Читать книгу Schaaf ermittelt - R. J. Simon - Страница 3
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ОглавлениеVon Bredow erwartete ihn schon mit einer gewissen Ungeduld. Allerdings, und das erstaunte Kriminalhauptkommissar Schaaf, sah sein Chef entspannt und freundlich aus. Die Spannung seines Vorgesetzten von Bredow bezog sich einzig darauf seine Neugierde befriedigt haben zu wollen, betreffend des Engagements Schaafs an der Côte d'Azur. Schaaf hegte eine ganz leise Hoffnung, dass die negativen Schwingungen zwischen ihm und seinem Chef mit dem erfolgreichen Einsatz in Nizza zu guter Letzt vergessen waren.
Bevor von Bredow Schaaf davon zu überzeugen versuchte, dass er an diesem Experiment teilnehmen sollte, hatte er kaum ein gutes Wort für ihn übrig. Natürlich nahm von Bredow sich bei diesem Gespräch zurück. Er erhoffte sich schließlich etwas von seinem Kriminalhauptkommissar. Es gab keine bösen Worte, die Stimmung war locker und entspannt. Schaaf würde die damalige Unterhaltung sogar als angenehm bezeichnen.
Bei ihrem Gespräch zu dem Beamtenaustausch lernte Schaaf völlig neue Seiten an seinem Chef kennen, die der vorher sehr gut vor ihm verbarg. Von Bredow war zuvorkommend, nett und freundlich. Scherzte sogar mit ihm, was er davor strikt vermied. So erlebte er von Bredow bis dahin nie und dieses ungewohnte Verhalten weckte eine gewisse Skepsis in Schaaf.
Schaaf vermutete dahinter mehr, als es am Ende war. Von Bredow wollte einfach nur ihn als Repräsentant der deutschen Kriminalpolizei in diesen Einsatz schicken. Schaaf traute er am ehesten zu, diese Aufgabe in seinem Sinne zu meistern. Er lobte sogar „seinen besten Mann“. Solche Anerkennung ließ er Schaaf bis dahin nie zuteilwerden.
Der Beamtenaustausch, bei dem Schaaf hervorragende Arbeit in Frankreich leistete, lag zwar schon Wochen zurück, aber sein Boss fand bisher keine Zeit sich ausführlich mit seinem besten Mann darüber zu unterhalten. Das gedachte er nun nachzuholen.
Schaaf überlegte für einen kurzen Moment, ob er sich angesichts des 1. Aprils, einen Scherz mit seinem Chef erlauben solle. Als Test ob der immer noch mit ihm lachte, oder seinen Humor bereits wieder, wie seinen Hals im steifen Kragen, eingeschnürt hatte. Ihr Verhältnis nahm schließlich eine positive Wendung und damit gab es die Möglichkeit ein wenig Spaß in den Tag zu transportieren.
Beim Eintreten ins Büro lächelte der Dezernatsleiter seinem Kommissar freudig entgegen. Er verlor sogar keine Silbe über die Verspätung, die sich Schaaf damals erlaubte. Er reiste nämlich einen Tag später aus Frankreich an als von seinem Chef geplant.
„Schön dass sie da sind Herr Schaaf. Nehmen sie Platz“.
Die Begrüßung begann vielversprechend. Von Bredow zeigte weiterhin die gleiche Freundlichkeit, wie bei ihrem letzten Zusammentreffen. Schaaf konnte das beinahe nicht glauben und blieb weiter skeptisch. Hatte der Auslandeinsatz von Schaaf seinen Chef in dessen Einstellung zu ihm tatsächlich derart umgestimmt?
„Möchten sie einen Kaffee?“
„Gerne. Vielen Dank.“ Schaaf nahm das Angebot hauptsächlich deswegen an, um die Ernsthaftigkeit die dahinter steckte zu testen. Wirkliche Lust auf einen Kaffee verspürte er nicht.
Von Bredow bewirtete ihn tatsächlich mit Freude. Sollten sich die geheimen Wünsche von Schaaf wirklich erfüllen und es zeichnete sich ein vernünftiger Umgang miteinander ab? Nicht, dass Schäfchen konfliktscheu gewesen wäre. Zurückhaltung und Nachgiebigkeit im falschen Moment trainierte ihm der jahrelange Beruf als Ermittler ab. Aber stetig im Streit mit dem Vorgesetzten zu liegen und kein Gespräch ohne Spannungen mit ihm zu führen war auf die Dauer sehr ermüdend. Wenn er dennoch diese Situationen gerne nutzte, um von Bredow mit Sticheleien aus der Reserve zu locken und seine Bemerkungen offen ignorierte, sich dann beim Gelingen darüber freute, brauchte er solche Spielchen nicht um glücklich zu werden. So etwas vergeudete nur unnötig Kraft, die Schaaf dringend benötigte, um seine Fälle zu lösen.
Schäfchen wollte nur seine Arbeit im Sinne der Opfer gründlich erledigen, um die Täter zu überführen. Ohne sich dabei mit seinem Chef über die Vorgehensweise zu streiten. An die gesetzlichen Vorgaben hielt er sich sowieso immer. Und er war gut in dem was er tat.
„Nun erzählen sie mal von Nizza“, sagte von Bredow nachdem er ihm die Tasse mit seinem schönsten Kameralächeln, wie er es normal nur für die Reporter bei den Pressekonferenzen zeigte, auf den Tisch gestellt hatte.
Von Bredow servierte ihn an dem kleinen Besprechungstisch in seinem geräumigen Büro. Sich wie gewöhnlich als der große Chef hinter seinem Schreibtisch zu platzieren und Schaaf davor zitiert, hielt er wohl für unpassend. Das erweckte den Eindruck eines disziplinarischen Rapports, den er vermeiden wollte. Von Bredow zeigte Einfühlungsvermögen. Eine weitere neue Seite an ihm. Sein Chef nahm den Platz gegenüber von Schäfchen ein und erwartete freundlich lächelnd dessen Bericht.
„Danke.“ Schaaf begann von den Fällen zu berichten mit denen er in Frankreich konfrontiert wurde. In Kurzform erzählte er seinem Chef von der Witwe, deren Mann gerade sechs Wochen zuvor bei einem Autounfall ums Leben kam und dass sie selbst an dem Tag ebenfalls von einem Auto überfahren wurde, als Schaaf seinen Dienst in Nizza antrat. Als Schaaf sagte, dass es ihm sehr seltsam vorkam, dass die Frau barfüßig und nur leicht bekleidet auf der Straße unterwegs war und er deswegen den Verdacht bekam, dass es bei ihrem Tod nicht mit rechten Dingen zuging, lachte von Bredow.
„Genauso kenne ich Sie und kann ich Sie mir lebhaft vorstellen.“
Schaaf nahm es in diesem Fall als ein Kompliment hin. Oft genug gab es in der Vergangenheit heftige Meinungsverschiedenheiten, weil von Bredow bei so manchem Fall von einem Unglück ausging und Schaaf genau daran zweifelte.
Gespannt und interessiert lehnte sich von Bredow zurück und verfolgte Schaafs weitere Ausführungen. Ganz ohne Vorwürfe, ohne jeglichen missfallendem Unterton in spitzfindigen Fragen, ohne ihn zu unterbrechen oder abwertenden Blick. Er hörte ihm einfach nur zu.
Als Schaaf in seinem Bericht zu dem Killer kam, den sie ebenfalls während seiner Zeit in Frankreich ermordet auffanden, wurde von Bredow noch hellhöriger. Er richtete sich gerade auf und stoppte mit dem Umrühren seines Kaffees.
Die Begeisterung für das Land und die Gegend um Nizza in die Schaaf dabei abschweifte, konnte er bei seinen Erzählungen nicht leugnen. Die Schwärmereien von Schaaf überging von Bredow, denn er wollte nur möglichst viele Fakten und Details zu dem Fall des Killers hören.
„Erzählen sie mir mehr über den Schatten!“ forderte er.
Von Bredow war clever genug zu kombinieren, dass es sich hierbei um den Killer handelte, der in ganz Frankreich gesucht wurde und den sie nur „Der Schatten“ nannten, weil er offenbar für unzählige Exekutionen verantwortlich war, aber nie gesehen wurde und es absolut keine Hinweise auf ihn gab. Er tauchte auf, tötete und verschwand wie ein Gespenst.
Den Erfolg seines Kommissars, diesen Fall aufzulösen, gedachte von Bredow für sich und sein Dezernat ausbeuten zu können. Denn einer seiner Kommissare war maßgeblich an der Aufklärung dieser Morde beteiligt! Wenn das auch bereits als kleine Meldung in einer Zeitung stand, was Schaaf noch aus Frankreich über Harry Flink organisierte, so war es trotzdem eine Tatsache für von Bredow, mit der er sein eigenes Image aufpolieren konnte. Schaaf vermutete, dass von Bredow plante die Geschichte groß aufzuziehen und darüber ausführlich in der Presse berichten zu lassen, um wieder einmal mehr Achtung in der Öffentlichkeit zu erlangen.
Das verursachte ihm scheinbar auch die gute Laune. Er sah sich womöglich im Geiste bereits auf den Titelseiten aller großen Tagesblätter als der Macher hinter dem Ermittlungserfolg im Glanz von Schaafs Arbeit.
Für Schaaf bedeutete das kein Problem, dass sein Chef die Lorbeeren dafür einheimste. Sein Antrieb bestand nur darin, Verbrecher zu überführen und sie vor Gericht zu bringen. Gerechtigkeit zu schaffen war sein Ziel und der Sieg über das Verbrechen sein Lohn. Öffentliche Aufmerksamkeit und im Mittelpunkt zu stehen hasste er.
„Und sie als deutscher Kommissar waren bei der Aufklärung dabei! Das ist doch eine Sensation. Schaaf, ich wusste immer, dass Sie genial sind.“
Von Bredow lobte ihn schon wieder! Er sah es endlich ein. Hoffentlich vergaß er diese Einstellung nicht schon am nächsten Tag, so dass ihre Zusammenarbeit weiterhin entspannt verlief.
Das Telefon unterbrach den Bericht von Schaaf. Von Bredow hob den Zeigefinger als Zeichen, dass Schäfchen sich einen Moment gedulden möge, ging zu seinem Schreibtisch und nahm das Gespräch an. Mit dem Hörer am Ohr wurde sein Gesichtsausdruck sofort ernst. Seine gewohnte Miene trat hervor. Schaaf beobachtete ihn und nahm einen Schluck seines Kaffees, während von Bredow sich Notizen auf einen Zettel schrieb.
„Ja, Ok, wir kümmern uns sofort darum“, beendete von Bredow das Telefonat, setzte sich in seinem Bürostuhl und wand sich wieder Schaaf zu. Lächelte sogar ein wenig zurückhaltend.
„Wir haben einen Toten. Unseren Plausch müssen wir leider verschieben. Bitte kümmern Sie sich darum. Das wird schnell erledigt sein, denn es handelt sich offensichtlich um einen Suizid.“
Wie eh und je saß von Bredow nach dem Telefongespräch in dem Glauben vor Schaaf, der inzwischen auch zum Schreibtisch gegangen war, alles zu wissen, selbstgerecht und überheblich im bequemen Ledersessel, als er ihm seine Einschätzung zu dem Fall aufdrängte. In dieser Beziehung blieb er der Alte.
Für den Chef zählten nur Statistiken und Zahlen. Kriminalhauptkommissar Schaaf hatte längst aufgegeben sich darüber zu ärgern, oder zu versuchen, dem jungen Schnösel seine Denkweise näher zu bringen. Er würde sie in hundert kalten Wintern nicht verstehen können.
Von Bredow war und blieb ein reiner Bürokrat; ein Zahlenmensch und Statistiker. Über die Praxis der Ermittlungen wusste er ungefähr so viel, wie ein Elefant vom Fliegen. Von Bredow war ein Theoretiker durch und durch. Ein Verwaltungsmensch par excellence. Ihm waren Phantasie und abstraktes Denken, das auch einmal um die Ecke gehen konnte, völlig fremd. Von Bredow kannte nur Vernunft, Tabellen und geplante Disziplin.
Nach einem, zugegeben sehr erfolgreichen Studium und verschiedenen Ämtern im Staatsdienst, wurde er direkt auf den Stuhl des Dezernatsleiters gesetzt. Klar, auf Erfahrungswerte konnte der in seinem Alter nicht zurückgreifen. Besaß nur sein theoretisches Schulwissen, dokumentiert in Diplomen. Glaubte aber trotzdem daran, alles zu wissen und seinen Untergebenen überlegen zu sein. Diese Einstellung ließ ihn obendrein oft unverhohlen arrogant wirken.
Nur weil er auf dem Posten des Dezernatsleiters saß, meinte er, sich in der Kriminalistik bestens auszukennen. Obwohl er noch niemals aktiv einen Fall aufklärte oder wenigstens bei der Lösung eines Verbrechens dabei gewesen war. Von Bredow würde schon daran scheitern, die Übeltäter zu finden, die mit ihrem Fußball eine Scheibe eingeschossen haben. Selbst wenn die Lausbuben noch erschrocken mit dem Ball unterm Arm danebenstehen würden. Dafür gab es nämlich keine Statistik und keine Formel.
Die Antipathie und das gelegentlich despektierliche Verhalten von Kriminalhauptkommissar Schaaf seinem Chef gegenüber, ergab sich auch nicht aus Bitterkeit darüber, dass er selbst gerne den Chefposten besetzt hätte, weil Schaaf glaubte durch seine Erfahrung und Anzahl an Dienstjahren den verdient zu haben. Dafür war ausschließlich die fehlende fachliche Kompetenz seines Chefs ausschlaggebend und dass der sich trotzdem einbildete der einäugige unter den Blinden zu sein. Wenn der sich aus der Arbeit von Schaaf heraushalten würde und sich nur um seine Tabellen und die Öffentlichkeitsarbeit kümmerte, hätten sie beide keinerlei Probleme miteinander. Aber das konnte von Bredow nicht. Er meinte stets seine unkompetenten Kommentare, mit denen er zudem meist falsch lag, einbringen zu müssen und Schaaf bei der Arbeit bevormunden zu wollen.
Denn der Musterschüler von Bredow ahnte nicht, dass er nur zweite Wahl für den Chefsessel war, den er innehatte. Wenn Schaaf damals den Posten nicht abgelehnt hätte, säße nämlich er auf von Bredows Platz.
Das aber konnte Schaaf nicht! Das wäre gegen seine Natur. Er war ein Praktiker und würde, festgenagelt hinter einem Schreibtisch, den ganzen Tag nur mit Theorie und Papier beschäftigt, eingehen. Eingesperrt in ein Büro wären Schaafs Talente vergeudet. Er musste raus auf die Straßen den Verdächtigen in die Augen sehen, sie als Täter somit erkennen und sie dann überführen. Das war seine Berufung, die er beherrschte und erstklassig erfüllte. Und nichts anderes.
Vielleicht sollte er diese Tatsache bei passender Gelegenheit seinem Chef um die Ohren hauen, dachte sich Schaaf immer wieder, wenn er sich über dessen Unwissenheit und unsympathisches Gehabe ärgerte. Das brächte ihm vielleicht Genugtuung und würde von Bredow aus dem Sattel seines hohen Rosses werfen. Bisher zog Schaaf diesen Trumpf jedoch nicht.
Noch abgelenkt von seinen Gedanken sah Schaaf wie Herr von Bredow ihm die bereits vorliegenden Daten und die Adresse, bei der der Tote aufgefunden wurde, in Form des Notizzettels über den Tisch schob. Schäfchen warf einen flüchtigen Blick darauf und steckte ihn in die Tasche.
„Wer hat ihn gefunden?“
„Die Ehefrau heute Morgen als sie nach Hause kam“. Von Bredow legte sofort einen Blick gegenüber Kriminalhauptkommissar Schaaf auf, den Schäfchen kannte und der ausdrückte: `Stellen sie doch nicht schon wieder zweifelnde Fragen. Der Fall ist glasklar´.
Die Freundlichkeit und Achtung vor Schaafs Können begann bereits mit dem neuen Fall zu bröckeln. Sie hielt keinen Tag an. Natürlich konnte Schaaf aus den mageren Fakten nicht auf einen Mord schließen, aber von Bredow im Gegensatz auch ebenso wenig pauschal von Suizid ausgehen. Irgendwer brachte bei dem Telefonat wohl das Schlagwort Suizid ein, von Bredow griff dieses auf und nahm es als Gegebenheit hin.
Schaafs Aufgabe war es zu zweifeln und kritisch zu sein, um Verbrechen zu entlarven. Wer den ersten Anschein als Tatsache annimmt ohne gesundes Misstrauen und ohne zu hinterfragen und diesen zu überprüfen, dem blieben Verbrechen verborgen. Diese wurden, wenn sie geplant waren, gerne als Unfall oder Selbstmord getarnt. Diesen Versuch gab es immer wieder und wird es auch in Zukunft geben. Kriminalhauptkommissar Schaaf ließ sich nicht vom Offensichtlichen blenden und hakte nach, blieb skeptisch, stellte Fragen. Aus reiner Bequemlichkeit alles so hin zu nehmen wie es aussah konnte Schaaf nicht. Damit wäre er auch fehl am Platz! Und wenn es den geringsten Zweifel oder eine Unstimmigkeit gab, bemerkte diese Schaaf, sein Jagdinstinkt erwachte und er hetzte und verfolgte den Täter, bis er ihn überführte. Das schuldete er den Opfern. Sonst gab es keinen, der für sie kämpfte und für Gerechtigkeit sorgte.
Sein Chef dachte sicherlich schon wieder an seine Aufklärungsstatistik, die durch die Auflösung eines Falles innerhalb von einem Tag, herrlich verbessert werden würde.
„Aha. Die Kriminaltechnik ist schon dort?“
„Die dürften gerade auf dem Weg sein. Die Meldung ist noch nicht alt.“
„Dann fahre ich mit Busch mal hin und sehe mir das an.“
„In Ordnung. Nehmen sie die Sache auf und schließen den Fall dann gleich ab. Nicht nur ansehen!“, gab von Bredow seinem besten Mann noch einmal mit auf den Weg.
Kriminalhauptkommissar Schaaf ging nicht darauf ein, verabschiedete sich mit einem knappen Kopfnicken von seinem Chef. Eine Diskussion wollte er erst gar nicht aufkommen lassen. Das war mühsam und brachte nichts. Von Bredows voreilige Urteile mochte Schaaf nicht leiden und widerlegte ihm diese bereits mehrfach. Ob es sich hier wirklich um einen Selbstmord handelte, würde Schaaf selbst beurteilen und sich keine Meinung aufzwängen lassen oder weil es so schön passte und bequem war, ohne eigene Überlegungen den Fall abschließen. Im Sinne der Toten blieb er stets resistent gegen Beeinflussung.
Unverzüglich ging er zurück in sein eigenes Büro, um seinen Assistenten Herr Busch dort abzuholen.
Schneider lobte Busch gerade, was sehr ungewöhnlich für ihn war. Dahinter steckte bestimmt etwas anderes als es sich zunächst anhörte. Schäfchen nahm sich die Zeit und wartete den kurzen Dialog ab.
„Hey Busch, du siehst heute richtig gut aus!“
„Oh danke, das ist nett. Und solch ein Lob von dir!“
Schneider grinste, was direkt den Verdacht erweckte, dass nun eine Gemeinheit folgte. Und er kippte das Positive des Lobs mit zwei Worten zum Negativen.
„April, April!“
Busch zog eine gelangweilte Grimasse. Schäfchen und Bert lachten zusammen mit Schneider.
„Busch, wir haben einen neuen Fall. Wohl ein Selbstmord. Meint zumindest unser Chef. Da fahren wir sofort hin.“ kam Schaaf gleich ohne Umwege zum Ernst zurück.
„Ich mach nur noch schnell die Statistik zu Ende.“
„Ich habe sofort gesagt! Die Statistik kann warten. Die ändert sich sowieso nicht mehr“ entgegnete Schaaf ruhig, aber absolut bestimmt. „Statistiken!“ grummelte er noch kurz vor sich hin.
Herr Busch brach daraufhin seine Arbeit ab, speicherte die Daten und beeilte sich zu seinem Chef zu kommen, der bereits an der Tür wartete.
In seiner aufkommenden Hektik gab Busch seinem Schreibtischstuhl beim Aufspringen so viel Schwung, dass dieser seitlich wegschoss und genau in den Lauf von Kollegen Bert rollte, der darüber stolperte und beinahe zu Fall kam. Bert konnte sich gerade noch fangen, taumelte und vermied den Sturz mit Mühe und einigen Verrenkungen.
„Hey!“
„Tschuldigung“, murmelte Busch verlegen. Seiner Ungeschicklichkeit fiel er meist selbst zum Opfer. Aber manchmal traf es auch sein Umfeld wie in dieser Minute. Daran gewöhnten sich seine Kollegen und Schaaf inzwischen.
Busch gehörte noch nicht allzu lange der Truppe um Kriminalhauptkommissar Schaaf an. Ihm fehlte oft noch das Verständnis für die Eigenarten seines Chefs.
Dass Kriminalhauptkommissar Schaaf mit einer Leiche am Tatort immer einen Moment alleine sein wollte, erfuhr Busch bereits. Dazu verlangte Schaaf möglichst schnell am Tatort zu sein, bevor irgendwer etwas anfasste und dadurch eventuell veränderte. Die Situation musste möglichst unberührt und unverfälscht wie in der Sekunde des Todes bestehen. Daher rührte sein Drängen. Schaaf, so hatte es den Anschein, sog die Stimmung und die Aura am Tatort regelrecht in sich auf. Welchen Zweck das hatte und was er da fühlte und herauslas wusste keiner.
Auch, dass er den Kriminalhauptkommissar nicht stören durfte, wenn der sich konzentrierte und nachdachte, lernte Busch inzwischen. Besonders, wenn Schäfchen zur Unterstützung seiner Gedanken seinen Knetball bearbeitete, tat Busch gut daran keine Fragen zu stellen. Dumme, unüberlegte Fragen konnte Kriminalhauptkommissar Schaaf obendrein grundsätzlich nie leiden, auch wenn er gerade völlig relaxt war. Solche empfand er immer als störend. Er verlangte eigenes Denken, das so manche Frage überflüssig machte. Und Busch musste sich penibel an die Vorgaben seines Chefs halten, wenn der wichtige und heikle Gespräche mit Tatverdächtigen oder Zeugen führte. Dabei durfte nichts seine Konzentration stören. Der ansonsten entspannte und gemächliche Schaaf konnte dann tatsächlich ungehalten werden.
Weil Busch sich schon so manchen Tadel bei seiner Wortwahl einhandelte, lernte er bereits ebenso, dass Kriminalhauptkommissar Schaaf die deutsche Sprache bevorzugte. Moderne, dann meist englische Begriffe, waren ihm ein Graus und erregten sein Gemüt. Mit Anglizismen wie Brainstorming, Update und Meeting handelte sich Busch schon verbale Maulschellen ein, als er diese Angeberbegriffe anwandte.
Als Assistent erledigte Busch seine Arbeit aber schon ganz gut. Schaaf war im Grunde zufrieden mit ihm. Nur wusste er eben noch nicht alle Belange, auf die der Kriminalhauptkommissar Wert legte. Wenn es einen neuen Fall gab, duldete dieser keine Verzögerung, wie Busch gerade eben erfuhr. Es gab dann nichts Wichtigeres, als so schnell wie nur möglich zu dem Toten zu gelangen und sich den Tatort und die Leiche anzusehen. Wobei Kriminalhauptkommissar Schaaf dann auch wiederum seine ganz besondere Eigenart der Leichenbeschau vornahm, die Busch längst kennenlernen durfte.
„Sie fahren“, wies er Busch beim Verlassen des Polizeipräsidiums knapp an. Aber auch das kannte Busch inzwischen. Er wurde anfangs von seinen Kollegen darauf hingewiesen, dass der Chef sich nur im äußersten Notfall selbst hinters Steuer setzte. Der Ton, fast eine Warnung, in dem er diese Tatsache berichtet bekam, sagte ihm, dass dahinter irgendwas Großes stecken musste. Was das sein konnte lag für ihn allerdings noch im Verborgenen.
Auf der Fahrt, die Kriminalhauptkommissar Schaaf auf dem Beifahrersitz verbrachte, erklärte er seinem Assistenten was er durch von Bredow bereits wusste und um was es scheinbar ging. Die mageren Fakten also, die der Dezernatsleiter Kriminalhauptkommissar Schaaf mitteilte und die Schäfchen irgendwie anzweifelte. Frau ist unterwegs, der Mann bringt sich in der Zwischenzeit um und sie findet ihn als sie nach Hause kam. Möglich, aber für Schaaf zu viel Klischee.
Busch parkte direkt vor dem Haus, in dem der Tote aufgefunden wurde und sie stiegen aus. Es herrschte bereits die arbeitsame Hektik, die ein solcher Einsatz mit sich brachte. Die Kollegen von der Spurensicherung schleppten gerade ihre Alukoffer in das Einfamilienhaus. Andere zogen auf dem Gehweg ihre Schutzoveralls und die Überzieher für die Schuhe an. Vor dem Haus parkten eine Luxuskarosse und ein Zweisitzerflitzer. Einige schaulustige Nachbarn standen natürlich auch schon im Weg und in den Hausfluren, um etwas erspähen zu können und um das Geschehen zu verfolgen.
Kriminalhauptkommissar Schaf sah, auf dem Trottoir stehend, scharfsichtig die Straße in beide Richtungen entlang. Busch versuchte erst gar nicht zu verstehen, was es da Wichtiges zu entdecken geben könnte. Eine Straße halt. Er wartete die Zeit ab bis Schaaf seine visuelle Untersuchung beendete und sich dem Eingang zuwandte.
Beim Betreten des Hauses grüßte Kriminalhauptkommissar Schaaf die Kollegen, die bereits emsig arbeiteten und vorhandene Spuren sicherten. Jeder einzelne erwiderte den Gruß des Kommissars freundlich kollegial. Schaaf wurde von jedem geachtet und respektiert. Von vielen sogar bewundert. Er galt als der Meister unter den Kriminalisten. Im Kommissariat gab es den Spruch, dass es im Rhein-Neckar-Kreis das perfekte Verbrechen nicht gäbe. Denn da ermittelte Kriminalhauptkommissar Schaaf. Schäfchen allerdings wollte solche Lobreden nicht hören.
Herr Busch, sein Assistent, folgte seinem Chef und grüßte ebenfalls rundum. Er wurde allerdings weniger beachtet. Was Busch aber kaum störte. Wahrscheinlich bemerkte er den Unterschied gar nicht.
Kriminalhauptkommissar Schaaf sah sich zunächst im Erdgeschoß des Hauses um. Die Arbeit der Spurensicherung versuchte er dabei nicht zu behindern. Der Tote, Heiko Arbel, war der Eigentümer des Hauses und lag im Erdgeschoss im Essbereich hinter dem Tisch auf dem Boden und nur dort, in diesem Umfeld, suchten die Kollegen alles akribisch ab.
„Hat die Leiche schon jemand angefasst?“
„No“, reagierte jemand.
„Okay, bitte unbedingt ganz genau so liegen lassen, wie er liegt! Am besten erst anfassen, wenn ich ihn mir dann angesehen habe.“
„Geht in Ordnung“, versprach Dr. Krawczick. Er kannte Schaaf auch schon ewig, arbeitete seit Jahren mit ihm zusammen und wusste so, was dieser wollte und dass er gut daran tat, der Anweisung zu folgen. Er und die Kollegen würden zuerst das Umfeld absuchen und erforschen und ihre Untersuchungen an der Leiche und die Beweissicherungen an ihm so vornehmen, dass dabei alles unverändert blieb.
Also nahm Kriminalhauptkommissar Schaaf sich vorerst die restlichen Bereiche in dem noblen Haus vor, in denen es direkt keine Untersuchungen gab. Das freistehende Haus, welches in einem vornehmen Viertel lag, hatte Stil und gehörte zur gehobenen Klasse. Schon die Eingangstüre entsprach einem hohen Sicherheitsstandard, sah sehr stabil aus und verriegelte mit großen Schließbolzen mehrfach an drei Seiten. Eine Videokamera überwachte zudem den Eingangsbereich vor dem Haus. Der Bildschirm dazu war in der Gegensprechanlage integriert.
„Weiß jemand ob diese Kamera Aufnahmen speichert?“ rief Schaaf zu den Kollegen.
„Nein die speichert nichts. Ist ne reine Direktkamera, die nur den Moment auf den Bildschirm überträgt“, antwortete einer der Technikerkollegen.
Die Fußböden bestanden aus feinstem Marmor mit silberfarbenen Metallintarsien. Darauf lagen geschmackvolle, edle Teppiche. Kein Kitsch oder eine Parodie von wertvollem Anschein. Alles besaß Geschmack. Die Einrichtung des Wohnbereiches entstammte auch keiner Massenproduktion. Ausnahmslos edle Hölzer und Materialien. Kriminalhauptkommissar Schaaf tippte auf von einem Möbelschreiner angefertigte Einzelstücke. Selbst den Beschlägen der Fenster sah man an, dass diese keine gewöhnliche Ware waren. Schaaf entriegelte eines der Fenster und schloss es wieder, um sich seine Vermutung zu bestätigen. Alles massiv und stabil. Die Wohnräume waren ordentlich, aufgeräumt und sehr gepflegt.
Bei seinem ausführlichen Rundgang fand Kriminalhauptkommissar Schaaf dann im Obergeschoss die Ehefrau des Toten auf dem Bett sitzend. Nachdem er sich ihr vorgestellt hatte und sie fragte, ob sie Frau Arbel sei, was sie mit leichtem Schluchzen bejahte, sprach er ihr seine Anteilnahme aus. Dann stellte er seinen Assistenten vor, der ebenfalls sofort der Witwe die Hand zum Kondolieren reichte.
Frau Arbel war eine außerordentlich hübsche Frau mit dunklen, beinahe schwarzen Haaren. Sehr elegant gekleidet und gepflegt. Sie war dezent und unaufdringlich geschminkt. Eine Lady, wie man sie sich vorstellt.
„Sie haben ihren Mann gefunden?“
„Ja, heute Morgen als ich nach Hause gekommen bin. Ich war für drei Tage auf einer Fortbildung für Zahntechnik in Frankfurt. Und als ich zurückkam, sah ich ihn da liegen“. Weiter konnte sie nicht reden, weil die Worte vom Weinen erstickt wurden.
Schäfchen ließ ihr einen Moment und überlegte ob sie die Bemerkung, dass sie für drei Tage unterwegs war nicht etwas zu arg betonte, bevor er weiter fragte: „Wann sind sie zu dem Lehrgang gefahren?“
„Ich bin vor drei Tagen am Montag losgefahren.“
Sie erwähnte die drei Tage gleich noch einmal, anstatt einfach zu sagen am Montag.
„Und heute Morgen wieder zurückgekommen?“
„Ja“, kam es leise von der Witwe und ihr Blick verlor sich irgendwo an der gegenüberliegenden Wand.
„In welchem Hotel hatten sie logiert“, erkundigte sich Kriminalhauptkommissar Schaaf und Frau Arbel gab ihm die gewünschte Auskunft. Sie musste dazu keinen Moment überlegen und nannte den Namen des Hotels und ebenso den der Straße.
„Gut. Vorerst habe ich keine Frage an sie. Beruhigen sie sich erst einmal. Wir brauchen noch eine gute Stunde, dann sind wir weg. Versuchen sie dann zu schlafen.“
„Werde ich versuchen, ja. Oh Gott ich muss ja noch im Geschäft anrufen“, schob sie dann ein wenig munterer nach. Dabei musterte Schäfchen sie ganz genau, wie Busch beobachten konnte. Es war ihm, als ob da ein kleines Aufblitzen in den Augen seines Chefs zu sehen gewesen wäre. Busch wusste, dass Schaaf die winzigsten Kleinigkeiten in Bewegung, Mimik und Betonung sofort auffielen. Und scheinbar gab es da etwas, was Busch selbst aber verborgen blieb. Vielleicht war es auch nur, dass für Kriminalhauptkommissar Schaaf diese Bemerkung ein zu deutlicher Hinweis war, dass sie an ihren Arbeitgeber noch gar nicht dachte, bei der Aufregung.
„Wo arbeiten sie“, fragte Kriminalhauptkommissar Schaaf bei der Gelegenheit wie beiläufig noch kurz nach. Frau Arbel nannte ihm daraufhin den Namen und die Anschrift der Firma, in der sie als Zahntechnikerin beschäftigt war.
Busch schrieb parallel alle Angaben mit, ohne dass der Kommissar ihm das anweisen musste. Diese Fakten brauchte sein Chef sicherlich und so notierte sie Busch, bevor er deswegen einen Rüffel bekäme, wenn er das nicht tat. Busch schrieb lieber direkt auf seinem Smartphone, aber Schaaf verlangte die Notizen auf Papier.
Dass diese Angaben von Frau Arbel in einem recht nüchternen Tonfall gemacht wurden, merkte Busch nicht. Kriminalhauptkommissar Schaaf erkannte den Unterschied hingegen gleich.
Sie verließen hintereinander das geräumige Schlafzimmer, schlossen leise die Tür und stellten sich auf den Flur. Dieser war ebenfalls sehr geschmackvoll und sicherlich nicht mit Standardgegenständen aus dem Baumarkt eingerichtet. An den Wänden, die teilweise mit Marmorplatten mit unregelmäßigen Kanten abgestuft verkleidet war, verbreiteten mehrere Wandleuchten ein angenehmes Licht. Die zwölf Tierkreiszeichen zierten als plastische Steinplatten die Längsseiten.
Herr Busch kannte seinen Chef inzwischen insoweit, dass er wusste, dass er ihn jetzt nicht ansprechen durfte. Er war geistig ganz bei dem Fall, seine Sinne zeichneten auf und seine Gedanken rotierten. Es hätte Busch brennend interessiert, ob seine Beobachtung, das Aufblitzen in Schaafs Augen betreffend, stimmte. Ebenso fragte sich Busch, warum er Frau Arbel nicht weitere Fragen zum Tod ihres Mannes stellte.
Kriminalhauptkommissar Schaaf ließ das Umfeld auf sich wirken. Schritt durch das Haus. Blieb manchmal unverhofft stehen und erhob seinen Finger, als ob er auf etwas zeigen würde, das für Busch unsichtbar war. Musterte still die Wände und die Decke. Oder er drehte sich ganz langsam im Kreis. Dann ging Schaaf wieder weiter und Busch folgte ihm leise auf dem Fuß.
Ein wunderschönes luxuriöses Bad gab es zu besichtigen. Mit viel Platz, hell und geräumig, wie Schaaf es selten sah. In einer Ecke ein Whirlpool für mindestens vier Personen der Größe nach. Im anderen Eck eine ebenerdige Dusche bei der der Boden aus runden Kieselsteinen bestand, was sehr gut als Fußsohlenmassage geeignet sein soll. Über den beiden Waschbecken zwei Spiegel in Fenstergröße, die zur Seite geschoben jeweils ein verborgenes Einbauregal in der Wand freigaben, worin sich die Toilettenartikel befanden. Unzählige Tuben, Fläschchen, Flacons, Schminkutensilien und Döschen kamen zum Vorschein.
Alle Parfüms, Seifen, Shampoos und Pflegemittel stammten von bekannten hochwertigen Marken. Einige waren Schaaf gar unbekannt. Eine Tagescreme im edlen Tiegel, deren Hersteller Schaaf ebenfalls nicht kannte, hob er an und drehte ihn um. Auf dem Boden befand sich noch der Preis. 92.-€! Von dem Geld müssen andere Menschen Lebensmittel für zwei Wochen kaufen! Ein Wahnsinn. Daneben stand zudem noch die gleiche Sorte als Nachtcreme. Wer es sich leisten kann!
Schäfchen besah sich nach dem Bad auch alle übrigen Zimmer nacheinander ganz genau. Jede Ecke der Räume überprüfte der Chef, schaute manchmal sogar in den toten Winkel hinter den geöffneten Türen und Busch verstand wieder nicht, was er da eigentlich suchte, oder zu finden gedachte. War das nur reine Neugier oder warum nahm er jedes Eck in Augenschein? Was sollen einem Ermittler die Mauern und Räume in Bezug auf die Todesursache verraten? Ein unergründliches Rätsel für Busch.
An der Videoüberwachung des Eingangsbereichs spielte Schaaf sogar ein wenig an den Knöpfen. Kam mit der modernen Technik aber nicht wirklich zu Recht. Was er da versuchte einzustellen oder zu sehen, konnte Busch nicht nachvollziehen. Als die Anlage begann mit einem Warnton zu piepsen drückte der Hauptkommissar schnell einige Knöpfe bis das Signal verstummte und ließ von dem Bedienfeld ab. Kommentarlos folgte Busch seinem Chef weiter.
Dort im Erdgeschoss und somit außer Hörweite der Witwe angekommen, zog Kriminalhauptkommissar Schaaf dann sein Handy aus der Tasche und rief, nicht ohne vorher zu betonen, dass er diese Dinger eigentlich hasste, im Büro bei Bert an. Als der sich nach wenigen Klingelzeichen meldete, gab Schäfchen ihm den Auftrag in dem Hotel, in welchem die Ehefrau abgestiegen war anzurufen, um das Alibi zu überprüfen. Und Bert sollte, wenn das Zimmer nicht schon gereinigt worden war dafür sorgen, dass dies nicht geschieht, bevor er selbst dort gewesen sei, um es sich anzusehen.
Schaafs kriminalistischer Spürsinn war erwacht! Er begann zu ermitteln, und nicht nur den Istzustand aufzunehmen. Und wenn Schaaf zweifelte, forschte er gewissenhaft! Da gab es nichts was er nicht überprüfte. Nach dem Telefonat setzte er schweigend seine Besichtigungstour, gefolgt von Busch fort.
Bis Kriminalhauptkommissar Schaaf seinen Rundgang durch das gesamte Haus dann beendete waren auch die Kollegen von der Spurensicherung dabei ihre Utensilien und die Plastikbeutel mit den gesammelten Fundstücken darin zusammenzupacken. Das nähere Areal um den Toten war nicht groß, sodass es kein allzu großer Aufwand war, dieses zu untersuchen. Noch dazu, dass es sich bei dem Toten bis dahin für alle um einen Selbstmörder handelte. Dabei gab es naturgemäß weniger Spuren zu sichern.
Schaaf und Busch betraten wieder den Essbereich als einer der Leute, der Gerichtsmediziner Dr. Krawczick, auf ihn zukam, und ihm mitteilte: „Wir sind dann gleich so weit.“
„Was kannst du denn schon definitiv sagen?“
„Männliche Leiche, ca. 40- 45 Jahre. Wenige Stunden tot. Klassischer Selbstmord! Der hat sich irgendein Gift reingezogen. Keine Gewalteinwirkung an der Leiche zu erkennen. Es gibt einen Abschiedsbrief auf einem PC geschrieben und mit eigenhändiger Unterschrift“.
Das entsprechende Blatt hielt er Schäfchen in einem Plastikbeutel verwahrt entgegen. Kriminalhauptkommissar Schaaf überflog den Text nur. Das Geschriebene hatte einen sehr depressiven Charakter. Es war die Rede von geschäftlichem Druck, Verzweiflung und dass er nicht mehr wusste, wie es weitergehen soll. Also das Übliche. Verfasst von einem offensichtlich vom Beruf überforderten Opfer, dem das Burnout Syndrom zum Verhängnis wurde.
„Der Tote hat wohl dort am Tisch eine Tasse mit irgendetwas Giftigem getrunken und ist dann mitsamt dem Stuhl nach hinten weggekippt. Wahrscheinlich, als die Krämpfe einsetzten. Er lag als wir kamen auf dem Rücken und scheint so gestorben zu sein. Was in der Tasse war, kann ich noch nicht sagen. Sieht nach einem Tee aus. Bekommen wir aber raus.“
„O.k. Danke schon mal. Kann ich ran?“
„Ja, wir sind so gut wie weg.“
„Ihr habt ihn nicht bewegt?“
„Nein, er liegt exakt so da, wie wir ihn vorgefunden haben. Ich habe keinen Finger verändert.“
„Wartet bitte noch. Vielleicht gibt es doch noch mehr zu tun.“
„Gut, wenn du willst.“
Schaaf besah sich zunächst das Gesamtbild das sich ihm bot mit etwas Abstand. Ein Esstisch, um den Stühle standen und die Leiche auf dem Boden auf einem nach hinten umgekippten Stuhl. Irgendwas störte ihn daran. Etwas stimmte da nicht. Dann fiel es Schaaf auf: Schwingstühle! Hochwertige und schwere Schwingstühle standen um den Tisch und einer davon war nach hinten umgekippt. Auf diesem lag die Leiche in Rückenlage am Boden.
Kriminalhauptkommissar Schaaf wartete noch ein paar Minuten, bis wirklich alle Kollegen der Spurensicherung aus dem näheren Umfeld der Leiche weit genug entfernt waren und Ruhe herrschte und näherte sich dann selbst dem Toten. Kriminalhauptkommissar Schaaf ließ nun zunächst den Tatort auf sich wirken und sog die Aura lautlos und unbeweglich in sich ein. Es schien als stünde sein Atem dabei sogar still.
Danach folgte, was Busch und alle anderen in dem Raum schon beobachteten. Schäfchen besah sich den Toten ebenfalls zunächst sehr intensiv beim langsamen Näherkommen und kniete dann neben dessen Kopf nieder. Es schien, als würde er ihm eindringlich in die starren Augen sehen. Dabei hielt er eine Hand des Toten zwischen den seinen. Wie ein weiser Mann, der jemandem Trost zusprechen wollte sah das aus. In dieser Haltung verharrte der Kriminalhauptkommissar eine geraume Weile. Danach hob er vorsichtig den Kopf des Toten an und sah sich sein Gesicht und die Mundregion ausführlich an. Wiederum mit einem Nicken, als ob er sich selbst etwas gedanklich bestätigte, erhob er sich und drehte sich zu dem Tisch um.
Kriminalhauptkommissar Schaaf roch an der Tasse, die auf dem Tisch stand, ohne diese zu berühren. Überhaupt bewegte er sich sehr vorsichtig, als wenn er keinen Windhauch erzeugen wolle der Beweise verwehen könnte. Schäfchen drehte sich einmal langsam komplett um die eigene Achse und verschaffte sich damit einen Rundumblick über den Raum. Dann verharrte er wieder, als ob er auf etwas warte oder in die Stille lauschte.
Keiner machte ein Geräusch. Alle in dem Raum Anwesenden verharrten und wenn eine Uhr im Raum gestanden hätte, wäre wohl deren Pendel ebenfalls stehen geblieben. Bevor Kriminalhauptkommissar Schaaf seine „Aufnahme“ beendete, sah er noch ein letztes Mal ausgiebig zu dem Toten.
Kriminalhauptkommissar Schaaf wandte sich an den Einsatzleiter der Spurensicherung, um ihm zusätzliche Instruktionen zu erteilen, die er für nötig hielt: „Ich will von allem, was er brauchte um den Tee zu kochen Fingerabdrücke. Vom Wasserkocher, den Griffen vom Schrank in dem der Tee und der Zucker steht, Wasserhahn, und von der Tasse und dem Löffel sowieso. Den PC im Arbeitszimmer nehmen wir mit und auch davon will ich Fingerabdrücke. Von jeder einzelnen Taste, wenn es sein muss.“
Hauptkommissar Schaaf startete die Ermittlungsmaschinerie.
„Wegen eines Selbstmordes?“ fragte der Einsatzleiter unnötiger Weise nach. Denn diese Anweisungen machten klar, dass Schaaf an dieser Version zweifelte.
Schaaf wiegte seinen Kopf sanft hin und her. „Mal sehen.“
Die Kollegen machten sich gleich daran den Computer, den Drucker und die Tasse einzupacken. Schaaf lief gefolgt von Busch in die Küche. Auf der Schwelle zur Küche blieb er wieder kurz stehen und sah vorerst hinein. Busch wäre ihm beinahe aufgelaufen. Dann begann Schäfchen die Türen der Hängeschränke zu öffnen. Dabei fasste er sie nicht an den Griffen an, sondern sehr vorsichtig an der unteren Kante. Er sah in jeden Schrank. Bei manchen schob er mit einem Brotmesser die Gegenständer herum, um dahinter sehen zu können.
Danach ging er zum Spülbecken. Besah es ausgiebig, besonders den Ablauf und fasste hinein. Alles trocken! Er öffnete die Türen des Schranks darunter und untersuchte auch dort jeden einzelnen Gegenstand. Besonders die Behälter mit den unterschiedlichen Abfallsorten beäugte er sehr sorgfältig. Stocherte auch darin mit dem Messer herum. In die Spülmaschine warf er ebenfalls einen kurzen Blick. Seinem Gesichtsausdruck nach, fand er nicht das, was er suchte. Dann kamen auch schon die Kollegen der Spurensicherung dazu.
„Ihr müsstet auf den Töpfen, Besteck und der Tasse wundervolle Fingerabdrücke finden. Hier gibt es eine Spülmaschine. Da kommt das Geschirr gewöhnlich absolut sauber heraus. Dann durchsucht mir das gesamte Haus nach den Resten des Tees. Der fehlt mir nämlich. Und, versucht eine Tüte oder ähnliches zu finden, in der man Tee transportieren könnte. Worin also der Tee oder was auch immer er trank drin gewesen sein könnte. Auch draußen in den Mülltonnen!“
„Alles klar Herr Schaaf.“
„Seid vorsichtig. Solltet ihr so eine Tüte finden, sorgfältig damit umgehen und auf Fingerabdrücke untersuchen. Das wird höchst wichtig sein.“
„Machen wir.“
„Ach und ein Teesieb oder Teeei kann ich ebenfalls keines finden. Der Satz des Tees fehlt auch. Vielleicht findet ihr ihn.“
Vom Tatortfotografen forderte er Nahaufnahmen vom Gesicht des Toten und da vom unappetitlichen Auswurf um den Mund speziell. Er wollte darauf genau erkennen können, wie der Speichelfluss am Kinn, der Nase und den Wangen aussah, erklärte er nur knapp. Kriminalhauptkommissar Schaaf betrachtete sich das vorher ausgiebig selbst direkt an der Leiche und hatte dafür seine Gründe, die sich sonst keinem erschlossen. Auch verlangte er ausführliche Bilder vom Esstisch und vom Schreibtisch mit allen Details.
Ohne Regung oder Nachfragen was die Veranlassung für diesen Aufwand war, machten sich die Kollegen sofort wieder an die Arbeit. Sie kannten Schäfchen alle schon seit Jahren und wussten, dass er seine Gründe für diese Anforderungen hatte und Nachfragen unnötig waren. Als leitender Ermittler gab er die Anforderungen vor und das Team hatte sich danach zu richten. Schäfchen betrieb jedenfalls nicht ohne Anlass, aus blindem Aktionismus, einen solchen Aufwand. Scheinbar bemerkte er etwas oder es passte irgendwas nicht richtig zusammen, sodass das Misstrauen des Kommissars erweckt wurde und er suchte Antworten. Wenn er zweifelte und eine Fährte aufgenommen hatte, ging er den Dingen bis ganz auf den Grund und verfolgte jede erdenkliche Spur. Bis seine Zweifel beseitigt waren oder er eben Beweise dazu hatte. Und seine Aufklärungsquote gab Kriminalhauptkommissar Schaaf Recht!
„Den Toten könnt ihr dann wegbringen. Ich will genau wissen, an was er gestorben ist.“
„In Ordnung, den Bericht hast du bis morgen Mittag“, versicherte ihm der Pathologe Dr. Krawczick.
„Prima, danke.“ an die Leute der Spurensicherung gab Kriminalhauptkommissar Schaaf noch seine Anweisung den PC betreffend: „Ich will wissen, ob der Abschiedsbrief auf dem Computer aus dem Arbeitszimmer geschrieben wurde. Wenn es geht auch wann das war. Ich brauche alle Daten dazu, die ihr sichern könnt.“
„Geht klar Schäfchen.“
„Busch, sehen sie hier irgendwo eine dieser modernen Geiseln?“
Seinem Assistenten war sofort klar: Schaaf sprach von einem Handy. Busch entdeckte es vor Schaaf. Es lag unter dem Schreibtisch, nicht leicht zu finden. Versteckt?
„Es ist an“, stellte Busch nach einem Blick aufs Display fest.
„Gut. Das nehmen wir mit. Ich bin gespannt, was wir darauf interessantes finden.“
„Vier Anrufe in Abwesenheit sind drauf.“
„Dann sehen sie mal nach, wer da anrief. Auf Fingerabdrücke brauchen sie keine Rücksicht nehmen. Da werden nur die von ihm und seiner Frau drauf sein. Und dass wir auch welche von ihr finden, hat keinerlei Aussage.“
„Sind alle aus seinem Büro“, murmelte Busch, nachdem er das geprüft hatte. „Die werden ihn sicherlich vermissen.“
„Wir nehmen es mit“, wiederholte Schaaf.
„Geht klar Chef.“
„Busch sehen sie hier irgendwo auch eine Aktentasche oder so was ähnliches?“ Schaaf spulte routiniert sein lückenloses Programm ab. Er überließ nichts dem Zufall und dachte an alles.
Sein Assistent sah sich fragend um und beinahe gleichzeitig entdeckten sie einen schlanken Aktenkoffer aus Aluminium mit Kevlarmuster ebenfalls seitlich unter dem Schreibtisch stehend. Ein sehr edles und sicher teueres Stück. Schäfchen nahm ihn hoch, besah ihn sich genau und öffnete die Verschlüsse. Der Aktenkoffer war unverschlossen. Darin lagen verschiedene Akten, Papiere, eine Mappe und eine Frischhaltebox mit belegten Broten. Auch diese öffnete Schaaf, nahm die Brote heraus, drehte sie mehrfach in den Händen und roch an ihnen.
„Ganz frisch! Die sind von heute Morgen. Haben sie gesehen Busch? Der Tote ist frisch rasiert, parfümiert, dezent und nicht aufdringlich und sein Hemd ist wie aus dem Kleiderschrank, bis auf die Falten, von seiner liegenden Position! Der wollte zur Arbeit gehen!“
Kriminalhauptkommissar Schaaf sprach seine Gedanken leise vor sich hin. Buschs Aufgaben bestanden darin, diese ebenfalls zu notieren, damit Schaaf all diese Fakten und seine ersten Eingebungen später noch einmal gesammelt verarbeiten konnte. Er kümmerte sich auch nicht darum, ob Busch bei seinem Tempo mithalten konnte. Das setzte er voraus. Und auch, ob Busch seine Gedanken nachvollziehen konnte spielte in dem Moment keine Rolle für ihn.
Bereits schon wieder in seine Gedanken versunken, wand sich Kriminalhauptkommissar Schaaf ab und wandelte in seinem Schleichschritt hinaus auf die Terrasse. Auf dieser stand ein Tisch mit sechs Stühlen in aufgeräumter Anordnung. Dort sah er sich ebenso gründlich um, wie vorher im Haus. Die Terrasse und die Rückfront des Hauses lagen herrlich in der Sonne mit freiem Blick ins Grüne und auf bunte Blumenbeete seitlich vom Rasen im Vordergrund. Blickdichte Büsche mit unterschiedlichen Blattfarben im Hintergrund begrenzten das Anwesen. Eine Skulptur, von der Schäfchen nicht wusste, wen oder was sie darstellen sollte, stand inmitten der Rasenfläche als Blickfang.
Kriminalhauptkommissar Schaaf ging in Richtung des seltsamen Kunstwerks, drehte sich etwa auf halber Strecke herum, um sich die Rückfront des Hauses zu betrachten. Alles machte einen sauberen, gepflegten und friedlichen Eindruck. Die Terrasse war von keiner Seite einsehbar. Hier konnte man es sich wirklich ungestört gut gehen und die Seele baumeln lassen.
„Wissen sie, was mich interessieren würde Busch?“ fragte Kriminalhauptkommissar Schaaf noch auf dem Rasen stehend.
„Was denn?“ fragte Busch in großer Erwartung an den Gedanken seines Vorbildes teilhaben zu können. Er wollte lernen und verstehen, wie Schäfchen dachte und so immer zu den richtigen Schlussfolgerungen gelangen. Das würde Busch selbst gerne können. Voller Spannung wartete er auf die Frage von Kriminalhauptkommissar Schaaf.
„Wie die das Monsterteil hier auf den Rasen gebracht haben. Das Ding kann doch nur mit einem gigantischen Kran über das Haus hinweggehoben worden sein. Was ein Aufwand!“
Busch staunte über diese Gedankengänge und fragte sich, wie der Chef nun darauf kam. Das war doch völlig egal.
Als Kriminalhauptkommissar Schaaf zurück auf die Terrasse schritt, wich ihm sein Assistent Busch sofort aus, der ihn dort erwartete. Er wäre sonst genau in seiner Spur gestanden. Busch verhielt sich still und unsichtbar, wie sein Chef das wünschte, beobachtete ihn nur und hielt schriftlich die Punkte fest, die Schäfchen diktierte. Der Kommissar besah sich nun ganz genau die Tischplatte und die Stühle. Der Tisch zeigte keinerlei Ablagerungen von Blütenstaub oder sonstige feine Verunreinigungen, wie man diese im Freien erwarten durfte. Noch dazu in dieser Jahreszeit. Auf fünf der Stühle hingegen fand Schaaf solche Beläge. Wohl Blütenstaub. Der sechste war sauber.
Nach dieser Erkenntnis ging der Kriminalhauptkommissar sogar auf die Knie und betrachtete sich ausführlich den Boden im Bereich des Tisches. Er erkannte eine ganz geringe Restfeuchtigkeit auf den Terrassenplatten, als ob diese vor kurzem aufgewischt worden wäre. Er hob dann einen der Stühle an, besah sich ausgiebig die Stelle an welcher die Füße vorher den Boden berührten und stellte diesen wieder ab.
„Busch kommen sie mal näher.“
Schaaf sprach leise, so als ob er da unten ein seltenes Tier entdeckte und befürchtete es zu verscheuchen.
Sein Assistent folgte sofort der Aufforderung und ging neben dem Kommissar in die Hocke.
„Sehen sie“, deutete sein Chef auf den Boden. Doch für Busch blieb das, was der Kriminalhauptkommissar ihm zeigen wollte unsichtbar.
Schäfchen bemerkte den fragenden Blick und erklärte seinem Assistenten: „Die Terrasse wurde vor noch nicht allzu lange Zeit gereinigt. Sehen sie“, zeigte er auf die etwas dunkleren Flächen, die noch leicht feucht waren und dann auf die kleinen trockenen Stellen der Platten.
„Und dieser Stuhl stand zu dem Zeitpunkt der Reinigung anders. Sehen sie hier diese Abdrücke“, deutete der Kommissar auf fast nicht sichtbare, kleine rechteckige hellere Stellen, die den Standfüßen des Stuhls entsprachen und Busch verstand.
„Bei dem Wetter und der Sonneneinstrahlung ist die Terrasse sicherlich in kürzester Zeit abgetrocknet. Es ist also noch nicht lange her.“
Gleichzeitig erhoben sie sich und Kriminalhauptkommissar Schaaf blickte noch einmal um sich. Da entdeckte er in einem der Rosenbüsche, die eine Seite der Terrasse einrahmten etwas und ging sofort darauf zu. Busch folgte ihm direkt, weil er neugierig war, was sein Chef dort fand. Der ging vorsichtig auf eine prächtige Grille zu und besah sich diese ausführlich mit einem Grinsen.
„Ist Weiland noch da?“, rief er in das Haus nach dem Tatortfotografen.
Der unverzüglich antwortete „Klar, ich bin noch hier.“
„Willi komm mal schnell“, orderte der Kommissar ihn zu sich.
Weiland erschien auch schleunigst beim Kriminalhauptkommissar und Busch auf der Terrasse.
„Hast du was für Makro dabei?“
„Ja natürlich, du willst doch meistens auch Nahaufnahmen von irgendwelchen Dingen. Ich kenne dich doch und da werde ich nicht ohne diese Objektive auftauchen.“
„Gut, mach mal drauf und gib mir den Apparat bitte.“
„Was hat denn diese Grille mit dem Mord zu tun?“, fragte Busch unsicher, als er erkannte, dass sein Chef diese zu fotografieren gedachte.
„Das kann ich ihnen genau sagen Busch“, begann Schäfchen, „Nichts!“
„Du kannst doch hier jetzt nicht deinem Hobby nachgehen“, warf Willi ein.
„Warum nicht? Das ist ein herrliches Exemplar und ich möchte ein Foto von ihr machen.“
„Das glaube ich jetzt nicht“, übergab Weiland ihm lachend seinen Fotoapparat mit dem geforderten Objektiv darauf.
„Der Täter läuft uns deswegen nicht weg“.
„Du gehst von Mord aus?“
„Ja.“
„Na dann.“
Auch das war Kriminalhauptkommissar Schaaf. Er wusste genau was er tat und wo er stand. Wenn er glaubte sich einen kurzen Abstecher von seiner Spur erlauben zu können, ohne, dass der Täter deswegen davonkam, war das auch so. Das Ziel verlor er dennoch nie aus den Augen und er erreichte es immer! Da glich er einem Spürhund, der, wenn er auch kreuz und quer durch das Gelände strich, trotzdem nie die Fährte verlor.
Kriminalhauptkommissar Schaaf machte sich direkt an die Arbeit und schoss einige Aufnahmen von der Grille, die schön brav auf ihrem Stängel verharrte. Wie ein Modell beinahe wartete sie und ließ sich ablichten.
Willi erklärte derweil dem Assistenten von Schäfchen, was es mit dem Fotoshooting für eine Bewandtnis hatte. Kriminalhauptkommissar Schaaf sammelte Schmetterlinge und Insekten. Aber nicht wie andere Jäger, tot und präpariert auf Nadeln aufgespießt in Schaukästen, sondern ausschließlich als Fotomotive. Er legte Wert darauf, dass die Lebewesen seine Sammelleidenschaft unbeschadet überlebten.
„Aber auch ohne Tricks“, ergänzte Schäfchen, der gerade mit den Aufnahmen fertig geworden war. „Ich fange die auch nicht und hänge sie an Nylonfäden oder Drähte oder klebe sie inszeniert fest, um sie fotografieren zu können. Ich versuche die Tierchen so abzulichten, wie sie sind: Natürlich. Sie sollen keinen Schaden davontragen. Entweder das Bild gelingt, oder ich warte bis zur nächsten Gelegenheit.“
Dann übergab Schäfchen den Fotoapparat wieder Willi. Mit dem Ergebnis schien er sehr zufrieden zu sein.
„Schicke mir das Bild dann bitte per Mail.“
„Du bist unglaublich! Klar ich schicke sie dir.“ und zu Busch gewandt ergänzte Willi noch: „Er hat eine Aufnahme, die ist für mich sein Meisterwerk. Darauf ist ein Marienkäfer auf einem Blatt in Großaufnahme zu sehen und direkt vor dessen Kopf, steht eine Schwebfliege Auge in Auge“.
„Das war nur Glück. Ich hatte gerade den Marienkäfer fokussiert, da erschien plötzlich die Schwebfliege, genau als ich abschoss.“
„Glück gehört halt auch oft dazu! Eine wirklich tolle Aufnahme. Brauchst du noch was?“
„Nein, du kannst gehen. Danke dir.“
Für die Jungs der Spurensicherung hatte Kriminalhauptkommissar Schaaf allerdings noch eine weitere Aufgabe. Er trug ihnen, wieder zurück im Haus auf, „Sucht mir einen Putzfeudel oder Putzlappen, oder beides und prüft, ob die nass sind. Das Teil, das nass ist, wird mitgenommen und auf Spuren des Toten untersucht. Würde mich nicht wundern, wenn daran Speichelreste zu finden wären.“
Das Team machte sich unverzüglich an die Arbeit und durchsuchte die in Frage kommenden Schränke und die Abstellkammer.
Ob sie dabei fündig wurden, bekam der Kriminalhauptkommissar nicht mehr mit. Das würde ihm noch früh genug mitgeteilt. Er ging mit Busch noch einmal ins Schlafzimmer der trauernden Witwe. Sie saß noch immer ein wenig apathisch und in sich gesackt auf dem Ehebett.
„Wie geht es ihnen“, fragte Kriminalhauptkommissar Schaaf mit fürsorglichem Ton und beugte sich ein wenig herunter, um ihr dabei genau ins Gesicht sehen zu können.
„Es geht. Es ist halt einfach nur schrecklich. Warum hat er das getan?“
„Haben sie die Leiche berührt, als sie ihren Mann fanden?“, ging Kriminalhauptkommissar Schaaf nicht auf ihre Frage ein.
„Nur am Hals den Puls gefühlt. Es gab keinen“, schluchzte die Witwe.
„Haben sie ihn umgedreht?“
„Nein. Ich wusste sofort, dass er tot ist.“
„Also nicht. Das dachte ich mir. Haben sie eine Putzfrau?“
„Ja“, sah ihn die Frau an und ihr Blick wirkte irgendwie wacher und hellhöriger als zuvor, bemerkte sogar Busch. „Warum fragen sie?“
„Wann war sie zuletzt da?“ Kommissar Schaaf gab die Kontrolle über das Gespräch nicht ab.
„Vor drei Tagen. Sie hat einen Schlüssel und kommt gewöhnlich, wenn wir beide aus dem Haus sind. Ich vertraue ihr vollkommen.“
„Ah OK, das ist also schon länger her. Wo sind die Überreste des Tees? Haben sie den Satz weggeräumt oder gefunden?“
„Nein, warum?“
„Na es gibt keinen. Das ist doch sonderbar, oder?“ fragte Schäfchen spitz. Dabei meinte er nicht nur ihre Antwort den Tee betreffend, sondern zweideutig auch, dass sie nicht fragte „Warum Tee?“.
„Er wird es im Klo hinuntergespült haben!“
„Ja das wäre eine Erklärung.“ sagte Schaaf. Er wollte ihr nicht vorhalten, dass ein solches Verhalten mehr als ungewöhnlich sei. Wer macht sowas, wenn er dabei ist sich zu töten? Wenn er sie gefragt hätte, ob ihr Mann das für gewöhnlich tut, hätte sie natürlich mit ja geantwortet und damit ihre vorherige Behauptung untermauert. Schaaf ließ das einfach so stehen. Außerdem sollte Frau Arbel nicht jetzt schon bemerken, dass er an dem Selbstmord Zweifel hegte.
„Noch einmal zu ihrer Haushaltshilfe: Wie heißt die Frau und würden sie uns ihre Telefonnummer geben?“
„Katharina. Sie ist offiziell angemeldet, falls sie deswegen fragen.“
„Nein, das interessiert mich nicht, keine Sorge. Ich würde nur gerne mit ihr reden.“
„Sie war doch gar nicht da!“
„Trotzdem hätte ich sie gerne gesprochen.“
„Wenn es sein muss…“ und Frau Arbel griff nach ihrem Handy, das direkt neben ihr lag und begann die Nummer zu suchen. Dabei stellte sie sich nervös ungeschickt an, machte manche Schritte doppelt und musste dauernd wieder zurückschalten.
„Sie können das Handy auch meinem Kollegen geben, der macht das dann für sie.“
„Mein Handy geht sie gar nichts an!“
„Stimmt. Aber ich denke falls da irgendwas drin ist was jemand nicht wissen soll, dann wäre derjenige ihr Mann gewesen und er wird es nicht mehr erfahren“, antwortete Kriminalkommissar Schaaf gelassen und absichtlich rücksichtslos.
Mit einem abfälligen Blick übergab Frau Arbel dann ohne weitere Gegenwehr das Handy an Busch, der sich die Nummer von Katharina mit wenigen Kick- und Wischbewegungen heraussuchte.
Schaaf stufte ihr Verhalten als sehr clever ein. Zuerst zickig auf ihr Recht beharren und dann das Handy doch aus der Hand geben, um zu demonstrieren: Sehen sie, ich habe absolut nichts zu verbergen.
„Das war´s auch schon. Gut. Dann können wir gehen. Ich sehe mich unten noch einmal um und ziehe die Türe dann ins Schloss“, gab er das Aufbruchkommando an Busch und verließ mit seinem Assistenten das Schlafgemach.
Im Flur drehte sich Schaaf noch einmal unvermittelt der Witwe zu „Die beiden Autos vorm Haus, der Sportwagen und die Limousine, sind das ihre?“
„Ja den Sportwagen fahre ich und der andere gehört meinem Mann.“
„Okay“, sagte Schaaf nur und setzte ansatzlos seinen Weg nach unten fort.
Im Erdgeschoss an dem Tisch, an dem der Tode aufgefunden wurde, stellte Schaaf einen der Stühle zur Seite. „Setzen sie sich mal da drauf Busch.“
Sein Assistent tat was sein Chef von ihm verlangte, ohne zu verstehen warum. Gerade und steif saß er auf dem Stuhl.
„Und jetzt drücken sie sich bitte nach hinten.“
Busch tat wie ihm geheißen und verlagerte sein Gewicht nach hinten und die Lehne gab nach.
„Fester!“
Busch drückte sich, die Füße auf den Boden gepresst weiter zurück und der Stuhl nahm diese Bewegung auf.
„Noch fester! Versuchen sie den Stuhl nach hinten zu kippen!“
Busch drückte mit aller Gewalt, brummte etwas aus Anstrengung. Der Stuhl bog sich weiter, kippte aber nicht.
„Ich kann ihn nicht umwerfen!“
„Dann setzen sie sich wieder normal hin und versuchen es einmal mit Schwung. Richtig mit Schmackes den Oberkörper nach hinten drücken.“
Busch beugte sich vor und ließ seinen Oberkörper mit aller Gewalt nach hinten gegen die Lehne fliegen. Die Stuhllehne gab nach, nahm den Druck auf und federte sofort wieder nach vorn. Busch wurde von der Gegenreaktion überrascht und fiel vornüber von der Sitzfläche und landete auf allen Vieren am Boden. Der Stuhl kippelte auch bei diesem extremen Versuch kein wenig nach hinten.
Schaaf musste lachen und Busch sah ihn, am Boden kniend, mit Unverständnis an.
Erst im Auto traute sich Busch zu fragen: „Warum diesen Aufwand bei einem Selbstmord? Oder glauben sie wirklich das war Mord?“ Busch wusste bereits genau, dass er solche Art Fragen nicht stellen durfte, wenn andere Leute anwesend waren, ganz besonders, wenn Menschen, die mit dem Fall zu tun hatten, das hören könnten. Im Auto schien ihm ein geeigneter Ort zu sein.
„Das war Mord und kein Selbstmord! Die Ehefrau ist die Täterin. Sie hat ihn vergiftet!“
Diese klare und bestimmte Aussage verblüffte Busch. Das Resultat der Versuche mit dem Schwingstuhl brachte Busch nicht mit dem Urteil Schaafs in Verbindung. Den Chef zu fragen, woher er das denn wüsste ergab keinen Sinn. Die Antwort bestände wie immer aus: „Ich weiß das eben“. Also nahm Busch diese These als gegeben hin, die sich höchstwahrscheinlich wie immer, später bestätigte.
„Warum denn die Haushälterin? Denken sie, dass sie etwas damit zu tun hat?“, fragte Busch weiter.
„So eine Haushälterin weiß alles, weil sie alles sieht und hört! Sie bekommt mit, wie es in der Ehe wirklich aussieht. Sie findet die Scherben und die Macken an der Wand, wenn jemand im Streit mit Porzellan um sich wirft. Sie räumt die Gläser und die leeren Flaschen weg, wenn Alkohol im Spiel ist. Vielleicht hat sie einen Streit mitangehört und um was es dabei ging. Sie kennt die Herrschaften privat und würde sicherlich bemerken, wenn Herr Arbel hinter geschlossenen Türen schlecht drauf gewesen wäre, oder gar an Depressionen litt. Katharina ist hinter den Kulissen, sehr nah dran und sieht mehr als Außenstehende!“
„Achso. Ja das macht natürlich Sinn“, erkannte Busch die Überlegungen von Schaaf. „Das war nun mal ein wirklich prachtvolles Anwesen“, wechselte Busch das Thema.
„Ja nicht schlecht. Und nicht billig! Aber mein Tunnel ist mir trotzdem lieber“.
Busch wusste durch die Erzählungen seiner Kollegen, dass Kriminalhauptkommissar Schaaf tatsächlich in einem Tunnel wohnte. Selbst mit eigenen Augen sah er diese außergewöhnliche Behausung bisher noch nicht von innen.
Dabei handelte es sich um einen angefangenen Tunnelbau, der nicht beendet wurde. Sein Boss, Kriminalhauptkommissar Schaaf, kaufte das Loch im Berg und baute es zu einer Wohnung aus.
Auf einer Seite des langgezogenen Hohlraums erstreckt sich sozusagen der Flur und auf der gegenüberliegenden geht es in die Zimmer. Mit den teilweise rauen natur belassenen Felswänden soll das nach den Berichten total abgefahren aussehen. Natürlich gibt es in den Räumen keine Fenster, aber die Beleuchtung scheint hervorragend gelöst und ein erstklassiges Belüftungssystem, bei dem die frische Zuluft durch die Abluft vorgewärmt wird, sorgt für ein behagliches Klima im Innern. Eine gleichmäßige Helligkeit wurde durch indirekte Beleuchtung gelöst, erzählten die Kollegen Busch. Da gab es Nischen in denen Leuchtkörper saßen, die mit Milchglasscheiben abgedeckt sind und die Tische werden mit verdeckten Spots erhellt.
Den Eingang zu dem Tunnel sah Busch schon, als er seinen Chef zu einem Einsatz abholte. Es geht durch eine massiv hölzerne Tür, fast wie in einer Ritterburg, in diese außergewöhnliche Behausung hinein. Aber selbst die direkt dahinter liegende Vorhalle, die wegen der bis zur Decke reichenden rauen Wände einem Burgverlies ähneln soll, durfte er noch nicht einsehen. Busch saß damals im Wagen und wartete auf seinen Chef und hatte somit keine Gelegenheit wenigstens einen kurzen Blick hineinzuwerfen. Seit den Erzählungen bestand eine große Neugier bei Busch diesen ungewöhnlichen Wohnsitz irgendwann einmal sehen zu dürfen. Darauf freute er sich.