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Xaviers Alu-Club

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Bumm.

Bumm!

Bumm!!

Es klopft an der Tür. Mit einem Tatsachenhammer. Wer mag das sein?

Ich habe einen Verdacht. Eine Befürchtung. Angst?

Vorsichtig öffne ich die Tür.

»Guten Morgen«, sage ich durch den Spalt.

»Es ist halb vier. Nachmittags«, sagt der Spalt mit der Stimme des Elefanten. »Kann ich reinkommen?«

Ungern, denke ich. Bei seinem letzten Besuch vor zwei Tagen hat der Elefant meinen Kühlschrank gründlicher geplündert als ein Hamsterkäufer das Klopapier-Regal. Und natürlich die Schlammschlacht von Woodstock historisch korrekt wiederaufgeführt. Als Symphonie für einen Verdauungstrakt und mein Badezimmer.

»Eigentlich gerne, aber ich bin gerade mitten …«, fange ich an.

»Im Pyjama?«, unterbricht mich der Elefant. »Kommen Sie schon«, mault er, »mir ist langweilig. Ich kann aber gerade nicht aus dem Haus.«

Weil ich von der Polizei gesucht werde?, ergänze ich in Gedanken. Als Ausbrecherkönig aus dem Heim für schwer erziehbare Rüsseltiere? Weil ich zwar ›angeblich harmlos‹ bin, aber in Wirklichkeit nur das Vertrauen meines Nachbarn erschleichen will, um ihn in einem unbeobachteten Moment mit dem Tatsachenhammer …

»Draußen ist nicht safe«, sagt der Elefant, »zu viele Chemtrails im Moment.« Ich sehe durch den Spalt, dass er den Rüssel unter der Flurdecke hin und her schwenkt, als würde er Linien in den Himmel ziehen. »Alles voll mit Brainwash-Partikeln da draußen.«

Brain-was-Partikel? Spinnt der? Ja, der spinnt, fällt mir wieder ein. Stand ja alles in der Zeitung.

»Ich hab auch was Hübsches mitgebracht«, sagt der Elefant. Er hält eine Plastiktüte hoch, in der sich eine CD abzeichnet. Dürfte dauern, mich damit zu ermorden, denke ich. Es sei denn, man verwendet die CD als Pizzaschneider. Für Gliedmaßen.

»Also gut«, sage ich und öffne die Tür, »aber nur eine Viertelstunde.«

»Laser!«, freut sich der Elefant und gleitet so sanft an mir vorbei wie zwei Möbelpacker und ein Klavier an einem Treppenhaus.

Im Wohnzimmer lässt sich der Elefant aufs Sofa fallen. Die Federn kreischen entsetzt, und aus der Seite des Möbels quillt Schaumstoff wie Marmelade aus einem Krapfen.

»Hübsche Billo-Regale«, sagt der Elefant und deutet auf die Wand hinter mir.

»Die heißen Billy-Regale«, sage ich.

»Nein, nein, schon Billo«, sagt der Elefant. »Billo wie billig.«

Ich sage erst mal nichts, sondern rücke nur unauffällig den Retro-Armleuchter aus der Dieter-Nuhr-Edition in die rechte Ecke, um ihn vor dem Elefanten in Sicherheit zu bringen.

»Mögen Sie eigentlich Xavier Naidoo?«, fragt der Elefant.

Xavier Kurt Naidoo? Dessen Zweitname mir überflüssigerweise sofort einfällt? Lieber würde ich mir die Ohren abschneiden. Das sage ich aber nicht, denn der Elefant starrt mich aus kleinen, gelben Augen an.

»Hat früher mal ganz schöne Sachen gemacht«, antworte ich vorsichtig und lasse den Satz ein wenig wie eine Frage klingen.

»Hab ich mir gleich gedacht, dass Sie das auch so sehen. Toller Künstler. So engagiert. Mutig. Und dabei tiefgründig. Wollen Sie was Neues hören?« Mit seinem Rüssel zieht der Elefant die CD aus der Tüte. Der Titel lautet: ›Marionetta Slomka‹. Ich bin ziemlich sicher, dass ich das nicht hören will.

»Bestimmt interessant«, höre ich mich stattdessen sagen, aber der Elefant hat die Glitzerscheibe schon von meinem CD-Player einsaugen lassen. Erstaunlich, wie ein Elefant das ohne Daumen hinkriegt, denke ich, während der CD-Player kurz auf dem Album herumkaut. Sogar ohne Finger, um genau zu sein.

Aber da dringt schon Xavier Kurts Stimme aus den Boxen.

»Wenn es vorbeiweht, sieht’s harmlos aus wie Feuerwerk«, singt der Mannheimer Pop-Erlöser. »Doch dort am Himmel streun sie Gift, ganz unbemerkt.«

Nanu? Das Lied kenne ich. Also zumindest die Melodie.

»Unsre kollektive Blindheit ist eines Sklaven wert«, näselt Naidoo weiter. »Doch ich bin wenig kriecherisch. Ihr verseucht mich so leicht nicht.«

Jetzt fällt es mir ein: Das ist das Lied aus der Asterix-Verfilmung. Mit Gerard Depardieu als Obelix. Muss bald 20 Jahre auf dem Buckel haben. Ich hatte nur den Text irgendwie anders in Erinnerung.

»Je mehr ihr mich vergiftet, desto unbeugsamer werd ich«, naidoot es weiter. »Meinen Körper, meine Stimme kriegt ihr nicht. Es gibt Grenzen, die ihr mit Millionen von Untaten verwischt. Aber meine Rübe brainwasht ihr nicht.«

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie der Elefant mit dem Rüssel ein imaginäres Orchester dirigiert. Mir läuft es kalt den Rücken runter.

»Das ist aber nicht die Originalversion?«, frage ich sehr laut, um die Musik zu übertönen.

Der Elefant blickt auf, schüttelt nur den Kopf und tippt dann mit dem Rüssel die Anlage an, um einen Track weiterzuspringen. Kurzes Intro, dann wieder Kurt.

»Dieses Land ist keine Republik«, nudelt Naidoo nun, »dieses Land ist ne GmbH.«

Auch dieses Lied kenne ich. Aber auch hier stimmt der Text nicht. In meiner Erinnerung lauten die Lyrics: ›Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.‹ Der Elefant hat es doch nicht geschafft, die Balla-Balla-Balladen des Reichsbarden in einer noch bekloppteren Version aufzutreiben?

»Der Ami lenkt, sind nicht selbstbestimmt«, singt Xavier seinen Weg weiter, »nur’n Satellit von den US und A.«

Ich muss etwas tun, damit das aufhört. Kurt, Schluss!

»Woher kommt denn der neue Text?«, frage ich ziemlich laut, und dann gleich noch mal: »Der Text, das ist doch nicht das Original?«

Der Elefant ist so gnädig, die Lautstärke runterzuregeln.

»Ist ne Sonderpressung«, erklärt der Dickhäuter, »die kriegen nur Members von Xaviers Alu-Club.« Er lächelt, offensichtlich, um mich wissen zu lassen, dass er ein Member ist.

»Was ist ein Alu-Club?«, frage ich.

»Ist wie Gold-Club«, sagt der Elefant. »Nur ne Stufe besser. Hier, gibt’s als Willkommensgeschenk.« Er greift noch mal in die Plastiktüte, aus der er jetzt eine Schiebermütze holt, wie sie der Mannheimer Sänger trägt. Mit dem Unterschied, dass die Schiebermütze im Rüssel des Elefanten ganz mit Alufolie umwickelt ist.

»Schützt vor Strahlen aus dem All. Und man hat besseren Handyempfang. Darf nur nicht zu nah an die Mikrowelle damit«, sagt der Elefant und hält mir die glitzernde Batschkapp hin, »wollen Sie mal? Is safe.«

»Nicht nötig«, wehre ich ab. »Aber sagen Sie mal: Was soll denn das mit den USA und Chemtrails und der BRD GmbH?«, frage ich. »Das ist doch alles reichlich … wirr.«

Das hätte ich nicht tun sollen. Der Elefant schaut mich mit großen Augen an.

»Leben Sie hinterm Mond?«, fragt er entsetzt. Er drückt sich die Vorderfüße in die Wangen und macht das Scream-Emoji mit Rüssel.

»Hinterm Mond halten sich doch schon die Nazis versteckt«, wage ich vorsichtig einen Witz, aber der Elefant murmelt nur: »Dacht ich’s mir doch.«

Dann setzt er zu einem Monolog an. Einem langen Monolog. Schwer zu folgen. Und lang. Und schwer zu folgen. Der dadurch nicht besser wird, dass Xavier im Hintergrund weiter vor sich hin stöhnt. Nach einer Viertelstunde versuche ich, zusammenzufassen.

»Wir leben verfassungsrechtlich noch im Deutschen Reich?«, sage ich. »Weil die BRD eine Privatorganisation ist? Die aber von den USA besetzt gehalten wird?«

»Klo-rrekt«, nickt der Elefant ernst. »Aber wir wissen das. Das Problem ist, dass die wissen, dass wir wissen. Natürlich wissen wir wieder, dass die wissen. Das wissen die aber auch! Deshalb wollen die uns das Gehirn weichkochen.«

»Mit Chemtrails?«, rate ich.

»Voll! Mit Brainwash-Partikeln! Und Allstrahlen! Damit wir nicht aufwachen!«, blubbert der Elefant. Dann senkt er die Stimme. »Jetzt verrate ich Ihnen mal was, was nur die Allereingeweihtesten wissen.«

»Da bin ich aber gespannt«, sage ich so unironisch wie möglich.

»Hinter den USA stecken gar nicht die Amis.«

»Wer denn dann?«

»Die geheime Weltregierung der Echsenmenschen«, flüstert der Elefant hinter vorgehaltenem Rüssel, »aus dem Sternbild des Drachen.«

»Geheime. Weltregierung. Der. Echsenmenschen«, wiederhole ich Wort für Wort.

»Ist das nicht Wahnsinn?«, sagt der Elefant.

»Völlig wahnsinnig«, bestätige ich. »Supergaga. Sockenschuss. Crank 3. Vollmeise eleven.«

»Eben. Deshalb ist Selbstschutz erste Reichsbürgerpflicht.« Der Elefant deutet auf seinen Aluhut. »Wenn Sie wollen, besorge ich Ihnen auch einen.«

»Das ist nett«, improvisiere ich, »aber ich hab mir grad erst diesen Anti-Strahlen-Spiralograph besorgt«, sage ich und zeige auf eins der Kunstwerke, an dem ich gerade arbeite. Es ist eine Art verbogenes Staubsaugerrohr, das mit Blattgold beklebt ist. Eigentlich ein kontroverser Kommentar zur Geschlechtergerechtigkeit, könnte aber auch ein Anti-Strahlen-Spiralograph sein. »Bin also erst mal versorgt«, ergänze ich.

»Sweet«, sagt der Elefant und furzt anerkennend mit dem Rüssel.

Einen Moment herrscht Stille. Nur der Elefant furzt noch mal.

Diesmal nicht mit dem Rüssel.

»Wo wir vorhin von ner Sonderpressung sprachen«, sagt er, »kann ich noch mal den Kackschlitten reiten?« Er zeigt in Richtung Bad. »Immer noch verstopft bei mir.«

Ich zwinge mich zu lächeln. Ich musste das Bad mit einem Schlauch ausspritzen, um es wieder in einen Zustand zu bringen, der nicht mehr gegen die Menschenrechte verstieß. Auch die Decke. Ich habe große Lust, dem Elefant einen heißen Tipp gegen ein verstopftes Klo zu geben. Selber pümpeln. Mit dem Rüssel.

»Natürlich«, sage ich stattdessen, weil ich feige bin.

»Klasse-Molasse«, sagt der Elefant und verschwindet im Bad. War da echte Vorfreude in seiner Stimme?

Wenigstens kann ich endlich die musikalische Sondermüllpressung abstellen. Mich schaudert. Was, wenn der Dickhäuter jetzt jeden Tag vor der Tür steht, um nicht nur seine realen, sondern auch seine mentalen Ausscheidungen bei mir zu dumpen?

Als der Elefant nach einer langen Viertelstunde zurückkommt, sieht er aus, als hätte er ein paar Kilo abgenommen. Ich schaue demonstrativ auf die Uhr, aber er lässt sich wieder aufs Sofa fallen. Schaumstoff quillt heraus wie der letzte Zahnpasta-Rest aus einer Tube. Weil mir nichts mehr einfällt, frage ich: »Was machen Sie eigentlich beruflich?«

»Ich bin Selbstverwalter«, sagt der Elefant. »CEE der Freien Republik Elefantistan.«

»CEE?«

»Chief Executive Elephant.«

»Ist das ein Beruf?«

»Ist es ein Beruf«, fragt der Elefant zurück, »jeden Tag als unbezahlter Sklave bei der BRD GmbH anzuschaffen? Unter der Konzernleitung von Angela Mehrkill und ihrer ReGIERung?«

Ich antworte lieber nicht. Gleichzeitig bin ich beeindruckt, dass er es geschafft hat, die mittleren Buchstaben GROSS auszusprechen.

»Schon mal drüber nachgedacht, warum es Personalausweis heißt, Amigo?«, fragt der Elefant. »Weil wir nur Angestellte sind in diesem Marionettenstaat. ›Personal‹, verstehen Sie?«

Ich verstehe, dass es höchste Zeit ist, die bekloppte Riesenrunzel aus meiner Wohnung zu bekommen. Mir kommt eine Idee.

»Sie verzeihen, Herr Nachbar, ich muss leider wieder an die Arbeit«, sage ich und stehe auf, »der Anti-Strahlen-Spiralograph hat noch ein Funkloch, das dringend gestopft werden muss.« Ich zeige auf das vergoldete Staubsaugerrohr, das tatsächlich, wie es sich für ein Rohr gehört, zwei Löcher aufweist. »Immer diese Allstrahlen«, füge ich entschuldigend hinzu.

»Okäse, Majonäse«, sagt der Elefant und nickt. Er steht tatsächlich auf und bewegt sich, grazil wie ein Betonmischer, in Richtung Flur. Der Dieter-Nuhr-Armleuchter kippt nach rechts um und holt sich einen Riss an der Birne.

Schon im Hausflur, dreht sich der Elefant noch mal um.

»Wollen wir uns nicht in Zukunft duzen, Nachbarmigo?«, fragt der Elefant.

Auf keinen Fall, denke ich.

»Auf jeden Fall«, sage ich.

»Fein«, sagt der Elefant. »Ich bin übrigens der Elefant.«

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