn! Heute ist ein so wunderschöner Tag!“

Durch die entstehende Wärme in ihrem Gesicht entstand ein Reiz, der Ramira dazu veranlasste sich mit dem Arm über das Gesicht zu fahren. Kaum hatte sie die Sonnenstrahlen quasi weg gewischt, sank ihr Arm zur Seite ab und die Hand tastete auf dem Kissen neben sich nach Johannes. Doch das Kissen von Johannes war verwaist!

Ramira hob leicht den Kopf. Ihr Schädel brummte zum Zerspringen. Sogleich fiel ihr mit Schrecken die letzte Nacht wieder ein. Johannes hat sie k.o. gehauen! Erst auf der Heimfahrt, im Auto, wachte sie wieder auf. Als Ramira mitbekam, dass ihre Eltern nicht mit im Auto waren, entflammte ein böser Streit zwischen ihr und Johannes. Verzweifelt versuchte er ihr zu erklären, dass das Haus lichterloh brannte und die Gefahr viel zu groß war auf weitere lynchende Horden zu treffen. Jedoch war Ramira so sehr aufgebracht und durch ihre Trauer zerrissen, dass sie an diesem gestrigen Abend kein Einsehen mehr mit Johannes hatte. In ihrer ohnmächtigen Wut verwies sie ihn des ehelichen Schlafzimmers. Johannes fügte sich, wohl um den Streit nicht noch weiter eskalieren zu lassen.

Ramira sank wieder in ihr Kissen zurück. Bei dem Gedanken, dass sie ihre Eltern einfach so verbrennen ließen, begann sie wieder bitterlich zu weinen. Aber am Ende ging es wohl nicht anders, kam Ramira an diesem Morgen, nach ein paar Stunden Schlaf, zu dieser vernünftigen Einsicht. Johannes wollte doch nur ihr Leben schützen! So nach und nach tat ihr der Streit mit Johannes leid.

Ich hätte mit ihm nicht so hart ins Gericht ziehen dürfen!

Sie musste sich unbedingt entschuldigen!

Ramira stand auf und wurde plötzlich von einem stechenden Schmerz im Unterleib überfallen. Sogleich krümmte und verkrampfte sich Ramira. Ihr fiel wieder ein, dass eines dieser brutalen Schweine sie letzte Nacht vergewaltigt haben soll! Aber Johannes, so hat er ihr erzählt, habe sie vor noch viel Schlimmerem bewahrt. Sich den Unterleib haltend, zog sie sich ihren Morgenmantel über und ging hinunter ins Wohnzimmer, um nach Johannes zu schauen.

Da lag er, schlafend auf der ausgezogenen Couch, ihr Johannes!

Er würde mich nie im Stich lassen!

Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihr noch immer blasses Gesicht.

Doch Johannes schlief nicht ruhig wie sonst! Auf seiner Stirn standen Schweißperlen. Rege bewegten sich seine Augäpfel unter den Lidern hin und her. Nervös zuckten seine Mundwinkel und er murmelte unverständliches Zeug. Es klang beinahe wie...

Latein? Seit wann kann Johannes Latein?

Ramira rüttelte ihn ganz leicht an der Schulter. Blitzschnell packte er ihr Handgelenk, verdrehte den Arm schmerzhaft und hatte sie auch schon zu Boden gedrückt. Mit der erhobenen Faust stand er über ihr.

„NEIN!!!“, schrie Ramira entsetzt und erkannte erst jetzt dieses ungewöhnlich verzerrte Gesicht, wie das eines Wahnsinnigen!

Johannes schien zu sich zu kommen. Seine Gesichtszüge entkrampften sich und er sank neben ihr kraftlos zu Boden. Er begann zu weinen und wandte sich von Ramira ab.

„Verzeih mir Schatz! Bitte! Du musst mir verzeihen! Ich weiß selber nicht was mit mir los ist!“, flehte er mit schluchzender Stimme.

Ramira hockte sich neben ihren Mann und streichelte seinen Oberarm. „Du hast nur schlecht geträumt. Kein Wunder nach einer solchen Nacht! Seit wann kannst Du eigentlich Latein?“

„Wie bitte?“ Johannes schaute Ramira ungläubig an. Tränen perlten über seine Wange und verschwanden in seinem dichten Bart.

„Ja! Du hast im Schlaf Latein gesprochen!“

Ramira streichelte seinen Kopf wie eine Mutter ihrem kleinen Jungen der schlecht geträumt hat.

„Aber ich kann doch gar kein Latein! Wie soll das denn gehen?“

„Ich weiß doch was ich gehört habe!“, beharrte Ramira auf ihre Feststellung. „Weißt Du denn noch was Du genau geträumt hast?“

„Ein wirres Zeug war das. Ich schwebte scheinbar über einen großen gepflasterten Marktplatz frei von Menschen. An seinem Ende stand eine große romanische Kirche aus Feld- und Ziegelsteinen gemauert. Deren Turm stand abseits vom Schiff. Mich zog es wie magisch zu einer zweiflügeligen Holztür. Auf der waren zwei große schwarze Kreuze zu sehen. Es zog mich wie magisch zu jener Tür hin, sie zu öffnen. Ich hatte sie fast erreicht, da hast Du mich geweckt.“ Johannes zögerte einen Moment und schaute Ramira entgeistert an. „Große schwarze Kreuze! Ja genau! Gestern Abend, bei den Nachrichten, war auch von einem schwarzen Kreuz die Rede. Danach hatte ich diese schrecklichen Kopfschmerzen!“

„Bestimmt waren deshalb diese schwarzen Kreuze auch in deinem Traum! Sozusagen begann ja das ganze Unheil gestern Abend mit diesem schwarzen Kreuz.“, versuchte Ramira eine Erklärung zu finden.

„Hm schon möglich!“, erwiderte Johannes. „Aber da ist noch mehr, was ich nicht verstehe, was ich Dir erzählen muss.“

Johannes nahm Ramiras Hand.

„Du musst mir aber versprechen keine Angst vor mir zu haben. Ich habe selber schon genug Angst vor mir. Versprich es!!“

„Was ist nur los mit dir?“

Ramira wurde panisch.

Was hatte das alles nur zu bedeuten?

„Versprich es!!!“, rief Johannes drängend.

„Ja doch ja! Ich verspreche es! Aber nun rede endlich!“

Sie drückte seine Hand und sah ihm fast flehend in seine nervös flackernden Augen.

„Gestern als Du bewusstlos warst wollte ich dich aus dem brennenden Haus tragen.“, begann Johannes stockend, sein Atem ging schwer dabei. „Unterwegs wurde ich von diesen fünf besoffenen Chaoten abgefangen. Ich habe mit ihnen gekämpft Du weißt schon. Ich erzählte dir heute Nacht davon.… Aber was ich dir noch nicht erzählt habe ist, dass ich sie getötet habe.“

Johannes stockte und sah ihr in die Augen.

Ramira schlug entsetzt die Hand vor den Mund.

„Das ist aber noch immer nicht alles. Das Schlimmste ist wahrscheinlich, wie ich sie getötet habe. Ich weiß nicht genau wie, aber es hat nicht länger als zehn Sekunden gedauert. Ich handelte wie eine Maschine, ohne Angst oder Skrupel, als hätte ich das schon so oft gemacht und wüsste schon immer wie das geht! Oh Gott! Was geschieht mit mir?“

Unbewusst war Ramira zurück gewichen.

„Du hast Angst vor mir! Ich hätte es wissen müssen. Jeder hätte Angst vor mir! Werde ich etwa zu einem Monster?“

Verzweifelt begann Johannes zu schluchzen.

„Oh Liebling, nein!“ Sogleich nahm sie ihn in den Arm. „Ich werde nie Angst vor Dir haben und dich auch nie im Stich lassen. Ich liebe dich und werde dich immer lieben.“

Sie legte ihre Hände um sein Gesicht und bedeckte es mit vielen Küssen, als wolle sie ihm seine schrecklichen Gedanken einfach weg küssen.

„Ich liebe dich! Ich liebe dich! Ich liebe dich!“, flüsterte sie immer wieder.

„Oh Ramira!“

Johannes nahm sie in die Arme und weinte zu tiefst verunsichert. Sie verweilten einen Moment sich umarmend. Auf ihrem Kopf spürte sie seine heißen Tränen.

„Was machen wir jetzt!“, fragte Ramira ängstlich.

„Ich weiß noch nicht so recht. Auf jeden Fall lasse ich dich nach der gestrigen Nacht keine Sekunde lang mehr allein!“

Nach einem kurzen Schweigen und verweilen raffte sich schließlich Johannes entschlossen auf.

„So!“, versuchte er sich zu fassen. „Und nun lass uns frühstücken!“

Er schaute ihr in die Augen und streichelte ihre Wange.

„Du hast Recht.“

Auch Ramira stand auf, streichelte ebenfalls lächelnd seine Wange und verschwand in der Küche nebenan, um das Frühstück vorzubereiten, während Johannes ins Bad unter die Dusche ging.

Sie schaltete das Radio ein und setzte Kaffee an. Es liefen die ganze Zeit Nachrichten. Da war jetzt schon von mehr als 15000 toten Moslems die Rede.

In Deutschland, Frankreich, Österreich, und in Italien wurden die Grenzen zu allen islamisch geprägten Staaten wie Spanien, Osteuropa an sich, Griechenland und der Türkei durch internationale Truppen der christlichen NATO-Staaten abgeriegelt.

Der Bundespräsident hat für Deutschland das Kriegsrecht ausgerufen und der Bundeswehr Polizeigewalt verliehen. Auf ethnische Unruhen konnte ab sofort mit Waffengewalt reagiert werden. Alle Männer im wehrfähigen Alter durften das Land nicht mehr verlassen und die Offiziere der Reserve wurden zu ihren zuständigen Wehrkreiskommandos befohlen. Das Bundeskabinett hat den Krisenstab zusammengerufen.

Muss Johannes jetzt in den Krieg?, fragte sich Ramira. Was wird dann aus mir? Aber noch ist es nicht soweit!

In Gedanken versunken fiel ihr Blick auf den Innenhof ihres Bauernhofes. Fleck und Lara tobten im Spiel über den Platz und scheuchten dabei ein paar Hühner auseinander, die wild gackernd und flatternd das Weite suchten. Es war ein schöner Frühlingsmorgen. Der blaue Himmel war von weißen Schäfchenwolken durchzogen und der leichte Wind wehte ein paar Federn von den geflüchteten Hühnern über den Hof. Nichts von diesem Idyll passte zu dem was gestern Nacht geschehen war.

Was werden Erkan und Hassan machen?

Ramira tippte auf ihren Communicator.

„Erkan!“ Es ertönte ein Freizeichen. Doch Erkan ging nicht ran. Ramira tippte erneut auf die Ruftaste.

„Hassan!“

Nach einem Freizeichen baute sich vor ihr ein Hologramm von einem jungen dunkelhaarigen Mann mit Vollbart auf. Sein Gesicht war gezeichnet von einem zu geschwollenen Auge und aufgesprungenen Lippen. Hassans Kleidung war zerrissen.

„Oh Hassan! Es ist schön dich zu sehen, auch wenn Du schrecklich aussiehst! Was hat man dir angetan?“

„Hallo, kleine Schwester! Ich bin letzte Nacht mit Ach und Krach mit dem Leben davon gekommen. Im Moment halte ich mich mit ein paar Freunden in einem Versteck auf. Wo genau möchte ich dir nicht sagen. Ich habe die Befürchtung, dass sie uns abhören. Geht es euch gut?“ Seine Stimme klang hastig und seine Blicke gingen häufig zur Seite.

„Ach Hassan es ist so schrecklich! Unsere Eltern haben sich das Leben genommen und der Mob hat ihr Haus abgebrannt. Wir kamen zu spät.“

Hassan konnte sich seiner Tränen nicht erwehren.

„Ihr Tod wird nicht ungesühnt bleiben, bei Allah!“, schwor er mit finsterer Stimme seine Rache. „Pass auf dich auf. Ich werde dich sobald wie möglich zu mir holen.“

„Das brauchst Du nicht!“, versuchte Ramira sogleich ihren Bruder von seinem Plan abzubringen. „Johannes passt sehr gut auf mich auf!“

„Ach Johannes! Schon vergessen? Er ist auch nur ein Christ, einer von ihnen! Du bist in großer Gefahr!“

Hassan wurde streng im Ton.

„Was erzählst Du da? Er ist weder ein Christ noch einer von denen! Er hat mich gestern heldenhaft beschützt und fünf Christen, die mich vergewaltigen wollten, getötet. Wahrscheinlich sucht ihn schon die Polizei! Was ist mit Erkan? Ich kann ihn nicht erreichen.“

„Ich weiß es nicht! Aber ich habe gehört, dass die letzte Nacht im Ruhrgebiet besonders schrecklich war.“

„Oh nein!“

Ramira begann erneut zu weinen.

„Sei jetzt stark! Schwäche können wir uns im Augenblick nicht leisten. Ich lege jetzt auf, bevor man unser Gespräch zurückverfolgen kann. Bis bald!“

Hassans Hologramm verschwand.

Ramira schlug verzweifelt die Hände vor das Gesicht.

Beim gemeinsamen Frühstück sagten beide lange Zeit nichts und saßen jeder für sich grübelnd einander gegenüber. Johannes rührte minutenlang in seinem Kaffee herum und schaute auf die Tischplatte. Schließlich begann er zu reden.

„Die Polizei wird mich suchen! Ich werde am besten mit Robert sprechen und ihn fragen ob er mir vorübergehend seinen Lehrling überlässt, der sich um die Herde kümmert, bis die Sache geklärt ist. Wir werden erst einmal untertauchen, bis sich die Lage beruhigt hat. Vielleicht ist es sogar besser wenn ich Robert die Schäferei bis auf Weiteres überschreibe.“

„Oder Du stellst dich einfach und erklärst ihnen alles. Dann brauchst Du dir vielleicht keine Sorgen mehr zu machen. Es war doch Notwehr!“, sagte Ramira leise.

„Nein! Das wird nicht funktionieren! Die Polizei wird sagen, dass ich diese miesen Schweine nicht gleich hätte töten müssen.“

Johannes rührte noch immer in seinem Kaffee herum. Er war wohl schon kalt.

„Selbst wenn es klappen würde, käme ich zunächst in Untersuchungshaft. Dann stündest Du allein da! Nein, das geht nicht!“

Wieder herrschte Schweigen. Nur das Klimpern des Löffels in seiner Kaffeetasse war zu hören. Ramira schniefte durch die Nase und schüttelte leicht den Kopf.

Warum ist das alles nur so kompliziert?!

„Trinkst Du nun deinen Kaffee oder…?“, fragte Ramira aufmunternd, bestrebt ein wenig die getrübte Stimmung zu heben.

„Oh ja! Richtig!“

Hastig leerte Johannes die Tasse.

„Was wirst Du Robert sagen? Wo wollen wir hin? Was wollen wir tun?“

„Robert werde ich sagen, dass ich einberufen wurde. Wir werden uns zunächst in die Alpen durchschlagen. Als erstes müssen wir unser ganzes Bargeld von der Bank holen.“

„Bargeld? Keiner bezahlt heute noch mit Bargeld!“, erwiderte Ramira verwundert.

„Das ist zwar richtig, aber es geht noch! Das Problem ist, wenn sie mir auf die Spur kommen, werden sie uns zuerst den Geldhahn zudrehen indem sie unsere Konten sperren!“

„Von der Warte aus hab ich das noch gar nicht betrachtet. Aber die Alpen? Was wollen wir da?“

„Mein Hintergedanke dabei ist der, dass es um diese Zeit in den Höhenlagen so einige gottverlassene Gegenden gibt, wo wir uns die nächste Zeit verstecken können, ohne dass uns da jemand sucht. Ich hoffe in ein paar Wochen ist dann etwas Gras über die Sache gewachsen und wir können uns geordnet aus Deutschland absetzen. Im Moment, so vermute ich, sind alle Grenzen dicht und wir werden früher oder später steckbrieflich gesucht. Die nächsten Wochen werden nicht einfach! Wir werden zahlreiche Entbehrungen auf uns nehmen müssen. Aber es ist im Moment unsere einzige Chance, die Sache unbeschadet zu überstehen. Also mein Schatz, kann ich auf dich zählen?“

Er nahm ihre Hand und schaute sie fragend an.

„Ach Liebling! Natürlich werde ich dich begleiten. Ich bin deine Frau! Schon vergessen? In diesen Zeiten ist der vor uns liegende Weg wahrscheinlich auch der einzig mögliche für uns beide. Lass es uns gemeinsam überstehen!“

„Also gut! Dann machen wir es so!“ Johannes stand entschlossen auf. „Ich würde sagen, dass Du schon mal die Notwendigsten Sachen einpackst und für etwas Proviant sorgst. Denk auch an unsere Pässe. Ich werde mit Robert reden und den Wagen vorbereiten.“ Er kam um den Küchentisch herum und gab Ramira einen innigen Kuss. „Wir schaffen das schon! Du wirst sehen!“

Ramira lächelte liebevoll und streichelte seine bärtige Wange.

***

Johannes ging in sein Büro und verfasste am PC für seinen Freund und Berufskollegen Robert Mayer eine Generalvollmacht. Unterschrieben faxte Johannes sie seinem Freund zu und rief ihn an.

„Hallo Robert!“

„Mensch Jojo alter Junge!“

Robert, ein Mann von etwa vierzig Jahren, sah überrascht aus.

„Ist bei Euch alles in Ordnung?“

„Nicht ganz, Robert! Schau doch mal nach deinem Faxgerät!“

Robert griff zur Seite und hielt die Generalvollmacht ins Bild. Er überflog den Zettel und schaute Johannes verdutzt an.

„Was ist passiert, alter Freund?“

„Vielleicht hast Du es schon mitbekommen. Die Offiziere der Reserve müssen sich beim Militär melden. Dummerweise bin ich Offizier der Reserve und muss jetzt wahrscheinlich in den Krieg. Würdest Du bis auf Widerruf meine Herde und den Hof mit versorgen? Dir stehen alle meine Flächen und Futterreserven zur Verfügung. Als Entlohnung gehen alle künftigen Erlöse von jetzt bis auf Widerruf an dich. Gebäude samt Inventar, Maschinen und Geräte darfst Du nicht veräußern. Den Muttern- und Bockbestand musst Du auf gleichem Niveau halten. Morgen wollte Yusif 150 Schlachter abholen. Ich werde ihm noch absagen. Ich habe noch keine Viehpässe ausgestellt. Auf der Bank werde ich für dich eine Verfügung über die Firmenkonten hinterlassen. Geht das in Ordnung?“

Johannes hatte seinem Freund grob umrissen die Vereinbarung erklärt.

„Ja sicher doch Jojo! Mann! Was wird denn jetzt aus deiner Frau?“, fragte Robert besorgt. „Sie hat´s im Moment bestimmt a nit so leicht, oder?“

„Ich habe sie heute früh in die Türkei geschickt.“

Robert braucht nicht alles wissen!

„Ich bin Dir zu großem Dank verpflichtet. Die Herde steht im Moment am Steinbergsee in der Nähe des Schwarzdorns. Das Original der Generalvollmacht liegt direkt vor meinem PC. Du brauchst sie bloß noch gegenzeichnen. Den Hausschlüssel findest Du auf dem Balken über der Haustür. Meinen PC mit allen Geschäftsdaten habe ich auf deinen Namen codiert. Vielen Dank, alter Freund und alles Gute! Ich muss jetzt los.“

„Alles klar Jojo! I schick gleich den Bubn naus, deine Herde zu hüte. Viel Glück und pass auf dich auf.“

„Machs gut!“

Johannes trennte die Verbindung und lehnte sich einen Moment durchatmend zurück. Immerhin hat er soeben seinen Betrieb jemand Anderem überschrieben. Auch wenn Robert ein Freund war, so hatte Johannes doch ein flaues Gefühl in der Magengegend. Doch es half alles nichts!

Entschlossen stand Johannes auf und entnahm seinem Waffenschrank, der direkt neben dem Schreibtisch stand eine Schrotflinte, die doppelläufige Jagdbüchse, alle Munition und das Jagdmesser. Am Schreibtisch lud er die Waffen, sicherte sie und hängte sie sich über die Schultern. Das Messer steckte er in seinen Hosenbund und die Munition verpackte er in einer Plastiktüte. Das alles brachte er in den Wagen, verstaute die Flinten zwischen Fahrer- und Beifahrersitz, das Messer in ein Fach unter dem Lenkrad und die Munition im Handschuhfach.

Aus der Werkstatt verstaute Johannes noch ein langes Seil, eine Axt und eine große grüne Plane auf den Boden des Fonds.

Zurück im Haus, schaute Johannes nach seiner Frau, die im Schlafzimmer gerade zwei Rucksäcke packte.

„Hey, Schatz!“

Er trat von hinten an sie heran. Seine Hände glitten unter ihr Hemd und streichelten liebevoll ihren warmen Bauch und ihre Brüste.

Sie drehte sich lächelnd zu ihm um und fuhr ihrerseits mit den Händen unter sein Hemd um seinen Bauch zu streicheln.

Sogleich nahm er sie in die Arme.

„Wir schaffen das schon.“, versuchte er ihr Mut zu zusprechen. „Die nächsten Wochen oder Monate werden nicht leicht.“

Er küsste sie innig.

„Ich liebe dich! Ich könnte es nicht ertragen dich zu verlieren.“

Sie schauten sich tief in die Augen.

„Mein geliebter Mann!“, sagte Ramira nur und streichelte ihm zärtlich über die Wange. Ihr Blick, ihre Anmut und Zärtlichkeit entfachten in Johannes eine intensive behagliche Wärme, wie er sie mochte und nur bei Ramira erfuhr.

„Wie kommst Du voran?“

„In zehn Minuten habe ich alles beisammen.“

„Das ist gut, mein Schatz! Ich werde noch ein wenig Ausrüstung zusammentragen. Mit Robert habe ich alles geklärt. Er wird sich in unserer Abwesenheit um alles kümmern.“

Noch einmal küsste Johannes seine Ramira und verließ das Schlafzimmer.

Oben im Speicher suchte er die Campingausrüstung zusammen und brachte sie zum Wagen. Von der Flurgarderobe schnappte er sich im Vorbeigehen noch seinen Feldstecher.

Eine halbe Stunde später hatten sie alles beisammen. Gemeinsam verließen sie ihr vertrautes Heim. Johannes hielt den Schlüssel noch in der Hand und schaute sich wehmütig um.

„Unser Hof! Mein Gott! Ob wir ihn je wieder sehen? Dieser Hof ist mein Leben! Und nun? Was wird die Zukunft bringen?“

Johannes seufzte schwer, nahm Ramira in den Arm und legte den Schlüssel auf den mit Robert vereinbarten Balken.

Sie ließen noch die Hunde in den Kofferraum des Wagens springen, stiegen ein und fuhren los.

Unten im Dorf parkten sie vor ihrer Bank. Johannes schaute zu Ramira.

„Es wird bestimmt nicht lange dauern. Wenn etwas passiert hupe einmal lang.“

Ramira nickte.

„Ist gut! Lass mich nicht so lang allein!“

„Das geht bestimmt schnell!“

Zügig lief Johannes zum Eingang der Bank und betrat die kleine Filiale der bäuerlichen Genossenschaftsbank. Die Bankangestellte, eine schlanke Blondine von etwa fünfundzwanzig Jahren mit ausladenden Brüsten und knallrot bemalten Lippen, lächelte ihm entgegen.

„Grüß Gott, Herr Kramp. Was kann ich für Sie tun?“

„Guten Tag Fräulein Eggernbacher. Ich möchte gern mein Konto auflösen.“

Fräulein Eggernbacher tat verwundert.

„Waren Sie mit uns nicht zufrieden?“

Johannes lächelte.

„Nein! Ganz im Gegenteil! In Anbetracht der momentanen politischen Lage kann ich für die Sicherheit meiner Frau nicht mehr garantieren. Deshalb wollen wir uns ins neutrale Russland absetzen.“

Johannes wurde plötzlich bewusst, dass er eine falsche Fährte gelegt hat.

Wieder dieser Automatismus!!

„Oh die letzte Nacht war schrecklich, nicht wahr? Könnte ich vielleicht Ihre Ident-card haben?“

Johannes schob ihr die kleine Plastikkarte über den Tresen. Diese Karte erfüllte wirklich alle Funktionen des öffentlichen Lebens. Sie war nicht nur Personalausweis, sondern auch Führerschein, Kreditkarte und Sozialversicherungskarte in einem.

„Auf welche Bank in Russland soll ich Ihr Vermögen transferieren.“, fragte Fräulein Eggernbacher freundlich.

„Oh das weiß ich noch nicht! Ich möchte es gerne bar ausbezahlt bekommen.“

„Ja da muss ich erst mal schauen.“ Die junge Frau gab über das Partikeldisplay ihres Computers Johannes seine Bankdaten ein und zog die Ident-card durch einen Scanner. „So Herr Kramp! Ihr Guthaben beläuft sich auf 54000DM Privatvermögen und 125000DM betriebliche Rücklagen.“

„Die betrieblichen Rücklagen lege ich in treuhänderische Verwaltung von meinem Freund Robert Mayer. Er führt den Betrieb in meiner Abwesenheit.“

„Das ist günstig! Ist doch Herr Mayer ebenfalls Kunde unseres Hauses! Dann ist Alles klar, Herr Kramp! Haben Sie ein paar Minuten Geduld. Ich werde Ihr Geld und alle nötigen Unterlagen vorbereiten.“

Fräulein Eggernbacher gab Johannes seine Karte zurück und verschwand im Keller der Bank, wo der Tresor stand.

Johannes warf einen Blick durch die Glastür auf den Parkplatz. Alles schien ruhig zu sein und Ramira war noch relativ gelassen. Er setzte sich auf einen Sessel im Schalterraum und wartete ungeduldig, immer den Parkplatz im Auge behaltend.

Die Minuten rannen dahin und erschienen wie Stunden!

Nach etwa zehn Minuten kam Fräulein Eggernbacher die Treppe wieder herauf. In den Händen hielt sie ein dickes Bündel Banknoten und zwei Formulare. Alles breitete sie vor Johannes auf dem Tresen aus.

„Sie müssten hier eben noch zweimal unterschreiben.“

Die junge Frau schob Johannes die beiden Dokumente und einen Stift zu.

„Das sind zum einen die Empfangsbestätigung über den Erhalt ihres Privatvermögens in bar, und zum anderen die Bestätigung, dass wir Ihre betrieblichen Rücklagen Herrn Robert Mayer in treuhänderischer Verwaltung überschreiben dürfen.“

Johannes unterschrieb die Formulare und schüttelte der jungen Frau die Hand.

„Ich bedanke mich, Fräulein Eggernbacher. Ich habe stets gerne mit Ihnen meine Finanzgeschäfte geregelt.“

„Ich wünsche Ihnen alles Gute für die Zukunft und kommen Sie wohlbehalten in Russland an.“

„Das hoffen wir doch mal! Auf Wiedersehen und alles Gute für Sie!“

Zügig verließ Johannes die Bank. Er setzte sich zu Ramira in den Wagen und schaute sie einen Moment einfach nur an. Er atmete tief durch und lächelte.

„Also dann Baby!“, raunte er, wie so ein Westernheld, mit tiefer Stimme und grinste dabei. „Lass uns in die Sonne reiten!“

Polizeirevier, Nürnberg, 28. März 2031, 12.00 Uhr

Gerlach goss sich und Stübner zwei weitere Pötte Kaffee ein, der inzwischen nur noch als lauwarm zu bezeichnen war. Er stellte seinem Partner eine Tasse vor die Nase und ging mit der anderen langsam zurück an seinen Schreibtisch.

„Johannes Kramp ist Offizier der Reserve.“, begann Stübner zu sinnieren „Aber wenn es stimmt was ich vermute, wird er sich wohl kaum beim Wehrkreiskommando melden.“

„Er hat bis heute eine blütenreine Weste! Es gibt nichts über ihn in unserer Datenbank, noch nicht einmal wegen falsches parken oder so. Nichts! Keine Jugendsünden, keine alten Schulden, gar nichts! Er ist der absolute Saubermann!“, stellte Gerlach eins ums andere mal fest, wenn er wieder und wieder Kramps spärliche Aktendatei durchsuchte.

„Kramp wurde am 7.10.2001 in Waldheim geboren, er ist selbstständiger Schäfer, wie Du schon sagst, Offizier der Reserve und ist seit zwei Jahren mit der heute fünfundzwanzigjährigen Ramira Kizmir verheiratet. Sie haben keine Kinder.“, las Gerlach von seinem PC ab. „Das ist alles! Mehr steht da nicht! Ich versuche mal an seine Militärakte ran zu kommen.“

Gerlach zog sich mit einigen Verlinkungen in die Personaldateien der Bundeswehr und schaffte dies sogar relativ leicht! Sogleich gab er in eine Suchleiste den Namen Johannes Kramp ein.

„Verdammt! Kein Zugriff!“, stieß er enttäuscht hervor

„Wie bitte?“ Stübner schaute auf und zog überrascht seine Augenbrauen hoch. „Das ist aber schon etwas ungewöhnlich!“

„Ja! Sieh doch!“

Gerlach drehte den Sockel des Partikeldisplays zu Stübner, auf dass der nicht alles spiegelverkehrt lesen musste.

„Zugriff nur mit erweiterter Autorisation!“

„Für mich hört sich das doch verdammt nach Spezialeinheit oder Geheimdienst an! Da es sich bei dieser Militärakte wohl um eine geheime Verschlusssache zu handeln scheint, tendiere ich eher zum Militärischen Abschirmdienst, als zu BND oder Verfassungsschutz. Oder Kramp hatte mit dem KSK, dem Kommando Spezialkräfte zu tun. Doch das glaube ich weniger. Mensch, der Mann ist in den besten Jahren! Warum sollte er da schon so früh aus dem Dienst bei dieser Eliteeinheit ausscheiden? Nein! Nein! Ich glaube Kramp ist mit dem MAD involviert, irgendwie!“

Der Communicator piepste. Sogleich bestätigte Stübner und nahm das Gespräch an. Vor ihm baute sich das Hologramm des Gerichtsmediziners auf.

„Doktor Seifert! Was haben Sie für uns?“, begrüßte Stübner den Gerichtsmediziner freundlich.

„Ja meine Herren! Ich habe mich eingehend mit diesen fünf Burschen beschäftigt. Unter anderem haben wir diverse Abstriche genommen und deren Werte durch unseren Rechner gejagt. Es kam wenig Erfreuliches zu Tage. Diese Mistkerle haben nach ersten Erkenntnissen letzte Nacht wenigstens fünf muslimische Frauen und sechs Mädchen vergewaltigt und getötet. Stellen Sie sich vor, die Kinder waren allesamt erst zwischen neun und dreizehn Jahre alt! Dies konnten wir auf Grund von Spermaspuren an den jeweiligen Opfern feststellen.“ Doktor Seifert nahm seine Brille von der Nase. „Also um ehrlich zu sein, meine Herren, mein Mitleid für diese Typen hält sich weiß Gott in Grenzen!“

Stübner und Gerlach schüttelten fassungslos die Köpfe.

„Bei der Leiche mit der heruntergelassenen Hose haben wir frisches Vaginalsekret von Ramira Kramp gefunden.“, fuhr Doktor Seifert fort. „Zu den Todesursachen der fünf Männer haben sich meine Vermutungen bestätigt. Der Todeszeitpunkt liegt etwa um Mitternacht herum. Ach ja! Zum Zeitpunkt der Tat waren die fünf Männer extrem alkoholisiert. Mehr habe ich im Moment nicht.“

„Das ist doch schon mal eine Menge! Besten Dank, Doktor!“

„Nicht dafür, ist ja mein Job! Übrigens einen schriftlichen Bericht lasse ich Ihnen zeitnah zukommen. Wenn Sie den Typen finden, der uns von diesen Monstern erlöst hat, dann nehmen Sie ihn bitte nicht all zu hart ran, okay?“

„Wenn das so einfach wäre, Doktor! Aber das liegt nicht in unserer Gewalt. Unser Job kann manchmal schon ganz schön beschissen sein! Nichts desto trotz danken wir Ihnen für die zügige Bearbeitung der Angelegenheit! Tschüss Herr Doktor!“ Stübner trennte die Verbindung.

„Schöne Scheiße, was?“, fluchte er frustriert.

„Da möchte man ja fast Sympathien mit dem Killer hegen!“, pflichtete Gerlach angewidert bei. „So ein paar widerliche Schweine! Wie können Menschen nur so tief sinken?“

„Ja! Man fragt sich! Nichts desto trotz, Klaus! Auch wenn es schrecklich ist, lass uns objektiv unsere Arbeit machen. Im Moment haben wir es mit einem fünffachen Totschlag zu tun, wenigstens! Alles andere müssen wir, auch wenn es schwer fällt ausblenden.“

„Das sagst Du so leicht! Mein Gott! Das waren noch Kinder!“, rief Gerlach.

„Ich weiß! Ich würde dem Typen auch lieber einen Orden verpassen als ihn zu jagen. Aber das ist nun mal unser beschissener Job!“

Ein Fax kam herein. Gerlach las es durch. Nach einigen Sekunden sah er Stübner ungläubig an. „Das wirst Du jetzt nicht glauben!“

„Nun ließ schon vor!“, sagte Stübner ungehalten.

„Das ist von der Spusi. Am Tatort im Rasen befanden sich einige schwarze lange Haare, die laut DNA-Analyse Ramira Kramp zuzuordnen sind.“

„Das überrascht mich nicht. So etwas habe ich schon vermutet. Dort wurde sie vergewaltigt.“

„Das Beste kommt jetzt! Am Axtstiel wurden Hautpartikel gefunden, die weder den fünf Leichen noch irgendeiner anderen Person im internationalen DNA-Register zuzuordnen sind.“

„Wie bitte?? Das kann doch nicht sein! Jeder Mensch auf der Welt ist ab dem achtzehnten Lebensjahr mit einer Speichelprobe registriert! Wie soll das gehen?“

Stübner stand auf und schnappte sich von Klaus das Fax.

„Komm lass uns zum Chef gehen. Der soll sich mit dem MAD in Verbindung setzen. Verschlossene Militärakte, keine Registratur im DNA-Register, das schreit doch förmlich nach Geheimdienst!“

Zentrale des militärischen Abschirmdienstes (MAD), Berlin-Karlshorst, 28. März 2031, 12.45 Uhr

Generalmajor Manfred Köhler war ein bulliger Mann von etwa fünfzig Jahren. Er hatte dunkelblonde streng nach hinten gekämmte Haare, die seine Geheimratsecken umso mehr betonten. Dieses kleine Detail, die Art wie er sich bewegte, kraftvoll, keine Schwäche zeigend, selbst wie er sein Barett trug oder sein befehlsgewohnter Ton, bildeten die Gesamtkomposition seines Erscheinungsbildes des absoluten Machthabers. Dieses Erscheinungsbild sollte seinen Untergebenen unbedingten Respekt und Gehorsam abverlangen. Die Uniform, die er trug, saß wie angegossen, geradeso, als wäre er für sie geboren worden.

Köhler saß an seinem nierenförmigen Schreibtisch aus schwarzem Marmor und debattierte in einer Runde mit sechs Hologrammen von hochrangigen Generälen anderer NATO-Staaten, um die europäischen Geheimdienste des Militärs international zu koordinieren.

„Meine Herren.“, sprach er mit autoritärem und machtbewusstem Ton. „In Anbetracht der weltpolitischen Lage haben wir schon im Vorfeld des Krieges die muslimischen Grenzstaaten infiltriert. Unsere Agenten melden schon seit Wochen massive Truppenverlegungen in allen europäischen Grenzregionen. Ebenso wurden Langstreckenraketen in Nordafrika und Vorderasien stationiert. Alles deutet darauf hin, dass eine Invasion unmittelbar…“

Es klopfte an der Tür.

„Entschuldigen Sie einen Moment!“, unterbrach Köhler missmutig seinen Satz.

Er hörte sich gerne reden und hasste es wie die Pest dabei unterbrochen zu werden. Mit einem Tastendruck auf seinem Communicator ließ er die Hologramme verschwinden.

„Herein!!“, rief er gereizt.

Die Schallgedämmte Tür ging auf. Ein Leutnant trat ein und salutierte.

„Herr Generalmajor! Ein dringendes Gespräch auf Leitung 5.“

„Danke Leutnant! Wegtreten!“

Der Leutnant verließ wieder das Büro des Generalmajors und schloss die Tür hinter sich.

Köhler aktivierte wieder die Hologramme der Generäle.

„Ich bin untröstlich meine Herren. Unterbrechen wir unser Meeting für eine halbe Stunde.“

Er trennte die Verbindung und bestätigte Leitung 5.

Das Hologramm eines hageren Mannes in Zivil, der wohl so alt wie Köhler sein mochte, baute sich auf. In der Hand hielt dieser Zivilist irgendeine Akte.

„Generalmajor Köhler! Was kann ich für Sie tun?“, fragte Köhler gelangweilt.

„Baumgartner, Polizeipräsident von Nürnberg.“, stellte sich sein Gegenüber ehrfürchtig vor. „Entschuldigen Sie die Störung. Aber ich befürchte wir benötigen Ihre Hilfe! In einer Mordsache brauchen wir Informationen über einen Tatverdächtigen.“

Der Polizeipräsident lächelte zaghaft und knetete in seinen Händen jene Akte.

„Warum glauben Sie, dass ich Ihnen da helfen kann?“

Köhler war drauf und dran zu gähnen, konnte sich aber geradeso zurückhalten. Er hielt den Mund geschlossen und verzog nur eine leichte Miene.

„Nun ja, unser Rechner spuckt nichts aus, Herr General!“, versuchte der Polizeipräsident fast seinen Anruf zu rechtfertigen.

Seine mangelnde Selbstsicherheit fiel Köhler natürlich sofort auf. Entsprechend passte er seinen Tonfall an, um seine übergeordnete Machtposition zu unterstreichen.

„Das tut mir leid für Sie! Aber was soll ich da machen?“

„Der Mann, um den es hier geht, heißt Johannes Kramp.“

Köhler zog die Augenbrauen zusammen.

„Johannes Kramp? Tut mir leid! Der Name sagt mir nichts.“

Ein zweites Hologramm baute sich auf.

„Stübner!!“, zischte sogleich dieser Baumgartner den anderen Mann an.

Dieser Stübner war wohl auch so um die fünfzig Jahre alt, hatte bereits schlohweiße Haare und trug eine Brille auf seiner runden Knollennase. Er sah wütend aus und polterte los.

„Wie, das sagt Ihnen nichts!? Sie werden doch wohl Ihre Agenten, Killer, oder was auch immer aus ihrem Verein kennen! Dieser Typ hat fünf Männer bei einem Kampf umgebracht. Als wir seine Militärakte abrufen wollten bekamen wir ein »Zugriff nur mit erweiterter Autorisation« zu lesen. Seine DNA ist nicht registriert. Läuten da bei Ihnen etwa nicht die Alarmglocken?“

In Köhler begann es zu brodeln. Er war es nicht gewöhnt, dass man in einem solch respektlosen Ton mit ihm sprach. Und das schon gar nicht von so einem dahergelaufenen Zivilisten!

„Herr Baumgartner!“, richtete Köhler das Wort an den Polizeipräsidenten und versuchte diesen Stübner so gut es ging zu ignorieren. „Bringen Sie Ihren Mitarbeitern gefälligst mal Benehmen bei! Nichts desto trotz werde ich diesen Kramp mal für Sie checken und melde mich bei Ihnen, sollte ich denn etwas herausbekommen. Auf Wiedersehen!“

Abrupt beendete Köhler die Verbindung ohne diese Polizisten noch einmal zu Wort kommen zu lassen. Er drehte sich zu seinem PC und öffnete die Personaldatein der Bundeswehr. Er war doch neugierig geworden, wer da wohl ohne sein Wissen in seinem Zuständigkeitsbereich agierte. Diesbezüglich hatte Köhler wirklich nicht gelogen! Der Name Johannes Kramp sagte ihm so rein gar nichts!

In den Personaldateien gab er über eine Suchleiste den Suchbegriff »Johannes Kramp« ein.

Ein Identifikationsfenster erschien, woraufhin Köhler seinen Daumen auf einen Fingerabdruckscanner neben dem Partikeldisplaylegte. Ein neues Fenster erschien. »Guten Tag Herr Generalmajor Köhler« war da zu lesen. Darunter erschien die gesuchte Personalakte.

„Ah ja!“, stellte Köhler zufrieden fest. „Da haben wir es ja! Johannes Kramp, geboren am 7.10.2001, 2019 bis 2022 europäische Militärakademie in Rom, 2022 bis 2025 spezifizierte Ausbildung in Edinburgh, 2026 Entlassung aus dem Dienst zur besonderen Verfügung, Codename VIRUS 10.“ Köhler lehnte sich zurück. „Virus 10?“

Das sagte Köhler auch wieder nichts. Also gab er einen neuen Suchbegriff ein: »VIRUS 10«

»Zugriff nur mit erweiterter Autorisation!«, war die Antwort.

„Verdammt noch mal!“

Köhler betätigte seinen Communicator.

„NATO-Hauptquartier Brüssel!“, wählte er via Spracherkennung.

Eine junge schwarzhaarige Frau mit dem Rang eines britischen Lewtenant erschien.

Hübsches Ding!, dachte sich Köhler einen Moment Wie es wohl wäre mit der mal...?

Schnell wischte er diesen frivolen Gedanken beiseite und legte eine mürrische Mine auf.

Junge Frauen, eigentlich sehr junge Frauen, waren seit jeher seine große Schwäche. Je jünger sie waren, desto mehr fühlte er sich zu ihnen hingezogen! Doch jedes Mal, wenn er mal wieder etwas mit so einem jungen Ding am Laufen hatte, überfiel ihn auch bald die Angst, diese kleinen Biester könnten ihn zum Negativen beeinflussen. Daher beendete er diese Beziehungen immer schon nach wenigen Tagen unter irgendwelchen fadenscheinigen Vorwänden. Oder, wenn es Soldatinnen waren, was auch oft genug vorkam, sorgte er dafür, dass sie einfach in irgendein entlegenes Kaff versetzt wurden, und Köhler mit ihnen nichts mehr zu tun hatte.

„Generalmajor Köhler in Berlin-Karlshorst vom MAD.“, meldete er sich in seinem gewohnt selbstsicheren Ton. „Geben Sie mir sofort General Burck vom NATO-Abwehrdienst.“

„Der General befindet sich gerade in einer Besprechung.“, erwiderte die junge Frau mit emotionslosem Gesichtsausdruck.

„Erzählen Sie mir keinen Mist. Sie geben mir sofort den General! Das hat oberste Priorität!“, schnauzte Köhler die junge Frau ungehalten an.

„Ich schau was ich machen kann.“

Das Hologramm des Lewtenant verschwand, ohne dass die Verbindung unterbrochen wurde. Stattdessen erklang eine säuselnde Melodie. Dieser Lewtenant hatte Köhler doch tatsächlich in einer Warteschleife geparkt!

Köhler lehnte sich zurück und steckte sich eine Zigarette an. Diese bezog er über windige Kanäle aus Russland, wo der Genuss von Tabakwaren noch erlaubt war.

Nach einigen Minuten stoppte endlich diese nervige säuselnde Melodie und ein Hologramm baute sich auf. Es erschien ein afroamerikanischer Army-General.

„General Burck! Wie geht es Ihnen?“, rief Köhler in einem kumpelhaften Tonfall, obwohl sich die Beiden kaum kannten.

„Wie es einem so geht wenn man eine Armee zu führen hat, die sich ganz frisch im Kriegszustand befindet! Was haben Sie!?“, erwiderte Burck kühl und distanziert.

„Was sagt Ihnen der Codename VIRUS 10?“, fragte Köhler ohne Umschweife als er merkte, dass er zu diesen General kein vertrautes Verhältnis aufbauen konnte.

Burcks Gesicht verfinsterte sich schlagartig. „Woher wissen Sie davon?“

Da habe ich wohl ins Schwarze getroffen!

„Unsere Kriminalpolizei ist da an einem fünffachen Mörder dran. Als er anonym blieb traten sie an mich heran. Ich kam bis VIRUS 10. Was können Sie mir darüber erzählen?“

„VIRUS 10 ist eine schlafende Infiltrationseinheit in ganz Europa. Mehr darf ich Ihnen dazu nicht sagen. Wie ist sein Name?“

„Johannes Kramp!“, antwortete Köhler. „Ein Schläfer in Deutschland? Warum weiß ich nichts davon?“

„Weil Sie für diese Information eine Gehaltsgruppe zu tief angesiedelt sind! Ich darf Ihnen nichts weiter sagen. Tut mir leid!“

„Ich glaube schon, dass Sie mir Informationen zukommen lassen können! General! Wir haben Krieg und einer Ihrer Jungs läuft gerade in meinem Revier Amok! Was ist VIRUS 10 genau? Und wie können wir diesen Mann stoppen?“

„Diese Einheit wird, so Gott will, für Sie nie interessant! Beten Sie, dass VIRUS 10 nie aktiviert wird. Denn dann ist der Krieg bereits verloren. Mehr kann ich Ihnen beim besten Willen nicht sagen. Burck Ende!“

Das Hologramm von General Burck verschwand.

„So ein Arschloch!“, fluchte Köhler und ging ins Vorzimmer.

„Leutnant Klausmann!“, schnauzte er den jungen Leutnant an, der ihn zuvor mit diesen beiden Polizisten verbunden hatte.

Der sprang sogleich auf.

„Rufen Sie sofort die Abteilung Lambda zusammen! Oberste Priorität! Und vergessen Sie Stabsunteroffizier Schütt nicht!“

„Zu Befehl, Herr Generalmajor!“, brüllte der Leutnant und griff sogleich nach seinem Communicator.

Köhler ging wieder zurück in sein Büro und setzte sich in seinen Sessel. Plötzlich begann auf seinem PC die Anzeige für eine eingegangene E-Mail rot leuchtend zu blinken. Sogleich rief Köhler sie auf. Es erschien ein Hinweisfenster.

» Dies ist eine zeitlich begrenzte E-Mail. 120 Sekunden nach ihrem Aufruf wird sich diese E-Mail Rückstandslos selbst löschen. «

Köhler nahm eilig einen Zettel und einen Stift aus einer Schublade. Er wusste, dass diese Art E-Mails in Geheimdienstkreisen durchaus üblich waren und oftmals brisante und halblegale Informationen beinhalteten. Dadurch, dass die Absender anonym blieben und sich die E-Mail unaufhaltbar selbst löschte, konnte kein Absender ermittelt, geschweige denn dem Verfasser irgendetwas nachgewiesen werden.

Der Generalmajor öffnete die E-Mail. Sie war wie erwartet anonym und enthielt einen Code aus Zahlen, Buchstaben und Trennungsstrichen. Hastig schrieb er ihn auf. Nach zwei Minuten verschwand wie angekündigt die E-Mail vom Display.

Polizeipräsidium von Nürnberg, 28. März 2031, 13.15 Uhr

Stübner und Gerlach verließen das Büro des Polizeipräsidenten.

„So ein blöder Hund!“, stieß Stübner wütend hervor. „Was der sich einbildet! Lässt uns da stehen wie ein paar Deppen! Von diesem Arschloch können wir wohl keine Hilfe erwarten!“

Die beiden Polizisten gingen durch die langen Flure des Polizeigebäudes. Gerlach blätterte in der Akte Kizmir.

„Ich würde sagen, wir fahren erst mal nach Waldheim und befragen die Kramps, sofern sie noch da sind!“

Stübner schüttelte den Kopf.

„Ich glaube nicht, dass die Kramps noch bei sich zu Hause sind. Wenn Kramp, wie wir vermuten, eine Geheimdienstgröße ist, dann wird er clever genug sein und das Weite gesucht haben. Deswegen brauchen wir nichts überstürzen. Zuerst werde ich uns beim Richter einen Durchsuchungsbeschluss besorgen. Du kümmerst dich um was zu essen aus der Kantine. Es ist Mittag und ich habe Hunger. Danach fahren wir nach Waldheim.“

Hof der Familie Kramp, Waldheim, 28. März 2031, 14.17 Uhr

Der blaue Mercedes der Kripobeamten fuhr auf den Hof. Jedoch stand dort bereits ein Geländewagen mit Viehanhänger. Auf der Suche nach etwas fressbarem scharten ein paar Hühner um ihn herum.

Gerlach parkte den Wagen direkt neben jenem Gespann aus Fahrzeug und Anhänger.

Sollte Kramp wider Erwarten doch noch zu Hause sein?, fragte sich Stübner und schaute mit hoch gezogenen Augenbrauen zu seinem Partner, der nur ahnungslos mit den Schultern zuckte. Ansonsten schien es auf dem Hof ruhig zu sein.

Die beiden Polizisten stiegen aus dem Wagen und gingen zum Wohnhaus, einem dunkelbraunen uralten Holzhaus mit tiefem Holzschindeldach und kleinen Fenstern. Vor dessen Fassade breitete sich, ebenfalls überdacht, eine schmale Veranda über die gesamte Breite des Hauses aus.

Als die beiden Polizisten am Geländewagen vorbei kamen sprangen plötzlich zwei zottelige schwarze Hunde gegen die Heckscheibe des Wagens. Sie kläfften wild und fletschten die Zähne.

„Scheiß Köter!“, fluchte Gerlach erschrocken und drohte den Hunden mit der Faust. Da wurden sie gleich noch wilder.

„Vielleicht sind die Kramps widererwarten doch noch da?“, frohlockte Stübner. „Das müsste der Wagen eines Schäfers mit seinen Hütehunden sein.“

An der Haustür aus Eiche, wuchtig, niedrig und schwer, war keine Klingel. Nur ein schwerer schmiedeeiserner Klopfer hing auf dem Türblatt. Er war kunstvoll verschnörkelt und schwarz lackiert.

„Hübsch altmodisch!“, meinte Gerlach und klopfte dreimal an.

Nach einigen Sekunden waren im Haus schwere Schritte zu hören. Mit einem leichten Knarren und klappern, der gleichermaßen historischen Türschlossmechanik, öffnete sich die Tür. Vor Stübner und Gerlach stand ein etwas beleibter, vollbärtiger und dunkelhaariger Mann mit grünem Hut auf dem Kopf. Diesen Hut schmückten ein paar kleine bunte Federn.

Der Mann musterte die beiden Zivilbeamten von oben bis unten und schien nicht so recht zu wissen was er von den beiden halten sollte.

„Grüß Gott!“

„Sind Sie Johannes Kramp?“, fragte Stübner leicht ungläubig dreinschauend.

„Wer will das wissen?“, fragte der Mann misstrauisch zurück.

„Oh natürlich!“, antwortete Stübner, als hätte er versehentlich vergessen sich vorzustellen, und zückte seinen Dienstausweis. Gerlach tat es ihm nach.

„Ich bin Kriminalhauptkommissar Rolf Stübner und das ist mein Kollege Kriminalkommissar Klaus Gerlach von der Nürnberger Polizei.“ Stübner lächelte betont freundlich. „Also, sind Sie nun Johannes Kramp?“

„Nein!“

Mist!, schoss es Stübner durch den Kopf.

„Johannes musste sich beim Militär melden. Ich bin Robert Mayer und kümmere mich in seiner Abwesenheit um alles. Aber was hat denn Johannes mit der Polizei zu schaffen?“

Stübner ging nicht darauf ein. Ihm war klar dass der gute Mann nicht die geringste Ahnung hatte.

„Ist seine Frau Ramira Kramp zu sprechen?“

„Naa! Sie ist zurück in die Türkei. Nach der letzten Nacht war sich Johannes ihres Wohlergehens nicht mehr sicher, meinte er heute Morgen. Da hat er sie wohl in den nächsten Flieger gesteckt. Ist ja auch verständlich, oder?“

„Habe ich das richtig verstanden?“, warf Gerlach ein und sah Stübner an. „Sie haben Herr Kramp heute Morgen noch gesehen?“

„Ja mei! Er rief mich halt heut Morgen an! Da haben wir alles abgesprochen und das war´s. Er musste ja dann auch schon los zum Wehrkreiskommando!“

Stübner nickte nur kurz seinem Partner zu. Sofort eilte Gerlach zum Wagen. Stübner sah diesen Robert Mayer an.

„Könnte ich mich mal ein wenig im Haus umschauen?“

„Naa! I woaß net ob i das erlaube kann.“, erwiderte Mayer verunsichert.

„Sie können, Herr Mayer, Sie können! Ich habe hier einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss.“ Stübner zog das Dokument hervor und hielt es Mayer vor die Nase. Zeitgleich schob er sich an ihm vorbei ins Haus.

Sich einen groben Überblick verschaffend, spazierte Stübner zunächst durch alle Zimmer. Auch wenn dieses Haus uralt zu sein schien, erfüllte es im inneren doch alle technischen Standards dieser Zeit. Es war rustikal und doch modern eingerichtet! Im Wohnzimmer stand unter anderem ein wuchtiger Kamin auf dessen Sims einige Fotos aufgestellt waren. Darunter befand sich ein Hochzeitsfoto mit einem jungen Mitteleuropäer und einer bildhübschen Südländerin.

Das muss Kramp mit seiner Frau sein!

Stübner nahm das Bild sofort an sich und drehte sich um als Gerlach das Wohnzimmer betrat.

„Ich habe verschärfte Grenzkontrollen veranlasst.“

„Hier, Klaus, sieh mal! Das ist ein relativ aktuelles Bild von Kramp mit seiner Frau. Scanne das eben ein und lasse es an alle Grenzübergänge und Dienststellen im Umkreis von zweihundert Kilometern verteilen.“

Gerlach nahm das gerahmte Foto und verschwand damit wieder nach draußen.

Stübner ging ins nächste Zimmer. Das schien ein Arbeitszimmer zu sein. Da stand ein Regal mit vielen Ordnern, ein aufgeräumter Schreibtisch mit PC und ein kleinerer Beistelltisch mit Drucker Scanner und Fax. Direkt daneben stand ein Waffenschrank. Er war unverschlossen und, wie zu erwarten war, leer.

Das Vögelchen ist ausgeflogen! Eindeutig. Was braucht man noch für eine Flucht? Was braucht man...?

„Geld!“ Stübner schnippte mit den Fingern. „Herr Mayer!“, rief er und ging zurück auf den Flur. „Herr Mayer! Bei welcher Bank tätigen die Kramps ihre Finanzgeschäfte?“

„Bei der bäuerlichen Genossenschaftsbank in Waldheim. Johannes hat mir seine Geschäftskonten in treuhänderische Verwaltung gegeben.“

„Danke, Herr Mayer! Sie waren uns eine große Hilfe!“

Stübner ging nun ins Bad und schaute sich um. Er suchte nach etwas womit man einen DNA Abgleich hätte machen können. Aber es waren weder Schmutzwäsche noch Zahnbürsten oder Kämme und Haarbürsten zu finden.

Klar die Kramps haben alles mitgenommen und vor dem Aufbruch bestimmt noch sauber gemacht! Vielleicht gibt es ja in der Küche noch etwas Verwertbares!, hoffte Stübner und eilte hinunter in die Selbige. Er dachte dabei an gebrauchtes Geschirr oder Besteck. Jedoch wurde seine Hoffnung enttäuscht. Ramira Kramp schien eine gute Hausfrau zu sein.

Stübner suchte nun das Schlafzimmer auf. Die aufgezogene Bettwäsche war gebraucht. Erneut glimmte Hoffnung in Stübner auf. Er wollte nun das Haus verlassen. Um den Rest würde sich die Spurensicherung kümmern. Im Flur des Hauses stand noch immer Robert Mayer.

„Herr Mayer! Sie dürfen hier auf keinen Fall etwas verändern! Am besten Sie verlassen jetzt das Haus! Ich werde es jetzt versiegeln bis meine Kollegen von der Spurensicherung eingetroffen sind.“

„I wollt eh gerad gehen. Auf Wiedersehen Herr Kommissar!“

Mayer ging zu seinem Wagen.

„Ach eine Frage noch, Herr Mayer!“, fiel Stübner noch ein und lief Robert Mayer hinterher. „Was für einen Wagen fahren die Kramps eigentlich?“

Robert Mayer drehte sich wieder um.

„Johannes fährt einen metallic-grauen Defender Fünftürer und Ramira einen uralten roten Renault 5. Aber der steht ja noch in der Garage, wie Sie sehen können.“

Robert Mayer zeigte über den Hof zu einer offenstehenden Garage, in der ein antiker roter Renault stand, der scheinbar wirklich noch mit Benzin fuhr!

„Danke, Herr Mayer! Das war jetzt wirklich alles.“

Mayer stieg in seinen zerbeulten Geländewagen mit Viehanhänger, setzte das Gespann geschickt zurück und fuhr polternd vom Hof.

Stübner versiegelte mit einem polizeilichen Siegel die Haustür und setzte sich zu Gerlach in den Wagen.

„Die Spurensicherung soll kommen und nach DNA fähigem Material suchen. Kramp ist bewaffnet und mit einem metallic-grauen Defender unterwegs. Setze das noch mit auf die Fahndungsliste. Wir fahren jetzt zu seiner Bank ins Dorf und drehen ihm erst mal den Geldhahn zu.“

Ein Supermarkt in Berlin, 28. März 2031, 17.30 Uhr

Leichtläufig rollte der große Einkaufswagen durch den Discounter. Jedoch war er noch nicht einmal ansatzweise mit Waren befüllt. Auch würde er mit Sicherheit nicht seine volle Kapazität ausschöpfen, nicht jetzt und schon gar nicht bei dieser Kundin, die ihn gerade durch die langen Gänge aus Regalen schob.

Hier und da ließ sie mal einen vereinzelten Artikel in den unendlichen Weiten des Einkaufswagens verschwinden. Mit einem „Piep“ wurde dieser Artikel denn auch gleich vom Einkaufswagen registriert. Just in diesem Moment stand die junge zierliche Frau mit den kurzen blonden Haaren vor dem Weinregal und liebäugelte mit einer Flasche lieblichen Rosé, den sie sich an ihrem letzten freien Abend gönnen wollte. Schon am nächsten Morgen, früh um 8.00Uhr würde ihre ungeliebte Arbeit wieder beginnen.

Sabine hasste ihren Job! Könnte sie doch nur alles hin schmeißen! Könnte sie sich doch einfach so eine neue Arbeit suchen! Aber das war leider nicht so einfach! Wollte sie sich noch weiterhin in die Augen schauen können, musste sie sich durchbeißen, diese harte Zeit überstehen!

Jetzt packte sie sich erst recht die Weinflasche in den Einkaufswagen. Auch hier gab der Einkaufswagen erbarmungslos sein Piep von sich und die Flasche war registriert.

Vielleicht noch was zu knabbern für heute Abend?, dachte sich die junge Frau und bewegte sich mit ihrem viel zu großen Einkaufswagen ihrem neuen Ziel entgegen. Salzgebäck, wie Cracker, Kartoffelchips und Erdnussflips gab es ja schon im nächsten Gang.

Doch Sabine kam nicht mehr in besagten Gang. Ihr Communicator ertönte. Sie las auf dem Display, dass Major von Reutlitz versuchte sie zu erreichen. Major von Reutlitz war sozusagen der Lakai oder der Speichellecker von ihrem Chef. Allein diese Tatsache machte ihn bei Sabine fast genauso unbeliebt wie ihren Chef selber, auch wenn von Reutlitz sie nie unfair oder unhöflich behandelt hat.

Sie ahnte Schlimmes und sah sich schon in Gedanken die Flasche Rosé vertagen.

„Herr Major?“, nahm Sabine das Gespräch widerwillig an.

„Schütt! Ihr Heimaturlaub wurde etwas verkürzt. Melden Sie sich heute um 22.00Uhr zum Dienst.“

„Ja aber...!“, wollte Sabine den Anflug eines Einwandes erheben.

„Von Reutlitz Ende!“, trennte der Major die Verbindung.

„Verdammte Scheiße!“, fluchte Sabine und verließ durch einen der drei Ausgänge, mit ihrer Flasche Rosé, einer Tiefkühlpizza und einer Flasche ihres Lieblingsschaumbades im Einkaufswagen den Discounter. Als sie den Ausgang passierte gab der Einkaufswagen ein letztes mal sein Piep von sich und von Sabines Konto wurde die Rechnung abgebucht. Aus einem kleinen Gerät am Haltegriff des Einkaufswagens schob sich der Kassenbon heraus, den Sabine jedoch beflissen ignorierte.

Sie klemmte sich die drei Sachen unter den Arm und schob den Einkaufswagen in dessen Lade- und Rechendock. Verärgert darüber, den letzten Abend nun doch nicht in Ruhe genießen zu können, packte sie die paar Sachen, die sie gerade gekauft hatte, doch recht unsanft in den Kofferraum ihres kleinen VW. Sie stieg ein und drückte an dem Navi den Knopf mit der Aufschrift Wohnung. Jetzt konnte sie sich ein paar Minuten zurück lehnen, übernahm doch der Autopilot ab sofort die Heimfahrt. In der Innenstadt hatte es sich Sabine schon längst abgewöhnt selber zu fahren. Der Autopilot war mit dem zentralen Netzwerk der Stadt verbunden und brachte Sabine am sichersten und schnellsten nach Hause.

Summend fuhr der Wagen los und Sabine lehnte sich verärgert zurück.

Wer weiß, was wieder schief gelaufen ist! Vielleicht überfallen ja die Moslems bereits Berlin? Nee! Nicht so schnell! Oder wir müssen an die Front! Glaube ich nicht! Der Geheimdienst hat andere Aufgaben als den Kampf an der Front! Ach, verdammt! Mein letzter freier Abend!

Nachdem der Wagen selbständig einige Baustellen umfahren, intuitiv resultierend einige Umwege aber auch Abkürzungen genommen hatte, kam Sabine nach fünfzehn Minuten bei sich zu Hause in Berlin Marzahn an. Sie schnappte sich ihre paar Einkäufe und fuhr mit dem Fahrstuhl in die achte Etage ihres alten Wohnblocks. Im Fahrstuhl stand sie an die Wand gelehnt und betrachtete ihr eigenes Spiegelbild in der gegenüberliegenden Wand, welche gänzlich mit einem Spiegel verkleidet war, um die kleine Kabine größer erscheinen zu lassen als sie in Wirklichkeit war. Ob das nun die Anwandlungen eines Klaustrophobikers abschwächte, sei mal dahin gestellt!

Sabine betrachtete sich jedenfalls selbst, ohne irgendwie eitel zu sein. So konnte sie am besten sich selbst beschimpfen.

„Du blöde Kuh! Andere Frauen werden Lehrerin, Sekretärin, Kellnerin oder Friseurin! Und Du, dumme Nuss? Du musst natürlich obercool sein und Soldatin werden. Mist!“

Der Fahrstuhl war oben angekommen. Rumpelnd öffnete sich die Schiebetür. Vor dem Eingang wartete bereits ihre Nachbarin, eine uralte gebeugte Frau, auf den Fahrstuhl.

„Ach Guten Tag, Frau Majowski!“, grüßte Sabine höflich lächelnd, war doch Frau Majowski immer umgänglich und tolerant gewesen. Gut sie war schon fast taub! So regte sie sich auch nie auf, wenn Sabine die Musik mal etwas lauter hörte.

„Ach Sabine Kindchen! Ham wa och Feierabend?“, erwiderte Frau Majowski mit Berliner Schnauze.

„Ja ja!“, antwortete Sabine mit sehr lauter Stimme, wusste doch die alte Frau weder was sie arbeitete noch dass sie gerade Heimaturlaub hatte. „Machen Sie nicht mehr so lange, Frau Majowski! Es wird bald dunkel, da ist Ausgangssperre!“

Keine Antwort abwartend, ging Sabine zu ihrer Wohnung, schloss auf und betrat ihr kleines Reich, bestehend aus zwei Zimmern mit Küche und Bad. Scheppernd ließ sie die Wohnungstür ins Schloss fallen und lehnte sich, tief durchatmend, einen Moment dagegen.

Was mach ich am besten mit den paar Stunden die mir noch bleiben?, fragte sie sich und warf einen seitlichen Blick auf die Uhr an ihrem Communicator. Es war ziemlich genau 18.00Uhr. Na da bleibt mir doch noch schön Zeit für eine ausgiebige Wellnessbadewanne!

Gedacht, getan! Sie schleuderte ihre einfachen Slipper in die Garderobenecke und brachte den kleinen Einkauf in die Küche. Zurück auf dem Flur zog sie ihre dicke Jacke aus und hängte sie an einen Haken der Flurgarderobe.

In der Küche schob sie die soeben gekaufte Pizza in den Backofen und ging mit dem neuen Schaumbad ins kleine Bad um ihre Wellnessbadewanne einzulassen. Wenn sie denn schon heute wieder raus musste, dann durfte zumindest das nicht fehlen!

Noch habe ich Urlaub! Wenn auch nur noch ein paar Stunden!, dachte sie trotzig und gab einen Schuss ihres Lieblingsschaumbades in das fließende angenehm warme Wasser. Flink legte sie ihre Kleider ab und wollte sich gerade in das Wasser hinein gleiten lassen, da fiel ihr die Flasche Rosé ein. Sie hielt einen Moment inne und wog die Möglichkeiten ab.

Was sollten sie mir schon anhaben können? Konnte ich ahnen, dass ich noch heute zum Dienst muss?

Sie entstieg also wieder der Badewanne und eilte, nackt wie sie war, zurück in die Küche. Dort holte sie sich aus dem Küchenschrank ein Weinglas und öffnete noch fix mit dem Gaskorkenzieher die Flasche Rosé. Im vorbei gehen warf sie noch einen Blick auf die Pizza im Ofen, nickte zufrieden und ging mit Wein und Glas zurück ins Bad.

Der Ofen würde die Pizza fertig backen und sie knusprig warm halten, bis sie Sabine an diesem Abend mal essen würde.

Genüsslich setzte sich die junge Frau in die warme Badewanne, schenkte sich ein Glas Wein ein und ließ sich, am Glas nippend, bis zum Hals im Schaum versinken.

Es war eine Wohltat! Das warme Wasser, welches ihren Körper umschmeichelte, ihr Lieblingsduft, der dem Badeschaum entströmte und nicht zu Letzt der süffige Wein, ließen Sabine in Träumen schwelgen. Sie stellte das leere Glas beiseite und umgarnte ihren schneeweißen Körper mit einem weichen und voll gesogenen Naturschwamm. Sie presste den Schwamm an ihrem rechten Oberschenkel aus. Das Wasser plätscherte, an ihm herab, in den Schaum zwischen ihren Beinen. Für einen Moment lichtete sich der Schleier aus Schaum und ließ die Ansätze ihres etwas dunkleren Schamhaares erkennen, bevor der zarte schaumige Vorhang ihre Blöße wieder verdeckte. Verspielt glitten der Schwamm und die freie Hand über ihren Körper, ihren Hals, ihren Armen und über ihre Brüste.

Mit skeptischem Blick betrachtete sie ihre vom Schaum benetzten Brüste. Keck lugten die kleinen und spitzen Brustwarzen mit ihrer rosa Färbung aus dem Schaum hervor. Sabine konnte nicht anders und fand ihre Brüste einfach nur winzig, spitz und hässlich.

Warum in aller Welt hat mich der liebe Gott nur mit so kleinen Titten gestraft?, fragte sich Sabine ein jedes Mal wenn sie in die Verlegenheit kam, sich nackt zu betrachten. Wenn ich nichts sage gehe ich doch glatt als Junge durch. So ein Mist!

Sabine schenkte sich noch ein Glas Wein ein und schaute verträumt vor sich hin. Dabei umkreiste der gläserne Fuß ihres Weinglases sinnlich die Brustwarze ihrer rechten Brust. Unbewusst entglitten die Gedanken in ihre eigene Traumwelt.

***

Erschrocken riss Sabine die Augen auf, als das durchdringende Piepen ihres Communicators ertönte. Sofort suchte ihr Blick die rote Anzeige der kleinen digitalen Uhr über der Badezimmertür.

„Ach Du Schande! Oh Mist! Nein!!“

Die Uhr zeigte bereits 20.45Uhr! Hektisch sprang Sabine aus der Badewanne. Klirrend zersprang das Weinglas am Badewannenrand. Sie hatte es wohl im Schlaf ins Wasser gleiten lassen. Der Schaum war inzwischen gänzlich verschwunden und das Wasser eher kalt als lauwarm.

„Oh Schitt! Wie konnte ich nur einschlafen?!“

Ohne auf das Display zu schauen, aktivierte sie eilig ihren Communicator. Jedoch vergaß sie in der Hektik den Sprachmodus zu aktivieren. So baute sich vor der nackten Sabine das Hologramm von Major von Reutlitz auf. Verdutzt schaute der an Sabine auf und ab, bevor sie überhaupt diese Peinlichkeit realisieren konnte. Hektisch schnappte sich Sabine mit hochrotem Kopf das Badetuch, welches über einem Hocker lag und hielt es sich vor ihren Körper.

„Entschuldigen Sie Herr Major!“, stammelte Sabine peinlich berührt hervor.

„Schütt! Kleine Planänderung!“ Von Reutlitz ging, ganz Gentleman, auf diese Peinlichkeit nicht näher ein. „Krisensitzung mit dem Team Lambda beim Chef um 0.00Uhr. Seien Sie etwas früher da und sorgen Sie für genug Kaffee!“

„Zu Befehl Herr Major!“

Von Reutlitz trennte die Verbindung ohne Abschiedsgruß, wie es seine Art war.

„Oh mein Gott!!“, rief Sabine panisch. „Wie peinlich war das denn?! Ich blöde Kuh! Wozu hat dieses scheiß Ding einen Sprachmodus? Hoffentlich hält von Reutlitz dicht! Sonst bin ich morgen die Lachnummer im ganzen MAD!“

Sie warf sich einen Bademantel über und ging mit dem restlichen Wein in die Küche um ihre Pizza zu essen. Zum Glück hatte sie es ja nun doch nicht mehr so eilig.

Irgendwo in den deutschen Alpen, 28. März 2031, 22.30 Uhr

Die Nacht war angenehm kühl und trocken. Der metallicfarbene Landrover Defender fuhr auf den einsamen Parkplatz mitten in einem dichten Tannenwald. Es war Neumond, so dass die Nacht noch dunkler als in normalen Nächten war. Als das Licht des Wagens erlosch, war selbst die Hand vor Augen nicht mehr zu sehen. Vereinzelt blinkten ein paar Sterne durch die Baumwipfel.

Johannes stellte den Wagen seitlich an einen Gehweg. Direkt dahinter begann in einem etwas abschüssigen Gelände der dichte Wald. Mit dem Verstummen des summenden Wasserstoffmotors erwachte auch Ramira aus ihrem unruhigen Schlaf. Die Hunde waren gleich in heller Aufregung, in der Hoffnung, es gäbe endlich Auslauf.

„Lass uns einen Moment Pause machen. Ich brauche ein wenig frische Luft und meine Knochen etwas Bewegung!“

Johannes stieg aus dem Wagen, atmete tief die frische Abendluft ein und streckte sich. Er öffnete den Kofferraum und schaute einen Moment seine nervösen Hunde an. Aufgeregt winselnd und mit den Ruten wedelnd standen sie vor ihm, bereit sofort heraus zu springen. Jedoch war ihre Erziehung so gut, dass sie nicht ohne Kommando das Auto verließen, auch nicht durch das zerschlagene Heckfenster.

„Na kommt!“, entließ er endlich die Hunde in die Freiheit.

Übermütig, wie kleine Kinder, begannen sie auch sofort damit zu spielen und zu toben. Johannes stand da und beobachtete das Treiben.

Zärtlich schlangen sich von hinten zwei Hände um seinen Bauch und fuhren unter sein Hemd. Gefühlvoll kraulten sie sein Brusthaar. Ramira lehnte liebevoll ihren Kopf an seinen Rücken.

„Das ist schön mein Liebling!“ Johannes schloss die Augen.

„Entspanne Dich!“, flüsterte ihm Ramira ins Ohr und genoss die wohlige Wärme von Johannes. „Was hältst du davon wenn wir bis zum Morgengrauen hier bleiben und uns dann in die Berge durchschlagen. Was Gescheites zum Schlafen finden wir jetzt eh nicht mehr.“

Johannes wandte sich zu ihr um und nahm sie in die Arme.

„Das sehe ich genauso. Lass uns eine Kleinigkeit essen und dann etwas schlafen.“

Er küsste seine Frau und streichelte gefühlvoll ihre Wange. Nachdem er die beiden Hunde an die Anhängerkupplung angeleint hatte, setzte er sich mit Ramira zurück ins Auto. Dort schaltete er noch die Innenbeleuchtung und das Radio ein. Johannes lehnte sich entspannt zurück, während Ramira die Brote auspackte und in zwei silberfarbene Kaffeebecher heißen Tee aus einer Thermoskanne einschenkte.

„Liebling wie soll es nun weitergehen, jetzt, wo wir in den Bergen sind? Wo wollen wir hin? Was wollen wir machen? Es ist alles so ungewiss!“

Johannes schaute zu Ramira. Er war sich ihrer beider Situation schon bewusst. Ihm war klar, dass ihre Lage schier aussichtslos erscheinen musste. Die ganze Fahrt über hatte er schweigend nach einer anderen Lösung für ihr Problem gesucht. Jedoch ohne Erfolg! Mit Sicherheit suchte man ihn bereits überall. Bei einem freilaufenden fünffachen Mörder hat man auch die Grenzen dicht gemacht oder zumindest die Kontrollen verschärft. Eigentlich erschien nur ein Weg als vernünftig. Johannes müsste sich der Polizei stellen und versuchen alles aufzuklären. Auf jeden Fall käme er zunächst einmal ins Gefängnis, wenn auch nur zur Untersuchungshaft. In diesem Augenblick wäre er von Ramira getrennt gewesen. Sie wäre allein!

Nein! Das geht nicht! Nicht jetzt wo wir Krieg haben!

Er durfte seine Ramira nicht allein lassen! Er hatte es Ibrahim geschworen!

Johannes nippte an seinem Tee.

„Das Beste wäre wohl ich würde mich stellen und Du gingest zurück in die Türkei. Das denkst Du doch bestimmt! Oder?“ Johannes schaute zu Ramira. Ohne eine Antwort abzuwarten sprach er weiter. „Aber das kann ich nicht machen. Bleibst Du allein hier in Deutschland, bist Du Freiwild für alle Chaoten, die hier im Moment so herum laufen. Schicke ich dich in die Türkei, wenn das überhaupt noch geht, wirst Du wahrscheinlich abgestempelt sein als »Die, die da mit einem Christen verheiratet ist!« und ich sehe dich vielleicht nie wieder. Ich denke mal…“

Ramira ergriff seine Hand.

„Ich möchte dich nicht verlassen! Der sicherste Platz auf dieser Welt, in dieser Zeit, ist an deiner Seite! Wir finden einen Weg!“

Plötzlich schlugen die Hunde an und knurrten wachsam. Johannes schaute sich um. Zwei verdunkelte Scheinwerfer, wie es in Kriegszeiten üblich war, bewegten sich die Straße entlang und kamen von hinten auf ihren Wagen zu. Nur durch zwei schmale Schlitze fiel etwas Licht, welches spärlich die Fahrbahn ausleuchtete.

Kurz hinter ihnen leuchteten einmal kurz Blaulichter auf. Sogleich begannen die Hunde damit wild zu bellen.

„Oh Mist, die Polizei!“, stieß Johannes hervor. „Schatz bleib auf jeden Fall ruhig. Egal was passiert!“

Ramira nickte mit erschrockenem und bleichem Gesicht.

Der Streifenwagen hielt neben ihnen. Der Fahrer ließ die Scheibe herunter.

Lächelnd schaute Johannes rüber und tat es dem Polizisten nach. Er erkannte, dass zwei Beamte im Streifenwagen saßen. Der Beifahrer war eine junge blonde Frau.

Das macht ein entkommen vielleicht etwas leichter!, schoss es Johannes durch den Kopf, als wäre es das normalste auf der Welt.

„Guten Abend, die Herrschaften!“, begann der Polizist betont freundlich, schon fast zynisch, als er Ramira als Südländerin erkannte. „Sie wissen schon, dass sie ohne Heckscheibe fahren? Außerdem haben wir nach Kriegsrecht Ausgangssperre. Sichern Sie doch mal die Hunde und zeigen mir Ihre Ident-cards.“

Johannes stieg aus und ließ die Hunde in den Kofferraum springen.

Natürlich werden sie gleich die Daten checken. Dann haben sie uns! Sie werden mit gezogenen Waffen aussteigen sich gegenseitig sichern, indem sie sich im Dreieck zu uns aufstellen. Wahrscheinlich halten sie einen Abstand von etwa zwei oder drei Metern zwischen uns und sich, keine Chance für mich! Vielleicht habe ich im Nahkampf eine Gelegenheit, wenn sie mich durchsuchen?

Johannes erschrak über seine eiskalte Abwägung möglicher Taktiken. Woher hatte er das alles nur?

Er setzte sich wieder hinter das Lenkrad. Ramira reichte ihm ihre Ident-card. Johannes tat so als würde er seine Ident-card noch suchen und schob dabei unauffällig sein Jagdmesser in den Hosenbund. Zum Glück hing das Hemd heraus, da ihn Ramira vorhin mit ihren zärtlichen Händen verwöhnt hatte. So war das Messer auf den ersten Blick nicht zu sehen.

Jetzt zog er aus seiner Brieftasche die noch fehlende Ident-card heraus und machte Anstalten den Wagen wieder zu verlassen.

„Moment Freundchen!!“, rief sogleich der Polizist. „Bleiben Sie fein sitzen und reichen Sie die Karten durch! Schön langsam! Man kann im Moment nicht vorsichtig genug sein.“

Verdammter Mist!

Johannes beugte sich leicht vor, reichte dem Polizisten mit der linken seine und Ramiras Ident-cards und entsicherte dabei mit der rechten Hand, verborgen durch seinen Körper, die doppelläufige Jagdbüchse, die zwischen Fahrer- und Beifahrersitz in ihrer Halterung saß.

Der Polizist nahm die Karten und warf Ramira ein herablassendes Grinsen zu. Er reichte seiner Partnerin die Karten und setzte den Streifenwagen schräg vor Johannes und Ramiras Wagen, auf dass sie nicht so ohne weiteres davon fahren konnten. Jetzt kontrollierten die beiden Polizisten die Karten. Sie schauten abwechselnd in ihre Gesichter und auf ihren Bordcomputer. Dabei leuchteten sie ihnen mit den Taschenlampen in die Gesichter.

„Jetzt haben Sie uns!“, flüsterte Johannes, hob den Lauf des Gewehres an und zog es langsam vor, bis die Laufmündung gerade eben so auf dem Armaturenbrett lag.

Er öffnete leicht seine Tür und legte seine rechte Hand auf den Abzug der Waffe.

„Wenn ich jetzt sage duckst Du dich so tief Du kannst!“, flüsterte er mit halb geschlossenem Mund zu seiner Frau.

Ramira zitterte am ganzen Körper und nickte leicht.

Die beiden Beamten stiegen aus und zogen ihre Pistolen. Der Mann stellte sich rechts von ihnen auf und die Frau links, sozusagen auf Johannes seiner Seite. Die beiden Polizisten hielten ihre Pistolen auf sie gerichtet.

„Steigen Sie langsam mit erhobenen Händen…“

„Jetzt!“, sagte Johannes, riss das Gewehrhoch und schoss auf die Polizistin.

Ramira rutschte auf den Boden des Wagens.

Die Polizistin flog nach hinten und blieb regungslos liegen.

Die Frontscheibe war durch Tausende kleine Risse weiß.

Johannes stieß die Tür auf, sprang hinaus und warf sich mit einem Hechtsprung zu Boden. Er rollte ab, stand auf den Knien und zielte nach dort, wo eigentlich hätte der andere Polizist stehen sollen. Doch da war er nicht mehr! Schnell wollte Johannes noch zurück hinter seinen Wagen springen, als schon ein Schuss durch die Nacht peitschte. Ein stechender Schmerz fuhr durch seine linke Schulter. Johannes unterdrückte einen Schrei. Der Polizist sollte nicht hören, dass er getroffen war.

Er lehnte sich hockend mit dem Rücken vor das linke Vorderrad seines Wagens und schaute sich um. Die Polizistin lag mit einem durchlöcherten Hemd am Boden. Es waren zwei oder drei Knöpfe aufgesprungen. So konnte Johannes erkennen, dass die Frau eine kugelsichere Weste trug. Durch die Wucht des einschlagenden Geschosses und durch den schweren Sturz zu Boden war sie hoffentlich für ein paar Minuten außer Gefecht gesetzt!

„Schmeiß die Waffe weg und komm raus!!!“, schrie ihr Partner hinter seinem Wagen hervor.

Was mache ich jetzt? Verdammt! Verdammt! Verdammt!, schrie es panisch in Johannes. Ich hab’s!, hatte er nur wenige Sekunden später eine Idee.

Er drehte sich zur bewusstlosen Polizistin, neben der noch ihre Pistole lag. Mit einem Hechtsprung ließ er sich neben sie fallen. Ein weiterer Schuss krachte und Johannes fühlte die Kugel an sich vorbei sausen. Er zog die Polizistin an sich ran, nahm ihre Pistole und robbte sich mit ihr in Richtung Streifenwagen.

Wieder ertönte ein Schuss. Dieser kam aber nicht aus einer Pistole! Es war das wummernde Krachen einer Schrotflinte. Der Polizist schrie kreischend auf und fiel hinter dem Streifenwagen hervor. Gekrümmt lag er am Boden und hielt sich seine blutigen und zerfetzten Knie. Hinter ihm stand, wie aus dem Nichts, mit der Schrotflinte in den Händen, Ramira!

„Schatz, wo kommst Du denn auf einmal her?!!!“, schrie Johannes panisch und sprang hinter der noch immer bewusstlosen Polizistin auf. „Ich hätte dich töten können!!!“

Eilig schlug er mit einem kräftigen Kinnhaken den Polizisten k.o. Ein Knacken, wie das von trockenem Holz, war zu hören. Sogleich eilte Johannes zu Ramira.

„Entschuldige, dass ich Dir das Leben gerettet habe!!!“, schrie sie ihn an und sank heulend zusammen.

Johannes setzte sich neben seine Frau.

„Verzeih mir! Ich wollte dich nicht anschreien. Ich habe nur so einen riesigen Schreck bekommen. Das war natürlich sehr mutig von Dir. Du hast mir wirklich sehr geholfen. Wie hast Du das gemacht?“

Johannes tätschelte seiner schluchzenden Frau den Kopf.

„Das kaputte Heckfenster!“ schluchzte sie. „Im Schutz der Dunkelheit bin ich barfuß durch den Wald!“

Ihre Stimme war von Tränen wie erstickt.

Natürlich, der Polizist war zu sehr mit mir beschäftigt! Durch das zersprungene Sicherheitsglas der Frontscheibe hat er nicht bemerkt wie Ramira nach hinten raus ist.

„Ja, mein Liebling. Das war das einzig richtige was Du machen konntest. Alles ist gut!“

Ein paar Minuten wiegte Johannes seine Frau in den Armen und streichelte ihren Rücken bis sie sich ein wenig beruhigt hatte.

„Wir müssen weiter Schatz! Bald kommen noch mehr Polizisten. Unser Wagen ist jetzt zu auffällig. Deswegen müssen wir ab sofort zu Fuß weiter. Lass uns das nötigste aus dem Wagen holen und direkt in die Wälder gehen.“

Ramira nickte wortlos. Beide rafften sich auf. Johannes durchsuchte die beiden Polizisten nach Munition für die Pistolen und fand noch vier Magazine.

Die Polizistin begann wieder aufzuwachen. Johannes zerrte sie zu ihrem Kollegen und kettete beide mit ihren Handschellen an die Räder des Streifenwagens. Aus dessen Innerem schnappte er sich noch ihre Ident-cards. Ramira holte die notwendigste Ausrüstung aus dem Geländewagen.

Ein plötzlicher stechender Schmerz ließ Johannes, bei dem Versuch sich den Rucksack überzuwerfen, laut aufschreien. In der Aufregung hatte er seine angeschossene Schulter ganz vergessen. Das, in dieser lebensbedrohlichen Situation, freigesetzte Adrenalin hatte ihn vorübergehend schmerzfrei gemacht. Doch jetzt, da sein Kreislauf damit begann sich wieder zu beruhigen, kehrten brachial alle seine Empfindungen wieder zurück.

„Liebling was hast Du?!“

Ramira sprang zu Johannes und fing ihn ab da er vor Schmerz das Gleichgewicht verlor.

„Er hat mich angeschossen. Ist aber nicht so tragisch. Ich glaube die Kugel ging durch.“

Johannes fühlte seine Schulter ab und ertastete eine kleine Einschusswunde und eine wohl dreimal so große Austrittswunde. Sie blutete erstaunlicher Weise nicht allzu sehr. Zum Glück wurde keine wichtige Ader getroffen.

„Es ist wohl nicht so schlimm!“, stellte Johannes erleichtert fest.

Vorsichtig legte er sich den Rucksack über seine rechte Schulter, hängte sich die Gewehre um den Hals und legte sich eine der Pistolen an. Die andere bekam Ramira. Sie zogen sich noch ihre alten Bergschuhe an, schnappten sich die Hunde und schlugen sich in den Wald. Schon bald waren sie in der finsteren Dunkelheit dieser Neumondnacht verschwunden.

Die Letzte Bastion Christi

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